Читать книгу Über Umwege zum Lehrberuf - Dilan Aksoy, Mirjam Kocher - Страница 6

Оглавление

3Berufsleute als Lehrpersonen: Die Studie in Kürze

Die Befunde, die in diesem Band präsentiert werden, basieren auf dem von der Pädagogischen Hochschule PHBern finanzierten Projekt «Berufsleute als Lehrpersonen», das im Zeitraum zwischen 2013 und 20151 durchgeführt wurde. Ziel war, diplomierte Lehrpersonen mit und ohne Vorberuf einige Jahre nach der Diplomierung zu befragen und hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer beruflichen Entwicklung miteinander zu vergleichen. Konkret wurde untersucht,

–wie kompetent sich die Lehrpersonen gegenüber den Anforderungen des Lehrberufs fühlen, als wie beanspruchend sie die verschiedenen Berufsanforderungen wahrnehmen und wie wichtig sie ihnen sind,

–wie zufrieden und belastet sie mit dem Lehrberuf sind und von welchen Faktoren dies abhängt, sowie

–ob sie im Lehrberuf verblieben sind oder ihn inzwischen wieder verlassen haben und welche Gründe allenfalls zum Ausstieg aus dem Lehrberuf beigetragen haben.

Hinsichtlich dieser Fragen wurden die Lehrpersonen mit und ohne Vorberuf miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Lehrergruppen analysieren zu können. Nur bei den Berufswechslerinnen und Berufswechslern wurde zudem in Interviews erfragt,

–welche Herausforderungen sich ihnen in den ersten Berufsjahren als Lehrkräfte stellten,

–welche Bedeutung sie in ihrer Vorberufserfahrung für die Arbeit als Lehrperson sehen und welche Kompetenzen, die sie in ihrem Vorberuf erworben haben, sich aus ihrer Sicht in den Lehrberuf übertragen liessen.

3.1Vorgehen und Stichprobe

Zur Untersuchung der Forschungsfragen war es zentral eine Stichprobe zu finden, anhand derer Lehrpersonen auf dem zweiten oder späteren Bildungsweg mit solchen verglichen werden konnten, die den Lehrberuf als Erstberuf erlernt hatten. Da die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Bern auf eine lange Tradition von Angeboten für Berufswechslerinnen und Berufswechsler zurückblicken kann, bilden die Berner Absolventinnen und Absolventen eine vielversprechende Stichprobe für solche Fragen. Nachdem im Rahmen der Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung die Maturität als Qualifikationsbedingung für den Einstieg ins Lehramtsstudium festgelegt worden war (EDK, 1999a; EDK, 1999b), wurde an der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Universität Bern (LLB) das allgemeinbildende Studienjahr für Berufsleute etabliert, das Personen ohne Matura auf die Aufnahmeprüfung vorbereitete. Im Jahr 2005 nahm die PHBern ihren Betrieb auf und übernahm diesen sehr beliebten alternativen Zugangsweg, der im Laufe der Jahre für verschiedene Zielgruppen diversifiziert wurde und unter der Bezeichnung «Vorbereitungskurs» bis heute Bestand hat. Aufgrund dieses intensiv genutzten Angebots umfassen die Absolventinnen und Absolventen der LLB wie auch der späteren PHBern traditionellerweise einen hohen Anteil von Lehrpersonen auf dem zweiten oder späteren Bildungsweg. Genaue Zahlen zum Anteil der Personen mit Vorberuf an der Gesamtzahl der Absolventen konnten allerdings im Vorfeld nicht eruiert werden.

Ziel der Studie war, sämtliche Absolventinnen und Absolventen zu kontaktieren, die zwischen 2004 und 2007 ein Studium als Volksschullehrpersonen an der PHBern oder an ihrer Vorgängerinstitution LLB abgeschlossen hatten. Die Adressenrecherche erwies sich als herausfordernd. Erschwert wurde die Vollerhebung dieser Kohorten dadurch, dass die Absolventenlisten zum Erhebungszeitpunkt im Jahr 2014 aufgrund der diversen Institutions- und Systemwechsel nicht mehr in allen Fällen eindeutig nachvollziehbar waren. Schliesslich konnten die Adressen von 912 Absolventinnen und Absolventen der Diplomjahrgänge 2004 bis 2007 ausfindig gemacht werden.

Um die obigen Forschungsfragen zu beantworten, wurden in einem ersten Schritt Fragebögen an alle 912 Absolventinnen und Absolventen versandt. In einem zweiten Schritt wurden mit einer ausgewählten Stichprobe Leitfadeninterviews durchgeführt.

Fragebogenerhebung

Der Fragebogen umfasste neben den demografischen Angaben Fragen zur aktuellen beruflichen Tätigkeit, der Berufsbiografie, sozialen Unterstützung, beruflichen Belastung und Zufriedenheit, zu den allgemeinen und lehrberufsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen, Persönlichkeitsmerkmalen, den Einschätzungen der verschiedenen Berufsanforderungen sowie bei Berufsausstieg zu den Ausstiegsgründen. Die Details zu den verwendeten Instrumenten sind in der Skalendokumentation (Bauer, Hostettler, Troesch, & Aksoy, 2015) beziehungsweise der Itemdokumentation (Troesch & Bauer, 2015) nachzulesen.

400 Personen retournierten den ausgefüllten Fragebogen, was einem Rücklauf von knapp 44 Prozent entspricht. 316 davon waren Frauen (79 Prozent), 84 Männer (21 Prozent), mit einem Durchschnittsalter von gut 34 Jahren. Während 250 Personen (62,5 Prozent) angaben, den Lehrberuf als Erstberuf erlernt zu haben, gaben 144 Personen (36,5 Prozent) mindestens einen Vorberuf an (bei sechs Personen konnte keine genaue Zuordnung vorgenommen werden). Tabelle 1 zeigt das Spektrum der Vorberufe.

Tabelle 1: Art der Vorberufe der Berufswechsler und Berufswechslerinnen im Projekt «Berufsleute als Lehrpersonen» (N = 144)

Beruf gemäss Nomenklatur des BFS (2003)Anzahlin %*
Berufe des Managements und der Administration, des Bank- und Versicherungsgewerbes und des Rechtswesens5533,5
Gesundheits-, Lehr- und Kulturberufe, Wissenschaftler3923,8
Produktionsberufe in der Industrie und im Gewerbe (ohne Bau)2615,9
Technische Berufe sowie Informatikberuf1811,0
Berufe des Gastgewerbes und Berufe zur Erbringung persönlicher Dienstleistungen95,5
Handels- und Verkehrsberufe74,3
Land- und forstwirtschaftliche Berufe, Berufe der Tierzucht31,8
Berufe des Bau- und Ausbaugewerbes und des Bergbaus21,2
Gesamt164100

*100 % = Gesamtzahl der Abschlüsse, Mehrfachnennungen pro Person möglich

Unter den Lehrpersonen mit Vorberuf gab es deutlich mehr Männer als in der Gruppe der Lehrpersonen im Erstberuf (vgl. Abbildung 2).


Abbildung 2: Befragte nach Vorberuf und Geschlecht

Interviews

Im Fragebogen hatten die Befragten die Möglichkeit anzugeben, ob sie bereit wären im Rahmen eines persönlichen Gesprächs weitere Auskünfte zu ihrer beruflichen Laufbahn zu geben. 135 Personen erklärten sich dazu bereit; daraus wurden 23 Personen mit Vorberuf für die Interviews ausgewählt. Kriterien für die Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner waren eine möglichst ausgewogene Verteilung bezüglich des Berufsverbleibs im Lehrberuf, des Geschlechts und der Schulstufe. Zudem wurden entsprechend der Verteilung der Vorberufe in der Gesamtstichprobe zur Hälfte Personen mit kaufmännischem Hintergrund ausgewählt, während bei der anderen Hälfte angestrebt wurde, ein möglichst breites Spektrum der angegebenen Vorberufe gemäss Tabelle 1 abzudecken. Schliesslich wurden 13 Frauen und zehn Männer interviewt; das Durchschnittsalter lag bei 40.8 Jahren. Vierzehn Personen (davon acht Männer) waren zum Befragungszeitpunkt noch im Lehrberuf tätig, neun Personen (davon zwei Männer) hatten ihn wieder verlassen.

Die Interviews wurden anhand eines Leitfadens durchgeführt, der zwar die zu erfragenden Themen vorgab, aber Raum liess für einen individuellen Gesprächsverlauf sowie für zusätzliche Nachfragen. Hauptfokus der Interviews lag auf den erinnerten Erfolgserlebnissen und Herausforderungen in den ersten Berufsjahren sowie auf der Frage, ob Ressourcen und Kompetenzen aus der Erstausbildung und dem Vorberuf als hilfreich erlebt wurden. Als Erinnerungshilfe konnten Meilensteine und wichtige Eckdaten schriftlich auf einem Zeitstrahl festgehalten werden; dieser wurde nur für das Gespräch und nicht für die Auswertungen verwendet.

Die Gespräche dauerten jeweils rund eine Stunde. Sämtliche Interviews wurden transkribiert und nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, 2003; Kuckartz, 2014) ausgewertet; diese Methode verwendet inhaltliche Kategorien, um die Interviewaussagen in eine Übersicht zu bringen und zu verdichten. Die Kategorien wurden zunächst theoriegeleitet festgelegt und anschliessend anhand des Interviewmaterials ergänzt, erweitert und angepasst.

3.2Theoretisches Rahmenmodell

Das nachfolgend erläuterte Rahmenmodell (Abbildung 3, S. 25) soll dazu beitragen, die Zusammenhänge zwischen den in der vorliegenden Studie untersuchten Konstrukten zu illustrieren und die Verbindung zum Forschungsfeld Berufswechsel herzustellen. Es orientiert sich stark am Beanspruchungs-Belastungsmodell von Rudow (1994), das differenzierte Aussagen zu den Bedingungsfaktoren wie auch zu den Konsequenzen der beruflichen Belastung und Beanspruchung von Lehrpersonen zulässt. Die berufliche Beanspruchung ist ein zentrales Element in der professionellen Entwicklung von Lehrpersonen, denn sie wirkt sich auf das berufliche Wohlbefinden, die Berufszufriedenheit und -belastung aus, beeinflusst die Verweildauer im Beruf und prägt die weitere berufliche Kompetenzentwicklung sowie den Aufbau berufsrelevanter Ressourcen. Rudows Modell integriert Aspekte des Lehrer-Belastungsmodells von Kyriacou und Sutcliffe (1978), des transaktionalen Stresskonzepts von Lazarus und Folkman (1984) sowie handlungspsychologischer Theorien (Hacker & Richter, 1984). Das ursprüngliche Modell wurde für die vorliegende Studie leicht vereinfacht und adaptiert, indem die Ressourcen – oder Handlungsvoraussetzungen in Rudows Terminologie – sowie die Beanspruchungsprozesse ins Zentrum gestellt und berufsbiografische Einflussfaktoren explizit ins Modell integriert wurden.


Abbildung 3: Rahmenmodell der Beanspruchung und Zufriedenheit im Lehrberuf, adaptiert nach Rudow (1994)

Ausgangspunkt des Modells bilden die Berufsaufgaben, die sich im Kontext der jeweiligen Arbeitsbedingungen zu konkreten beruflichen Anforderungen bündeln und bei der betroffenen Lehrperson zu Beanspruchung führen. Die individuellen Ressourcen beziehungsweise Handlungsvoraussetzungen spielen hier eine tragende Rolle, indem sie den Zusammenhang zwischen Anforderung (von Rudow «objektive Belastung» genannt) und Beanspruchung moderieren (Krause, 2003). Wie auch Belastung hat Beanspruchung in der Arbeitspsychologie grundsätzlich keine negative Bedeutung; Beanspruchung bezeichnet vielmehr die unmittelbare Auswirkung der an eine Person herangetragenen Anforderungen in Abhängigkeit ihrer persönlichen Handlungsvoraussetzungen (van Dick & Stegmann, 2013). Konkret heisst das: Wer sich beansprucht fühlt, durchläuft einen Prozess intensiver psychischer Aktivität, bei dem die zur Verfügung stehenden Ressourcen evaluiert und aktiviert werden, um wahrgenommene Anforderungen bewältigen zu können. Wie eine Person Beanspruchung erlebt und darauf reagiert, hängt folglich von diesen individuellen Ressourcen ab. Darunter werden sämtliche Faktoren verstanden, auf die eine Person zur Bewältigung von Anforderungen zurückgreifen kann (Reimann & Hammelstein, 2006): interne Ressourcen wie das eigene Wissen und Können, Ziele und Überzeugungen, das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit und die Fähigkeit zur Belastungsregulation sowie externe Ressourcen wie die soziale Unterstützung oder die vorhandene Infrastruktur.

Die berufliche Beanspruchung hat positive oder negative Beanspruchungsreaktionen zur Folge: Während eine befriedigende Bewältigung das Wohlbefinden und das Vertrauen in die eigenen Ressourcen steigert und in einer Rückkoppelungsschleife diese Ressourcen stärkt und zu ihrer Weiterentwicklung beiträgt, können sich negative Beanspruchungsreaktionen in Gefühlen von Überforderung, Stress, Monotonie und/oder in psychischer Ermüdung äussern. Bleiben diese Gefühle über längere Zeit bestehen, können chronische Stressreaktionen auftreten. Es ist daher naheliegend, dass diese Beanspruchungsreaktionen eng mit der Berufszufriedenheit zusammenhängen; diese wiederum hat eine hohe Vorhersagekraft für den Verbleib im Beruf (Rudow, 1999).

Die für das Beanspruchungserleben zentralen Ressourcen bilden sich nicht erst im Studium, sondern über die gesamte Lebensspanne. Wie beispielsweise Cramer (2012) darlegt, werden berufsrelevante Ressourcen nur teilweise im Rahmen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung geformt; weitere, nicht-institutionelle Einflussfaktoren umfassen Vorwissen, Überzeugungen und Erwartungen, die ihren Ursprung in früheren Sozialisationserfahrungen, im eigenen Bildungsweg oder auch in früheren Ausbildungsgängen und/oder Berufstätigkeiten haben können. Sie prägen die Art und Weise, wie Lerngelegenheiten wahrgenommen und genutzt werden und haben damit einen Einfluss sowohl auf die Kompetenzentwicklung wie auch auf den Umgang mit ausbildungsbezogenen und beruflichen Beanspruchungen. Daher ist anzunehmen, dass bei Berufswechslerinnen und Berufswechslern die Erstausbildung und der Vorberuf massgeblich zum Ressourcengefüge beitragen, beispielsweise im Sinne eines Wissensvorsprungs oder eines bereits etablierten sozialen Netzwerkes. Um die in der Studie erfassten Konstrukte möglichst gut abbilden zu können, wurde das Modell daher um die entsprechenden Einflussfaktoren ergänzt. Die Fragestellungen der Studie lassen sich in dieses Modell einordnen und fügen sich so zu einem Gesamtbild.

Über Umwege zum Lehrberuf

Подняться наверх