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Und es geschah an einem Weihnachtsabend

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Lisa saß auf dem kalten Bordstein und verbarg ihre Hände in ihrem zu klein gewordenem Wollmantel. Ihre Handschuhe, die nur bis zu den Fingerknöcheln reichten, konnten sie nicht genug wärmen. Die grellen Lichter der Weihnachtsbeleuchtungen in der Straße, erinnerten sie an das letzte schöne Weihnachtsfest, das sie damals mit ihrer Mutter erlebt hatte. Sie hatten nie viel Geld gehabt, aber es reichte immer für ein kleines Bäumchen, das sie schmücken konnten, und ein schönes Weihnachtsessen. Eine Träne tropfte auf ihre Wange, als sie daran dachte. Ihre Mutter hatte sie sehr lieb gehabt und sie konnte heute noch ihre Wärme und ihre Liebe spüren, die sie ihr gegeben hatte. Es war das Einzige, was ihr geblieben war und woran sie sich festhalten konnte, wenn sie wie heute an eiskalten Abenden, ganz alleine war in dieser Welt. Da war niemand mehr, der sich nun um sie kümmerte und sich Sorgen um sie machte.

Sie war ganz auf sich gestellt in dieser grauen kalten Welt, die keine Rücksicht auf Schicksale nahm.

Ein leiser Stich durchfuhr sie, als sie daran dachte, wie ihre Mutter vor vier Jahren gestorben war.

Sie war schwer krank geworden und kein Arzt konnte ihr mehr helfen. Es war zu spät gewesen.

Die Krankheit war schon zu weit fortgeschritten. Es war an einem verregneten Sommertag, als ihre Mutter diese Welt verließ. Für Lisa zerbrach die ganze Welt an diesem Tag. Sie war gerade einmal zehn Jahre alt, als sie von heute auf morgen alleine war. Sie war dann in ein Waisenhaus gebracht worden. Aber dort hatte sie sich nicht wohl gefühlt. Die Menschen, die dort arbeiteten, waren kalt wie Stein und sie hatten nie ein liebes Wort für das kleine Mädchen, das gerade ihre Mutter auf so tragische Weise verloren hatte.

Ihr fehlte die Liebe, die ihre Mutter ihr gegeben hatte, und so riss sie nach zwei Jahren von dort aus und lebte fortan auf der Straße.

Ihren Vater hatte sie nie gekannt. Er war nach ihrer Geburt aus ihrem Leben für immer verschwunden.

Sie hatten nie wieder etwas von ihm gehört.

Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass er ein Lebemann war, der nichts mit Kindern anzufangen wusste.

So waren sie all die Jahre alleine geblieben, sie und ihre Mutter. Aber er hatte Lisa nie gefehlt, weil sie ihr alle Liebe gab, die sie brauchte.

So saß sie nun heute wieder mal, wie so oft, auf der Straße und bettelte um ein bisschen Geld, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnte. Für mehr reichte es nicht, aber es war gerade so viel, dass sie überleben konnte. Sie war froh um jede Münze, die sie von den Leuten bekam.

Heute war Heiliger Abend. Sie sah den Leuten zu, wie sie von einem Geschäft zum anderen hasteten. Viele sahen sie noch nicht einmal an, wie sie da frierend auf dem Boden kauerte. Sie war für diese Welt unsichtbar geworden.

Nicht einmal an diesem Tag bekam sie mehr als an all den anderen Tagen im Jahr. Aber sie war trotz allem dankbar für jede Hilfe, die man ihr gab.

Jeden Abend, wenn sie sich in das alte verlassene Abbruchhaus zurückzog, in dem sie des Nachts schlief, dankte sie Gott dafür. Ihre Mutter hatte ihr schon als ganz kleines Mädchen beigebracht zu beten und ihr alles über Gott erzählt. Das gab ihr jeden Tag die Kraft zu überleben und nicht aufzugeben. Sie wusste, dass der himmlische Vater sie nicht im Stich lassen würde, egal was passierte.

Sie hatte es schon oft gespürt in ihrem Herzen, wenn sie wieder mal mutlos und verzweifelt war.

Lisa fror, und sie zog ihren alten Mantel noch enger um sich. Eine alte Dame sah sie mitleidig an, gab ihr ein paar Münzen, schüttelte den Kopf und ging dann weiter.

Zur Genüge kannte sie diese Blicke, aber sie hatte inzwischen gelernt, es nicht mehr zu hinterfragen.

Sie wusste, dass die Menschen nicht verstehen konnten, warum ein so junges Mädchen wie sie auf der Straße bettelte. Sie wusste aber auch, dass es den meisten von ihnen eigentlich egal war, weil sie alle mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren. Sie interessierten sich nicht wirklich für ihr Schicksal, sie beruhigten lediglich ihr Gewissen, wenn sie ihr ein paar Münzen zusteckten, um nicht näher hinterfragen zu müssen, wie sie dort hingekommen war. Niemand hatte wirkliches Interesse an Straßenkindern wie Lisa, die heute sehr oft in den Städten zu sehen waren.

Ein dicker Weihnachtsmann läutete mit seiner Glocke vor dem großen Kaufhaus, um die Leute um Spenden zu bitten. Lisa sah ihn mitleidig an, denn es war schwerlich zu übersehen, dass auch er schon bessere Zeiten erlebt hatte. Seine Augen blickten traurig. Auch das Lächeln, das er den Leuten bei jeder Spende, die er bekam, schenkte, konnte dies nicht überdecken. Lisa spürte, dass auch er ein schlimmes Schicksal hatte erleiden müssen.

„Möge der liebe Gott auch dich beschützen“, dachte sie bei sich und wandte ihren Blick dann wieder den Leuten zu, die aus dem Geschäft strömten, neben dem sie auf dem Boden kauerte.

Sie hoffte, doch noch etwas Geld zu bekommen, sodass sie auch für den nächsten Feiertag noch genug zu essen haben würde. Denn am 25. Dezember waren sehr wenige Menschen unterwegs und es war schwer, etwas Geld zu bekommen.

Lisa sah zu den Leuten auf und schenkte ihnen ein Lächeln, so gut sie es vermochte.

„Hier Mädchen“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Lisa drehte sich um und sah die alte Dame, die ihr zuvor ein paar Münzen geben hatte. Sie hielt ihr eine große Tüte hin. Lisa nahm die Tüte an sich und sah, dass darin eine neue dicke rote Decke lag. Sie sah die alte Dame überrascht an und schenkte ihr ihr schönstes Lächeln. „Damit du nicht so frieren musst“, sagte die alte Dame und lächelte nun zurück. Lisa bedankte sich herzlich, nahm die Decke aus der Tüte heraus, und wickelte sie um sich herum. Sie war tief im Herzen berührt und dankte Gott für diese Barmherzigkeit, die ihr die alte Dame entgegengebracht hatte.

Das war das erste Mal, dass jemand etwas mehr für sie tat, als worum sie bat. „Hast du denn gar niemanden, der sich um dich kümmert?“ Lisa sah in ihren Augen, dass sie ihr nicht egal war, wie den meisten anderen, die auf den Straßen herumliefen.

„Leider nein“, antwortete Lisa leise, „ich bin ganz alleine und auf mich gestellt“, sagte sie.

Die alte Dame schien zu überlegen und man sah ihr an, dass es ihr im Herzen wehtat, dieses junge Mädchen hier einfach sich selbst zu überlassen. Heute war der Tag des Herrn und niemand sollte heute so ein Schicksal erleiden müssen, wie dieses junge Mädchen, das ganz offensichtlich einen Menschen brauchte, der sich um sie kümmerte.

Plötzlich huschte ein sanftes Lächeln über ihr Gesicht und sie sagte zu Lisa: „Ach weißt du was? Was hältst du davon, wenn du mit zu mir nach Hause kommst und mit mir Weihnachten feierst? Auch ich habe niemanden mehr, mit dem ich das Weihnachtsfest verbringen könnte. Wenn du also willst, dann nehme ich dich mit und gebe dir zu essen und ein warmes kuscheliges Bett über die Feiertage und dann werden wir weitersehen.“

Lisa sah sie mit großen Augen an und wusste in dem Moment gar nicht, wie ihr geschah.

Noch nie hatte ein fremder Mensch so viel Mitleid mit ihr gehabt. Aber sie spürte, dass die alte Dame ein gutes Herz hatte und ihr Gefühl sagte ihr, dass sie dieses Angebot annehmen sollte.

„Das würde ich sehr gerne“, sagte sie zu ihr und strahlte über das ganze Gesicht.

So nahm sie denn all ihre Sachen, die sie immer bei sich trug, packte die neue Decke zurück in die Tüte und ging mit der alten Dame nach Hause.

Auf dem Weg dorthin sagte die alte Dame zu ihr:

„Ich bin übrigens Margret und wie heißt du?“

„Ich heiße Lisa und bin 14 Jahre alt“, sagte das Mädchen zu der netten alten Dame.

„Oh mein Gott, Kind“, sagte sie betroffen zu Lisa: „Du musst mir nachher unbedingt erzählen, wie du in diese Situation gekommen bist.“

Lisa nickte und ging schweigend mit ihr nach Hause.

Margret hatte eine kleine, aber sehr liebevoll eingerichtete Wohnung im zweiten Stock eines Mietshauses und ein kleines Gästezimmer, in dem ein weiches warmes Bett für Lisa stand.

Lisa fühlte sich, als ob sie nun aus einem langen Albtraum erwacht wäre. Die alte Dame hatte irgendwas an sich, dass sie an ihre eigene Mutter erinnerte. Sie fühlte sich bei ihr sofort sehr wohl und geborgen.

Margret stellte ihr ein Weihnachtsmahl auf den Tisch, wie sie es schon ewig nicht mehr erlebt hatte. Im Wohnzimmer stand auch ein kleiner Christbaum, der mit Strohsternen, rotem Christbaumschmuck und Lametta geschmückt war.

Sie saßen an diesem Abend am Tisch, genossen das wunderbare Weihnachtsessen und erzählten sich ihre Lebensgeschichten.

Margret hatte ihre Tochter bei einem tragischen Unfall vor vielen Jahren verloren und war seitdem alleine. Sie hatte sonst keine Verwandten, die sich um sie kümmerten und besuchten.

Nun hatte sie das Gefühl, als ob an diesem Heiligen Abend das Glück in ihr Heim zurückgekehrt wäre.

Sie hatte eine zweite Chance bekommen, eine zweite Tochter, die ihrer Hilfe und vor allem ihrer Liebe bedurfte. Ihr wurde es ganz warm ums Herz, als sie in Lisas Gesicht sah. Irgendwie erinnerten sie ihre Augen an ihre eigene Tochter.

„Weißt du was?“, sagte sie leise und aus vollem Herzen überzeugt zu Lisa. „Ab heute hast du ein neues zu Hause. Du kannst bei mir bleiben, wenn du das möchtest. Ich habe nicht viel, aber das, was ich habe, teile ich gerne mit dir für den Rest meines Lebens. Der liebe Gott hätte mir kein schöneres Geschenk machen können dieses Weihnachten. Ich bin sehr froh, dass ich dich gefunden habe.“ Sie blickte Lisa an, tätschelte liebevoll ihre Hand, und schenkte ihr dann ein Lächeln, dass es Lisa ganz warm ums Herz wurde.

Lisa strahlte nun über das ganze Gesicht, und fühlte sich, als wäre sie nun nach einer sehr langen dunklen Reise endlich zu Hause angekommen.

„Danke, ich wünsche mir nichts mehr“, flüsterte sie gerührt. Eine Träne lief ihr über ihr Gesicht. Sie wusste genau, dass der himmlische Vater ihr dieses Geschenk gesandt hatte.

An diesem Abend lag sie ganz ruhig und tief bewegt, in ihrem neuen weichen warmen Bett und dankte Gott dafür, dass er sie nicht vergessen hatte.

Es war das schönste Weihnachten, das sie seit vielen Jahren erlebt hatte und niemals mehr vergessen würde.

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