Читать книгу Die Ruhrpotters - Dietrich Bussen - Страница 5
3. Kapitel
ОглавлениеEdel sah Finn an. Der zuckte mit den Schultern, schüttelte so heftig und unübersehbar seinen Kopf, als ob er jedem unmissverständlich klar machen wollte, dass er mit der anstehenden Nachrichtenübermittlung nichts zu tun haben wollte. Edel flüsterte: «Ist ja gut», und sagte, dass es wohl am besten sei, wenn Finn und sie sich jetzt erstmal an der Suche nach Anton beteiligen würden. «Oder, Oma Schmitz?»
Deren spontane Zustimmung hatte sie einkalkuliert. Dann können wir in Ruhe überlegen, wie’s weitergehen soll, dachte sie.
«Aber ihr kommt in jedem Fall noch vorbei, heute, ob mit oder ohne Anton», rief ihnen Oma Schmitz nach. Hoffentlich mit, dachte sie und suchte nach einem Taschentuch. Ob der Finn was am Kopf hat, dass der so wackelt?, dachte sie, während sie sich die Nase schnäuzte.
«Auf jeden Fall», rief Finn.
«Dann is ja gut», murmelte Oma Schmitz.
Und wenn der’s nun noch mal versucht, weil er das nicht gefunden hat, was er sucht. Vielleicht mit Anton unterm Arm und ’ner Pistole in der Hand?, dachte sie. Dass er mich erpressen will. Geld her oder Hund tot. Dass ich mich geirrt habe, und es war doch nicht mein Neffe? Und ich ganz allein in der Wohnung, und die drei kommen erst wieder, wenn alles vorbei ist?
So ängstlich heute, meine Liebe? War doch sonst nicht deine Art, wenn ich mich recht erinnere. ‚Nur ruhig Blut’, deine Worte übrigens, erinnerst du dich?
«Richtig, ruhig Blut. Haste dir aber gut gemerkt», antwortete sie der Stimme.
Mein Gott, sie fasste sich an die Stirn, jetzt hör ich auch schon Stimmen und antworte auch noch drauf. Und wenn mich nicht alles täuscht, auch noch von meinem Verflossenen. Als ob er sich in meinem Hörteil eingenistet hätte. Hoffentlich kommen die Drei bald wieder, und der Spuk hat ein Ende.
So, und wie soll’s nun weitergehen?, stand auf den drei Gesichtern geschrieben, während sie auf das Tier sahen, das höchstwahrscheinlich Anton war.
Hoffentlich nich, dachte Finn. Ob Papa jetzt beten empfehlen würde, wie er das immer macht, wenn er nicht weiter weiß?
«Ich sag’s ihr nicht, auf keinen Fall, das bringe ich nicht.»
Klotz fuhr mit seinem rechten Arm so heftig durch die Luft, als ob er jeden Widerspruch schon im Voraus abwehren wollte. «Mir wird schon übel, wenn ich den da nur liegen sehe.»
Finn legte, so gut es ging, seine Stirn in Falten. «Aber genau, mit Schaum vor dem Mund und Augen …, zum Fürchten!» Nicht, dass die Trauerbotschaft an mir hängen bleibt, bloß das nicht, dachte er. Dann doch lieber beten oder die ganz radikale Lösung …, obwohl einbuddeln ...? Alles irgendwie Scheiße. Die Augen, echt zum Fürchten. Dann hörte er sich «verschone mich oh Herr» murmeln.
Was ist denn mit dem?, dachte Edel, jetzt fehlt nur noch, dass er mich fragt, ob ich …
«Hör mal, Edel», fuhr Finn fort, «du kennst Oma Schmitz doch am besten. Und mal angenommen, das ist ihr Hund. Könntest du nicht …?»
Hab ich’s doch geahnt, dachte Edel.
«Ich bin für Streichhölzer», sagte sie. «Machen wir doch sonst auch, wenn wir uns nicht einigen …»
«Edel», fuhr Klotz dazwischen, der das Verhängnis schon auf sich zukommen sah, «du hast ja recht. Aber wer spricht denn hier von nicht einigen. Speziell in diesem Fall… Ich meine, mal ganz sachlich, wie soll ich sagen, keiner kann so was so gut wie du, ehrlich. Das ist nun mal Fakt.»
«Genau», bekräftigte Finn, «da hat er recht. Das ist nun mal so. Du hast eindeutig das richtige …», er überlegte, «das absolut richtige Feeling für so was, verstehste?»
«Ich versteh nur, dass ihr Schiss habt. Aber was soll’s, einer muss es ja machen.» Wenn’s wirklich ernst wird, müssen eben wir Mädchen ran, wie immer, dachte sie und grinste.
Man, ist die cool, dachte Finn.
«Jeder für fast jeden», rief Klotz und machte zur Sicherheit auch noch das Victory-Zeichen, mit dem sie wichtige Abschlüsse besiegelten.
«Jeder für fast jeden», rief auch Finn, wenn auch nicht ganz so laut wie Klotz, und auch er machte das Finger-Vau. Ehe sie es sich noch anders überlegt, dachte er.
«Ja, ja, und ich für euch. Ist ja nicht das erste Mal.»
«Voll …», begann Klotz.
«Sag jetzt nicht krass Klotz. Ich kann’s nicht mehr hören, definitiv.»
Bei definitiv wird’s ernst, dachte Klotz und sagte mit Hochachtung in der Stimme und mit steinerweichendem Lächeln: «Voll …» – der wird doch nicht, dachte Finn – «voll cool, Edel. Das nächste Mal sind wir wieder dran. Kannste auf deine Festplatte …, du weißt schon. Also, du gehst jetzt zu Oma …»
«Das nächste Mal wäre dann jetzt», warf Edel, wie nebenbei, in den Raum, so, wie man einen Ball mit nun fangt mal schön, in die Luft wirft.
«Was soll das denn?» Finn sah man an, dass er Unheil witterte. Das ging auch alles viel zu glatt, dachte er. Sonst lässt die einen doch viel länger zappeln.
Auch Klotz spürte eine gewisse Unruhe. Sollten die Dinge sich etwa doch noch unangenehm entwickeln? Bei Edel weiß man nie, dachte er.
«Also, ich geh zur Oma.»
Bingo! Klotz sah man an, was er dachte: doppelbingo!
Gott sei Dank, Entwarnung, dachte Finn und schämte sich fast, dass er Edel irgendwelche hinterhältigen Tricks zugetraut hatte. Ausgerechnet Edel mit ihren …, ihren, und da fielen ihm nur ihre blauen Augen ein, die ja nun mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben, wunderte er sich.
«Ich überbringe also die Message, abgemacht ist abgemacht», - so ist sie, meine, er schluckte, unsere, unsere Edel natürlich, ging es Finn durch den Kopf – «und ihr bringt den Hund in einen ansehnlichen Zustand», fuhr sie fort.
Finn sah zu Klotz, und er sah, wie dessen Augen immer runder wurden und sich zusätzlich auch noch mit mehreren Fragezeichen füllten, und er dachte, was soll denn das jetzt, und beide sagten, wie aus einem Munde: «Was sollen wir?»
«Ihr besorgt einen ordentlichen Karton» – «Das mache ich», warf Klotz hastig ein. Man kann ja nicht wissen, was unsere Edel sonst noch alles auf Lager hat, dachte er – «und richtet Anton so her, dass Oma Schmitz nicht sofort in Ohnmacht fällt», erklärte sie weiter. «Waschen, bürsten, Augenlieder …, ihr wisst schon, und den armen Kerl wieder etwas in Form drücken. Na ja, eben das ganze Programm. Was man mit ’ner Leiche so macht, damit sie einigermaßen aussieht.» – Edel kannte sich aus. Ihr Vater hatte beruflich mit Leichen zu tun, als Bestattungsunternehmer. –
Die ist zum Fürchten, dachte Klotz.
«Mit richtig anfassen?» Finn wollte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte.
«Ihr könnt Anton auch in die Waschanlage bringen. Aber ohne anfassen?…, very difficult.» – Edel hatte in Englisch eine Eins. –
«Warum nicht gleich ausstopfen und einbalsamieren», zischte Klotz. Die tickt ja nicht richtig, dachte er.
«Wie wär denn Folgendes.» – Jetzt hat Finn wieder seine Grübelfalte und seinen schlitzäugigen Denkblick, dachte Klotz. Hoffentlich hat er auch wieder einen seiner berühmten Geistesblitze – «Also, Edel, dein Vater ist doch Profi in so was.» – Das fängt schon mal gut an, dachte Klotz. – «Wir legen unser Taschengeld zusammen» – und geht beschissen weiter, stellte er fest – «und beauftragen deinen …» Weiter kam er nicht.
«Na klar, wie hättest du es denn gern, Feuer- oder Erdbestattung, Standard oder Luxusausführung. Unter dem tut’s mein Vater nämlich nicht. Von der Kohle ganz zu schweigen.»
«Wieviel?», piepste Finn.
«Too much, verlass dich drauf.»
Too much is ’ne Menge, dachte Klotz. «Ja, und jetzt?» Klotz hoffte noch immer auf eine andere Lösung. Wenn’s sein muss auch ein kleines Wunder, nur ein klitzeklitzekleines, bitte. Ein Wunder für Anfänger sozusagen. Man ist ja bescheiden.
«Wie vereinbart, ich kümmere mich um Oma Schmitz und ihr versorgt Anton, was sonst?»
War wohl nix, dachte Klotz. «Wie wär’s denn», so schnell wollte er nicht aufgeben, «wenn wir sagen, dass wir Anton nicht gefunden haben. Ich meine, Mülltonnen stehen an jeder Ecke, oder?»
Cool, wollte Finn sagen, wurde aber von Edel’s «du tickst wohl nich richtig» überholt.
«Und warum nicht?», fragte er zaghaft nach.
«Weil das Kinderkram ist, und ich das Oma Schmitz nicht antue. Anton in ’ne Mülltonne! Auch wegen Anton nicht, nicht mit mir, never!»
Noch son Vorschlag von mir, und die erschießt mich, so wie die mich anguckt. Besser, ich geh’ in Deckung, dachte Klotz und hob seine Arme als Zeichen seiner bedingungslosen Aufgabe.
Dagegen kann man nicht viel sagen, dachte Finn. Ist eben edel, meine…unsere, unsere Edel natürlich.
«Dann man rann an die Buletten», gab sich Klotz endgültig geschlagen.
«Ich glaube, ich muss kotzen.» Finn’s Gesicht nahm eine bedenklich weiße Farbe an.
«Warum das denn?»
«Wahrscheinlich wegen deiner Buletten», klärte Edel ihn auf, wobei sie unauffällig auf Anton deutete.
«Ich will den doch nicht braten. Mensch Finn, du bist aber auch…»
Und nun kotzt der tatsächlich, knapp neben Anton. Hätte auch schlimmer kommen können, dachte Klotz. Ein paar Zentimeter weiter nach rechts…, prost Mahlzeit.
Männer, dachte Edel. Wenn’s drauf ankommt, Fehlanzeige und, dass den Finn das so den Magen stülpt (den Ausdruck hatte sie von ihrem Vater). Der Ärmste, dachte sie auch.
Dass er sich einen Einkaufsbeutel vom Supermarkt an der Ecke holen sollte, empfahl sie Klotz, wegen dem Abtransport. Sie würde solange bei Anton bleiben. Und bei Finn, fügte sie unhörbar hinzu.
«Alles Weitere bei mir zuhause. Wir haben die Hardware für so was.» Auf eine Leiche mehr oder weniger kommt’s da auch nicht mehr an, dachte sie. «Geht’s wieder, Finn? Übrigens, da fällt mir noch ein …» – Allah sei mir gnädig, was kommt denn jetzt noch? Klotz rechnete mit dem schlimmsten – «Aber, nee, nee, das berede ich lieber erst mit Oma Schmitz.»
Lass auch man lieber stecken, dachte Klotz, und er sagte, wobei er aussah, als ob er sich mit sehr bedeutsamen Gedanken beschäftigte: «Hardware…, eure Hardware, Edel …» Wieder machte er ein Gesicht, als ob eine folgenschwere Erleuchtung kurz bevor stünde. «Dein Vater macht doch auch Tierbestattungen.»
Edel nickte und verwies vorsichtshalber auf die bereits erwähnten Kosten.
«Ist gebongt Edel, out of discussion» – Klotz wollte Edel noch ein wenig mit Englischem erfreuen. Das könnte helfen, sie positiv zu stimmen, dass sie nicht sofort abwinkt, dachte er. -
«Ihr habt doch vielleicht die ein oder andere gebrauchte Kiste in euerem» – Sarg verschluckte er – «Lager und …»
Weiter kam er nicht.
«Ich glaube, dein Dachstübchen brennt», fuhr Edel dazwischen. «Glaubst du, wir buddeln die Teile anschließend wieder aus. Ich glaub’s nicht, wirklich.»
Jetzt hatte ich mit fuck you gerechnet, dachte Finn, während Klotz beteuerte, dass das ein Missverständnis sei. Er meine natürlich alte, alte Modelle, die nicht mehr so gefragt seien, Auslaufmodelle sozusagen.
«Wie im Sommerschlussverkauf?», warf Edel ein.
«Oder wegen Geschäftsaufgabe», steuerte Finn bei, dem entgangen war, dass Edel ihre Bemerkung mit ironischem Beigeschmack gewürzt hatte.
«Ihr habt keine Ahnung, wirklich, absolut nicht. Mein Vater hat nur hochwertige und entsprechend teure Modelle. Ich kann ja mal ’ne Besichtigung …» – Eilt nicht, dachte Klotz und Finn sagte: «Cool.» Er wollte seine Geschäftsaufgabe wieder ausbügeln.
«Also, ihr kümmert euch um das Outfit von Anton und um den Karton, und zwar ganz alleine, damit das klar ist. Ich hab schließlich genug mit meinem Dad zu tun, dass der keine Lunte riecht.» Alles klar?, wollte sie noch sagen, aber «Ach du Scheiße, in Deckung» von Klotz ließ sie verstummen.
Der zerrte Finn zu sich hinter den Busch, unter dem Anton lag. Finn kam ins Stolpern, sah sich schon auf Anton und seinem Erbrochenem landen, stemmte sich mit aller Kraft vom Boden ab und hatte Glück. Er prallte nur gegen Klotz. Und während Edel dachte, spinnen die jetzt total, erkannte sie den Grund für die heftige Aktion ihrer Freunde. Am Fenster von Oma Schmitz tat sich etwas. Ein Flügel bewegte sich.
Oh Gott, jetzt nix wie weg, und der da muss auch aus dem Blickfeld. Edel bückte sich, packte Anton an den Hinterbeinen und zog ihn hinter sich her zu den beiden anderen.
Sieht aus, als ob sie ’nen Teddy hinter sich herschleift, dachte Finn. Oder wie bei Elli, wenn sie mit ihrer Lumpenpuppe durch die Gegend schlürt. – Elli war seine fünfjährige Schwester. –
Dann sahen sie, wie Oma Schmitz sich aus dem Fenster beugte und den Kopf langsam hin- und herbewegte, als ob sie die Gegend nach irgend etwas absuchte.
Nun mal schön vorsichtig, dachte Edel. Immer schön ans Gleichgewicht denken, Oma Schmitz. Oh Gott, Oma, mach keinen Quatsch, halt dich …
Ach du Scheiße, Klotz starrte wie gebannt auf das Fenster, die kippt ja wirklich nach vorne weg, und er schrie: «Festhalten, festhalten Oma Schmitz, am Fensterrahmen.»
Die drei sahen sich an, Oma Schmitz hob ihren Oberkörper wieder in die Senkrechte, rief: «Ach ihr seid’s» und «warum schreit ihr denn so. Ist was mit Anton?»
«Da haben wir den Salat», flüsterte Edel, «und jetzt?»
«Plan B», flüsterte Finn zurück.
Klotz schüttelte den Kopf, öffnete seinen Mund und es entfuhr ihm ein lang gezogenes «Öhhhhh???»
«Das würde mich jetzt aber auch interessieren», murmelte Edel, drehte sich zu Oma Schmitz und rief: «Wir kommen gleich hoch.» Alles in Ordnung, wollte sie noch hinterher schicken, aber mit Blick auf Anton schien ihr diese Bemerkung unpassend.
«Und was ist mit Anton?»
«Gleich Oma Schmitz, gleich», rief Edel. Zeit gewinnen ist jetzt wichtig, dachte sie, aber wie?
Ach herrje, dachte Oma Schmitz und schloss das Fenster wieder.