Читать книгу COLOURS OF HAPPINESS - Dodo Kresse - Страница 3
DAÑIEL FLIRTET MIT DEM ANFANG
ОглавлениеIn jeder Faser seines Körpers konnte er es spüren: das würde kein normaler Tag werden. Normal in dem Sinn, als er mit den vorherigen Tagen des Einerleis in eine Reihe zu stellen gewesen wäre. Dañiel streckte seinen Körper, gähnte und atmete tief ein. Es war ungewöhnlich still für acht Uhr. Die Sonne schickte einen Strahl beim Fenster herein, in dem aufgewirbelte Staubpartikel einer geheimnisvollen Choreographie folgten.
Exakt fünfzehn Minuten reservierte er täglich für sein Morgenritual: fünf Minuten duschen, zwei Minuten Zähne putzen, eine Minute gurgeln, fünf Minuten rasieren und zwei Minuten frisieren. Über dem stummen Diener hing sein Anzug und das Hemd, das er gestern abend für den heutigen Tag bereit gelegt hatte. Sorgsam zog er sich an und entfernte mit einem Fusselroller drei Katzenhaare vom linken Hosenbein. Dann breitete er die Tagesdecke über das Bett, strich sie sorgfältig glatt, erfrischte die Luft mit einem Sprühstoß Desinfektionsspray und ging in die Küche. Als er eine Kapsel in die Kaffeemaschine drückte, hörte er plötzlich ein leises Rascheln aus der anderen Ecke des Zimmers. Doch es war nicht die Katze, wie er anfangs vermutete, denn sie lag eingerollt, mit geschlossenen Lidern, auf dem Klavierdeckel und rührte sich nicht. Angestrengt suchte er nach der Ursache des Geräusches und entdeckte ein weißes Kuvert, das auf dem Boden lag. Das hatte doch vorhin noch nicht hier gelegen oder doch? Verwundert öffnete er es, entnahm ihm einen Bogen Papier, faltete ihn auseinander und las eine einzige Zeile, die quer über das Blatt geschrieben stand: „Pfeif auf deine Gewohnheiten!“ Neugierig drehte er den Zettel um, es stand aber nichts weiter darauf. Hätte er denselben Satz als Post in der Timeline seines Facebook-Accounts gelesen, wäre ihm dazu nichts weiter eingefallen, er hätte genervt weitergescrollt und auf gehaltvollere Inspirationen gehofft. Doch hier hatte sich jemand die Mühe gemacht und mit einem realen Bleistift (wer benutzt heutzutage noch einen Bleistift?) eine reale Aufforderung verfasst und leider nicht dazugeschrieben, wer derjenige sein sollte, der seinen Gewohnheiten-Tempel verlassen sollte. Genausowenig konnte er über die Identität des Absenders herausfinden. Die Rückseite des Kuverts war unbeschriftet und unter dem launigen Befehl stand keine Unterschrift. Und wenn Luise...? Er lächelte bei dem Gedanken an seine Frau. Sollte sie vielleicht? Nein, weder die Handschrift ähnelte der ihren, noch war sie der Typ zu anonymen Briefen. Obendrein war sie – so hoffte er – froh, dass er nicht zu den Männern gehörte, die auf irgendetwas pfiffen. Nachdenklich setzte er die Kaffeemaschine in Gang, den Brief in der Hand haltend. Mit einem Zischen lief der Kaffee in die Tasse und verbreitete angenehmen Duft.
Normalerweise ging Dañiel an Montagen, wie dieser einer war, um halb acht ins Büro. Er arbeitete als technischer Zeichner in einem Architekturbüro. Obwohl er seinen Job mochte, war er nun sehr froh, heute erst um neun beginnen zu müssen. Luise war zwei Stunden vor ihm aufgestanden und bereits ins Spital gefahren, wo sie als Krankenschwester arbeitete.
In der Nacht hatte es zu schneien begonnen. Er sah aus dem Fenster. Die Weinberge vor Wien schliefen unter einem zuckrigen Teppich. Jedes Jahr fühlte er diese kindliche Freude über den ersten Schnee. Dazu gesellte sich heute ein neues Gefühl, das so gar nicht in seine Routine passen wollte. Er wußte es nicht recht zu deuten, es schien ihm wie die Ahnung eines „Anfangs“. Die wunderbare, leicht nervöse Erregung des „Beginns“ nahm langsam von ihm Besitz. Dabei konnte er nicht ahnen, was heute seinen Anfang nehmen würde. Irgendwo, ganz hinten in den Katakomben seiner Erinnerungen, lag eine Sehnsucht verborgen, die sich nun, Schicht um Schicht, ans Licht arbeitete. Dañiel hatte das Gefühl, als würde sich der Tag vor ihm ausbreiten wie der Schnee, der auf den Hügeln lag: makellos und ohne Spuren. Nicht ein Wort, nicht ein Zeichen war zu lesen – nur ein Blatt Schnee voller Möglichkeiten.
Sachte, wie auf Hasenpfoten, kam ihm der Gedanke, dass es nur an ihm liegen würde, wie und wodurch diese Unberührtheit von ihm belebt werden könnte. In den vergangenen Monaten hatte er oft daran gedacht, etwas völlig Neues zu beginnen. Er wollte sich an das Gefühl des Anfangs und der Frische schmiegen und nochmals einer überraschenden Leidenschaft begegnen, hatte sich aber dagegen gesträubt, denn er war glücklich mit Luise und führte ein zufriedenes Leben. An diesem Morgen aber klärte sich der ambivalente Zustand durch die Entdeckung, dass es gar nicht um eine Leidenschaft in diesem banalen Sinne ging. Etwas anderes wollte entdeckt werden. Mit dieser Beruhigung im Hinterkopf tastete er weiter: Wenn er nun tatsächlich seine Gewohnheiten ändern würde? Nur für heute? Einfach so?
Er hielt inne und stellte den Kaffee, den er eben trinken wollte, wieder ab. Die Entscheidung, die Dañiel nun traf, sollte sein Leben verändern: Gut, dachte er, ändern wir also unsere Gewohnheiten. Er müsse gleich damit beginnen, sagte er sich, und statt des üblichen Espresso etwas anderes trinken. Nach kurzem Zögern öffnete er ein Regal und holte eine Dose hervor. Er wärmte etwas Milch und streute Kakaopulver hinein. Heiß dampfte die schokoladenduftende Milch in der Schale und er musste die Oberfläche anblasen, damit er sie trinken konnte. Überrascht von den angenehmen Empfindungen, die das Getränk in ihm auslöste, setzte er sich an den Küchentisch. Wann hatte er zuletzt Kakao getrunken? Als kleiner Junge? Er grinste, steckte den Brief in seine Hose, nahm seine Tasche und verließ das Haus.