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Kapitel 1: Wilde Gefühle
ОглавлениеHeute war es wieder soweit: es war der 31. Oktober. Halloween. Der Tag des Schreckens und die Nacht der lebenden Toten.
Ich stieg gerade aus dem Wagen aus, als zwei lachende Kinder an mir vorbeiliefen. In den Händen trugen sie selbstgebastelte Laternen aus Papier. Ich holte mein Smartphone aus der Hosentasche und sah auf die Uhr. Sie waren wohl auf dem Weg in die Schule, denn es war kurz vor acht Uhr morgens.
Ich warf den Kopf in den Nacken und atmete durch. In der Nacht hatte ich kaum geschlafen. Halloween war bekannt für seine makabren Streiche und fröhlichen Feiern. Eigentlich war das auch gut so, doch ich erinnerte mich mit einem faden Beigeschmack und präziser Genauigkeit an das vergangene heidnische Fest.
Mein Kollege Cole Morkride hatte mit mir im örtlichen Pub gesessen. Wir hatten das Ende unserer Schicht gefeiert, die bis auf einen bewaffneten Bankraub, welcher von einem ärmlichen Rentner durchgeführt worden war, keine besonderen Vorkommnisse enthalten hatte. Irgendwann hatte ich einen Mann an unseren Tisch gebeten, welcher einen deprimierten Eindruck gemacht hatte. Er hatte sich uns als Freddie Carlson vorgestellt und wir hatten einen schönen Abend zu dritt verbracht. Als Cole und ich das Pub später verlassen hatten, war meinem Kollegen dessen fehlende Geldbörse aufgefallen. Also waren wir ins Gasthaus zurückgekehrt, wo Freddie plötzlich tot am Boden gelegen hatte. Er war erstochen worden!
Obwohl wir den Mann aufgrund unserer kurzen Unterhaltung nur flüchtig gekannt hatten, war es schrecklich gewesen... doch es hatte nicht lange gedauert, bis wir dem Mörder durch logisches Denken auf die Spur gekommen waren. Wir hatten anfangs vermutet, sein Konkurrent – der tyrannische Charles McAmber – hätte ihn auf dem Gewissen gehabt. Dieser war damals noch Hotelier des luxuriösen Hotel – und Wellness – Tempels namens Egypt gewesen. Aber der tatsächliche Mörder hieß Jesse Fawn, ein Ex – Mitarbeiter des Hotels. Eigentlich hatte er sich nur an seinem Chef rächen wollen, doch die spärlich beleuchtete Kneipe hatte ihren Teil dazu beigetragen, dass Fawn sein Opfer verwechselt und anstatt McAmber Freddie Carlson erstochen hatte.
Morkride und ich hatten den Mörder entlarvt, der Cole bei seiner Festnahme verletzte. Zum Glück war es nur ein – wenn auch tiefer – Streifschuss gewesen, welcher ihn an seinem rechten Bein getroffen hatte. Es hätte auch weitaus schlimmer ausgehen können – für uns beide – wenn der Inspector und einige Kollegen uns nicht zur Hilfe geeilt wären.
Meine Erinnerung verblasste, da ich leicht fröstelte. Es war ein kalter Morgen in Coregroth, der kleinen Stadt im Süden Englands.
Ich zog den Kragen meiner Jacke ein wenig höher und ging schnellen Schrittes vom Parkplatz aus zu dem grauen Gebäude, welches das Police Office – und somit den Arbeitsplatz von Scotland Yard – beherbergte. Ich arbeitete seit neun Jahren dort als Detective und war siebenundzwanzig Jahre alt. Das Großraumbüro war an diesem Tag nicht so überladen wie sonst, sondern eher übersichtlich – fast schon aufgeräumt.
Die meisten meiner Kollegen hatten inzwischen eine Familie gegründet und da war Halloween traditionsgemäß ein arbeitsfreier Tag. Meistens fiel dann auch der reguläre Unterricht in der Schule aus, was besonders die Kinder freute. Zusammen mit ihren Lehrern malten sie gruselige Bilder oder lauschten spannenden Geschichten. Die Eltern backten in der Zeit einen Kuchen oder andere Leckereien. Wenn die Kinder nach Hause kamen, wurde gegessen und einige Dinge für die abendlichen Feiern vorbereitet. Die Eltern, die bei anderen eingeladen waren, konnten sich glücklich schätzen, da ihr zuhause sauber und ordentlich blieb und sie diesen Tag nicht extra frei nehmen mussten, um alles vorzubereiten. Halloween war für Kinder ein ganz besonderes Fest. Nicht nur, weil sie länger als üblich wach bleiben durften, sondern auch, weil sie einmal im Jahr die Erlaubnis bekamen, so viele Süßigkeiten zu essen, bis ihnen schlecht wurde.
Ich ließ meinen Blick durch das Büro schweifen und sah einen Mann mit grauem Haar, welches von einer kreisförmigen Glatze am Scheitel unterbrochen wurde.
Was macht denn der Inspector hier?, fragte ich mich selbst irritiert und ging zu dem Mantelträger.
„Guten Morgen, Inspector Bale“ begrüßte ich ihn freundlich.
Der Dienststellenleiter drehte sich herum und sah mich mit seinen müden braunen Augen an.
„Oh, Mr. Mason. Ich habe Sie gar nicht bemerkt.“
„Wollten Sie sich den Tag heute nicht frei nehmen?“ erkundigte ich mich über seine Anwesenheit überrascht.
„In der Tat. Ich habe auch keinen Dienst heute, sondern wollte nur einmal nach dem Rechten sehen“ erklärte er.
Ich wunderte mich über seinen braunen Trenchcoat, welchen er eigentlich immer nur während der Tätigkeit als Inspector und selten in der Freizeit trug. Da war nämlich ein gestreifter Hosenanzug sein Lieblingskleidungsstück. Mein Vorgesetzter vertiefte sich wieder in die Akte, die er in den Händen hielt.
„Hallo, Jeff!“ ertönte es hinter mir.
Diese Stimme kannte ich nur zu gut. Ich ging zu meinem Kollegen Cole Morkride, der seit vier Jahren im Dienst und mir nach seiner Anstellung als Detective zugewiesen worden war. Wir waren im Laufe der Zeit zu guten Freunden geworden. Doch nach dem Schuss auf ihn waren wir uns ein wenig näher gekommen. Vor mir tauchte das Bild des vergangenen Halloween auf:
Wegen des Streifschusses war er ins Krankenhaus gebracht worden, wo er eine Woche hatte bleiben müssen. Als er entlassen worden war, war es zu einem Kuss zwischen uns gekommen.
Ich musste zugeben, dass ich seine gelegentliche Berührungen, welche hin und wieder unvermeidbar waren, genoss. Doch der Kuss hatte alles gesprengt und bewirkt, dass ich mich endgültig in den dunkelblonden Fünfundzwanzigjährigen verliebt hatte. Ich wusste nicht, ob er auch so fühlte, denn wir sprachen nach diesem Kuss nicht mehr darüber. Wir behandelten ihn wie ein nicht existentes Ereignis, einen Traum oder eine Wunschvorstellung. Meine Wunschvorstellung.
„Du solltest dir heute vielleicht frei nehmen“ sagte mein Kollege und riss mich damit aus meinem innerlichen Gedankenkarussell.
„Wieso denn das?“
„Na, du wirkst nicht ganz bei der Sache. Bei einer Schießerei könnte das für dich fatale Folgen haben.“
Cole lächelte.
„Wer wurde denn vor fast genau einem Jahr angeschossen?“ gab ich neckend zurück.
„Okay, Punkt für dich. Das war aber nicht meine Schuld gewesen!“ protestierte Morkride sofort.
„Hast du schon den Inspector gesehen?“ lenkte ich die Unterhaltung in eine andere Richtung.
„Ja, er scheint den Tag heute nicht zuhause verbringen zu wollen“ mutmaßte Cole.
„Wieso? Denkst du, er hat Angst an Halloween?“ witzelte ich.
„Er scheint Probleme mit seinem Mann zu haben, schließlich verbringt er die meiste Zeit in diesen stickigen Büroräumen.“
„Was? Ich wusste gar nicht, dass er vergeben ist!“ gab ich verblüfft zurück.
„Ich weiß das auch erst von George, welcher mir das vorhin erzählt hat“ antwortete Cole.
„So viel dringt über sein Privatleben ja nicht nach außen...“ erwiderte ich.
„Wenn es bei dir nicht gut laufen würde, hättest du auch keinen Grund dazu, oder?“ wollte mein Kollege wissen.
Um etwas zu haben, was bei mir nicht gut läuft, müsste ich erst einmal vergeben sein, dachte ich und seufzte kurz mit Blick auf Cole.