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Kapitel 3 - die Angestellte
ОглавлениеEs gelang ihr einfach nicht, ihre zitternden Hände unter Kontrolle zu bringen.
Warum muss ich mein großes Schandmaul aber auch immer so weit aufreißen.
Vor ihrer besten Freundin Sylvia hatte sie geprahlt, dass sie sich das nicht bieten lassen würde, dass sie sich rächen würde und das ihr angetane Unrecht gebüßt werden würde. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück.
Verdammt. Scheißegal, da muss ich jetzt durch.
Sie blickte durch die dichte Hecke über die große Wiese genau auf die Terrasse und die dort befindliche Terrassentür. Links von der Tür befand sich das Tastenfeld, in dem der Code für die Entsperrung der Alarmanlage eingegeben werden musste, wenn man von außen die Tür öffnen wollte. Sie hoffte, dass die Familie diese Nummer nicht geändert hatte, seit sie nicht mehr im Dienst der Helmholtz´ stand. Obwohl sie öfter als einmal die Alarmanlage ausgeschaltet hatte, wusste sie nicht mehr, ob es einen Bewegungsmelder im Garten gab, oder ob vielleicht beim Überqueren des Rasens plötzlich Scheinwerfer angehen würden. Vor einer Minute war die Straßenbeleuchtung rund um das Anwesen der Helmholtz ausgegangen, was ihr Eindringen in das Grundstück durch die nun vorherrschende Dunkelheit wesentlich erleichterte. Sie betete, dass es nicht gerade dann wieder anging, wenn sie über den Zaun vor der Hecke stieg.
Na ja, selbst wenn, um diese Uhrzeit ist doch keine Sau mehr auf der Straße und Schichtarbeiter, die mitten in der Nacht aufstehen müssen, wird es in dieser Gegend auch nicht allzu viele geben, oder?
Zumindest was ihre Kleidung anging, hatte sie ein wenig überlegt, bevor sie den Plan gefasst hatte, heute Nacht in die Villa einzubrechen. Sie hatte einen bequemen Jogginganzug und Laufschuhe angezogen - den dunkelsten Anzug, den sie hatte. Ihren Haarschopf hatte sie unter einer dunkelblauen Skimütze versteckt.
Als ob mir einer abkaufen würde, dass ich um halb vier Uhr morgens am Rhein jogge - lächerlich.
Mühsam überstieg sie den Zaun und musste sich wieder einmal eingestehen, dass es einen Fehler darstellte, in ihrem Alter von gerade mal achtundzwanzig Jahren keinerlei Sport zu treiben. Die Zeit dazu hätte sie gehabt, denn seit ihrem Hinauswurf bei der Familie Helmholtz hatte sie keinen Job mehr bekommen können. Sie hatte sogar schon in Erwägung gezogen, den Großraum Koblenz zu verlassen, aber dank ihres ehemaligen Arbeitgebers hatte sie leider eine nationale Berühmtheit erlangt - wenn man die vernichtenden Artikel über sie in der Klatschpresse als ›Berühmtheit‹ bezeichnen durfte.
Ihre Kiefer mahlten fast schmerzhaft aufeinander, als sie sich an die Ungerechtigkeit erinnerte, die ihr widerfahren war. Sie hasste die Familie Helmholtz mit einer Inbrunst, die ihr die notwendige Kraft gab, sich über den Zaun zu schwingen und den Mut, von oben in den schmalen Spalt zwischen Zaun und Hecke zu springen. Als Nächstes suchte sie eine Lücke, durch die sie in den Garten gelangen konnte, was sich schwieriger gestaltete, als sie gedacht hatte. Erst nach einigen Metern gelangte sie an eine Stelle, die den Eindruck machte, als könne man sich durch sie durch die Hecke schlängeln.
Wieder war es ihre Wut und die Aussicht auf Rache, die sie befähigten, sich durch die bei weitem nicht ausreichend große Lücke zu pressen, wobei sie in Kauf nahm, dass Äste ihre unbedeckte Haut zerkratzten.
Scheiß drauf, es wird sich sicherlich lohnen, dachte sie zornerfüllt. Zorn auf die Hecke, Zorn auf ihre ehemaligen Arbeitgeber und letztendlich Zorn auf das Schicksal, das ihr so übel mitgespielt hatte.
Ich bin … keine … Lesbe! Und ich habe … nichts … Falsches … getan!
Immer und immer wieder gingen ihr diese beiden Aussagen wie ein Mantra durch den Kopf, als wolle und müsse sie sich selbst davon überzeugen, indem sie es sich lautlos vorsagte. Egal was in der Klatschpresse stand, egal was das halbe Land von ihr dachte. Was die Familie ihr angetan hatte, musste richtiggestellt und gesühnt werden. Eine Zeitlang hatte sie Mordgedanken gehegt. In allen Farben und Variationen hatte sie sich vorgestellt, wie sie das Ehepaar leiden lassen würde, wie sie die beiden erniedrigt und sie anschließend erstochen, erschossen, erwürgt oder qualvoll vergiftet hatte.
Aber die Realität hatte sie immer wieder eingeholt. In Form von Absagen bei der Suche nach einem neuen Job, in Form von auflauernden Paparazzi oder Reportern und anschließenden neuen Berichten in der Presse und in Form von Schulden, Gerichtsvollziehern und schließlich sogar der Kündigung durch ihren Vermieter. Inzwischen war sie so weit unten angekommen, dass sie keine Angst mehr vor einem sozialen Abstieg haben musste - es ging nicht weiter nach unten!
Das war der Punkt gewesen, an dem sie sich zum Handeln gezwungen sah. Sie hatte sich entschlossen, in der Villa dieser beiden verkommenen Lügner und Betrüger nach Beweisen für ihre Unschuld zu suchen. Der große Artikel in der gleichen Presse, von der sie so erfolgreich in den Abgrund gestoßen worden war, hatte den Ausschlag gegeben:
»Das Supermodel, der Manager-Vater und das Familientreffen in Florida!«
Zwei Wochen würde die Villa verwaist sein. Das sollte reichen, um das Unterste nach oben zu kehren und zu finden, was sie finden musste - auch wenn sie noch keine genaue Vorstellung davon hatte, was das sein könnte.
Nachdem sie die Hecke durchquert hatte, schlich sie in gebückter Haltung über den Rasen in Richtung Terrasse.
Warum bücke ich mich so runter? Es ist doch stockdunkel und niemand kann mich sehen?
Den Kopf über sich selbst schüttelnd streckte sie sich auf ihre vollen 1,75, nahm die Skimütze vom Kopf, schüttelte ihr halblanges blondes Haar kurz aus und ging dann erhobenen Hauptes auf die Terrasse zu. Erst unterwegs schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie gar nicht wusste, ob es Bewegungsmelder im Garten oder vielleicht sogar Überwachungskameras gab. Ohne darüber nachzudenken, setzte sie die Skimütze wieder auf, was nicht wirklich helfen würde, ihre Identität zu verheimlichen.
Ach was, scheiß drauf. Ich will meinen Ruf wiederherstellen. Sollen sie doch sehen, wer da eingebrochen ist und sich die Beweise geholt hat. Das spielt dann wirklich keine Rolle mehr.
Nachdem sie sich so Mut gemacht hatte, schritt sie weiterhin aufrecht und mit trotzigem Blick über den Rasen auf die Terrasse zu. Sie kämpfte die Zweifel und das mulmige Gefühl nieder und betrat die einen Meter über der Rasenfläche liegende Plattform, auf der die abgedeckten Gartenstühle und Tische standen.
Direkt links neben der über vier Meter breiten Front aus Glasschiebetüren befand sich das elektronische Zahlenschloss, mit dem über einen Code die Verriegelung der Tür geöffnet werden konnte. Obwohl sie der Meinung gewesen war, das Tastenfeld wäre nachts erleuchtet, konnte sie in der dunklen Nacht lediglich die Umrisse des kleinen rechteckigen Kästchens erkennen. Widerwillig zog sie die kleine Taschenlampe aus der Seitentasche ihrer Trainingsjacke, schaltete sie ein und leuchtete das Tastenfeld an. Die Angst, die Familie hätte vielleicht die Ziffernkombination zwischenzeitlich geändert, ließ sie einen Moment zögern, aber dann gab sie beherzt die ihr in Erinnerung gebliebenen Zahlen ein: 5 - 4 - 2 - 8 - 8 - 1.
Nichts!
Kein Ton, kein Piepen oder auch nur Aufleuchten. Das Feld, in dem normalerweise ein Sternchen für jede eingegebene Ziffer erschien, blieb einfach dunkel.
Was ist das denn jetzt für ein Mist?
Langsam begann ihr zu dämmern, dass sie nicht etwa eine falsche Kombination eingegeben hatte, sondern die Apparatur einfach nicht funktioniert. Aber warum nicht? Konnte es etwas damit zu tun haben, dass auch die Straßenbeleuchtung in der Umgebung der Villa nicht mehr funktionierte? Ein Stromausfall! Ja, das musste es sein. Damit erklärte sich die Dunkelheit in der Umgebung des Hauses und auch, warum dieses blöde elektronische Teil nicht mehr funktionierte. Aber wie sollte sie nun in das Haus kommen? Ihre Kenntnis der Zahlenkombination war ihr einziger Trumpf gewesen und ihr fiel keine Alternative ein.
Verdammt. Wütend trat sie gegen die Hauswand und fluchte im nächsten Augenblick, denn sie hatte sich den großen Zeh so fest angestoßen, dass sie einen Moment lang sicher war, er sei gebrochen.
»Ouuu, ouuu, Scheiße, verdammt.« Sie taumelte, hüpfte auf einem Bein seitwärts und hielt den schmerzenden Fuß in beiden Händen. Für den Augenblick war ihr egal, ob jemand ihr Geheule hören könnte.
Dann verlor sie das Gleichgewicht und drohte umzufallen. Ihr blieb keine Wahl, als den verletzten Fuß auf den Boden zu setzen und gleichzeitig nach einem Halt zu suchen. Ihre linke Hand griff blindlings zur Seite und bekam einen Griff zu fassen. Im gleichen Moment, als sie versuchte, sich an diesen Griff zu klammern und ein Hinfallen zu verhindern, bewegte sich ihr vermeintlicher Anker unter dem Gewicht ihres seitlich fallenden Körpers von ihr weg.
Was zum Teufel …?, konnte sie noch denken, bevor sie schmerzhaft auf ihren Hintern fiel. Sie blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen und versuchte, durch tiefes Ein- und Ausatmen ihren Puls wieder auf ein erträgliches Maß hinunterzubringen. Mit beiden Händen tastete sie um sich herum den Boden ab, um die verlorene Taschenlampe zu finden, von der sie hoffte, dass sie noch funktionstüchtig war.
Sie lag näher an ihrem Körper als vermutet und ließ sich ohne Probleme anschalten. Sie leuchtete in die Richtung, wo sie versucht hatte, sich an irgendetwas festzuhalten … und zog überrascht die Luft ein, als sie es sah:
Es war der Griff der Terrassentür gewesen, an den sie sich geklammert hatte. Er war nicht etwa abgebrochen, sondern hatte sich - wie es seine Bestimmung war - zusammen mit der Tür bewegt. Diese stand nun in einer Breite von etwa vierzig Zentimetern offen.
Sie war sich sicher, dass die Tür nicht offen gestanden hatte, als sie sich an der elektronischen Verriegelung zu schaffen gemacht hatte.
Ob das mit dem Stromausfall zu tun hat?
Egal, Hauptsache ich komme rein, dachte sie und rappelte sich mühsam auf. Dabei bemerkte sie erstmals wieder ihren schmerzenden rechten großen Zeh. Die Schmerzen hatte sie in ihrem Erstaunen über die offene Tür für einen kurzen Moment verdrängt. Humpelnd bewegte sie sich auf den Spalt zu, der ihr breit genug erschien, dass sie sich seitwärts hindurchdrücken konnte. Die Taschenlampe schaltete sie aus und verstaute sie wieder in ihrer Jackentasche.
Den schweren Fehler bemerkte sie erst, als sie in der im Wohnzimmer vorherrschenden Dunkelheit schmerzhaft mit dem Schienbein gegen eine Tischkante stieß und erneut vor Schmerz aufheulte. Humpelnd bewegte sie sich seitwärts, um im nächsten Moment erneut gegen ein Hindernis zu stoßen. Nur eine Sekunde später hörte sie das krachende Klirren, als etwas auf dem Marmorfußboden zerschellte.
O Gott, die chinesische Vase, die auf diesem Sockel steht, schoss es ihr durch den Kopf. Als ihr die Schuldgefühle bewusst wurden, die sie im Zusammenhang mit der Zerstörung dieses wertvollen Stückes ansprangen, musste sie laut auflachen.
»Bin ich denn nur blöd?«, rief sie in die Dunkelheit. »Ihr habt mein Leben zerstört und ich mache mir Vorwürfe wegen so einer scheiß Vase. Das geschieht euch recht, hört ihr? Und ich werde noch mehr kaputtmachen, wenn ich nicht finde, wonach ich suche!«
Zufrieden mit sich selbst, ihrem Wagemut, ihrem erfolgreichen Eindringen in das Haus und dem Umstand, dass bisher eigentlich nichts wirklich schiefgelaufen war, grinste sie in die Dunkelheit. Sie lauschte … und hörte das, was sie zu hören gehofft hatte: Nichts!
Gut so, dachte sie und knipste die Taschenlampe wieder an.