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Die Träne

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Peter warf mit aller Kraft die Türe des kleinen Cottages hinter sich ins Schloss und rannte so schnell er konnte den flachen Abhang hinunter, der das Haus seiner Eltern von dem kleinen Bach trennte. Tränen rannen seine, mit Sommersprossen übersäten, Wangen hinab aber es war ihm egal, trotzig schenkte er ihnen keinerlei Beachtung. Es handelte sich um Tränen der Wut, aus Angst hätte er niemals geweint.

Endlich erreichte der Junge seinen Platz am Lauf des friedlich dahinplätschernden Baches. Der Zehnjährige vergrub das Gesicht in seinen Händen und schluchzte. Warum nur mussten sich Vater und Mutter immer wieder streiten?

Die Tränen rannen durch seine Finger und Weinkrämpfe ließen den schmächtigen Körper erzittern. Er weinte so heftig, dass einige Tränen zu Boden fielen. Eine davon traf einen Kiesel, der neben dem großen Stein lag, auf dem Peter sich niedergelassen hatte.

Auf diesen Kiesel, der unmittelbar am Rande des Bachlaufes lag, hatte sich eine Elfe gesetzt und interessiert dem Jungen zugesehen. Wie alle Elfen war sie neugierig und wollte wissen, warum er so sehr weinen musste. Die Träne, die den Schmerz und die ganze Verzweiflung des kleinen Jungen in sich trug, traf sie und warf das zarte Wesen von seinem Platz in den Bach. Vor Schreck vergaß die Elfe, darauf zu achten, unsichtbar zu bleiben.

Ihr graziler Körper und die filigranen Flügel waren fast ganz von Wasser bedeckt, als sie versuchte, sich aus der Strömung zu befreien und das rettende Ufer zu erreichen. In diesem Moment nahm Peter die Hände vom Gesicht, öffnete die Augen und konnte am Rande seines Sichtfeldes gerade noch erkennen, wie die Elfe vom Wasser mitgerissen wurde. Seine Augen weiteten sich und er beobachtete, wie das Wesen die Sonnenstrahlen in allen Farben zurückwarf. Peter erinnerte sich an die vielen Elfengeschichten, die ihm seine Eltern erzählten, seit er ein kleines Kind war, aber er hatte zuvor noch nie eines dieser Wesen gesehen - obwohl er es sich schon immer gewünscht hatte.

Abrupt richtete sich der Junge auf, sprang vom Stein hinunter, lief am Bach entlang und hielt seine Hand ins Wasser, um die Elfe zu retten.

Die Elfe hingegen versuchte sich ihrerseits durch Strampeln aus dem Bach zu befreien, doch die Strömung war zu stark und sie bekam nichts zu fassen, um sich herauszuziehen. Verzweifelt bemühte sie sich, der Hand des Jungen auszuweichen. Elfen bekamen schon als Kind von ihren Eltern gesagt, dass sie sich unter keinen Umständen Menschen zeigen dürften, da viele von ihnen böse und gemein seien. Meist rissen sie den Insekten die Flügel aus und waren grausam zu ihnen. Elfen hingegen liebten die Natur und alles, was in ihr kreuchte und fleuchte, sie schützten alles Leben und halfen, wo sie nur konnten.

Die Angst der kleinen Elfe wurde immer größer, je näher sie der Hand des Jungen kam, aber sie hatte keine Möglichkeit, sich der Strömung des Baches zu widersetzen.

Als sie schließlich erschöpft und pitschnass auf der für sie riesigen Hand lag, kauerte sie sich schutzsuchend zusammen und erwartete, jeden Moment ihre zarten Flügel ausgerissen zu bekommen.

Peter war sprachlos und starrte sie aus weit aufgerissenen und vom Weinen aufgequollenen Augen an. Wieder dachte er an die Geschichten über Elfen und Feen. Er hätte es sich nie träumen lassen, einmal in seinem Leben solch ein Wesen zu sehen.

Ganz langsam hob er die Hand dicht an sein Gesicht, um die Elfe besser erkennen zu können. Er bemerkte, wie sie sich noch mehr zusammenkrümmte und es wurde ihm bewusst, dass es nicht die Kälte des Wassers war, das sie dazu veranlasste.

»Du brauchst keine Angst zu haben“, flüsterte er ganz leise, »ich würde dir niemals etwas tun!«

Peter bemerkte, dass der kleine Körper in seiner Hand zitterte. Langsam und vorsichtig angelte er mit seiner freien Hand nach dem Taschentuch, das seine Mutter ihm immer in eine seiner Hosentaschen stopfte, bevor er hinaus durfte.

»Man weiß nie, wofür man es gebrauchen kann!« Es waren immer die gleichen Worte, die er zu hören bekam. Nun, dieses Mal würde er es verwenden.

Als seine Finger den feinen Stoff in seiner Hosentasche endlich ertastet hatten, zogen sie das Tuch vorsichtig heraus. Geschickt hielt er es an einer Ecke fest, damit es sich entfalten konnte. Schließlich bewegte er die Hand mit dem Taschentuch in Richtung der Elfe, als ein heller, spitzer Schrei ertönte.

»Nein, bitte tu mir nichts!« Der Junge hielt inne und flüsterte der Elfe zu, »Vertrau mir, du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin so froh, dass ich dir helfen kann.

Lass mich das Wasser aus deinen Flügeln streichen und dich abtrocknen. Du wirst sehen, dann wird dir ganz schnell warm und du kannst wieder fliegen. Das habe ich schon oft bei Bienen so gemacht und es hat bisher jedes Mal funktioniert.«

Die Elfe hatte immer noch Angst aber auch keine andere Wahl, da sie sich vor Kälte und Nässe kaum bewegen konnte. Peter legte vorsichtig das leichte Tuch über sie, sodass das Wasser von ihren Flügeln und ihrem Körper davon aufgesogen werden konnte. Dann steckte er es wieder in seine Tasche, führte die Hand mit der Elfe ganz nah an seinen Mund und hauchte sie behutsam an.

Als die Elfe spürte, wie durch die warme Luft die Kraft in ihren Körper zurückkehrte, nahm sie all ihren Mut zusammen, spannte ihre noch schmerzenden Muskeln, stieß sich an der Hand des Jungen ab und schwang sich in die Luft. Mit anfangs noch etwas schwerfälligen aber immer schneller und sicherer werdenden Flügelschlägen entfernte sie sich weiter von dem Menschen. Der schaute ihr hinterher und versuchte, sie so lange wie möglich zwischen Gräsern, Bäumen und den vielen schwirrenden Insekten nicht aus den Augen zu verlieren. Schließlich konnte er sie nicht mehr erfassen und der Junge senkte den Blick. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht - er hatte eine Elfe gesehen! Er hatte sie nicht nur gesehen, er hatte ihr das Leben gerettet! Das würde ihm niemand glauben. Nein, er würde es niemandem erzählen. Es sollte sein Geheimnis bleiben, solange er lebte.

Die Jahre vergingen, Peters Vater hatte eine andere Arbeit und das Streiten seiner Eltern damit ein Ende gefunden. Sie hatten weiter in ihrem Cottage am Bach wohnen können.

Oft ging er noch zu seinem Platz am Wasser. Viele Jahre saß er fast jeden Tag stundenlang auf dem großen Stein und suchte mit seinen Augen den Bachlauf vergeblich nach der Elfe ab.

Was er nicht sah, waren die vielen kleinen Augenpaare, die jede seiner Bewegungen beobachteten. Jedes Mal, wenn er drohte, auf den nassen Steinen auszurutschen und in den Bach zu fallen, waren Elfen zur Stelle, um seinen Fuß auf sicheren Grund zu setzen oder einen wackeligen Stein zu befestigen.

In seinen letzten Jahren, in denen er sich als alter Mann, auf seinen Stock stützend, zum Bachlauf quälte, halfen ihm viele Flügelpaare, die Anstrengung leichter zu überstehen.

In all den Jahren gelang es ihm jedoch nicht ein einziges Mal, wieder eine Elfe zu sehen aber das war nicht schlimm, denn er wusste, dass sie ihn beobachteten. Er konnte die lieblichen Wesen spüren und freute sich darüber. Es reichte ihm zu wissen, dass sie in seiner Nähe waren.

Jedes Mal verließ er mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht seinen Rastplatz und zum Abschied sagte er leise,

»Ich liebe die Natur und alles, was sie erschaffen hat.«

Kurz vor seinem Tod erzählte er seiner kleinen Enkelin von dem Erlebnis am Bach und er nahm ihr das Versprechen ab, niemals einer Elfe oder einem anderen Wesen etwas Böses anzutun. Nach seinem Tod lebte seine Tochter mit seiner Enkelin in dem Cottage, in dem auch er seine Jugend verbracht hatte. Eines Tages kam das Mädchen vom Spielen nach Hause und ihr Gesicht strahlte. Als ihre Mutter sie fragte, warum sie so fröhlich wäre, entgegnete die Kleine nur,

»Ich liebe die Natur und alles, was sie erschaffen hat!«


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