Читать книгу Viktoria Kaminski Flüchtling aus einer anderen Zeit - Dieter Scharnhorst - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеSo wuchs die kleine Viktoria bei Mutter, Onkel und Pfarrer auf, und jeder im Dorf ließ es sie verächtlich spüren, dass sie ein Bastard war, auch ihr Onkel und der Pfarrer taten desgleichen.
Sie zog sich immer weiter in sich zurück, nur ihre Mutter gab ihr den nötigen Halt. Als sie größer war wollte sie endlich in Erfahrung bringen, wer eigentlich ihr Vater sei, aber auch jetzt waren noch immer die Lippen ihrer Mutter verschlossen.
Viktoria wurde früh zur Arbeit herangezogen und musste bald die leichten Pflichten ihrer Mutter übernehmen.
1930 kam sie mit sechs Jahren zur Schule und hatte auch dort kein angenehmes Leben. Sie litt unter der Lieblosigkeit und den schälen Blicken der Bewohner und Schüler ihres Dorfes. Aber durch ihre Schönheit, Klugheit und Liebenswürdigkeit war sie allen ihren Mitschülern ein Dorn im Auge und wurde dadurch noch mehr ins Abseits gestellt. Obwohl sie so ein schweres Schicksal hatte, blieb sie immer zuvorkommend, mitfühlend und bescheiden und träumte immer von einem Menschen, der sie liebt.
Die Jahre vergingen, und der Alltag von Viktoria bestand aus dem täglichen Schulbesuch, anschließenden Hausarbeiten bei ihrer Mutter und dem Onkel, und die anfallenden Arbeiten in der Pfarrei und Kirche wurden ihr auch noch aufgebürdet.
Es besserte sich für sie in keiner Hinsicht, auch nicht, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, ganz im Gegenteil, denn man wurde auch in dessen Dienst mit einbezogen, und es war auch Vorschrift, jetzt bei jeder Gelegenheit den rechten Arm zum Gruß zu heben. Als dann die Nazis voll die Macht übernahmen, wechselte der Pfarrer sein Gewand und es wurde schön braun. Durch ihre polnisch-jüdische Abstammung wurde für Viktoria, ihrer Mutter und dem Onkel das Leben immer unerträglicher.
In den Kriegsjahren und auch danach war für sie immer noch keine Besserung eingetreten. Der Onkel wurde eingezogen, kämpfte in Russland und fiel dort. Gerade als sich Viktoria mit ihrer Mutter auf der Flucht in den Westen befand, kam Brigitte bei einem Luftangriff ums Leben. Jetzt hatte sie das Einzige, das Liebste, ihre Mutter verloren. Viktoria war inzwischen 21 Jahre alt geworden, und mit einem Handwagen machte sie sich mit anderen Flüchtlingen auf den Weg.
In einem verlassenen Haus verschlief sie vor Erschöpfung die Weiterreise des gesamten Flüchtlingstrecks und war nun auf sich allein gestellt.