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Der D-Zug, der den Kobler bis über die deutsche Grenze bringen sollte, fuhr pünktlich ab, denn der Herr mit der roten Dienstmütze hob pünktlich den Befehlsstab. »Das ist die deutsche Pünktlichkeit!« hörte er jemanden sagen mit hannoverschem Akzent.

Da stand auf dem Bahnsteig unter anderen eine junge Kaufmannsgattin und winkte begeistert ihrem Gatten im vorderen Wagen nach, der in die Fremde fuhr, um dort einen anderen Kaufmann zu übervorteilen.

Kobler drängte sich dazwischen. Er beugte sich aus dem Fenster und nickte der jungen Frau gnädig zu. Die verzog aber das Gesicht und machte eine wegwerfende Handbewegung. Jetzt ärgert sie sich, freute sich Kobler und mußte an das Fräulein Pollinger denken. Auch Anna wird sich jetzt ärgern, dachte er weiter, es ist nämlich grad acht, und da beginnt ihr Büro. Ich würd mich auch ärgern, wenn jetzt mein Büro beginnen tät, es geht doch nichts über die Selbständigkeit. Was war das für ein Unglück, wenn alle Leut Angestellte wären, wie sich das der Marxismus ausmalt – als Angestellter hätte ich mich doch niemals so angestrengt, den Portschinger zu betrügen. Wenn das Kabriolett Staatseigentum gewesen wär, hätt ich's halt einfach einschmelzen lassen, wie sich's eigentlich gehört hätt. Aber durch diese drohende Sozialisierung würden halt viele Werte brachliegen, die sich noch verwerten ließen. Das wär nicht anders, weil halt die persönliche Initiative zerstört wär. Er setzte sich schadenfroh auf seinen Fensterplatz und fuhr stolz durch die tristen Vorortbahnhöfe, an den Vorortreisenden vorbei, die ohne jede Bewegung auf die Vorortzüge warteten. Dann hörte die Stadt allmählich auf. Die Landschaft wurde immer langweiliger, und Kobler betrachtete gelangweilt sein Gegenüber, einen Herrn mit einem energischen Zug, der sehr in seine Zeitung vertieft war. In der Zeitung stand unter der Überschrift »Nun erst recht!«, daß ein Deutscher, der sagt, er sei stolz, daß er ein Deutscher sei, denn wenn er nicht stolz wäre, würde er ja trotzdem auch nur ein Deutscher sein, also sei er natürlich stolz, daß er ein Deutscher wäre – »Ein solcher Deutscher«, stand in der Zeitung, »ist kein Deutscher, sondern ein Asphaltdeutscher.«

Auch Kobler hatte sich mit Reiselektüre versorgt, nämlich mit einem Magazin. Da schulterten im Schatten fotomontierter Wolkenkratzer ein Dutzend Mädchen ihre Beine, als wären's Gewehre, und darunter stand: Der Zauber des Militarismus, und daß es eigentlich also gespenstisch wirke, daß Girls auch Köpfe hätten. Und dann sah Kobler auch noch ein ganzes Rudel weiblicher Schönheiten – die eine stand auf einer dressierten Riesenschildkröte und lächelte sinnlich. Sonst hatte er keine Lektüre bei sich.

Nur noch einige Wörterbücher, ganz winzig bedruckte mit je zwölftausend Wörtern. Deutsch-Italienisch, Français-Allemand, Deutsch-Französisch, Español-Aleman usw. Auch eine Broschüre hatte er sich zugelegt mit Redensarten für den Reisegebrauch in Spanien (mit genauer Angabe der Aussprache), herausgegeben von einem Studienrat in Erfurt, dessen Tochter immer noch hoffte, von einem reichen Deutschargentinier geheiratet zu werden, der ihr dies in der Inflation mal versprochen hatte. Nun beklagte der Studienrat in der Einleitung, es sei tief betrüblich, daß man in deutschen Landen so wenig Spanisch lerne, wo doch die spanische Welt arm an Industrie sei, während sie uns Deutschen die mannigfachsten Naturprodukte liefere. Diese Tatsachen würden von der jungen Handelswelt noch lange nicht genügend gewürdigt. Und dann zählte der Studienrat die Länder auf, in denen Spanisch gesprochen wird: zum Beispiel in Spanien und in Lateinamerika, ohne Brasilien.

Kobler las: Ich bin hungrig, durstig. Tengo hambre, sed. Aussprache: tengo ambrre, ßed. Wie heißt das auf spanisch? Cómo se llama eso en castellano? Aussprache: komo ße ljama ehßo en kasteljano? Wollen Sie freundlichst langsamer sprechen? Tenga ustéh la bondád de ablárr máss despászio? Wiederholen Sie bitte das Wort. Sie müssen etwas lauter sprechen. Er führt eine stolze Sprache, aber er drückt sich gut aus. Kofferträger, besorgen Sie mir mein Gepäck. Ich habe einen großen Koffer, einen Handkoffer, ein Plaid und ein Bund Stöcke und Regenschirme. Ist das dort der richtige Zug nach Figueras? Geben Sie mir trockene Bettwäsche. Bitte Zwiebeln. Jetzt ist sie richtig. Seit längerer Zeit entbehren wir Ihre Aufträge. Was bin ich schuldig? Sehr wohl, mein Herr, ich bleibe alles schuldig. Was haben Sie? Nichts. Wollen Sie zahlen? Nein. Sie wollen nicht zahlen? Nein. Es scheint, daß Sie mich verstanden haben. Auf Wiedersehen also! Grüßen Sie Ihre Frau Gemahlin (Ihren Herrn Gemahl)! Tausend Dank! Glückliche Reise! Gott schütze Sie!

»Was lesens denn da?« hörte er plötzlich seinen Nachbar fragen, der dem Herrn Portschinger ähnlich sah. Er hatte bereits seit einiger Zeit mißtrauisch in das Werk des Erfurter Studienrats geschielt. Er hieß Thimoteus Bschorr. »Ich fahr nach Barcelona«, erwiderte Kobler lakonisch und wartete gespannt auf den Erfolg dieser Worte. Sein Gegenüber mit dem energischen Zug hob ruckartig den Kopf, starrte ihn haßerfüllt an und las dann zum zwanzigstenmal die Definition des Asphaltdeutschen. In der Ecke saß noch ein dritter Herr, aber auf den schienen Koblers Reisepläne gar keinen Eindruck zu machen. Er lächelte nur müde, als wäre er bereits einigemal um die Erde gefahren. Der Kragen war ihm zu weit.

»Alsdann fahrens nach Italien«, konstatierte der Herr Bschorr phlegmatisch.

»Barcelona liegt bekanntlich in Spanien«, meinte Kobler überlegen.

»Des is gar net so bekanntlich!« ereiferte sich der Bschorr. »Bekanntlich hätt i gschworn, daß des Barcelona bekanntlich in Italien liegt!«

»Ich fahr durch Italien nur lediglich durch«, sagte Kobler und strengte sich an, genau nach der Schrift zu sprechen, um den Thimoteus Bschorr zu reizen. Aber der ließ sich nicht. »Da werdens lang brauchen nach Barcelona hinter«, meinte er stumpf. »Sehr lang. Da beneid ich Sie scho gar net. Überhaupts muß Spanien recht drecket sein. Und eine heiße Zone. Was machens denn in Madrid?«

»Madrid werde ich links liegenlassen«, erklärte Kobler. »Ich möcht nur mal lediglich das Ausland sehen.«

Bei diesen Worten zuckte sein Gegenüber wieder furchtbar zusammen und mischte sich ins Gespräch, klar, kurz und bündig: »Ein Deutscher sollte sein ehrlich erworbenes Geld in diesen wirtschaftlich depressiven Zeiten unter keinen Umständen ins Ausland tragen!« Dabei fixierte er Kobler strafend, denn er hatte ein Hotel in Partenkirchen, das immer leer stand, weil es wegen seiner verrückt hohen Preise allgemein gemieden wurde.

»Aber Spanien war ja im Krieg neutral«, kam der dritte Herr in der Ecke Kobler zu Hilfe. Er lächelte noch immer.

»Egal!« schnarrte der Hotelier.

»Spanien ist uns sogar sehr freundlich gesinnt«, ließ der in der Ecke nicht locker.

»Uns is überhaupt niemand freundlich gesinnt!« entgegnete ihm erregt der Thimoteus. »Es wär ja ein Wunder, wenn uns jemand freundlich gesinnt wäre!! Oder war's ka Wunder, Leutl?!«

Der Hotelier nickte: »Ich wiederhole: Ein Deutscher soll sein ehrlich erworbenes Geld in der Heimat lassen!« Kobler wurde allmählich wütend. Was geht dich dem Portschinger sein Kabriolett an, du Hund! dachte er und wies den Hotelier in seine Schranken zurück: »Sie irren sich! Wir jungen deutschen Handelsleute müßten noch bedeutend innigere Beziehungen mit dem uns wohlgesinnten Ausland anknüpfen. Zu guter Letzt müssen wir dabei natürlich die nationale Ehre hochhalten.«

»Das mit dem Hochhalten der Ehre sind Redensarten!« unterbrach ihn der Hotelier unwirsch. »Wir Deutsche sind eben einfach nicht fähig, kommerzielle Beziehungen zum Ausland ehrenvoll anzuknüpfen!«

»Aber die Völker!« meinte der dritte und lächelte plötzlich nicht mehr. »Die Völker sind doch aufeinander angewiesen, genau wie Preußen auf Bayern und Bayern auf Preußen.«

»Sie, wanns mir Bayern schlechtmachen!« brüllte der Thimoteus. »Wer is angwiesen? Was is angwiesen? Die Schnapspreißn solln halt nach der Schweiz fahren! Zu was brauchn denn mir an Fremdenverkehr, bei mir kauft ka Fremder was, i hab a Ziegelei und war früher Metzger!«

»Oho!« fuhr der Hotelier auf. »Oho, Herr! Ohne Fremdenverkehr dürfte die bayerische Eigenstaatlichkeit beim Teufel sein! Wir brauchen die norddeutschen Kurgäste, wir bräuchten auch die ausländischen Kurgäste, besonders die angelsächsischen Kurgäste, aber bei uns fehlt es leider noch häufig an der entgegenkommenden Behandlung des ausländischen Fremdenstromes, wir müßten uns noch viel stärker der ausländischen Psyche anpassen. Jedoch natürlich, wenn der Herr Reichsfinanzminister erklärt ...«

Nun aber tobte der Thimoteus.

»Des san do kane Minister, des san do lauter Preißen!« tobte er. »Lauter Lumpn sans! Wer geht denn z'grund? Der Mittelstand! Und wer kriegt des ganz Geld vom Mittelstand? Der Arbater! Der Arbater raucht schon Sechspfennigzigaretten ... Meine Herren! I sag bloß allweil: Berlin!«

»Bravo!« sagte der Hotelier und memorierte den Satz vom Asphaltdeutschen.

Der Herr in der Ecke erhob sich und verließ rasch das Abteil. Er stellte sich an das Fenster und sah traurig hinauf auf das schöne bayerische Land. Es tat ihm aufrichtig leid um dieses Land.

»Der is draußn, den hab i nausbissn«, stellte der Thimoteus befriedigt fest. »Ich verfolge mit Aufmerksamkeit die Heimstättenbewegung«, antwortete der Hotelier. Ihr Quadratidioten! dachte Kobler und wandte sich seinem Fenster zu.

Auf den Feldern wurde gearbeitet, auf den Weiden stand das Vieh, am Waldrand das Reh, und nur die apostolischen Doppelkreuze der Überlandleitungen erinnerten an das zwanzigste Jahrhundert. Der Himmel war blau, die Wolken weiß und bayerisch barock.

So näherte sich der D-Zug der südlichen Grenze der deutschen Republik. Zuerst ist er an großen Seen vorbeigerollt, da sind die Berge am Horizont noch klein gewesen. Aber jetzt wurden die Berge immer größer, die Seen immer kleiner und der Horizont immer enger. Und dann hörten die Seen ganz auf, und ringsherum gab's nur mehr Berge. Das war das Werdenfelser Land.

In Partenkirchen stieg der Hotelier aus und würdigte Kobler keines Blickes. Auch der Herr Bschorr stieg aus und stolperte dabei über ein vierjähriges Kind. »Eha!« meinte er, und das Kind brüllte fürchterlich, denn der Herr Bschorr hätt es fast zertreten.

Dann fuhr der D-Zug wieder weiter.

Richtung Mittenwald.

Der Herr, der in der Ecke gesessen hatte, betrat nun wieder das Abteil, weil Kobler allein war. Er setzte sich ihm gegenüber und sagte: »Dort sehen Sie die Zugspitze!«

Bekanntlich ist die Zugspitze Deutschlands höchster Berg, aber ein Drittel der Zugspitze gehört halt leider zu Österreich. Also bauten die Österreicher vor einigen Jahren eine Schwebebahn auf die Zugspitze, obwohl dies die Bayern schon seit zwanzig Jahren tun wollten. Natürlich ärgerte das die Bayern sehr, und infolgedessen brachten sie es endlich fertig, eine zweite Zugspitzbahn zu bauen, und zwar eine rein bayerische, keine luftige Schwebebahn, sondern eine solide Zahnradbahn. Beide Zugspitzbahnen sind unstreitbar grandiose Spitzenleistungen moderner Bergbahnbautechnik, und es sind dabei bis Mitte September 1929 schon rund vier Dutzend Arbeiter tödlich verunglückt. Jedoch bis zur Inbetriebnahme der bayerischen Zugspitzbahn werden natürlich leider noch zahlreiche Arbeiter daran glauben müssen, versicherte die Betriebsleitung.

»Ich hab dies mal einer Dame erzählt«, sagte der Herr zu Kobler, »aber die Dame sagte, das wären bloß Erfindungen der Herren Arbeiter, um einen höheren Tarif zu erpressen.« Dabei lächelte der Herr so sonderbar, daß sich der Kobler schon gar nicht mit ihm auskannte.

»Diese Dame«, fuhr der Herr fort, »ist die Tochter eines Düsseldorfer Aufsichtsrates und hat schon 1913 nach Kuba geheiratet, sie hat also den Weltkrieg in Kuba mitgemacht.« Und wieder lächelte der Herr so sonderbar, und Kobler verwirrte dies fast. »In Kuba wird der Krieg angenehmer gewesen sein«, sagte er, und das gefiel dem Herrn. »Sie werden jetzt ein schönes Stückchen Welt sehen«, nickte er ihm freundlich zu. Stückchen ist gut, dachte Kobler gekränkt und fragte: »Sind Sie auch Kaufmann?« »Nein!« sagte der Herr sehr knapp, als wollte er kein Wort mehr mit ihm sprechen. Was kann der nur sein? überlegte Kobler.

»Ich war früher Lehrer«, sagte der Herr plötzlich. »Ich weiß nicht, ob Sie die Weimarer Verfassung kennen, aber wenn Sie Ihre politische Überzeugung mit dem Einsatz Ihrer ganzen Persönlichkeit, mit jeder Faser Ihres Seins vertreten, dann nützen Ihnen auch Ihre verfassungsmäßig verankerten Freiheitsrechte einen großen Dreck. Ich zum Beispiel hab eine Protestantin geheiratet und hab nun meine Stelle verloren, das verdanke ich dem bayerischen Konkordat. Jetzt vertrete ich eine Zahnpasta, die niemand kauft, weil sie miserabel ist. Meine Familie muß bei meinen Schwiegereltern in Mittenwald wohnen, und die Alte wirft den Kindern jeden Bissen vor. – Dort sehen Sie Mittenwald! Es liegt lieblich, nicht?«

Der ewige Spießer

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