Читать книгу SCHNELL, ERBARMUNGSLOS, RELATIV: DIE ZEIT - Dominic D. Kaltenbach - Страница 6
Es wird Zeit!
ОглавлениеWenn Ordnung in einen Sachverhalt zu bringen ist, gibt es kein geeigneteres Instrument als die Zeit. Bei aller nervenaufreibenden Schwammigkeit unserer Tage verkörpert sie Verbindlichkeit. Kein noch so individualisierter Freigeist kann sich ihrer unumstößlichen Aneinanderreihung wohldefinierter Abschnitte entziehen. Mit der Zeit im Anschlag bleibt jedem einzelnen Menschen mit all seiner Subjektivität nichts anderes übrig, als sich auf die urmenschliche und damit brillante Fähigkeit zur Objektivität zu besinnen. Anhand des chronologischen Ablaufs lässt sich eindeutig erkennen, welcher Aspekt ursächlich zu welchen Folgen geführt haben muss.
Dieses wohlgeordnete und stabile Nacheinander hat jedoch bereits auf den zweiten Blick einen entscheidenden, Streit erzeugenden Haken - Vergänglichkeit. Während Erzkonservative in der Veränderung die Rückgratlosigkeit ihrer Zeitgenossen erkennen, sehen diese, mit Berufung auf Heraklit (ca. 550 v. Chr. bis 480 v. Chr.), in selbiger nichts anderes als die objektive Schönheit der Welt. Letztere bereitete allerdings bereits dem herangezogenen antiken Philosophen Kopfzerbrechen. Trotz tagtäglicher Konfrontation ist der Mensch in seiner einschränkenden Oberflächlichkeit offensichtlich nicht in der Lage, die göttlich harmonische Ordnung der Dinge zu erkennen. Nach 2500 Jahren Fließen kommt die Krone der Schöpfung nach aktuellstem Stand der Realitätsforschung nunmehr zu dem Ergebnis, dass es die über jeden Zweifel erhabene, objektive, wissenschaftliche Erkenntnisfähigkeit gar nicht geben kann. In jedes wirklichkeitsorientierte Erkennen hat sich vorab bereits der „Zeitgeist“ eingeschlichen. Dabei handelt es sich um ein übernatürliches Wesen mit zwei konfliktträchtigen Gesichtern. Auf der einen Seite verführt es den Avantgardisten in Gestalt eines Propheten des Neuen. Auf der anderen Seite bestätigt dieser Dämon die Masse in ihren alten Denkgewohnheiten. Die individuelle Fähigkeit, Vergangenes und Zukünftiges zu ordnen, kann sich diesem Einfluss des mitmenschlichen Umfeldes und des jeweiligen Lebensalters einfach nicht entziehen. Wer von sich behauptet, objektiv zu sein, setzt sich folglich dem Verdacht aus, in einem bildungsfernen Milieu einen ausgeprägten Altersstarrsinn entwickelt zu haben.
Zweifelsfrei muss es doch einmal eine Zeit gegeben haben, in der der Mensch im Paradies des „Hier“ und „Jetzt“ leben durfte. Die naturgegebene Praxis dessen, was der heutigen Beratungsliteratur als Idealbild fern von Stress und Zeitdruck vorschwebt. Eine Welt, in der Ursache und Wirkung eindeutig und unmittelbar erkennbar sind. Eine Art Urzeit der Zeit, wie sie von der Phänomenologie als „primitive Gegenwart“ beschrieben wird. Geprägt durch ein unspektakuläres „Dahinwähren“, zählt in selbiger einzig der ewige Moment. Nur hin und wieder bricht plötzlich und aus heiterem Himmel etwas Neues in diese ruhige Phase hinein und sichert damit den gemächlichen Fortgang. Dieser beschränkt sich auf das schlichte Verabschieden des Bisherigen in die Vergangenheit, weil das Frische fortan den Platz des Gegenwärtigen einnimmt. Für optimierendes Planen und folgenschweres Grübeln ist hier kein Raum vorgesehen.
Vor dem geistigen Auge erscheinen damit unweigerlich die Urahnen aus dem Neandertal. Diese waren gezwungenermaßen mit nichts anderem als der buchstäblichen Wirklichkeit konfrontiert. Die theoretische Frage, ob eine sinnlich wahrgenommene Gefahr tatsächlich existiert, stellte sich praktisch nicht. Entweder dümpelte man weiter oder wurde in die Vergangenheit gerissen. Zum endgültigen Verhängnis soll dem Homo sapiens neanderthalensis unerwarteterweise ein Klimawandel geworden sein. Zu dieser Zeit lebte er bereits in direkter Konkurrenz mit dem intelligenteren Homo sapiens sapiens. Ob der Unterschied zwischen kurzfristigem Wetter und langfristigem Klima damals geläufiger war als heute, ist nicht überliefert. Jedenfalls wird vermutet, dass dem doppelt Vernunftbegabten dessen Kommunikationsfähigkeit zum entscheidenden Vorteil gereichte. Wer Sachverhalte zu bezeichnen vermag, kann sich mit den Mitmenschen auch über eine Realität abstimmen, die es erst noch herbeizuführen gilt. Während das Leben in der „primitiven Gegenwart“ von allerlei Überraschungen geprägt ist, vermag das Sprachgenie diesen nunmehr zuvorzukommen. Ergänzt um die „Zukunft“ sind dem Wortgewandten damit, zusammen mit der „Gegenwart“ und der „Vergangenheit“, alle Teile der „Modalzeit“ ein Begriff. Für eine genauere Einordnung innerhalb dieser Kategorien fehlt nur noch die „Lagezeit“ mit ihren Unterscheidungen nach „früher“, „später“ und „gleichzeitig“ - fertig ist die Zeit mit ihren Schichten.
Allerdings scheint auch eine noch so ausgefeilte Sprache nicht vor überraschenden Fehleinschätzungen zu schützen. Mit grammatikalisch verschlungenen Schachtelsätzen beschreibt Immanuel Kant (1724 bis 1804) ein grundsätzlich selbstbewusstes Subjekt, das dazu berufen sei, die ganze Welt zusammenzusetzen. Nicht weniger wortgewaltig schreibt der Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl (1859 bis 1938), einem vorab fertigen Ich sogar die Konstituierung der Welt zu. Beiden sei entgangen, so Hermann Schmitz, dass nicht nur das Objekt, sondern auch das Subjekt im Bewusstsein erzeugungsbedürftig sei. Ohne dessen Sprachkompetenz wären die Schichten der Zeit zwar gar nicht möglich, damit ist das Individuum jedoch nicht obligatorisch Gestalter, sondern lediglich Mitspieler der Zeit. Die dem Homo sapiens sapiens damit immerhin zugeschriebene geistige Schaffung der Zeit kommt jedoch ebenfalls etwas zu früh. Neueren Funden zufolge beschränkte sich das archaisch zyklische Zeitverständnis des Homo sapiens neanderthalensis keinesfalls nur auf den kurzfristigen und offensichtlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Mit einer gewissen Weitsicht scheint sich auch der primitive Vorfahre auf das Kommende eingestellt zu haben. Selbst der unfassbare Bereich des Übernatürlichen soll dem Begriffsstutzigen nicht fremd gewesen sein.
Ein Blick auf die theologischen Hintergründe relativiert glücklicherweise das Verhältnis zu den Unzivilisierten. Der französische Soziologe Emile Durkheim (1858 bis 1917) spricht erstaunlicherweise bereits dann von einer Religion, wenn irgendein Lebewesen regelmäßig im Anschluss an die Nahrungsbeschaffung jaulend im Kreis herum springt, um für den erfahrenen Erfolg zu danken. Hier werde eine direkte weltliche Erfahrung mit einer übernatürlichen Kraft in Verbindung gebracht. Wer derart in der Lage ist, zwischen sakralen und profanen Ereignissen zu unterscheiden, von dem kann ebenfalls gesagt werden, dass er denkt. Mit dieser Schlussfolgerung wird jedoch die Fähigkeit zu einem ordnenden chronologischen Nacheinander komplett von der Notwendigkeit einer verfeinerten Ausdrucksweise befreit. Immerhin kann hier mit dem französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss (1908 bis 2009) noch ergänzt werden, dass Denken - selbst wilden, ursprünglichen und mythischen Inhalts - unweigerlich zur Sprache drängt. Damit lässt die erreichte syntaktische Komplexität wenigstens auf einen nicht unwesentlichen geistigen Abstand zu den Wilden schließen. Psychologen gehen allerdings nicht nur davon aus, dass Säuglinge ohne jegliche Orientierungsprobleme zwischen Steinzeit und Postmoderne hin und her getauscht werden könnten, sie fanden in der Psyche des heutigen Menschen auch ein dominierendes Relikt, das als Hinterlassenschaft der vormetallischen Zeit eingestuft wird. Wie Manfred Dworschak berichtet, zeigte bei einem Experiment auch der selbstsicherste, abgeklärteste Atheist ausgeprägte Stresssymptome, wenn er sich verbal mit der Gottheit anlegen sollte, die seiner bekundeten Überzeugung nach gar nicht existiert.
Das Paradies im „Hier“ und „Jetzt“ scheint es also für den Menschen nie gegeben zu haben. Der neidvolle Blick des hochtechnisierten Wissenschaftsmenschen auf die unwissenden Vorfahren, die ein ruhiges, gedankenloses Leben führen durften, beruht jedenfalls auf einer überheblichen Fehleinschätzung. Kurioserweise finden sich jedoch auch Ansätze einer rückschrittlichen geistigen Entwicklungslinie. In einigen kulturellen Artefakten scheinen Informationen hinterlassen worden zu sein, die das heutige Wissen über den Mikro- und Makrokosmos der Lächerlichkeit preisgeben. In den ersten Hochkulturen müssen die Menschen offensichtlich in der Lage gewesen sein, den Lauf der Geschichte mit allen zukünftig auftretenden Katastrophen bis zum Untergang vorherzusehen. Wenn der aufgeklärte Mensch nur in der Lage wäre, die an ihn adressierten, steinernen Hinweise zu deuten, könnte er sich planend auf das Bevorstehende vorbereiten.
Bis dahin kann sich der Mensch zumindest darauf einstellen, neue Felder seiner Exklusivität suchen zu müssen. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts musste sich die philosophische Anthropologie nicht besonders anstrengen, um das irdische Glanzstück von der Tierwelt abzugrenzen. Ohne jegliches Abstraktionsvermögen sind die animalischen Erdenbewohner nun einmal dem Augenblick ausgeliefert. Die Beratungsliteraten wittern bereits das Geschäft und sichern sich die Urheberrechte der Reihe: „Werde zum Tier!“ Nur der Mensch kann, so der Philosoph Hans-Eduard Hengstenberg (1904 bis 1998), Beständigkeit erkennen und ein Gegenstandsbewusstsein entwickeln. Diese Fähigkeit ist die Grundvoraussetzung für das rein menschliche Selbstbewusstsein, das mit anderen Worten nichts anderes als die Überzeugung eines unveränderlichen Ich ist. Während dieser anthropologischen Selbstbeweihräucherung stellte sich anderenorts ein Elefant vor einen Spiegel und wunderte sich über einen vorher nicht da gewesenen hellen Klecks an seinem Hinterteil. Wie der Psychologe Marc Wittmann berichtet, ließ er sich dabei auch nicht von den Verlockungen des bereitliegenden Fressens ablenken. Er wusste schließlich, dass es später ohnehin noch etwas Wohlschmeckenderes geben wird.
Was bislang jedoch als rein menschliches Verhalten gelten kann, ist der Totenkult. Wie der französische Arzt, Biologe und Anthropologe Jacques Ruffié (1921 bis 2004) feststellt, verbringt kein anderes Lebewesen seine ihm auf Erden gegebene Zeit damit, sich ein Grab zu bauen. Zwar ging man zwischenzeitlich davon aus, dass der bereits erwähnte Elefant ebenfalls um sein nahendes Ende weiß und sich bei Zeiten auf den Weg zum Friedhof macht, als plausiblere Erklärung erwiesen sich dann allerdings dessen Zähne. Der Weg, den die alten grauen Riesen abseits ihrer Gruppe einschlagen, ist durch weichere Gräser charakterisiert, die sich auch mit einem abgenutzten Gebiss noch zerkleinern lassen. Zumindest dieser biologische Kulturschock bleibt dem Menschen vorerst erspart.
Die eigene Spezies hält allerdings auch immer wieder kleinere Überraschungen bereit, die Anlass für Urheberrechtsstreitigkeiten geben. So scheint es nicht das alleinige Schicksal des Homo europaeus zu sein, immer wieder zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass auf anderen Kontinenten eine parallele, eigeninitiierte Kulturentwicklung stattgefunden haben muss. Mit einer der ältesten Hochkulturen betritt man nunmehr zumindest gerichtsfesten Boden. Die alten Ägypter hatten nicht nur einen der bemerkenswertesten Totenkulte, sie haben in weiser Voraussicht auch alles fein säuberlich dokumentiert. Deren Verwaltungsapparat lässt jeden überzeugten Bürokraten bis heute vor Neid erblassen. Mündlich überliefertes, mythisches Geschwätz kann hier ebenso wenig mithalten, wie noch nicht ausgegrabene Artefakte. Ärgerlicherweise wurden in der heutigen Türkei gerade noch rechtzeitig transzendentale Symbole freigelegt, die doppelt so alt sein sollen wie die ägyptischen Pyramiden. Deren ältestes Exemplar ist erst im 3. Jahrtausend vor Christi Geburt errichtet worden. War schon das Eingeständnis schier unerträglich, dass die menschliche Landwirtschaft im vorderen Orient das Licht der Welt erblickt haben muss, so scheint mit den neuen Funden auch noch die Erfindung der Arbeitsteilung auf dem Konto der Vorfahren des eigensinnigen EU-Beitrittskandidaten verbucht werden zu müssen. Die Herstellung des freigelegten Sakralmonuments könne jedenfalls unmöglich parallel zur Bestellung der Felder bewerkstelligt worden sein.
So plausibel die Entstehungsgeschichte der Arbeitsteilung aus der Landwirtschaft heraus auch sein mag, rufen derlei rückblickend chronologische Sortierungen immer wieder die Justiz auf den Plan. Die meisten Entwicklungen sind räumlich und zeitlich nicht genau abgrenzbar. Sie verlaufen zum Teil überlagernd oder ohne wechselseitige Kenntnis parallel. Und selbst bei der Benennung der genialen Erfinder fällt häufig unter den Tisch, dass diese ohne die Vorarbeit ihrer Mitmenschen nicht unbedingt über ihre Entdeckung gestolpert wären. Im Fall der Arbeitsteilung legen die Gutachter auf der einen Seite jedenfalls dar, dass die Bestellung der Felder, als erster Wirtschaftszweig überhaupt, mehr abwarf, als die Hersteller im Hier und Jetzt selbst verbrauchen konnten. Ohne einen solchen Überschuss sei es unmöglich, die zusätzlichen Abteilungen „Verwaltung“ und „Verteidigung“ zu etablieren. Auf der anderen Seite verweist die Vertreterin der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft schlicht auf die Namensgebung ihrer weit älteren, arbeitsteiligen Vereinigung. Ein weiterer Sachverständiger arbeitet heraus, dass der klärende Wesenskern gar nicht primär im zwischenmenschlichen, sondern im zeitlichen Aufteilen zu finden ist. Die entscheidende Veränderung liegt darin, dass in der Gegenwart Arbeiten zu verrichten sind, die sich erst nach geduldigem Abwarten auszahlen werden. Derart fruchtlose Phasen kann sich jedoch nur leisten, wer derweil an den Segnungen der Kooperationspartner teilhaben darf. Erleichternderweise mangelt es den zukunftsorientierten Säugetieren hier ebenso an der Parteifähigkeit wie den Ameisen, die seit jeher Blattläuse melken und Pilze kultivieren. Der Verfahrensausgang bleibt erst einmal abzuwarten.
Bei langwierigen Prozessen ist ohne Zweifel Geduld und Vertrauen gefragt. Die Suche nach der Motivation hinter diesen zeitlichen Eigenschaften führt zurück zu den Ägyptern und deren vordergründig auf das Jenseits ausgerichtetes Leben. Immerhin betrieben diese nicht nur einen immensen technischen und lebenszeitintensiven Aufwand für den Bau ihrer Königsgräber, auch die dem Verstorbenen mitgegebenen Wertgegenstände waren, zumindest dem Plan nach, für das Diesseits verloren. Die Vorstellung der Wiedergeburt war jedoch bei Weitem nicht nur auf den Pharao beschränkt. Interessanterweise bewegen sich in der ägyptischen Mythologie alle Kreisläufe Richtung Anfang. Der Tag tendiert stets zum neuerlichen Sonnenaufgang und das Jahr neigt sich nicht dem Ende zu, sondern läuft dem Neubeginn der Zeit entgegen. Dieser ist gekommen, wenn das Hochwasser des Nils den Feldern neue Fruchtbarkeit verleiht. Auch wenn allen periodischen Verläufen damit grundsätzlich etwas Positives innewohnt, haben diese dennoch eine bedrohliche Seite. Aus der bisherigen Beobachtung der Himmelskörper und dem sich bislang wiederholenden Rhythmus der Natur lässt sich nach ägyptischem Verständnis nämlich keine Dauerhaftigkeit ableiten. An den Kreisläufen lässt sich allenfalls erkennen, wie der Gang der Dinge sein sollte. Der Pharao, als königlicher Abkömmling des Sonnengottes, übernimmt zwar die Verantwortung dafür, dass die Licht- und Wärmespenderin ihre erwarteten täglichen und jährlichen Kreise zieht. Wie im Versicherungswesen allerdings bis heute üblich, ist der Schadensfall idealerweise dem Versicherungsnehmer zur Last zu legen. Eine Motivationsstrategie, die in düstersten Farben das Ende ausmalt, macht in einer Kultur, in der alles verjüngend in Richtung Anfang läuft, keinen Sinn. Überzeugender ist in diesem Fall ein Horrorszenario, dessen Übel sich aus heutiger Warte nicht sofort erschließt. Eine „rückwärts“ laufende Zeit geht jedoch nicht mit der entspannten Haltung des Abwartens einher, wie Nora Nebel herausstellt, sondern mit der Sorge, auf dem mitunter hitzigen Weg zum Ursprung plötzlich stecken zu bleiben. Die Zeit rast bei den Ägyptern nicht davon, vielmehr droht sie zu versiegen. Jeden Tag gilt es aufs Neue, deren Gang durch Fleiß und Anstrengung aufrecht zu erhalten.
Wie unterschiedlich ein alltagsbetontes Leben aussehen kann, zeigt ein Blick auf die Begründer der Philosophie. Statt der täglich notwendigen Anstrengung verband sich bei den Griechen die Gegenwart vielmehr mit einem qualitativ hochwertigen Augenblick. Zwar ist die Quellenlage etwas dürftig, aber vor dem Hintergrund der ägyptischen Plackerei konnte Diogenes von Sinope (ca. 400 v. Chr. bis ca. 323 v. Chr.) bekanntermaßen nur ein Hindernis für die beglückende Wirkung der Sonne entdecken: Ein gönnerhafter Materialist, der sich vor die Tonne stellt. Eine vorübergehende Sichtbehinderung bewirkt jedoch unter keinen Umständen, dass die Sonne stehen bleibt oder gar für immer verschwindet. Für Platon (ca. 427 v. Chr. bis ca. 347 v. Chr.) ist das Veränderliche, sinnlich Wahrnehmbare ohnehin nur das Abbild des ewig gleich bleibenden „Seienden“. Letzteres lässt sich in den meisten Fällen zwar nur durch Vernunft erkennen, es gibt jedoch auch den Glücksfall, dass sich Abbild und wahrhafte Wirklichkeit sehr dicht aneinander annähern. Wiederholt sich etwas offensichtlich immer wieder, so darf dies als unverstellter Blick auf die „Welt des Seins“ verstanden werden. Der sich in harmonischen Zahlenverhältnissen darstellende Bahnenlauf der Himmelskörper, zum Beispiel, deutet nicht weniger als die Perfektion der Schöpfung an. Auch die Zeit ist mit dieser sichtbaren kosmischen Zahlenstruktur untrennbar verbunden. Sie lässt sich an den Umläufen der Sonne, der Planeten und dem Erdtrabanten als Tage, Nächte, Monate und Jahre ablesen, aber nicht ihrem Wesen nach erkennen. Das Messbare besteht lediglich in den berechenbaren Umläufen auf die sich die Zeit bezieht. Sie selbst bezeichnet jedoch das unendlich Ganze, bestehend daraus, was war, was ist und was sein wird. Das „Weltenjahr“ endet, wenn alle Himmelskörper wieder an der identischen Stelle angelangt sind. Dann verbrennt alles zu Schutt und Asche und kann wieder von vorne beginnen. Vor diesem Hintergrund bedarf es der beruhigenden Ergänzung, dass das Werdende natürlich nicht mehr als eine Vermutung darstellt. Selbst das Wahrscheinliche bleibt mit der Wahrheit nur verwandt.
Eher wutentbrannt führt Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) bereits die Auffassung ad absurdum, dass die Zeit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestehe. Wenn dies so wäre, bestünde sie aus nicht existierenden Teilen. Das Vergangene dauerte zwar einmal, es ist jedoch bereits vorbei. Das Zukünftige, das versteht sich von selbst, kann noch nicht sein. Weil nun aber die dreigliedrige Zeiteinteilung bereits vollständig ist, bleibt nur die Gegenwart. Diese existiert tatsächlich - sie dauert aber nicht. In dem Moment, in dem das, was noch nicht ist, wird, ist es auch schon wieder vorbei. Hätte die Gegenwart eine Dauer, so die von Aristoteles ausgemachte Problematik, wie wollte man dann den Übergang von einer Gegenwart in die andere abgrenzen? Ohne eine solche Wechselstelle würde wiederum alles immer gleichzeitig geschehen. Widerlegend lassen sich jedoch mit Leichtigkeit Unterschiede anführen, die vorher so und nachher anders waren. Allenthalben ist ein Fortgang zu beobachten, der offensichtlich abgrenzbare Positionen aufweist. Irgendetwas bewegt sich immer. Dinge entstehen, vermehren oder verringern sich, werden besser oder schlechter oder verändern einfach nur ihren Aufenthaltsort. Entsprechend spielt die Bewegung in der Aristotelischen Welt eine entscheidende Rolle. Steht beispielsweise auf dem Weg zur Erreichung des Möglichen die Frage nach dem aktuellen Entwicklungsstand im Raum, ist die Antwort einfach: Es bewegt sich. Angetrieben wird das Ganze durch die Seele. Wie jeder weiß, besteht der Mensch aus dem ausführenden Körper und dem veranlassenden seelischen „Lebensprinzip“. Die oberste „Seele“, d.h. der unbewegte Motor von Himmel und Natur, ist identisch mit dem ewigen, vollkommenen „Gott“. Ohne Bewegung gibt es keine Zeit. Ohne Zeit könnte allerdings auch nichts bewegt werden. Jede gegenwärtige Veränderung muss schließlich in der Zeit stattfinden. Anderenfalls ergäbe sich kein Abstand zwischen „Früher“ und „Später“. Dieser vermeintliche Widerspruch löst sich umgehend auf, wenn berücksichtigt wird, dass die Zeit das ist, was die Seele an der Bewegung zählt.
Bekanntermaßen gingen die Griechen davon aus, dass ihre Götter alles können. Eines trauten sie ihnen jedoch offensichtlich nicht zu - das Zählen. Arithmetische Fähigkeiten erlangt die Seele nämlich nur dann, wenn sie sich in einem konkreten Subjekt befindet. Damit jedoch nicht jeder Freigeist jede Bewegung nach seinem eigenen Gusto zählt, gibt es die Verbindung mit dem Umlauf der Gestirne. Die Einheitlichkeit der Zeit ist nach dieser himmlischen Vollkommenheit geeicht. Die zutiefst beleidigten Götter taten, was unbewegliche Unruhestifter mit Vorliebe tun: Sie drohten mit einem Generalstreik. Allerdings hatten sie ihre Stellung im Aristotelischen Gefüge überschätzt. Die Zeit benötigt keine konkrete Veränderung. Es reicht völlig aus, wenn die Möglichkeit einer Bewegung besteht. Sie braucht nicht einmal die konkret zählende menschliche Seele. Auch hier reicht die reine Anlage. Sobald eine Entwicklung potentiell in Phasen nach früher und später geordnet werden kann, liegt bereits eine minimalistische Zeit vor. Wie soll also etwas zum Gegenstand eines Arbeitskampfes werden, das isoliert kein eigenes Dasein fristet und sich zugleich mit schlichten Potentialitäten zufrieden gibt? Zeit ist, das hätten die Streikenden vorab bei Aristoteles nachlesen können, nicht mehr als ein echt erscheinendes Bezugssystem für alles Bewegliche in der ewig währenden Welt.
Mit einem Ausstand der Götter braucht seit der Niederkunft in Betlehem im Jahre 0 nicht mehr gerechnet zu werden. Eine solche Zeitverschwendung wäre dem Dreieinigen sicherlich zuwider. Die ihm bzw. seinem Bodenpersonal geschuldete Rechenschaft über die Zeitnutzung motiviert den Gläubigen zu einem ausdauernd demütigen, gottgefälligen Leben. Zur Erleuchtung gelangt der Christ nur durch den Herrn. Aristoteles war dagegen, in völliger Selbstüberschätzung und Verleugnung seines Lehrers Platon, davon überzeugt, dass der grundsätzlich Vernunftbegabte durch eine fokussierte Betrachtung ganz gut alleine erkennen kann, was die Wirklichkeit so hergibt. Trotz prädestinierter Abstammung, bei seiner Mutter handelt es sich immerhin um die heilige Monnica (ca. 332 bis 387), scheint Augustinus anfänglich voll und ganz im antiken Teufelskreis gefangen gewesen zu sein. So setzt auch er bei dem Problem an, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eigentlich nicht existieren und dennoch eine Ordnungsfunktion erfüllen. Er selbst berichtet zwar von einem mystischen Erlebnis, sehr wahrscheinlich war es jedoch seine strenge Mutter, die ihn auf „Linie“ brachte. Jedenfalls richtet Augustinus seine Suche schließlich und endlich an der göttlichen Ewigkeit aus. Gott, der Schöpfer der Welt und Vorsitzender am Jüngsten Gericht, ruht allgegenwärtig gänzlich außerhalb der Zeit. Alleine der aus dem Paradies vertriebene, sündige Mensch ist ihrer bedrängenden Wirkung ausgeliefert. Basierend auf diesem Ansatz erfindet Augustinus nicht nur die „Erbsünde“, er kommt auch auf die Idee, dass die Zeit in der Psyche der Menschen zu suchen sein müsste. Nirgendwo außerhalb des Bewusstseins kann Vergangenes als Erinnerung und Zukünftiges als Erwartung in gegenwärtige Erfahrung zusammengeführt werden. Entsprechend bezieht sich Länge auch nicht auf die Zeit selbst. Was subjektiv länger oder kürzer dauert ist das Gedächtnis an etwas Geschehenes bzw. die Sehnsucht nach etwas Gewünschtem. Auch der Eindruck einer fließenden Zeit entsteht ausschließlich im menschlichen Geist. Mit der Ablehnung einer Veranschaulichung an der Bewegung der Gestirne bleibt die irdische Suche ergebnisoffen.
Während Augustinus also demütig unwissend auf das göttliche Geschenk der Erleuchtung wartet, sind die einfachen Gläubigen erst einmal bei ihrem heidnisch zyklischen Zeitverständnis abzuholen. Stellt sich selbigen doch die ebenso ignorante wie dümmliche Frage, womit sich der heilige Geist eigentlich vor der Erschaffung der Welt beschäftigt hat. Entsprechend blasphemisch ist auch deren Umgang mit der von Gott geschenkten Zeit. Die verbreitete Vorstellung eines von Sonnenaufgang bis zur abendlichen Dämmerung durchgängig hart arbeitenden Bauern scheint jedenfalls nicht dem Bußverständnis dieser einfachen Leute entsprochen zu haben. Natürlich blieb für die zu erledigende Arbeit nur der helllichte Tag, einem erholsamen Schläfchen zwischendurch war man deshalb jedoch nicht unbedingt abgeneigt. Es ist zwar nicht anzunehmen, dass das Tagwerk unter diesem Arbeitsverständnis nennenswert gelitten hätte, ein gottesfürchtiges Schuften bis an die körperlichen Grenzen dürfte jedoch eher theoretischen Ansichten entsprungen sein. Diesen Tagträumern war auch nicht beizubringen, dass die Natur weder von grausigen Gestalten noch von dunklen Mächten bevölkert wird. Deren allgegenwärtige Gefährlichkeit hatte in der Volksfrömmigkeit einen weit prominenteren Platz als der christliche Gott. Wenn die Zukunft im Alltag schon kaum über die sich wiederholenden Jahreszeiten hinaus reicht, hält sich nachvollziehbarerweise auch die praktische Sorge um das ewige Seelenheil in Grenzen. Selbst bei den einfacheren Männern der Kirche soll die heilige Messe nicht unbedingt zur gottgefälligen Zeitverwendung erster Wahl gehört haben. Trotz unbeirrter Berichte über ein damals vorfindbares tiefgläubiges Leben in der Hoffnung auf Erlösung, stand die Kirche vor einem entscheidenden Problem. Die händeringend nach Orientierung Suchenden taten buchstäblich einen Teufel, sich nach den Vorstellungen der Kurie zu richten. Bereits in den behäbigen Zeiten der Geduld und des Abwartens entstand somit die Wunderwaffe der Öffentlichkeitsarbeit: Penetrante Präsenz. Ihr legt euch tagsüber schlafen? So ein Zufall, wie der heilige Benedikt von Nursia (ca. 480 bis 547) feststellt. In den langen Sommertagen entspricht eine mittägliche Ruhepause durchaus der rücksichtsvollen göttlichen Vorsehung. Ihr huldigt seit den Römern, dem Gang der Sonne folgend, sieben Mal täglich höheren Mächten? Unglaublich, die christliche Zeiteinteilung sieht genau die gleiche Tagesordnung vor. Ihr vertreibt den Winter, begrüßt den Frühling, feiert die Sonnenwenden und freut euch über die Ernte? Wer das heidnisch nennt, verkennt euren tiefverwurzelten Glauben. Wie der Kirchenkalender zeigt, gedenkt der wahre Christ an exakt denselben Tagen im Jahr der ihm zuteilwerdenden Heilsgeschichte.
Während sich die gelebte Tradition rückwärtsgewand in beschaulichem Tempo auf ihren Siegeszug machte, hatte sich der gewiefte Mönch bereits umgedreht und dabei direkt in die Hölle geblickt. Das blanke Entsetzen beendete jäh das ruhige und friedvolle Erwarten dessen, was die ohnehin verlorenen Leichtgläubigen einfach auf sich zukommen ließen. Die ebenfalls penetrante Imagekampagne von Gevatter Tod zeigte offensichtlich nicht die gewünschte Wirkung. Das irdische Elend konnte noch so groß sein, dem Boten der Erlösung haftete trotz alltäglicher Anwesenheit der Makel einer gewissen Hinterhältigkeit an. Unfairerweise findet er auch an Säuglingen gefallen, die weder ihre Erblast abbauen, noch den notwendigen Eintrag im Buch des Lebens vornehmen konnten. Entsprechend hektisch trieb der heilige Benedikt seine Bruderschaft an, in der Kürze der verbleibenden Zeit wenigstens die größten zu erwartenden Qualen abzuwenden. Das gottgefällige Pensum konnte, anders als bisher angenommen, nur durch einen strikt geplanten und verzögerungsfrei eingehaltenen Tagesablauf erfüllt werden. Die langsam am Himmel entlang ziehende Sonne war kaum geeignet, den Mönchen das durch Verzug stündlich bedrohte Seelenheil zu vergegenwärtigen. In der Offenbarung des Johannes findet man hilfreicherweise jedoch nicht nur die detailreichen Schilderungen ewiger Verdammnis, sondern auch die Anregung zu einem akustischen Signal. Naheliegenderweise läuteten die Benediktiner panisch ihre neu eingeführte Glocke, was der Stundenplan hergab. Wer allerdings aufgrund der bildreichen biblischen Sprache ständig einen schwefelhaltigen Geruch auszumachen meint, verlässt sich verständlicherweise ungern auf einen menschlichen Glöckner. Mit der ersten mechanischen Uhr konstruierten die getriebenen Brüder nicht nur eine Apparatur, die dem peniblen Daseinsverständnis ihres Ordensgründers gerecht wurde, sie erfanden damit zugleich auch ein allgemein verständliches Sinnbild der Zeit. Entsprechend schnell fügte sich die alltagstaugliche Räderuhr in das behäbige Leben der einfachen Menschen ein. Die unüberhörbare Mahnung an die religiösen Pflichten förderte das Gemeinschaftsleben und sorgte für Ordnung. Auf eine Nebenwirkung waren die vorausschauenden Mönche mit ihrem besonderen Sinn für Nachhaltigkeit jedoch sicherlich nicht vorbereitet. Mit der mechanisch-akustischen Uhr läuteten sie, wie der Wirtschaftspädagoge Karlheinz A. Geißler spottet, die allmähliche Verabschiedung des Vorstandsvorsitzenden in den Ruhestand ein.
Über Jahrhunderte hinweg hatten sich nur die ehrlosen Geldverleiher erdreistet, mit Gottes Eigentum Schindluder zu treiben. Wer sich auf diese einlassen musste, hatte jedoch sicherlich schon vorher den Pfad der Demut verlassen. Der Allmächtige stürzt schließlich niemanden ohne Grund in bittere Not. Der Fromme dagegen lebte in mäßiger Armut relativ unbehelligt nach dem natürlich-kirchlichen Rhythmus. Dessen wiederkehrende Bestandteile boten hinreichend Orientierung, während die ebenfalls enthaltenen regelmäßigen Unregelmäßigkeiten mit den einhergehenden Ernteausfällen für Abwechslung und Gottesfürchtigkeit sorgten. Die geheiligte Zeit Tag und Nacht für sich arbeiten zu lassen und die Zinsen einzustreichen ist, im Verhältnis zu dem, was nun kommen sollte, jedoch geradezu harmlos. In einem blutrauschähnlichen Wahn begannen Tüftler die Heilige zu zerstückeln. Als die mechanische Uhr im Spätmittelalter das Kloster verließ hatte die Zeit weder Zeiger noch Ziffernblatt. Das stündlich erklingende Glöcklein verbreitete genug demutserzeugende Aufregung. Im 16. Jahrhundert war das Opfer bereits hörbar Gevierteilt und stand durch einen Stundenzeiger am unübersehbaren, turmhohen Pranger der Stadt. Nur wenig später war bereits ein zusätzlich, stündlich kreisender Pfeil notwendig, um den aktuellen Stand anzuzeigen. In Nürnberg konnte man die Zeit ab 1510 sogar in einer Dose mitnehmen. Ab dem 17. Jahrhundert raste auf den Uhren das dritte Ärmchen im Minutentakt um das Ziffernblatt. Auch wenn die Angaben zur Entstehung der Zeiger zum Teil über ein Jahrhundert voneinander abweichen, die Bereitschaft zur Erneuerung zählt. Der Weltenschöpfer beherrscht zwar die Rhythmen, sein Tempo und seine Ungenauigkeit passen jedoch bei Weitem nicht mehr in die neue Zeit. Dem ewigkeitsverliebten Nostalgiker bleibt unbenommen, sich dem lebenszeitübergreifenden Bau von Kathedralen zu widmen. Der fortschrittliche Macher nimmt sich jedoch der Zeit selbst an und entwickelt sich zum Meister des Takts. Mit dieser Gleichförmigkeit kann sich das Unberechenbare getrost in die zweite Reihe stellen. Jetzt hat endlich das Ebenbild das Zepter in der Hand und beginnt in althergebrachter, taktloser Manier sich um den Herrschaftsanspruch zu streiten. Während die neue Konformität der Zeit ebenso viele Uhrzeiten wie Magistrate und Fürsten hervorbringt, zieht der Dreifaltige einen Trumpf aus dem Ärmel, den „Physiker Gottes“ Sir Isaac Newton (1643 bis 1727).
Selbigem war es nicht nur gegeben, die bis dato immens gewachsene Komplexität des naturwissenschaftlichen Wissens in einem einzigen Prinzip zusammenzuführen, sein Loyalitätsverständnis gestand auch dem Allmächtigen einen Einflussbereich in der physischen Natur zu. Andere Genies und deren Vorarbeiten hatten sich diesbezüglich als unwürdig erwiesen. Genau genommen waren sie mit den irdischen Vertretern zusammengestoßen: Galileo Galilei (1564 bis 1642) mit seiner teuflisch ausgefeilten Besserwisserei und Johannes Kepler (1571 bis 1630) mit der juristischen Verteidigung seiner hexenden Mutter. Im Auftrag seines wirkmächtigen Mandanten dementierte Isaac Newton zunächst einmal die Beteiligung desselben an der Beeinflussung physikalischer Körper. Der einfache Gläubige verkenne diesbezüglich gerne einmal die Intentionen des allgegenwärtigen Weltenlenkers. Es sei zwar richtig, dass eine Zustandsänderung, aus der Ruhe heraus genauso wie bei einer gleichförmig geradlinigen Bewegung, auf Zwang basiere, dabei handele es sich jedoch ausdrücklich nicht um seinen Auftraggeber. Dessen Wege seien unergründlich, während sich die auf einen Körper wirkende, unsichtbare Kraft vielmehr als der Bewegungsänderung proportional und selbiger gleichgerichtet genau berechnen lasse. Zudem sei es geradezu lächerlich, eine Beteiligung des Schöpfers des Himmels und der Erde anzunehmen, wenn dem Einwirkenden erwiesenermaßen in gleicher Stärke entgegengetreten wird. Was sich stattdessen dabei abspielt? F=G*m1*m2/r2. Zwei eindeutig profane Massen ziehen wechselseitig aneinander. Will man das Ausmaß angeben, muss man selbige, wie die Formel zeigt, nur miteinander und der Gravitationskonstanten multiplizieren und durch den quadrierten Abstand ihrer Schwerpunkte dividieren. Absolut nichts Göttliches! Wer allerdings glaubt, die Bibel meine mit „Raum“, „Zeit“ und „Bewegung“ ebenfalls irdisch messbare Größen, hat jeglichen Bezug zur Wahrheit verloren. Wären die Eliten in ihrem Machtrausch nicht derart verblendet, könnten sie die Lösung für das von ihnen verursachte Uhrzeitdurcheinander bereits selbst erkennen. Dem Wahrheitssuchenden offenbart das Buch der Bücher in Kombination mit etwas experimenteller Phantasie den ebenso übernatürlichen wie realen, unveränderlichen Bezugsrahmen für jegliche Bewegung physikalischer Körper. Dieser besteht aus zwei voneinander unabhängigen Komponenten, dem absoluten Raum und der absoluten Zeit. Beide stehen jeweils unveränderlich zu nichts Äußerem in Beziehung. Eine materielle Umverteilung auf dieser unendlichen kosmischen Bühne macht sich mit den entsprechend veränderten Anziehungskräften ohne jegliche Verzögerung sofort überall bemerkbar. Nur ein unendliches, außerhalb von Raum und Zeit existierendes Wesen kann diese grenzenlose Eingrenzung verursacht haben. Mit dem diesbezüglichen Schuldeingeständnis seines Mandanten erläutert der Physiker in göttlicher Mission den hochwohlgeborenen Streithähnen die zeitlichen Konsequenzen. Zunächst einmal muss das menschliche Verständnis von „Dauer“ korrigiert werden. Aufgrund ihrer, bereits dem Schöpfungsakt vorgelagerten, Koexistenz mit Gott steht diese Bezeichnung alleine der absoluten, unbeirrbar gleichförmig verfließenden Zeit zu. Die „weltliche Zeit“ verspricht mit ihrem verführerischen Uhrzeitgesicht zwar eine größere Anschaulichkeit, sagt isoliert jedoch noch nichts aus. Nur in Relation zur göttlichen Weltzeit können sinnvolle Einordnungen und die Synchronisation aller Uhrzeiten vorgenommen werden. Mit diesem bezugslos fließenden, absoluten Rahmen erspart man sich jegliche Überlegungen, wie Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit ineinander übergehen. Alle drei stehen schlicht bereits fest, wie die Physikerin Ille C. Gebeshuber die newtonsche Welt veranschaulicht. Nimmt man einen beliebigen Punkt auf der Linie der allumfassenden Zeit als Gegenwart, meint Vergangenheit alles davor und Zukunft alles danach. Es versteht sich von selbst, dass ausschließlich das Davor das Danach beeinflusst haben kann.
Nicht anders verhält es sich mit dem Einfluss Newtons auf den großen Philosophen Immanuel Kant, der auch einmal klein mit Mathematik und Physik begonnen hatte. Die Naturwissenschaften werden durch diese Feststellung keinesfalls diskreditiert. Die gegebene Gegenwart ist auch bei Immanuel Kant schlicht die Konsequenz aus der Vergangenheit. Auf der Linie Newtons beweist er zunächst einwandfrei, dass Raum und Zeit unendlich sind. Im nächsten Schritt räumt er dann jegliche Zweifel daran aus, dass Raum und Zeit Grenzen besitzen müssen. In derartige Widersprüche gerät die Vernunft, so der Aufklärer mahnend, wenn sie meint, über ihre Erfahrungswelt hinaus tätig sein zu müssen. Vorab muss doch erst einmal geklärt werden, warum die Welt nach Raum und Zeit geordnet ist. Antwort: Sie selbst ist es gar nicht. Allerdings musste sich der Kenner der Vorstellungskraft bereits zu Lebzeiten gegen eine Quintessenz wehren, die sich bis heute beharrlich hält. Damit ist nämlich nicht gesagt, dass der berühmte, eindeutig wahrnehmbare Tisch unter Umständen gar nicht da ist. Was wir letztlich allerdings erkennen hat weniger mit dem betrachteten Gegenstand, also dem definitiv vorhandenen Tisch, als mit unserem eigenen Vermögen zu tun. Das fängt bereits damit an, dass das Möbelstück weder im Raum noch in der Zeit existiert. Der gegenteilige Eindruck basiert auf einem Streich, den uns unsere Erkenntnisfähigkeit spielt. Selbige setzt sich aus der Kooperation des Verstandes mit den Sinnen zusammen. Damit wir im allgemeinen Durcheinander überhaupt irgendetwas begreifen können, ist eine Struktur notwendig. Entsprechend nehmen wir alle Dinge nach Raum und Zeit sortiert war. Auch wenn es uns anders erscheint, so rührt diese förmliche Ordnung nicht von den Gegenständen oder sonst etwas Äußerem her. Sie kommt alleine von unserem Verstand mit seinen hilfreichen, intuitiven Ideen. Der Witz bei Immanuel Kant besteht also nicht darin, dass eine betrachtete Sache in Wirklichkeit gar nicht da ist. Die Pointe besagt, dass Raum und Zeit nicht wirklich existieren. Beide sind „lediglich“ subjektive Instrumente zur Erfassung der Welt. Der Zugang zur absoluten, von der Erkenntnis losgelösten Realität bleibt dem Meister der Empfindlichkeit verschlossen. Dies lässt sich an der Zeit selbst konkretisieren. Räumlich veranschaulicht als eindimensionale Linie, die sich bis in die Unendlichkeit fortsetzt, können daraus keinerlei Schlussfolgerungen über das Wesen der Zeit gezogen werden. Nicht einmal unsere sortierende, intuitive Vorstellung von Zeit entsteht durch diese lineare Abfolge von Sinneseindrücken. Derartige Sequenzen sind nur vor dem bereits vorhandenen Hintergrund einer abwechslungslosen Zeit denkbar. Wären die gereihten Abschnitte dagegen selbst Zeit, könnte deren Verlauf wiederum nur mittels einer zusätzlichen Zeit gedacht werden.
Die Ansätze von Isaac Newton und Immanuel Kant werden die Weltsicht bis in das 20. Jahrhundert hinein wesentlich prägen. In der Physik entwickelte sich ausgehend und im Einklang mit Newtons Modell des absoluten Raumes und der absoluten Zeit der sogenannte wissenschaftliche Determinismus. Der französische Mathematiker und Astronom Pierre Simon Marquis de Laplace (1749 bis 1827) konzipierte das gesamte Universum als berechenbares Uhrwerk. Ist das Wissen über das Universum vollständig, kann daraus mit Leichtigkeit sein Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt in Vergangenheit oder Zukunft berechnet werden. Allerdings ergeben sich bereits im simplen Rahmen der newtonschen Gravitationsgesetze entsprechende Gleichungsmonster, wie Stephen Hawking anmerkt, deren exakte Lösbarkeit mit zwei berücksichtigten Teilchen erschöpft ist. Nichts desto trotz wird dem Ansinnen, den Zustand der Welt über Position und Geschwindigkeit zu berechnen, zu einem späteren Zeitpunkt noch Ruhm und Ehre zuteilwerden. Die zunächst im 19. Jahrhundert eingebrachten Gesetze der Thermodynamik ließen noch keinerlei Zweifel an den Vorstellungen des Altmeisters der klassischen Physik aufkommen. Die gefundenen energetischen Wechselbeziehungen weisen in ihrer Tendenz eine eindeutige Asymmetrie zwischen Vergangenheit und Zukunft auf. Im ersten Hauptsatz ist dies noch nicht zu erkennen. Selbiger stellt schlicht fest, dass die Energie aus der Wärme und jene aus der Bewegung jeweils ineinander überführt werden können. Der zweite Hauptsatz zeigt allerdings eindeutig: es gibt in der Welt kein Zurück. Kommt in ein thermodynamisches System keine Energie hinein und kann selbige auch nicht heraus, zeigt sich ein Sachverhalt, der auch ökonomisch interessant ist. Für die mechanische Arbeit bleibt in einem abgeschlossenen System zunehmend weniger Energie. Die entsprechend umwandelbare Wärme verteilt sich unumkehrbar stattdessen gleichmäßig auf alle Moleküle. Immerhin wird im dritten Hauptsatz noch nachgeschoben, dass die Praxis ein Erreichen des Temperaturpunktes ausschließt, an dem keinerlei Bewegungsenergie mehr vorhanden ist. Wer jedoch aufgrund dieser gerichteten Folge glaubt, auf das Wesen der Zeit schließen zu können, gerät unweigerlich in den Fokus der „Kant-Bande“.
Auf der Basis der thermodynamischen Gesetze lässt sich zwar veranschaulichend ein „Zeitpfeil“ zeichnen, dieser ordnet richtungsweisend jedoch lediglich die physikalischen Vorgänge. Über die Richtung der Zeit als solche sagt er gänzlich nichts aus. Mit der gegenteiligen Annahme könnte man, so Nora Nebel prägnant, genauso gut behaupten, dass sich ein Kompass auf dem Weg nach Norden befindet, nur weil dessen Nadel dorthin weist. Der geradezu als fanatisch beschriebene Kantanhänger Paul Natorp (1854 bis 1924) verweist zudem die traditionsvergessenen naturwissenschaftlichen Emporkömmlinge auf ihren Platz. Das Raum- und Zeitverständnis seines Lehrmeisters ist gegen jegliche physikalische Innovation immun. Die Betrachtungsformen „Zeit“ und „Raum“ können von deren messbaren Varianten deshalb nicht beeinflusst werden, weil Letztere ausschließlich durch Erstere möglich sind. Wie ein im 20. Jahrhundert nicht minder bedeutender Physiker allerdings vernichtend bemerkt, hängen die vermeintlichen Erkenntnisse des Königsberger Aufklärers inhaltlich wesentlich davon ab, welcher philosophische Schüler sie gerade vertritt.
Mit der Deckungsgleichheit war es beim Thema Zeit allerdings schon immer eine etwas verschwommene Angelegenheit. Nicht einmal die schönen, kosmischen Zyklen, die dem Menschen seit Jahrtausenden Orientierung bieten, passen exakt zusammen. Seit der Kulturschaffende die göttlich harmonischen Abläufe in seinem Kalender zusammenfasst, muss sich der natürliche Zauber ständigen Schönheitsoperationen unterziehen. Der Erdtrabant braucht für seinen Zyklus vom nicht belichteten „Neumond“ über den hell strahlenden „Vollmond“ zurück zur Ausgangskonstellation 29,53 Tage. Das synodische Mondjahr ist also 11 Tage früher durchlaufen als die irdische Sonnenumrundung. Auch die ellyptische Bahn des Mondes am Firmament geht in der Jahresbilanz nicht glatt auf. Dieser siderische Monat dauert 27,32 Tage. Auf dieser Grundlage müsste dem als selbstverständlich geltenden 13. Gehalt auch ein realer Monat beigeordnet werden. Wenigstens bei der Umlaufbahn der Erde um die Sonne zeigt sich wahre „Präzession“. Das ist die Bezeichnung für einen Kegel, den die eiernde Erdachse periodisch in 25850 Jahren beschreibt. Unabhängig vom Klimawandel könnte auf der Nordhalbkugel bei dieser kosmischen Harmonie nach 13000 Jahren Silvester im Hochsommer gefeiert werden. Berücksichtigt man dieses Taumeln, wird die Angelegenheit dadurch noch lange nicht rund. Ein Umlauf der Erde um die Sonne dauert 365,2422 mittlere Sonnentage. Bei Letzteren wird abermals ausgeglichen, dass der wahre Sonnentag natürlich ebenfalls schwankt. Sein zugrunde liegendes Ordnungsverständnis erlaubt Abweichungen zum rechnerischen Tag von -14 Minuten 24 Sekunden im Februar bis +16 Minuten 21 Sekunden im November. Damit die Tageszeiten jedoch wenigstens einigermaßen mit dem Sonnenstand übereinstimmen, darf das Jahr zudem nur aus ganzen Tagen bestehen. Die Nachkommastellen müssen eliminiert werden. Seit 1582 folgt einheitlich nach 3 Jahren mit jeweils 365 durchschnittlichen Sonnentagen ein Jahr mit 366. Diese Schaltjahre wurden der Schönheit wegen auf Jahreszahlen festgelegt, die durch 4 teilbar sind. Im rechnerischen Feinschliff fällt dieser zusätzliche Tag dann weg, wenn er auf einen Jahrhundertwechsel fallen würde, dessen Jahr nicht durch 400 dividiert werden kann. Nach 3333 Jahren muss ausgleichend lediglich nochmals ein regulärer Schalttag gestrichen werden, schon passt beinahe alles. Zuletzt musste die Menschheit im Juni 2015 außerplanmäßig eine geschlagene Sekunde warten, damit die verlangsamte Erdrotation wieder hinterher kommt. Ohne diese menschlichen Anstrengungen gäbe es also die bemerkenswert schöne Datumskonstanz der kosmischen Zyklen nicht. Der zunehmend verfeinerte, mathematisch-naturwissenschaftliche Eifer sollte der Zeit nun abermals einen Operationstermin bescheren.