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2.

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Unjas Atmosphäre war atembar. Perry Rhodan öffnete den Helm, ließ die SERUN-Handschuhe einziehen und desaktivierte alle nicht notwendigen Systeme seiner Schutzmontur. Schon die Fernerkundungssonde hatte festgestellt, dass die Schwerkraft auf der Planetenoberfläche 0,82 Gravos betrug. Der massige, schwere SERUN behinderte ihn daher auch bei abgeschaltetem Antigravaggregat nicht besonders.

Im Schutz des Deflektorfelds folgte er mit der Sonne im Rücken einem Feldweg. Beim Landeanflug hatte er in dieser Richtung eine kleine Stadt gesichtet. Wagenräder hatten im schlammigen Boden tiefe Riefen hinterlassen, in der Wegmitte spross saftig grünes Gras mit leicht gezackten Halmen.

Die Route führte durch einen kleinen Hain. Als sich Rhodan dem Waldrand näherte, projizierte die Anzugpositronik zwei rote Punkte in sein Sichtfeld. Energieemissionen. Rhodan vermutete Cyborgs, verließ den Weg und suchte sich einen Pfad zwischen den Bäumen hindurch zum Waldsaum. Er schloss den Helm und spähte aus dem Schutz des Dickichts heraus mithilfe der Vergrößerungsfunktion seines Visiers nach vorn.

Dort erstreckte sich ein Feld, auf dem humanoide Gestalten arbeiteten. Sie waren schmal gebaut, hatten eine helle Haut und so gut wie farblose Haare, die beide Geschlechter lang und zu Pferdeschwänzen zusammengebunden trugen. Ihre Augen waren hell, statt Nasen hatten sie nur Atemschlitze. Sie trugen schlichte Kleidung, lange Hemden, welche die Arme bedeckten und bis zu den Knien reichten. Bei den Frauen wurde das Gewand mit einer schmalen Schürze gebunden, bei den Männern mit einem Gürtel oder einem Strick gehalten. Jeder trug ein Messer, das weniger Waffe als Werkzeug war und wohl auch als Essbesteck diente. Die Leute brachten die Saat aus und wirkten auf den ersten Blick recht zufrieden mit ihrem einfachen Leben.

Beim zweiten Blick irritierten die Cyborgs, die am fernen Rand des Felds standen. Sie beobachteten die Bauern – ohne sich zu rühren zwar, ohne sie anzusprechen, aber nichts schien ihnen zu entgehen. Die Feldarbeiter indessen ignorierten die Cyborgs.

Rhodan kniff die Augen zusammen. Taten die Bauern nur so, als wären die technisch modifizierten Lebewesen für sie nicht vorhanden, oder sahen sie sie wirklich nicht?

Eins wurde ihm jedenfalls klar: Arbeiter und Cyborgs mochten sich in der Hautfarbe unterscheiden, aber dem Körperbau und der Physiognomie nach zu schließen, gehörten sie der derselben Spezies an. Doch während die Bauern deutliche Geschlechtsunterschiede zeigten, wirkten die Hybridwesen völlig androgyn.

In einem weiten Bogen umging Rhodan die Wächter und Feldarbeiter. Er gelangte wieder auf den Weg, und bald sah er die Siedlung vor sich.

Eine Stadtmauer gab es nicht. Strohgedeckte Fachwerkhäuser reihten sich an Straßen aus gestampfter Erde, auf denen Regenpfützen standen. Karrenspuren zerfurchten die Oberfläche. Exkremente wurden kurzerhand in die offenen Abwassergräben gekippt. Als Rhodan in eine Gasse zwischen zwei Häusern huschen musste, um einem Cyborg auszuweichen, lag dort Unrat auf dem Boden. Auf den ersten Blick erinnerte alles an eine terranische Stadt des frühen Mittelalters.

Manches jedoch stimmte nicht – zusätzlich zu den Cyborgs. Die Stadt war übergangslos da gewesen, ohne vorgelagerte Gehöfte, die an der Straße lagen. Rhodan war keinerlei Zersiedlung der Landschaft aufgefallen. Vielmehr schien eine scharfe Trennung zwischen Siedlung, Kulturland und Landschaft zu herrschen. Rhodan drängte sich der Eindruck von Künstlichkeit auf.

Die Gasse erwies sich als Abkürzung zu einem belebten Platz. Unjaner zogen Karren mit Kisten und Säcken, die mit groben, sackleinenen Planen abgedeckt waren, Unjanerinnen trugen Körbe oder Krüge auf dem Kopf. In der Platzmitte stand ein Brunnen, an dem die Frauen Wasser schöpften – unter den wachsamen Augen eines Cyborgs, den sie in keiner Weise wahrzunehmen schienen.

Die Unjaner grüßten einander, indem sie sich mit der Hand an die Stirn fassten, und oft blieben sie dann stehen, um miteinander zu plaudern. An den Cyborgs gingen sie vorbei, als wären sie nicht vorhanden.

Ein anderer Geruch trat Rhodan in die Nase. Garküchenstände am Rand des Brunnenplatzes verkauften kleine, warme Mahlzeiten auf die Hand. Als Rhodans Blick die Buden streifte, trat hinter einem der Stände eine düstere Gestalt mit graublauer Haut hervor. Der Cyborg verharrte im Schritt und drehte den Kopf genau zu Rhodan. Hatte das Hybridwesen ihn trotz des Deflektorschirms entdeckt?

Als es blitzschnell den linken Arm hob und aus einem Projektor am Handgelenk ein rotvioletter Blitz zu Rhodan herüberzuckte, dachte der Terraner nur noch: Ja, hat es.

Noch bevor der SERUN den Feldschirm aufbauen konnte, hüllte ein rotviolettes Leuchten Rhodan ein. Blitze tanzten über die Oberfläche des Raumanzugs. Der Terraner rechnete damit, paralysiert zusammenzubrechen oder das Bewusstsein zu verlieren, doch es geschah etwas ganz anderes: Mit einem Mal sah er seinen eigenen Schatten vor sich.

Rhodan war sichtbar geworden.

*

Der Cyborg wandte sich ab und ging mit steifen Schritten weiter, ohne Perry Rhodan eines weiteren Blicks zu würdigen.

Verwirrt sah der Terraner an sich hinab. Er war sichtbar geworden – und sämtliche bisherigen Holoanzeigen vor seinen Augen waren verschwunden. Er sprach die Positronik des Anzugs an – keine Antwort. Er drückte auf das Bedienfeld an der Armmanschette – keine Reaktion. Nach einigen weiteren Versuchen gab Rhodan auf. Sein SERUN war komplett ausgefallen, nur noch totes Gewicht. Nicht mal mehr sein Handstrahler funktionierte.

Er drückte sich an die Wand der Gasse, bemüht, nicht in die Haufen zu treten, die dort lagen. Aber niemand achtete auf ihn.

Der Cyborg blieb unvermittelt stehen und sprach einen Garküchenbetreiber an. Der Mann zuckte zusammen und schien das Wesen mit der blaugrauen Haut nun zum ersten Mal wahrzunehmen, wenn er es auch nicht direkt ansah. Der Unjaner zögerte, dann griff er in einen Korb auf der Tischplatte seines Verkaufsstands. Er nahm etwas heraus, das Rhodan ohne die Vergrößerungsfunktion seines Helmvisiers nicht erkennen konnte. Was auch immer es war, es zappelte in der Hand des Manns, und seine Bewegungen beschleunigten sich, als er es an den Mund führte und hineinstopfte. Mit mahlenden Kiefern kaute er.

Der Cyborg wandte sich einer Frau zu, die mit einem Kind an der Hand und einem Wäschekorb auf dem Kopf in diesem Moment an dem Stand vorüberging. Er befahl sie zu sich. Die Unjanerin blieb stehen. Ihre Schultern sackten ab. Sie setzte den Wäschekorb auf den Boden, sagte etwas und wies auf das Kind. Der Cyborg sprach wieder. Die Frau ließ ihr Kind los, trat auf den Essensverkäufer zu, der gerade schluckte, und schlug ihm ins Gesicht. Sie brüllte ihn an.

Die Sprache, die sie benutzte, war ein Dialekt des Yahounau. Rhodan empfand Erleichterung, eine Hypnoschulung der galaktischen Verkehrssprache erhalten zu haben. Ohne Anzugtranslator wäre er nun sonst aufgeschmissen gewesen.

Rhodan verstand nicht alles, was die Frau schrie, aber immerhin einige Wörter wie »Ungeheuerlichkeit«, »ekelhaft« und »kein Anstand«. Offenbar warf die Frau dem Verkäufer vor, was er auf Anweisung des Cyborgs getan hatte – und zwar ihrerseits auf Befehl desselben Wesens.

Der Verkäufer kam hinter seinem Stand hervor, und eine Rangelei brach los. Der Mann stieß die Frau, sie trat ihm gegen das Schienbein. Er brüllte auf und holte mit der Faust aus. Bevor er aber zuschlagen konnte, packte ihn der Cyborg am Handgelenk und drückte so fest zu, dass der Mann auf der Stelle erschlaffte. Mit der anderen Hand ergriff das Hybridwesen die Frau an der Schulter, und sie stellte ihre Angriffe sofort ein.

»Euer Verhalten ist eine Schande für euer Volk!«, verkündete der Cyborg mit Stentorstimme, die weit über den Platz hinaus zu hören sein musste. »BARIL ist enttäuscht von euch. Ihr seid vorläufig festgenommen. Haldukass der Weise wird über euch das Urteil sprechen.«

Der Cyborg setzte sich in Bewegung. Die beiden Unjaner zerrte er mit sich. Der Verkäufer ließ es gesenkten Hauptes geschehen. Die Frau sah nach dem Kind zurück, das verlassen neben dem Wäschekorb saß. Das Kind – Rhodan hielt es für ein Mädchen – kämpfte mit den Tränen, rührte sich aber nicht. Die übrigen Leute auf dem Platz, die das Geschehen schweigend verfolgt hatten, setzten fort, was sie zuvor getan hatten, nahmen ihre Gespräche wieder auf, als wäre nichts passiert. Das Mädchen senkte den Kopf, packte den Wäschekorb und zerrte ihn über den Platz.

Der Cyborg verschwand mit seinen Gefangenen in einer Straße. Rhodan konnte die Landkarte nicht mehr abrufen, die der SERUN erstellt hatte. Aber er war sich sicher, dass sein Ziel die dunkle Hälfte der Welt war, der Energieschirm, der sie abgrenzte.

Sollte er versuchen, dem humanoiden Maschinenwesen unauffällig zu folgen? Das Unterfangen wäre wohl zum Scheitern verurteilt. Selbst mit Deflektorschirm und Ortungsschutz hatte der Cyborg ihn entdeckt.

Was würde also geschehen, wenn Rhodan offen auf den Platz trat? Würde er ebenfalls verhaftet und auf die finstere Seite geschafft werden?

Rhodan schüttelte den Kopf. Er musste davon ausgehen, dass die Cyborgs vernetzt waren, eventuell sogar ein Kollektiv bildeten. Wenn einer ihn gesehen hatte, wussten alle von seiner Anwesenheit. Wenn sie ihn verhaften wollten, hätten sie es längst getan. Er runzelte die Stirn. Sein Angreifer hatte ihn seiner technischen Mittel beraubt – hatte ihn dadurch den Unjanern angeglichen.

Ließen sie ihn zufrieden, wenn er sich wie ein Unjaner benahm? Erhielt er dann Gelegenheit, unentdeckt an den Energieschirm zu gelangen und vielleicht eine Schwachstelle zu finden, die er ausnutzen konnte?

Rhodan zuckte mit den Schultern. Welche andere Möglichkeit blieb ihm schon?

*

Niemand störte sich daran, dass er den Platz überquerte. Die Unjanerinnen und Unjaner streiften ihn mit Blicken, doch niemand sprach ihn an. Er wurde nicht so indifferent ignoriert wie die Cyborgs. Es suchte aber auch keiner den Kontakt mit ihm, wohingegen die Planetenbewohner mit ihresgleichen recht herzlich umgingen. Ein wenig fühlte er sich wie ein Zwischenwesen, nicht Fleisch, nicht Fisch.

Am anderen Ende des Platzes, neben den Garküchenständen, traf er auf das Mädchen, das noch immer am Wäschekorb zerrte. Keiner der Umstehenden achtete auf das Kind, fast als wäre es ein Paria.

»Kann ich dir helfen?«, fragte Perry Rhodan.

Wäre die Kleine ein Mensch gewesen, hätte er sie auf sieben Jahre geschätzt.

Sie sah zu ihm auf, machte große Augen, schaute weg und schüttelte den Kopf. Schweigend zog sie den Korb in eine Gasse hinter den Garküchenständen.

Rhodan folgte ihr. »Ich will dir nichts tun«, beteuerte er, als sie allein waren.

Sie blieb stehen und drehte sich um. »Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, hau ich dich.«

Rhodan registrierte, dass sie nicht drohte, um Hilfe zu rufen. »Wie heißt du?«, fragte er. »Ich heiße Perry.«

»Kirul«, sagte sie leise, aber verständlich. Noch immer wich sie mit ihren blassen Augen seinem Blick aus.

»Was willst du denn mit dem Korb, Kirul?«, fragte er.

»Der muss zu uns nach Hause. Meine Mama wird dafür bezahlt, dass sie anderen Leute die Wäsche wäscht. Meine Mama heißt Rezil und ist die beste Wäscherin von Tenkra.« Sie klang stolz, aber Rhodan sah, dass ihr Kinn zitterte.

»Soll ich das nehmen?«, bot er an und streckte die Hand nach dem Korb aus.

»Aber das darfst du nicht. Dann bekommt meine Mama Ärger ...« Tränen rannen ihr die blassen Wangen hinunter, und sie sackte an der Hauswand auf den Boden. »Wir kriegen schon Ärger, weil ich ihn über den dreckigen Boden geschleift habe ...« Ihr Gesicht verkrampfte sich, und sie begann herzzerreißend zu schluchzen.

Rhodan musste schlucken, hockte sich neben sie und nahm Kirul in die Arme, soweit der SERUN es zuließ. Seine vorsichtige Berührung schien Kirul ein wenig zu beruhigen.

Sie löste sich von ihm und wischte die Tränen ab. »Meine Mama kriegt keinen Ärger mehr«, sagte sie bedrückt. »Sie ist jetzt weg.«

»Was wird aus ihr?«, fragte Rhodan.

»Sie kommt auf der anderen Seite vor Gericht und wird verurteilt. Wie alle, die von den Wächtern mitgenommen werden.«

»Und dann?«

»Entweder kommt sie wieder, oder sie kommt nicht wieder.« Ihr kamen wieder die Tränen. »Hätte sie sich doch bloß nicht gestritten! Man darf sich nicht streiten. Das wusste sie doch!«

»Aber der Wächter hat ihr befohlen, den Streit mit dem Verkäufer zu beginnen. Genauso, wie er dem Verkäufer befohlen hat, das Tier lebendig zu essen.«

»Ja. Das war eklig.« Sie grinste verstohlen.

»Unglaublich eklig.« Rhodan war froh, sie kurz von ihrer Trauer abgelenkt zu haben. »Wieso fängt denn jemand einen Streit an, wo doch jeder weiß, dass er dann bestraft wird?«

Kirul sah ihn ernst an. »Du weißt gar nichts, oder? Die Wächter bestrafen sonst eine ganze Stadt. Sie lassen Feuer vom Himmel regnen. Irgendwo auf Unja.«

Rhodan überlegte, ob die verbrannte Seite Unjas solch einer Strafaktion zum Opfer gefallen war.

»Hör zu«, sagte Rhodan. »Ich werde tun, was ich kann, um dir deine Mutter zurückzubringen. Aber dazu musst du mir verraten, wie man auf die finstere Seite kommt.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Och, das ist ganz einfach.« Kirul sprang auf. »Lass mich in Ruhe!«, schrie sie. »Mit deinen dunklen Augen und dunklen Haaren, bist du ein Teufel von der dunklen Seite? Fass mich nicht an, hab ich gesagt!«

Rhodan wich einen Schritt von ihr zurück. Er begriff, was Kirul vorhatte: Sie wollte dafür sorgen, dass sie verhaftet wurden. Auf die finstere Seite kämen sie dann allerdings. Nur nicht so, wie Rhodan im Sinn gehabt hatte.

»Sei still«, sagte er rasch. »So geht das nicht. Wenn wir selbst verhaftet werden, haben wir keine ...«

Rhodan spürte eine Bewegung hinter sich. Ein Cyborg war von hinten an ihn herangetreten und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Rhodan riss sich los. Es war nicht schwer, der Cyborg hatte ihn nicht sehr fest gehalten. Er stieß den Wächter, wie Kirul sie genannt hatte, von sich. Das humanoide Maschinenwesen prallte gegen die Häuserwand und wirkte benommen.

Rhodan fuhr zu Kirul herum und wollte sie packen, mit ihr fliehen. Doch das Mädchen hing ebenfalls im Griff eines Wächters, und Kirul fehlte die Kraft, sich zu befreien. Oder? Nein, sie versuchte es gar nicht erst. Sie wehrte sich nicht.

»Euer Verhalten ist eine Schande für euer Volk!«, rief Kiruls Wächter. Als Rhodan einen Schritt auf ihn zumachte, um dem Kind zu helfen, hob der Cyborg die andere Hand. »BARIL ist enttäuscht von euch.«

Das war der letzte Satz, den Perry Rhodan hörte. Ein Blitz aus dem Projektor am Handgelenk des Cyborgs traf ihn, weiß dieses Mal statt violett. Schmerz wallte auf und lief in Wellen durch seinen Körper, bis sein Bewusstsein sich erbarmte und ihn verließ.

Mission SOL 2020 / 10: Die gespaltene Welt

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