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Kapitel 1
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D.J.Rollo
Roman
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.
(Vaclav Havel)
Dieser Roman basiert auf wahren Begebenheiten. Sämtliche Personen und Orte sind jedoch frei erfunden.
2020
Der Telefonhörer wurde immer schwerer in meiner rechten Hand, aber ich musste jetzt anrufen. Es ist die letzte Hoffnung, bitte geh ran. Die Zeit zwischen den Signalen wurde immer länger. Wie in Zeitlupe setzte sich ein Tut an das nächste. Jetzt – nein, nur der Anrufbeantworter. Der Hörer flog in die Gabel. Wieder keine Lösung. Warum bin ich eigentlich in dieser Situation? Warum ich und nicht jemand anderes? Ich schaute auf die Schieferplatte des kleinen Tisches in der Mitte der Sofaecke meines Büros. In Gedanken ging ich nochmal alles durch – welche Fehler habe ich gemacht?
Dabei fing doch alles so vielversprechend an. Vor drei Jahren, ja da waren wir noch voller Enthusiasmus, voller Ideen. Ich weiß noch, wie Josef zu mir sagte: „Chef, wir brauchen unbedingt einen weiteren Techniker, sonst schaffen wir die Aufträge nicht.“ Ich nickte und schaute mich im Technikraum um. In der Mitte standen zwei graue Schreibtische, an der Innenwand eine graue Schrankwand und links und rechts jeweils lange Küchenplatten, die als Werkbänke dienten. Auf der linken Werkbank standen schön aufgereiht etwa 10 PCs, die eine Art Testlauf machten. An der rechten Werkbank saß Josef und programmierte an einem Server. „Dieser hier muss heute noch zum Kunden Elbebau raus und dann muss ich noch zur Stadtverwaltung, da gibt es Probleme mit einem Switch. Achso – und Frau König vom Steuerberater Paulsen hat angerufen, dass die Verbindung zur DATEV nicht funktioniert.“ Josef hörte gar nicht mehr auf, darauf hinzuweisen, dass er und Henry es nicht allein schaffen würden. Henry hatte gerade seine Ausbildung zum Systemelektroniker begonnen, kannte sich aber schon recht gut aus und war wirklich eine große Hilfe. Aber Josef hatte recht, sollte der Regierungsauftrag kommen, müssten sie mindestens noch zwei Techniker einstellen. „Wo ist Henry?“ fragte ich um in eine andere Richtung abzulenken, aber Josef antwortete nur: „unterwegs in Hamburg“, um dann nachzuschieben: „frag doch bitte mal beim Arbeitsamt nach, ob wir nicht wenigstens einen Umschüler bekommen können, der kann dann die Auslieferungen übernehmen.“ Ich nickte wieder und ging dann über den Flur in mein Büro. In dem rechteckigen, mit Teppichboden ausgelegten Raum stand links eine Sofaecke mit zwei Sesseln, rechts ein großer nussbaumfarbener Schreibtisch. Ich ließ mich in den dahinterstehenden Chefsessel fallen und nippte an einem Kaffee, den mir Doris schon bereitgestellt hatte. Ja, Josef ist einer dieser Typen, auf die man sich wirklich verlassen kann. Nicht nur, dass er ein absoluter Technikfreak ist, er scheut auch nicht davor zurück, einmal eine Nacht durchzumachen, wenn es wirklich brennt. So wie neulich, als der Hauptrechner eines Fotografen nicht mehr starten wollte und dort auf der Festplatte die gesamten Bilder für eine Werbekampagne gespeichert waren, die am nächsten Tag präsentiert werden sollte. Da hat Josef nicht nachgelassen und systematisch alle Bauteile des PCs ausgewechselt, Treiber nachinstalliert und Initialisierungsdateien angepasst. Morgens um 5 Uhr lief der Rechner wieder und der Kunde konnte seine Präsentation halten. Selbst den Fünfziger Trinkgeld hat Josef anschließend in unser Sparschwein geschmissen. Ich glaube, solche Mitarbeiter zu haben, ist Gold wert.
„Paul, hast du schon mit Josef wegen der Fashionwear-Lieferung gesprochen?“, Doris hatte so einen bestimmenden und durchdringenden Tonfall. Wenn sie den hat, ist Stress angesagt. Sie stand im Türrahmen, klein, schlank, die langen blonden Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Doris hat gerade ausgelernt, leitet das Büro aber schon seit zwei Jahren perfekt. Sie ist sozusagen die gute Seele, die über alles Bescheid weiß, sämtliche Kunden kennt und selbst mit den Speditionsfahrern so gut kann, dass diese unsere Ware, die wir von den Lieferanten bekommen, bevorzugt ausliefern. Mit ihren gerade einmal 21 Jahren hat sie es teilweise faustdick hinter den Ohren. Immer den Überblick und wenn es mal brennt, hat sie mit bestimmender Hand bislang immer das Richtige getan. Nur dieser durchdringende Ton – man könnte glauben, sie war früher mal Bademeisterin für Schwerhörige. „Nein – ich werde das heute Abend mit ihm besprechen, der Server ist noch nicht fertig.“ Aber wie immer ließ sie sich nicht sofort mit einer Floskel abspeisen. „Denk bitte daran, dass die Ware spätestens morgen ausgeliefert werden muss. Du weißt doch, dass die immer erst nach 6 Wochen bezahlen und wir haben nur 60 Tage Zahlungsziel beim Lieferanten.“ In diesem Moment klingelt das Telefon. „Falkenhagen“ meldet sich eine dunkle Stimme am anderen Ende. Es war Ingo Falkenhagen, mein Berater und Vertrauter in allen Geschäftsdingen. Er wollte sich heute Abend mit mir beim Chinesen treffen um das weitere Vorgehen für den Regierungsauftrag abzustimmen. Ich schaute kurz in meinen Terminkalender und sagte zu. Eigentlich hatte ich ja vor, heute Abend mit Katrin ins Fitnessstudio zu gehen, aber das Geschäft geht vor. Katrin war mit den Kindern zuhause, ich werde sie anrufen und es erklären. Vielleicht kann sie ja kurzfristig einen Babysitter organisieren und allein ins Fitnessstudio gehen. In letzter Zeit ist es häufiger vorgekommen, dass ich sehr spät erst aus dem Geschäft kam. Entweder es waren noch Angebote zu schreiben, die unbedingt am nächsten Tag noch beim Kunden sein mussten, oder es gab Veranstaltungen der Kammer oder der Regierung, an denen ich teilnehmen musste. Auch die Besprechungen mit Falkenhagen dauerten immer sehr lange. Meistens schlief sie schon, wenn ich nach Haus kam. Die Betreuung der Kleinen konnte manchmal genauso stressig sein, wie ein stundenlanges Meeting mit Politikern, die viel erzählten, aber damit nichts sagten.
Ich steuerte den 7er BMW auf den kleinen Parkplatz des chinesischen Restaurants und schaute mich um. Falkenhagens Auto stand noch nicht auf dem Parkplatz – wie immer kam er mindestens 15 Minuten später als vereinbart. Ich hatte auch schon mal eine Stunde gewartet, aber heute war er fast pünktlich. Als ich gerade hineingehen wollte, bog er mit seinem Audi um die Ecke. Ich wartete kurz. Mit schnellen, fließenden Schritten kam er zielstrebig auf mich zu. Sein schlanker Körper wippte dabei etwas und der knielange, beige Businessmantel wehte an den Seiten hoch. Unter dem linken Arm klemmte eine dunkelbraune Ledertasche und die rechte Hand streckte er mir zum Gruß entgegen. „Hallo Herr Köster“ rief er schon aus der Entfernung und schaute mir während wir uns die Hände schüttelten direkt in die Augen. „Alles OK? Wie laufen die Geschäfte?“ Es waren immer dieselben Floskeln am Anfang der Gespräche. Er wollte immer ganz genau wissen, was an großen Aufträgen anliegt und welche Probleme es mit den Banken gibt, ob die Mitarbeiter vernünftig mitziehen und – ob sich jemand aus Hannover wegen des Regierungsauftrages gemeldet hätte. „Ja“, sagte ich, „es hat ein Fax aus dem Wirtschaftsministerium gegeben. Die wollen den Businessplan noch einmal überarbeitet haben. Die Zahlen für den Eigenanteil decken sich nicht mit deren Vorstellungen.“ Wie immer hatte Falkenhagen sofort eine Idee. Ich holte die Unterlagen heraus und während wir auf das Essen warteten glichen wir alle Zahlen nochmal ab. Tatsächlich ergab sich eine Differenz von Soll- und Istzahlen. Nach einer kleinen Weile fanden wir den Fehler auf der dritten Seite der Kalkulation. Dummerweise zog sich der Fehler bis zum Ende durch. Somit war der Abend nunmehr völlig gelaufen, denn ich müsste anschließend noch ins Büro und die Kalkulation neu aufsetzen um sie gleich morgen früh ins Ministerium zu faxen. Aber zunächst genossen wir das Abendessen mit Frühlingsrollen und Pekingente süßsauer. „Ich habe heute Morgen mit dem Wirtschaftsminister telefoniert“, erläuterte Falkenhagen in seiner trockenen, spannungsgeladenen Art, den Salat mit Messer und Gabel zerlegend. „Er wird nach Ortelburg kommen und unser Projekt höchstpersönlich eröffnen.“ Nach einer kurzen Pause schob er nach „wenn wir den Zuschlag erhalten, aber das sieht ganz gut aus.“ Falkenhagen hatte das Pilotprojekt des Wirtschaftsministeriums von Anfang an begleitet, hatte sogar an der Ausschreibung mitgearbeitet. In den vielen Sitzungen der Projektgruppe in Hannover konnte man sehen, dass die Politiker nur darauf bedacht waren ja keinen Fehler zu machen und sich auf keinen Fall festzulegen, egal in welche Richtung das Gespräch ging. Für mich als Techniker war das teilweise nicht mehr auszuhalten. Wenn wir in der Technik etwas besprechen, gibt es einen Weg der realisierbar ist und eventuell noch ein oder zwei Alternativen. In der Politik gibt es auf gestellte Fragen immer nur schwammige Antworten und Aussagen wie „das könnte man sich grundsätzlich vorstellen“ – nein, das ist nicht meine Welt. Aber der Auftrag ist zu lukrativ, um ihn sich entgehen zu lassen. Außerdem, wenn wir das Projekt nicht durchführen, macht es ein Konkurrent.
Falkenhagens Handy klingelte und ich war sehr erstaunt, dass er nachdem er sich mit einem kurzen „Ja“ gemeldet hatte, in fließendem Russisch weitersprach. Ich vermutete, dass es russisch war, denn ich verstand leider kein Wort von dem, was Falkenhagen dort sagte, aber anhand einiger Brocken, die man aus der Allgemeinbildung kannte, war ich mir ziemlich sicher. Ich wusste, dass Falkenhagen die Hälfte des Jahres in den USA lebte, in der Nähe von Chicago. Seine Frau lebte dort und er flog alle drei bis vier Wochen einmal rüber. Allerdings war er sehr verschwiegen zu Allem, was seine privaten Dinge angeht. Seine in Deutschland ansässige Firma hatte er in der Hamburger Innenstadt angesiedelt, an einer sehr teuren Adresse. Soweit ich mitbekommen hatte, hat sich Falkenhagen mit seiner Hamburger Firma an einigen anderen deutschen Unternehmen beteiligt. Sein amerikanisches Unternehmen in Chicago handelte mit Naturprodukten, die er aus Deutschland importierte. Viel mehr wusste ich nicht. Der Kontakt zu Falkenhagen war über Sigmar Bär von der Handelskammer zustande gekommen. Mit Sigmar hatte ich zusammen studiert und ich kannte ihn bereits seit einigen Jahren. Ich war schon überrascht, als er mich eines Tages anrief und fragte, ob ich Interesse hätte, an einem lohnenden Projekt des Landes mitzuarbeiten. Kurz darauf trafen wir uns in meinem Büro und Sigmar und Falkenhagen stellten mir das Projekt vor. Es sollte ein vom Wirtschaftsministerium unterstütztes Netzwerk aufgebaut werden, mit dem das gesamte Land vernetzt werden sollte um Daten auszutauschen. Hierzu sollten drei Duzend Gebiete entstehen, die, jedes für sich, die Infrastruktur und ein Portal entwickeln sollte. Dieses Portal sollte es nach Meinung des Ministeriums allen Bürgern ermöglichen, mit dem Land als Institution zu kommunizieren, aber auch Theaterkarten online zu kaufen und Pizza beim nächsten Italiener zu bestellen. Mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen wäre sogar der Datenaustausch mit Banken und Finanzbehörden denkbar. Ich war damals begeistert von der Idee, aber auch skeptisch, ob ein solch großes Projekt von einem Unternehmen gestemmt werden kann, dass gerade mal drei Jahre existiert und dessen Kapitaldecke noch recht gering war. Aber auf der anderen Seite war es schon reizvoll, dass genau dieses Unternehmen die gesamte Region repräsentieren sollte. Das wäre für das Brot und Buttergeschäft sehr fördernd. Ganz davon abgesehen, dass man durch die neu geknüpften Kontakte die Möglichkeit erhielt eine ganze Reihe von zusätzlichen Aufträgen zu generieren. Sigmar gab mir Recht und sagte mir außerdem die Unterstützung der Kammer zu. In den nächsten Tagen trafen wir uns mehrfach um die weiteren Schritte abzustimmen. Dabei ergaben sich bereits im Vorfeld sehr interessante Kontakte zu Unternehmen, die in den anderen Regionen dasselbe Projekt durchführen sollten.
Falkenhagen beendete sein Telefongespräch. Ich schaute ihn fragend an: „Russisch?“. „Ja“, antwortete er ohne auf irgendwelche Details einzugehen. Neben Englisch, Deutsch und Französisch auch noch Russisch – der Mann ist echt international unterwegs. Nachdem ich bezahlt hatte, verabschiedeten wir uns, denn es war bereits 21 Uhr und ich musste ja noch ins Büro, die Kalkulation durcharbeiten. Katrin wird nicht begeistert sein, wenn ich wider erst um Mitternacht nach Hause komme. Ich versuchte sie vom Auto aus zu erreichen, aber es nahm nur der Anrufbeantworter ab. Sie war wohl doch noch ins Fitnessstudio gefahren. Ich hinterließ eine kurze Nachricht und setzte meinen Weg ins Büro fort.
Tage später rief mich Sigmar Bär aus der Kammer an. Sigmar klang ganz aufgeregt am Telefon: „Ihr bekommt den Zuschlag, ich habe gerade mit dem Ministerium gesprochen. Und ich habe noch eine tolle Nachricht für dich. Du bist als Manager des Jahres im Gespräch, ich habe da etwas läuten gehört. Also, wenn das klappt, kann sich die Konkurrenz warm anziehen.“ Ich hielt kurz inne um diesen Moment zu genießen, schaute vom Schreibtisch auf und ließ den Blick durch mein Büro schweifen. Wie viele Stunden habe ich hier verbracht um das Projekt vorzubereiten. Stunden, in denen ich nicht bei meiner Familie war. Stunden, die sich teilweise hinzogen wie Kaugummi, in denen ich nicht einmal wusste, ob es wirklich Sinn machen würde, so viel Arbeit und Zeit in ein Vorhaben zu stecken, das zwar wegweisend für die Region wäre, doch für mein Unternehmen eine richtige Herausforderung bedeuten würde. Mein Blick verharrte bei einem Bild von Katrin und den Kindern. Wenn wir tatsächlich den Zuschlag bekommen, würde das noch mehr Zeit bedeuten, die ich nicht bei ihnen sein kann. Ist es das tatsächlich wert? „Paul?“ hörte ich am anderen Ende, „hat es dir die Sprache verschlagen?“ „Ja“, antwortete ich, „ich freue mich sehr! Hast du schon mit Falkenhagen gesprochen?“ Er sagte, dass er ihn noch nicht erreicht habe, aber er werde es weiter versuchen. Als er aufgelegt hatte, schwirrten wilde Gedanken durch meinen Kopf. Au Backe, was würde Josef sagen? Er würde wahrscheinlich die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Wir kommen ja jetzt schon nicht mehr mit den Aufträgen hinterher. Für dieses Projekt brauche ich auch unbedingt seine technischen Fähigkeiten und Einschätzungen. Also wird mir nichts weiter übrigbleiben, als einen weiteren Techniker vom Kaliber eines Josef Klose einzustellen. Das bedeutet aber auch eine finanzielle Gradwanderung für das Unternehmen. Es ist ja nicht so, dass ich es den Leuten nicht gönne. Wenn jemand gute Arbeit leistet, soll diese auch entsprechend entlohnt werden. Schade nur, dass man leider bei den Einstellungsgesprächen nicht in die Menschen hineinschauen kann. OK, es gibt Einstellungstests und gezielte Fragen, die bereits im Vorfeld zeigen, ob jemand nur blufft, oder ob jemand in der Materie steckt. Aber es kann nicht herausgefiltert werden, ob nur theoretisches Wissen vorliegt oder ob ein Kandidat auch in der Praxis überlebt, wenn der Kunde mit fragenden Blicken neben einem steht und man trotzdem cool bleiben muss und genau die Problemstellung analysieren muss. Ja, in diesem Bereich ist Josef ein wahrer Meister. Und bei den Einstellungsgesprächen muss er unbedingt dabei sein. Ich denke, dass ich erst mal den Bewilligungsbescheid des Wirtschaftsministeriums abwarten werde und dann auf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten gehe. Vielleicht ergibt sich ja bis dahin auch noch das eine oder andere Gespräch mit der Kammer und mit Josef. Nach diesen Ausflügen der Gedanken überkam mich dann doch eine freudige innere Zufriedenheit. Es ist geschafft – dieses wird ein finanzieller und technologischer Meilenstein werden. Und dann noch die Nominierung zum Manager des Jahres. Das hatte ich nicht im Entferntesten gewagt zu hoffen. Mein Blick kehrte zurück auf das Familienbild, ja, ich denke, dass ich für heute Schluss machen werde. Ich werde auf dem Nachhauseweg am Supermarkt anhalten, eine Flasche Sekt und ein paar Blumen kaufen, und dann Katrin mit der freudigen Neuigkeit überraschen. Ja, das werde ich machen! Wenn das kein Grund zum Feiern ist, was denn.
Ich fuhr die 30 Kilometer nach Hause mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Die Strecke zog sich hin, wie niemals zuvor. Dabei hatten wir vor 6 Jahren, als wir den kleinen Resthof in Altendorf gekauft hatten, gewusst, dass wir ständig nach Ortelburg oder in das 3 Kilometer entfernte Neuhausen pendeln mussten. In Altendorf gab es Nichts, aber auch rein gar Nichts. Es gab keinen Bäcker, keinen Einkaufsladen, keinen Arzt und auch keine Tankstelle. Es gab die Feuerwehr und eine Kneipe – das war´s! Für jede Besorgung musste man nach Neuhausen fahren, ob in den Kindergarten, zum Brötchenholen oder wenn jemand etwas aus der Apotheke brauchte. Trotzdem hatten wir uns entschieden, den kleinen Resthof zu kaufen. Die Kinder sollten Platz haben und nach Herzenslust im Freien spielen können. Anfangs hatten wir uns als „Stadtkinder“ etwas schwer getan sich mit den „Einheimischen“ anzufreunden. Irgendjemand hatte mir dann den Tipp gegeben, dass man unbedingt in die Feuerwehr eintreten sollte, hier würde man die ersten Kontakte und auch Zugang zu den Alteingesessenen bekommen. Und tatsächlich, nach den ersten Knobelabenden und Osterfeuern gab es die ersten offiziellen Einladungen zu Geburtstagen. Die älteren Eingeborenen öffneten sich etwas gegenüber den Neuen aus der Stadt. Vielleicht hatte es aber auch etwas mit Katrins offener Art zu tun, nach zwei Jahren waren wir in der Dorfgemeinschaft aufgenommen, wir halfen beim Kuhtrieb oder beim Aufräumen nach dem Osterfeuer, im Gegenzug bekamen wir frische Milch und Kartoffeln vom Bauer aus der Nachbarschaft. Nachbarschaftshilfe wurde großgeschrieben. Das gefiel uns sehr, wir hatten immer ein gutes Gefühl, wenn die Kinder draußen spielten, denn wir wussten, dass in jedem Haus unserer Nachbarn wachsame Augen darauf achteten, dass ihnen nichts geschieht. Katrin hingegen hatte etwas mehr damit zu kämpfen, dass wir jetzt weit weg von der Zivilisation wohnten. Sie traf sich sehr häufig mit alten Freundinnen in Ortelburg oder fuhr ins Fitnessstudio, nicht nur, um sich fit zu halten, sondern um unter Menschen zu kommen. Als Mutter von drei Kindern, die auf dem Lande wohnt und nichts weiter um die Ohren hatte als die Kinder, den Hund und das Haus, kam schon das eine oder andere Mal etwas Frust auf. Deshalb traf sie sich des Öfteren mit ihren alten Freundinnen. Bei Kaffee und Kuchen wurde dann über vergangene Zeiten gesprochen, manchmal wurden dann auch die alten Fotos herausgeholt und man lachte über längst vergessene Freundschaften und peinliche Mädchenmomente. Trotzdem lebten wir gern in Altendorf. Es war ein Ort der Ruhe und ich konnte dort nach einem stressigen Tag im Büro sofort abschalten. Ich brauchte mich nur mit einem schönen Pils auf die Terrasse setzen und in die untergehende Sonne schauen, dann schienen die Probleme des Tagesgeschäftes auf einen Schlag nicht mehr die Priorität zu haben, wurden kleiner und verblassten zu kleinen Seifenblasen, die nur noch dort waren und im nächsten Moment zerplatzten. Natürlich war ich mir sicher, dass sie am nächsten Tag wieder in voller Pracht vor mir lagen, aber in diesem Moment waren die Probleme weit weg und ich konnte meinen Kopf etwas frei bekommen.
Als ich auf den Hof fuhr, kamen mir Lars und Silvia mit ihren Fahrrädern entgegen. Silvia grinste übers ganze Gesicht „Der Papa kommt, der Papa kommt!“ schrie sie und stürzte fast mit ihrem kleinen Kinderfahrrad. Die lange Stange mit der Fahne dran schwenkte wild von einer Seite auf die andere. Als ich ausstieg, schmiss sie das Fahrrad in die Ecke und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu gerannt. Ich fing sie auf und spielte mit ihr drei Runden Karussell. Ihr blonder Haarschopf wirbelte wild durch die Luft und sie jauchzte vor Vergnügen. „Der Papa ist da, juchu!“, schrie sie erneut. Ich setzte sie vorsichtig ab. Da kam auch schon Lars herangestürmt. „Na, mein großer!“, sagte ich „wie war die Schule?“ „Wie immer“, antwortete er „was machst du denn schon hier?“ „Ich habe alle Arbeit fertig und wollte mit Mama etwas feiern, wo ist sie denn?“ „Sie ist oben mit Malte, der hat die Hosen vollgeschissen! Was willst du feiern? Dürfen wir mitfeiern?“ Lars war ein aufgeweckter Junge, etwas zu groß geraten für sein Alter und immer zu irgendwelchem Blödsinn aufgelegt. Ich erklärte ihm, dass ich ein gutes Geschäft abgeschlossen hätte und dass ich natürlich mit allen, auch mit ihnen feiern wolle.
Ich ging langsam dir Treppe hinauf, öffnete leise die Tür und schlich mich von hinten an die beiden heran. Über die Schulter von Katrin nahm ich meinen Zeigefinger an meinen Mund und schaute Malte mit großen Augen an. Dieser sagte zunächst gar nichts, schaute mich nur an und fing dann laut an zu Lachen. Katrin drehte sich um, schaute zunächst etwas genervt, und musste dann doch herzlich lachen. Ich nahm beide fest in den Arm und drückte sie. Auf einmal konnten wir das Gleichgewicht nicht mehr halten und kippten um. In diesem Moment kamen Silvia und Lars herein und stürzten sich sofort auf das bereits hilflos am Boden liegende Menschenknäul. Es dauerte sicherlich 10 Minuten, bis sich alle aus diesem Knäul entflechten konnten. „Was machst du schon hier?“ fragte Katrin mit sorgevollem Blick, „ich hätte meinen Liebhaber hier haben können und du hättest uns in Flagranti erwischt!“ Katrin lachte und gab mir einen langen Kuss. „Was ist Flaschanti?“ wollte Silvia wissen. „Das ist, wenn der Papa die Mama so sehr überrascht, dass keiner mehr darüber lachen kann“ antwortete Katrin und Silvia war mit dieser Antwort wohl zufrieden. Es dauerte einige Zeit, bis sich alle beruhigt hatten und die Kinder im Bett waren. Als ich mit Katrin allein im Wohnzimmer saß, holte ich die Blumen und die den Sekt hervor. „Rate mal, was ich heute erfahren habe.“ Katrin zuckte mit den Schultern. „Sigmar hat mich heute angerufen und mir verraten, dass wir den Auftrag vom Ministerium bekommen und dass ich außerdem noch eine Kandidatur zum Manager des Jahres erhalten soll. Was sagst du dazu?“ Ich holte zwei Sektgläser aus dem Schrank und goss beide halbvoll, gab ihr eines der Gläser und wollte mit ihr anstoßen. Aber sie zuckte etwas zurück und ich sah sie etwas erstaunt an. „Freust du dich nicht?“ „Doch“, antwortete sie zögerlich, „aber du weißt doch, was das bedeutet. Du wirst noch mehr arbeiten müssen und bist dann immer weniger bei mir und den Kindern. Ich kann deinen Eifer und den Enthusiasmus verstehen, aber du musst auch das Risiko sehen. Was ist, wenn das Projekt nicht so funktioniert, wie ihr euch das vorgestellt habt, oder wenn die Zahlungen vom Land nicht kommen.“ „Das haben wir alles durchkalkuliert und eingeplant“, beruhigte ich sie. „Außerdem werden wir nicht mehr Geld ausgeben, als das, was wir für dieses Projekt bekommen, das verspreche ich!“ Sie sah schon etwas entspannter aus als wir die Gläser erklingen ließen. Es folgte ein sehr schöner Abend, einer der seltenen schönen Abende in letzter Zeit. Mir gingen noch lange die Worte durch den Kopf, die mir Katrin heute sagte. Nein, soweit werde ich es nie kommen lassen, dass meine Familie, meine Frau und die Kinder durch irgendein Projekt oder Geschäft belastet werden. Nein, niemals, das schwöre ich mir.
Ich steuerte den BMW auf den Parkplatz des Dorint-Hotels. Es war direkt an der Autobahn gelegen. In den drei Stunden Anfahrt waren mir viele Dinge durch den Kopf gegangen, wie man das Projekt von dem normalen Tagesgeschäft trennen könnte war dabei das Hauptproblem, was mir immer und immer wieder zu schaffen machte. Ich musste für größtmögliche Transparenz sorgen, nur so könnte man ganz genau trennen was zum Projekt gehört und was zum normalen Tagesgeschäft gehört. Ich werde es später nochmal mit Falkenhagen durchsprechen. Er wartete schon auf mich als ich das Foyer betrat. Drinnen vernahm ich eine Geräuschkulisse von vielen verschiedenen Stimmen, die durcheinander sprachen. Es schienen heute mehr Personen hier zu sein als in den vergangenen Arbeitskreisen. Falkenhagen drängte mich zum Hineingehen. Wir suchten uns Stühle in einer der ersten Reihen. Ich schaute in die Runde, neben den Menschen, die ich aus den Arbeitskreisen kannte, waren noch einmal doppelt so viele, mir unbekannte Personen im Raum. Offensichtlich waren die Veranstalter nicht von einer solchen Anzahl Menschen ausgegangen, denn es fehlte doch eine Vielzahl von Sitzmöglichkeiten. Jemand vom Hotel war bereits damit beschäftigt, mit einer Sackkarre Stuhlstapel herein zu fahren. Ein anderer baute neue Reihen mit den herbeigeschafften Stühlen auf. Die Sitzung begann 20 Minuten später und es mussten immer noch einige Personen stehen. Der Sprecher des Wirtschaftsministeriums eröffnete die Sitzung und erklärte, dass „die grundsätzlichen Eckpfeiler des Projektes zur Erarbeitung einer Kommunikationsplattform im Landesverband jetzt erstellt wären und die Fördergelder kurzfristig bewilligt werden würden.“ „Wie ich solche Verklausulierungen hasse!“ dachte ich nur. Kann man nicht einfach sagen – Das Projekt startet – hoch die Tassen. Nein, es muss von hinten durch die Brust ins Auge verbal ausgeschmückt werden. Ich schaute mich wieder im Saal um und stellte fest, dass das Publikum in zwei Teile aufgeteilt werden konnte. Zum einen Menschen, die ganz genau so dachten wie ich, denn man konnte eine gewisse Langeweile in den Augen vernehmen. Zum anderen Menschen, die diese Langeweile hinter einer steinernen Fassade zu verbergen wussten, ja zeitweilig sogar aufblitzen ließen, dass die vorgetragenen Bandwurmsätze einen Sinn ergeben würden. Meine Gedanken schweiften wieder ab, ich dachte an meinen Schreibtisch im Büro, der übersäht war mit kleinen Mäppchen in denen Anfragen und Ausschreibungen lagen, die noch kalkuliert werden müssten. Anschließend musste jedes Angebot auf technische Machbarkeit überprüft werden um dann im Anschluss als Offerte ins Warenwirtschaftssystem eingegeben zu werden. Auch wenn ich wusste, dass nur ein Drittel der unterbreiteten Angebote zum Auftrag kommen würden, lohnte sich die Arbeit, denn ein gut ausgearbeitetes Angebot bleibt dem Kunden auch dann im Gedächtnis, wenn es vielleicht aufgrund des Preises nicht zur Bestellung kommt. Bei einer nächsten oder übernächsten Anfrage kommt es dann vor, dass der Kunde im Vorfeld anruft und bestimmte Rahmenbedingungen für eine neue Anfrage abspricht, und – komischer Weise sind dann einige Konkurrenzangebote technisch gesehen nicht wettbewerbsfähig und man erhält den Auftrag. Es macht also immer Sinn ein Angebot in einer akkuraten Art und Weise herzustellen, auch wenn man den Auftrag nicht immer sofort erhält. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich den Namen meiner Firma hörte. Der Sprecher war gerade dabei den einzelnen Gebieten die zuständigen Unternehmen zuzuordnen, und für den Bereich Ortelburg und Umgebung war niemand anderer genannt worden als die Köster Computer und Service GmbH. Ich setzte mich gerade auf meinen Stuhl und nahm eine etwas angespanntere Haltung an. Als mich der Sprecher anschließend mit Namen vorstellte, schaute ich in die Runde und nickte dem einen oder anderen zu. Jetzt war es offiziell, die zahlreichen und langweiligen Arbeitstagungen in irgendwelchen Hotels haben sich unterm Strich gelohnt. Es wird nicht mehr lange dauern und es werden die ersten Fördermittel fließen. Nun können wir mit dem Projekt beginnen. Ich blickte nach Links auf Falkenhagen. Auch er schaute mich zufrieden an. Der Sprecher fuhr fort mit seiner Auflistung. Es waren etwas mehr als 40 Gebiete, in die das Land aufgeteilt wurde. Manche Gebiete bestanden nur aus einer einzigen großen Stadt, andere waren mehr ländlich ausgebildet. Unser Gebiet war nahezu perfekt, eine gesunde Mischung aus ländlichen Gebieten und Ballungsräumen. Besser hätten wir es nicht treffen können. Der Sprecher kam dem Ende entgegen ohne nochmals zu erwähnen, dass die Auszahlung der Fördermittel von vielen Randbedingungen abhängig sei und auf drei Jahre verteilt würde. Als ob ich das nicht wissen würde, wer hat denn in den ganzen Arbeitssitzungen gesessen und die Randbedingungen über ein einhalb Jahre hinweg ausgearbeitet. Naja, die Hälfte der Anwesenden war ja nicht dabei, für die ist das natürlich ganz neu, dachte ich mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
Zurück in Ortelburg setzte ich mich mit Falkenhagen zusammen um die Randbedingungen zu analysieren, die das Land zur Bedingung für eine Förderung gemacht hatte. Jetzt kristallisierte sich genau der Knackpunkt heraus, an die ich bereits auf meiner Fahrt zur Tagung gedacht hatte. Wie wird das Projektgeschäft finanziell vom Tagesgeschäft getrennt? Meine Idee, dieses durch absolute Transparenz und Einrichtung von Kostenstellen zu ermöglichen endete darin, dass Falkenhagen mir vorrechnete, wie viel Mehrarbeit sich für die Buchhaltung und die Projektabwicklung ergeben würde. Außerdem würde die Köster GmbH dann nicht mehr als Lieferant für Hard- und Software, geschweige denn von Dienstleistungen für das Projekt in Frage kommen. Und genau das war ja eine lukrative Variante, die es galt unbedingt beizubehalten. Es war schon spät, als Falkenhagen mit einer Idee herauskam, die mich letztlich überzeugen sollte. Er schlug vor, ein neues Unternehmen zu gründen, welches im Anschluss nur für die Durchführung des Projektes verantwortlich sei. Somit würde man das normale Tagesgeschäft der Köster GmbH völlig losgelöst vom Landesprojekt betrachten können. Außerdem könnte die Köster GmbH als Lieferant und Dienstleister auftreten. Ich war begeistert, das war die Lösung. Wir redeten uns in einen wahren Zukunftsrausch und am Ende hielten wir unsere Gedanken auf Papier fest. Falkenhagen sagte, dass er unsere Idee am nächsten Morgen dem Ministerium unterbreiten würde und mich im Anschluss anrufen wird, dann sollten wir anschließend noch einen Termin mit Sigmar Bär machen um uns eventuelle Unterstützungsmöglichkeiten erörtern zu lassen. Nachdem er gegangen war, stellte ich das Radio an und sank erschöpft in einen der Sessel. In Gedanken ging ich das Ganze nochmal durch was heute alles passiert war. Es gab den offiziellen Startschuss des Projektes vom Wirtschaftsministerium. Mein Name wurde für das Gebiet um Ortelburg genannt und wir bekommen eine dreijährige Förderung für die technischen und organisatorischen Maßnahmen. Um eine Vermischung mit den Aktivitäten der Köster GmbH zu vermeiden, gründen wir einfach ein neues Unternehmen. Ja, es ist heute viel Ereignisreiches geschehen. Das muss ich erst einmal verarbeiten. Plötzlich fiel mir ein, dass ich heute den ganzen Tag unterwegs war und mein Schreibtisch vor Arbeit überquoll. Mein Blick schnellte zum Schreibtisch und – wie vermutet – eine proppenvolle Postmappe lag dort, außerdem zwei DIN-A4-Umschläge, die noch nicht geöffnet waren. Ich trat an den Schreibtisch und öffnete zunächst die Umschläge. In jedem der Umschläge war eine Ausschreibung enthalten, eine vom Klinikum und eine von der Handelskammer. Von der Handelskammer haben wir noch nie eine Anfrage erhalten. Sind das schon die ersten Signale, die vom Landesprojekt ausgehen? Ich schaute noch kurz die weitere Post durch und machte mich anschließend auf den Heimweg. Es war mal wieder ein langer Tag, ein langer und ereignisreicher Tag, ein langer, ereignisreicher und sehr erfolgreicher Tag! Ich lächelte leise in mich hinein.
Sigmar saß schon in einem der Sessel in meinem Büro als ich hineintrat. Er stand auf um mich zu begrüßen. „Gute Nachrichten“, sagte er. „Das Ministerium hat euren Antrag zur Neugründung unterstützt“ teilte er mir mit. „Allerdings mit einigen Auflagen! Das neue Unternehmen soll nach deren Ansicht offen für weitere Teilhaber sein.“ Ich setzte mich ebenfalls und goss mir einen Kaffee ein. Sigmar hatte sich bereits bedient. „Weiß Falkenhagen das schon?“ wollte ich wissen. „Ja, er ist schon auf dem Weg hierher, dann werden wir gemeinsam überlegen, was wir machen können“, Sigmar klang optimistisch, so, als ob er bereits wüsste, was Falkenhagen einfallen würde. Ich hingegen war etwas ratlos. Wenn wir ein neues Unternehmen für das Projekt gründen, dann sollte es doch auch unbedingt in unserer Hand bleiben. Was würde geschehen, wenn wir es öffnen und es ist erfolgreich? Sowohl die Konkurrenz aus der Region als auch die anderen Projektteilnehmer würden sich wie die Geier auf die Anteile stürzen und uns aus dem Unternehmen verdrängen wollen. Das sollte vermieden werden, und das müssen wir noch vor der Gründung berücksichtigen.
Falkenhagen stürzte sich sofort als er reinkam auf die Schale mit Gebäck nachdem er Sigmar und mich begrüßt hatte. Ich goss ihm einen Kaffee ein und schaute ihn fragend an. „Was sind das für Auflagen?“ wollte ich wissen „Und wie können wir sie umgehen?“
Falkenhagen grinste mich verschmitzt an und lehnte sich im Sessel zurück. „Nehmen wir einmal an, das Land möchte unbedingt, dass wir ein neues Unternehmen für ihr Vorzeigeprojekt gründen. Nehmen wir weiterhin an, dass dieses neue Unternehmen nicht nur uns als Gesellschafter enthalten soll, sondern offen sein soll für weitere Gesellschafter. Nehmen wir zum Dritten an, dass diese neuen Gesellschafter sowohl weitere Unternehmen sein können als auch Personen, die der Landesbehörde nahestehen. Und nehmen wir dann noch an, dass die Gesellschaftsanteile leicht zu kaufen und zu verkaufen sein sollen, dann bleibt im Endeffekt als Unternehmensform nur eine übrig.“ Er schaute fragend in die Runde. Sigmar grinste, als ob er es bereits wüsste. Ich überlegte, jedoch ohne große Anstrengung, denn ich wusste ja, dass Falkenhagen, wenn er seinen Triumpf ausgekostet hatte, mit der Lösung heraussprudeln würde. Und so war es dann auch. Nachdem er dreimal fragend in die Runde geschaut hatte und ich schließlich mit den Achseln zuckte, ließ er die Katze aus dem Sack: „Wir gründen eine Aktiengesellschaft!“ Ich erstarrte. Eine Aktiengesellschaft war für mich ein großes, undurchsichtiges und unflexibles Etwas in der Größenordnung einer Telekom, oder Thyssen-Krupp, aber doch keine Unternehmensform um ein Startup zu gründen. Mal ganz abgesehen davon, dass wir überhaupt nicht die Mittel hatten, einen Börsengang zu finanzieren. Als ich mich wieder etwas gefangen hatte, konnte ich die erste Frage stellen: „Wie soll das funktionieren und wer soll das bezahlen?“ Ich hätte noch zwei Duzend Fragen hinterher stellen können, doch das waren die ersten, die mir brennend auf der Seele lagen. Doch Falkenhagen wirkte ziemlich entspannt, und auch Sigmar sah so aus, als würde es das einfachste auf der Welt sein. Nachdem meine fragenden Blicke die Runde gemacht hatten, brach Falkenhagen das Schweigen. „Es gibt als Unternehmensform die sogenannte kleine Aktiengesellschaft. Hier benötigt man als Grundkapital keine riesige Summe. Einhundert Tausend reichen da, also nur Fünfzigtausend mehr als bei einer GmbH. Man muss auch nicht an die Börse, sondern verteilt die Aktien als sogenannte Namensaktien auf bestimmte Personen. In der kleinen Aktiengesellschaft kann es auch nur einen Vorstand geben und einen Aufsichtsrat, der aus mindestens drei Personen besteht. Der riesige Vorteil ist der, dass wir die Anteile in eine Anzahl von Aktien teilen, die wir später verkaufen können, ohne dass die neuen Anteilseigner beim Amtsgericht eingetragen werden müssen. Und – wir behalten als Vorstand und Aufsichtsrat immer die Kontrolle über die Gesellschaft!“ Ich war zunächst einmal erstaunt und schluckte etwas über diese dreiste und beim zweiten hinschauen doch charmante Lösung. Falkenhagen schaute mich grinsend an. Auch Sigmar sah zufrieden über diese Lösung aus. Ich nahm einen großen Schluck Kaffee, schaute Falkenhagen schmunzelnd an und sagte: „OK – wir gründen eine Aktiengesellschaft!“