Читать книгу Das Vermächtnis des Arkh'Shok - Domenic Albertsen - Страница 4

Kapitel II - Von Frauen und Fallen

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Roland senkte den Blick. In seinem Innersten brodelte es. Diese verdammte Diebin hatte ihn nur Zeit gekostet. Wenn nicht der Magier sein Ziel gewesen wäre, dann hätte sein Pfeil sicher ihre Brust durchbohrt.

Er war zurück zur Lagerhalle gegangen und hatte sie gesucht, versucht etwas zu finden. Nur noch der leichte Hauch ihres Geruches war noch da und verlor sich am Markt.

»Hier stinkt es.«, grummelte er und ballte die Fäuste. Und es war laut. Überall brüllten Leute, boten ihre Ware dar und riefen nach Magiern aus. Blöden Magier. Alles ein Pack.

Konnten sie nicht einmal die Klappe halten? Warum musste Marktschreier immer so laut sein? Man sah doch ihre Waren oder nicht?

Der Schatten der Kirche kühlte seine Haut. Roland schaute hinauf und verzog das Gesicht. Der Bau war protzig genug, um ein eigener Palast zu sein. Türme und Türmchen ohne Nutzen funkelten wie poliert, die Buntglasfenster spiegelten die Sieben wieder. Es fehlten nur noch hoch angebrachte Diamanten.

Er schnaufte und schaute zu dem Kirchplatz, wo ein Mann in Robe ein Pergament hochhielt.

»Wer uns diese Magier bringt, bekommt dreißig Solez!«, rief er. Wovon sprach er? Roland runzelte die Stirn.

»Ich wiederhole! Anna die Fischerstochter ist eine Magierin!«

In Ordnung, Anna hieß sie also. Eine Magierin für dreißig Solez? Das war kein geringer Preis. Da würde sich ein Blick oder auch zwei lohnen. Aber zuerst musste er die blöden Kristalle finden, denn die waren mehr wert als Anna, die Magierin.

Schließlich war Roland kein Inquisitor, dessen Lebensinhalt es war, die Kirche zu stärken und Magier zu verfolgen.

Er warf einem Blick zu dem Mann auf dem Podest. Es war mehr eine Trittleiter auf dem Kirchplatz vor den Stufen aus poliertem Stein. Er trug die graue Robe der Inquisition mit einer ebenso grauen Schärpe mit schwarzen Rändern, darüber eine Kette mit einem Schloss. Roland wusste nicht, wozu das Schloss dienen sollte. Sollte es für Sicherheit stehen oder doch eher für Gefangenschaft? Er hatte nie einen Inquisitor gefragt, die Frauen waren immer sehr merkwürdig und er hatte immer das Gefühl, dass sie ihn töten wollten. Und mit den Männern wollte er ohnehin nicht reden, beide Seiten waren grundsätzlich übermäßig misstrauisch.

An der Seite des Sprechers hatten sich rechts und links jeweils drei Rote Ritter aufgebaut. Die blutroten Plattenrüstungen mit den silbernen Verzierungen glänzten nicht. Zum Glück. Ihre Topfhelme zeigten nichts von den Gesichtern und Roland wollte nicht mit ihnen tauschen, sie wurden vermutlich in der Rüstung gekocht, trotz des kühlen Wetters. Er hatte kein Mitleid mit ihnen, er hatte für sie genauso viel übrig wie für Magier. Auch ihre negierende Kraft zerrte an seinen Nerven, wenn sie eingesetzt wurde.

Der Inquisitor schaute in die Menge, hob wieder seine Pergamentrolle.

»Anna die Fischerstochter ist eine Magierin! Dreißig Solez für ihre Ergreifung.«

»Das sagtest du bereits.«, grummelte Roland, hielt sich das rechte Ohr kurz zu, in Erwartung der gleichen Wiederholung in höherer Lautstärke.

»Siebzig Solez für Nalina!«, tönte es allerdings über den Marktplatz. Jetzt wurde Roland hellhörig.

Dreißig und Siebzig ergaben einhundert Solez. Das war fast so viel, wie er für die Kristalle bekam. Aber wer war Nalina?

Gemurmel wurde um ihn herum laut. Nalina war wohl bekannt, Menschen sahen sich neugierig oder verängstigt um.

»Die Kirche macht Jagd auf Nalina?«, flüsterte eine Frau neben Roland. »Sind sie wahnsinnig?«

»Ihr wird zur Last gelegt, sich mit Dämonen und Druiden eingelassen zu haben und sich einzulassen. Ihr wird zur Last gelegt, unlauteren Handel im geistigen Sinne zu treiben und sich mit der schwarzen Magie zu befassen!«, las der Inquisitor vor, schaute dabei herunter und Roland bemerkte erst da die Novizin der Kirche, ein hübsches blondes Ding, vielleicht sechzehn Lenze alt. Sie hielt sich hinter einem der Roten Ritter und trug eine Lederhülle für Schriftrollen.

»Siebzig Solez für Nalina, tot oder lebendig!«, rief der Mann, rollte die Schriftrolle zusammen. »Für uns ist jeder Magier lebendig deutlich wertvoller, damit wir sie reinigen und ihre Seelen von der Abscheulichkeit der Magie befreien können, damit sie von Relima zu Hebra vorgelassen werden, befreit von ihren Sünden.«

Roland verzog kurz die Mundwinkel. Befreit war so ein hübsches Wort für die Strafe, die sich die Inquisition ausgedacht hatte: man entzog ihnen die Magie. Dass sie dabei starben, kümmerte niemanden.

Aber dreißig Solez für Anna und siebzig Solez für Nalina? Das war ein Wort.

Moment. Nalina war eine schwarze Magierin? Das bedeutete, sie könnte etwas über die Kristalle wissen.

»Wisst Ihr, wo ich Nalina oder Anna finde?«, fragte Roland die erschrockene Frau neben sich. Sie schaute ihn einfach nur an und wich dann mehrere Schritte zurück, bevor sie sich rasch entfernte.

Roland verstand sie. Magie, Magier und magische Wesen gehörten zu dieser Welt, er hasste sie trotzdem wegen ihrer magischen Ausstrahlung, die seine Nerven jedes Mal aufs Äußerste belastete. Könnte also sein, dass die Magier hier noch Unterstützung hatten. Oder als Person, vielleicht waren sie auch einfach nur beliebt, ohne ihre magischen Fähigkeiten zu offenbaren.

»Anna war Fischerstochter.« Roland kratzte sich am Hals. Er musste also zu den Fischern am Hafen und dann einfach nur schauen, welche Frau eine schwache magische Ausstrahlung hatte. Das war einfach genug. Und sie würde Roland dann nach den Kristallen und Nalina befragen.

Er ließ den Blick schweifen und leckte sich die trockenen Lippen feucht. Magier. Das war alles andere als ein angenehmer Zeitvertreib. Viel lieber wäre er in ein Freudenhaus gegangen. Stattdessen musste er zum Kai. Und an seiner Beute vergriff er sich nicht. Egal, wer sie war.

Roland prüfte den Sitz seiner Waffen, der nicht mehr ganz so prall gefüllten Geldkatze, seines schmalen Beutels und nickte. Alles da, wo es sein sollte.

Es dauerte ihm alles zu lange. Die Niederlage gegenüber dieser kleinen Raubkatze nagte immer noch an ihm.

Langsam stieg ihm der Geruch von Fisch in die Nase. Nicht, dass der Dunst sowieso ständig über dieser Stadt hängen würde, aber am Kai wurde es immer penetranter.

In der Ferne hörte er Frauen, die Lieder sangen, während sie für ihre Männer die Fische entschuppten und das Hämmern von Holz und Eisen auf Holz von den Fischern, die ihre Boote reparierten.

Der Mann zog seine Kapuze ab. Er fiel schon genug auf, da musste er nicht noch durch seltsames Verhalten ins Auge springen.

Die leichte Brise vom Fluss ließ seine dunklen, krausen Haare aufwirbeln. Er wischte sie sich aus der Stirn. Langsam wurde es wärmer. Im Drachenfall-Gebirge lagen die Temperaturen bei seinem Aufbruch noch unter dem Gefrierpunkt in der Nacht. Der Frühling war eine angenehme Zeit, nicht zu heiß, nicht zu kalt, für Roland genau richtig.

Er hörte das Treiben an den Kais, das Klatschen der Fische, die aufeinander flogen und die Rufe der Fischer. Die Wellen rauschten in seinen Ohren und er vernahm den Geruch von Unrat gemischt mit Fisch. Ein unangenehmer Duft. Allerdings nicht so unangenehm, wie die Frau, die sich an ihm vorbeidrängelte. Eine Wolke aus Rosen und Lavendel erschlug den Mann beinahe.

Er hielt sich die Hand vor dem Mund und wandte sich schnell ab.

Wieso musste sich eine Frau so mit Gerüchen umgeben? Das konnten normale Menschen doch nicht anziehend finden. Besonders Rosen waren in großer Anzahl verdammt penetrant.

Vorsichtig atmete Roland ein. Er schüttelte den Kopf. Da war ihm der natürliche Duft dieser Diebin viel lieber. So viel lebendiger, süßer und ablenkender. Er grinste kurz schief, bevor er über eine stinkende Pfütze sprang, die den Duft aus seinen Erinnerungen vertrieb.

Er seufzte und ließ den Blick schweifen. Eine Magierin. Eine Fischerstochter. Hier waren ein paar Dutzend Fischer.

Fragen oder warten? Dummerweise färbte die magische Ausstrahlung von Menschen nicht auf andere Menschen ab, die sich länger in der Nähe des Magiers aufhielten. Er konnte auch einfach die Häuser abgehen oder er fragte jemanden. Nur Fischer waren generell eher misstrauisch Fremden gegenüber und Roland sah mit seiner Bewaffnung und der Rüstung auch nicht besonders friedfertig oder vertrauenerweckend aus.

Er schlenderte auf die Kais zu. Um ihm herum liefen die Menschen, stemmten Kisten und rollten Fässer. Er konnte vorläufig bei einem Fischer anheuern. Der Aufwand wäre riesig. Noch nicht einmal die paar Münzen wäre es wert. Er könnte ein Freudenhaus aufsuchen und dort mit einem der Mädchen sprechen. Vielleicht waren die gesprächig genug.

Ein Freudenhaus würde es sicher geben. Die Matrosen, die am Hafen anlandeten und Freigang hatten, wollten sicher auch ihre sauer verdiente Heuer für Frauen und Alkohol ausgeben. Und da er schon am Hafen war, wäre das nächste Freudenhaus sicher nicht weit. Und er konnte auch mal wieder eine Frau haben, das letzte Mal war schon etwas her.

»Verzeiht«, murmelte Roland und hielt mit der Hand einen Fischer auf, der an ihm vorbei wollte, »wo kann ein einsamer Späher sich hier Gesellschaft besorgen?«

Der Mann schmunzelte. »Die Straße runter das dritte Haus mit dem grünen Dach. Fragt nach Valerie.«

»Grünes Dach, Valerie.« Roland nickte, lächelte einmal schmal. »Danke.«

»Gerne, der Herr.« Der Fischer neigte den Kopf und ging weg. Roland schaute ihm hinterher, bis er außer Sicht war. Ein gewöhnlicher Fischer voller Narben an den Händen und mit von Wind und Wetter gegerbter Haut. Nichts Ungewöhnliches.

Grünes Dach also, drittes Haus die Straße runter. Der Krieger setzte sich in Bewegung, wich Leuten und stinkenden Pfützen aus und streunenden Hunden, die ihn neugierig beschnupperten. Er ignorierte die Hunde, drückte sie leicht mit dem Bein zur Seite, bis er endlich das grüne Dach sah. Es war das fünfte Haus. Aber wenigstens das Dach war grün.

Er hörte schon aus der Ferne Matrosen lachen und pfeifen. Ein Dreimaster lag im Hafen, Kräne aus mit metallverstärktem Holz schwangen hin und her, löschten die Ladung.

Das Haus stand erhöht auf mehreren dicken Holzbalken für den Fall, dass starke Regenfälle und die Schneeschmelze den Schnellfluss über die Ufer treten ließen. Eine Treppe mit sechs Stufen führte nach oben, ein Mädchen mit langen, braunen Haaren und einem knappen Kleid, dessen Schnüre nur notdürftig vor der Brust zusammengebunden waren, empfing lachend und scherzend die vor Roland eintretenden Matrosen. Ihr fehlte der rechte obere Eckzahn, soweit Roland sehen konnte.

»Ah, Hank, mein Lieber, wieder die Meerjungfrauen geärgert? Jens, bei den Sieben, deinen Gang erkenne ich auf zwei Kilometern und meine Güte, Henning, dieser Bart steht dir aber prächtig. Und oh«, sie lächelte, als sie Roland erblickte, »hallo, mein Hübscher. Du bist kein Seemann. Was führt dich in die Goldene Meerjungfrau

Roland grinste schief. Eigentlich mied er solche schäbigen Orte. Ein wenig Würde hatte er dann doch.

»Die Einsamkeit.«, antwortete er vielsagend. »Ich kam heute an.«

»Und was suchst du, Einsamer?« Das Mädchen kam näher, ihr Geruch war eine Mischung aus Schweiß und einem Duftwasser aus Rosen und Zedern. Wieso mussten es immer Rosen sein?

»Etwas, womit ich die Einsamkeit bekämpfen kann.« Er versuchte ein Lächeln. »Man sagte mir, hier gebe es guten Met und jemanden mit Namen Valerie, die ich treffen sollte.«

»Valerie? Oh, mein Süßer. Das bin doch ich.« Sie lächelte und zeigte ihre Zahnlücke. Roland fand sie kein bisschen anziehend. Aber was tat man nicht alles?

»Oh, dann habe ich ja die richtige Person gefunden.«, lächelte er breit, hielt ihr den Arm hin. »Magst du mir dann etwas Gesellschaft leisten? Ich könnte sie durchaus vertragen mit Getränken und etwas Essen.«

»Nur, wenn du mich einlädst, großer Mann.«, antwortete sie und hakte sich ein.

»Mit dem größten Vergnügen, Valerie.«

Die Frau an seiner Seite kicherte in einer sehr unterbrochenen Weise, als würde sie mittendrin aufhören. Vermutlich hörte es niemand anders, aber Roland hörte es und das machte Valerie noch weniger anziehend als ohnehin schon.

Was tat man nicht alles....

Roland schloss die Schließen seines Umhangs, seine Waffen klapperten, als er sie auf dem Rücken befestigte. Er fühlte sich besser nach all der Zeit wieder bei einer Frau gewesen zu sein, aber Valerie war auch nackt nicht anziehender. Er hatte sich anstrengen müssen, um nicht sofort wieder zu gehen.

Valerie lag im Bett, die Decke über der Hüfte und atmete schwer, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Der Mann legte der Frau einige Münzen auf den schmalen Tisch und verließ den Raum.

Beim nächsten Mal würde er in das Freudenhaus im Norden gehen. Es schien ihm weitaus gehobener.

Er wusste nun, dass Anna mit ihrer Familie an den Kais lebte. Ihr Vater hieß Mikan. Viel mehr wusste die Hure auch nicht. Das musste für den Anfang reichen. Sie hatte eine Schwester namens Magda, so viel konnte Valerie ihm noch sagen. Roland entschied sich dafür, Mikan abzufangen, einen Fisch von ihm zu kaufen und ihn zu verfolgen. Dann wusste er, wo Anna lebte und wann sie ging. Oder er fragte ihren Vater, wo sie zum jetzigen Zeitpunkt war.

Er leckte sich über die Lippen und blickte zur tief stehenden Sonne. Bald würde es Abend werden und die Arbeiter würden in ein Gasthaus einkehren. Da könnte er noch mehr erfahren.

Das Gasthaus war die einfachere Methode. Er könnte sich in eine Ecke setzen, etwas essen und trinken und lauschen. Hoffentlich war der Eintopf besser als in diesem schäbigen Freudenhaus.

Er ging noch ein bisschen zwischen den Männern und Frauen umher, bevor er direkt an einem der Stege ein Haus mit der Aufschrift Zum blauen Fisch fand. Klang verdächtigt nach einem Gasthaus oder Taverne.

Roland schaute hinauf, versuchte anhand der Größe abzuschätzen, ob es eine reine Taverne war, aber hier standen etliche Häuser in der Größe. Es hätte beides sein können.

Also hinein.

Der Mann betrat die Stufen nach oben, ihm schlug der Geruch von gebratenem Fisch, Eintopf und ungewaschenen Menschen entgegen. Es waren nur wenige Männer und Frauen da, aber anhand der vielen Tische und Stühle war abzuschätzen, dass es dem Laden gut ging.

Rolands Blick fiel auf zwei Männer, die Pfeife rauchten und sich über einen großen Fang freuten.

»Damit«, schmatzte der mit dem gräulichen Backenbart, »haben wir erstmal keine Probleme mehr.«

»Nein.« Der deutlich jüngere Mann mit der kürzeren Pfeife grinste breit, Rauch quoll zwischen seinen Zähnen hervor, als er ausatmete. »Wir können neue Netze kaufen und einen Teil der Takelage austauschen. Und du kannst deiner Frau etwas Hübsches kaufen.«

»Und wir haben für eine Weile etwas zu essen.«, brummte der Ältere, zog an seiner Pfeife. Die Glut spiegelte sich in seinen Augen.

Roland ging zur Theke. Eine korpulente, vollbusige Frau stützte sich auf dem Holz ab, als sie Roland sah. Ihre Lippen teilten sich und zeigten erstaunlich saubere Zähne. Wenigstens roch sie nicht nach Rosen, sondern nach Fisch und Met.

»Seid gegrüßt.«, hieß sie Roland willkommen.

»Auch ich grüße Euch, verehrte Dame.« Roland legte die Hände auf die Theke. »Gehört Euch diese Taverne?«

Sie grinste und strich sich die rostbraunen Haare, die nur bis knapp unter ihr Ohr gingen, aus dem Gesicht. Sie hatte viele kleine Narben, die bis zu ihrem Ohr gingen und da unter dem Haar verschwanden. Roland glaubte, dass ein Tier sie angegriffen hatte.

»Sehr wohl, der Herr.« Roland mochte ihre Stimme. Sie war nicht rau oder alt. Und sie sprach leiser. Nicht wie die anderen Menschen, die Roland so kannte und kennen gelernt hatte.

Sie war ihm sympathisch.

»Freut mich.« Roland setzte sich an die Theke auf den Hocker. »Was kann ein Späher für ein paar Münzen bei Euch bekommen?«

»Oh, einen deftigen Eintopf oder einen gebratenen Fisch mit Kartoffeln und Rüben. Dazu etwas Brot und eine Kanne voller Bier, Met, Tee oder Wasser.« Sie lächelte immer noch.

Roland lächelte zurück. »Met. Und diesen wunderbar klingenden Eintopf mit Brot.«, entschied er.

»Sollt Ihr kriegen, mein Hübscher.« Die Frau schwang ihre Masse herum, ging zu einer Seitentür und sprach mit jemandem, vermutlich dem Koch in der Küche. Roland hörte, wie sie ihn bat, einen Eintopf mit Brot und Met anzurichten. Eine tiefe Stimme brummte nur als Antwort.

Roland drehte sich um und beobachtete, wie eine kleine Gruppe aus drei Männern und einer Frau in die Taverne trat. Sehr gut. Je mehr Leute kamen, umso mehr konnte er herausfinden. Sie lachten laut und sprachen so schnell durcheinander, dass Roland nur mitbekam, dass sie sich über einen Konkurrenten lustig machen, der es irgendwie geschafft hatte, sein Schiff auf Grund laufen zu lassen.

Fehler passierten jedem. Roland drehte den Kopf, als die Wirtin wieder zu ihm kam.

»Das dauert ein paar Minuten. Sucht Euch doch einen Platz, dann bringe ich Euch Euren Met.«

Roland nickte, schaute sich um und entschied sich für den Ecktisch auf der rechten Seite. So konnte er die Theke und den Eingang im Blick behalten und einen großen Teil des Schankraums.

Seufzend erhob sich Roland, ging an der Gruppe Fischer vorbei, die immer noch laut lachten und setzte sich auf die Bank, die mit einem Fell ausgelegt war. Es dauerte nur einen Augenblick, als die wuchtige Wirtin ihm einen Krug Met vor die Nase stellte.

Die Kanne folgte aus der anderen Hand.

»Ihr seid nicht von hier, nicht wahr?«, fragte sie in ihrer leisen Redeweise.

»Ney. Was hat mich verraten?« Der Mann zog Krug und Kanne zu sich heran.

»Euer Akzent und Euer Aussehen. Südlich, möchte ich sagen. Als Besitzerin einer Taverne lernt man viele Dinge.«

Roland schmunzelte. Dumm war sie also auch nicht.

»Ziemlich gut.«, kommentierte er, gab aber nicht preis, von wo er kam. »Und Ihr?«

»Ich war schon immer in Schnellfluss. Genau wie meine Eltern und deren Eltern davor.« Sie neigte den Kopf. »Ich bringe Euch gleich Euren Eintopf.«

Roland nickte, als sie sich entfernte. Das Gasthaus sah so aus, als wäre es mehrere Male neu aufgebaut worden, stellenweise konnte er die unterschiedlichen Holzarten sehen, besonders in der Decke. Ihre Eltern und Großeltern und wer weiß, wie viele Generationen davor noch. Und wer weiß, wie viele Menschen hier in der Stadt direkten Kontakt mit den Medrhis hatten. Auf jeden Fall die Händler, direkt oder indirekt. Nicht von Belang, aber nützlich zu wissen.

Roland griff den Krug und trank einen kräftigen Schluck.

Die Medrhis.

Die älteste Familie in Schnellfluss. Eine uralte Dynastie von Händlern aus den Anfängen der Stadt. Sie selbst waren keine Krieger und traten selbst kaum in Aktion. Aber sie lenkten die Geschicke der Stadt und hatten fast überall ihre Finger drin, ihre Stimmen wurden gehört und ihr Gold genommen.

In der Anfangszeit der Stadt, als sie von den Rebellen gegen die Kirche eingenommen wurde, waren es die Medrhis, die Schnellfluss wiederaufbauten.

Und vor Jahrhunderten waren es die Medrhis, die Schnellfluss nach Jahrzehnten voller zäher Verhandlungen an die Kirche übergaben. Der Klan stellte das Oberhaupt der Stadt, hatte Beziehungen zur Kirche der Sieben, zu Söldnergruppen und privaten Armeen, stellte Steuern nach Gutdünken aus und hielt im Gegenzug die Stadt in Schuss. Einige Stimmen gingen davon aus, dass der Klan der Medrhis von der Kirche kontrolliert wurde, andere behaupteten das Gegenteil.

Roland vermutete: ein bisschen was von beidem. Das Gerücht, dass die Medrhis auch in der Fürstenstadt in Andeln vertreten waren, war ebenso glaubhaft. Die Medrhis schwammen in Gold.

»Tief in Gedanken, Fremder?«, fragte plötzlich die Wirtin neben ihm und stellte eine Schale Eintopf auf den Tisch. Dazu legte sie ein gutes Stück Brot.

»Ja, ein wenig. Bin schon lange von zuhause fort.«, erwiderte Roland, was zumindest teilweise der Wahrheit entsprach. Er wollte so wenig wie möglich von der Wahrheit preisgeben, aber doch so nahe an der Wahrheit bleiben, dass man ihm die Lüge nicht anhörte.

»Das höre ich von vielen Männern hier.«, meinte die Wirtin. »Esst. Und genießt den Abend. Der nächste Met geht auf mich. Gegen das Heimweh.«

»Seid bedankt, gütige Frau.« Roland neigte den Kopf als Dank und als er aufschaute, wackelte die beleibte Frau zurück an den Tresen. Er grinste leicht und biss in das Brot. Ein wenig trocken, aber mit dem Eintopf war es ein gutes Mahl.

Gesättigt lehnte er sich zurück. Die Taverne war ebenso voll wie sein Magen. Eine angenehme Taverne, ein gutes Essen, der Met war etwas zu schwach für seinen Geschmack, aber gut. Jetzt musste er nur noch zuhören.

Über Stunden hörte er nicht viel außer Details über Geschäfte, das Ausnehmen von Fischen, welche Frau begehrt war und konnte auch einige wirklich ansehnliche Damen erblicken.

Als die Kanne nur noch einen Krug Met beinhaltete, traten zwei Männer und eine untersetzte Frau ein. Die Kerle waren grobschlächtig, hatten jeder ein Messer an der Hüfte baumeln und sahen in ihren weiten Hosen wie Arbeiter aus, die Hemden dreckig und stellenweise geflickt. Die Frau sah nicht besser aus, ihre Haare hingen fettig auf ihre schmalen Wangen.

Roland schnupperte. Eine ungepflegte Bande. Sie stanken fürchterlich.

Das Trio ließ sich schwer an einen runden Tisch für vier Leute fallen, allgemeines Seufzen, als hätten sie einen langen, harten Arbeitstag hinter sich gehabt.

Die dicke Frau kam zu ihnen. Es wurde gemurmelt nach Met verlangt und Eintopf für die Männer, Fisch für die Frau.

Roland widmete sich seinem Met und belauschte die Gruppe, ohne hinzusehen. Sie blieben still, starrten mit gesenkten Köpfen auf den Tisch. Die Frau schien sogar beinahe einzuschlafen.

Erst, als die Wirtin ihnen ihre Bestellung brachte, kam Leben in sie. Es wurde gegessen und getrunken, bis die Schalen leer waren.

»Sie spinnt.«, murmelte die Frau. »Das ist zu nahe. Warum redet niemand mit ihr darüber?«

»Und wer soll das deiner Meinung nach tun?«, fragte einer der Männer zurück. Roland nippte an seinem Met. Worüber sie wohl sprachen?

»Magda. Sie weiß es ebenso gut wie wir.« Die Frau seufzte tief. »Das Lager ist zu dicht bei Nalina. Und der Treffpunkt zu nahe an der Kirche.«

Roland hätte sich beinahe verschluckt. Magda? Die Schwester von Anna. Und Nalina? Treffpunkt? Jetzt wurde es spannend.

»Die Kirche ist nahezu perfekt. Die Wachen achten kaum darauf wegen der Roten Ritter.«, brummte einer der Männer.

»Ach, sei leise. Die Roten sind mir auch nich' geheuer.« Der Sprecher zog geräuschvoll die Nase hoch.

»Ich werde mit Magda sprechen.«, nuschelte die Frau. »Irgendjemand muss es tun.«

»Nur, wenn Magda mit Anna spricht.« Der Mann rechts von ihr leerte seinen Krug. »Wie geht es eigentlich deinem Mann?«

»Tot.« Sie zog die Nase hoch. »Hat es nicht geschafft.«

»Scheiße.«

»Ja. Scheiße.« Sie leerte ebenfalls ihren Krug.

Roland leerte seinen Krug ebenfalls. Das waren Anfänger von irgendeiner Gruppe hier. Und scheinbar gehörten Anna und Magda ebenfalls dazu. Oder Magda mindestens.

Also der Frau folgen. Das war einfach. Besonders, wenn es in die Tunnel unter der Stadt ging.

Er wartete bis spät in die Nacht. Die Leute sangen und tranken. Roland hatte Schwierigkeiten, nicht eine der reizenden Damen hier zu einem Bier einzuladen. Er nahm sich zusammen und wartete still in der Ecke. Eine Pfeife wäre etwas, was er sich als Nächstes kaufen würde.

Direkt morgen. Heute würde er es nicht mehr schaffen. Er prägte sich den Geruch und den Herzschlag der Frau ein. Ihr Herzschlag war nicht anders als der einer jeder anderen Frau, hatte aber eine gewisse Charakteristik. Genau, wie jede Rose, kam man ihr mit dem Auge näher, sich von der nächsten Rose unterschied. Oder ein Stein eben nicht nur ein Stein war. Ihr Geruch hingegen war einzigartig, wie eben jeder Geruch einzigartig war.

Jetzt musste sie nur noch gehen...

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Und wenn er die ganze Nacht warten musste.

Die Frau betrank sich. Umso besser. Er konnte sie verhören. Versuchen sie ins Bett zu bekommen war ausgeschlossen, da sie gerade ihren Mann verloren hatte.

Und sie war weniger ansprechend als Valerie. Die Braunhaarige am Kamin gefiel ihm da eher. Ihr Geruch war nicht abstoßend und sie sah auch ganz ordentlich aus.

Die Stunden plätscherten dahin. Roland trank, das Trio am Tisch trank, Gäste kamen und Gäste gingen. Irgendwann stand Roland auf und ging zum Tresen, wo die korpulente Wirtin wieder auf ihn wartete, immer noch freundlich lächelnd, sich auf dem Tresen abstützend. Sie sah müde aus, erledigt.

»Ihr habt keine Schankmädchen?«, fragte Roland. »Ihr verdient doch ganz gut, warum nicht eins einstellen, das Euch hilft?«

»Ich mag es, alles selbst zu machen. Und wenn es bis zum frühen Morgen ist.«, erwiderte sie leise, ihre Stimme etwas träge von der harten Arbeit.

Roland nickte. »Ich nehme noch einen Met.«

»Natürlich, mein hübscher Fremder.«, lächelte sie ihn an und Roland hatte irgendwie das Gefühl, dass sie ihn mochte. Nicht nur als Kunden. Sie drehte sich um und ließ aus einem Fass Met in den Krug laufen, den Roland ihr reichte. Der Mann setzte sich an die Theke.

»Sagt, meine Liebe«, fing er an, »kennt Ihr die drei an dem Tisch dort?« Er deutete auf die Frau und die Männer.

»Ja, mein Hübscher.« Sie stellte ihm den Krug vor die Nase und stützte sich wieder auf dem Tresen ab, ihr Busen wogte nach vorne.

Roland lehnte sich nach vorne, stützte sich auf den Tresen ab.

»Was ist Euch diese Information wert?«, säuselte er.

»Wirst du sie umbringen?«, fragte die Wirtin ihn geradeaus.

»Ney.«, antwortete Roland wahrheitsgemäß. »Also?«

»Informationen für Information.«, antwortete sie. »Was willst du von ihnen?«

»Jemand hat Kristalle aus einer Mine gestohlen. Den Dieb habe ich gefunden, die Kristalle nicht. Ich hörte, es gibt zwei Magier hier in der Stadt. Ich weiß nicht, wer sie sind, ich kenne nur ihre Namen. Ich vermute, einer dieser Magier hat die Kristalle. Und diese Steinchen möchte ich finden.«

Die Wirtin nickte. »Und was wäre die Belohnung?«

Roland hob eine Augenbraue, griff in seinen Beutel und legte drei Solez auf den Tresen.

»Für das Essen.«

Die Wirtin legte eine Hand auf die goldenen Münzen.

»Das sind Vara, Ognar und Sibbi. Die drei gehören zur Diebesbande von Magda.«

Vara also. Ihr musste er hinterher.

»Danke.« Roland lächelte, gab ihr noch einen Solez. »Ein hübsches Gasthaus hast du. Ich hoffe, ich bin hier noch willkommen. Ich würde gerne wiederkommen.«

»Einen so starken und gutaussehenden Mann kann ich doch nicht abweisen.«, antwortete sie und zwinkerte ihm zu. Roland musste lachen. Sie war niedlich, wenn auch etwas zu viel auf den Rippen.

»Wie heißt du?«, fragte er. »Beim nächsten Mal rede ich dich dann mit deinem Namen an.«

Sie hob leicht die eine Schulter. Ihr Haar hob sich und legte kurz ein zerfetztes rechtes Ohr frei, kaum sichtbar für unachtsame Menschen.

»Leyira.«

»Leyira.« Roland lächelte. »Ein schöner Name. In der alten Sprache bedeutet er kleine Blüte. Ich bin Roland. Keine Bedeutung.«

Sie lachte einmal. »Trotzdem passt er zu einem so stattlichen Mann.«, komplementierte sie. Der Krieger lächelte breit, strich ihr flüchtig über die Wange.

»Dann bis zum nächsten Mal, Leyira.« Er neigte den Oberkörper, sah, wie sie errötete und wandte sich ab. Freunde konnte man immer gebrauchen. Er schwenkte den Krug, trank einen Schluck. Vara war mittlerweile gut betrunken. Wenn Roland nicht anders wäre als ein normaler Mensch, dann wäre er vermutlich in einem ähnlichen Zustand.

Ein großer Schluck und der Krug war leer. Er stellte den Krug auf den Tresen, warf Leyira noch einen Blick zu und verließ das Gasthaus.

Die Nacht war kühl, dunkel, nur einige wenige Fackeln und Laternen verdrängten die Dunkelheit, Sterne blinkten am Himmel. Der Mond war nur eine schmale Sichel und spendete kaum Licht.

Er stellte sich an die Wand und zog seine Kapuze auf. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Vara endlich das Gasthaus verlassen würde.

Warten war etwas, was er gewohnt war. Etwas, was er konnte. Der Mann schloss die Augen und verschränkte die Arme, als sich Vara endlich in Bewegung setzte. Roland glaubte, dass es bald schon Morgen wurde.

Die Frau trat ins Freie, atmete tief ein, ging einen Schritt und taumelte direkt gegen Roland.

»Oh, Ver...Verzeihung.«, lallte sie. Roland lachte und hielt sie fest.

»Nicht so hektisch.«, sagte er leise. »So viel getrunken?«

Vara kicherte, wehrte sich nur bedingt gegen den Griff des Mannes. »Vielleicht. Nur ein wenig. Wer bist du überhaupt?«

»Roland. Und du?«, fragte er gespielt amüsiert.

»Vara.«, lallte sie langgezogen und kicherte. »Ich muss...ich würde gerne, aber ich muss...«

Roland hielt sie davon ab zur Seite zu stolpern. »Bist du sicher, dass du das allein schaffst?«

»Ich weiß nicht.« Vara schüttelte den Kopf, hielt sich die Schläfe. »Ich muss...«

»Ich kann dir helfen, wenn du willst.«, bot Roland an. Wenn sie ihn direkt zu Magda führte, brauchte er nicht lange zu suchen. Vara hielt sich an seinen Harnisch fest und schien nachzudenken.

»Keine Sorge. Ich mag es nicht, wenn Frauen bewusstlos unter mir sind.«, versuchte Roland sie zu beruhigen und grinste schief.

»Oh, da wäre ich gerade nicht in der Lage zu.«, murmelte sie, lehnte sich dennoch an Roland. »Mein Mann ist...bringst du mich nach Hause?«

»Wo müssen wir hin?«, fragte er und half ihr langsam loszugehen.

»Zum Markt und dann«, sie stieß auf, »rechts. Da ist ein Haus mit zwei Säulen.«

Roland nickte und ging mit der Frau im Arm los.

»Ich habe dich im Gasthaus gesehen. Wieso gehst du allein nach Hause und nicht mit den beiden Männern?«

»Sie sind...Männer. Betrunkene Frau, Mann nicht da, leichte Beute.« Sie hickste. »Da gehe ich lieber allein.«

»Ach? Aber mit mir ist das in Ordnung?« Roland lachte. »Ich fühle mich geschmeichelt.«

Vara kicherte nur, lehnte sich an den Krieger und schien nicht zu registrieren, dass sie einen gefährlicheren Mann an der Seite hatte als Sibbi und Ognar.

Roland schwieg. Hoffentlich war Magda da, wo Vara hinwollte. Sonst müsste er dafür sorgen, dass Vara ihm sagte, wo er die Schwestern fand.

»Wartet zuhause jemand auf dich?«, fragte er leise.

»N...ja.« Vara holte mehrmals tief Luft. »Gute Freundin. Sie hilft mir.«

»Gut. Dann bist du wenigstens nicht allein. Wie heißt sie?«

»Mag...Magda. Sie ist nett. Gute Freundin.« Vara kicherte erneut. »Manchmal etwas zu herrisch.«

Roland lachte ebenfalls. Das war alles viel zu einfach.

»Wieso bist du so nett?«, fragte Vara nach einer Weile, als sie den Markt hinter sich ließen und sie um eine Laterne taumelte. Roland fing sie auf und grinste.

»So wie du gegen mich gerannt bist? Welcher Mann könnte dich einfach schutzlos nach Hause gehen lassen?«

»Oh, ein paar? Andere würden...andere Dinge tun.« Sie rülpste leise. Roland ignorierte es genauso wie ihren stechenden Geruch. »Schon passiert. Wird wieder passieren. Trete ihnen in die Eier.«

»Das ist eine sinnvolle Verteidigung. Aber ich habe das nicht vor. Nicht gegen deinen Willen.«

»Sonst wären wir schon längst«, sie zog das Wort in die Länge, »in einer Gasse verschwunden.« Sie hickste. »Danke. Da vorne, siehst du es?«

»Ja. Ist Magda Zuhause?« Roland leckte sich über die Lippen.

»Ich hoffe es, sonst muss ich allein...sein.« Für Roland hörte es sich an, als wollte sie eigentlich etwas anderes sagen. »Klopf an.«

Roland tat es, drei harte Schläge an die Holztür, die in den Angeln wackelte.

»Magda!«, trällerte Vara laut, hielt sich an Roland fest, als sie das Gleichgewicht verlor.

Der Krieger hörte ein Herz im ersten Stock und ein paar weitere Herzen weiter hinten. Das Herz im ersten Stock kam herunter, er hörte die Schritte bis zur Tür, die aufschwang.

»Magda!«, flötete Vara und fiel der überraschten Frau um den Hals. Die Frau war schlank, etwas größer als Vara, hatte braune Augen und braunes, gewelltes Haar bis zur Schulter. Sie trug eine Lederhose, einen Gürtel, ein Hemd und darüber eine Weste aus Leder. Höchst ungewöhnliche Bekleidung für eine Frau, die nicht auffallen wollte.

Das war also Magda. Sie roch wenigstens weitaus angenehmer als Vara. Jetzt hatte Roland Geruch, Herzschlag, Aussehen und Namen der Frau, die ihn zu Anna führen sollte.

Magda musterte Roland.

»Hallo, Vara.«, meinte sie ruhig. »Wen bringst du mit?«

»Das is'...das is' Roland.«, nuschelte Vara am Hals der Frau, drückte sich von Magda etwas weg. »Wir müssen reden. Über das Versteck. Anna. Zu nahe an der Kirche und Nalina.«

»Sie ist gegen mich gerannt.« Roland hob eine Hand. »Ich habe sie nach Hause gebracht, bevor ihr etwas passiert.«

Er wusste, dass er in der Rüstung, mit der Bewaffnung und der dunklen Kapuze eindrucksvoll, wenn nicht sogar furchteinflößend ausschaute.

»Geh ins Haus.«, mahnte Magda. »Und sprich kein Wort mehr.« Die Frau stieß Vara von sich weg und drückte sie ins Haus.

Roland lächelte leicht, damit Magda ihm nicht sofort misstraute.

»Ich wollte nicht, was Ihr denkt. Sonst hätte ich sie nicht zu Euch gebracht.«

»Und was denke ich?«

»Eine schutzlose Frau, betrunken und hilflos? Ausnutzen einer Situation?« Roland zuckte mit einer Schulter. »Ja, aber das würde ich nicht. Glaubt es oder nicht. Ich wollte nur helfen.«

»Niemand an den Kais will einfach nur helfen. Was wollt Ihr dafür? Gold?«

»Ney, ich komme nicht von den Kais.« Roland neigte den Kopf. »Ich will nichts dafür. Bringt sie nur ins Bett.«

Magda schnaufte. »Lasst das meine Sorge sein.«

Damit schloss sie die Tür.

Herrisch. Eindeutig.

Roland grinste, schaute sich um und fand einen der Eingänge zu den Tunneln ein paar Meter weiter. Er drückte sich in die Schatten, schloss halb die Augen und horchte auf das Herz von Magda und die Stimmen im Haus.

Magda schimpfte mit Vara, Stoff raschelte und die andere Frau kicherte. Wieder schimpfte die Frau, gab ein genervtes Geräusch von sich, Stoff raschelte, dann knallte eine Tür.

Er hörte, wie das Herz von Vara ruhiger wurde. Magdas Herz raste vor Wut. Weswegen? Dass Vara einfach Dinge im Suff ausgeplaudert hatte? Oder, weil die andere Frau so dreist war, sie so anzusprechen?

Jetzt hieß es wieder warten, ob Magda direkt zu Anna ging. So wütend wie sie war, könnte sie sich zu einer überhasteten Reaktion hinreißen lassen. Darauf hoffte Roland.

Er wartete über Stunden. Wie sehr freute er sich, wenn er diese Steine hatte und endlich ins Bett fallen konnte.

Auch, als die Sonne bereits aufging, hatte sich Magda nicht aus dem Haus bewegt. Ihr Herz pochte immer noch aufgeregt, sie schien entschlossen zu sein, die Nacht durchzuwachen.

Was sie dann auch tat. Erst, als die Straße hell erleuchtet war und die ersten Menschen aus ihren Häusern kamen, bewegte sich Magda. Roland duckte sich etwas, drückte sich in die immer weniger werdenden Schatten.

Die Frau trat aus dem Haus, schaute sich um, ließ eine Gruppe Menschen vorbei und schloss sich einer anderen Dreiergruppe an und bewegte sich auf den Eingang zu den Tunneln zu, einem Loch mit einer Leiter nach unten.

Roland senkte den Kopf und folgte ihnen unauffällig. Die drei anderen könnten ein Problem werden, wenn sie so zusammenblieben.

Was sie auch taten. Roland beobachtete Magda, die sich von ihnen löste und binnen weniger Herzschläge in den Tunneln verschwunden war. Der Krieger ging rasch hinterher, horchte auf ihr Herz.

Vier Meter bis zum Boden. Vielleicht fünf. Eher fünf Meter.

Er schaute die Leiter hinab. Ja, eher fünf Meter. Magda war bereits einige Meter voraus, Roland konnte schwachen Lichtschein erkennen. Eine Fackel oder eine Blendlaterne. Sie würde nicht auf ihren Rücken achten.

Roland sprang in das Loch, federte den Sturz ab und ging in die Knie, setzte zum Spurt an. Fünfzehn Meter voraus sah er Magda, eine Fackel in der Hand.

Er grinste schief. Mal sehen, was man dieser Frau androhen musste, dass sie über ihre Schwester sang.

Roland machte einen Satz, drückte seine Stiefel gegen den harten Stein der Tunnel und überbrückte die wenigen Meter bis zu der schmalen Frau. Magda schien irgendetwas gemerkt zu haben und drehte sich halb um, bevor Roland gegen sie krachte.

Roland stieß sie um, die Fackel flog ihr aus der Hand und beleuchtete die massige Gestalt des Mannes. Mit einem Grinsen verstärkte Roland die Schatten etwas, er wusste, dass das Feuer seine Augen glühen ließ.

Magda wehrte sich, zückte einen Dolch und bohrte ihm die schmale Klinge in den Arm. Der Mann zuckte, griff mit den Händen nach ihren Armen und fesselte sie auf den Boden. Er war viel schwerer, konnte sie mühelos unten halten.

»Hallo, Magda.«, sagte er leise.

»Du.«, murrte sie und versuchte sich gegen ihn zu drücken. »Keine bösen Gedanken, was, Arschloch?«

»Ney, absolut nicht.« Roland hielt sie unten. »Oder was glaubst du, wird das hier?«

»Was sollte ein dreckiges Arschloch wie du von einer Frau wollen?« Sie bewegte ihre Hüfte etwas. »Tu dein Schlimmstes, aber glaube nicht, dass du mich brechen kannst.«

»Dumme Frau.«, murmelte Roland, riss ihre Arme unsanft nach oben, hob die leichte Frau hoch und drückte sie an die Wand, die Fackel spendete nicht mehr so viel Licht. Er zog seinen Dolch, drückte ihn Magda in die Seite. »Ich habe nur ein paar Fragen an dich.«

»Fragen?« Magda grinste schief. »Stell deine Fragen.«

»Weißt du etwas über vier magische Kristalle, die hier verkauft werden sollen und wer sie gekauft haben könnte?«

Magda spitzte die Lippen und klimperte gespielt auffällig mit den Wimpern. »Woher soll eine so dumme Frau etwas wie Magie kennen?«

»Weil die dumme Frau eine Schwester namens Anna hat.«, lächelte Roland gefährlich. »Und vielleicht etwas mitgekriegt hat. Ansonsten kann ich auch Anna fragen, wenn du mir sagst, wo sie ist.«

»Wer ist Anna?«, fragte sie zurück und zog niedlich eine Schulter hoch.

Roland drückte den Dolch in die Lederweste und durchstieß das harte Material. Magda müsste es spüren.

»Vara redet gerne, wenn sie betrunken ist, nicht wahr?« Er lächelte immer noch. »Jedes Mal, wenn du mir ausweichst oder lügst, werde ich etwas tiefer drücken. Und für jede Lüge, die aus deinem Mund kommt, werde ich Anna bestrafen. Ich will ihr nichts tun, nur Informationen. Aber du zwingst mich gerade dazu.«

»Und wenn ich dir nichts sage und du mich tötest?«

»Wüsste ich da noch Vara, mit der ich trinken kann. Und ich glaube, sie redet wesentlich leichter als du. Nur will ich ihr nichts antun, es sei denn, du zwingst mich dazu.«

Magda zog die Augenbrauen zusammen. »Mein Tod ist dein Tod.« Das Messer schien sie kaum zu beeindrucken.

»Ach ja?«, tat Roland überrascht.

»Glaub mir, Süßer. Geh zurück in deine Wüste und versuch nicht mit den Großen zu spielen.«

»Eure kleine Diebesbande kann mir gar nichts.« Er schnupperte an Magda. »Geschwister riechen manchmal sehr ähnlich. Wenn ich also deinem Geruch folge, finde ich Anna. Es würde mir nur sehr viel Sucherei ersparen, wenn du es mir direkt sagen würdest.«

Roland wartete einige Sekunden, dann drückte er die Klinge etwas in ihr Fleisch. Magda atmete ein, sagte aber immer noch nichts.

»Hm, gut. Geschwisterliebe. Verstehe. Wer ist diese Rothaarige?«

Magda schwieg, ihr Blick zuckte nur kurz.

»Der bemalte Große?«

Magda schwieg immer noch.

»Ihr Diebe habt Reviere, sonst hätte die Rothaarige sich nicht so beeilt an die Kiste zu kommen. Anna hat also auch ein Revier und du vielleicht auch. Wo ist Nalina?«

Magdas Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Lächeln.

»Die Diebe aus Beurat waren echt gesprächiger.« Roland ließ den Blick über Magda wandern, seufzte. »Ich will doch nur ein paar Steine finden. Es muss niemand sterben.«

»Deine Klinge sagt etwas anderes.«, lächelte Magda immer noch süffisant.

»Meine Klinge piekt dich nur etwas.« Roland schaute nach hinten, als das Schwert auf seinem Rücken leicht vibrierte. Er rollte nur mit den Augen. »Also, willst du deine Schwester eher leiden sehen oder willst du, dass ich ihr eine einfache Frage stelle?«

»Du weißt nicht einmal, wie sie aussieht, sonst wärst du nicht hier, mein Wüstenjunge.«

Da hatte Magda recht. Er wusste nichts über Anna. Nur, dass sie eine Fischerstochter war und ihre Schwester Magda war.

»Ich nehme an, dass sie dir sehr ähnlich siehst.«

»Wie viele andere Frauen in der Stadt. Du kannst mich töten. Dann kannst du Vara flachlegen und vielleicht erfahren, wie Anna aussieht. Und selbst dann wirst du sie nicht mal eben so finden. Es wird dich nur eine Menge Zeit kosten und viele Feinde machen.«

»Ja, eventuell. Oder ich schneide mich durch deine Diebesbande und hinterlasse eine Spur aus Leichen, angefangen bei dir in einer Seitengasse bis hin zu deiner magischen Schwester Anna, die ich, nachdem ich ein paar Tage mit ihr zugebracht habe, an die Roten Ritter abgeben werde.« Er neigte den Kopf nach rechts, als würde er auf etwas lauschen. »Und ich denke, das ist schlimmer als der Tod durch mich. Wie gesagt, ich will ihr nur eine einzige Frage stellen.«

»Stell die Frage lieber mir, Wüstenjunge.«

»Habe ich. Vier Kristalle, jeder etwas größer als ein Hühnerei. Weißt du, wo sie sind oder wer sie haben könnte?«

»Nein. Und Anna weiß es auch nicht.«, antwortete sie grimmig.

»Was dagegen, wenn ich sie selber frage?«

»Was dagegen, wenn ich dir dein bestes Stück abschneide?«

»So lange kennen wir uns noch nicht, dass ich mich vor dir ausziehe.«, grummelte Roland, den Dolch immer noch in ihrer Seite. Er hatte irgendwie mit einer anderen Reaktion gerechnet. »Wer könnte etwas über die Steine wissen?«

»Wer hat sie denn dem kleinen Jungen weggenommen?«

Wieso mussten Frauen eigentlich direkt immer so sein?

»Klein, rothaarig, grüne Augen.« Er zog den Dolch aus ihrer Haut, die Spitze glänzte rot im restlichen Licht der Fackel auf dem Boden.

Sie zuckte nur kurz, reagierte aber nicht auf seine Aussage. War er nicht bedrohlich genug?

Wieder vibrierte das Schwert in der Scheide, dieses Mal schaute Roland nicht hin, sondern zog es. Die Klinge, mit feinen Runen entlang der Mitte versehen, schimmerte in der Düsternis.

»Gut«, murmelte Roland, »genug der Samthandschuhe.« Dunkelheit breitete sich aus, das Licht der Fackel wurde davon verschlungen, nur noch ein Glühen ging von ihr aus.

Jetzt schien Magda wirklich Angst zu bekommen. Roland griff nach ihrem Hals und schnürte ihr die Luft ab, hob sie leicht an, dass nur noch ihre Zehenspitzen den Boden erreichten.

»Du beantwortest mir jetzt meine Fragen.«, grollte der Mann. »Oder ich breche dir jeden Knochen.«

»Behandelt man so eine Dame?«, krächzte sie, klammerte sich an seine Hand, versuchte die Finger zu lösen.

»Wenn du dich wie eine Dame verhalten hättest.« Roland hob den Anderthalbhänder, ein seltsamer Schimmer ging von der Klinge aus. Er setzte sie an den Arm der Frau und zog einmal. Blut rann den Stahl hinab.

»Noch nicht.«, murmelte Roland. »Sagst du mir jetzt, was ich wissen will?«

»Fick dich.«, zischte Magda unter Atemnot.

»Trink.«

Roland konnte sehen, wie Magda bleich wurde, als sie zusah, wie das Blut in der Klinge verschwand und nicht ein Tropfen übrig blieb.

»Und jetzt?«, fragte der Mann, die Dunkelheit zog sich wie schwarzer Stoff um sie zusammen, schluckte das letzte Licht der Fackel. »Wie gesagt, jeder einzelne Knochen und dein Blut.«

Magda atmete schneller, verzog das Gesicht und fing an mit den Beinen zu zappeln. Plötzlich zog sie das Bein hoch. Roland musste sie loslassen, um das Bein abzufangen, das direkt auf sein Gemächt zielte. Die Frau stolperte und wäre umgefallen, wenn Roland sie nicht aufrecht gehalten hätte.

»Also?«, fragte er wieder.

Trotz ihrer rasenden Angst zog sie die Nase hoch und spuckte einen dicken Klumpen Speichel direkt neben seine Nase.

Roland zuckte nicht einmal. Er holte aus und donnerte ihr seine Faust seitlich ins Gesicht. Magda keuchte, stieß einen schmerzerfüllten Laut aus und ging zu Boden.

»Nun gut, dann die unfreundliche Methode.« Roland trat einen Schritt auf sie zu, duckte sich im letzten Moment und entging dem Pfeil, der durch den Gang pfiff.

»Magda!«, rief eine Männerstimme.

»Nein«, keuchte Magda, »lauf, du Idiot.«

»Du zuerst.« Roland machte einen Satz, unterlief dem Schützen und bohrte ihn das Schwert in die Brust. Die Klinge schimmerte etwas heller. Magda keuchte, als wäre sie selbst getroffen worden und der Todesschrei des Mannes, vermutlich eines ihrer Bandenmitglieder, verwandelte sich in ein Röcheln, als ihm das Blut aus dem Körper gesogen wurde.

Roland starrte auf den Mann, als ihm zu spät auffiel, dass sich Magdas Herzschlag von ihm entfernte. Roland drehte sich um, der teilweise vertrocknete Leichnam klatschte zu Boden.

Sie hatte den Ausgang erreicht. »Verdammte Scheiße.«

Roland steckte sein Schwert weg. »Hoffentlich bist du jetzt zufrieden.«, grummelte er und lief der Diebin hinterher, die sich bereits schnell entfernte. Die Leiter war kein Hindernis und Magda zu verfolgen noch viel weniger. Von der Straße herunter in eine Seitengasse an einem Metzger vorbei und dem Gestank eines Kürschners ausweichend.

Roland bog um eine Ecke, erwartete Magda und fand sie. Sie stand breitbeinig ein paar Meter vor ihm, Fässer und Kisten links und rechts aufgereiht, stellenweise verfallen und kaputt. Hinter ihr ging es noch weiter, die Straße schien in einer Kreuzung zu enden.

»Mach es nicht schlimmer.«, warnte er die Diebin. »Das muss es nicht.«

»Oh doch, für dich muss es das.« Zu spät bemerkte Roland, dass sie auf einer schmalen Scheibe stand. Magda sprang zurück, Roland duckte sich, als etwas klirrte.

Ohrenbetäubender Lärm, massiv verstärkt durch sein überempfindliches Gehör und die enge Gasse, flutete seine Nerven. Er biss die Zähne zusammen, als Holz und Metall durch die Gegend flog. Er machte sich klein, zog den Umhang über sein Gesicht, als ihn Holzstücke und Splitter von Eisen trafen. Mehrere harte Treffer gegen seinen Körperpanzer und er zischte. Nägel, schmale Drähte und Holz bohrten sich in Beine, Arme und Hände. Ein Stück streifte sogar seine Stirn und zog eine brennende Linie darüber.

Als es endlich aufhörte, war der Herzschlag der Frau weg. Roland knurrte und schlug den Umhang wieder zur Seite. Er spürte den rasenden Schmerz in seinen Armen und Beinen. Schwer setzte er sich auf den Boden und hob zitternd den Arm.

Nägel, kleine Metallsplitter und viele Holzsplitter steckten in seinem Arm, Blut lief aus der Haut, tränkte den Ärmel seines Hemds und seines teuren Umhangs.

Er zog den Stoff zur Seite, verzog das Gesicht. Einer der Metallsplitter hatte Rost angesetzt. Jetzt musste er zum nächstbesten Kräuterhändler gehen und Heilkräuter kaufen. Nur mit Erandi kam er gegen eine Blutvergiftung nicht an.

Wie sollte er das erklären? Keuchend drückte sich Roland hoch. Der Schmerz betäubte seine Sinne. Kurz taumelte er gegen die Wand und schleppte sich weiter. Er hörte sein Herz rasen, versuchte an etwas anders zu denken.

An diese rothaarige Diebin beispielsweise. Oder die Braunhaarige in der Schenke. Vielleicht auch daran, wie sehr er Magda und Anna würde leiden lassen.

Kurz wollte er schreien, als er mit der Schulter gegen den Stein der Wand fiel. Er verharrte einen Moment und holte Luft, sammelte Kraft.

»Verdammtes Feingefühl.«, knurrte er. Es war seine Schuld gewesen. Er war blindlings in diese Falle gelaufen. Er hatte gedacht, Magda war nur eine einfache Diebin. Schnellfluss war eine andere Stadt als Beurat oder Valammar. Sie schienen anders zu agieren.

»Ah!«, keuchte Roland. Zum Glück hatte der Panzer an Brust und Rücken die großen Trümmer abgehalten. Hellbrand hatte exzellente Arbeit geleistet.

Zuerst musste er zum Kräuterhändler. Oder zu seinem Gasthaus zurück und jemanden anheuern, der ihm Verbände und Medikamente und Kräuter brachte.

Er würde zweiteres machen. Es war viel zu auffällig, wenn er so verletzt bei einem Kräuterhändler auftauchen würde. Er würde Fragen stellen.

Roland zog den Umhang um sich, versuchte die blutenden Wunden zu verdecken, richtete sich mit zusammengebissenen Zähnen auf und nahm den Weg zu seinem Gasthaus. Immer wieder verlor er beinahe das Bewusstsein, wenn ihn einer der Passanten anrempelte, übler Gestank in seine Nase drang oder laute Geräusche zu übermächtig waren.

So schlecht war es Roland schon lange nicht mehr gegangen. Seit Jahren eigentlich nicht mehr.

Er sah sich um, suchte jemanden, der unscheinbar genug war, um eine einfache Aufgabe für ihn zu erledigen. Ein Laufbursche oder ein anderes Kind, das ein paar Pal verdienen wollte.

Ihm fiel ein Junge in einer Latzhose auf, der an einer Ecke herumlungerte. Er hatte fettige, ungewaschene Haare, ein Gesicht voller Pickel und schien im Stehen zu schlafen.

Roland ging direkt auf ihn zu, passte auf nicht zu taumeln und stieß ihn unsanft an. Dann packte er ihn am Kragen und zog ihn näher an sein Gesicht.

»Willst du dir ein paar Münzen verdienen?«, fragte er gequält.

»Ein paar Münzen?«, fragte der Junge langsam zurück, schien nicht realisiert zu haben, dass ihm etwas wehtun müsste oder Roland verwundet war.

»Ja.« Der Krieger knurrte leise. »Zehn Pal. Ich brauche Medikamente, Heilkräuter und Verbände. Schaffst du das? Geld kriegst du von mir.«

Der Junge nickte leicht. Roland verzog das Gesicht und holte zwei silberne Münzen aus seiner Tasche.

»Das sollte reichen. Ich bin oben.«

»Welches Zimmer?«

»Hoch, rechts, drittes Zimmer rechte Seite.«, knurrte Roland, bevor er sich die Stufen hoch in das Gasthaus Zum Gehängten schleppte. Die Wirtin schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an, machte eine Handbewegung zum Mund und Roland nickte, bevor er die Treppe zu den Gästezimmern nahm.

Sein Zimmer war unberührt, hier wurde offenbar nur aufgeräumt, wenn der Gast gegangen war. Er ließ sein Schwert zu Boden gehen, zurrte den Umhang auf und ließ ihn ebenfalls einfach zu Boden gleiten.

An der Wand entlang hangelnd schleppte er sich zum Bett und strampelte sich aus den Stiefeln. Der Brustharnisch folgte und Roland keuchte. Der Panzer knallte auf den Boden und blieb neben dem Umhang liegen. Vielen kleine und ein paar größere Löcher hatten den Rücken zerschossen.

»Verfluchte Diebe.«, grummelte Roland, ließ sich aufs Bett fallen und gab einen leisen Schmerzensschrei von sich, als Schmerzen durch seine Beine und Arme jagten. Jetzt musste er warten, bis der Bursche wiederkam. Das sollte nicht zu lange dauern.

Aber bevor der Junge kam, stapfte die Wirtin die Treppe hoch und brachte ihm etwas, was verdächtig nach Fleisch roch. Es klopfte.

»Herein.«, versuchte er so normal wie möglich zu sagen. Die Wirtin trat ein, ihr geflickter Rock schwang hin und her.

»Hier.« Sie stellte ihm eine Schale mit dicker Suppe und einen Teller mit etwas dampfendem Fleisch daneben. »Brauchst du noch etwas, Großer?«

»Alkohol.« Roland nickte, wischte sich den Schweiß aus der Stirn. »Stark. Möglichst nicht zum Trinken.«

»Sowas habe ich nicht. Ich kann dir starken Rum anbieten. Schnaps?«

»Egal.« Er zuckte mit einer Schulter, die zum Glück kaum schmerzte.

»Was ist überhaupt passiert?« Sie ließ den Blick über sein dunkelbraunes Hemd wandern, welches vor Schweiß und Blut noch dunkler wurde.

»Bin gestürzt.«, wich er aus.

»Aha.«, gab sie von sich und Roland war sich sicher, dass sie die Wahrheit kannte. »Also Schnaps. Bringe ich dir.«

»Danke. Wäre es möglich, ein nicht mehr benötigtes Tuch und einen Eimer mit etwas Wasser zu bekommen?«

»Ich suche dir sowas raus. Gib mir ein paar Minuten.« Sie ging zur Tür. »Erwarte aber nicht, dass ich dich behandle und Händchen halte.«

Roland lachte. Die Frau nahm kein Blatt vor den Mund.

»Nur, wenn du das willst.«, grinste er. Die Wirtin zuckte mit dem Mundwinkel und verließ das Zimmer.

Mühsam setzte sich Roland auf und zog mit dem unverletzten Arm den Tisch heran. Bei dem Eintopf lag ein Stück Brot. Die Frau sorgte wirklich gut für ihn. Mit der funktionsfähigen Hand hob er die Schale an und trank von der dicken Suppe. Bohnen, Speck, Fleisch, Kartoffeln, jede Menge Kräuter. Gut und nahrhaft, nicht so dünn wie erwartet.

Die Hälfte trank er, den Rest würde er sich aufbewahren bis nach seiner Eigenbehandlung. Er wusste, es würde wehtun.

Nach einer Stunde hatte dieser lahme Bursche endlich die Kräuter und Verbände gebracht. Was hatte er so lange gebraucht?

Roland ließ ihn das restliche Geld behalten und scheuchte ihn davon. Er sortierte die einzelnen Kräuter neben sich auf der Decke und seufzte, als er Teeblätter entdeckte. Was sollte er denn damit? Sich Tee machen höchstens.

Die Verbände folgten, sauber und ordentlich nebeneinander aufgereiht. Roland holte seinen geschwungenen Dolch aus der Rüstung für den Fall, dass er die Verbände zuschneiden musste. Sie waren von passabler Qualität, nicht hochwertig, aber funktional. Dann zog er unter brennenden Schmerzen sein Hemd aus. Seine Muskeln rebellierten, aber darin war er ausgebildet. Er konnte seinen Schmerz aushalten.

Vorsichtig fing er an die Splitter und Stücke aus seiner Haut zu ziehen. Stellenweise hatten sie sich tief in die Haut gebohrt, einige musste er sogar herausschneiden. Sogar eine kleine Feder hatte sich in seinen Arm gebohrt und verursachte höllische Schmerzen.

Leise klimpernd erhöhte sich der blutige Stapel an Holz und Metall auf dem Tisch, Blut sammelte sich auf dem Holz.

Roland tauchte die Lappen ins Wasser und wischte seine Haut sauber. Schweiß tropfte von seiner Nase, als er endlich an seinen Beinen ankam. Auch hier bot ihm sich ein ähnliches Bild. Er kämpfte darum nicht bewusstlos zu werden und schnitt auch hier kleine Metall- und Holzstücke aus der Haut.

Danach zerdrückte er die Kräuter, rieb sie im Wasser. Das Wasser färbte sich hellgrün. Jetzt nur noch die Tücher vollsaugen lassen und Arm und Bein wickeln.

Während er wartete, kaute Roland auf dem Brot herum und reinigte die Wunden mit dem Rum, den ihm die Wirtin gebracht hatte. Er war stark und stank wie purer Alkohol. Roland wunderte sich, dass Leute dieses ekelhafte Zeug überhaupt tranken.

Das Brennen der Flüssigkeit auf den Wunden war nicht so schlimm wie erwartet. Nein, es war schlimmer.

Er zwang sich nicht zu schreien. Sein Blickfeld verschwamm und er fiel nach vorne. Der Tisch rumpelte und die Schale fiel knallend auf den Boden. Der Rest der dicken Suppe klatschte auf das Holz, Roland stöhnte, holte mehrfach tief Luft und keuchte vor Schmerz. Scheiße. Scheiß Sprengfalle. Scheiß Diebe. Er würde sie bezahlen lassen.

»Und das alles«, raunte der Mann, versuchte sich aufzurichten, »nur wegen ein paar blöder Steine.«

Kurz überlegte er, ob es den Auftrag wert war. Aber wenn er ohne Steine zurückkam, dann würde das nur die anderen bestätigen.

»Nein. Ich kann das.«, zischte er. Keuchend richtete er sich ganz auf, erhob sich und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Seine Finger griffen in das Fell. Irgendwie wünschte er sich, dass die Wirtin doch zu ihm kam und ihn versorgte. Das würde es leichter machen.

Oder Magda, damit er sie bestrafen konnte. Eine einfache Frage und die dumme Pute machte so einen Aufstand.

Roland musste allerdings zugeben, dass er auch nichts zu seiner Schwester sagen würde, auch wenn er sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Familie war ziemlich wichtig.

»Ach, Isi.« Roland fuhr sich durch die Haare, schaute die blutigen Metallsplitter an, die sich auf dem Boden verteilt hatten. Magda würde zahlen, das war klar. Jetzt hatte sie es sich verscherzt. Und wehe, ihre Schwester war genauso nervig. Sicher noch schlimmer. Sie war Magierin. Und Roland hatte etwas gegen Magie.

Eine Stunde später lag der Mann nackt in dem Bett, schweißgebadet und voller Wickel an Armen und Beinen. Der durchdringende Geruch nach Kräutern hing im Raum.

Er versuchte ruhig zu atmen und nicht zu bewegen. Sein Blut rauschte durch die Adern. Warum war er nur so schwach?

»So eine Scheiße.« Roland schloss die Augen. Er musste diese Schmerzen entweder aushalten oder schlafen. Magda würde einen Vorsprung haben, die Rothaarige und ihre Schwester warnen und dann war all seine Kraft umsonst, wenn seine Ziele außer Reichweite verschwanden.

Er hatte keine Zeit. Vielleicht sollte er diese rothaarige Diebin suchen und ausfragen. Wenn sie mit Magda und Anna unter einer Decke steckte, dann könnte er sie einfach töten. Wenn nicht, dann war sie vielleicht redefreudiger. Die Frage war aber eher, ob Roland das wollte. Sie war nicht sonderlich hübsch, hatte aber Feuer und sie roch so unglaublich gut.

Nein, die Rothaarige würde er nicht foltern. Sie war nur nervig, sie hatte ihm nichts getan. Aber diese Magda und ihre Magierschwester, die würde er sich zur Brust nehmen, koste es, was es wolle.

Schwer atmend stand er wieder auf und hielt sich die Brust. Er konnte nicht warten. Wenn er wartete, würden Anna und Nalina gewarnt. Die Steine wären weg und seine zusätzliche Belohnung wäre auch weg.

Mühsam zog er alles außer Harnisch und Umhang an. Er hing sich sein Schwert um und verließ den Raum.

Was war sein nächster Schritt? Anna so finden war schwierig. Er könnte nochmal zu Vara und mit ihr sprechen. Ob sie sich an ihn erinnerte? Roland zuckte mit einer Schulter, verzog dabei das Gesicht. Nicht machen, nicht.

Die Wirtin schaute ihn irritiert an, als er den Schankraum betrat.

»So schnell geht es dir besser?«, fragte sie und musterte ihn eingehend. Er winkte lediglich ab und verließ den Raum nach draußen. Ein Besuch bei Vara war es wert.

Roland verfolgte seinen Weg von dem Gasthaus wieder zurück zu dem Haus mit den beiden Säulen. Im hellen Licht wirkte die Fassade, als sei sie vor etlichen Zeiten einmal sehr glamourös gewesen, aber durch den Zahn der Zeit verkommen. Wie ein Schatten aus alten Zeiten, wo das Gold noch echt war und der Glanz strahlend hell.

Er holte mehrmals Luft und klopfte dreimal hart gegen die Tür. So feste wollte er gar nicht klopfen.

Er hörte das Herz im ersten Stock aufgeregt klopfen und wie es sich rasch näherte. Etwas klirrte, vermutlich eine Sicherheitskette, da ging die Tür auf und Vara stand vor Roland, zerzaust, mit teilweise noch feuchten Haaren und gewaschen.

Sie schaute Roland an, blinzelte gegen die Helligkeit und lächelte, was sie nicht unbedingt schöner machte.

»Der Fremde, der mich nach Hause brachte. Sehnsucht entwickelt?« Sie lehnte sich an den Türrahmen und schien dann erst die Verbände an seinen Armen zu bemerken, die aus seinen Ärmeln hervorschauten.

Roland grinste zurück. »Du kannst dich erinnern. Gut. Darf ich reinkommen?«

»Eigentlich weniger, Magda hat es nicht so gerne, wenn Fremde da sind, aber sie ist schon länger weg. Ich denke, einen Augenblick geht das in Ordnung.« Sie trat beiseite, um Roland einzulassen. Der Mann grinste und trat ein. Wenn er sie rumkriegen wollte, durfte er keine falsche Müdigkeit vortäuschen.

»Magda war die nette Frau, die uns letzte Nacht begrüßt hat?«, fragte er neugierig.

»Ja, das war Magda. Tut mir leid, wenn sie unhöflich war, sie hat mich noch...« Vara verstummte, drückte Roland in eine Richtung und bugsierte ihn in die Küche. Der knisternde Ofen verströmte angenehme Wärme. Ein Topf dampfte darauf. Er versuchte nicht zu schreien, als sie auf seine Wunden drückte.

»Alles in Ordnung?«, fragte er sie mit zusammen gepressten Lippen. »Ich hoffe, ich habe dir keinen Ärger bereitet.«

»Nicht mehr als sonst auch. Aber die Frage sollte ich dir eigentlich stellen. Du siehst aus, als hätte jemand eine Kutsche über dich drüber gefahren. Sahst du gestern auch schon so aus?« Vara legte den Kopf schief.

Er nickte. »Ja. Ich hatte einen Unfall auf meiner Arbeit. Einer der Öfen ist hochgegangen und ich stand nicht weit weg. Aber ich versuche es zu verstecken.«, tischte Roland ihr auf.

»Und da trägst du ein ziemlich großes Schwert mit dir herum?«, schmunzelte Vara, lehnte sich mit dem Becken an den schmalen Tisch. Gewaschen und hellwach sah die Frau ganz passabel aus.

»Ja. Mein Vater war Händler und bläute mir ein, dass ich mich stets verteidigen können muss. Er schenkte mir auch das Schwert, als ich noch ein Halbstarker war.«

»Aha. Dein Vater war Händler und schenkte dir ein Langschwert.«

»Anderthalbhänder.«, lächelte Roland. »Aber ja, das tat er. Handelte zwischen Schnellfluss, Beurat und Valammar, wurde dadurch einigermaßen wohlhabend und brachte auch diverse Gegenstände mit.«

Sie hob leicht das Kinn. »Und was tut er heute?«

»Irgendwo am Straßenrand versauern oder mit hunderten Frauen in seinem Schloss liegen.«

»Schloss?«

»Er träumte immer von einem eigenen Besitz und baute sich irgendwann ein sehr großes Haus mit Mauern. Als ich ging, hatte es mehrere Dutzend Zimmer und die Frauen wollten gar nicht von ihm weg. Bis auf meine Mutter, die sich sehr früh von ihm trennte. Eben wegen dieser Frauen.«

»Und du bist nicht so.« Vara musterte ihn erneut. »Du hast mich völlig uneigennützig nach Hause gebracht?«

»Oh, vielleicht nicht. Ich sagte dir ja, dass ich es nicht mag, die Frauen bewusstlos unter mir zu haben.«, lächelte er schief. »Und gegen ihren Willen schon gar nicht.«

»Und da dachtest du, du kommst hierher und versuchst dein Glück?« Die Frau schnaubte. »Mein Mann ist seit über sechzig Tagen tot. Von einem Mast erschlagen. Unglückliche Sache. Ich versuche immer noch seinen zermalmten Körper zu vergessen.«

»Mit Alkohol?« Roland bewegte sich langsam, legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es gibt mehr als eine Art des Vergessens. Und dich selbst dafür zu bestrafen mit starkem Rum macht es nicht besser, weißt du?«

»Mich selbst bestrafen?«, fragte sie überrascht. »Ich trinke ab und zu nach meiner Arbeit.« Vara bewegte sich nicht, zuckte nicht und wies ihn auch nicht zurück.

Roland schmunzelte. »Lass uns das Thema wechseln.«

»Und welches Thema hättest du gerne?«, fragte die Frau immer noch unbewegt.

Roland lachte einmal und sah sich um. »Willst du mir nicht lieber was zu trinken anbieten?«

»Damit wir in Stimmung sind?« Sie verzog den Mund etwas, was einem Lächeln ähnelte und holte eine Kanne Met mit zwei angeschlagenen Bechern aus dünnem Metall, die sie auf den schmalen Tisch stellte. Roland setzte sich schwer auf den Stuhl. Vielleicht könnte er dadurch einen ungefährlichen Eindruck erwecken. Und etwas Mitleid erhaschen. Zumindest einen entsprechenden Blick warf ihm Vara zu, als sie den Met einschenkte.

»Geht es?«, fragte sie leise, setzte sich ihm gegenüber hin, was nur eine Armlänge entfernt war. Der Mann grinste schief. Wenn sie wüsste.

»Natürlich geht es.«, murmelte er und trank einen Schluck. Kein Met, den er nicht bevorzugen würde. »Wie geht es dir heute? Du warst gestern ziemlich betrunken.«

»Mehr als üblich?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Habe ich gekotzt?«

»Nein. Nur zwischenzeitlich gesungen und geflucht wie ein alter Seebär und sonst hast du dich nur gewundert, warum ein Mann dich nach Hause bringt und nicht in die nächste Gasse.« Roland hob kurz seinen Becher. »Und Magda um den Hals gefallen. Ein wenig eifersüchtig war ich schon.«

Er hoffte, die Verführung würde aufgehen. Anna musste gefunden werden. Und Magda würde er bestrafen. Und Nalina fehlte auch. Und die Steine. Und etwas Schlaf.

Vara kicherte. »Ist das so? Dabei hing ich doch sicher in deinem Arm.«

»Ja, schon. Mehr getorkelt. Ich musste dich festhalten.«, lächelte Roland.

Vara schaute verlegen in ihren Becher. »Und habe ich mich schon erkenntlich gezeigt?«

»Nicht so richtig.«, schmunzelte Roland. »Ich wollte vor allem schauen, ob es dir gutgeht.«

»Zu gütig.« Vara trank einen Schluck. »Ich würde mich aber gerne erkenntlich zeigen.«

»Wenn du darauf bestehst, werde ich mich nicht dagegen wehren.« Roland stellte den fast geleerten Becher auf dem Tisch ab. In diesem Moment hörte er Magdas Herz näherkommen. Er musste sich beeilen.

»Nur, was begehrt ein Mann wie du?« Vara schaute hoch. »Du würdest mich nicht ablehnen, nehme ich an?«

Roland hörte die Nervosität in ihrer Stimme und ihr Herz schlug gleich schneller. Er roch sogar ihre Angst. Sie war noch nicht bereit.

»Ney.« Roland schüttelte den Kopf. »Aber ich möchte es auch nicht ausnutzen. Wenn du bereit bist, komme ich darauf gerne noch einmal zurück. Aber wenn du dich erkenntlich zeigen willst, brauche ich ein paar Informationen.«

»Informationen?«, fragte sie und runzelte die Stirn. »Was für Informationen?«

Roland legte den Kopf leicht auf die Seite. Magda war nicht allein, zwei weitere Herzen begleiteten sie. Starke Herzen. Männer vermutlich. Eventuell stark.

»Mein Arbeitgeber hat verlauten lassen, dass er gerne mit jemandem zusammenarbeiten möchte, der im Untergrund arbeitet. Eine Frau namens Anna. Mit ihr möchte ich gerne ins Geschäft kommen. Oder sagen wir, den Kontakt herstellen. Ich bin da leider im Nachteil, da nur ein Name recht wenig ist an Informationen.«

»Und du dachtest, ich kann dir da helfen?« Vara hob eine Augenbraue. Noch schien sie es nicht verdächtig zu finden. »Und was hast du davon?«

»Ich werde Vorarbeiter. Jens, dieses Wiesel, hat den Posten jetzt inne und nutzt ihn aus. Ich möchte diese Position.« Roland lächelte breit, zeigte seine Zähne. »Und mit der Hilfe von Anna wird mein Arbeitgeber bereit sein, mir diesen Posten zu geben.«

Wenn Vara weiter doofe Fragen stellte, würde es gleich zu einem Gemetzel kommen. Dieses Mal war Roland nicht so nachsichtig.

»Das beantwortet nicht meine Frage. Wieso denkst du, dass ich dir etwas über Anna sagen kann?«

»Anhand deiner Art und Weise zu sprechen merke ich, dass du sie kennst. Außerdem lebst du mit Annas Schwester in einem Haus.«

Die Diebin schien mit sich zu ringen. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. »Du lügst mich auch nicht an?«

»Nein. Ich schwöre dir, ich füge ihr kein Leid zu.« Roland legte eine Hand auf sein Herz. Was soweit der Wahrheit entsprach. Er würde sie höchstens bewusstlos schlagen, wenn es nicht anders ging. Davon würde sie sich erholen.

Langsam nickte Vara. »In Ordnung. Anna arbeitet in dem Laden ihres Vaters am Hafen.«

»Wie sieht sie aus?«

»Sie hat braune Haare und ist etwa so groß wie Magda. Meistens trägt sie neben einem einfachen Kleid ein aufwändiges Tuch um den Hals. Sehr bunt und viel Schmuck in Silber und Gold.«

»Sehr unauffällig.«, lächelte Roland, erhob sich von seinem Stuhl, beugte sich unter brennenden Schmerzen nach vorne und hauchte Vara einen Kuss auf die Stirn. Sie roch wirklich sehr sauber.

»Danke, meine Liebe. Wir werden uns bald wiedersehen, dann trinken wir etwas zusammen.«

Sie lächelte ihn schief an und nickte. »Danke. Dass du nichts getan hast, meine ich.«

Roland nickte ernst, ließ kurz den Blick über sie schweifen. »Ich hoffe, beim nächsten Mal tun wir uns etwas gegenseitig an.«

Er verneigte sich steif und ließ die kleine Frau am Tisch sitzen. Vorne raus? Hatte das Haus einen Hintereingang? Vermutlich, aber Roland würde zu lange brauchen.

Ducken und raus. Er öffnete die Tür einen Spalt und schlüpfte aus dem Haus und reihte sich hinter einem Karren mit Stoffballen ein, die seltsam nach Gewürzen rochen und versuchte so unauffällig wie möglich auszusehen. Nur ein Junge warf ihm einen seltsamen Blick zu, ansonsten waren die Menschen zu beschäftigt.

Vara war keine unanständige Frau. Und nüchtern und gewaschen sogar ertragbar. Allerdings glaubte Roland, dass sie nach dem Tod ihres Mannes gebrochen war. Etwas, was sie gemeinsam hatten. Und er nur zu gut verstand.

Er hob den Kopf, als sein Magen knurrte. Die Suppe der guten Wirtin konnte nicht ewig vorhalten. Das wäre eigentlich ein guter Vorwand, um nach Leyira zu schauen und ihren Eintopf zu genießen, bevor er Mikan, dem Vater von Anna und Magda, einen Besuch abstattete.

Er hatte also einen Laden? Das konnte ebenso ein Hindernis sein. Es gab viele Läden am Hafen.

Aber darüber würde er nachdenken, nachdem er bei der angenehmen Leyira war und Suppe aß.

Nach einer Stunde hatte er es mit einigen Pausen dann zum Hafen geschafft und betrat das Gasthaus Zum blauen Fisch. Leyira stand an der Theke, schwatzte mit einem Wachmann, der seinen Helm auf die Theke gelegt hatte und sich auf der Theke abstützte. Roland hörte sein aufgeregtes Herz. Der Mann grinste dümmlich und nickte nur. Die Wirtin winkte Roland knapp.

»Ich muss weiter, Süßer. Kundschaft wartet.«

Sie sprach so angenehm ruhig und leise. Es war eine Wohltat.

»Roland.« Sie lächelte breit, legte den Kopf etwas zur Seite, ihre rostbraunen Haare bewegten sich mit.

»Leyira.« Roland lehnte sich an die Theke. »So schnell sieht man sich wieder. Gut siehst du aus.«

Er merkte, wie der Wachmann ihn auffallend musterte. Anfänger. Auf so eine offensichtliche Provokation ließ sich Roland nicht ein. Der Wachmann hatte offenbar gehofft, bei Leyira landen zu können.

»Oh, danke. Aber du nicht.« Sie beugte sich über den Tresen und schob ein Stück von seinem Hemd am Kragen zur Seite. Ein bisschen Verband kam zum Vorschein.

»Was ist Euch widerfahren, Bürger?«, fragte der Wachmann übertrieben laut, sodass es das ganze Gasthaus mitbekommen musste. Roland hätte ihn am liebsten zum Schweigen gebracht, seine Ohren klingelten bereits und ein paar Köpfe drehten sich in ihre Richtung.

»Nichts, was Eure geschätzte Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Es gibt wichtigeres als Kisten, die auf einen Mann fallen.«, erwiderte Roland und versuchte so abweisend wie möglich auszusehen.

»Kisten?«

»Ja. Groß, schwer, viereckig, aus Holz.« Roland drehte leicht den Kopf zu dem Mann. »Kein Inhalt. Nur etwas Stroh zur Polsterung.«

»Deswegen seht Ihr so aus?«

»Deswegen sehe ich so aus.«

»Ihr wurdet behandelt.«

»Das war ich selbst.«

»Ihr seid Heiler?«

»Ney.«

»Und Ihr könnt Euch behandeln.«

»Ja.«

»Aber Ihr seid kein Heiler.«

»Ney. Könnt Ihr Leute töten?«

»Ja.«, sagte der Wachmann irritiert. »Dafür habe ich mein Schwert.«

»Also seid Ihr ein Mörder?«

»Nein!«, rief er aus. »Ich bin ein Vertreter des Gesetzes.«

»Aber Ihr könnt Leute töten genau wie ich mich behandeln kann, ohne ein Heiler zu sein.«

»Lass den Mann in Ruhe, Murri.«, mischte sich Leyira ein und lächelte ihn an. »Es war offensichtlich ein Unfall.« Dabei wandte sie sich wieder zu Roland und strich über seine Wange. Er hätte ihr den ganzen Tag zuhören können.

»Mein Armer. Willst du einen Met?«

»Gerne. Wenn ich hier sitzenblieben darf oder du mit mir an einen Tisch gehst.«

»Dann bleib hier sitzen. Ich habe lieber alles im Blick.«, lächelte Leyira ihn an, drehte sich um und ließ goldenen Met in eine Kanne mit ein paar Beulen laufen.

Roland schmunzelte. »Da geht es mir ähnlich. Ich habe auch gerne alles im Blick. Besonders dich.«

Leyira war angenehm, nur etwas sehr beleibt. Aber die Narben an ihrem Ohr waren interessant. Was sie wohl für eine Geschichte erzählten? Und wohin sie noch gingen?

»Oh.« Die Wirtin drehte sich wieder um, lächelte leicht. »Sagst du das nur, um einen Nachlass zu bekommen oder meinst du das ernst?«

»Das meine ich ernst.«, erwiderte Roland. »Du bist die interessanteste Person, die ich hier in den letzten Tagen getroffen habe und auch die angenehmste Person. Ich bin gerne bei dir.«

Was der Wahrheit entsprach. Vermutlich würde er sich auch nicht gegen sie erwehren, wenn es dazu kommen würde. Dazu war sie zu niedlich.

Sie lachte einmal und lehnte sich wieder auf die Theke. »Das ist nett, Süßer.«, säuselte sie. »Du bist auch eine angenehme Person.«

Der Wachmann Murri stöhnte nur lauthals, verdrehte sogar die Augen, soweit Roland es sehen konnte. Die Wirtin lachte einmal. »Ich glaube, ich muss mich wieder um einen ganz besonderen Gast kümmern, Süßer.«

»In Ordnung.« Roland wedelte schief grinsend mit der Hand. »Mit etwas Eintopf bleibe ich länger und du hast mich heute Abend noch einmal an der Backe.«

Sie lachte. »Den sollst du bekommen. Niemand wird hier schlecht behandelt.«

»Das glaube ich.« Roland schaute ihr hinterher, wie sie in die Küche ging und wieder mit dem Koch sprach, der wieder nur brummte.

Roland schmunzelte und warf einen Blick zu dem Wachmann. Kurz war er geneigt, ihn noch ein bisschen zu provozieren.

»Murri also, ja?«, lächelte Roland, trank aufreizend langsam etwas von seinem Met, schmatzte einmal genüsslich.

»Muray.«, verbesserte der Mann ihn. »Wachmann Muray.«

»Also, Wachmann Murri«, grinste Roland schief, »solltet Ihr nicht auf Wache sein oder habt Ihr gerade Eure wohlverdiente Ruhepause?«

»Ich wüsste nicht, inwiefern das für Euch relevant wäre, Bürger.«

»Ah, verstehe.« Roland nickte bedächtig. »Ich dachte, das Frage-Antwort-Spiel geht weiter. Aber ney, habe ich mich getäuscht. Bürger dürfen ja keine Fragen stellen.«

»Richtig.«, brummte er. »Neugierige Bürger erst recht nicht.«

»Was ist mit neugierigen Wachen?«

»Frag eine.«

»Mache ich doch gerade.« Roland drehte sich auf dem Hocker etwas zu Muray.

Der Wachmann knurrte und drehte sich ebenfalls zu ihm. »Willst du Stress? Ich kann dich in den Kerker werfen.«

»Hm, ja, das könntet Ihr.« Roland fuhr sich schabend durch den wieder wachsenden schwarzen Bart. »Aber wollt Ihr denn unbedingt einen verletzten Mann in den muffigen, feuchten Kerker werfen?«

»Dann bleibt mehr Met für mich.« Langsam stand Muray auf.

»He, Murri.«, unterband Leyira den Streit. »Roland?«

»Ich bleibe sitzen.«, lächelte Roland, wandte sich wieder Leyira zu.

»Ich möchte keinen Streit hier.«

»Dann schick diesen Mann weg, Leyira.«, verlangte Muray.

»Warum?«, fragten beide, Roland gespielt überrascht und Leyira argwöhnisch-neugierig.

»Wir hatten doch eine schöne Zeit. Und dann war kam dieser Störenfried.«

»Störenfried.« Roland schüttelte den Kopf, schaute Leyira an. »Dein Haus, deine Regeln. Ich kann auch gerne später wiederkommen, wenn ich dafür deinen Eintopf und deine Gesellschaft genießen kann.«

»Nein.«, meinte sie sanftmütig. »Entweder kommt Murri mit weiterer Kundschaft zurecht oder muss mit seiner Eifersucht zurechtkommen.«

»Dann werde ich das auch.« Roland legte seine verletzten Arme auf die Theke und seufzte innerlich. Entspannender. Die Frau lächelte ihn an.

Murri seufzte schwer. »Du wolltest noch einen Met mit mir trinken, süße Leyira.«

»Ja, das wollte ich.« Die Frau löste ihre Augen allerdings erst wenige Augenblicke später von Roland. Kaum merklich, aber auffallend spät. Roland widmete sich seinem Met und wartete auf seine Suppe. Dabei ignorierte er das beinahe widerlich süße, schmalzige Werben von Muray, welches sich vor allem um Rosen an warmen Hausmauern drehte und wie schön ihre Augen doch strahlten.

Roland verdrehte leicht die Augen. Irgendwie hatte jeder Mann dem gleichen Ratgeber zugehört. Rosen. Immer nur Rosen.

Er brauchte sowas nicht. Selten musste er eine Frau lange umgarnen. Bisher nur einmal und das war schon lange her. Und nie war er so schnulzig.

Das ging noch ein paar Minuten so weiter, in der Muray ihr eigentlich recht süße Dinge zu hauchte, aber durch seine schnulzige Art seltsam klebrig wirkte.

Leyira schien es nichts auszumachen, sie lächelte, nickte und schaute an den richtigen Stellen zur Seite und Roland war klar, dass sie ein Schauspiel vollführte. Zumindest bei Muray.

Er fragte sich, ob die Wirtin überhaupt einen Mann hatte. Oder ob Muray wusste, dass er niemals bei der Frau liegen würde.

Ein heller Schlag aus der Küche ließ ihn zusammenzucken. Es klingelte in seinen Ohren leise nach.

»Entschuldige mich, Murri.«, lächelte die Wirtin, löste sich von der Theke und ging zur Küche, bekam zwei Schalen in die Hand gedrückt und drehte sich damit zu Roland um.

»Oh, zwei?« Roland richtete sich etwas auf.

»Ja. Eine Suppe meines Kochs und einmal den Eintopf, den du wolltest.« Sie zwinkerte einmal kurz und stellte die beiden dampfenden Schalen vor dem Krieger hin.

»Darf ich dich etwas fragen?« Roland nahm den Löffel aus der Suppenschale.

»Information gegen Information.«, lächelte Leyira ihn an. »Du weißt, wie es läuft.«

»Was möchtest du denn wissen?« Roland beugte sich beinahe verschwörerisch nach vorne, wohl wissend, dass Muray ihnen zuschaute und wohl auch zuhörte.

»Woher kommst du genau, Süßer?«, lächelte sie und hievte mit ihren Armen den schweren und zu Rolands Wohlwollen üppigen Busen auf die Theke. Er grinste schief und mit leichtem Bedauern hob er den Kopf, schaute ihr in die braunen Augen.

»Ich? Genau? Schwierig. Ich bin in einem Haus, fünfundzwanzig Tagesreisen in meiner Geschwindigkeit westlich entfernt von der Eisenschlucht, geboren worden. Meine Mutter gebar mich mit der Hilfe meines Vaters. Mein Vater war eine Stadtwache in der Fürstenstadt und daher ein Andeln. Meine Mutter ist eine wissende Frau und kommt aus Bernin, dem Wüstenstaat.« Roland hob die Schale zum Mund und trank die Suppe langsam aus. Kaum Fleisch, aber lecker und kräftigend, es waren genügend Gewürze darin enthalten.

»Daher diese faszinierenden Augen und tolle Hautfarbe. Bernin. Warst du je dort?«

»Mehrere Male. Erst kürzlich wieder.«, nickte Roland, leckte sich über die Lippen, stellte die Schale ab und nahm den Eintopf hoch, wanderte mit den Augen von der Theke über ihren einladenden Busen hoch zu ihrem Gesicht und lächelte, als er ihre neugierigen Augen erreichte.

»Und du? Was wolltest du wissen?«, fragte sie weiter.

»Eine Wegbeschreibung. Der Laden von Mikan.«

Der Eintopf war in Ordnung. Wohlschmeckend, füllend, aber keine Besonderheit, die sich besonderen Geschmacks rühmen könnte. Der Eintopf von gestern war besser gewesen. Hatte der Koch sicher einen schlechten Tag erwischt heute.

»Die gleiche Frage wie gestern.« Leyira bewegte sich keinen Zentimeter, ließ ihren Körper genau an der Stelle, wie er war.

»Die gleiche Antwort wie gestern.« Der Krieger schaute Leyira immer noch an. Sie sollte sehen, dass er es ernst meinte.

Die Wirtin seufzte schwer. »So lieb du mir bist, Süßer. Das kann ich dir nicht sagen. Du bist ein Fremder hier.«

»Macht er dir Probleme?«, mischte sich Muray wieder ein.

»Mir?« Leyira drehte den Kopf etwas. »Nein. Sollte er?«

»Wenn er dich bedrängt, dann kann ich ihn gerne rauswerfen.«

»Nein, mein Guter, das brauchst du nicht. Er bedrängt mich nicht.« Leyira wandte sich wieder an Roland. »Tut mir leid. Ich hoffe, du verstehst es.«

»Natürlich.« Roland nickte. »Hast du etwas dagegen, wenn ich dennoch nachher wieder nach deiner Gesellschaft und deinem Eintopf suche?«

»Ganz und gar nicht.«, lächelte sie breit, verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. »Bitte tu dir nicht noch mehr weh, ja?«

»Versprochen.«, nickte Roland und schmunzelte. Sie wirkte so leicht zu haben und doch unnahbar. Wie jeden Mann zog auch Roland das an. Nur schien sie Roland anziehender zu finden als Muray. Lag wohl wirklich an seiner Herkunft. Manche Frauen fanden es sehr anziehend.

»Was schulde ich dir für die Suppe und den Eintopf?«

»Begleichen wir nachher.«, lächelte sie. »Wenn du es schaffst, vor Mitternacht zurückzukommen.«

»Ich hoffe, dass ich das schaffe.«, grinste der Krieger. »Das will ich nicht verpassen.«

»Hm, würde ich dir auch nicht raten.«, grinste Leyira, knabberte an ihrem Daumennagel, was genauso niedlich war wie der Rest. In ihren Worten schwangen Gefahr und eine süße Verheißung mit. Er durfte Mitternacht auf keinen Fall verstreichen lassen!

Roland rutschte von seinem Hocker, verneigte sich einmal und verließ das Gasthaus. Eigentlich war es doch gar nicht so schwer, Anna zu finden. Sie war Magierin und wenn man Vara glauben durfte, dann war sie auch sehr auffallend gekleidet. Er musste nur die Läden im Fischerviertel abklappern, auf auffällige Frauen und Schwingungen von Magie achten. Dafür musste er durch die Läden. Davon gab es einige.

Er schlenderte zwischen den Leuten umher und suchte jemanden, der am unauffälligsten war. Jemanden, den er nach dem Weg fragen könnte. Dumm nur, dass sein Schwert Kathryr so auffällig war. Besonders, da er sogar ohne Rüstung im Gedächtnis blieb.

»He.« Roland blieb neben einem Fischer stehen, der an einer langen Pfeife zog, dünne Rauchfahnen stiegen daraus hervor. »Könnt Ihr mir helfen, guter Mann?«

»Was kanisch für disch tun?«, fragte er und grinste.

Roland grinste schief zurück. »Ich suche den Laden von Mikan. Er sagte, er hätte guten Fisch für mich und meine Frau. Nur weiß ich nicht, wo sein Laden ist, wir trafen uns nur kurz.«

»Isch versteh'. Einfach de Straße runder, Jung.«

»Da lang?« Roland deutete nach Südwesten.

»Da lang.«, bestätigte der Mann, zog an seiner Pfeife. Weißer Rauch quoll aus seinen Mundwinkeln. »Erkennscht am roden Fisch.«

Roland nickte und schmunzelte. »Lasst Euch die Pfeife schmecken.« Dann neigte er den Kopf und ging davon. Ein roter Fisch. Vor dem Laden? Als Zeichen? Zumindest hatte er jetzt einen Anhaltspunkt.

Roland wich einer Pfütze schillernder Innereien aus, indem er einen großen Schritt tat. Ob Leyira auch Fisch zubereiten konnte oder vielmehr ihr Koch? Der Gestank war fürchterlich. Da waren ihm die Rosen fast lieber.

»Junge!«, rief plötzlich jemand. »Willst du einen Fisch kaufen?«

Roland blieb stehen, schaute sich nach der Quelle des Rufes um. An einem Stand winkte ihm ein Mann und grinste breit. Er hatte blonde kurze Haare und schwarze Zähne. Über seinem Kopf hing ein Schild mit einem roten Fisch.

Das war dann wohl Mikan. Seine Kleidung war fadenscheinig wie die der anderen Fischer, oft geflickt worden und zweckmäßig. Aber der Stand sah gepflegt aus, festes Holz, gute Nägel, soweit Roland sagen konnte.

»Einen Fisch?«, fragte Roland etwas begriffsstutzig. »Was denn für Fisch?«

»Nun. Fisch halt. Ich weiß nicht.« Ratlos sah der Mann auf seine Auslage. »Toten Fisch.«

Roland schnupperte. Frischer Fisch. Noch nicht lange in der Auslage. Es roch jedenfalls nicht so penetrant, soweit er es über die ganzen anderen Gerüche sagen konnte.

»Lebendig wäre auch nicht schlimm gewesen. Und Muscheln.« Roland deutete auf ein Bündel schwarzer Langmuscheln.

»Ah. In Ordnung. Muscheln.«, brummte er und hob einen Fisch auf.

»Ja.« Roland beschlich der Verdacht, dass das gar nicht Mikan war. Oder Mikan war so einfältig. »Würde ich nehmen und zwei Fische dazu. Die mit dem rosa Streifen auf der Seite.«

»Den?« Er griff nach dem beschriebenen Fisch und hielt ihn hoch.

»Genau. Ihr wisst doch, was das für Fische sind, oder?«, fragte Roland misstrauisch.

»Äh. Klar.«, log der Mann. Sein Herzschlag wurde schneller und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Roland hob nur eine Augenbraue, ließ die Hand sinken, die schon zu seiner Geldkatze gewandert war.

»Was denn? Was willst du hören, Junge?«

»Ich will nur nicht den falschen Fisch verkauft bekommen.«, brummte der Krieger. »Egal. Ich weiß wenigstens, welchen Fisch ich da kaufe.«

Ein heißer Stich an seiner linken Schulter kündigte von Magie. Noch etwas entfernt, aber nahe genug, dass Roland es spürte.

»Heißt ihr Mikan?«, fragte Roland den Mann.

»Was? Nein. Ich arbeite für ihn.«

»Hm, dachte, ich treffe ihn hier. Man hört Gutes über ihn. Gute Fische, wisst Ihr?« Roland zuckte mit der stechenden Schulter.

»Dann solltest du zu ihm gehen. Da hinten.« Der Fremde zeigte auf das Haus schräg gegenüber. Dasselbe Schild hing am Eingang.

Ups.

Roland nickte, bedankte sich und zahlte dem Mann seine Münzen, bevor er sich umdrehte und auf das Haus mit dem roten Fisch zuging. Es schien erst kürzlich erneuert worden zu sein, jedenfalls die Stützbalken, auf denen es stand, erschienen neu.

Er öffnete die Tür und war überrascht. Das hatte nichts mit Fischen zu tun. Oder doch. Es war eine Art Gasthaus? Oder Essstube? Es roch köstlich nach gebratenem Fisch, Gemüse und sogar Brot oder Kuchen.

Überall hingen kostbare Stoffe und tolle Bilder. Die Tische und Stühle waren aus edlem Holz und Lichtschalen an den Wänden spendeten warmes Licht. Dahin wanderten also die ganzen Fische. Roland war ehrlich erstaunt. Ein Fischer, der so gut war, dass er ein Gasthaus unterhalten konnte mit seinem Fang?

Viele Menschen saßen an den Tischen. Manchmal zu zweit. Eine Frau allein und auch mit mehreren Personen.

Eine wirklich schöne Frau in einem edlen Kleid kam auf Roland zu.

»Kundschaft. Willkommen im Roten Fischhaus

»Danke.« Roland schaute sich um, bevor er den Blick über die Frau wandern ließ. Sie war schön und auffällig, aber nicht die Quelle der Magie.

»Wir haben im Moment keinen Tisch frei, der Herr. Oder seid Ihr nicht allein?«

»Ich wünschte, gerade wäre ich in Begleitung.«, murmelte er gespielt abgelenkt. Er fühlte, wie sich die Magie bewegte und seine Nerven brennen ließ. Es kam aus dem hinteren Bereich der Stube, wo eine schmale Theke aus dunklem Holz stand.

»Soll ich Euch einen Tisch reservieren, mein Herr? Für morgen?«, fragte die Frau beinahe singend. Ihre langen braunen Haare schmeichelten ihrem schmalen Gesicht, die braunen Augen schauten klug daraus hervor.

»Nein.« Er lächelte sie an. »Ich suche nur Anna. Ist sie da?«

»Sicher.«, lächelte die Empfangsdame zurück und führte Roland zur Theke, dabei schien sie über den Boden zu gleiten und hielt sich sehr aufrecht.

Dann sah er die Magierin. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem seitlichen Knoten gebunden und trug ein wirklich schönes Halstuch. Das Kleid war normal. Sie hatte kleine silberne Perlen in dem Haarknoten. Sie sah aus wie eine reiche Händlerin, die Geschmeide liebte.

Und ihre Magie verbrannte Roland beinahe. Sie war schön aus der Nähe, aber der Krieger konnte es kaum genießen. Besonders auf den Augen schmerzte es wie Ameisensäure.

»Anna.«, hauchte die Empfangsdame, »da ist Besuch für dich.«

Die Frau wischte sich die Hände an einem Tuch ab und lächelte. »Ich kenne Euch nicht. Wer seid Ihr?«

»Niemand, meine Dame.« Roland neigte leicht den Kopf. »Mir wurde nur Euer Gasthaus empfohlen und ich solle nach Euch fragen. Eine Frau vom Markt, mehr kann ich nicht sagen. Schlank, braune Haare, in Leder gekleidet.«

»Ach ja?« Anna lächelte. »Leider haben wir keinen Tisch frei, verzeiht.«

»Zu schade. Dann werde ich ein anderes Mal mit meiner Frau wiederkommen.« Roland legte die freie Hand aufs Herz und neigte den Oberkörper, Kathryr klapperte leise bei der Bewegung.

Sie nickte. »Am besten, Ihr sucht Euch einen Tag aus und bestellt dann einen Tisch.«

»Werden wir, meine Dame.« Roland hob kurz die Mundwinkel, prägte sich den sanften Geruch und den Herzschlag der Magierin ein.

»Guten Tag, auf bald.« Er verabschiedete sich auch von der Empfangsdame, die ihn zum Ausgang geleitete. Das lief besser, als er dachte. Und endlich wusste er, wie sie aussah und wo sie war. Jetzt musste er nur noch bis zum Abend warten.

Roland suchte sich eine schmale Gasse aus, die zum Fluss führte und hängte das Netz mit den zwei Fischen und dem Bündel Langmuscheln an einen hervorstehenden Nagel. Die Strömung würde das Netz nicht mitreißen, aber das Meeresgetier einigermaßen frisch halten.

Er lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Hoffentlich konnte er noch rechtzeitig zu Leyira. Die Frau war wirklich zum Anbeißen. Roland grinste und wartete.

Die Stunden vergingen, es wurde rasch kühler am Fluss. Wind strich um seine Arme und kühlte sie angenehm. Die Wunden schmerzten und einige Minuten lang, als die Sonne unterging, wünschte sich Roland, er hätte Schmerzmittel gekauft. Es war ein großes Risiko, dass er Anna so abfangen wollte. Das musste gehen.

Irgendwann hörte er Anna, die das Gasthaus verließ, schwer seufzen und dann hörte er leises Getippel.

Sie bewegte sich weg von der Gaststube. Roland löste sich von der Wand, folgte ihr in die dunkler werdende Nacht hinein. Er spürte die Hitze seiner Kraft wie glühende Kohlen in der Brust.

Er folgte ihr eine ganze Weile, den brennenden Schmerz auf der Haut. Als Anna in eine dunkle Straße abbog, lief Roland zwei Schritte schneller, packte sie am Arm und presste sie an die Wand. Anna hob das Bein, wollte ihn treten, aber Roland nutzte seinen Körper, um sie zu blockieren.

»Still«, zischte er, »ich tue dir nichts. Wehr dich nicht.«

»Lass mich los.«, knurrte sie. »Widerling.«

»Warum beleidigen Frauen direkt immer?«, grunzte Roland, fesselte ihr die Hände über dem Kopf mit seiner breiten Hand. »Ich würde dich nicht einmal anfassen, selbst, wenn ich wollte. Ich habe nur eine Frage an dich.«

»Das haben sie alle.«, zischte sie. »Vergiss es.«

»Bitte?«, versuchte es Roland, erntete aber nur Speichel im Gesicht. Mit dem freien Arm wischte er sich die warme Flüssigkeit ab und grollte leise.

»Ich frage dich nur einmal, Frau. Weißt du etwas über vier magische Kristalle, die im Umlauf sind?« Seine Stimme war tief genug, um sie einzuschüchtern. Und selbst, wenn er ihr wehtun musste, würde er sie nicht nehmen. Die Magie schmerzte zu sehr. Außerdem warteten Leyira auf ihn.

»Keine Ahnung. Lass mich los!«, knurrte sie. »Oder ich muss dir wehtun.«

»Das Spiel kann ich auch. Weißt du, es ist mir egal, was mit dir ist«, er grinste schief, »aber ich weiß, wie sehr die Inquisition darauf aus ist, dich zu sehen.«

Er hörte sie schlucken und schweigen. Roland verzog das Gesicht.

»Wo ist Nalina?«, fragte er grimmig.

»Warum sollte ich dir das sagen?« Anna schaute ihn weiterhin stur an. »Du tötest uns doch eh.«

»Du wärst schon längst tot, wenn ich es wollen würde.« Roland schüttelte den Kopf. »Also. Steine und Nalina.«

»Ich weiß nichts von irgendwelchen Steinen.«

»Und Nalina?«

Die Frau schwieg und Roland schlug ihr mit der freien Hand in die Niere. Sie keuchte. »Ich warne dich. Ich schreie.«

»Und ich bringe dich dann weg, in ein verlassenes Lagerhaus, wo dich niemand hört und dann kommst du vor morgen früh nicht mehr heraus.«, warnte Roland leise. »Und damit meine ich nicht, dass ich dich vergewaltige. Es gibt mehr Arten von Schmerz als du dir vorstellen kannst. Und ich will nur einfache Antworten, keine große Sache.«

Anna schwieg.

»Nalina. Wo ist sie?«

Er drehte ihr Handgelenk schmerzhaft und Anna wimmerte. Sie hatte große Angst.

»Nicht.«, flehte sie, als er weiterdrehte. »Bitte.«

»Dann beantworte die Frage.«

»Im Kern der Stadt. In der Nähe vom Wachhaus.«, brach es aus der Frau.

»Für eine Magierin sehr fahrlässig.«

»Für die Krähenmutter?« Anna gab ein schmerzhaftes Lachen von sich. »Nein. Nicht für sie.«

»Schwarzmagierin.« Roland schnaubte.

»Lässt du mich jetzt gehen? Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß.« Anna schaute ihn beinahe flehend an.

Roland seufzte. »Ich habe nichts gegen dich, aber Magie konnte ich noch nie leiden.«, brummte er und trat in ihre Kniekehle, bevor er ihr einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf verpasste.

Das Vermächtnis des Arkh'Shok

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