Читать книгу Das Nationaltheater des Neuen Deutschlands. Eine Reformschrift - Devrient Eduard - Страница 2
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ОглавлениеNoch in keinem Momente des Völkerlebens ist die höhere Sendung der Künste zur Veredlung des Menschengeschlechtes so leuchtend hervorgetreten, hat sich noch nie zu so kräftiger, tiefgreifender Wirkung angeboten, als in der großen Wendung unserer Tage.
Schule und Kirche, die bisher allein anerkannten Erziehungsstätten, sind einem Streite verfallen, der noch langehin ein heftiges Sträuben des mündig gewordenen Volkes gegen jeden fühlbaren Zwang erhalten wird. Was kann daher willkommener sein, als die sanfte Gewalt der Künste, die es allein vermag, die Gemüther zu beschwichtigen, in rein menschlichem Antheil die Herzen aller Parteien zu vereinigen, durch unmerklichen Zwang wieder Achtung vor Sitte, Friede und stillem Glück zu verbreiten, auf diesem heitren Wege die Geister wieder den strengen Erziehungsstätten zuzuführen und der großen, gemeinsamen Begeisterung für eine neue, edle Freiheit des Völkerlebens den höchsten Schwung und den schönsten Ausdruck zu verleihen!
Ueberall muß es daher als ein Zeugniß sorgsamer Staatsweisheit anerkannt werden, wo die Organisation des Kunsteinflusses auf das Volksleben von der Landesregierung in thätigen Angriff genommen wird.
Daß unter allen Künsten keine von so allgemeiner und volksthümlicher Wirkung ist, als die Schauspielkunst, bedarf hier keiner Beweisführung, die tägliche Erfahrung liefert sie. Keine Kunst wird also in dem Maße die Aufmerksamkeit der Staatsgewalt verdienen, so wie keine einer Organisation so dringend bedürftig ist, welche sie mit allen anderen höheren Culturmitteln des Staates in Uebereinstimmung setzt, als die Schauspielkunst.
Faßt man ihre rein künstlerische Wichtigkeit in's Auge, so drängt sich als ihre wesentliche Eigenheit hervor: daß sie alle übrigen Künste umfaßt; sie erhebt sich auf allen anderen und wird so zur Spitze der Pyramide; sie ist die Kunst der Künste.
Plastik, Malerei, Dichtkunst, Musik, Redekunst, Mimik und Tanzkunst sammelt sie in den gewaltigen Brennpunkt unmittelbaren Lebens, und dieser trifft in eine versammelte Menge, wo die Gemeinsamkeit des Antheils das Feuer des Enthusiasmus um so mächtiger entzündet. Wenngleich daher die schon vollendeten Werke der übrigen Künste, welche der Schauspielkunst zum Stoffe dienen, dabei an ihrer Selbständigkeit einbüßen müssen, so macht dennoch keine Kunst für sich schlagendere Wirkungen, als von der Bühne herab.
Wie dringend nothwendig ist es also, daß die Schauspielkunst endlich in den Kreis der akademischen Bildung aufgenommen werde, damit ihre drastischen Wirkungen eine grundsätzliche Uebereinstimmung mit den übrigen Künsten gewinnen!
Die Bühne vermag den Schönheitssinn, des Volkes sowohl als der Künstler, in die größte Verwirrung zu bringen, sie vermag ihn aber auch zu heben und zu reinigen. Daß so viel Unpoetisches, Unmusikalisches und Unmalerisches auf der Bühne Glück macht, bleibt ein unablässig fortwirkendes Moment der Verführung und Corruption für Dichter, Musiker, Maler und Bildhauer; dagegen hat an die einzelnen, im rechten Geiste gelungenen Erscheinungen der Bühne sich von jeher eine Kette der fruchtbringendsten Anregungen geknüpft. Die Fähigkeit der Schauspielkunst: den wohlthätigsten Einfluß auf die übrigen Künste, also auf den Kunstsinn überhaupt, zu äußern, ist außer Zweifel, es muß daher als Pflicht erkannt werden: diese Fähigkeit zum wesentlichen Zweck der Bühne zu erheben.
Und nun, den Einfluß auf die Sittlichkeit in's Auge gefaßt, welche Kunst übt ihn stärker, als die der Bühne? – Der Gegenstand ist zu oft erörtert worden, als daß es nöthig wäre, ihn hier noch einmal aufzunehmen; wer damit unbekannt ist, sei zunächst auf Schiller's Vorlesung: »die Schaubühne, als eine moralische Anstalt betrachtet«, verwiesen.
Gewiß ist – das gestehen selbst die Feinde der Bühne nicht nur zu, sondern sie machen es als ihre größte Gefahr geltend – daß die Schauspielkunst die gewaltigsten Wirkungen auf das Volk hervorbringt. Starke Wirkungen aber sind entweder wohlthätig oder nachtheilig, gleichgültig können sie nicht sein. Wenn also die Bühne den Geschmack und die Versittlichung nicht fördert, so muß sie ihnen schaden; unabweisbar wird daher die Verpflichtung für den Staat sein: sich der Wirkung seiner Schaubühnen zu vergewissern, dafür zu sorgen, daß sie die Bahn seiner Grundsätze über Volkscultur innehalten.
Daß dies bisher nicht, oder nur sehr lau und mangelhaft geschehen ist, der Einfluß der Bühne daher oft in den schreiendsten Widerspruch mit den Staatsmaximen gerathen,1 das liegt ebenso vor Aller Augen, als daß die Schauspielkunst noch immer ganz außerhalb des Kreises einer, mit den übrigen Künsten übereinstimmenden Bildung sich bewegt; ganz außerhalb der Kettenglieder, welche die Regierungen zur Versittlichung und Veredlung des Volkes so sorgfältig ineinanderfügen.
Die Forderung, diesem Zustande ein Ende zu machen, dem deutschen Theater eine andere, grundsätzliche Basis und Einrichtungen zu geben und es dadurch in Stand zu setzen: seine künstlerische und sociale Bestimmung zu erfüllen, ist seit lange schon laut genug geworden. Sie wird bei der Bewegung unserer Zeit immer lauter und ungestümer, sie wird unabweislich werden und sich natürlich zunächst gegen die bedeutendsten, tonangebenden Theater richten, die reich dotirt, den höheren Forderungen des Volksgeistes am ehesten zu entsprechen verpflichtet erscheinen.
Es sind die Hoftheater.
In ihrer Entstehung rühmlich für die Fürsten und wohlthätig für Kunst, sind sie im Verlaufe der Zeit – wie dies allen menschlichen Einrichtungen begegnet – von ihrer ursprünglichen Bestimmung abgewichen; ihre heutige Erscheinung entspricht ihrer ersten Idee nicht mehr.
Als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die deutschen Höfe sich ernstlich und dauernd der vaterländischen Schauspielkunst annahmen, repräsentirten die Fürsten noch alle Staatsgewalt. Es war der Staat, welcher durch sie der wandernden Kunst heimische Stätten, Anerkennung, Schutz und Unterstützung gab. Fürsten waren es, der edle Kaiser Joseph II. an der Spitze, welche den höheren Staatszweck der Bühne thatsächlich proklamirten. Kaiser Joseph gab seiner Hofbühne den Namen und die Grundsätze eines Nationaltheaters, er erklärte: es solle keine andere Bestimmung haben, als zur Verbreitung des guten Geschmacks und zur Veredlung der Sitten zu wirken.2 Fast überall folgten Höfe und Magistrate des Kaisers Beispiele, die Nationaltheater wurden allgemein und die Schauspielkunst gewann eine bewunderungswürdig rasche und nationale Entwickelung, weil sie ihr in einer gewissen Freiheit und Selbständigkeit gegönnt war. Die Höfe nämlich übten im Allgemeinen nur Schutz und Oberaufsicht über ihre Theater aus, die künstlerische Thätigkeit wurde fort und fort von künstlerischen Directoren geleitet. Ja Kaiser Joseph erkannte die Nothwendigkeit der Selbstregierung der Künstler so vollständig an, daß er dem Wiener Nationaltheater eine ganz republikanische Verfassung gab, deren Grundsätze in Mannheim unter Dalberg eine denkwürdige Fortbildung fanden.3
Aus solchem Geiste und unter solchem Schutze wuchs die deutsche Schauspielkunst, geführt von Meistern, wie Eckhoff, Schröder, Iffland, zu der kräftigen Reife, welche unter Schiller's und Goethe's Einfluß ihre poetische Vollendung erhielt.
Als aber nach dem Wiener Congreß die Höfe den alten Glanz wieder gewannen, neue Theater in den Residenzen errichtet, die bestehenden in größeren Flor gebracht wurden, da veränderte sich Stellung und Organisation der Bühnen wesentlich.
Die Verbreitung der constitutionellen Regierungsform trennte die Staatsgewalten, der Fürst vertrat nicht mehr allein den Willen der Nation; indem also die Höfe das Theater an sich behielten, gab der Staat, gab die Nation stillschweigend den Anspruch auf, den sie bisher daran zu haben glaubten.
Es war ganz folgerichtig, daß der Name »Nationaltheater« überall dem Titel »Hoftheater« Platz machen mußte und Kaiser Joseph's Principien aufgegeben wurden. Da die Höfe immer reichlichere Geldmittel für die Bühnen bewilligten, so wollten sie diese auch ganz in ihrem Sinne verwendet sehen und dehnten daher die Verantwortung der Hofintendanten über den ganzen Umfang der theatralischen Leistungen aus. So kam es denn, daß fast überall die künstlerischen Directionen – selbst die eines Goethe – der neuen Ordnung der Dinge weichen mußten und die Hofintendanten in die falsche Stellung geriethen: die specielle künstlerische Leitung der Bühne zu übernehmen. Das Bureau wurde nun der Mittelpunkt der Kunstthätigkeit.
Diese Veränderung der Theaterorganisation erwies sich viel tiefer greifend, als man wohl vorausgesehen hatte. Die dramatische Kunst war dadurch nicht nur dem Staatsinteresse entfremdet, auch die unausweichbare Nothwendigkeit ihres inneren Verfalles war damit ausgesprochen.
Eine Kunst, die sich nur in Totalwirkungen vollendet, kann den Sammelpunkt einer künstlerischen Direction schlechterdings nicht entbehren. Der einige Geist, welcher in der Uebereinstimmung aller Theile lebendig werden soll, kann nur aus innerstem, praktischen Verständniß der Kunstthätigkeit selbst hervorgehen. Der Schauspielkunst die künstlerische Direction nehmen, hieß: ihr das Herz ausschneiden.
Umsonst haben die Intendanten, theils mit Talent, meistens mit gutem Willen und redlichem Eifer das Naturwidrige ihrer Stellung zu überwinden gesucht; es konnte nicht gelingen. Erwägt man, wie mannichfache specielle Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Leitung eines Theaters erforderlich sind, so ist es leicht zu begreifen, daß diese nicht bei Männern gefunden werden können, welche, bis dahin Kammerherren, Hofmarschälle, Oberstall- oder Oberjägermeister, Officiere u. s. w. gar keine Veranlassung gehabt hatten irgend einem dieser Erfordernisse genug zu thun. Zwar hat man geglaubt, dem Wesen der Kunst hinlänglich Rechnung zu tragen, indem dem nichtsachverständigen Director die sachverständigen Regisseure zur Seite gestellt blieben, denen das augenfällig Technische der Leitung und die Abhaltung der Proben u. s. w. überlassen ist; in diesem Irrthume aber liegt eben der eigentliche Knotenpunkt der Verwirrung unseres heutigen Theaterwesens.
Die Leistungen der Bühnenkunst sollen einheitliches Leben haben, darum verträgt ihre Leitung keine Theilung der Gewalt. Indem die wesentlichsten Bestimmungen: Wahl, Besetzung und Ausstattung der aufzuführenden Werke, Zusammensetzung des Kunstpersonals durch Anstellungen und Entlassungen, Urlaube, Gastrollen u. dergl. vom Intendanten, wohl auch von höheren Verfügungen, abhängig sind, bleibt der Regie nur ein beschränkter und durchaus bedingter Kreis des Wirkens, in welchem sie keine absolute Verantwortung für das Gelingen der Kunstwerke übernehmen kann, weil alle Vorbedingungen dazu nicht in ihren Händen liegen. Rühmend muß es anerkannt werden, daß einige Intendanten durch Anstellung von Oberregisseuren oder Dramaturgen der künstlerischen Autorität eine größere Ausdehnung gegeben und eine Annäherung an die alten Zustände bewirkt haben, in welchen die Intendantur nur Oberaufsicht und administrative Gewalt ausübte; aber es ist auch nur eine Annäherung. So lange die Intendanten noch für alle Einzelheiten der theatralischen Thätigkeit verantwortlich gelten, können sie sich auch der Bestimmung über dieselben nicht entschlagen, und so muß, bei diesen bestgemeinten Einrichtungen, der Nachtheil kreuzender Anordnungen ebenfalls lähmend für die Ausführung bleiben.
Das Theater soll lebendige Kunstwerke schaffen, seine Thätigkeit muß also eine organische, von einem Lebenspunkte ausgehende sein. Die ganze complicirte Kette der Maßregeln, welche bis zum Aufsteigen des Vorhanges nothwendig sind, darf eine Hand nur halten, wenn das Werk in Einheit zur Erscheinung kommen soll; und das muß die Hand eines Sachverständigen sein. Nur der versteht aber eine Sache, der sie ausübt. Halbheit in der Machtvollkommenheit der künstlerischen Leitung, Einmischung kunstfremder Gewalten muß nothwendig Halbheit und Zerfahrenheit in ihre Resultate bringen.
Nicht glücklicher ist die Hofintendanz in anderer Beziehung gestellt; die innere Selbständigkeit, welche sie der Kunst entzog, gewann sie nicht für sich, ja sie gerieth in Abhängigkeit, da, wo sie absolut zu herrschen unternommen hatte. Außerdem immer im Gedränge der widersprechendsten Forderungen: hier den Wünschen des Hofes zu genügen, dort den Forderungen der höhern Bildung der Nation, entgegen denen der bloßen rohen Vergnügungslust der Menge, unvermögend sich auf eine dieser Parteien mit Sicherheit zu stützen, unausgesetzt im Schaukelsystem: es bald hier, bald dort recht zu machen – mußte sie es zuletzt mit Allen verderben. Zum Ueberfluß noch verantwortlich gegen eine Oberbehörde, (das Hausministerium) die, ihrer Natur nach blos verwaltend, für das Kunstinstitut nur den Geldmaßstab haben kann, überwuchs die Verlegenheit um vortheilhafte Kassenabschlüsse zuletzt fast alle übrigen, und so sehen wir alle, so reich dotirten Hoftheater in unausgesetzter ängstlicher Bemühung um die Einnahme. Der Zuschuß aus Staatsmitteln scheint seinen eigentlichen Zweck: die Kunst unabhängig zu machen, gar nicht zu erfüllen; er hat die Kassenverlegenheit nur auf größere Zahlenverhältnisse gebracht, hat den vornehmen Hofbühnen dieselbe plebejische industrielle Richtung der Privatunternehmungen gegeben. In stetem Kreislaufe von hazardirten Ausgaben und kleinlicher Noth sie wieder zu decken, erinnert man sich kaum zu welchem höhern Zweck sie eigentlich in Bewegung gesetzt werden? Das Mittel ist zum Zweck geworden und der Zweck (die Kunst) zum Mittel; das Theater scheint lediglich eine Anstalt für den Geldumsatz zu sein.
Consequent war es da freilich, daß man auf den Gedanken gerieth: administrativen Capacitäten müsse die Leitung des Theaters übergeben werden; der Mann der Ersparnisse galt nun für den wünschenswerthesten Intendanten. Man hatte vergessen, daß ein Theater für jeden festzustellenden Etat zu führen ist, daß es nicht darauf ankommt: wie viel oder wie wenig ausgegeben, sondern was für das Ausgegebene geleistet wird, und daß nur der Sachverständige für den möglichst geringen Preis das möglichst Beste herzustellen vermag. Die Controllansicht der Hausministerien siegte, die Höfe bemühten sich um die Wette den knappsten Haushalter zum Intendanten zu machen. Mit diesem Experimente büßte die Hofintendanz ihren unbestreitbaren Vorzug ein: den einer würdigen, achtunggebietenden Haltung, einer edlen, kunstbelebenden Liberalität. Mehr als ein Hoftheater ist, bei solcher Umwandlung, an Würde, Anstand und künstlerischem Geiste tief herabgekommen, obenein ohne die goldenen Hoffnungen auf Kassenüberschüsse erfüllt zu sehen.
Daß dieser Zustand unhaltbar geworden, daß die Mission der Hofintendanz an ihr Ziel gelangt sei, ist eine allgemeine Ueberzeugung; es fragt sich nur: was an deren Stelle gesetzt werden soll?
Es fehlt nicht an Stimmen, welche jede Unterstützung des Theaters verwerfen und verlangen: es solle ganz frei gegeben, d. h. sich selbst und der Concurrenz der Privatunternehmung überlassen werden; es solle aus eigener Kraft bewähren: was es werden und was es der Nation nützen könne.
Aus dieser Forderung spricht eine untergeordnete Anschauung der Kunst überhaupt: Alles, was die Menschheit bilden und veredeln soll, muß vom Staate gestützt, vom bloßen Erwerbe unabhängig gemacht werden; das gilt von der Kunst, wie von der Schule und der Kirche. Die Concurrenz ist in unsern Tagen, selbst in ihrer Anwendung auf die Gewerbe, verdächtig geworden, und sicherlich birgt sie ein so starkes Moment der Verführung zu schlechten Hülfsmitteln, daß sie von den Maßregeln zur Hebung der Künste ein für allemal ausgeschlossen sein sollte. Privatindustrie, in Pachtverhältnissen wie in selbständigen Unternehmungen, kann, bei den Bedingungen unserer Zeit, dem Theater kein höheres Gedeihen bringen; ohne den Rückhalt kräftiger Geldunterstützung, welche den Bühnen Unabhängigkeit von der geldbringenden Menge sichert, ist ihre Führung nach reinen Grundsätzen unmöglich. Die Erfahrungen der Geschichte und unsere täglichen Erlebnisse beweisen es, daß alle Bühnen, welche auf Selbsterhaltung angewiesen sind, kleine und große, den Kampf der reinen Kunstrichtung gegen die Forderungen der materiellen Existenz nicht bestehen können. Männer wie Schröder selbst sind ihm unterlegen, auch seine Direction zielte zuletzt nur auf Gewinn.
Befreit aber soll die Kunst allerdings werden, befreit von allen Bedingungen, die ihrer Natur zuwider sind, unter denen die erste die der unbedingten Abhängigkeit vom Erwerbe ist. Frei auf sich selbst und ihre hohe Bestimmung: den Menschen die Menschheit darzustellen, dem Volke das Leben der Völker abzuspiegeln, soll die dramatische Kunst gestellt werden. Unabhängig von der Herrschaft des Geschmacks einzelner Standesschichten, seien es die höchsten, seien es die niedrigsten, nur auf die Vernunft und den besseren Willen der Nation gestützt, soll sie die Opposition gegen das wandelbare Urtheil der Massen halten können, eine unbestechliche Priesterschaft der Wahrheit und des Adels der menschlichen Natur.
Diese Freiheit aber der Schaubühne kann nur auf dem Boden einer höheren Gesetzlichkeit stehen, einer ernsten Verpflichtung zur Treue gegen ihre Bestimmung. Streng gehalten muß sie werden: der Nation zu leisten, was diese berechtigt ist von ihr zu fordern.
Kein Zweifel also, daß die Staatsregierung selbst die Schaubühnen des ganzen Landes unter ihre Oberleitung nehmen muß, daß dasjenige Ministerium, welches die Erziehung und Veredlung des Volkes zur Aufgabe hat, welches Religion, Wissenschaft und Kunst – diese dreieinige Beglaubigung unserer höhern Natur – in ihrem Zusammenwirken überwacht, nicht länger säumen darf sich auch der Schauspielkunst zu bemächtigen.
Nehme Niemand Anstoß an der frivolen Miene, die noch die Bühne unserer Tage zeigt und die sie der Verbindung mit Schule und Kirche unwerth zu machen scheint; ihrer inneren Natur nach ist Schauspielkunst zu hohen Dingen bestimmt, bei allen Völkern war sie die Trägerin des ursprünglichen Gottesdienstes. Auch muß durch diese einzige Maßregel: die Bühne zur Staatsanstalt zu erklären, unausbleiblich ihre ganze Beschaffenheit sich verwandeln.
Soll aber die Grundlage der nothwendigen Theaterreform in Uebertragung der Oberleitung, von der unverantwortlichen Autorität des Hofes auf die, dem Lande verantwortliche, der Regierung, bestehen, so darf dabei doch nicht aus den Augen gelassen werden: was die Hoftheater der Kunst genützt haben, damit diese Vortheile einem neuen Zustande der Dinge möglichst erhalten werden. Allen Glanz, alle Sicherstellung und Würde, alle äußere Vervollkommnung und Achtung verdankt das Theater dem Schutze und der Intimität der Höfe. Ohne das bisherige Verhältniß der Zugehörigkeit würde kein Theater so hoch dotirt, würden die Ansprüche des Publikums daran nie so hoch gesteigert worden sein. Auch hat der gewähltere Geschmack der höheren Gesellschaft allem künstlerischen Streben nach Adel, Feinheit, Grazie und Eleganz, den derberen Forderungen des großen Publikums gegenüber, einen wichtigen Rückenhalt dargeboten. Alles dies darf künftig nicht verloren gehen.
Nicht nur die bisherigen Geldzuschüsse, auch der permanente Antheil des Hofes muß dem Theater erhalten bleiben.
Der hin und wieder laut gewordene Vorschlag: das Theater lediglich zur Landessache zu machen und dem Fürsten anheim zu geben, seine Logen darin zu bezahlen – wie dieß in Frankreich und England üblich – ist unbedingt und aus Staatsprincip zurückzuweisen. In jedem wahrhaften Nationalinstitute muß der Erste der Nation, der Träger der Majestät des Volkes, ohne alle Bedingung zu Haus sein, und sein Interesse an der Kunst zu nähren muß ein Antrieb des Ehrgeizes bleiben.
Allerdings wird es selbst politisch consequent sein, in dieser Zeit, welche die Fürsten von Verantwortung frei zu machen trachtet, den Höfen auch die für das Theater – dessen Oeffentlichkeit unablässige Angriffe jedes Einzelnen herausfordert – abzunehmen; aber damit darf doch, zum Vortheil der Kunst, das Protectorat der Fürsten nicht aufgegeben werden.
Der Landesfürst hat nur die Organe seines Willens zu wechseln, anstatt Hofbeamten, die von seiner Willkür abhängig, die Oberleitung des Theaters Staatsbeamten zu übergeben, die außer ihm auch dem Lande verantwortlich sind.
Der jetzige Moment ist entscheidend. Die Umgestaltung unserer staatlichen und bürgerlichen Verhältnisse muß auch das Theater ergreifen; es kann nicht anders sein, denn das Theater ist zu jeder Zeit das kleine Spiegelbild des großen Außenlebens gewesen. Jetzt kommt es darauf an: was es dem Vaterlande werden soll?
Wie vor hundert Jahren alle Stimmen die Höfe um Schutz für die heimathliche Kunst anriefen, wie es als eine That ruhmwürdigen Patriotismus gepriesen wurde, wenn ein Fürst seinen Mantel über ein Nomadenhäuflein deutscher Comödianten ausbreitete, so blicken die Freunde der Kunst und des Vaterlandes jetzt wieder auf die Fürsten, verhoffend: sie werden die erste Wohlthat durch die zweite, großmüthigere vollenden, sie werden den verweichlichenden Gnadenmantel zurückschlagen und den üppig aufgeschossenen Pflegling ihrer Gunst in die ernste Pflicht: der höheren Wohlfahrt des Volkes dienstbar zu sein, entlassen.
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Mit welchem strengen Eifer hat z. B. der Staat den neuen socialen Theorien entgegenzuwirken und die Achtung vor der Ehe, der Familie und allen Gliederungen der gesellschaftlichen Ordnung, welche daraus hervorgehen, aufrecht zu erhalten gesucht, während die Theaterrepertoire – die der Hofbühnen keinesweges ausgeschlossen – von Stücken wimmelten, in denen die Heiligkeit der Ehe verhöhnt, die Familienpietät lächerlich gemacht, ja eine förmliche Verherrlichung der Nichtswürdigkeit getrieben wird!
2
Das Genauere über diesen geschichtlichen Moment ist in meiner »Geschichte der deutschen Schauspielkunst« (Leipzig 1848, bei J. J. Weber) im II. B. zu finden. Ich muß mich hier und fernerhin auf dies Buch beziehen, weil es bis jetzt das einzige über diesen Gegenstand ist.
3
Gesch. der deutsch. Schauspielkunst II. B., S. 402, und III. B., S. 16.