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Selbstkritik oder Selbstzweifel

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Man könnte es wie ein zweischneidiges Schwert betrachten. Denn ein Schwert muss sein. Jeder fragt sich bewusst oder unbewusst, ob ihn das, was er tut, weiterbringt oder nicht. Wobei das „nicht“ unterteilt werden muss. Es bringt mich nicht weiter, ich trete auf der Stelle. Und da Stillstand gleich Rückschritt sein soll, kommt man ins Grübeln. Soll man weiter auf der Stelle treten, obwohl nur ein steter Tropfen den Stein höhlt? Ab und zu ist auch Durchhaltevermögen gefragt. Nicht immer klappt alles auf Anhieb. Von einem toten Gaul soll man absteigen. Diesen Spruch gibt es auch. Also, wenn sich zu lange gar nichts mehr tut, dann ist sehr wohl auch Selbstzweifel fällig. Aber auch wenn alles wie am Schnürchen funktioniert, ist Selbstzweifel zulässig. Denn es gibt Wege, auf denen man sich verrennt, sogenannte Holzwege.

Hier hilft nur noch, dass man seine Umwelt auf Verträglichkeit abklopft. Schadet es anderen, oder sprechen sie einem Mut zu? Ab und zu muss man auch externe Meinungen einholen, um sich nicht gar zu sehr zu verirren. Egal was man tut, es sind immer Fragen des Kopfes und des Bauches. Das Bauchgefühl kann einen aber auch belügen. Nicht nur die Durchdenkerei. Oft sprechen die rationalen Ergebnisse dagegen, und das Bauchgefühl sagt einem; Scheiße, ich mach es trotzdem.

Um noch mal auf das „nicht“, es bringt mich nicht weiter, zurück zu kommen: Manches scheint einen auch nach hinten zu werfen. Oft muss man einen Weg zurückgehen. Das ist natürlich im ersten Moment ärgerlich. Aber die Umstände lassen einen keine andere Wahl. Das heißt natürlich nicht in jedem Falle, dass der eingeschlagene Weg ein Irrweg ist. Ärger ist ein ganz normaler Bestandteil des Lebens. Hier geht es um das Ausreizen der Frustrationsgrenze. Da man nicht alleine auf der Welt ist, stehen meistens viele weitere Menschen vor ähnlichen Problemen oder Herausforderungen. Die einen können mit der Frustration besser umgehen als die anderen, weil sie es nicht als Ärger abgetan haben, sondern weil sie daran gewachsen sind.

Die Erkenntnis, dass nicht immer alles nach den eigenen Wünschen funktioniert, die sollte man nicht vom Tisch wischen. Immer wieder wird es Situationen geben, in denen man sich daran erinnern muss, dass es nicht schlimm ist, wenn man mehrere Anläufe benötigt. Das Prinzip ist nur, dass der Ärger irgendwann dermaßen groß wird, dass man seine guten Vorsätze irgendwann über Bord wirft. Dann kommt es so, dass man erst hinterher, aus dieser Situation, um eine Erkenntnis reicher wird. Ich hätte nicht so schnell verärgert sein sollen. Dann läuft alles mal wieder ein paar Tage gut, und währenddessen sinkt die Frustrationsgrenze wieder. So wie ein Muskel, den man nicht ständig trainiert.

Man tut sich keinen Gefallen, wenn man dem zweischneidigen Schwert der Selbstüberprüfung ausweichen will. Besser ist es, wenn man immer am Ball bleibt. Auch wenn alles gut läuft, dann muss man selbstkritisch die Ergebnisse überprüfen. Man muss jedes Handeln bedenken, ansonsten steht man letztendlich als hirnloses Opfer seiner niederen Beweggründe da. Man darf nicht bei jedem kleinen Hungergefühl zum Kühlschrank rennen. Man muss bei zum Beispiel jedem Appetit-Impuls mitdenken. Ich hab doch gerade gegessen. Und jetzt noch eine Tafel Schokolade anfangen? Die esse ich doch sowieso wieder ganz...

Diese Kämpfe gibt es auch im Großen. Noch mal zehntausend Euro in die Aktiengesellschaft investieren, die mir so viel Gewinn beschert hat? Gewinn macht süchtig. Schokolade löst auch Glücksgefühle aus. Aber wo ist das Ende der Fahnenstange? Um diese Frage beantworten zu können, muss man mit dem zweischneidigen Schwert an die Sache heran gehen. Auf der einen Seite die Kritik und auf der andern Seite Zweifel. Erst wenn eine Entscheidung diesem Dauerbeschuss aller Fragen standhalten kann, dann muss an der Sache was dran sein.

Es gibt das Wort Bedenkenträger. Dabei handelt es sich um eine Person, die an allem und jedem etwas auszusetzen hat. Irgendwas könnte immer und bei allem schief gehen. Unrecht hat dieser Mensch nicht. Nur, weit kommt er damit nicht. Es liegt aber nicht daran, dass er alles nur kaputtreden will. Dieses Wesen existiert nämlich nur in der Phantasie. Zweifler sind in Wahrheit nur auf dem falschen Spielfeld im Einsatz. Sie suchen mit aller Macht nach Hindernissen, um sich daran aufhalten zu können. Sie wollen nicht in diese Richtung, deswegen suchen sie förmlich nach Stolperfallen. Auf einem anderen Gebiet, da würden sie nicht so viele Zweifel säen.

Wenn ihnen etwas gefällt, dann kann es gerne ein Hindernis mehr sein. Beispiel: Es soll Leute geben, die fahren meilenweit zu einer billigeren Tankstelle. Andere kaufen sich billige Klamotten, die die nächste Wäsche nicht überstehen. Aber wenn es um eine Immobilie auf Mallorca geht, da können es gerne mal hunderttausend Euro mehr sein. Hier erkennt man die Unterschiede. Zweifel ja, aber nicht in jedem Bereich. Wenn es um die tägliche Schnäppchenjagd geht, dann ist kein Preis zu hoch. Wenn es um Einmalanschaffungen geht, dann werden alle Zweifel schöngeredet. Das funktioniert auch umgekehrt: Ich kaufe nicht im Discounter, deswegen reicht es auch immer nur zu billigen Gebrauchtwagen, die immer gleich kaputt gehen.

So sollte sich also niemand mit den Worten Zweifler, Bedenkenträger oder Kritiker ruhigstellen lassen. Bedenken, Zweifel und Kritik sind unerlässlich. Ansonsten würde ein Mensch nicht lange existieren können. Denn es gibt Grenzen im Leben. Mit Bedenken und Zweifeln kann man sie abtasten. Ansonsten rennt man gegen Mauern. Und wer nur noch gegen Mauern rennt, der ist in der falschen Region unterwegs. Man holt sich eine blutige Nase, wenn man gar nicht erkennt, dass ein Fortkommen unmöglich ist. Dann heißt es: Lockerlassen. Den Arbeitsplatz wechseln, oder den Lebensabschnittspartner. Oder: Die eigenen Ansprüche neu sortieren. Denn nicht jede Entscheidung bringt den maximalen Wunscherfolg. Traumwagen, Traumfrau, Traumhaus oder Traumergebnis.

Man kann sich noch so viele Gedanken machen; es kommt immer anders, als man denkt. Und wenn man diesem Ausspruch Glauben schenken möchte, dann bleibt als einige Konsequenz: Man darf sich nicht alleine seinen Gefühlen überlassen, und man darf sich nicht nur auf seinen messerscharfen Verstand verlassen. Denn beides ist wichtig. Ebenso kann beides unwichtig sein. Es kommt, wie es kommt, so sagen die Rheinländer. Und da ist etwas Wahres dran. Man kann zwar alles auf eine Karte setzen, man kann seinem Bauch vertrauen oder lieber seinem Verstand. Aber mit dem Ergebnis kann man hinterher nur gut umgehen, wenn man alles vorher bedacht hat.

Auch wenn es die Leidenschaft war, die einen zu einer Entscheidung getrieben hatte. Besser man hatte vorher alle Zweifel abgeklärt und war vorher mit sich selber im Reinen gewesen. Hinterher ist man immer klüger. Nur die Frage zählt; wie klug war man vorher? Hatte man einen Gedanken vorher übersehen oder übergangen? Hat man sich schuldig gemacht, weil man einen bestimmten Zweifel nicht zugelassen hatte? Dann kann einen das zweischneidige Schwert nämlich den Kopf kosten.

Und das im wahrsten Sinne. Das Gehirn wird nur noch mit der Bewältigung von Schuldgefühlen beschäftigt sein, wenn man sich vorher nicht hat die Hemmnisse abschneiden lassen. Das ist die andere Seite des Schwertes. Vorher kann es von großem Nutzen sein, wenn man sich vorher, mit Hilfe der Zweifel, den Zweck hat freischneiden lassen. Lohnt sich das, soll ich wirklich? Erst wenn eine Idee dieses Schlachtfeld überstanden hat, dann stellt sie sich wahrscheinlich, und hoffentlich noch zur Lebenszeit, als richtig heraus.

Das eigene Gewissen fragt einen meistens, oder oft auch die Gewissen anderer, ob etwas richtig oder falsch war. Bis zum jüngsten Gericht werden sich solche Fragen nie wirklich und letztendlich klären lassen. Was heute richtig ist, das kann schon morgen falsch sein. In diesem Sinne ist auch die Zeit ein großer Entscheider. Und gerade die Zweifel sind es, die einem dermaßen viel Zeit rauben können, dass man erst hinterher erfährt, was wirklich das Richtige gewesen wäre. Wobei das Wort Zweifel erst dadurch seinen negativen Wert erhält, dass es von der Kritik der reinen Vernunft zum Zeiträuber geworden ist. Ein kritischer Gedanke mutiert erst dadurch zum zerstörerischen Zweifel, weil er noch zu viel unbeschnittenen Ballast mit sich trägt. Zweifel kann letztendlich nur mit sich selbst besiegt werden. Sind die Zweifel noch berechtigt? Berechtigt. Hat ihre Existenz noch ein Recht? Nur wenn man es wagt, die Selbstzweifel anzuzweifeln, dann nähert man sich der Sicherheit, dass noch man auf dem richtigem Weg ist.

Wenn es dir gelingt, über dich selbst Gericht zu sitzen, dann bist du ein wirklich Weiser.

Antoine de Saint-Exupéry

C wie Charakterwelt

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