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Kapitel 1
ОглавлениеEs war bereits nach neun, als Conny Achten langsam wach wurde. Er schaute sich ein wenig verwirrt um, dann richtete er mühsam seinen massigen Oberkörper auf und setzte sich auf die Bettkante. Nach ein paar Minuten, die er einfach so dagesessen hatte, griff er nach der Schachtel Zigaretten und ging hinüber ins Wohnzimmer.
Er öffnete das Fenster, draußen war es nass-kalt und grau, wie üblich in dieser Gegend. Achten zündete sich eine Zigarette an und sah hinunter auf die Straße. Er atmete tief durch. Das Polyester des schwarze Rollkragenpullis, den er sich zur Feier seines Geburtstages angezogen hatte, kitzelte angenehm seine Brustwarzen. Jetzt hätte er gerne seine frühere Nachbarin angerufen und sie auf ein Glas Cola eingeladen. Leider wohnten sie nicht mehr nebeneinander. Achten atmete nochmals tief durch und lächelte. Unten liefen ein paar Kinder vorbei auf ihrem Weg zur Schule, aber er verstand ihre Sprache nicht. Er verstand überhaupt so vieles nicht mehr. Er ging jetzt auf die Fünfzig zu, und es war alles so verdammt unübersichtlich geworden.
Conny Achten schlurfte in die Küche, drückte auf den Knopf der Kaffemaschine und nahm sich die Käse-Scheibletten aus dem Kühlschrank. Sein Blick fiel auf die Schwartau-Extra-Himbeermarmelade. Das Glas stand seit Jahren dort, vermutlich fraßen die Maden bereits von innen den Deckel an. Conny Achten ließ es stehen. Als Warnung.
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, schmierte sich ein Käsebrötchen und griff nach der Zeitung. Nach zehn Sekunden legte er sie wieder weg. Früher hatte er noch Zeitung gelesen, das war lange her. Irgendwann hatte er angefangen, nur noch über die Überschriften zu fliegen. Auch das hatte er mittlerweile dran gegeben. Es interessierte ihn nicht mehr. Obwohl es verrückt war, schließlich arbeitete Conny Achten als Drucker. Er missachtete gewissermaßen seine eigene Arbeit. Dabei war es nicht einmal die Arbeit selbst, die ihm zum Halse heraus hing. Es waren die Menschen dort, all ihre Wichtigtuerei, ihr Geschwätz. Gewiss, es gab Nette, Frauen vor allem. Die, die ihm den Rollkragenpulli geschenkt hatte. Oder die mit den unglaublich großen Möpsen. Dafür, immerhin, lohnte die Spätschicht.
Aber der Rest ermüdete ihn einfach. Das war der Kern: Conny Achten war eine reine Seele. Aber der ganze Dreck um ihn herum machte ihm zunehmend zu schaffen. Er machte ihn zum Eskapisten. So hatte er sich neuerdings den schönen Künsten zugewandt. Sie schwemmten, für ein paar Stunden zumindest, den Dreck weg.
Gerade, als er sich den Bildband zum Pariser Salon aus dem Regal holen wollte, klingelte das Telefon. Conny Achten lächelte, als er aufs Display sah.
Müller war dran, ein guter alter Kumpel, der zum Geburtstag gratulierte. Sie sahen sich nicht oft. Müller war knapp über 50, die Kinder waren aus dem Haus, die Frau auch. Er drehte Vorabendserien, die kaum noch jemand schaute, belangloses Zeug, aber was war heutzutage nicht belanglos? Müller hatte blendende Laune, „Junge, Junge!”, schrie er ins Telefon, wohl wissend, dass Conny Achten sein eigener Geburtstag eigentlich ziemlich egal war.
Im Grunde war Müllers Anruf der einzige Grund, warum Achten seinen Geburtstag nie vergaß. Es machte ihn glücklich, dass Müller anrief. „Junge, Junge!”, schrie dieser wieder ins Telefon. Sie brauchten keine ausschweifende Kommunikation, um sich zu verstehen. Achten ahnte ohnehin, was kommt. Müller berichtete von der Weihnachtsfeier seiner Produktionsfirma, da sei ihm ein ordentlicher Klops passiert. Er sei so unglaublich voll gewesen, dass er zu später Stunde unter den Klängen von „Atemlos durch die Nacht” mitten auf die Tanzfläche geschissen habe, anschließend habe er die Faust in den Himmel gereckt und geschrien: „Das ist für Euch, Ihr Wichser!” An mehr könne er sich nicht erinnern.
Conny Achten lachte kurz und gellend auf. Er liebte Müller. Natürlich war der ein durchtriebener Hund, mit allen Wassern gewaschen, aber im Grunde ein guter Mensch. Leicht jähzornig, aber gut. „Junge, Junge”, schrie Müller wieder.
Achten streckte sich auf seinem Stuhl, kreuzte die Beine übereinander, strich sich über die schulterlangen Haar und freute sich auf das, was jetzt kommen musste. Er sei demnächst mal wieder in der Gegend, meinte Müller. Da könne man doch mal wieder ordentlich einen abreißen, was er davon halte?
Auch das war eher eine rhetorische Frage, denn Müller wusste genau, dass Conny Achten im Leben für nicht mehr allzuviel zu begeistern war, ihre rituelle Gehirnwäsche ihn aber noch jedes Mal aus seiner selbstgewählten Isolation gelockt hatte. „Junge, Junge! Das wird megageil”, schrie Müller aufgeregt in den Hörer, bevor er auflegte.
Die Aussicht auf Biere jedenfalls erregte Conny Achten noch mehr als der Polyester-Pulli. Normalerweise lehnte er es ab, vor der Schicht zu trinken, aber an seinem Geburtstag, fand er, könne man ja mal eine Ausnahme machen. Conny Achten öffnete die erste Flasche und sah sich den Bildband genauer an. Er nahm einen tiefen Schluck. Morgens um zehn, noch vor Schichtbeginn, die erste Flasche zu öffnen, verhieß ihm Freiheit. Eiskalt perlte es ihm den Rachen hinunter. Während sich Achten durch den Expressionismus las, wartete er darauf, dass sich die ersten Promille-Zehntel Zutritt zu seiner Blutbahn verschafften. Das war überhaupt das Schönste: Der erste Hauch des Rausches. Dafür trank er, eigentlich konnte man inzwischen sagen: Dafür lebte er. Ja, eigentlich lebte er nur noch für das Bier. „Bier”, sagte Achten halblaut, als er vom Bildband weg- auf das Etikett der Flasche blickte. „Bier”. Er fühlte jetzt die Wärme in seinen Adern aufsteigen, er fühlte, dass das Bier ihn glücklich machte. Achten war jetzt ganz bei sich. Er hätte noch Stunden so sitzen können. Als die Flasche leer war, putzte er sich die Zähne, und fuhr zur Arbeit.
Conny Achten hatte bereits zwei Gläser intus, als Müller die massive Eichholzschwingtüre ihrer Stammkneipe aufstieß und mit einem lauten „Jahaaahaaaa” auf Achten zuschoss. Müller kam direkt vom Flughafen, er hatte in Buenos Aires eine deutsch-argentinische Telenovela gedreht, „Gefangen in der Einsamkeit”. „Geile Scheiße”, rief Müller, der seinen Beruf richtig gehend verachtete. Die Reisen, die Regieassistentinnen, die er von Zeit zu Zeit vögeln konnte – das war ok, deswegen war er noch dabei. Aber auch er spürte, wie er mehr und mehr abrutschte. Im Grunde gab es auch für ihn nur noch einen Ort, der ihm Sinn und Erfüllung bot: die Theke. „Ach, Junge”, sagte Müller melancholisch-resigniert und drückte Conny Achten fest an sich.
In diesem Moment betrat Kirk die Kneipe. Kirk war ein alter Bekannter Müllers, doch die einzige Gemeinsamkeit, die er mit ihm und Conny Achten noch hatte, war die Sehnsucht nach Bier. Kirk stand voll im Leben, er hatte die erforderliche Oberflächlichkeit und lief so niemals Gefahr, Sinnfragen zu stellen. Er stellte überhaupt nie Fragen, weil er ununterbrochen redete. Früher hatte er Funkfrequenzen für den Bundesnachrichtendienst geknackt, doch dann hatte er eine seiner Vorgesetzten auf Youporn gesehen und geglaubt, er könne sie damit erpressen. Das war nach hinten losgegangen. Vielleicht war das sein Glück, denn wer weiß, ob er sonst die Wahnsinnskarriere in der Reisebranche gemacht hätte. Derzeit arbeitete er an einem besonders verrückten Projekt. Ein Freund hatte ihm erzählt, dass er einen russischen Oligarchen kennen gelernt hatte, der in der russischen Hemisphäre eine alte russische Raumstation gekauft hatte. Die wolle er jetzt vermarkten und Sauftouren dorthin anbieten. Kirk hatte die Lizenz für Deutschland erworben. „Geil, richtig geil”, stammelte er nur, und weckte damit sofort Müllers und Achtens Interesse.
„Das läuft bei uns unter Planet Puff”, sprudelte es aus Kirk heraus, „geil, richtig geil.” Seit kurzem hatte er die Touren im Programm: Über Moskau ging es nach Baikonur, „und von da aus schicken wir die geilen Saufleute ins All”, schwärmte Kirk. „Das ist so geil, die kriegen schon in Baikonur Kosmonautenanzüge mit Windeln, und überall hängen Kanüle, durch die ihnen Biere eingespritzt werden. Die Fahrt dauert ja drei Tage, bis die da oben sind.” Kirk überschlug sich fast vor Begeisterung. Erst vorgestern hatte er seine Mutter hochgeschickt, sozusagen als verdeckte Testerin. Sie war eine harte Stromerin, jetzt checkte sie, ob die Russen hielten, was er seinen deutschen Kunden versprach. Noch hatte er kein Feedback, aber er war sich seiner Sache sicher.
Conny Achten und Müller jedenfalls waren bereits unglaublich angespitzt. Nach alldem, was sich in den letzten Jahren zugetragen hatte, schien ihnen Planet Puff die Lösung. Sich vom Biershuttle in die Umlaufbahn schießen zu lassen, machte sie megageil. Müller zog sein Handy aus der Tasche. „Junge, Junge”, schrie er wie ein Wahnsinniger. „Wir buchen!”. Dann exte er sein 0,25-Glas weg und schrie, jetzt mit dem Gesicht zu Kirk gewandt: „Wann geht die nächste Zigarre?” Drei Wochen später standen beide in Baikonur.