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Das Duell

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John war ein Krimineller. Er selbst würde sagen, er wäre ein Gauner, genauer gesagt ein Gelegenheitsgauner, mehr aber auch nicht. Er wohnte noch bei seiner Ma- so nannten sie damals ihre eigene Mutter. Ma war so alt, sodass sie nicht allzu viel mitbekam. Der Zahn der Zeit hatte schon kräftig an ihr genagt. Sie war nahezu blind und fast taub auf beiden Ohren. Sie konnte sich nichts mehr merken, außer an ihren John. Nur war der in ihrer Erinnerung immer noch der kleine John und nicht der Verbrecher, der er heute ist.

John hatte schon so einiges auf dem Kerbholz und wurde vom amtlichen Sherriff gesucht. Zum einen hatte er sich an dem Raub der örtlichen Bank beteiligt, wobei man sagen muss, dass „Beteiligung“ vielleicht das falsche Wort ist. Man könnte vielmehr von „Anwesenheit“ sprechen. John galt nicht als sonderlich geschickt, das war jedem bekannt und deshalb planten die anderen Gauner der Stadt stets ohne ihn.

Schon zu Zeiten der Schule hatte sich John an kleineren Verbrechen beteiligt, allerdings nie erfolgreich. So hatte er versucht, dem Lehrer einen Apfel zu stehlen und merkte erst beim Reinbeißen, dass er aus Wachs gewesen war. Es hätte niemand mitbekommen, wenn er nicht so mit dem Diebstahl geprahlt hätte. Es folgten mehrere missglückte Verbrechen. Ein anderes Mal wollte er in die Kirche einsteigen, um die Kollekte zu stehlen. Nicht nur, dass so etwas moralisch überhaupt nicht geht- man denke daran, dass Gott solche Taten wohl besonders hart bestrafen würde, John gelang es nicht einmal. Er blieb im Fenster stecken, in dem er einsteigen wollte. Der Küster entdeckte ihn am darauffolgenden Tage und John wurde zum Gespött der Stadt. Es stellte sich übrigens heraus, dass die Kirche offen war, da der Küster vergessen hatte, das Gotteshaus abzuschließen.

John galt fortan als Pechvogel, Trottel oder Möchtegern- Gauner. Man gab ihm Spitznamen wie „Looser- John“ (übersetzt etwa „Verlierer- John“) oder John, the Con (bedeutet in etwa „John, der Gauner). Natürlich passte es John nicht, aber er konnte es auch nicht ändern. Es schien als sei er vom Pech verfolgt. Selbst der Sheriff, der wusste, wo sich John befand, hielt bisher es nicht für nötig, ihn zu inhaftieren, denn das Pech selbst war Strafe genug, das fanden auch viele Leute.

Das einzige, was John davon abhielt durchzudrehen, war die Tatsache, dass er einfach nicht die hellste Kerze auf der Torte war, also sein Licht ging erst sehr spät auf, wenn überhaupt- bei ihm fiel nicht der Groschen, sondern ein fünf Mark Stück (für alle, die die (D) Mark nicht kennen- es handelt sich um eine Währung vor dem Euro- also fall hier etwa 2,51 €- es ist klar, dass damals kein Groschen im Wilden Westen fallen könnte, sondern Dollar)- will heißen, John war dumm. Heute würde man sagen, er sei einfach gestrickt. Aber stricken konnte er ebenso wenig.

Früher hatte Ma ihn immer beschützt. Hatte dafür gesorgt, dass er durch die Schule kam. Er hatte sogar eine Arbeit, aber leider nicht lange. Bei aller Häme, die ihm entgegengebracht wurde, Ma war immer da. Pa gab es nicht, da er früh gestorben war. John hatte keine Brüder. Er war ein Einzelkind. Für seine Ma war John auch kein Verbrecher, denn zu ihr war er stets zuvorkommend und höflich. Er hätte wohl sein letztes Hemd für seine Ma gegeben, wenn es nicht das einzige gewesen wäre, was er besaß.

Ein Dieb zu werden war weniger ein Entschluss, wenn nicht vielmehr das Resultat, ein ebenso schönes Leben führen zu können wie es andere hatten. Die Schulen waren früher viel kleiner. Es gab auch weniger Menschen und nicht jedes Kind ging in eine Schule. John aber musste, ob er wollte oder nicht. Ma hatte immer darauf bestanden. Wenn er einmal nicht hingehen wollte, schleifte sie ihn durch die halbe Stadt und brachte ihn zur Schule.

Ma war eben kräftig. Selbst die Lehrer hatten Respekt vor der alten Dame, denn ihr Auftreten imponierte so manchen. Ohne sie wäre John nie und nimmer durch die Schule gekommen. Allerdings wurde er jedes Mal geschnappt, wenn er stehlen wollte. Ob nun Schulmaterialien, wie Kreide oder das Brot der anderen, John war einfach nicht geschickt darin, andere zu bestehlen. Leider hatte er auch keine andere Fertigkeit, die ihn auszeichnete als er ein Kind war.

Die Lehrer bestraften ihn stets mit Ausschluss aus dem Unterricht oder aus anderen Ereignissen, sodass er zu einem Außenseiter wurde. Zudem verpasste er auf die Art auch noch Unterrichtsstoff, weshalb er die Schule eher nicht mit einem hervorragendem Abschluss beendete, als vielmehr mit einem- sagen wir- teilgenommen.

Aus diesem Grunde tat es John auch nie Leid, dass er die anderen bestohlen hatte, denn seiner Meinung nach waren sie schlechte Menschen. Er fühlte sich ein wenig wie Robin Hood, der es den Reichen nahm, um es den Armen zu geben. Die Reichen waren in diesem Fall die Dorfbewohner und die Armen, eigentlich die Arme, war seine Ma.

Als Kind konnten die meisten Erwachsenen ihm seine lächerlichen Diebstähle verzeihen, war er doch der Sohn einer Witwe. Die anderen Kinder verziehen ihm absolut nichts und hänselten und ärgerten ihn, wo sie nur konnten. Andere Kleinganoven nutzten ihn als Prellbock, um eigene Taten zu verdecken. Er wurde demzufolge ebenso für Taten beschuldigt, für die er nichts konnte.

Bis er erwachsen geworden war, gehörte er der immer gleichen Gruppierung an, obwohl sie ihn ausnutzten. Die dreckigsten, fiesesten, übellaunigsten, stinkigsten, geldgeilsten, maskulinsten… ach, einfach die vier Gauner, die Woodstock zu bieten hatte, so hieß das kleine Dorf, in welchen sie lebten, befanden sich halt in dieser Bande.

Sie nannten sich „Vogelscheuchenbande“, da für sie Vogelscheuchen etwas Schreckliches, Angsterregendes und Gruseliges hatten. In dieser Bande waren zum einen Bill, der Kopf, obwohl genau genommen zwar als „Bill, the Brain“ zu bezeichnen war, gemessen an einer Durchschnittsintelligenz eben genau diese besaß. Er war wie der Einäugige unter Blinden. Die meisten Ideen für Überfälle oder Diebstähle kamen von ihm. Ein weiterer war Pancho. Wie aus seinen Namen herzuleiten war, kam er aus Mexiko und wurde allein aus diesem Grunde aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Panchos Eltern kamen aus Chihuahua, was an sich schon Anlass genug für die meisten war, sie als „Hunde“ zu bezeichnen. Er wurde demzufolge auch „Puppy- Pancho“ genannt. Den zweiten Immigrantensohn, den die Siedlung zu bieten hatte war Wong. Auch hier ließ sich herleiten, dass er ganz klar aus Massachusetts kam. Nein, seine Eltern kamen aus China. Allerdings hatte Wong im Gegensatz zu seinen Gaunerkollegen meist nichts zu befürchten, denn er konnte Karate, was ihm eine Menge Respekt und dem Spitznamen „Strong- Wong“ verschaffte Es mochte ihn trotzdem keiner. Der letzte im Bunde war eben unser bekannter John, the Con.

Die Bande verbreitete keine Angst und Schrecken, sondern nervte die Bewohner. So ging es jahrelang. Die meisten Diebstähle gingen schief oder wenn sie erfolgreich waren, war der Gewinn- die Beute- nicht so groß, sodass sich davon leben ließe. In den meisten Fällen versuchten die anderen Vogelscheuchen, John alles anzuhängen, aber eher auf die Art, dass er es nicht merkte und meisten klappte das auch.

Doch dann kam alles anders und Johns Leben sollte sich schlagartig ändern. Es begann alles damit, dass mehrere Ereignisse aufeinandertrafen. Zum einen traf einer der gefährlichsten Räuber und Revolverhelden des Wilden Westens auf- also ein echter seiner Art. Es niemand geringeres als Jesse Ringo. Bei seinem Namen zitterten die meisten Menschen. Er war eine kleine Berühmtheit, da er es geschafft hat, landesweit jede große Bank ausgeraubt hatte. Allerdings waren seine Laster derartig groß, sodass die Moneten nie lange bei ihm blieben.

So kam es, dass Jesse Ringo nach Woodstock kam, denn er war- verständlicherweise- auf der Flucht. Zufälligerweise hatte in Woodstock gerade eine neue Bank ihre Heimat gefunden. Und Woodstock wollte sie, denn mit einer Bank wuchs auch die Siedlung. Jesse Ringo schnappte in einem Saloon auf, dass es die Vogelscheuchenbande gab und machte sich auf die Suche, um die Jungs zu finden. Sein Ziel war klar: Er wollte die Knete aus dem Tresor der Bank.

„Also Mädels“, sagte Jesse Ringo, nachdem er der Vogelscheuchenbande seinen Plan erklärt hatte, „macht ihr euch in eure Höschen oder seid ihr Männer und macht mit?“

Keiner der Jungs ließ sich als Mädchen bezeichnen! Natürlich waren sie Männer. Wenn nicht sie, wer dann?

„Klar“, bestätigte Bill the Brain, „aber was springt für uns dabei heraus?“

„Ruhm und Ehre“, lachte Jesse Ringo und schaute in die Runde.

Die anderen guckten sich gegenseitig an. Sie konnten nicht recht glauben, was sie da hörten. Was sollten sie mit Ruhm und Ehre? Dadurch konnte man sich auch kein Whisky kaufen.

„Oh mein Gotte, Mädels“ unterbrach Jesse Ringo die Gedanken der Bande, „ich mach‘ doch nur ein kleines Späßchen. Ihr bekommt natürlich euren Anteil. Wir machen Fifty Fifty.“

„Das klingt gut“, willigte Bill the Brain ein, „das machen wir.“

„Aber ich will nicht nur 50 Dollar haben“, machte Puppy- Pancho deutlich.

„Aber so ist das nicht“, erklärte Bill the Brain, „es bedeutet, dass wir halbe halbe machen, ok?“

„Und warum sagen wir das nicht so?“ wollte Puppy- Pancho wissen.

„Ach“, antwortete Bill the Brain, „weil das so ist.“

Bill the Brain war es leid, immer alles zu erklären. In Jesse Ringo sah er einen Ebenwürdigen, vielleicht sogar ein Vorbild. Aus diesem Grunde ignorierte er auch, dass seine Bande gerade über den Tisch gezogen worden war.

„Hey“, flüsterte Jesse Ringo Bill the Brain zu, als die anderen beschäftigt schienen, „die sind ja alle derartig hohl in der Birne. Wie wär’s wenn wir beide teilen und die anderen bekommen einen kleineren Teil, mh?“

Bill the Brain nickte.

„Ich krieg 60% und 30%, also bekommst du die Hälfte, die anderen kriegen den Rest“, schlug Jesse Ringo vor, „na, wie wär’s ?“

Bill the Brain wollte in diesem Moment nicht zugeben, dass er kein Wort verstanden hatte und somit seinem Beinamme „Brain“ nicht mehr gerecht werden würde. Im Prinzip verhält es sich, als wenn man einen Witz nicht verstanden hat, aber trotzdem mitlacht.

„Klar, machen wir“, stimmte Bill the Brain zu und Jesse Ringo wusste, mit wem er es zu tun hatte.

Der große Coup startete um Mitternacht. Jesse Ringo hatte alles durchdacht, selbst wie er mit allem aus der Nummer wieder herauskommen sollte und die anderen dafür büßen sollten.

Bill the Brain und Jesse Ringo stiegen ein, während Strong- Wong und John Wache standen. Dabei hätte beinahe alles schiefgehen können. Ein Fenster, welches zum Lüften halb offen gelassen worden war, diente ihnen als Einlass. Das Bill nicht der schlankste war, erwies sich diese Aktion als schwierig. Jesse musste seinen Weggefährten kräftig drücken, damit er durch das schmale Fenster passte.

Es sollte ihnen gelingen und sie befanden sich im einen der Büroräume. Die Türen waren nicht abgeschlossen und so konnten sie schnell zum Vorzimmer des Tresorraumes gelangen.

Im Wilden Westen waren die Tresorräume noch mechanisch verschlossen worden. Im Prinzip waren es etwas dickere Türen mit einem riesigen, fetten Vorhängeschloss davor. Das war nicht überall so, aber man war hier in Woodstock, nicht in New York! Jesse Ringo konnte Schlösser sehr gut aufknacken. Sie waren schnell. Bevor es auch nur irgendjemand bemerkte, hatten sie die komplette Bank ausgeraubt und waren aus der Stadt verschwunden.

Sie hatten sich bis in eine alte Hütte vor der Siedlung aufgemacht, die aus alten Goldrauschtagen übrig geblieben war.

„Super, Mädels“, lobte Jesse Ringo die anderen und dies war das einzig Ehrliche, was er zu bieten hatte gegenüber der Bande, „jetzt machen wir alle ein Schläfchen und treffen uns Morgen wieder hier, um die Beute aufzuteilen.“

Dabei zwinkerte Jesse Ringo Bill the Brain zu, der das Zeichen verstand.

„Ja, Morgen“, sagte er, „treffen wir uns.“

Die anderen schöpften keinen Verdacht, weshalb sie alle einverstanden waren. Jeder ging seines Weges. John hatte sich ebenso aufgemacht, war aber zu blöd und hatte sein Messer in der Hütte liegen lassen. Er beschloss, zurück zu gehen, um es sich zu holen.

Als er in der Nähe der Hütte war, vernahm er eine Stimme. Er schlich sich an ein Fenster und lauschte.

„Man sind die blöd“, lachte sich Jesse Ringo eins, „ich werde mich auf dem Weg machen und die Fliege machen und die Idioten können zusehen, wie sie im Knast verrotten.“

Der erste Impuls, der in John emporkam, war der des Direkteinschreitens. Allerdings kam ihm ein weiterer Gedanke: Jesse war definitiv stärker als er! Er war ein Gauner, kein Schläger, Prügler oder gar Mörder, denn darauf würde es hinauslaufen. Also, was tun? Völlig überfordert mit den Gedanken in seinem Kopf schlenderte er Richtung Woodstock und stand plötzlich vor dem Sheriff.

„Guten Abend, John“, grüßte ihn der Sheriff Wyatt.

„Äh, N’abend“, grüßte John kurz angebunden zurück.

Der Sheriff sah John an, dass etwas nicht stimmte. Es war eine Mischung aus Intuition und Erfahrung mit John, die ihm dieses verriet.

„Hast du etwas verbrochen?“ fragte Sheriff Wyatt gerade heraus.

„Äh, ich?“ versuchte John abzulenken, doch gelang ihm das nicht allzu gut.

„Ja, du“, machte der Sheriff deutlich und kam näher zu John heran, der zu Schwitzen begann.

„Ich sage es ein letztes Mal“, warnte ihn Sheriff Wyatt, „was hast du verbrochen?“

Wyatt war sich ziemlich sicher, deshalb wollte er auch nicht mehr wissen, ob, sondern ging davon aus, dass etwas passiert war. Für John wurde es unerträglich. Er wollte doch seine Jungs waren vor dem fiesen Jesse Ringo und stand nun vor dem Sheriff, der ihn selbst verdächtigt! Und dann kam ihm ein Gedanke, so urplötzlich aus dem heiteren Himmel: Was wäre wenn,…?

„Sheriff, ich habe ein Verbrechen gesehen“, begann John, „Jesse Ringo hat unsere Bank ausgeraubt und ich weiß, wo er sich versteckt.“

Der Sheriff schaute zunächst verdutzt, da dieses Verhalten nicht zu dem gewöhnlichen des Johns gehörte, den er kannte. Trotzdem sagte Wyatt etwas, was er nicht näher beschreiben konnte, dem Gauner zu folgen, denn John machte sich auf, zurück zur Hütte zu laufen.

Angekommen vor der Hütte, machte John ein Zeichen, welches international bekannt dafür war, leise zu sein. Er streckte seinen Zeigefinger und hielt diesen senkrecht vor dem Mund. Sheriff Wyatt verstand, zog zur Sicherheit seinen Revolver, denn er witterte eine Falle.

Jesse Ringo hatte sich zuvor hingelegt, denn er wollte mitten in der Nacht abziehen. Er hatte nicht mitbekommen, dass John seinen lauten Gedanken gelauscht hatte, sonst wäre er verschwunden, bevor der Sheriff und John hier aufgetaucht wären.

Jedoch schlief Jesse Ringo nie den tiefen Schlaf der Gerechten, wie auch, wenn man bedenkt, was dieser Mann alleine alles verbrochen hatte. Er hatte also immer ein waches Auge und ein wacheres Ohr. Jesse Ringo vernahm es als die beiden, Sheriff Wyatt und John sich anschlichen- Sie waren zum einen nicht sonderlich geschickt, so wie die Indianer, und Jesse Ringos erhöhte Wachsamkeit tat ihr Übriges.

Jesse Ringo schreckt auf. Er nahm seine Büchse und schlich seinerseits zum Fensterladen, dann horchte er in die Nacht hinaus. Zunächst war nichts und Jesse Ringo begann, sich einzubilden, dass er zu alt für diesen Job war. Doch gerade als er sich zurückbegeben wollte, vernahm er ein leises Geräusch. Da war doch jemand!

Zum einen freute es Jesse Ringo, der trotz seines Alters stolz darauf war, hervorragende Ohren zu haben, zum anderen bedeutete dies in der Regel Ärger, wenn sich Fremde an eine Hütte des Nachts heranschlichen.

Jesse Ringo machte keinen Mucks und beobachtete erst einmal, die Flinte im Anschlag. Nach einem kurzen Augenblick konnte er eine Gestalt erkennen. Es war John. Zunächst wollte Jesse Ringo aufatmen, aber dann sah er eine weitere für ihn unbekannte Figur.

„Der will sich den Schatz wohl alleine holen“, dachte sich Jesse Ringo sich, „aber nicht mit mir.

Er setzte an und zielte. Dann drückte er ab. Er konnte nicht feststellen, ob er getroffen hatte und verschanzte sich. John schmiss sich reflexartig zu Boden. Der Schuss hatte ihn klar verfehlt. Jesse Ringo hätte im Leben nicht treffen können, denn es war dunkel, was es an sich schon schwierig machte, und Jesse war kein besonders guter Schütze.

„Jetzt reicht’s mir“, sagte Sheriff Wyatt entschlossen, der nach dem Schuss, den Jesse abgesetzt hatte, sich zu Boden geworfen hatte.

„Jesse Ringo“, rief der Sheriff laut und bewegte sich dabei um die Hütte, „ergeben Sie sich.“

Jesse antwortete nicht. Er lunzte aus seinem Versteck hervor und konnte nur Schatten sehen. Er nahm an, dass beide auf dem Boden liegen.

„Niemals“, teilte Jesse laut mit, „ich mache einen Gegenvorschlag: Am besten, ihr verzieht euch, sonst puste ich euch die Rübe weg!“

Jesse lud seine Flinte nach und setzte an. Wenn ich nur auf die Schatten ziele, dann treffe ich sicher jemanden. Auf einmal vernahm er das Geräusch eines Revolvers, dessen Hahn manuell zurückgezogen wurde. Als Jesse sich umdrehte, vernahm er der Sheriff, der seine Waffe auf ihn gerichtet hatte.

„Clever“, bemerkte Jesse Ringo, „sehr clever.“

„Es bleibt keine Zeit für Schleimereien“, entgegnete Sheriff Wyatt deutlich, „Waffe zur Seite werfen und langsam auf den Boden legen.“

Jesse überlegte einen Augenblick, ob seine Schnelligkeit ausreichte, um den Sheriff umzunieten, bevor dieser es tat. Der Gedanke erwies sich falscher, denn Jesse Ringo wusste, dass er keine Chance hatte. Er tat, was der Sheriff von ihm verlangte und schmiss die Waffe zur Seite. Dann legte er sich langsam zu Boden.

„Hände hinter dem Rücken“, wies Sheriff Wyatt an.

Jesse machte auch dies und der Sheriff holte seine Handschellen, um ihn zu fesseln.

„Los, aufstehen“, befahl Sheriff Wyatt, „jetzt geht’s ins Kittchen.“

Der Sheriff führte seinen Gefangenen ab. Dabei schritten sie an John vorbei, der ganz schuldbewusst aussah.

„Dich erwische ich noch“, drohte Jesse Ringo, „und dann mache ich dich fertig!“

Der Sheriff zerrte ihn weiter, doch Jesse starrte John tief in die Augen, in seine Seele und machte ihm deutlich, dass er beim nächsten Mal fällig war.

Wyatt ließ John mit der Beute zurück. Für ihn war es wichtig, Jesse Ringo hinter Gitter zu bringen. War er doch einer der meist gesuchten Banditen der Vereinigten Staaten. John dagegen war ein kleiner Fisch.

Jesse wurde in eine Zelle beim Sheriffs Department gesteckt. Per Morseapparat wurde alles zum Büro der Marshalls geschickt, um ein Strafmaß festzulegen. Vor morgen früh würden sie jedoch keine Antwort erhalten. Der Sheriff ritt mit einem Begleiter zur Hütte und sicherte das Geld, welches sich noch immer dort befand. John war verschwunden und der Sheriff machte sich nicht die Mühe, ihn zu suchen.

„Sheriff, Sheriff“, am nächsten Morgen kam der Hilfssheriff angerannt und entriss Wyatt aus seinem Schlaf, „sie haben geantwortet.

Mit „Sie“ meinte der Hilfesheriff die Marshalls. Wyatt sprang auf und eilte zum Apparat. Er nahm den Zettel und las ihn.

„In Ordnung“, sagte er, „dann sei es so.“

Er nahm seine Weste und seine Pistole um sie in den Halfter zu stecken. Anschließend ging er zur Zelle, in der Jesse Ringo gerade saß und sich in einem wachen Zustand befand.

„Und, gibt’s was Neues“, schnauzte Jesse den Sheriff an.

„Ja, das gibt es“, antwortete Wyatt wahrheitsgemäß, „du bist verurteilt worden.“

Jesse blickte auf und der Sheriff hatte nun gewiss die Aufmerksamkeit des Kriminellen.

„Und zwar zum Tode durch den Galgen“, erläuterte Wyatt, ohne dass Jesse nachgefragt hatte.

Jesse Ringo senkte seinen Blick wieder gen Boden.

„Die Umsetzung soll am morgigen Tage erfolgen“, fügte Sheriff Wyatt hinzu und verließ das Department.

Am nächsten Tag erwachte John in seinem eigenen Bett, als er Schreie wahrnahm. Es folgte ein zweites Ereignis, welches dazu beitrug, dass sich Johns Leben stark veränderte. John sprang auf und rannte wie ein wilder Stier in Richtung des Zimmers seiner Mutter. Er riss ihre Tür auf und sie lag ruhig und entspannt da, ihre Decke zur Seite gewühlt.

„Ma?“ rief John mit verunsicherter Stimme, denn er war sich sicher, dass die Schreie von seiner Mutter kamen, „Ma, ist alles in Ordnung- ich hatte Schreie gehört…“

Es kam keine Antwort. John betrachtete seine Ma genauer und stellte fest, dass sich ihr Brustkorb nicht bewegte. Er schüttelte und rüttelte an ihr, doch es tat sich nichts. John liefen dicke Tränen die Wange hinunter.

„Ma, nun wach‘ doch endlich auf“, schrie er und sank zu Boden.

Er weinte. Er war traurig, aber auch wütend. Warum musste sie ihn verlassen? Ein Impuls in ihm entwickelte den Gedanken, den Sheriff zu holen, der womöglich eine Idee hatte, seine Mutter zurückzuholen. John hatte das mal gehört. Er machte sich schnellstens auf den Weg zum Department und traf den Sheriff an.

„John, John beruhige dich“, sprach der Sheriff, „was ist denn los?“

John war derartig aufgewühlt, was verständlich gewesen war, dass er kein vernünftiges Wort herausbekam. Des Weiteren sah er Jesse Ringo, wie er in seiner Zelle saß und John seit dem Betreten des Sheriffs Department anstarrte.

„Hey“, schrie Sheriff Wyatt und verpasste John eine Ohrfeige.

John erstarrte. Er wirkte ruhiger.

„Also, John, erzähl‘, was ist los?“ wollte der Sheriff nun wissen.

„Meine Ma“, begann John zu erzählen, „sie bewegt sich nicht mehr.“

Sheriff Wyatt machte sich sofort auf. Er kannte Johns Ma, wie jeder in Woodstock. John folgte ihm. Der Sheriff stürmte regelrecht in das Haus der Ma und fand sie wie John zuvor leblos in ihrem Bett liegend. Als John einige Momente später ankam, denn er war deutlich langsamer als der Sheriff, kniete Sheriff Wyatt vor dem Bett und betete.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte John und vergoss wieder Tränen, denn er kannte die Antwort bereits.

„Ich bete für deine Ma“, antwortete der Sheriff, „denn sie soll in den Himmel kommen zu den Engeln.“

Durch den Tod der Ma verschob sich die Hinrichtung des Schurken Jesse Ringo. Der Sheriff organisierte alles für eine Beerdigung und die Menschen halfen gerne. Der Bestatter spendete einen Sarg und einen Stein. Der Pastor lud Gäste ein und sorgte für einen Grabplatz. John war nicht derselbe- er war ruhig.

Die Vogelscheuchenbande kam nicht zur Beerdigung. Sie erschienen nicht einmal bei ihm, um ihm ihr Beileid auszusprechen. Sie dachten, er wollte die Beute für sich haben und sie betrügen. Jesse Ringo war in ihren Augen ein Held- John dagegen ein Verräter.

„Deine Ma war eine ganz besondere Frau“, sprach der Pastor, „eine unvergleichliche Frau, die ihr Leben für dich opferte. Wir wissen, dass du nicht immer der feinste Kerl warst, aber für deine Ma warst du eine Musterjunge, ein netter Junge, ein Sohn. Wollen wir uns in Erinnerung halten, dass nun ein Mensch von uns ging, der es verdient hat, im Himmel zu kommen- lasset uns beten…“

Sie trugen Ma zu Grabe. John bedankte sich bei allen und stand noch lange vor der Grabesstelle, da er noch immer nicht glauben konnte, was geschehen war.

Während der Beerdigungszeremonie schlichen sich Puddy- Pancho, Strong- Wong und Bill the Brain in das Sheriffs Department, welches nicht besetzt war, da der Sheriff angeordnet hatte, dass alle Hilfesheriffs teilnehmen. Zudem wollten sie mit Schüssen aus Flinten der Ma Tribut zollen.

Jesse Ringo bekam natürlich mit, dass die drei hineinkamen. Er wusste allerdings nicht, wie sie reagieren würden. Es bestünde die Möglichkeit, dass sie ihn kalt machen würden.

„Hey Jungs“, rief Jesse, „ich habe euch nicht verraten, es war John.“

„Das wissen wir“, verriet Bill, „deshalb sind wir hier.“

Jesse war erleichtert. Plötzlich sah er sowas wie Freiheit und einen Plan, aus diesem Kittchen zu entkommen.

„Was wollt‘ ihr denn hier?“ wollte Jesse Ringo wissen und kam näher an die Gitterstäbe heran.

Bill zog einen Revolver hervor.

„Wir wollen, dass du dich für uns und natürlich für dich rächst“, erklärte Bill the Brain.

„Mach‘ ich“, stimmte Jesse zu und streckte seine Hand aus.

Bill übergab Jesse den Revolver.

„Ich habe allerding sein Problem“, sprach Jesse, „ich bin hier drinnen und der Verräter da draußen.“

„Das ist mein Part“, teilte Strong- Wong mit und verbog mit all seiner Kraft die Gitterstäbe der Zelle, damit Jesse hindurch kommen konnte.

„Danke“, sagte Jesse Ringo und quetschte sich durch die Stäbe hindurch. Zum Glück war er schmal, sodass er leicht hindurch kam.

Laum hatte er seine Freiheit zurück, hob er seine Waffe und drückte ab. Er traf Strong- Wong, der ihm am nächsten stand mitten im Kopf. Wong fiel wie ein nasser Sack um. Die anderen beiden erstarrten, denn sie waren fassungslos. Jesse, der nicht das erste Mal jemanden beseitigte, dreht sich zu Puddy- Pancho und schoss ihm in die Schulter. Pancho war nicht schnell genug, seinen Revolver zu ziehen, da seine rechte Schulter getroffen wurde und er Rechtshänder war. Der zweite Schuss sollte seinen Kopf aber nicht verfehlen und auch er knallte zu Boden.

„Stopp“, schrie die zitternde Stimme von Bill the Brain, „lass‘ deine Waffe fallen.“

Jesse wusste, dass er gut sein musste, um alle drei auszuschalten. Allerdings stand Bill direkt hinter ihm und eine Drehung mit Schuss dauerte nun mal länger als ein gerader Schuss, wie Bill ihn hätte.

„Gut“, sprach Jesse, „ich gebe auf und lege meine Waffe nieder, dir wollte ich eh nichts antun, sondern die Beute mit dir teilen. Sie liegt immer noch hier.“

Bill schaute sich um. Er fand nichts.

„Sie liegt da hinten“, verriet Jesse Ringo, „in der Kiste. Du kannst sie dir nehmen und gehen.“

Bill ging langsam hinüber zur Kiste. Er musste allerdings kurz wegschauen, um mit der anderen Hand die Kiste zu öffnen, was nicht funktionierte. Ein Geräusch verriet ihn und Jesse schnappte sich seine Waffe und drehte sich um. Es folgte ein Schusswechsel. Bill wurde in der Brust getroffen und fiel um. Jesse wurde zwei Mal (!) verfehlt- wie durch ein Wunder. Jesse ging hinüber zu Bill, der auf den Boden gesunken war und noch lebte.

„Ihr seid echt bescheuert“, sagte Jesse, „und ihr wisst‘ es nicht einmal.“

Dann schoss er Bill ins Gesicht. Er nahm sich einen Teil der Beute, da ihm klar war, dass er mit allem gar nicht davonkommen konnte. Zudem entwaffnete er die Toten und steckte sich die anderen Revolver ein seine Tasche. Er ging durch den Hintereingang nach draußen und wurde von Sheriff Wyatt und seinen Helfern empfangen.

„Machen Sie keinen Blödsinn“, warnte der Sheriff, der seine Waffe am Anschlag hatte, „sonst zwingen Sie mich, ihnen die Rübe wegzupusten!“

Jesse ließ seine Waffe fallen, sowie die Beute.

„Auch die anderen Waffen!“ brüllte Sheriff Wyatt, „fallenlassen!“

Jesse nahm die anderen beiden Pistolen und warf sie weit weg von sich. Der Sheriff kam näher, um Jesse Ringo festzunehmen. Die beiden Hilfssheriffs hatten Jesse im Visier. Als Sheriff Wyatt etwa drei Meter vor Jesse war, zog dieser seine Waffe und feuerte zwei Schüsse ab. Wyatt konnte zwar einen Schuss erwidern, der traf sein Ziel aber nicht.

Die beiden Hilfssheriffs schossen, sie sollten aber ihren Sheriff treffen, nicht Jesse. Er nutzte die Chance und legte beide um. Er hob ein paar Waffen auf, um weiterhin mit Revolvern versorgt zu sein. Er eilte davon. Allerdings musste er Richtung Hauptstraße, da er ein Pferd benötigte, konnte er doch zu Fuß nicht sehr schnell fliehen. Seiner Meinung nach müssten Pferde vor dem Saloon stehen, also machte er sich auf.

Kaum hatte er die Hauptstraße betreten, entdeckte er John, wie er gedankenverloren umherstreifte.

„Den erwische ich“, sagte er zu sich selbst und zog seine Waffe, zielte und schoss.

Er sollte sein Ziel weit verfehlen. John versteckte sich hinter einer Hausseite. Jesse konnte ihn nun nicht mehr treffen, es sei denn, er konnte um die Ecke schießen. John lugte immer wieder hervor und schaute, wo Jesse stecken könnte. Es war zu weit, um ihn ernsthaft verletzen zu können.

„Komm‘ heraus, du Bastard“, forderte Jesse Ringo lauthals, „sonst erschieße ich einen nach dem anderen.“

John versicherte sich mit einem Blick, ob wirklich Gefahr drohte und er sollte feststellen, dass Jesse eine Familie bei sich in der Nähe in seine Gewalt genommen hatte. Es waren die Smiths. Sie hatten die kleine Lorelei, die gerade in die Schule gekommen war. Ein fleißiges Kind. John hatte dies Familie einst beklaut, es handelte sich um Tafelsilber. Nun plagte ihn sein schlechtes Gewissen und er hatte das Gefühl, es wieder gutmachen zu müssen. Nun bestand die Möglichkeit dazu.

„Lass‘ sie frei“, rief er Jesse zu, „dann werde ich rauskommen.“

„Das hier läuft ein wenig anders“, stellte Jesse Ringo richtig, „du kommst, oder es stirbt einer. Ich zähle bis zehn oder die Kleine hier ist die erste.“

„Eins.“

John überlegte abermals, ob es ihm gelingen würde, Jesse direkt zu treffen.

„Neun.“

„Was?“ Jesse war schon bei neun.

„Und die letzte Zahl ist….“

„Halt!“ brüllte John, „halt, ich komme.“

John kam um die Ecke. Jesse ließ Lorelei los. John ging schnurstracks zu Jesse und zog seine Waffe. Jesse tat es ihm nach. Für John verlief alles als hätte jemand sein Leben in Zeitlupe abspielen wollen. Es folgten Schüsse von beiden Seiten. Kugel bewegten sich im langsamen Tempo an ihm vorbei und er bemerkte wie er das Gefühl bekam, als könnte es ihm gelingen, Jesse auszuschalten. Dann wurde es dumpf. Ein blitzartiger Schmerz donnerte in ihm hinein. Mitten in sein Herz. Für einen kurzen Moment blieb alles stehen. Er schaute hinunter und sah, dass er getroffen wurde. Blut schoss aus seinen Körper. Sein Körper fiel rückwärts Richtig Erde. Er merkte, wie die Luft in seinen Lungen knapp wurde und das Leben aus ihm entschwand. Alles wurde weiß.

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