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Die letzten Tage des Kommissars

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An den Polizeipräsidenten Berlin und das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin


Ja, ich habe getötet, aber es war kein Mord. Nicht im gewöhnlichen Sinne! Also hören Sie auf, nach mir zu fahnden. Lesen Sie meinen Bericht, der wahr ist vom ersten bis zum letzten Wort. Sie werden begreifen, um was es wirklich geht, und Sie erkennen den wirklichen Verbrecher.

Der 31.3. war mein letzter Tag in der Mordkommission, ich wurde verabschiedet, und ehrlich gesagt: ich war froh darüber. Genug Leichen gesehn.

Am nächsten Tag gegen 9 Uhr holte ich meine Privatsachen ab. Da klingelte das Telefon.

„Ich habe was Wichtiges verloren. Helfen Sie mir!“

Ein Aprilscherz. Nicht sehr originell.

„Wenden Sie sich ans Fundbüro“, sagte ich.

Ich verließ das Präsidium um 10.30. Auf dem Weg zur U-Bahn dudelte mein Handy. Dieselbe Stimme, diesmal scharf und scheppernd.

„Man hat mich ermordet, meine Leiche wird es Ihnen beweisen. Also suchen Sie mich gefälligst.“

Ich sagte: „Idiot“ und schaltete das Handy aus.

Am nächsten Morgen, während des Frühstücks, eine SMS: „Meine Leiche liegt im Tiergarten nahe einer Bank, bei einer Eiche.“

Diesmal wurde ich nachdenklich. Immerhin, hier wurden präzise Angaben gemacht. Offensichtlich sollte ich im Tiergarten etwas suchen. Bestimmt keine Leiche. Aber was? Und wer redet so? Die Kollegen fielen aus, so geschmacklos waren die nicht. Vielleicht eine Art Abschiedsgeschenk für mich von „alten Bekannten“ aus dem Rotlichtmilieu. Es gab Spaßvögel unter ihnen.

Erst dachte ich: Lass es! Andererseits: die alte professionelle Neugier! Und da ich nun alle Zeit der Welt zur Verfügung hatte, warum nicht einen Spaziergang durch den Tiergarten machen?

Mantel, Hut und los. Es nieselte. Der erste Tag meines neuen Lebens - und es nieselte. Von meiner Wohnung aus sind es mit der U-Bahn zehn Minuten zum Tiergarten.

Am Brandenburger Tor regnete es. Zum Park war es nicht weit. Eichen gab es, nicht zu übersehen, sie hatten noch braune Blätter vom letzten Jahr. Nirgendwo eine Bank. Also doch ein Telefonstreich.

Wie Sie wissen, geht durch den Park eine Straße mit einer Bushaltestelle, hier wollte ich den Bus nach Haus nehmen. Und da stand eine Steinbank, ungefähr zehn Meter links von der Haltestelle. Hinter ihr, im Gebüsch, eine Eiche.

Falls man mich veräppeln wollte, gab es jetzt heimliche Beobachter.

Ich tat also uninteressiert und blickte nur kurz ins Gebüsch. Zwei Füße in braunen Halbschuhen. Als ich die Zweige beiseite bog, erkannte ich den Toten. Berlins berüchtigtster Klatschjournalist. Seine Kehle war aufgerissen.

Instinktiv wollte ich mich sofort zurückziehen. Zu spät. Eine junge Frau mit ihrem kleinen Sohn kam vorbei und sah mich misstrauisch an.

Nun gut, dachte ich, spielen wir noch einmal Kommissar. Ich rief meine Abteilung an, Lohmeyer dachte wahrscheinlich, ich hätte einen Anfall von Rentnerpanik oder so ähnlich. Während ich auf die Männer wartete, untersuchte ich den Toten. Der verquollene Anzug ließ auf ein längeres Liegen der Leiche schließen. In den Jackentaschen eine Brieftasche, ein Notizbuch und ein Taschenbuch mit dem Titel „Der Meister und Margarita“. Ich blätterte im Notizbuch. Die letzte Eintragung war vor drei Tagen, die Uhrzeit 10.30 und das Wort: Doktor.

Ein Arztbesuch. Ich blätterte zurück.

Drei weitere Arztbesuche und alle innerhalb einer Woche. Ich hörte das Martinshorn und schob bis auf das Buch alles rasch in die Jacke zurück.

Als Lohmeyer und Peters aus dem Wagen stiegen, machten sie nicht grade einen intelligenten Eindruck. Sie starrten mich an wie eine Erscheinung. Ich hatte keine Lust, lange Reden zu halten, zeigte ihnen die Leiche und verschwand im Bus, der gerade ankam.

Nach außen war ich ruhig, aber in meinem Kopf ging es drunter und drüber. Mir wurde warm, ich knöpfte den Mantel auf, dabei stieß ich an das Buch in der Manteltasche. Es war ein Roman von einem Michail Bulgakow, Russe vermutlich.

Mit blauem Filzstift war auf verschiedenen Seiten das Wort „Magier“ unterstrichen, einmal stand „Doktor“ daneben, mit zwei Ausrufungszeichen.

Ich steckte das Buch weg, als mein Blick auf eine Litfasssäule fiel mit einem grellgelben Plakat. Ein Magier namens Dr. Fürst gastiert in Berlin und gibt Vorstellungen im Admiralspalast.

Richtig. Kollege Jan hatte in der Kantine mit großer Begeisterung von diesem Magier erzählt. Einmalige Zauberei, geradezu genial sei das. Ich hatte mich darüber gewundert. Wie kann ein Kriminalist Taschenspielertricks ernst nehmen!

Die Sache mutete abwegig an, aber mir kam der Gedanke, mit dem Doktor im Notizbuch des Toten könnte der Dr. Fürst gemeint sein.

Ich hatte ja nichts zu tun, also besuchte ich die Abendvorstellung.

Der Saal hat 2000 Plätze, alle waren besetzt.

Der Anfang war lustig.

Auf zwei Eisbären kam - wie auf Pferden stehend - der Magier auf die Bühne. Alles, was auf der Bühne geschah, wurde auf eine Videowand übertragen, man sah jede Einzelheit, eine Täuschung war nicht möglich. Es waren wirklich Eisbären.

Der Mann war schlank, schwarz gekleidet, sein Gesicht kalkweiß mit schwarz untermalten Augen. Nicht sehr überraschend. Elegant sprang er von den Bären, trat an die Rampe, hob die Hand. Stille, dann mit dunkler, wohltönender Stimme: „Als ich vor 40 Jahren Berlin besuchte …“

Gelächter. Der Mann konnte kaum älter als 30 sein.

„…war es nachts und bevor der Flieger in Tegel landete, blickte ich durchs Fenster hinab. Da sah ich auf der einen Seite Lichter wie funkelnde Brillanten auf schwarzem Samt, auf der anderen Seite sah es aus wie in einem Keller mit einer Notbeleuchtung. Ein Jammer, dachte ich. Eine gespaltene Stadt.“

Seine Stimme ging in die Höhe:

„Aber was ist Berlin heute? Hätte damals jemand gesagt, diese Stadt wird einmal von Touristen überlaufen sein, ihr Glanz wird den von New York überstrahlen, tja, man hätte ihn für verrückt gehalten. Und doch geschah es, fast über Nacht geschah es. Die Stadt ist heute eine blühende Metropole! Hat da jemand den Zauberstab gehoben und Hokuspokus gemacht?“

Kleine Pause. Dann gab er sich selbst die Antwort: „Nein!“ Und neigte sich zum Publikum, hielt die Hand ans Ohr und sagte: „Oder doch?“ Stille.

Er richtete sich auf.

„Illusion oder Wirklichkeit, das sollen Sie sich heute Abend fragen, wenn Sie nach meiner Vorstellung den Saal verlassen. Zwar steht Zauberei drauf, aber Wirklichkeit ist drin. Sollte ich jetzt aber lügen, so, meine Damen und Herren, seien Sie versichert, dann ist auch das heutige Berlin nur Lug und Trug - und ich rate Ihnen, beim Nachhauseweg Pass und Passierschein bereit zu halten, Sie bekommen sonst an der Mauer Schwierigkeiten!“

Verblüfftes Schweigen, dann Gelächter und schließlich brausender Beifall.

„Ein intelligenter Windhund, dieser Kerl.“ Der Mann neben mir hatte sich in Schale geworfen, dunkler Anzug, rote Fliege auf weißem Hemd, sein Alkoholatem traf mich, als er mir das ins Ohr brüllte.

Trommelwirbel und Fanfarentusch, mit einem Ruck zog der Magier von einem etwa zwei Meter hohen Kubus ein blaues Tuch, eine goldglänzende Metallkabine kam zum Vorschein. Er drückte eine Art Fernbedienung, lautlos öffnete sich die Kabine, mit einer Handbewegung scheuchte er die Bären hinein, die Kabine schloss sich, auf der Videoleinwand erschien ein Siegelring-Finger, der einige Knöpfe der Fernbedienung drückte, darauf ging die Kabinentür auf. Heraus watschelte ein kleiner dicker Kerl, hinter ihm stolzierte eine Bohnenstange, beide gekleidet wie Lakaien mit himmelblauem Tuch, silbernen Knöpfen, Kragen und Aufschläge waren gelb.

Die Leute brüllten vor Lachen.

Sie wurden vom Magier als seine Gehilfen vorgestellt. Wieder die Fernbedienung gezückt, die Kabine klappte nach zwei Seiten auf. Ein langes Ah und Oh: nichts war zu sehen, die Bären waren verschwunden.

Und dann ging es Schlag auf Schlag. Die Diener steckten ihre Arme oder Beine in einen Schlitz der Kabine. Beim Herausziehen waren es Adlerschwingen oder Haifischflossen. Einmal wedelte der Lange statt mit Armen mit Fliederzweigen, an denen violette Blütendolden hingen, und der Dicke stakste zur Gaudi der Zuschauer auf Storchenbeinen über die Bühne.

Der Höhepunkt war, als der Magier „Ciba!“ rief. Kläffend schoss aus den Kulissen ein Labrador und flitzte geradewegs in die Kabine, Kabine zu und als sie wieder aufging, sprang ein Panther heraus, an der Rampe fauchte er ins Publikum. Die Leute schrien. Ein kurzes Kommando des Magiers, der Panther verschwand in der Kabine und die Bühnenbeleuchtung erlosch.

Nach der Pause rief der Magier Freiwillige auf die Bühne. Es kamen mehr als genug, einen nach dem anderen schickte er in die Kabine und das Publikum sollte rufen, zu welchem Tier er sie verwandeln sollte.. Und so kamen sie heraus: von der Gans bis zum Känguru. Zurück in die Kabine und wieder heraus als Mensch. Der Magier fragte sie, ob sie sich an etwas erinnern könnten. Wieso, sagten sie, sie seien ja nur ins Dunkel getreten und gleich wieder herausgekommen. Als sie sich aber auf der Videoleinwand als Tier sahen, wollten sie es nicht glauben.

Minutenlanger Beifall am Schluss. Keine Zugabe. Lächelnd verbeugte sich der junge Mann und trat ab, während die Diener Kratzfüße und der Hund Männchen machten. Das wirkte nach der grandiosen Vorstellung derart putzig, dass alles im Gelächter endete.

Ehrlich, ich war ziemlich verwirrt. Einerseits „zauberte“ der Mann mit einer Maschinentechnik, was keine große Kunst ist, gerechterweise gebührt dem Erfinder der Technik der Applaus, nicht dem Zauberer.

Andererseits kam es zu der Verwandlung von Beinen und Armen und dann sogar von ganzen Menschen, das war technisch nicht zu erklären.

Na schön. Es gibt ja so was wie Suggestion, wir waren wahrscheinlich einer Illusion aufgesessen.

Als ich mir abends das Buch vornahm und im Anhang des Romans die Biographie des Autors las, wurde die Sache nicht besser, im Gegenteil: der Russe hatte den Roman in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben, als Stalin in seinem Land herrschte. Ich wollte den Roman noch lesen, aber ich war zu müde und schlief ein.

Am nächsten Morgen holte ich mir vom Bäcker ein paar Schrippen und eine Zeitung vom Kiosk. Der Aufmacher: BZ-Journalist brutal ermordet.

Ich las den Artikel während des Frühstücks. Die Polizei tappe noch im Dunkeln, hieß es. Die aufgerissene Kehle stamme nicht von einem Messer, eher von einem Raubtierbiss. Der Zeitungsschreiber faselte von einem Luchs. Diese Wildkatze sei im Land Brandenburg schon gesehen worden, möglicherweise hätte sich eine in die Stadt verirrt wie schon Füchse und Wildschweine.

Blödsinn, dachte ich. Die Wunde war zu groß und das Tier zu klein.

Ich rief Lohmeyer an, ob man schon Näheres wüsste. Er antwortete unwirsch. Es handelte sich tatsächlich um einen Raubtierbiss. Das Tier müsse sich in Privatbesitz befunden haben, denn weder im Zoo noch im Tierpark Friedrichsfelde werde ein Raubtier vermisst. Die Polizei sei alarmiert und suche nach dem Tier.

Worauf die Berliner den Tiergarten sofort in ‚Raubtiergarten‘ umtauften.

Gut, dachte ich. Da haben wir die Tötungsart und den Täter, ein Raubtier.

Von den Anrufen und dem Taschenbuch hatte ich Lohmeyer nichts gesagt. Wie schnell wird aus einem Zeugen ein Verdächtiger. Möglicherweise versuchte mich jemand mit dem Mord in Verbindung zu bringen. Warum sonst hatte man mich zur Leiche gelockt? Vielleicht wollte sich jemand an mir rächen, den ich in den Knast gebracht hatte? Da half nur eins: Ich musste den Fall noch vor meinen Kollegen lösen.

Ich prüfte im Buch die handschriftlichen Unterstreichungen und Ausrufungszeichen. Und dann war ich mitten drin und las den Roman in einem durch.

Der Inhalt: Ein Magier bringt mit seinen zwei Gehilfen durch seine Zaubereien ganz Moskau durcheinander. Das macht er grausam, zynisch, und doch besitzt der Mann so etwas wie Moral, zeigt sogar Menschenliebe. In Wirklichkeit scheint es sich um den Teufel zu halten, was die ganze Geschichte noch verwirrender macht.

Und jetzt sah ich den Dr. Fürst mit den Augen des Journalisten. Da gab es deutliche Ähnlichkeiten mit der Romanfigur. Kannte der Dr. Fürst das Buch und nahm es als Vorlage für seine Vorstellungen? Aber warum? Das hatte er doch gar nicht nötig.

Da war noch der Termin des Journalisten bei einem Doktor. Hatte er sich mit Dr. Fürst verabredet? Dazu müsste ich den Magier befragen.

Warum nicht. Ich hatte ja nichts zu tun.

Zuvor googelte ich den Mann. Über 12000 Eintragungen.

32 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in England, die Mutter starb bei der Geburt, Sohn von Prof. Dr. Dr. Johannes Fürst, Genetik-Wissenschaftler, Gründer eines Institutes für Genetik und Molekularbiologie mit angeschlossenem Unternehmen für Anti-Aging-Stoffe. Englisches Internat, Studium in Cambridge, Doktor der Philosophie. Nach dem tödlichen Badeunfall des Vaters in der Karibik (Leiche nie gefunden) erbte er Institut und Unternehmen, letzteres verkaufte er an einen internationalen Konzern, das Institut behielt er. Seit drei Jahren zieht er als Illusionskünstler mit einer eigenen Show von Bühne zu Bühne.

Ein interessanter Mann.

Um 11 betrat ich das Hotel. Zu Kaiser-Wilhelm-Zeiten war es die Absteige für Adlige, Reiche und Politiker. Im zweiten Weltkrieg zerstört, wurde es wie der Admiralspalast nach alten Plänen neu aufgebaut. Es hat nicht nur das frühere Aussehen, sondern auch wieder die alte Klientel: die Reichen und Mächtigen, eben Leute, für die man einen roten Teppich ausrollt. Der hier begann schon vor dem Eingang. Diese Leute, dachte ich, brauchen offenbar einen besonders langen Fußabtreter.

Als ich mich an der Rezeption nach Dr. Fürst erkundigte, verlangte man erst mal meinen Namen. Ich wollte mich als Kommissar ausweisen, rechtzeitig fiel mir ein, das war ich mal. Ich nannte meinen Namen und sofort dachte ich: wieso sollte mich der weltberühmte Magier zu sich lassen? Ich war ja ein Nichts gegen ihn. Doch dann kam aus den gedämpften Lobbygeräuschen eine Stimme: „Sie werden erwartet.“

Erwartet? Konnte der Mann auch in die Zukunft sehen?

Der Magier hatte eine ganze Suite gemietet. Auf mein Klopfen öffnete sein langer Gehilfe die Tür. In seinem knochigen Gesicht waren eisgraue, wimpernlose Augen. Er hörte sich ungerührt an, was ich sagte, und führte mich stumm in einen Raum mit bis auf den Teppichboden reichenden Fenstern, lautlos verschwand er. Im Zimmer roch es nach Jasmin. Der Magier stand mit dem Rücken zu mir vor einem Fenster und sah auf den Pariser Platz.

Ich räusperte mich, er drehte sich langsam um, wobei die Gardine, wie mir schien, vor ihm einen leichten Knicks machte.

Gekleidet war er in eine schwarze Bluse mit gewelltem Brustbesatz und eine seidig glänzende Pluderhose, dazu schwarze Stoffschuhe. Auch seine Augen waren schwarz, ebenso die Brauen, und da die Gesichtshaut sehr weiß war, tippte ich auf Schminke. Er lächelte. Ein warmes Lächeln, ich konnte nicht anders, ich lächelte zurück.

„Geben Sie mir Ihren Mantel.“

Er hängte ihn an einen Garderobenständer, der um das Zehnfache kostbarer war als mein Mantel, dann bot er mir einen Sessel an, ich versank darin.

Tatsächlich wirkte es so, als hätte er mich erwartet. Ich machte ein Gesicht, wie ich es bei gut betuchten Leuten beobachtet hatte, höflich, aber doch ziemlich gelangweilt. In der Zimmermitte stand die Zauberkabine. Offenbar hielt er sie stets in seiner Nähe, damit keiner hinter seine Tricks kam. Nun hatte ich sie dicht vor Augen, ich betrachtete sie, aber ich fand nichts, was mir ihr Geheimnis hätte verraten können.

Wir hatten keine zwei, drei Worte gewechselt, da jagte der Labrador herein, hinter ihm der dicke Gehilfe. Er schnaufte mehr als der Hund und jammerte, Ciba sei mal wieder außer Rand und Band, wobei er den Magier „Herr Doktor“ nannte.

Als Kind hatte mich einmal ein Schäferhund angefallen, seitdem habe ich eine Hundephobie, auch wenn ich das zu verbergen weiß. Der Mann musste was gemerkt haben, ein kurzer Befehl, die Kabine ging auf und der Hund verschwand darin. Ich dachte, da bliebe er jetzt, doch sie öffnete sie gleich wieder. Na, was kommt jetzt heraus? Es kam nichts.

Ich blickte den Magier an, der gab seinem feisten Diener einen Wink. Und dieser holte aus der Kabine einen Rosenbusch mit roten Blüten, den er in ein Gefäß setzte. Da er die Kabinentür offen ließ, konnte ich das Innere sehen. Sie war leer.

„Doktor Fürst, wo ist der Hund?“ sagte ich.

Er zeigte auf den Busch.

Ich lachte höflich und fragte ihn, ob ich mir die Rückseite der Kabine ansehen dürfe.

„Bitte“, sagte er, „tun Sie sich keinen Zwang an.“

Ich umkreiste die Kabine. Nichts. Die Kabine hatte weder einen Anbau noch einen Hinterausgang. Aber irgendwo musste der Labrador schließlich sein. Ich bat, das Zimmer absuchen zu dürfen. Er nickte. Nirgendwo ein Hund. Und so kapitulierte ich.

„Wo, zum Teufel, haben Sie den Hund versteckt?“ fragte ich.

„Sie sehen und glauben immer noch nicht? Alex! Stell den Rosenstock zurück!!“

Der dicke Gehilfe stellte den Rosenstock in die Kabine, die Tür schloss sich und als sie sich wieder öffnete, zeigte sich ein Pantherkopf. Das Tier witterte, dann lief es gemächlich zum Doktor, hockte sich auf die Hinterbeine und gähnte mit prachtvollem Gebiss.

Ich hatte mich hinter meinem Sessel in Sicherheit gebracht.

In diesem Augenblick glitt in der hinteren Zimmerwand eine Schiebetür auf. Erst dachte ich, das kann doch nicht wahr sein, eine so aufgedonnerte junge Frau – stark geschminkt, in hautengem schwarzem Leder – passte einfach nicht in das gediegene Hotel. Als sie mich mit großen blauen Augen anblickte, zuckte ich zusammen. Diese Frau sah aus wie Katrin, meine erste und große Liebe, und sie war genau in dem Alter von damals: um die zwanzig. Aber die hier war in Leder gekleidet, und ihre Körpersprache war eindeutig die einer Nutte.

Sie wandte sich an den Magier und bei ihrer Stimme verschlug es mir den Atem, ich hatte sie seit 40 Jahren nicht mehr gehört: „Hast du es ihm denn nicht gesagt?“

Von irgendwo tauchte der lange Gehilfe auf, hielt mir auf einem Tablett ein Glas unter die Nase, ich leerte es mit einem Zug und starrte wieder auf die Frau.

Wie aus der Ferne kam die Stimme des Doktors zu mir.

Es sei seine Frau. Ja, und es sei Katrin, meine Katrin aus der Zeit vor vierzig Jahren in München, das würde ich doch wohl sehen.

Nein, das sähe ich nicht, murmelte ich.

„Und hören Sie auf mit Ihren Tricks!“

Doch, sie sei es, fuhr er fort. Sie habe sich verjüngen lassen. Ob ich nicht endlich akzeptieren könnte, er sei zu dergleichen fähig? Denn alles, was ich bis jetzt gesehen hätte, sei kein Trick, keine Illusion. (Seine Stimme hatte einen ärgerlichen Unterton.) Und er sei auch kein Illusionskünstler, er sei Wissenschaftler, und Katrin habe ihn gebeten, den Kontakt mit mir herzustellen, und nun erwarte sie von mir, dass ich mich wie sie verjüngen lasse, denn sie wünsche sich (und da zog er eine Grimasse) eine Liebesnacht mit mir, die, wenn er das richtig verstanden hätte, damals nicht zustande gekommen sei. Er hätte nichts dagegen.

„Sie können jetzt eine dumme Sache aus Ihrer Vergangenheit reparieren. Was halten Sie davon?“

Erwartungsvoll sahen mich beide an.

Was ich davon hielt? Mag er ein Magier sein oder ein Wissenschaftler oder gar der Teufel in Person: Das alles war absurd! Selbst wenn es meine Katrin war und er sie auf unerklärliche Weise verjüngt hatte, so musste sie doch wie ich vier Jahrzehnte gelebt haben. Wie kann man dann noch eine erste Liebesnacht erleben?

Ja, könnte man ein völlig neuer Mensch sein. Und das Leben wäre so neu wie am ersten Tag …

Ich schüttelte den Kopf.

Zwischenbemerkung. Ich weiß, was Sie jetzt von mir denken. Man hätte mich hypnotisiert, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Der Jasmingeruch sei wahrscheinlich der von Haschisch gewesen...

Nichts davon, meine Herren! Lesen Sie nur weiter.

Auf mein Kopfschütteln schwiegen sie. Besonders sie, die ich einmal haben wollte, wie ein Mann eine Frau haben will (aber damals war ich noch kein Mann, ich wollte durch sie einer werden), die sah mich sprachlos an.

Ich hielt noch das Glas in der Hand. Jetzt sah ich, es war ein sehr feines Glas, ein Kognakglas. Ganz vorsichtig stellte ich es auf einen kleinen runden Beistelltisch, dann bewegte ich mich lässig zum Garderobenständer, nahm Hut und Mantel und ging.

Und sie standen wie Bühnenfiguren, wenn der Vorhang fällt.

Das gefiel mir.

Ja, auch ich kann eine Schau abziehen.

Durch einen Rempler erkannte ich, ich war auf der Friedrichstraße. Ein Pulk bayrischer Touristen zog an mir vorbei. Plötzlich hatte ich Heißhunger. Ich ging ins nächste Restaurant.

Die Stille dort, die weiß gedeckten Tische mit den Kerzen, die feierlich gekleideten Damen sowie Herren, die wie im Gebet ihre Köpfe über die Tische neigten und ab und zu Seufzer oder Gemurmel von sich gaben, das wirkte auf mich wie eine Kirchenmesse.

Ja, mir war nach Beten, nach Beten mit Messer und Gabel und Kauen und Trinken. Denn in meinem Schädel jagte ein irrer Gedanke den nächsten.

Ich bestellte bei dem leise herantretenden Hochwürden eine profane Andacht aus Gänsebraten mit Klößen und Rotkohl, dazu Rheinwein. Und dann ließ ich den Gedanken freien Lauf, nach meiner Erfahrung, die beste Art, sie in Reih und Glied zu bringen.

Dieses nuttige Ding mit dem Gesicht von Katrin! Wie war der Kerl an ihr Gesicht gekommen? Überhaupt: Woher wusste er von meiner Vergangenheit? Und besonders von der – wie sagte er? – „nicht zustande gekommenen Liebesnacht“?

Von wegen Liebesnacht. Beinahe hätte ich in dieser Nacht eine Frau vergewaltigt.

Das war in München, Anfang der 60er, Katrin studierte als einzige Frau Volkswirtschaft, ich Jura. Wir kannten uns seit einem halben Jahr, und an einem Samstagabend hatten wir uns verabredet, ich sollte sie vom Hauptbahnhof abholen, und dann wollte ich sie mit auf mein Zimmer nehmen, denn diesmal würde es nicht beim Händchenhalten bleiben. Ich war 22 und hatte noch keine Frau berührt.

Meine Herren, Sie sind vielleicht jünger als ich, und darum will ich es erklären. Heute ist es kein Problem, aber damals war Sex außerhalb der Ehe kriminell, nicht einmal küssen durfte man sich in der Öffentlichkeit, und vor 22 Uhr hatte man die Wohnung seiner Freundin zu verlassen, wenn deren Eltern nicht riskieren wollten, der Kuppelei angeklagt zu werden.

Ja, und darum wartete ich ziemlich hippelig am Bahnhofseingang. Ich wartete und wartete, sie kam nicht. Ich schwitzte und ich fror, erst konnte ich es nicht glauben, dann war ich verstört und endlich bis ins Blut getroffen, und da wollte ich, nein musste ich, schon meiner Selbstachtung wegen, etwas tun. Ich sprach eine junge Frau an, bat sie um ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee. Sie lief sofort weg, aber ich wollte nicht schon wieder von einer Frau verschmäht werden, also lief ich neben ihr her, flüsternd, flehend um ein Date. Der Mond.. Dieser Mond! Seitdem hasse ich ihn. Er war ein riesiges gelbes Auge, es folgte uns über den Dächern, uns fortwährend beobachtend. Plötzlich machte die Frau kehrt und rannte zum Bahnhof zurück, wo sie, wie ich aus der Ferne sehen konnte, zwei Männer um Hilfe bat. Da hatte ich schon aufgegeben und saß mit zitternden Knien in der Straßenbahn, ich wollte nach Haus.

Drei Tage später war ich in West-Berlin und bewarb mich um einen Ausbildungsplatz bei der Polizei. Katrin sah ich nie wieder.

Bis heute.

Und plötzlich fiel mir ein, ich hatte den Magier ja wegen eines Mordes aufgesucht! Dem Journalisten war die Kehle durchbissen worden. Wie von einem Raubtier. Einem Panther womöglich.

Und – ich kam wieder zu mir – der Tote war garantiert keine Illusion.

Ich zahlte und ging auf die Straße. Welch eine Erleichterung, alles an seinem gewohnten Platz zu sehen: die Gebäude, die Autos, die Fußgänger.

Ich kehrte ins Hotel zurück. Diesmal wollte ich mich nicht überrumpeln lassen.

Er schien nicht überrascht. Die junge Frau mit Katrins Gesicht saß in dem Sessel, in dem ich zuvor fast ertrunken war, die Beine mit den Lederstiefeln übereinander geschlagen, und sagte mit einem Lächeln:

„Ich wusste, du kommst zurück!“

„Nicht Ihretwegen“, sagte ich, „seinetwegen. Ich habe ein paar Fragen an ihn.“

Sie stand auf und kam zu mir. Das Leder auf ihrer Haut knirschte.

„Dummer Kerl, warum siezt du mich? Ich bin es! Katrin! Deine Katrin! Gefall ich dir nicht mehr? Das habe ich für dich angezogen. Das ist sexy! Heute darf man das! Hast du vergessen, was wir damals wollten? Wir wollten zu dir. Deine Vermieterin war im Krankenhaus, wir hätten bumsen können, die ganze Nacht! Mein Gott, wie ich es wollte … Und dann kamst du nicht.”

Ja, sie war es, sie war es wirklich. Ich bekam einen Lachanfall, bis ich mich verschluckte.

Sie blickte mich erstaunt an.

Und dieser Blick war es, dieser Blick wischte die 40 Jahre einfach weg.

Als wäre ich gestern am Bahnhof gewesen und jetzt standen wir uns gegenüber.

Ich sagte: „Was redest du da! Das war völlig anders! Du kamst nicht. Ich wartete, fast eine ganze Stunde habe ich gewartet.“

Sie antwortete: „Ich hatte den Zug verpasst, ich musste den eine Stunde später nehmen.“

Und dann schwiegen wir beide.

„Mit Handy wäre das nicht passiert“, sagte der Doktor im Hintergrund. Und mit einem kurzen Lachen fügte er hinzu: „Pardon, der Werbespot musste sein.“

Langsam ging sie zu ihrem Sessel und ließ sich hineinfallen.

Der Magier kam heran, blieb zwischen uns stehen und sagte sanft: „Wie ärgerlich! Ein Missverständnis. Aber was soll‘s: Ihr habt eine zweite Chance! Ich geb euch eine Nacht. Aber dann müssen Sie, Herr Kommissar, wieder zu dem scharfen Burschen von damals werden. Kommen Sie. Ich werde Sie jetzt verjüngen. Treten Sie ein in meine Zauberkabinen und kommen Sie als junger Mann wieder …“

„Bitte, tu es!“ hörte ich Katrin sagen.

Ich betrachtete sie. Knallrote Lippen, künstliche Wimpern, dunkle Augenlider.

Meine Katrin? Niemals. Eine traurige Lüge, die armselige Hochstapelei einer alten Frau, die sich mit der Wirklichkeit nicht abfinden konnte.

Sie täte mir leid, sagte ich schließlich, aber ich hätte kein Interesse.

Sie sprang auf, warf den Kopf in den Nacken und ging aus dem Zimmer.

Der Doktor wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, dann meinte er: „Prachtvoller Abgang, was?“

„Ich habe ein paar Fragen an Sie“, sagte ich.

„Achja, der Herr Kommissar, er muss seine Arbeit tun. Mann, Sie sind doch pensioniert! Erleben Sie lieber noch was, bevor der große Abgang kommt. Schon gut, ich werde Ihre Fragen beantworten. Gestatten Sie mir zuvor ein paar prinzipielle Bemerkungen. Sehen Sie das Gebäude da drüben? Die Kunstakademie?“ Er zeigte zum Fenster. „Ein Ort der Kreativität. Aber was heißt bei Künstlern Kreativität? Sie äffen bloß die Wirklichkeit nach, und wenn sich ihre Kunst noch so revolutionär gibt, es bleibt im Kern alles beim Alten. Aber wie wäre es, wenn jemand tatsächlich eine neue Wirklichkeit schafft? Der wäre echt kreativ, und der, mein Lieber, bin ich! Ich kann es! Neue Kreaturen, eine neue Schöpfung. Aber sind die Menschen bereit dazu? Nicht mal Sie sind es, Herr Kommissar, und hätten damit doch die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen.. Lieber glauben die Menschen an Magie. Gut, sollen sie es für Illusion halten, ich habe meinen Spaß dabei. Da unten lacht das Publikum und oben lach ich über sie. Zu komisch, was?“

Ich wollte etwas sagen, er redete sofort weiter:

„Aber die Zeit kommt, dann wird die Menschheit meine Entdeckung nutzen. Sehen Sie, wie jung ich bin. Dabei bin ich so alt wie Sie. Verjüngen, verwandeln, ja, sogar Totes lebendig machen.. Das kann meine Technik, und diese Technik werden die Menschen eines Tages nutzen, das ist nicht aufzuhalten. Ich bin der Zeit voraus, das ist alles.“

Was soll das Gerede, dachte ich. Er hat Blut an den Händen. Möge er tausend Mal ein genialer Wissenschaftler sein, er hetzte eine Bestie auf den Journalisten und ließ ihn töten.

Und darum sagte ich: „Sie lügen. Ihnen geht es in Wahrheit nur ums Geld. Sie haben den Journalisten umgebracht. Er war hinter Ihr Geheimnis gekommen. Und Sie befürchteten, er bringt es an die Öffentlichkeit. Dann wäre Schluss gewesen mit Ihrer Magie! Schluss mit Ihren Vorstellungen! Technik, bloße Technik, was ist das schon, wir haben uns längst an ihre Wunder gewöhnt…“

Den Kopf schüttelnd, machte der Doktor mehrmals „tzztzzz“.

„Offenbar habe ich Ihre Intelligenz überschätzt. Mann Gottes! Ich lade einen kleinen Kriminalbeamten ein, mit mir einen Triumph der Wissenschaft zu teilen und er reagiert wie ein Erbsenzähler. Geld! Dass ich nicht lache. Ich kann Millionen aus der Kabine zaubern... Außerdem war das mit dem Journalisten gar nicht meine Idee, sondern Katrins. Ich sollte Sie durch Spurenlegen zu uns bringen. Eine Art Schnitzeljagd. Und sagen Sie selbst: Wie anders als mit einem Mord kann man Ihr Interesse wecken?“

Wir sahen uns in die Augen. Er lächelte.

„Eigentlich sind Sie der Mörder, zumindest aber die Ursache des Mordes.“

Ich nahm den Hut und stand auf.

„Wissen Sie was? Ich bring Sie in den Knast.“

„Freut mich.“ Höflich begleitete er mich zur Tür und öffnete sie. „Auf Wiedersehen.“


In der U-Bahn sieht man stumm vor sich hin, man schwankt mit den anderen im Takt der Bahn hin und her, das Tunnelrauschen ist ein buddhistisches Gebrumm, man versinkt in Trance.

Und ich sah den Waggon gefüllt von Wesen, die sich verwandelten. In Elche, Hühner, Schmetterlinge. In Rosenstöcke, Bäume, Flüsse und Berge.. In Wesen, wie es sie noch nie gab, mit Eigenschaften, die es noch nie gab.

Am nächsten Bahnhof entleerte ich meinen Magen in einen Papierkorb.

Zuhause beruhigte ich mich. Ich sah mir einen Action-Film an. Explosionen, Autojagden, Schießerein. Man sieht es und kommt dabei auf andere Gedanken..

Dr. Fürst hatte mir sein Geheimnis verraten, weil er wusste, ich kann es nicht an die Öffentlichkeit bringen. Mir würde keiner glauben. Es würde heißen: Guck mal, der Alte hat einen Knacks. Kommt nicht klar mit seinem Ruhestand. Und selbst wenn … Es ist die alte Geschichte. Man hat Indizien, eine perfekte Theorie - aber wo sind die Beweise, wo denn? Indizien sind keine Beweise. Alles nur Spekulationen. Hirngespinste. In den Papierkorb damit.

Und während ich so halb im Traum nach einem Weg aus der Sackgasse suchte, klingelte es an der Wohnungstür.


Durch den Spion erkannte ich einen Mann mit Schnauzer, schwarzem Haar, dunklen Brauen. Heller Maßanzug, braunes Hemd, der Schlips ziemlich geschmacklos, ein giftiges Grün. Er hielt in der Hand eine Flasche, eine Sektflasche.

Ich öffnete die Tür einen Spalt. „Was wollen Sie?“

Der Mann blinzelte, zog mit der freien Hand langsam den Schnauzer ab, dann die Brauen und als er die Perücke abgenommen hatte, entfuhr mir ein Seufzer.

Schon wieder was Verrücktes! Der Mann musste sein Gesicht weggenommen haben, denn darunter erschien eine Maske. Es konnte nur eine Maske sein. Und was für eine: die Maske des Journalisten.

Bevor ich etwas sagen konnte, marschierte er an mir vorbei schnurstracks ins Wohnzimmer.

„Komm, lass uns auf meinen Tod einen heben!“

Seine Stimme tremolierte wie die des Anrufers, doch jetzt, im Original, wusste ich, er hatte mich angerufen. Dieser Kerl, der sich vor meinen Augen für den toten Journalisten ausgab. Aber... Nur der Journalist kannte meine Wohnung und nur er hatte die Eigenart, sofort ins Wohnzimmer zu marschieren. Er war eine meiner besten Nachrichtenquellen. Also war der Mann hier wirklich der Journalist oder zumindest sein Gespenst.

Ich setzte mich, hörte, wie das Gespenst an den Glasschrank ging. Gläser klirrten, ein Korken sprang auf, es zischte, dann klopfte er mir auf die Schulter: „Na los, sauf Brüderchen!“

Ich nahm ihm das Glas ab. Er warf seinen Kopf hoch und trank. Seine Kehle war weiß wie Schneewittchen.

Als er mich noch immer im Sessel sitzen sah, das Glas in der Hand, ihn anstarrend, lachte er auf und sagte: „Beruhig dich, ich erklär dir alles… Aber jetzt sauf endlich! Ist ja nicht mit anzusehen, wie Berlins bester Schurkenjäger da hockt, als hätte er die Hosen voll!“

Ich nahm einen Schluck und fragte: „Wie hat er das geschafft?“

„Menschenskind, du kennst ihn doch. Er kann alles. Nicht mich hat dieses Tier am Hals gehabt, sondern meinen Klon!“

„Er ist der Teufel“, murmelte ich.

„Ja, könnte man sagen. Weißt du, das Buch mit dem Roman lag in meinem Briefkasten, darin seine Visitenkarte, und als ich das Buch las – verrücktes Ding, was? – musste ich zu ihm hin, das war doch klar, und ich sage dir, was er dann vor meinen Augen abzog, oha – das hatte was Teuflisches, echt. Aber alles erklärbar! Technik, Wissenschaft … Nein, Herzchen, kein Teufel, er ist ein genialer Wissenschaftler. Der größte unseres Jahrtausends! Wetten?“

„Und das hast du nicht in die Zeitung gebracht? So eine Jahrtausendstory!“

„Hätte mir doch keiner abgenommen.“ Er goss sich ein, trank, ging hin und her. „Weißt du, für mich passte einfach alles zusammen. Ich hab Schulden, du hast ja keine Ahnung wie viel, die Klatschgeschichten hängen mir zum Hals raus, und da schlägt er mir ein Geschäft vor. Ich solle verschwinden. Na, das ließ ich mir nicht zweimal sagen.“ Er ging ins Bad, redete bei offener Tür weiter. „Ich hau ab nach Kalifornien. Zuerst dachte ich an Marokko. Aber in Kalifornien haben die Mädels knackigere Ärsche.“ Maskiert wie an der Tür kam er aus dem Badezimmer. „In drei Stunden geht mein Flug. Zuvor krieg ich das komplette Verjüngungsprogramm, bis runter auf zwanzig, und ein neues Gesicht, neue Papiere. Jetzt muss ich aber los… Leb wohl, alter Junge.“ Vor der Wohnungstür machte er kehrt. „Verdammt. Das hätte ich beinahe vergessen.“ Er drückte mir einen abgerissenen Zeitungsrand in die Hand. „Hat mir seine Frau zugesteckt.“

Die Tür fiel ins Schloss. Ich las:

„Den Mord habe ich nicht gewollt! Sei vorsichtig!“

Ich füllte mein Glas und trank es aus. Im nächsten Augenblick wollte ich es nach russischer Art hinter mich werfen. Aber dann goss ich nach und trank, und das tat ich so lange, bis die Flasche leer war.

Dann schmiss ich mich aufs Bett. Da lag ich. Betrunken, aber hellwach.

Auf dem Nachttisch erblickte ich den Roman „Der Meister und Margarita“. Warum ist der Teufel nicht im Titel? Er ist schließlich die zentrale Figur der Geschichte. Und auch heute, 70 Jahre später und nicht in Moskau, sondern hier in Berlin ist es ein Teufel, ein Teufel in Menschengestalt.

Aber was hatte ich damit zu tun?

Ich begann das Buch zu lesen.

Mein Gehirn war außer Funktion. Ich begriff nichts, nicht mal die einfachsten Sätze. Dann fiel mir das Buch aus den Händen, ich knipste die Lampe aus und schlief sofort ein.

Nachdem ich am nächsten Tag beim Frühstück im Radio die Nachrichten gehört hatte, war ich, den Mantel im Gehen anziehend, sofort losgestürmt.

Niemand soll behaupten, ich hätte es nicht versucht!

Im Tiergarten hatten sie Abdrucke eines Panthers gefunden und – kluge Köpfchen, meine Kollegen – den Panther des Magiers verdächtigt. Sie suchten ihn auf, er zeigte ihnen das Tier. Der Panther war handzahm, sie hätten ihn streicheln können, außerdem könne so ein Tier unmöglich das Hotel verlassen, ohne bemerkt zu werden...

Sie hatte vergessen, nach dem Hund zu fragen!

Eine halbe Stunde später war ich im Polizeipräsidium. Mein ehemaliger Chef bot mir eine Tasse Kaffee an und ein Stück von seinem Lieblingsgebäck: Lebkuchen. Nein, danke, ich war aufgeregt, ich legte los.

Seinen schläfrig-lauernden Blick unter den dicken Lidern kannte ich, wie oft hatten wir über dieses Krokodil gewitzelt, aber diesmal machte es mich nervös.

Seine Stimme hatte einen öligen Ton, als er mich unterbrach: „Schon mit dem Krimi angefangen? Sie wollten doch was schreiben … Wissen Sie, wir alle sind mächtig neugierig!“

Ich bemerkte, ich sei erst seit ein paar Tagen im Ruhestand. Und dann passierte mir ein Witz, aber ungewollt. Ich sagte: Der Hund liege im Hund begraben! Der Panther sei nämlich der Hund! Warum haben die Kollegen nicht nach dem Hund gefragt? Denn wenn der Hund da ist, ist der Panther nicht da. Und wenn der Panther da ist, ist der Hund nicht da. Der Doktor sei ein Manipulator, sagte ich, kein Magier, er besäße die Technik, man müsse die Zauberkabine durch Fachleute, Wissenschaftler prüfen lassen. Der Mann sei ein ungeheuerlicher Verbrecher… genauer gesagt, ein verbrecherisches Ungeheuer!

Das Krokodil tunkte ein Lebkuchenstück in den Kaffee, biss ab und sagte kauend: „Ja, gute Idee, machen wir, aber sicher. Soll ich Ihnen einen Wagen rufen und der fährt Sie nach Haus? Oder wollen Sie woanders hin?“

Sein linkes Augenlid ging langsam hoch. Das passiert, wenn er ungeduldig wird, und da war mir klar, es war sinnlos. Die können sich das Unvorstellbare nicht vorstellen, aber ich… ich habe es gesehen.

Beim Hinausgehen drehte ich mich um und sagte: „Übrigens, der ermordete Journalist ist ein Klon!“

Er sah mich mit offenem Mund an, aber als ich ein Auge zukniff, lachte er schallend.

„Sie haben mich die ganze Zeit auf den Arm genommen, was?“

Ich grinste. Dann ging ich. Ich habe getan, was ich konnte.

Als ich nach Hause kam, fand ich im Briefkasten den Brief einer ehemaligen Kollegin. Von meinem Abschied hatte sie in einer Hausmitteilung gelesen. Dem Brief lag ein Gruppenfoto aus meiner Ausbildungszeit bei. Ich erkannte jeden, bloß einen jungen Mann nicht. Sehr ernst und korrekt gekleidet in Schlips und Anzug stand er in der letzten Reihe. Wer war das? Darum rief ich sie an.

Sie lachte, ich sei das.

Danach saß ich einen Moment wie vor den Kopf geschlagen.

Ich hatte mich nicht erkannt.

Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich in der Vergangenheit gewesen bin, wie ich gelebt habe. Ich sah mich bei der Arbeit, erinnerte mich an die Fälle, die ich löste, an jede Einzelheit erinnerte ich mich, aber ich konnte mich nicht sehen und da wurde mir klar, ich wusste mehr über das Aussehen und das Leben der Kriminellen als von mir und meinem Leben.

Aber jetzt war ich Pensionär. Jetzt gab es nur noch mich. Und ich dachte: Du hast nicht mehr viele Jahre vor dir, alter Mann! Jetzt denk mal an dich, beachte dich, nicht die anderen, achte auf jede Geste, jede Miene und auf jedes Gefühl. Gefühle…

Wo hatte ich in all den Jahren meine Gefühle gehabt?

Am nächsten Morgen wachte ich auf mit schwerem Kopf, ich hatte am Abend noch einiges getrunken. Nur langsam kam ich in Gang. Das Gruppenfoto fand ich zerrissen, auf dem Tisch, mitten in einem Sonnenstreifen. Das Auftauchen des Sonnenstreifens an dieser Stelle ist jedes Jahr das Zeichen, dass der Frühling angekommen ist. Ich warf die Fotoschnitzel in den Hausmüll und öffnete das Küchenfenster. Für eine Weile hielt ich mein Gesicht in die Sonne.

Den Kaffee machte ich besonders stark und während ich ihn trank, dachte ich kurz an „meinen Mordfall“. Er war für mich erledigt. Ich wusste, was auf der Welt kein anderer wusste und ich hatte meine Pflicht getan. Wenn die Welt zugrunde geht, ich habe keine Schuld daran.

Na, sie wird schon nicht zugrunde gehen.

Da klingelte es an der Wohnungstür.

Eine Vietnamesin. Ich hatte die Absicht, wortlos die Tür zu schließen, weil ich glaubte, sie wolle mir Zigaretten verkaufen, denn ich bin Nichtraucher. Da sagte sie leise: „Putzhilfe?“ Und ihr Gesicht zeigte eine so rührende Ergebenheit, dass ich innehielt. Und damit war ich verloren.

Meine Schwäche für Asiatinnen! Meine Kollegen zogen mich damit auf, aber ich mag nun mal diese sanften Gesichter, diese zarten Stimmen, diese weichen, schmiegsamen Körper.

Ich ließ sie herein. Nach wenigen Worten wurden wir uns einig. Sie könne auch gut kochen, sagte sie, und da ich für mittags noch nichts geplant hatte, schlug ich vor, es mir doch gleich zu zeigen.

Von Minute zu Minute wuchs zwischen uns ein stillschweigendes Einverständnis. Sie bat um Geld zum Kauf der Zutaten, sie wolle mir ein Gericht aus ihrer Heimat zubereiten. Ich gab ihr 50 Euro. Blieb sie weg, gut. Kam sie zurück, umso besser.

Kurz vor Mittag war sie wieder da mit zwei gefüllten Plastiktaschen. Für den Tisch verlangte sie eine weiße Tischdecke, um die Teller legte sie einen Kranz gelber Blumen und in die Tischmitte stellte sie zwei Kerzen. Das Essen, ein Fischgericht, war großartig. Ich spendierte eine Flasche Weißwein.

Später… Ich hatte in mir gegen Frauen einige Hindernisse aufgebaut. Vielleicht waren es auch Schutzwälle. Jedenfalls war seit München keine Frau in mein Innerstes eingedrungen. Aber sie schaffte es schon am ersten Tag. Wir verstanden uns ohne Worte, wir lachten über dieselben Sachen.

Den letzten Rest Misstrauen verlor ich, als wir uns liebten.

Es war ein langer auf- und abschwellender Genuss und mir war klar – zum zweiten Mal im Leben – ich wollte diese Frau bei mir halten. Wenn Behaltenwollen ein Teil echter Liebe ist, dann liebte ich diese Frau und zwar gleich am ersten Tag. Jetzt frage ich mich, ob sie mir nicht etwas in den Wein getan hatte.

Abends, um halb acht, verließ sie mich. Wir vereinbarten, dass sie jeden Tag für mich kochen sollte. Sie wollte kein Geld. Nicht jetzt, sagte sie.

In der Nacht schlief ich traumlos und tief.

Die Zeit drängt, meine Herren, ich weiß, meine Kollegen fahnden nach mir, und manchmal höre ich Geräusche an der Tür, das schreckt mich auf.

Ich will es kurz machen.

Fünf Tage später erwürgte ich sie. Aber von einem Mord kann hier nicht die Rede sein.

Ich will es erklären.

Ich hatte volles Vertrauen zu ihr. Aber es gab einiges, das irritierte mich. Als sie mir ihren Namen nannte, es klang wie Ti-Ma, wollte ich die genaue Schreibweise wissen, am einfachsten durch einen Blick in ihren Ausweis. Sie hatte keinen bei sich. Und als ich sie fragte, wo sie wohne, drückte sie mir ihren Zeigefinger auf den Mund. Auf mein Angebot, bei mir zu übernachten, ging sie nicht ein. Das könne sie nicht, nie könne sie das.

Jedes Mal verließ sie mich Punkt 19.30. Meine mehrfache Bitte, sie begleiten zu dürfen, lehnte sie ab.

Nach etwa einer Woche kontrollierte ich heimlich ihre Tasche. Ich fand weder einen Ausweis, noch sonst einen Hinweis auf ihre Adresse. Nicht mal einen Wohnungsschlüssel konnte ich finden.

Als sie mich eines Abends verließ, folgte ich ihr. Sie nahm die U-Bahn, stieg am Bahnhof Friedrichstraße aus und eilte auf geradem Weg zum Admiralspalast. Dort nahm sie einen Seiteneingang und verschwand im Aufenthaltsbereich der Künstler hinter einer Tür, ohne vorher anzuklopfen.

Ich versteckte mich. Im Hintergrund hörte ich, wie sich der Zuschauerraum füllte. Um 19.45 öffnete sich die Tür und die Gehilfen des Magiers rollten die Verwandlungskabine in Richtung Bühne. Etwa zwei Minuten später kam Dr. Fürst mit seinem Hund heraus und ging ebenfalls in Richtung Bühne.

Ich wartete. Dann prasselte fern im großen Saal Beifall auf.

Das Türschloss war schnell geöffnet. Ich trat in eine Künstlergarderobe. Spiegel, Schminktisch, davor ein Drehstuhl, Kleiderschrank, eine Kommode mit einer Vase, darin weiße, halb verwelkte Rosen, ein runder Tisch mit einer Wasserkaraffe und drei Gläsern. Zwei Stühle, eine Ledercouch.

Es gab keinen zweiten Ausgang, auch nicht in der Toilette mit der Duschecke.

Ob Ti-Ma hier als Putze arbeitete? Aber wo war sie?

Ich flüsterte ihren Namen. Sagte ihn laut. Rief ihn. Nichts.

Und dann fand ich im Schrank ihr fliederfarbenes Kleid.

Mein Herz krampfte sich, ich setzte mich.

So saß ich vielleicht ein paar Minuten, dann gab ich mir einen Ruck und ging aus dem Zimmer.

Ich habe gelernt, jedes Gefühl beim Tatort zurückzulassen und meine nächsten Schritte genau zu überlegen. So war es auch diesmal.

Sorgfältig schloss ich die Tür.

Auf der Friedrichstraße war ich schon so weit, mir vorzustellen, die Sache sei einem anderen passiert. Und ich dachte: Einen Hund in eine Frau verwandeln, damit sich ein anderer in sie verliebt – und ihm dann zeigen, was er da liebt: einen Hund.

Denn er wollte, dass ich es entdecke.

Das ist kein Mensch, das ist ein Ungeheuer.

Und ich beschloss, dem ein Ende zu machen. Ich wusste auch schon wie. Was dabei an Grausamkeit nötig war, wollte ich schnell tun.

Und das geschah am nächsten Tag. Alles lief ab wie gewöhnlich. Ti-Ma kochte, wir aßen, wir gingen ins Bett. Sie umarmte mich, ich blickte in ihre braunen Augen, sah ihre kleinen Ohrmuscheln, atmete die Wärme ihres Nackens, und plötzlich konnte ich es nicht tun.

Doch dann trafen sich unsere Zungen.

Und da erwürgte ich sie. Sie wehrte sich nicht. Sonderbar, nicht wahr?

Das Geräusch, das sie von sich gab, war kein Röcheln. Es war ein Winseln.

Oder bildete ich mir das ein?

Ich bitte festzuhalten: Sie war kein Mensch, sie war ein Hund, in der Gestalt eines Menschen. Eine Hündin, eine Hündin! Ich hatte eine Hündin geliebt. Ich tötete eine Hündin, nichts anderes.

Mir war jemand etwas schuldig. Ich rief ihn an. Eine halbe Stunde später legten zwei Möbelpacker die Leiche in eine Truhe. In einem Kleinlaster wurde sie wegtransportiert. Ich stand am Fenster und sah zu.

Am Abend ging ich zur Vorstellung von Dr. Fürst, ich saß ziemlich weit vorne. Als er mit den Eisbären auf der Bühne erschien und einen Labrador an der Seite hatte, war ich verwirrt, aber nur kurz, selbstverständlich hatte er sich sofort einen neuen Labrador zugelegt. Wahrscheinlich aus einer Apfelsine gemacht oder aus sonst was.

Kurz vor der Pause bemerkte ich zwei Männer am rechten Bühnenrand. Am gekrümmten Rücken und dem leicht geneigten Kopf des einen erkannte ich Lohmeyer. Demnach war, wie vereinbart, die Polizei alarmiert worden. Gut so. Offensichtlich hatte man die Leiche schon in der Garderobe des Magiers gefunden.

In der Pause verließ ich die Vorstellung. Ich wusste den Magier in guten Händen.

Während des Frühstückes am nächsten Morgen hörte ich die Nachrichten. Gleich zu Beginn berichtete der Nachrichtensprecher vom Fund einer Leiche in der Künstlergarderobe des Magiers Dr. Fürst. Ein anonymer Anrufer habe die Polizei alarmiert. Bei der Leiche handele es sich um eine erwürgte Frau. Zurzeit werde der Magier vernommen, er bestreite, die Tote gekannt oder sie jemals gesehen zu haben.

In den Mittagsnachrichten hieß es plötzlich, der Magier sei außer Verdacht. Das Video einer Überwachungskamera zeige zwei Männer, wie sie den Künstlereingang mit einer Truhe betreten. Minuten später seien sie mit der Truhe wieder herausgekommen.

Mein Plan war also doch noch gescheitert. Und bald würde man die Männer aufspüren, sie würden mich sofort verraten, ich kenne diese Kerle. Aber was soll’s.

Sie, meine Herren, wissen ja jetzt, was wirklich geschah.

Und jetzt sehe ich das Gesicht des lesenden Staatsanwalts vor mir.

Ich weiß, er würde mir noch gern einige Fragen stellen. Doch, Herr Staatsanwalt, ich sehe es Ihnen an. Würde mir ja genauso gehen. Also bitte, hier sind meine Antworten.

Ob ich sie wirklich töten musste? Aber, Herr Staatsanwalt, das war doch notwendig.

Er sollte nicht nur des Mordes überführt werden, nein, die Spurensicherung sollte auch die Kabine untersuchen. Aber hat sie es auch getan? Es wurde nichts Auffallendes entdeckt? Lassen Sie an die Kabine die Wissenschaftlern ran, sie werden Beweise für das wahre Verbrechen finden, und ich sage nicht zu viel: es ist ein Verbrechen an der Menschheit.

Nein. Ich bereue es nicht, nein.

Ja, stimmt, ich denke an sie. Immer.

Ja, doch, ich liebte sie. Und ich tötete sie.

Aber es war kein Mord. Ein Tier darf man töten, es hat keine Seele. Hören Sie! Die Frau hatte keine Seele!

Wissen Sie, was ich denke?

Er wollte mir beweisen, dass wir Menschen keine Seele haben. So ein Teufel ist er.

Aber wenn wir nun wirklich keine Seele haben, was dann? Was sind wir dann? Vielleicht doch nichts Besseres als ein Hund? Und was waren wir, bevor wir Menschen waren? In Hamlet (ja, ich bin ein Theaterfan, wer in Berlin ist es nicht), da sagt Ophelia zum König: ‚Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter, ach Herr! Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können.‘ Da haben Sie‘s, schon Shakespeare wusste Bescheid! Alles können wir gewesen sein. Und können bald wieder etwas anderes sein...

Ja, ja, ich habe sie geliebt. Teufel noch mal… Verstehen Sie, was das bedeutet? Zum zweiten Mal in meinem Leben liebte ich und wieder zum Narren gemacht.

Genug. Ich habe eine Pistole. Ich werde ihn töten. Und dann töte ich mich.

Nein, ich weiß nicht. Das Leben geht weiter, auch wenn ich tot bin. Das ist auch so eine Wahrheit. Das Leben. Keine Seele.. aber Leben! Wenn es etwas Bleibendes gibt, dann das Leben. Und wenn das so ist, warum soll ich das einzige Beständige an mir wegwerfen?

Andererseits: Wie anstrengend ist es doch, Mensch zu sein!

Ich habe da jetzt eine neue Idee. Sehen Sie, wie kreativ der Mensch ist! Mal sehen, was der Halunke dazu sagt, wenn ich ihm die Pistole an den Kopf halte.

Ich muss mich beeilen. Leben Sie wohl, meine Herren.

Nachspiel

Der Polizeipräsident telefoniert mit dem Leiter des Instituts für molekulare Genetik.


„Haben Sie die Diskette gelesen, Professor?“

„Ja.“

„Was halten Sie davon?“

„Der Mann ist ein Fall für die Psychiatrie. Doktor Fürst muss unbedingt geschützt werden.“

„Ist schon angeordnet. Allerdings … Er hat heute Morgen das Hotel ohne Angabe eines Ziels verlassen. Aber wir finden ihn. Vielen Dank, Herr Professor.“

„Keine Ursache.“

In einem Garten südlich von München. Ein sonniger Tag. In der Ferne die Alpen. Dr. Fürst, seine Gehilfen, Katrin und der Hund. Die Gehilfen heben ein Loch aus, setzen eine kleine Eiche hinein. Der Dicke hält sie fest, der Lange schaufelt Erde auf die Wurzeln. Katrin und Dr. Fürst sehen zu.


KATRIN: Hübsch. Er gefällt mir

Dr. FÜRST: Ja … Wir müssen die Erde noch festtreten. (geht stampfend um das Bäumchen)

KATRIN: Jetzt habe ich ihn doch noch bekommen. Und sogar jung.

Dr. FÜRST: Ja, sehr jung, und weglaufen kann er auch nicht mehr ... Du trägst heute Rock und Bluse?

KATRIN: Das hätte ich schon beim ersten Mal tragen sollen. Er mochte meinen Schottenrock. (Der Labrador schnuppert am Bäumchen, hebt das Bein.) Pfui, wirst du wohl … (scheucht ihn weg)

Die letzten Tage des Kommissars

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