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Heimat

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Zuhause, in meiner mittelpopulären Heimatstadt, pflegte ich seit einigen Wochen eine unverbindliche Liaison (weniger Niveauorientierte Zeitgenossen würden an dieser Stelle wohl von einer Fickbeziehung sprechen, einer reinen Fickbeziehung) mit einer Bäckereifachverkäuferin. Sie hieß Carmen. Wir haben uns in einer Disco kennengelernt. Ich war ziemlich betrunken. Genauer gesagt: vollgesoffen. Schamlos hat sie das ausgenutzt, damals.

Seitdem fuhr ich in unregelmäßigen Abständen zu ihr. Immer abends. Niemals nüchtern.

Carmen redete viel zu viel und viel zu gern. Tagsüber musste sie sich berufsbedingt mit den klassischen Fragen mit Salz, oder ohne?, beziehungsweise darf es sonst noch etwas sein? begnügen.

Am Abend holte sie dann alles nach. Kaum war ich in ihrer Wohnung angekommen, fing sie an. Es begann sofort ein unsäglicher Schwall gebündelter Nichtigkeiten aus ihr heraus zu schwappen. Lange konnte sie reden. Pausen machte sie keine. Schön war das nicht.

Immer versuchte ich, schnellstmöglich zur Sache zu kommen, um ihre Redezeit zu minimieren, und die nackte Liaison-Zeit zu maximieren. Der in mir vorhandenen Resthöflichkeit war es zuzuschreiben, dass ich ihr nicht unmittelbar nach dem Begrüßungskuss die Hose runterzog. Einige Minuten Elend, dachte ich, könne ich schon ertragen, im Vorfeld. Doch schnell verließ mich die Geduld, und selten vergingen mehr als fünf Minuten, ehe ich ihr die fleischigen Möpse zu massieren begann. Ihren Redefluss zu stoppen, war eine schwierige Aufgabe. Sie schwieg erst, wenn sie etwas im Mund hatte, das sie am sprechen hinderte. Eine Zunge, zum Beispiel, oder halt was anderes.

Dennoch gab es Momente, in denen ich froh war, Carmen zu haben. Es waren die Momente der schläfrigen Melancholie, der Katerbedingten Lethargie, der Einsamkeit und Ratlosigkeit. Und vor allem, die Momente der überkochenden Bockigkeit.

Doch es waren Momente. Immerhin.

An einem Samstag im März brach wieder so ein Moment über mich herein. Die Nacht von Freitag auf Samstag war hart und einsam gewesen. Trost spendeten der Alkohol, und das bisschen Gras, das ich noch hatte. Entsprechend kraftlos griff ich gegen Mittag zum Telefon. Carmen nahm das Gespräch schon an, als ich noch auf das erste Tuten wartete.

Sie freute sich sehr über meinen Anruf. Allerdings sprach sie zu meiner Verwunderung (und Enttäuschung) von einem gemeinsamen Abend in einer schönen Bar.

Was auch immer das bedeuten sollte.

Sie müsse allerdings eine Freundin mitbringen, die zurzeit bei ihr zu Besuch sei.

Die Aussicht auf das Abend beschließende Fleischvergnügen gab mir die Kraft, auch noch diese Hiobsbotschaft wegzustecken. Doch wo unbekannte Frauen auftauchten, war da nicht auch immer so etwas wie Hoffnung? Nicht, wenn es sich um Freundinnen von Carmen handelt, dachte ich.

Neben dem Telefon entdeckte ich ein Überraschungs-Ei.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich rauchend.

Am späteren Nachmittag kombinierte ich die Sportschau mit einer Tiefkühlpizza.

Mein Verein verlor 0:3. Der Pizzaboden war schwarz und schmeckte nach Asche.

Irgendwann musste ich dann aufbrechen.

Deo statt Dusche.

Mütze statt Haarstyling.

Noch kurz rauchen.

Und los.

Mit schnell schwindender Rest-Energie bewältigte ich am Abend den langen Fußmarsch zur Bar 77. An die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel war in meinem Zustand nicht zu denken.

Die Stadt war kalt und feucht und unfreundlich zu mir. Ich ärgerte mich über den ewig kleinkarierten Bürgersteig. Ein Pärchen mit identischen Windjacken (vermutlich in einer Kaffee-Rösterei erworben), lief vor mir. Ich hörte sie schnattern und ihn grummeln. Warum sie wohl nicht rauchten? Ich selber rauchte konsequent weiter, bis ich das Ziel erreichte.

Mindestens zwei unglaublich fade Stunden lagen vor mir.

Dachte ich.

Und betrat die Bar.

Carmen winkte euphorisch. Als wäre ich ein Kreuzfahrtschiff. Oder ein Idiot.

Es war zu spät für eine Umkehr. Ich musste zu ihr gehen.

Hallo Hase, das hier ist meine Freundin Marta. Sie ist eigentlich Spanierin. Verrückt, oder?

Carmen schaffte es immer wieder, meine schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich der Begrüßungsansprache zu übertreffen. Überhaupt gab es nur sehr wenige Sätze, die ihren roten Mund verließen, ohne mich noch ein Stückchen tiefer in den Sumpf aus Wut und Ablehnung hinunter zu drücken.

Aus reiner Verzweiflung küsste ich Marta zur Begrüßung dreimal auf ihre rosa glühenden Bäckchen, die mich irgendwie an Rotkäppchen denken ließen. Carmen begrüßte mich daraufhin mit einem feuchten Kuss auf den Mund. Ihre Haare rochen nach Backwaren.

Buy me a Drink, sagte Marta zu mir, und lächelte.

Marta hatte eine tiefe, samtige Stimme. Blumiger Sommerduft strömte aus ihren Poren.

Carmen studierte hochkonzentriert die kleine Cocktailkarte, während Marta eine zerknautschte Schachtel Zigaretten aus der Jeanstasche fummelte, und mir kurz darauf eine angezündete Kippe zwischen die trockenen Lippen steckte.

Sie schaut mir in die Augen.

Lange hielt ich ihrem Blick nicht stand.

Ich war froh, dass ich rauchen konnte.

Carmen begann einen trostlosen Monolog über den erfreulich raschen Wetterumschwung, berücksichtigte dabei die Vergleichstemperaturen aus dem Vorjahresmonat und bestellte schließlich einen kleinen Bananensaft.

Marta blickte mir während des meteorologischen Exkurses tief in die Augen, lächelte vertraulich und signalisierte dann der Bedienung, dass wir dringend zwei Cuba Libre benötigten.

Wie diese beiden Frauen befreundet sein konnten, war mir ein Rätsel. Es erschien mir absurd und sinnlos. Es war absurd und sinnlos.

Im Laufe des Abends erfuhr ich, dass Marta zurzeit allen Verpflichtungen aus dem Wege ging, sich auf eine beliebige Warteliste einer ebenso beliebigen Uni hatte setzen lassen, und jeden Tag versuchte, so glücklich wie möglich zu sein.

I hate all kind of obligations, sagte sie einmal, und mir wurde langsam klar, dass sie nur die ganz wichtigen Dinge in die englische Sprache kleidete.

Wieder und wieder streichelte sie sich mit ihren feingliedrigen Händen dunkle Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie rauchte ununterbrochen. In der Jackentasche hatte sie noch zwei Schachteln Zigaretten deponiert. Es gab also genug Rauchwaren für den Rest der Nacht.

Supply guarantee, erklärte sie, is my formula for success.

Ihr Gesicht nahm zeitweise einen Ausdruck an, als würde sie in schaurige Träume abgleiten.

Oder als würde sie an verdorbene Internet-Filmchen denken.

Work? I have a strange point of view in this special case.

Diese Antwort erhielt ich, als ich mich behutsam nach Martas Art und Weise erkundigen wollte, ihrer Art und Weise das Leben zu finanzieren.

Ich war überwältigt von ihrer konsequenten Weigerung, eine traditionelle Konversation zu führen.

Sie sprach lieber über den Mond, den Ozean, Marihuana und über die Sehnsucht.

Arbeit hatte dazwischen keinen Platz.

Mit Carmen hatte ich mich bisher nur über den alltäglichen Unfug unterhalten, immer mit der Kraft gebenden Aussicht, dass diese trostlose, verlorene Zeit mit erotischen Vergnügungen wieder gut gemacht werden würde. Es waren keine Gespräche im eigentlichen Sinne.

Sie rasselte Belanglosigkeiten herunter, während ich ihr auf die Titten schaute, und mental eine Erektion vorbereitete. Selber habe ich mich kaum an den Gesprächen beteiligt.

Von meinen Leidenschaften habe ich Carmen nie etwas erzählt. Sie erschienen mir zu kostbar. Und die Beziehung zu Carmen war zu armselig. Ich hatte einfach kein Bedürfnis, wichtige Dinge aus meinem Leben mit ihr zu teilen. Es ging sie irgendwie nichts an, dachte ich. Und vermutlich interessierte es sie auch nicht.

Über Musik konnte ich auf keinen Fall mit ihr reden. Der Anblick ihres CD-Regals machte mich beinahe wütend, so beschissen waren die dort gelagerten Minderwertigkeiten. Da könnte man ja auch gleich Antenne Bayern hören. Was sie übrigens auch total gerne machte. Den lieben langen Tag in der Bäckerei, und abends, ganz freiwillig, auch noch zu Hause.

Über Musik konnte ich mit ihr also wirklich nicht reden. Das wäre so, als spräche man mit einer Kuh über Rinderfilets. Oder mit einem Polizisten über Freiheit. Ungefähr so, jedenfalls. Vielleicht sogar noch ein bisschen enttäuschender.

Musik spielte in meinem Leben eine große Rolle. Ohne Musik zu leben, erschien mir ziemlich sinnlos und sehr, sehr traurig.

Musik war so etwas wie die Religion meines Lebens. Und auch meine Droge.

Nun gut: eine meiner Drogen.

Ich spürte, dass ich Marta davon erzählen musste.

In maßloser Übertreibung, aber in bemüht gelangweiltem Ton, berichtete ich ihr von meiner aktuellen Arbeit an meinem ersten Album. Nur meine Gitarre, meine Stimme, und meine Texte. Alles selber geschrieben, ganz klar. Stundenlang feile ich teilweise an einer einzigen Strophe, mitunter hängt alles an einem Satz, einem Wort, einer Metapher.

Marta schien mir zu glauben, denn in ihren Augen erkannte ich erstmals echtes Interesse an meiner Person. Sie überschüttete mich mit warmen Worten, und sie schilderte ihre Begeisterung für Kreativität, Ausdruckskraft, für den Akt des Schaffens, für die Macht des Wortes.

Schon bekam ich Angst, sie würde mich noch heute Abend darum bitten, ihr eines meiner Lieder vorzuspielen.

Fieberhaft erfand ich vorsorglich schon Ausreden.

Doch Marta zählte nicht zu den Mädchen, die sich ins Reich der Bittstellerinnen herablassen.

Sie beugte sich ein wenig zu mir herüber, und begann mir ganz leise ins Ohr zu singen:

Hey , been trying to meet you uhhh, must be a devil between us - or whores in my head

und dann flüsterte sie noch love Pixies.

Carmen spürte, dass sie an den Rand gedrängt wurde, und unterbrach die Schwärmerei und das Gerede von der Kunst, der Musik und all den anderen Dingen, die nichts in ihrem Leben zu suchen hatten.

Wollen wir nochmal ein Haus weiterziehen?

Etwas Besseres ist ihr offensichtlich nicht eingefallen. Immerhin hatte sie nicht gefragt mit Salz, oder ohne, was ich ihr hoch anrechnen hätte sollen.

Doch dazu fehlte mir die Bereitschaft; auch fehlte es arg an segenreicher Ignoranz.

An diesem Abend ging ich alleine nach Hause. Carmen verfluchend, und von Marta träumend.

Ich habe es nicht mal fertig gebracht, mich anständig von Carmen zu verabschieden.

Ich konnte Marta nicht aus den Augen lassen.

Als ich vor meiner Wohnungstür stand, und den Schlüsselbund aus der Hosentasche fummeln wollte, viel ein kleines Stück von einem Bierdeckel zu Boden. Ein leichter Schwindel, eine leise Ahnung, eine große Hoffnung.

In lieblichen Buchstaben sah ich ihren Namen, gefolgt von einem fast herzförmigen @, einem mir unbekannten Begriff und einem schmalen .es, dass sich an den ausgefransten Rand der faserigen, biertrunkenen Pappe schmiegte.

Marta

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