Читать книгу Das Vermächtnis des Arkh'Shok - Domenic Albertsen - Страница 3

Kapitel XI - Wegscheide

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Lisha wischte sich den Schweiß aus der Stirn und am Kleid ab. Es war dreckig und am Saum fast schwarz von der langen Reise. Ihre Schuhe, oder was davon übrig war, hielten nur noch notdürftig an ihren Füßen.

In den vergangenen vierzig Tagen waren Roland und sie vielen Roten Rittern ausgewichen, die zwischen Beurat, der Fürstenstadt und Schnellfluss hin und her liefen. Roland hatte sie immer wieder in die Wildnis und das hohe Gras der Grünen Ebene gezogen und war mit ihr Umwege gelaufen. Auch sein Umhang war an den Rändern und am Saum grünlich schwarz von Gras und Dreck.

Jetzt, nach endlosen Tagen ohne nennenswerte Zivilisation in Form von Städten oder Dörfern und nur kleinen Bauernhöfen und Farmen, erblickte sie das schwarze Massiv von Beurat in der Ferne. Sie konnte sogar Fuhrwerke und einzelne Reisende sehen, die auf die Stadt zuhielten.

Nach weiteren Stunden wusste Lisha, dass sie in einer kleinen Stadt gelebt hatte. Beurat war gewaltig.

Mauern, doppelt so hoch wie die von Schnellfluss.

Eine Kirche, mit bunten Fenstern und vielen, vielen Türmen, die ihre Kirche in Schnellfluss in sich hätte aufnehmen können.

Torhäuser, riesig wie ganze Häuser und Befestigungen wie für einen Krieg. Allein der Palast, den sie in der Ferne erahnen konnte, erschien ihr so groß und weit wie Schnellfluss selbst. Und dabei waren sie noch nicht einmal in der Nähe.

Roland hielt Lisha plötzlich fest und griff in seinen Beutel. »Echsenkacke.«, brummte er. »Darüber hätte ich vorher nachdenken sollen.«

»Was?«, fragte sie gereizt, da sie sich erschrocken hatte. »Woran? Was ist jetzt wieder?«

»Hast du ein Tuch oder so?«, fragte er. »Ein Umhang ist zu auffällig.« Er zog ihr den Beutel von der Schulter.

»Nein, warum hätte ich ein Tuch haben sollen?«, fragte sie zurück. »Du weißt doch, was ich habe und das ist nicht viel.«

Er durchsuchte ihren Beutel und sah sich dann ratlos um. »Gut. Dann wartest du hier.«

»Hier?« Lisha schaute sich um. »Kurz vor der Stadt? Warum?«

»Ja. Ich hole dir ein Tuch.«, erklärte er kurz. »Warte hier einfach.«

Lisha stöhnte leise, als Roland sie stehen ließ und davon eilte. Die Frau verschränkte die Arme. Wozu zum Henker wollte er jetzt ein Tuch? Sie setzte sich dann ins weiche Gras. Warum sollte sie stehen, ihre Füße schmerzten, seit sie Letitia verlassen hatten. Ein wenig Ruhe konnte ja nicht schaden.

Es dauerte eine ganze Weile. Einige Karawanen und Händler, so wie scheinbare Flüchtlinge reisten in Richtung Stadt, bevor sie den großen Mann sah, der wieder auf sie zukam.

»Endlich.«, brummte sie, erhob sich aber nicht. Sie einfach allein zu lassen ohne Erklärung.

Roland seufzte. »Komm. Steh auf.« Er hielt ihr eine Hand hin. »Oder willst du in Beurat auffallen?«

»Warum sollte ich in Beurat auffallen?«

»Weil Beurat die verdammte Hauptstadt und die Kirche hier am stärksten vertreten ist?«, zischte Roland sie an. »Jetzt setz das Tuch auf, bitte.«

»Was?«, fragte sie irritiert. Roland zog sie auf die Beine und ging um sie herum. Er griff nach ihren Haaren. »He!« Lisha wehrte sich, ihre Kopfhaut protestierte schmerzend.

»Hör auf.«, grummelte Roland. »Ich mach das. Bleib einfach stehen.«

»Lass los, Arsch.«, grummelte sie, aber Roland band ihre Haare zusammen und band das Tuch um ihren Kopf.

»Willst du verbrannt werden?«, fragte er bissig.

»Willst du geschlagen werden?«

»Nein.«, grummelte er, zupfte am Tuch, machte einen Knoten und zog es fest. »Und du verbrannt werden?«

»Nein.«

»Dann vertrau mir doch nur ein verdammtes Mal.«

»Gib mir doch einen Grund dafür.«

»Wieso?« Roland trat vor sie. »Habe ich dir nicht immer die Wahrheit gesagt?«

»Du bist irgendetwas, was gefährlich ist.«

»Wieso bist du dann immer noch bei mir?«, fragte Roland ernst. »Antworte nicht. In Beurat trennen sich unsere Wege.«

»Wurde auch Zeit.«, brummte Lisha, schlug gegen seinen Arm. »Danke, dass du mich aus meiner Heimat geholt hast in noch ein schlimmeres Loch.«

Plötzlich packte Roland sie am Arm und zog sie zu sich. Er sah ihr in die Augen. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du mich nicht schlagen sollst?«, grollte er.

Lisha verzog das Gesicht. Er war ihr so nahe, dass es sich sehr seltsam anfühlte.

»Hast du.«, zischte sie. »Und ich habe es wieder getan. Ich werde mich nicht dafür entschuldigen.«

Sein Griff wurde angenehm fest. »Ich könnte dich bewusstlos schlagen und einfach liegen lassen.«

»Wirst du aber nicht.«, knurrte Lisha. »Du könntest so viel und tust es nicht.«

Plötzlich hatte sie eine Klinge am Hals. Roland hatte seinen Dolch gezückt und drückte ihn auf ihren Kehlkopf. Die Spitze stach unangenehm in ihre Haut. Sie schluckte vorsichtig.

»Na los«, hauchte sie, »tu es. Dann bist du mich und deine Sorgen los.«

»Schön wäre es, wenn dieser kleine Stich das Ende all meiner Sorgen wäre.«, knurrte Roland. Lisha spürte einen Tropfen auf ihrer Haut, der bis zu dem Kleid lief. Wenn der Dolch und das Blut nicht wären, könnte man es fast als seltsam schönen Moment bezeichnen.

»Ach ja?«, fragte sie leise. »Ich bin eine deiner Sorgen? Bin ich schon so tief in deinem Leben?«

Roland stieß sie von sich weg. »Vergiss es. Du kennst mich kein Stück.«

»Und du nicht mich.« Lisha fing sich und rieb sich den Arm, wo sie noch seinen Griff spürte.

Roland brummte, steckte seinen Dolch weg. »Wir werden jetzt nach Beurat gehen. Dann werden wir etwas essen, etwas trinken und dann trennen sich unsere Wege.«

»Ich kann es kaum erwarten.«, giftete Lisha.

Roland schmunzelte kurz. »Ich werde nur deinen Geruch vermissen.«

»Aber ich stinke.« Lisha trat zur Seite. »Also magst du stinkende Menschen?«

»Ach, kleine Katze, du verstehst es immer noch nicht.« Roland schaute zur Stadt. »Komm, es wird Zeit.«

»Ja. Wird es.«, nickte Lisha. Sie war froh, wenn sie endlich wieder allein war.

»Verhalte dich unauffällig.« Roland drückte sie nach vorne. »Wenn man fragt, bin ich dein großer Bruder. Für deinen Vater sehe ich nicht alt genug aus.«

»Wir sehen uns nicht mal im Ansatz ähnlich.«, merkte sie an. »Allein deine Haut ist wesentlich dunkler als meine.«

»Leibwächter.«, brummte Roland. »Aber es wird niemand fragen. Wir sind einfache Reisende, die aus Schnellfluss geflohen sind. So, wie ich das sehe, sind wir nicht die ersten von dort.«

Sie kamen dem Tor näher. Roland schien irgendwas an seinem Gürtel zu tun. Er hielt Lisha vor sich.

»Kannst du einen seltsamen Akzent nachahmen?«, fragte er.

»Betrunken?«, fragte sie neugierig. Roland schnaubte. »Also, deinen Akzent nicht. Ich kann vielleicht so tun, als wäre ich eine Fischersfrau.«

»Versuch irgendwie anders zu sprechen.«, brummte er, als die Wachen eine Hand hoben.

»Gute Idee.«, zischte Lisha und war sich nicht sicher, wie sie anders sprechen sollte. Vielleicht Teile der Wörter anders betonen?

»Wer da?«, fragte die Wache, die die beiden aufgehalten hatte. Roland stellte sich demonstrativ hinter Lisha.

»Mira aus Schnellfluss.«, sprach Lisha und betonte dabei möglichst die Buchstaben unterschiedlich. »Und mein«, sie sprach ein fremdes Wort, welches sie bei Letitia aufgeschnappt hatte, »hier direkt hinter mir.«

Der Mann hob eine Augenbraue und musterte Roland. »Was wollt Ihr in Beurat?«

»Wir sind nur auf der Durchreise.« Wieder sagte sie irgendwas, was keinen Zusammenhang ergab.

»Ich fliehe aus Schnellfluss zurück in die Heimat. Deswegen habe ich diesen stummen, dämlichen Wachmann dabei. Er hat noch kein Wort gesprochen.«, plapperte Lisha darauf los.

»Hat man ihm die Zunge herausgeschnitten?«, fragte der Wachmann, warf Roland einen Blick zu, der neugierig den Kopf zur Seite legte.

»Eure Heimat?« Der Wachmann schaute Lisha wieder an. »Smaragdstadt?«

»Ein Dorf dort in der Nähe, ja.«, nickte die Diebin.

Diesmal musterte er Lisha genau, die einmal lachte. »Lasst Ihr nicht jetzt durch?«

»Wieso tragt Ihr dieses Tuch?«

»Um meine empfindlichen Haare vor dem Wetter zu schützen.« Sie seufzte theatralisch. Der Mann blickte skeptisch zum bewölkten Himmel.

»Regen.«, warf Lisha schnell ein. »Feuchtigkeit. Dann sehen meine Haare so aus, wie seine.« Sie deutete mit dem Daumen hinter sich. »Schrecklich.«

Roland stieß sie leicht in den Rücken und Lisha ignorierte es. »Wisst Ihr, wie lange es dauert, sie dann wieder schön leicht gewellt hinzukriegen? Eine Ewigkeit.«

Plötzlich sagte Roland etwas hinter ihr in seiner Sprache. Der Wachmann sah ihn erstaunt an. »Sagtet Ihr nicht, er kann nicht reden?«

Lisha drehte ebenso gespielt entsetzt den Kopf um. »Ja. Das dachte ich auch. Ich schätze, ich muss Euch danken, werter Herr. Jetzt weiß ich, dass er doch nicht stumm ist.« Sie beugte sich zu dem Fremden. »Aber immer noch genauso dumm.«, murmelte sie hinter vorgehaltener Hand zu ihm.

»Trotzdem ändert das alles!«, rief sie empört aus und warf die Arme in die Luft. »Jetzt gibt es viel zu erklären.«

Sie sagte einige Worte zu Roland, die nur etwas nach seiner Sprache klang. Danach klatschte sie in die Hände.

»Gut. Wie dem auch sei. Ihr haltet mich alle auf. Eigentlich wollte ich längst in einem Gasthaus sitzen.« Sie wedelte mit der Hand und ging einfach an dem Wachmann vorbei, während sie etwas in der nachgeahmten Sprache plapperte.

Sie hörte, wie Roland ihr folgte, das schwere Schwert klapperte leise. Ihr lief ein Schauder über den Rücken, als sie sich an die regnerische Nacht erinnerte, in der er sie verfolgt hatte.

»Links.«, flüsterte Roland zu ihr und Lisha bog links ab. Sie sah ein Schild mit einem Krug. Vermutlich eine Taverne oder ein Gasthaus.

Sie war neugierig, ob er etwas zu sagen hatte.

Zumindest nicht in den ersten paar Augenblicken. Er drückte sie bestimmt durch den Eingang. Ein Schwall aus Geräuschen und Gerüchen empfing sie, Roland schnaubte und gab ein angewidertes Geräusch von sich. Für Lisha roch es sehr appetitlich.

Im Inneren saßen gut drei, vielleicht vier Dutzend Menschen zusammen, verteilt über genauso viele Tische und Sitzbänke. Ein paar Männer rauchten Pfeife, es gab auch einige wenige Frauen, die genauso abgekämpft aussahen wie sich Lisha fühlte.

»Siehst du die Ecke da hinten?« Roland deutete auf eine Sitzecke etwas abseits vom Kamin und dem Eingang. »Dorthin. Ich besorge uns Essen und Trinken.«

Der Krieger wandte sich ab, stapfte davon. Lisha spürte die Blicke auf sich und sah die Augen, die Roland folgten. Er war sehr auffällig, nicht zuletzt wegen seiner Panzerung und des großen Schwerts. Sein zerrissener Umhang machte es auch nicht besser. Es zeigte, dass er gekämpft hatte. Und gewonnen.

Sie setzte sich, die Felle der Sitzbank waren weich und schienen vor kurzem erneuert worden zu sein. Die Taverne war gut gelegen, nahe des Tores für müde Reisende.

Lisha war versucht, das Tuch um ihren Kopf abzunehmen, aber sie behielt es auf. Wenn das hier wirklich die Hauptstadt war und die Kirche hier am präsentesten war, dann sollte sie seine Warnung beherzigen. Ihre Hand wanderte zu ihrem Dolch. Das Kleid war unpraktisch, daher hatte sie ein kleines Loch an der Seite hineingerissen, um die Waffe besser erreichen zu können.

Plötzlich stand Roland neben ihr, schlüpfte neben sie, das große Schwert in der Hand, welches er neben sich an die Bank lehnte.

»Wir kriegen gleich Bier und Eintopf.«, murmelte er, klopfte sich auf die Rüstung und die Beine, als wolle er etwas prüfen.

»Bier?«

»Ja, Tee wäre auffällig. Welch Reisender trinkt nach einer langen Reise Tee, wenn er ein Bier haben kann, um besser schlafen zu können?«

»Äh...«, machte Lisha und war sich nicht sicher, was sie darauf antworten sollte.

»Genau.«, lachte Roland trocken. »Etwas anderes als Alkohol oder Wasser erregt nur Aufmerksamkeit.«

»Und warum hast du kein Wasser bestellt?«

»Nicht dran gedacht.«

»Toll, danke, Arsch.«

»Hör auf.« Die Stimme des Mannes war plötzlich so kalt wie der Stahl seiner Waffe. »Ich bin also dumm, ja? Hast du ein Glück, dass der Kerl kein Bernin verstand, du hast mit deinen Antworten mehrfach seine Mutter und seinen gesamten Stammbaum durch deine Aussprache beleidigt.«

»Wirklich? Ich dachte, es wäre nur Geplapper.« Lisha musste lachen. »Beim nächsten Mal versuche ich etwas Nettes zu sagen.«

»Das ist nicht lustig. Ich sagte, dass du so tun solltest, dass du einen Akzent hast. Nicht irgendeinen Blödsinn erzählen vom Wetter oder so.«

»Wieso? Hat es geklappt oder nicht? Ich habe ihn wirr gequatscht und bin gegangen, bevor er verstehen konnte, dass er ja mein Tuch überprüfen wollte.«

»Das war nur pures Glück. Hätte er auch nur ein Wort von dem verstanden, was du gesagt hast, wären wir jetzt wieder auf der Flucht. Oder schlimmer noch, im Kerker. Und dieses Mal können wir nicht so einfach fliehen wie in deiner kleinen Stadt.«

Lisha schnaubte. »Ich kann es dir auch nie recht machen.«

»Nicht, wenn du uns dabei immer wieder...« Roland winkte ab. »Schon gut. Wir sind drin. Aber gib auf dich acht, wenn du dich hier bewegst. Ich weiß nicht, wie die Diebe agieren. Ich weiß nur, dass die hiesige Assassinen-Gilde immer noch im Aufbau ist.«

Dabei grinste er schief und schaute zu der Bardame am Tresen, die Bier ausschenkte. Ein paar Haarsträhnen lugten unter ihrem Kopftuch hervor.

Lisha seufzte schwer. Attentäter? Das klang unangenehm. Lisha hatte sich immer aus irgendwelchen Organisationen rausgehalten. Viele wollten sie, weil sie gut darin war reinzukommen, aber sie hatte sich stets geweigert.

»Halte dich einfach von ihnen fern.« Roland lehnte sich nach hinten. »Und von den Roten Rittern. Es gibt zwar eine Kaserne im Norden der Stadt, aber sie sind normalerweise gleichmäßig verstreut.«

»Warum erzählst du mir das?«

»Ich will dir ein letztes Mal helfen.«

Lisha runzelte die Stirn. »Ich glaube immer noch nicht, dass du mir hilfst. Bringst mich weg...«

»Hör zu. Man hat uns zusammen gesehen. Man denkt, dass du etwas mit mir zu tun hast. Deswegen helfe ich dir.«

»Verstehe ich nicht. Sie würden nach einem großen Fremden mit einem Schwert auf dem Rücken suchen.«

»Genau den bist du in einer Stunde los.«, fügte Roland hinzu.

»Das halte ich aus, großer Fremder.«, erwiderte Lisha, wollte ihn noch einmal schlagen, aber entschied sich dagegen. Ein Stich in die Seite und es würde erst nach Stunden bemerkt werden, dass sie tot war. Das wollte sie nicht riskieren.

Roland hob den Kopf, als die Bardame ihnen volle Teller und einen vollen Krug brachte. Ihre Augen musterten Lisha, die sich etwas unwohl damit fühlte. Sie stellte zwei kleine Becher dazu, schaute das ungleiche Paar noch einmal an und verschwand zurück an ihre Theke.

»Hier.« Roland goss aus dem großen Krug in die kleinen Becher ein. Das Bier war dünn und schäumte kaum.

»So viel?«, fragte Lisha skeptisch. Sie hasste Alkohol.

»Damit es nicht merkwürdig aussieht.« Roland griff nach dem Holzlöffel und zückte seinen Dolch, um das Brot für sie zu teilen.

Lisha seufzte. »Schon klar.«

Ihre Augen wanderten durch den Raum. Jeder hier könnte sie jederzeit erwischen oder töten wollen. Sie war versucht, Roland über Beurat auszuquetschen. Diese Stadt stank und war so viel größer als Schnellfluss. Aber sie wollte sich die Blöße nicht geben. Sie war immer gut allein zurechtgekommen.

»Hast du keinen Hunger?«, fragte Roland neben ihr. »Ich habe das extra für dich gekauft.«

»Was hast du erwartet?«, nuschelte Lisha, griff zögerlich nach dem Brot, was er ihr reichte. »Dass ich sofort mit hungrig in einer fremden Umgebung bin?«

»Ach, beim Gras, hör auf.« Roland legte ihr die Speisen auf den Teller und schob ihn ihr zu.

»Stell dich nicht so an. Eine Kneipenschlägerei ist doch ganz witzig.«

»Wieso? Willst du eine anfangen?«, fragte Lisha und hatte plötzlich Angst, dass er es wirklich tun würde, um ihr den Fluchtweg zu ermöglichen. Dabei roch das Essen gerade so gut...

Roland lachte. »Und das Essen verkommen lassen? Niemals.«

»Gut.« Lisha machte sich über das heiße und schmackhafte Essen her, verschlang das Brot und spülte alles mit dem dünnen Bier herunter. Sie war satt, fühlte sich gut, ihr war warm und wenn diese ständige Panik vor einer Entdeckung nicht wäre, könnte man sogar sagen, sie fühlte sich in Sicherheit.

»Muss ich das Kleid jetzt abgeben?«, fragte sie träge.

»Blödsinn.«, grummelte Roland. »Behalte es. Ich würde aber zuerst vernünftige Kleidung stehlen. Und gute Schuhe.«

Sie schnaufte. »Danke für den Hinweis. Hat ja vorher schon geklappt.«

»Deine spitze Zunge wird dich irgendwann noch einmal umbringen.«, prophezeite Roland ihr düster. »Egal. Iss auf, trink aus und geh, wann du willst.«

Das ließ Lisha sich nicht zweimal sagen. Sie verschlang ihr Mahl und trank leer.

»Auf bald, kleine Katze.«, murmelte Roland, schaute in seinen Becher. Er zog noch einmal tief die Luft ein. »Pass auf dich auf.«

Schwer stand er auf und fuhr sich durch die wirren Locken. Beinahe eine Schande, dass er sie vielleicht nie wieder sah. Auf der anderen Seite malträtierte sie seine Nerven fast wie Magie. Er tastete nach den Steinen, die sich in seinem Beutel befanden und seine Nerven dauerhaft bestrahlten.

Verdammte Magie.

Roland nahm sein Schwert, gürtete es sich auf den Rücken, schaute Lisha ein letztes Mal an und verließ das Gasthaus.

Der Wind deutete auf Regen hin. Und auch der ferne Geruch. Wenigstens konnte er seinen Umhang tragen, auch wenn er sehr nach der kleinen Diebin roch.

Hoffentlich würde der Wind den Geruch vertreiben. Dreißig Tage Reise musste er noch bewältigen. Ursula und Hellbrand mussten ihm eh eine neue Rüstung fertigen, er spürte das gebrochene Skelett des Harnisch bei nahezu jedem Schritt. Wie sich die einzelnen Teile bewegten und leise aneinander schabten. Ein Geräusch, was ihn manches Mal beinahe aus der Haut fahren ließ.

Er schlenderte noch zum Markt. Eigentlich war es närrisch gewesen für Lisha seine Kräfte einzusetzen, da sie ihn jetzt kannten.

Und was auch immer der Inquisitor in diesem seltsamen Okular gesehen hatte, könnte die Kirche ebenfalls auf seine Spur führen. Er musste also verhindern, dass sie ihn wieder sahen.

»Oh.« Roland blieb bei einem Händler stehen, grinste und deutete auf ein schlankes Kästchen. »Das da, bitte.«

»Gerne.« Der Mann mit der Schärpe schnürte Roland ein Bündel und reichte es ihm, nahm dem Krieger acht Kasar ab, der zufrieden weiter an den Ständen vorbeiging.

Ob er Lisha hätte ein Paar Stiefel kaufen sollen? Ihm fehlte es an nichts und scheinbar hatte sie immer Pech. Roland war versucht umzudrehen und sie abzufangen, seufzte aber und ließ es bleiben. Sie war nicht mehr sein Problem und wahrscheinlich würde sie es auch nicht annehmen und ihn wieder beleidigen.

Schade, denn niedlich war sie ja.

Roland kaufte einen Laib frisches Graubrot, dazu Äpfel, etwas Käse und Schinken, um für die Reise gewappnet zu sein. Außerdem etwas Zunder, um seinen Vorrat wieder aufzufüllen.

Als er an einem Händler mit Bögen vorbeikam, blieb er kurz stehen. Der Köcher aus festem Leder, die Sehne haltbar. Dazu etwas Bienenwachs...

Nein. Er brauchte keinen Bogen bis zur Gilde. Hellbrand würde sicher einen Bogen aus dem Ärmel zaubern können. Wozu dann gutes Geld ausgeben?

Er ließ den Blick schweifen und bemerkte ein Blatt, das an einem Pfahl hing und ein bekanntes Gesicht, dass ihn ansah. Wilde Locken, leicht schief stehende Augen, Narben auf der rechten Seite des Gesichts.

»Scheiße.«, murmelte Roland. So schnell? Er drehte den Kopf zum Gasthaus. Sollte er sie warnen? Eigentlich war sie ja nicht mehr sein Problem.

Als nächstes fand er ein weiteres Flugblatt und schluckte. Sein eigenes Gesicht schaute ihn an, grimmig verzerrt und Bart, ebenfalls lockig. Sogar sein Schwert war fast originalgetreu nachgezeichnet worden.

»Verdammt.«, grollte er, tauchte in eine Gasse ein. Sie waren beide Gesuchte, jetzt sogar in der Hauptstadt. Wie hatte die Kirche es...

Natürlich. Die Roten Ritter, die von Schnellfluss gekommen waren. Sie hatten sich ja abseits der Wege gehalten, um nicht aufzufallen. Wie viel Zeit hatten sie verloren? Auf jeden Fall zu viel.

Er musste verschwinden. Schnell verschwinden. Aber was machte er jetzt mit Lisha? Verdammt, das war doch Echsenkacke.

Roland machte sich auf den Weg durch die Gassen, um die Hauptstraßen zu vermeiden. Wieso hatte ihn die Wache eingelassen? Kannte sie die Flugblätter nicht? Oder war das eine Falle? Die Beute in die Falle locken und dann nicht mehr herauslassen?

»Echsenkacke.«, grummelte Roland. Eigentlich wollte er sich ausruhen, aber jetzt musste er schleunigst aus der Stadt hinaus.

Er ging weiter durch Gassen und Gänge, um Wachen aus dem Weg zu gehen. Dieses verfluchte Mädchen!

Wegen Lisha nahm er diesen ganzen Ärger auf sich. Dabei ging sie ihm eigentlich nur auf die Nerven und machte ihn dabei so heiß.

Grummelnd kam er bei dem Gasthaus an und schnupperte. Ihr Geruch hing überall. Einen Weg zu finden war unmöglich. Wo würde er als erstes hingehen?

Nein, wo würde eine Diebin zuerst hingehen? Er hatte ihr gesagt, sie sollte sich gute Kleidung stehlen. Schuhe. Wenn er Lisha wäre, würde er sich Schuhe stehlen, denn ein gutes Kleid hatte sie.

Er drehte den Kopf. Ein Stand für Kleidung am Markt. Am schwierigsten zu kontrollieren. Aber sehr auffällig für Lisha. Mit schnellen Schritten ging er los, als der erste Tropfen auf seine Schulter fiel. Das Schicksal meinte es gut.

Er zog seine Kapuze auf und konnte sich so unauffällig bedeckt halten. Das gleiche würde für Lisha gelten. Zum Glück. Und es regnete fast sofort immer mehr, als würden die Götter Beurat ertränken wollen.

Er drängte sich in die dichteste Menge, die er finden konnte. Ihr Geruch hing durch seinen Umhang ständig in seiner Nase und lenkte ihn ab. Nicht hilfreich. Auch ihr Herz war nicht zu erkennen in der Masse. Und das Trommeln der Regentropfen machte es nicht leichter.

Also hieß es Ausschau halten. Er war sich sicher, dass sie auftauchen würde.

Roland versteckte sich in den Schatten, ließ den Regen über sich ergehen und wartete. Ihr Herz war charakteristisch, er würde es erkennen, wenn es in der Nähe war.

Außerdem hatte er ihn stetig neben sich gehört, ruhig und beständig. Oder verängstigt und hektisch. Er kannte jeden Rhythmus.

Roland irrte eine Weile durch die Menge, als ihn jemand anrempelte.

»Verzeiht.«, sagte Lisha und Roland packte ihr Handgelenk mit der Hand, die gerade an seinem Geldbeutel war. Hatte sie wirklich versucht ihn zu bestehlen?

»Bist du wahnsinnig?«, grollte er, zog die kleine Diebin in eine Gasse, drückte sie in einen Stapel Kisten und verbarg sie mit seiner Gestalt.

»Was denn?«, schmollte Lisha. »Dein Schwert erkenne ich überall.«

»Ja, das ist das Problem, kleine Katze.« Roland schaute sich um. »Hast du dich einmal genauer umgesehen?«

»Nenn mich nicht so.«, brummte sie und wieder traf ihn ein Schlag gegen den Arm. Beinahe wäre er zusammengezuckt, als der Schmerz über seine Haut wanderte. Er zuckte kurz mit dem Mund.

»Also hast du dich nicht umgesehen?«

»Nur nach neuen Sachen. Wieso?«

»Dann wäre dir vielleicht aufgefallen, dass wir gesucht werden.«, lächelte Roland. »Und nicht nur dir mein Schwert auffällt, sondern auch allen anderen. Und dich hat man auch sehr gut getroffen.«

»Was?«, fragte sie entsetzt. Roland hielt sie immer noch fest, als sie sich umsehen wollte. »Was machen wir denn jetzt?« Die Diebin sah ihn ratlos an.

Roland schaute zurück, überlegte hin und her.

»Zuerst müssen wir hier raus.«, sagte er leise. »Du brauchst vernünftige Kleidung. Kannst du ein paar Minuten hier warten und dich nicht rühren?«

Er klemmte seinen Umhang ab, bedeckte Lisha bis zum Hals damit.

»Damit solltest du nicht auffallen.«, brummte er. »Kannst du das für mich tun? Ich brauche nicht lange.«

»Ja. Und dein Schwert? Willst du es auf dem Rücken behalten?«

»Hm.« Roland überlegte, seufzte und nahm den großen Anderthalbhänder vom Rücken. »Versteck es gut.«

Vorsichtig nahm sie das Schwert und verbarg es unter dem Umhang. Roland seufzte. Wieso wurde er das Gefühl nicht los, dass sein Umhang noch eine Weile länger nach ihr roch?

Hoffentlich blieb sie auch wirklich dort, er hatte keine Lust, sie in dieser riesigen Stadt zu suchen.

Geduckt mischte er sich unter die Menschen, um nicht aufzufallen. Was brauchte er? Schuhe, Hose, Umhang? Ja, ein Hemd dazu. Er hätte ihre Füße vermessen sollen.

»Echsenkacke.«, murmelte Roland. Nur, wie sollten sie aus der Stadt herauskommen? Das Ausfalltor zeigte Richtung Osten. Gab es ein anderes im Westen? Er wusste es nicht, dazu kannte er die Stadt nicht gut genug. Oder sie schlichten sich in einen Karren. Eine Ladung Stoff oder Heu. Irgendetwas musste es geben.

Aber zuerst die Kleidung, dann der Fluchtweg.

Er ging zu den Ständen, in denen einige Händler schöne Stoffe und edle Kleidung darboten. Roland tat so, als würde er die Kleider begutachten.

»Mein Herr?« Der Händler beugte sich nach vorne, die braunen Augen schauten gütig und er hatte die Hände zusammengelegt. »Ein Kleid für Eure Frau? Oder einen Schleier? Für ein Fest oder eine gesellschaftliche Vergnügung?«

»Eigentlich sehe ich mich nur um.«, lächelte Roland ihn an. »Aber ich sehe was elegantes.«

Vielleicht wandte sich der Mann so ab und das Hemd direkt vorne am Rand könnte in Rolands Hände wandern.

»Und was seht Ihr, mein Herr?«

»Das Kleid in Rot mit den silbernen Fäden.« Roland deutete auf das Kleidungsstück. »Könnt Ihr mir zeigen, wie groß es ist?«

»Aber sicher, mein Herr.« Der Händler drehte sich um und als er das Kleid vom Haken genommen hatte, war das stabile Leinenhemd in dunklem Grau unter seinem Harnisch verschwunden.

»Da, bitte.« Der Händler breitete das Kleid vor Roland auf der Auslage aus, der es abschätzend musterte.

»Etwas zu lang.«, murmelte er wie mit einer richtigen Kaufabsicht im Kopf. »Aber das macht nichts. Was soll es kosten?«

»Dreißig Solez, mein Herr.«, antwortete der Händler und Roland schaute ihn ehrlich schockiert an.

»Bitte?«, fragte er überrascht.

»Nun ja, mein Herr, das ist echte Handarbeit und echte Silberfäden. Silber ist kostbar und der Meister, der die Fäden aus dem Metall holt, will auch bezahlt werden.«

Roland dachte nach. Wie machte man bitte aus einem Metall einen Faden? Davon hatte er ja bisher noch nie gehört. Da müsste er Ursula fragen.

»Dreißig also.« Er schaute in seine Geldkatze, schüttelte beinahe enttäuscht den Kopf. Er hatte zwar das Geld, aber wirklich etwas kaufen wollte er nun auch nicht. »Nein, tut mir leid, so viel habe ich nicht dabei. Kann ich nachher wiederkommen?«

»Natürlich, der Herr.«, nickte der Händler und nahm das Kleid beinahe sofort wieder weg. Es schien zu kostbar für Roland. Der Krieger warf dem Kleid einen leidenden Blick zu, winkte und wandte sich ab.

Ein Hemd hatte er. Jetzt eine Hose.

Die Hose erlangte er durch das gleiche Täuschungsmanöver, den Umhang nahm er einfach von einem Haken und hängte ihn sich selbst um. Natürlich war er zu kurz, aber fiel auf den ersten Blick nicht auf.

Die Schuhe waren etwas kniffliger, da nicht so viel Kundschaft bei Schuhmachern herrschte wie bei Kleidern oder eben gewöhnlicher Kleidung. Er beobachtete die einsame Händlerin, die viele Schuhe vor sich aufgereiht hatte. Einen Rabatt konnte er nicht kriegen. Es sei denn...

»Werte Dame.« Er lächelte und hob die Hand. Die Frau schaute auf und lächelte, was ein feines Netz aus Lachfältchen um die lebendigen hellbraunen Augen legte. Ihre Hände waren schlank, die Finger und Handfläche ledrig. Sie stellte die Schuhe offenbar selbst her. Sie selbst hatte ein dunkelbraunes Kleid mit einer Lederschürze um den Körper.

»Mein Herr.«, sagte sie und ihre angenehme Stimme erinnerte ihn entfernt an Leyira, nur ein wenig zu laut. Kurz bedauerte Roland die Gasthausbesitzerin und zwang sich wieder ein Lächeln auf die Lippen.

Seine Augen huschten über die Frau. Kein Ring oder anderer Schmuck. Eine einsame, junge Frau. Anhand ihres Kleides war zu sehen, dass sie nicht sonderlich reich war. Alles spielte ihm in die Karten.

Roland stellte sich an den Stand und sah die Schuhe und Stiefel an.

»Beinahe hätte ich Euch bestohlen.«, sagte er ehrlich, versuchte eine Art Bedauern mitschwingen zu lassen.

Sie schien schockiert, fassungslos, schaute Roland dann aber von unten bis oben an, öffnete und schloss den Mund. Sie schien sich unschlüssig, was sie sagen sollte. Roland erwartete eine dümmliche Antwort, aber es kam eine Frage.

»Und warum habt Ihr es nicht?« Sie stand auf und war im Stehen nur etwas größer als Lisha.

»Ich habe es nicht übers Herz gebracht.« Er seufzte und ließ den Kopf kurz hängen. »Verzeiht. Ich...«

Der Fisch war neugierig geworden, jetzt musste Roland warten und sie an den Haken bringen.

»Ja?«, fragte sie, trat an die Auslage, die Finger berührten das Holz beinahe liebkosend.

Er lächelte leicht.

»Seit dem Tod meiner lieben Frau ist es schwer, meine Tochter und mich über die Runden zu bringen.«, erzählte er und hoffte, dass sein lädierter Harnisch den Rest erledigte. Sie musterte ihn akribisch.

»Ihr seid keine Stadtwache.«

»Nein, private Sicherheit.«, lächelte Roland. »Aber es ist leider nicht so gut bezahlt. Und gerade mit meiner kleinen Tochter...«

»Wie alt ist Eure Tochter?«

»Fast fünfzehn Jahre. Ich würde sie gerne zur Familie meiner Frau bringen, aber die ist in Valammar. Eine Überfahrt ist leider zu teuer, also dachte ich, dass ich ein paar ordentliche Stiefel klaue, damit wir zusammen dort hingehen können.

Aber das konnte ich Euch nicht antun. Dafür saht Ihr einfach zu einsam aus. Genau, wie ich mich manchmal fühle.«

»Ein stattlicher Mann wie Ihr kann doch gar nicht so einsam sein.«, erwiderte die Frau, ein blasses Rosa färbte ihre Wangen und gab ihr etwas mehr Leben.

»Das glaubt Ihr.«, lachte der Mann. »Meine Tochter beansprucht mich meistens. Sie vermisst ihre Mutter und ich versuche ihr alles zu bieten. Das klappt nur leidlich.«

»Es hört sich schön an, wie Ihr das sagt.«, lächelte sein Gegenüber. »Ich wünschte, mein Mann wäre so.«

»Ihr habt einen Mann?«

»Nein.« Die Augen der Frau huschten kurz zu Boden. »Ich wünschte es mir nur.«

Roland hatte sie. Für einen kleinen Rabatt würde es reichen. Er stützte sich auf dem Holz ab.

»Wie kann es sein, dass eine so bezaubernde Frau keinen Mann hat?«

»Was soll ich dazu sagen, mein Herr?«, fragte sie ihn zurück, aber ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. »Eine Schuhmacherin? Wer achtet denn auf so etwas?«

»Ich. Und viele andere, würde ich meinen. Schuhe sind wichtig. Wir stehen den ganzen Tag auf unseren Füßen. Und ich habe noch niemanden gesehen, der ständig auf seinen Händen läuft.«

Die Frau kicherte verzückt und hielt sich die Hand vor den Mund. »Ein Gaukler?«

»Nicht einmal der.«, grinste Roland.

»Ach nein?«

»Ney.« Roland gluckste. »Auch er wird aus dem Ring treten und wieder auf den Boden kommen. Mit seinen Füßen.«

Wieder kicherte die Frau und ließ den Blick über die Auslage wandern. »Wie groß ist Eure Tochter?«

Roland überlegte und hielt sich die flache Hand vor das untere Drittel seines Brustbeins.

»Sehr süß.« Wieder hing ihr Blick auf ihrer Ware. »Ich kann Euch kein Paar schenken...«

»Das würde ich auch nicht erwarten.« Roland ließ den Blick ebenfalls wandern. Es tat ihm nicht leid, dass er sie so belügen musste. Es war eine Notwendigkeit.

»Sie brauchen nicht reich verziert sein«, meinte er, »wir brauchen gute und haltbare Schuhe. Mehr nicht.«

»Wie viel könnt Ihr entbehren?«, fragte sie leise und suchte bereits ein Paar raus. Roland seufzte gespielt theatralisch, öffnete seine Geldkatze, zählte klimpernd die Münzen durch.

»Insgesamt bin ich bei etwas über einem Solez.«, log er. Er hatte noch mehr dieser schweren Goldmünzen, aber der Plan war ein anderer.

»Machen wir fünf Kasar.«, schlug sie vor.

Der Krieger überlegte. Die Unbekannte kam ihm sehr entgegen, würde wahrscheinlich etwas über ihrer Schmerzgrenze handeln, um noch einen gewissen Spielraum zu haben, aber ging genug mit dem Preis herunter, um wirklich einen Nachlass gewährleisten zu können.

Roland griff in seine Geldkatze und zählte sechs Kasar ab, die er ihr entgegenstreckte.

»Nehmt es als kleine Aufmerksamkeit meinerseits.«, bat er sie ehrlich. Vielleicht konnte er ihr damit auch etwas Gutes tun. Zumindest ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern. Und das tat er.

»Nein.« Sie nahm die fünf Silbermünzen aus seiner Hand und gab ihm die Stiefel. »Das sollte passen.«

Roland schaute kurz auf die Münze in seiner Hand, dann auf die Stiefel in der anderen, bevor er sich verneigte.

»Meine Tochter und ich danken Euch.«, meinte er rau und war sogar ein klein wenig gerührt.

»Sehr gerne. Denkt an mich, wenn Ihr in Valammar seid.«

»Mit jedem Schritt.« Roland wollte sich abwenden, drehte sich auf halber Strecke aber wieder um. »Wie heißt Ihr, werte Dame?«

»Variana.«, antwortete sie.

»Variana.« Roland lächelte breit, der Name ging leicht von den Lippen. »Ich bin Roland. Wir werden uns sicher wiedersehen.«

»Ich freue mich darauf, Roland.«, lächelte Variana zurück.

»Ich auch.« Roland verneigte sich und verschwand schneller in der Menge als er eigentlich wollte. Sie war süß gewesen. Herzlich. Roch gut. Und damit war sie zu gut für Roland. Für seine Art der Arbeit. Und er hatte sie bereits belogen. Etwas, was kein guter Grundstein war.

Zumal er nichts suchte, was über eine Liebschaft hinaus ging. Die wahre Liebe gab es nicht. Nicht für ihn.

Manchmal fragte sich Roland, ob das an seinem Leben lag. Ob aus seiner Position heraus irgendeine Macht bestimmte, dass er nicht glücklich sein durfte.

Wen kümmerte es? So hatte er viele Frauen gehabt. Viele gute Frauen. Und manche waren seinetwegen gestorben. Leyira war der jüngste Fall und sie war so niedlich gewesen. Hätte er...

Nein, Selbstvorwürfe halfen nicht. Eventuell hätte er etwas ändern können, aber jetzt war es zu spät. Die Schuld des Überlebenden, etwas anderes war das nicht.

Er seufzte und erreichte Lisha, die immer noch an Ort und Stelle stand.

»Hier.« Er drückte ihr eilig die Stiefel in die Hand und band den Umhang ab.

»Wo...« Lisha schaute dümmlich auf das feste Paar Stiefel und den Umhang aus dickem grünem Stoff.

»Hast du das alles gekauft?«, fragte sie erstaunt, als Roland Hose und Hemd aus seinem Harnisch zog.

»Ney, nur die Stiefel.« Er legte die Kleidung neben Lisha auf die Kiste. »Hose unter das Kleid. Dann Stiefel an. Hemd am besten erst in der Wildnis. Umhang zum Schluss.«

»Was?«, fragte sie verdattert.

Roland knurrte. »Stell das Schwert ab und zieh die Hose an.«

»Passt die mir?«

»Keine Ahnung. Besser als das Kleid. Los.«

Lisha schaute Roland auffordernd an, der nur zurückschaute.

»Was?«, brummte er.

»Umdrehen.«

»Du...« Roland tat es, eine Diskussion war jetzt überflüssig. Dabei konnte er sich einen neuen Überblick verschaffen. Sie mussten sich beeilen. Wenn nur einer auf die Idee kam sie genauer anzusehen, hatten sie schneller die Wachen am Hals, als sie Flugblatt sagen konnten.

»Beeil dich.«, brummte er und überlegte angestrengt, was sie tun sollten. Nochmal das Glück am Tor herausfordern?

Entweder das oder über die Mauer? Nein, Roland würde es schaffen, aber Lisha nicht. Als Begleitung für einen Händler auch nicht. Vielleicht sich unter einem Fuhrwerk oder zwischen den Waren verstecken?

Roland fuhr sich durch die krausen Haare. Es gab hier keine Tunnel, die unter der Mauer durchführten.

»Wir schauen uns das Haupttor an.«, entschied Roland. »Sollten wir keine Möglichkeit sehen, warten wir bis in die Nacht in einem Versteck und nehmen eines der Ausfalltore. In der Nacht kann ich uns besser verbergen.«

»Ich kann mich auch gut verbergen.«, beschwerte sich Lisha. Das war typisch für sie. Alles wollte sie allein machen, aber wenn es wirklich dazu kam, dann war sie zu feige oder nicht in der Lage dazu.

»Dennoch habe ich dich gefunden.« Roland hörte es rascheln. »Ich hoffe, die Stiefel passen dir, ich musste deine Größe schätzen.«

»Alles in Ordnung. Wir können los.«, brummte Lisha hinter ihm.

»Gut.« Roland schaute sich in der Gasse um. »Brauchst du noch etwas, bevor wir gehen?«

»Keine Ahnung. Wohin gehen wir?«

»Sagte ich gerade. Wir schauen uns das Haupttor an und warten auf eine Gelegenheit. Sollte sich keine bieten, gehen wir zum westlichen Ausfalltor und warten dort auf die Nacht, damit wir fliehen können.«

»Nein. Ich meinte, wenn wir raus sind.«

»Weiß ich nicht. Weg. Erstmal Nahrung finden. Dann...« Roland schwieg kurz. »Ich bringe dich wohl zur Smaragdstadt. Dort ist die Kirche nicht vertreten, auch, wenn sie es gerne möchte.«

Er sah über die Schulter und nahm Lisha am Arm. »Zum Tor.«

»Wie weit...« Lisha sprach nicht weiter, als Roland ihren Arm drückte. Sie mussten hier weg und die Nacht war ihre letzte Chance. Überstürzen durften sie es aber auch nicht.

»Geh vor mich und halte dich bedeckt.«, entschied er und zog sie vor sich. »Wenn dich jemand anspricht, dann lass mich reden.«

»Und unsere Tarnung ist damit dahin?«, fragte Lisha überflüssigerweise.

»Du redest nur, wenn dich der gleiche Wachmann anspricht.«

»Na gut.«, grummelte Lisha, sperrte sich etwas gegen seine fordernden Schubser, lief aber vor ihm her. Roland ließ den Blick schweifen, hoffte, dass sie niemand bemerkte. Der Regen trommelte auf seine Kapuze.

»Siehst du den Heuwagen?«, flüsterte Lisha leise. Roland schaute nach vorne und brummte. »Da rein? Wenn er weiterfährt?«

»Falls er zum Tor fährt.«, meinte der Krieger. Der Wagen war mit festem Segeltuch oder etwas in der Art abgedeckt, ein wenig Stroh hing unten heraus.

»Ist es einen Versuch wert?«, fragte die kleine Frau vor ihm.

»Hm.« Roland schaute nach links und rechts. »Ja, wir sollten es versuchen. Geh auf die rechte Seite, wenn sie den Laden passiert haben. Schau, ob du die Plane anheben kannst.«

Lisha löse sich von ihm und ging in Richtung des Wagens. Roland leckte sich über die Lippen und bog links ab. Er hielt Ausschau nach Wachen und löste die Plane etwas.

Es war möglich. Sie mussten nur hoffen, dass der Wagen die Stadt verließ. Lisha war auf der anderen Seite, hatte den Wagen noch nicht erreicht. Sie ging ein paar Schritte schneller, erreichte den Wagen, ihr Herz raste vor Anstrengung und Angst.

»Ich versuche es jetzt.«, flüsterte sie.

Roland sah sich um und nickte. Ein guter Zeitpunkt.

»Und los.« Er hob die Plane an und rollte sich in das muffige Stroh. Es war eine Altladung für...was eigentlich? Er ignorierte es. Jedenfalls kamen sie jetzt hoffentlich aus der Stadt heraus.

Roland fuhr mit der Hand durch das Stroh und bekam einen Arm zu greifen. Lisha hatte es auch geschafft. Er schloss die Augen und hätte beinahe gehustet. Dieser Geruch war penetrant.

»Scheiße.«, flüsterte Lisha. »Warum muss es immer Scheiße sein?«

»Könnte auch Stroh vom Gesinde sein.«, meinte Roland. »Aber es wird entweder verbrannt oder gelagert, der Weg führt uns anscheinend aus der Stadt heraus.«

Er spürte Lishaes Hand, die seine griff. »Und jetzt warten wir?«

»Was bleibt uns anderes übrig?«, erwiderte der Krieger. »Oder hast du eine bessere Idee?«

»Nun. Das hier ist meine Idee.« Die Frau lachte einmal schnaufend.

»Meine wäre gefährlicher.« Roland schnaufte einmal und nieste leise. »Scheiße.«

»Im wahrsten Sinne.« Lisha bewegte sich und das Stroh raschelte leise. Jetzt hieß es warten. Solange konnte er sich noch etwas ausruhen.

»Weck mich, wenn etwas passiert.« Roland behielt die nasse Kapuze auf dem Kopf, zog sie sich etwas mehr ins Gesicht und versuchte eine angenehme Position zu finden.

Sein Schwert drückte in seinen Rücken, aber als er sich auf die Seite drehte, ging es. Das Stroh war angenehm weich. Vermutlich trug der Unrat dazu bei.

Je länger Roland darüber nachdachte, umso unangenehmer wurde alles.

»Gut, kein Schlaf.« Er bedauerte, dass Lisha ihm die Hand wieder entzogen hatte. Sie fühlte sich klein und hart an und irgendwie hatte er sich eingebildet, er könne ihren Puls fühlen. Er drehte den Kopf. Lisha hatte die Kapuze ebenfalls ins Gesicht gezogen. Ihr Herzschlag war ruhig und sie atmete etwas lauter. Schlief sie?

Roland wandte den Blick ab und musterte die Plane, die teilweise von dem Regen durchhing.

Also warten.

Der Wagen ratterte über die Straße, wechselte zwischen Kopfsteinpflaster und festgetretener Erde hin und her. Hin und wieder klimperten Rüstungen, genagelte Sohlen auf Stein. Wenn Roland jetzt nicht völlig die Orientierung verloren hatte, führte der Weg wirklich Richtung Tor.

Er grinste leicht. Kluge Katze. Das war die richtige Entscheidung gewesen. Und wenn sie kontrolliert wurden, dann könnte Roland sie überwältigen und sie könnten fliehen.

Und dann zur Smaragdstadt. Ein weiterer Fußmarsch von mindestens dreißig bis vierzig Tagen und die Hälfte der Strecke zurück zur Gilde. Seine armen Füße. Er verdrehte die Augen. Was tat man nicht alles?

Eigentlich könnte Roland ihr eine Karte geben und zeigen in welche Richtung sie musste, aber niemals würde Lisha lebend dort ankommen und das wäre bedauerlich.

Ob sie dann die Smaragdstadt überleben würde? Die Diebe dort waren anders, ebenso die Wachen. Diebstahl wurde mit einer abgeschlagenen Hand quittiert, soweit Roland wusste. Und Magie war dort alltäglich. Das war in erster Linie nicht schlimm, aber einen Magier zu beklauen war unter Umständen doch eine andere Größe als ein wohlhabender Händler.

Lisha musste zurechtkommen. Er konnte jetzt doch nicht den Rest ihres Lebens auf sie aufpassen und durch die Gegend schleppen. Was er leicht bedauerte. Manchmal. Nicht immer. Sie war niedlich, roch gut, tolle Haare und Augen. Aber sie war nervig und frech. Ein Kind eben.

Er hörte draußen Stimmen. Sie sprachen über die Ladung und wurden glücklicherweise durchgewunken.

»Und was machen wir jetzt daraus?«, fragte eine junge Stimme.

»Das, was wir mit jeder Ladung machen, Junge.«, erwiderte eine barsche ältere Stimme.

»Also wieder Körbe flechten.«, seufzte der erste Sprecher.

Roland verzog das Gesicht. Sie flochten Körbe aus diesem Stroh? Gut, dass er keinen davon kaufen würde. Das war wirklich sehr eklig.

Er schob den Gedanken zur Seite und schloss die Augen wieder. Gleich würde er Lisha wecken und sie waren schon auf dem halben Wege nach Norden.

Eine Stunde später hielt der Wagen stockend und rumpelnd an. Sie waren weiter nach Westen gefahren.

»Julius!«, rief eine Frau. »Wurde auch Zeit. Essen ist fertig!«

»Ja, ja, Weib. Brüll hier nicht so rum.«, grummelte der Mann, offensichtlich der angesprochene Julius.

»Und das Stroh?« Die jüngere Stimme, vermutlich der Sohn.

»Lass es stehen. Wer sollte schon Stroh klauen? Komm, Essen, bevor deine Mutter wieder grantig wird.«

Roland hätte sich beinahe ins Fäustchen gelacht. Das lief alles erschreckend gut. Sie waren raus, hatten einen weiten Abstand zwischen sich und der Stadt gebracht und jetzt kontrollierte auch niemand den Karren. Abgesehen von der Scheiße, in der sie lagen, lief es gut.

Noch etwas warten. Lisha konnte den Schlaf auch gebrauchen. Er drehte sich auf die Seite und spähte unter der Plane nach draußen.

Auf seiner Seite lag ein Gebäude, was Roland als Scheune bezeichnen würde. Dazu gab es eine Koppel, die aber leer war. Vermutlich für das Pferd, welches den Karren zog.

Er drehte sich zu Lisha und berührte sie vorsichtig an der Schulter. »Lisha.«, flüsterte der Krieger. »Wach auf. Wir steigen aus.«

Die Diebin blinzelte, zuckte zurück, als sie Roland erkannte.

»Was ist?«, zischte sie angriffslustig, als hätte sie sich erschreckt.

»Wir steigen aus.«, wiederholte er. »Komm.«

Lisha nickte leicht, rutschte unter der Plane hervor. Roland tat es auf ihrer Seite gleich, Stroh und dunkle, braune Klumpen fielen auf seiner Seite auf den festgetretenen Boden des Hofes, auf dem sie sich befanden.

»Wohin jetzt?«, fragte Lisha, als sie sich zu Roland gesellte.

»Westen.« Roland deutete in die ungefähre Richtung. »In die Wälder. Und von dort nach Norden.«

»Und dann?«

»Gehen wir. Komm. Bevor uns die Hausbewohner bemerken.« Er wischte sich etwas Stroh von der Schulter und ging los. Der Regen kam ihm gelegen.

Geduckt führte Roland Lisha um die Scheune herum und von der umzäunten Farm herunter. Er sah das Licht in der Wohnstube, aber niemand schaute zu ihnen. Er drückte Lisha weiter und lief mit ihr ein paar Schritte, bevor sie eine Straße erreichten. Dieser folgten sie eine Stunde nach Norden und bogen dann im rechten Winkel nach links in die Wälder ab, die in Steinwurfweite der Straße folgten.

Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen. Rolands Haare standen vermutlich zu Berge und eigentlich wunderte er sich, dass Lisha noch keinen Kommentar dazu gemacht hatte.

»Lass uns einen Platz für die Nacht suchen.« Roland zückte seinen Dolch. »Ich werde schauen, dass ich etwas jagen kann.«

Lisha antwortete wieder nicht. Erstaunt drehte Roland den Kopf nach hinten. Lisha ging hinter ihm, hatte den Blick auf ihre Füße gerichtet. Was war denn jetzt los?

Roland führte sie erst in den Schutz der ersten Bäume, bevor er seine Kapuze absetzte.

»Was hast du?«, fragte er sie direkt.

"Was? Was meinst du bitte?" Sie ging an ihm vorbei und legte ihren Beutel ab.

»Du bist so schweigsam.« Roland ließ seinen etwas größeren Beutel neben ihren fallen. Es klatschte dumpf. Kein guter, aber auch kein schlechter Ort.

»Beschwerst du dich sonst nicht darüber, dass ich zu viel rede?«

»Genau. Und das wundert mich. Hast du etwas?«

»Nein.«, grummelte Lisha und setzte sich an einen Baum. Roland musste nicht einmal ihr Herz hören, um zu wissen, dass sie log. Sie wollte nicht darüber sprechen.

»Na schön.« Roland suchte Holz zusammen und brachte es mit Müh und Not dazu, einige kleine Flammen aufrecht zu erhalten. Es war noch nass.

»Nicht trocken genug.« Roland seufzte. »Wir sollten aufpassen. Noch sind wir nahe an Beurat. Ich gehe etwas jagen, pass bitte auf das Feuer auf.«

Lisha verschränkte die Arme und machte sich kleiner. Roland seufzte und ging los.

Seine Ausbeute war nicht groß, nur ein etwas magerer Hase und ein ebenso mageres Eichhörnchen. Beides wurde gebraten und alles verspeist, was sich zum Verzehr eignete. Lisha wirkte die ganze Zeit neben sich und in sich gekehrt.

»Du kannst dich hinlegen.«, entschied Roland irgendwann. »Ich halte Wache.«

Lisha schaute Roland an, nickte einmal kurz und rollte sich an Ort und Stelle zusammen.

»Gib mir deinen Dolch.«, verlangte Roland noch. »Ich werde ihn schärfen.«

»Nein.«, antwortete die Frau. »Ich gebe meine Waffe nicht ab.«

Roland zuckte mit den Schultern. Sollte sie machen. Eine scharfe Waffe war ein guter Verbündeter. Aber das war ihre Sache. Wenn sie keinen Gefallen wollte, war das auch gut.

Lisha schloss die Augen. Der Mann hörte ihrem Atem zu und beobachtete das karge Feuer.

Die nächsten Tage schlugen sich die beiden unfreiwilligen Gefährten durch die Mischwälder, die sich immer mal wieder ausdünnten und dann verdichteten. Einmal kamen sie sogar an einem alten Schlachtfeld vorbei. Roland musste Lisha davon abhalten, in Gräber zu fallen oder in rostige Waffen zu treten.

Er war sich bewusst, dass Lisha eine gute und fähige Diebin innerhalb ihrer Heimat war, aber sonst war sie zu unbeholfen.

An einem Abend entschied Roland Lisha weiterzutreiben. Den ganzen Tag hatte sie gejammert und war mürrisch. Roland wollte, dass sie müde wurde.

»Warum tust du das?«, fragte sie mies gelaunt. »Normalerweise hast du es sonst auch nicht so eilig.«

»Wir müssen etwas Strecke machen.«, erwiderte der Krieger. »Ich habe etwas im Gefühl und will nicht, dass uns etwas einholt.«

»Was soll uns denn bitte einholen?« Lisha war hörbar genervt.

Roland schwieg. Es gab in den Wäldern und Gebirgen genug Wesenheiten, die zwei Wanderern gefährlich werden konnten. Aber das war gerade nur eine Ausrede gewesen, um sie weiter voran zu treiben.

Er drehte den Kopf zu der Sonne, die langsam am Horizont verschwand. Die Straße, auf der sie waren, führte direkt zur Smaragdstadt. Bald hatten sie die Grenze nach Emcara erreicht.

Am nächsten Morgen blieb Lisha stehen. Roland schaute in die Richtung, in der sie den Blick gerichtet hatte und seufzte.

»Was ist das?«, flüsterte die Frau.

»Das?« Roland schüttelte den Kopf. »Das, kleine Katze, ist eine aufgegebene Festung aus einem der Glaubenskriege der Kirche gegen die Magier.«

Lisha schluckte hörbar. Was sie sah, musste schrecklich für die kleine Frau sein, besonders hier.

Die Ruine, die sie aus der Ferne sahen, war so schwarz wie ein Schatten in den Tunneln unter Schnellfluss. Ihre Mauern waren verbrannt, Skelette hingen an Eisenpfählen an ihnen oder waren mit dem Stein verschmolzen. Geborstene Türme ragten wie faulige Zähne in den Himmel. Im Hof blitzten immer noch kleine Zauber auf, die sich im Laufe der Jahrhunderte nicht aus der Festung hatten lösen wollen.

»Glaubenskriege?«, fragte Lisha leiser.

»Ja.« Roland holte ein Stück Käse aus seinem Beutel und reichte es Lisha. »Damals, als die Kirche von Norden kam und sich Beurat einverleibte, führte sie mit ihren Armeen und den wenigen Roten Rittern Krieg gegen alles, was in irgendeiner Weise magisch war. Es gab mehrere Glaubenskriege, im ersten Glaubenskrieg wurde ihr Gründer getötet.

Und das dort, meine kleine Katze, ist eine der Festungen, die Emcara daran hindern sollte, nach Beurat zu marschieren. Du siehst, wie gut das funktioniert hat.«

»Nicht sehr.«, merkte sie an und verspeiste den Käse.

Roland lächelte einmal und spürte eine unangenehme Kälte seinen Nacken berühren. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Kathryr wackelte in seiner Scheide und beruhigte sich rasch wieder.

»Wir sollten weiter.«, meinte Roland, schaute sich um, horchte auf den Wald. Viele kleine, rasende Herzen und das von Lisha. Was war das gerade gewesen?

»Können wir nicht Pause machen?«, fragte sie genervt.

»Nein. Weiter. Bitte.«, sagte Roland eilig und drückte sie weiter. Lisha stöhnte auf, fügte sich aber. Roland war schließlich stärker.

Erst, als es schon finstere Nacht war, rasteten sie am Rande einer großen Lichtung. Irgendetwas hatte die Bäume in einem perfekten Kreis gepflanzt, die Mitte der Lichtung bestand aus einer grasigen Fläche.

Roland baute rasch einen kleinen Kreis aus Steinen und machte ein Lagerfeuer.

»Ich gehe jagen. Pass gut auf.«, sagte er leise zu Lisha, bevor er in die Dunkelheit verschwand. Er suchte nach Spuren und versuchte die Herzen der Tiere auszumachen, als ein spitzer, kurzer Schrei ihn herumfahren ließ. Lishas Herz raste. Das hätte sie niemals ohne Grund getan.

Er hörte etwas zischen, dann das Klirren von Stahl auf Stein. Roland zog sein Schwert. Das uralte Artefakt vibrierte aufgeregt in seiner Hand.

Mit einem Satz war er auf der Lichtung und erstarrte fast. Lisha kämpfte gegen einen Schatten, panisch wehrte sie zustoßende Krallen ab. Der Schatten zischte und Roland wusste nun, was sie beobachtet hatte.

»Geh weg von ihr!«, brüllte der Krieger, stürmte heran, entfesselte seine Macht und schlug zu. Das Wesen wehrte seine Klinge mit harten Krallen ab, glühende rote Augen starrten ihn ob seiner Einmischung wütend an.

»Misch dich nicht ein.«, zischte die schlanke Frau vor ihm. Sie wich einen Schritt zurück, bleckte ihre spitzen Eckzähne.

»Nichts da!«, grollte Roland und griff sie an. Sie sollte keine Gelegenheit bekommen, Lisha nochmal anzugreifen.

Kathryr knallte gegen die Krallen und er drückte mit aller Gewalt gegen das Monster. Das Wesen zischte wieder, schüttelte die Hand aus und schlug zu. Roland bekam das Schwert nicht mehr rechtzeitig hoch und sein Harnisch wurde getroffen. Ihm drückte es die Luft aus den Lungen und er spürte, wie die Bänder aus Stahl in seinem Panzer brachen.

Den Schlag, den er anbrachte, war nicht so stark wie gewünscht, reichte aber, um die angreifende Frau zu verletzen. Dunkelrotes Blut floss aus der Schulterwunde, tränkte das gewöhnliche Kleid dunkel.

Sie zischte ihn an und sprang plötzlich auf Roland zu. Er versuchte das Schwert hochzuziehen, doch sie schlug es zur Seite und prallte gegen seine Brust. Roland schlug ihr gegen den Kopf, es krachte vernehmlich. Sie war stark, grinste breit.

»Oh, dein Blut wird schmecken.«, säuselte sie, der Schlag schien sie kaum zu beeindrucken. »Oder ich lasse dich leben und sauge erst deinem Liebchen das Blut aus. Sie sieht süß und schmackhaft aus.«

»Vergiss es.« Roland schlug mehrmals von unten gegen ihre Brust, die Frau mit den rotglühenden Augen keuchte, ließ aber kaum von ihm ab. Mit den scharfen Krallen packte sie seine Hände und drehte sie. Blut sickerte aus vielen, kleinen Wunden. Roland biss die Zähne zusammen, aber konnte seine Waffe nicht festhalten, sonst hätte sie ihm die Hand gebrochen. Er keuchte und versuchte an seinen Dolch zu kommen, als sie auf ihn sprang und ihn am Boden fesselte. Ihre Zähne blitzen auf.

Roland wollte nicht herausfinden, was passierte, wenn sie ihn biss. Mit aller Gewalt ruckte sein Kopf nach oben und er verpasste ihr einen sehr schmerzhaften Kopfstoß gegen ihr Kinn. Sterne explodierten vor seinen Augen.

Sie fauchte, ließ kurz ab. Roland konnte nicht reagieren, als das Gewicht plötzlich von ihm verschwand. Er blinzelte, klärte seinen Blick und bemerkte rote Locken, die vorbeiflogen. Sofort stand er auf, hörte etwas knacken und Lisha aufschreien. Der Vampir lag auf Lisha, packte ihre Haare und zog ihren Kopf zur Seite, legte den Hals frei. Bevor Roland es zu ihnen schaffte, rammte Lisha ihren Dolch in den Hals der Frau. Blut sprudelte aus der Wunde und in Lishas Gesicht, die die Augen schloss und das Gesicht verzog.

Der Krieger schlug mit Kathryr zu, aber die Frau sprang von Lisha und zur Seite, hielt sich den blutenden Hals und fiel zu Boden. Dunkelrote Flüssigkeit spritzte zwischen den Fingern hervor. Roland rammte das Schwert in den Boden und kniete sich neben Lisha.

»Geht es dir gut?«, fragte er besorgt und richtete sie leicht auf. Lisha nickte leicht und versuchte sich das Blut aus dem Gesicht zu wischen.

»Halt still. Nicht schlucken, spuck es aus.« Roland wischte ihr mit einem seiner wenigen Tücher über das Gesicht, säuberte ihr Gesicht und warf das Tuch ins Feuer, wo es zischend verbrannte.

»Ist sie tot?«, fragte Lisha, spuckte Blut auf den Boden.

»Nein. Sie wird daran nicht sterben.« Roland hielt Lisha aufrecht. »Köpfen, Herz herausschneiden oder verbrennen. Aber von diesem Stich wird sie sich erholen.«

»Scheiße.«, knurrte sie und drehte den Kopf zu der Frau, die sich immer noch röchelnd den Hals hielt.

Roland warf einen Blick zu Kathryr. »Willst du es beenden?«

Lisha schüttelte den Kopf.

»Willst du sie tot sehen? Sie ist ein Vampir.« Roland erhob sich, nachdem er sicher war, dass Lisha nicht mehr umkippen konnte. Er zog Kathryr aus der Erde, stellte der Vampirin einen Fuß auf die Brust und hielt sie unten. Die Klinge schimmerte blutlüstern im Feuerschein.

Lisha blieb am Boden sitzen und starrte zu der Frau. Roland beugte sich runter und zog den Dolch der Diebin aus dem Hals.

»Au!«, schrie das Wesen am Boden gepeinigt auf.

Roland grinste dreckig und legte Kathryr an ihren Hals. »Bereit zu sterben?«, fragte er. Das Blut, was aus ihrem Hals lief, wurde gierig von der Klinge aufgesaugt.

»Nein.«, sagte die Frau tonlos. »Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen, als ich verwandelt wurde. Jetzt will ich leben.«

»Eine Schande.« Roland griff ihre Haare und zog das Schwert durch ihren Hals, riss heftig an den Haaren und den Kopf ab. Er hörte Lisha würgen. Die Vampirin schaute ihn mit den toten Augen vorwurfsvoll an. Roland verzog nur kurz das Gesicht.

»Verbrenne den Körper.«, befahl er leise, legte Kathryr neben sich und löste mit seinem Dolch knackend die Reißzähne. Er hörte Lisha losstolpern und einen Ast suchen.

Hoffentlich konnte ihre Ärztin mit den Zähnen etwas anfangen. Meistens war dort noch etwas Gift drin. Die Verwandlung wurde dadurch nicht ausgelöst, aber angeblich paralysierte es und löste beim Opfer Glücksgefühle aus. Eine seltsame Vorstellung.

Roland legte den Kopf auf die Brust der Leiche, rollte die vier Zähne in das bereits blutige Tuch ein.

Lisha kam neben ihm zum Stehen, hatte einen brennenden Ast in der Hand. »Einfach...anzünden?«

»Ja. Sie brennen gut.«

»Wie...gut?«

»Na, sehr gut.« Roland lächelte. »Fast wie trockener Reisig.«

»Wieso?«

»Liegt an ihrem Blut.« Er stand auf und ging einen Schritt zurück und deutete Lisha, dass sie anfangen konnte.

Die Rothaarige hielt das Feuer an den Stoff des Kleids. Zuerst wanderten nur kleine Flammen über den Körper, aber als die ersten Flammen den Stumpf des Halses und damit das Blut erreichten, gab es eine Stichflamme. Lisha zuckte zurück, schützte ihre Augen mit dem Arm. Lodernd fing der Leichnam an zu brennen, die Haare waren fast beinahe sofort in Asche aufgegangen.

Roland drehte sich zu Lisha und musterte sie. Er war beeindruckt von ihr. Sie hatte ihn gerettet.

»Danke.«, sagte er frei heraus, steckte Kathryr wieder in die Scheide und wischte seinen Dolch im Gras ab. Das Feuer hatte den Vampir vollständig eingehüllt in einer fast roten Farbe und brannte heiß.

Lisha drehte überrascht den Kopf. »Wofür?«

»Du hast mich gerettet. Und damit dich selbst.« Roland lächelte leicht. Lisha lächelte leicht zurück. Sie hatte noch Blutschmiere im Gesicht, das Haar noch verklebt. Sie musste sich sicher waschen.

Irgendwie sah sie gut aus. Stark, fast erwachsen. Wie eine Kriegerin. Ihr fehlte ein Schwert, aber der sich in der leichten Brise bewegende Umhang, die wilden verklebten Haare und die schimmernden grünen Augen...

Roland kam ein Gedanke. Das war vielleicht verrückt, aber möglich. Er wandte den Blick nach Westen. Sollten sie es versuchen? Den Mut hatte Lisha und ihre fehlende Disziplin würde man ihr schon einbläuen. Siegfried wäre damit nicht einverstanden, aber was sollte es schon?

»Ich habe eine Frage.«, murmelte er leise und schaute Lisha an. Die junge Frau hob den Blick und sah Roland an. »Du liebst deine Stadt.« Keine Frage. »Du liebst deine Freunde. Was würdest du für sie tun?«

»Ich habe nicht so viele Freunde. Die, die ich habe, bewahre ich in Ehren. Ich würde alles für sie tun.«

»Willst du stärker werden?«

»Ja. Wer will das nicht?«

Roland grinste kurz. »Dann gehen wir nicht nach Norden.«, entschied er.

»Und wohin gehen wir jetzt?«, fragte sie müde, hob eine Schulter. »Ich kann nicht mehr, Roland.«

»Wir machen eine Pause. Und dann gehen wir nach Westen.«

Lisha runzelte die Stirn. »Da sind Berge. Was ist noch im Westen?«

»Meine Gilde.«, antwortete er. »Die Emberal.«

»Die was?«

»Emberal. Das...was ich bin. Söldner mit einer Ausbildung.«

»Dann werde ich auch so? Mit diesen Augen?« Lisha verzog das Gesicht, sie schien nachzudenken.

»Ney.«, antwortete er schnell. »Es gibt auch normale von uns. Ich bin lediglich ein Meister.«

»Und was bedeutet es, wenn ich stärker werde?«

»Du würdest viel wissen. Du würdest besser kämpfen können. Besser...« Roland schwieg. »Der Lehrplan ist ausschweifend, sagen wir so.«

»Habe ich eine Wahl?«, fragte Lisha skeptisch.

Roland lachte. »Ney. Jetzt nicht mehr. Ich habe dir gesagt, wer wir sind. Also muss ich dich dort hinbringen.«

»Muss ich mit dir in einem Bett schlafen? Oder mit sonst wem?«

»Ney.« Roland wandte sich von der brennenden Leiche ab. »Lass uns essen. Unsere Reise hat sich gerade um die Hälfte verkürzt.«

»Wirklich?«, fragte sie erfreut und folgte ihm. Roland nickte und überlegte sich schon, wie er Siegfried erklärte, dass er diese Frau anschleppte.

Das Vermächtnis des Arkh'Shok

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