Читать книгу Das gehäckselte Murmeltier - Dieter M. Hörner - Страница 3
ОглавлениеDas gehäckselte Murmeltier
„Hey Paulus, wir biken wieder, bist du dabei?“
„Freilich, wo fahrn ma hi?“
„In die Schweiz, wir machen eine Slow-Food-Tour.“
„Sschlo-Fuud – also ois langsam zamfuttern.“
„Ja, so ähnlich.“
„Ja, mei, schaun mer mal, ob dös was is. I bin dabei. Auf gehts, Buam.“
Ja, auf gings mit den Buam und Madels, auf in die Schweiz.
Rita und unser Herzensfreund Ralf (Sobo) hatten diese Slow-Food-Tour organisiert. Restaurants, die Slow Food anbieten, haben ausschließlich Gerichte aus der Region auf der Karte – um das hier mal ganz kurz und einfach zu klären. Ich selbst lege da ja keinen großen Wert darauf. Ich mag eine einfache und leichte Küche und während des Bikens reicht mir auch mal ein Stück Käse und eine Brezn dazu.
Rita ist ein überzeugter Slow-Food-Fan. Mit Rita unterwegs zu sein bedeutet, dass es keine Rast bei meinem (Dieters) geliebten McCafé gibt. McCafé bietet den bester Espresso aller Zeiten, ist aber eben McDonald‘s! Mit Rita absolut nicht zu machen. Näher als fünfhundert Meter geht sie nicht an einen McDonald‘s heran, dann setzt bei ihr die Schnappatmung ein. Sogar für eine kleine Pause musste es ein Slow-Food-Restaurant sein. Und überraschenderweise wurden wir am Maloja-Pass fündig. Ansonsten ist es wunderbar mit Rita zu touren. Sie ist enorm lebendig, sympathisch, lustig und für jeden Spaß zu haben.
Hattest du bereit einmal die Gelegenheit, bei einer Bestellung in einem Slow-Food-Restaurant dabei zu sein? Sehr spannend – und das geht schon bei den Getränken los.
Cola? Nicht aus der Region.
Wasser? Geht! Frisch von der hauseigenen Quelle. Super.
Kaffee? Hmmm, schwierig!
Espresso? Hallo?
Wein? Aber klar doch, die Trauben wurden selbst gepresst. Die gedeihen da drüben am Hang, sind selbstverständlich in der Region verarbeitet und die Holzfässer vom Küfer aus dem Ort. Das Glas der Flaschen kommt aus der regionalen Glaserei und die Korken ... :-)
Beim Essen wird es noch spannender. Das Gemüse ist hier aus der Region, ebenso das Brot und sogar der Ketchup. Sensationell.
„Lieber Wirt, was können Sie uns zum Essen empfehlen? Wir würden gerne etwas Typisches aus der Region essen“, fragt Rita nach ca. einer halben Stunde, die für die Getränkebestellung draufgegangen ist. „Wissen Sie, mein Begleiter kennt das noch nicht. Er ist Pizza gewohnt und ich möchte ihm zeigen, wie wunderbar die Slow-Food-Küche ist.“
Rita meint mich. Hat wohl mein Gesicht angesehen, als ich verzweifelt die Speisekarte nach einem mir bekannten Gericht durchsucht habe.
„Nun, meine Dame, da können wir ihnen heute die absolute Spezialität des Hauses anbieten, ganz frisch heute Morgen reingekommen“, sagt der sichtlich stolze Wirt.
Rita schaut mich mit großen Augen an. Dieser überzeugte Slow-Food-Blick signalisiert mir: Jetzt pass auf, du wirst begeistert sein!
„Was können Sie uns anbieten?“, fragt sie neugierig und voller positiver Erwartung den Wirt.
„Murmeltier!“, kommt stolz die Antwort.
„Murmeltier?“, erwidert Rita entgeistert.
„Ja, selbstverständlich aus der Region!“, erwiderte der Wirt mit sichtlichem Stolz. „Wissen Sie, die sind eine Plage, die vermehren sich so enorm. Wir haben da genügend in der Küche. Wie viele darf ich Ihnen bringen?“
„Murmeltier? Das kann man essen?“, frage ich nun sehr interessiert und schaue zu Rita, die sichtlich schockiert die Tischdecke betrachtet.
„Ja, das geht, aber es kommt auf die Zubereitung an, denn die Viecher haben ja nicht so viel Fleisch auf den Knochen. Es ist schwierig, das Fleisch von den Knochen zu bekommen! Und auch das Fell können wir nicht so ganz abziehen“, erläutert der Wirt eifrig.
Mein Blick geht wieder zu Rita. Sie hat den McDonald’s-Effekt und ist kurz vor der Schnappatmung.
„Ja, wie wird das dann zubereitet, dieses Murmeltier aus der Region?“, ist meine Frage.
„Gehäckselt! Das wird durch den Häcksler gejagt!“
„Gehäckselt?“, haucht Rita ganz leise.
„Ja, das servieren wir als Murmeltier-Gulasch. Sie müssen einfach ein bisschen aufpassen, dass Sie die Knochensplitter raussuchen“, antwortete der begeisterte Slow-Food-Murmeltier-Häcksel-Wirt.
„Ist auch ein bisserl Fell dabei?“, frage ich interessiert.
„Ab und zu, aber wirklich nicht viel“, ist die Antwort.
In diesem Moment bekomme ich von meiner lieben Petra einen festen Tritt vors Schienbein. Rita ist endgültig in die Schnappatmung verfallen und ich möchte ihr gerade erklären, dass sich nun sogar mir die Slow-Food-Philosophie erschlossen hat. Alles, was in der Region kreucht und fleucht, kommt in den Topf – zur Not gehäckselt, das geht immer. Eine gute Soße dazu. Passt! Vielleicht kann der Wirt auch ein paar köstlich panierte Heuschrecken dazu anbieten? Aus der Region versteht sich und ab damit in die Fritteuse.
Bevor ich loslegen kann, der nächste Tritt von meiner in dem Moment gar nicht lieben Petra. Der Tritt ist heftig und die Botschaft unmissverständlichen: Schnatter halten!
Wenn du Petra kennst, kannst du dir ihren Blick in diesem Moment vorstellen. Wenn nicht, will ich ihn mal so beschreiben: offen, klar und zielgerichtet!
Ich tat, als hätte ich ihn nicht bemerkt, wende mich an den Wirt und frage: „Wie lange dauert es, bis das gehäckselte Murmeltier fertig geschreddert ist?“
Bevor der Wirt antworten kann, lehnt sich Petra zu mir rüber, schaut mir tief in die Augen und sagt ganz leise und bestimmt: „Wenn du das bestellst, dann kannst du allein weiterfahren!“
Okay, ich gebe es ja zu, das Gemüse mit den Kartoffeln aus der Region schmeckt wirklich ganz hervorragend in diesem Slow-Food-Restaurant.
Und seit dieser Tour betrachte ich die Murmeltiere, die ich ab und an in den Dolomiten sehe und mich auch an die geradezu riesigen Exemplare erinnern, die mir bei meiner Himalaja-Tour begegnet sind, mit ganz anderen Augen.