Читать книгу Love is pain - Donoma Maska - Страница 6
Neuanfang
ОглавлениеDer Handy-Wecker klingelt. Ich stell ihn ab. 10 Minuten später klingelt er wieder. So geht das weiter, über eine Stunde lang. Nun muss ich aufstehen, ein weiterer Arbeitstag steht an. Als erstes geht es immer in die Küche, Kaffee aufsetzen. Nicht mit der neuen oder alten Kaffeemaschine, ich trinke nur türkischen Kaffee, schon seit Jahren. Die Maschine ist nur für Gäste, die ich sehr selten habe. Eigentlich gar keine mehr. Ich trinke meinen Kaffee, rauche und spiele mein Bauernhofspiel.
Vor einem Jahr hab ich das heruntergeladen. Damals auf Adis Rat, mir nicht den Kopf zu zerbrechen, hab ich nach einer Ablenkung gesucht und dieses Spiel heruntergeladen und wurde süchtig. Mittlerweile ist es keine Sucht mehr sondern Gewohnheit und Zeitvertreib. Manchmal spiele ich jede halbe Stunde und manchmal den ganzen Tag nicht. Jetzt ist es wieder Ablenkung, wenn auch keine gute. Ich bin eh schon spät dran, aber das ist egal. Im Büro wartet sowieso nichts, das erledigt werden muss. Ich muss einfach präsent sein.
Erstmal gemütlich ins Bad schlürfen, das übliche Morgenritual. Das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenstarrt, kann man der Welt da draussen nicht präsentieren. Meine grün-braunen Augen sehen aufgedunsen und müde aus. Es ist ein helleres grün. Das ist es immer, wenn ich traurig bin. Wenn ich wütend werde, dann sind sie dunkler. Mein dünnes, schnellfettendes, dunkelbraunes Haar hängt schlaff über die Schultern, ich sollte dringend nachschneiden und die Farbe auffrischen. Mein bleiches Gesicht hat durch den Gewichtsverlust in den letzten zwei Jahren immerhin eine schönere Form bekommen, Konturen. Die dünnen Lippen hängen nach unten. Haben sich seit Tagen nicht mehr nach oben, zu einem echten Lächeln verzogen. Make-Up muss sein, die Falten um die Augen kaschieren, die Unebenheiten der Haut ausgleichen. Ich hab keine Lust mich zu schminken und schick anzuziehen, aber ich muss funktionieren. Ausserhalb meiner Wände soll niemand sehen, dass ich leide. Immerhin hat es was Gutes, meine Figur gefällt mir mittlerweile ganz gut, ich hab abgenommen, hab einfach keinen Hunger. Dummerweise habe ich auch an den Brüsten abgenommen. Das war das Einzige, was mich an mir noch nie gestört hat, ich mochte meine Brüste, aber die sind nun weg.
Präsentabel verlasse ich die Wohnung, natürlich mit Musikbegleitung, aber es funktioniert einfach nicht mehr. An der Tramstation stell ich sie wieder ab. Der Weg zum Büro ist nicht weit. Da angekommen, schalte ich meinen PC an, gebe das Passwort ein und gehe auf die Terrasse einen Kaffee trinken und rauchen. Danach gehe ich erst mal auf die Toilette und Wasser holen, bevor ich mich an meinen Arbeitsplatz setze und als erstes die Mailbox öffne und dann alle anderen Programme, die ich gar nicht brauche, aber es sieht so aus, als hätte ich zu tun, falls jemand zu mir kommt. Jeden Morgen das gleiche Ritual.
Meist fange ich mit dem Tagebuch an. Ich schreibe, was ich letzten Abend gemacht und wie ich mich gefühlt hab. Jeden Tag schreibe und schreibe ich, mit irgendwas muss ich mich den ganzen Tag beschäftigen. Ich hab es auch angefangen, in der Hoffnung, mir die Schmerzen von der Seele zu schreiben und gut ist. Aber es hat in den ganzen zwei Jahren nicht geklappt. Vor kurzem hab ich einen Blog angefangen, ich wollte mir ein bisschen die Zeit vertreiben und schrieb im Blog über meine Erfahrungen mit Dating-Apps. Es sollte lustig sein. Aber dann trat Jack in mein Leben, stellte alles auf den Kopf und der Blog wurde zu meiner virtuellen Klagemauer. 50 Follower hab ich schon, die sich mein Gejammer antun, weitere lesen wohl mit.
Nach meinem Tagebucheintrag, dass den ganzen Tag über, mit Gedanken und Gefühlen gefüllt wird, kümmere ich mich um Blogeinträge. Ich lese auch die Blogs der anderen. Es tröstet mich, zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, die leidet. Es gibt da draussen noch mehr, die sich ihren Schmerz anonym von der Seele schreiben. In so manchem Beitrag erkenne ich mich wieder.
Die Stunde bis zur nächsten Zigarette dauert ewig. Mittlerweile gehe ich schon rauchen, bevor eine Stunde um ist. Ich kann mich eh auf nichts konzentrieren, nicht dass es da etwas gäbe, worauf ich mich konzentrieren müsste.
Das war so nicht geplant. Was für Hoffnungen hab ich in diesen Job gesetzt.
Sommer 2013
Ich habe gerade meine Weiterbildung erfolgreich hinter mich gebracht. Natürlich bin ich sehr stolz auf meine Leistung, die ich trotz Vollzeitjob, Kind und Haushalt, Mitarbeiter führen, geschafft hab. Aber was soll ich nun damit anfangen? Wie soll es weitergehen?
Mein Chef, Bjarne, ruft mich an und meint, in einem anderen Projekt wird eine Stelle frei und man hat bei ihm angefragt, ob ich wohl Interesse daran hätte. Ich antworte, wenn sie gut bezahlen, why not. Ich rufe Liv, den Projektleiter an, um mich über die Details zu informieren. Mehr Lohn, weniger Mitarbeiter, schöneres Büro. Ich weiss, dass alle neuen Verträge nur befristet sind, Sparmassnahmen. Liv sagt, für mich gilt das nicht, ich werde selbstverständlich einen unbefristeten erhalten. Gut, klingt doch ganz gut, ich werde ihm noch ein offizielles Bewerbungsschreiben zukommen lassen. Das schreibe ich dann auch gleich nach unserem Gespräch und schicke es per Mail, ich muss mich ja nicht lang und breit erklären, die kennen mich alle seit Jahren und mein Dossier haben sie ja auch. Meine Bewerbung ist in fünf Minuten erledigt.
Ich freue mich. Klar weiss ich, dass ich als Mitarbeiterin, als Führungsperson sowohl gefürchtet, wie auch geschätzt werde. Es ehrt mich, dass sie mich haben wollen. Ich hab keine leichte Zeit hinter mir.
Nach meiner dreijährigen Ausbildung zur Kauffrau habe ich hier als Arbeitslose im Programm angefangen, damit ich ein bisschen Erfahrung sammle. Immerhin sammle ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr Berufserfahrung, aber nicht im Büro. Ich hab in der Teppichfabrik Musterkataloge geklebt, hab in Restaurants und Bars Neben- wie Hauptberuflich gearbeitet, als Lagermitarbeiterin Kisten geschleppt, als Kassiererin im Einkaufszentrum gearbeitet und anderer Leute Büros und Wohnungen geputzt bis ich meinen Abschluss hatte. Hochverschuldet und 100 Bewerbungen später, kam ich ins Programm, weil mich keiner einstellen wollte, ich hatte keine Berufserfahrung.
Nach fünf Monaten bekam ich da eine Stelle in einem Projekt, zwar befristet, aber immerhin mit Bezahlung. Der Lohn war gut, ich hab nur leider nichts davon gehabt, da ich drei Jahre Schuldenanhäufung abstottern musste. Aber ich konnte gleich ans nächste Projekt als Gruppenchefin anknüpfen, noch bessere Bezahlung, aber brachte mir weiterhin nicht viel. Auch diese Stelle war befristet, doch ich konnte wieder zum nächsten Projekt als Gruppenchefin anschliessen. Dann bot mir Bjarne eine Festanstellung als Leiterin an. Noch bessere Bezahlung und nun konnte ich davon auch profitieren. Meine Schulden waren mittlerweile getilgt. Er liess mir freie Hand obwohl ich überhaupt keine Erfahrung hatte, aber er traute mir diese Aufgabe zu. Es war ein neues Projekt, wir starten mal und schauen wohin es führt.
Der Anfang war hart, ich musste kämpfen, ich musste mich beweisen, ich musste viel einstecken. Aber ich gab nicht auf. Ich lernte, ich entwickelte mich, ich wurde immer besser.
Ich hab Bjarne versprochen, ganz sicher 4 Jahre zu bleiben. Hab mein Versprechen erfüllt und nun? Dieses Projekt war mein Baby und es sass noch nicht fest im Sattel, ich konnte es noch nicht verlassen. Mein Gefühl sagte mir, es ist noch nicht soweit. Aber mein Baby füllte mich nicht mehr aus. Ich war zeitlich und organisatorisch im Stress und unter Druck, immerhin hatte ich zwischen 10 bis 30 Leute zu führen, aber meine grauen Zellen kamen kaum noch auf Touren. Ich stöberte nach Weiterbildungen, um mein Hirn wieder zu aktivieren. Alle möglichen Kurse hab ich mir angeschaut, sogar einen Strickkurs liess ich mir durch den Kopf gehen, aber nichts fühlte sich richtig an. Bis ich auf die Idee mit der Matur kam und sofort meldete sich mein Gefühl „Das ist es!“ Also meldete ich mich sofort an und zog das Ding nebenbei durch. Sehr erfolgreich.
Nun kommt dieses Angebot zur rechten Zeit. Ich bin soweit. Ich hab alles für mein Baby gegeben, jetzt steht es auf eigenen Füssen, ich bin stolz darauf, aber es ist Zeit, dass wir uns trennen und ich mich einer neuen Herausforderung widme. Ich habe fertig.
Auf dem Nachhauseweg kommen mir plötzlich Zweifel auf. Will ich das wirklich auch weiterhin machen? Auch wenn es ein anderes Projekt ist, die Materie kenne ich und die fordert mich schon lange nicht mehr, ich kann längst alles auswendig. Will ich weiterhin pendeln und drei Stunden täglich für den Arbeitsweg aufwenden, nach 9 Jahren habe ich schon zu viele Stunden nur im Zug verbracht. Will ich überhaupt weiterhin die Chefin sein, weiterhin Verantwortung für andere tragen? Verantwortung trage ich schon seit ich existiere, immer ist irgendjemand da, um den ich mich kümmern muss. Ich wünsche mir, einfach mal nur noch für mich selbst verantwortlich zu sein.
Je länger der Abend fortschreitet desto klarer sehe ich. Ich bin nicht nur mit meinem Baby fertig, ich bin auch mit diesem Arbeitgeber, mit diesem Arbeitsort, mit Chef spielen fertig. Ich bin einfach fertig damit. Mein Gefühl ist sich sicher. Ich scanne alle Bewerbungsunterlagen ein und schicke sie mir ins Büro.
Nach vielen Jahren öffne ich am nächsten Morgen wieder mal den Stellenanzeiger. Ich sehe eine ausgeschriebene Stelle als Projektleiterin. „Die suchen mich“ schiesst mir durch den Kopf. Ich ändere das Bewerbungsschreiben für Liv kurz ab und sende die Bewerbung elektronisch ab, noch ein Ausdruck der Stellenbeschreibung und das war’s, nach ein paar Minuten ist meine Bewerbung unterwegs.
Zwei Tage später such ich mein Handy und ziehe den Ausdruck aus meiner Handtasche, lese mal richtig, worauf ich mich da beworben habe und lache laut auf „Ja, man kann’s ja mal versuchen.“ Ich bin für diese Stelle überhaupt nicht qualifiziert, hab wohl ein bisschen nach den Sternen gegriffen. Ich schmeiss den Ausdruck weg.
Intern lädt man mich zu einem Vorstellungsgespräch ein und kurz vor dem Gespräch, bekomme ich eine Einladung zu diesem Vorstellungsgespräch als Projektleiterin. Ich falle aus allen Wolken, damit hab ich nicht gerechnet, vor allem ist mir meine schlechte Bewerbung so peinlich. Leider weiss ich nicht mal mehr genau, worum es überhaupt geht, den Ausdruck hab ich weggeworfen und online ist es bereits überall zurückgezogen. Ich bin verzweifelt die Suchmaschinen am Abklappern, da taucht Phil, ein Arbeitskollege, auf. Ich erkläre ihm panisch mein Dilemma, ich hab ein Vorstellungsgespräch und weiss gar nicht mehr, um was es geht. Fünf Minuten später schickt er mir eine Mail mit der Stellenbeschreibung. Wie klein die Welt ist, werde ich später herausfinden.
Beim Vorstellungsgespräch mit Liv und Maurizio heisst es plötzlich, der unbefristete Vertrag ist nicht möglich. Maurizio sagt, er hätte alles versucht, aber es geht nicht. Er fragt mich, ob ich noch was offen habe und ich sage, ich habe noch ein Vorstellungsgespräch in der Stadt am Fluss. Maurizio grinst frech, ich kann seine Gedanken hören „Ja, ja das wollen einige hier schon seit Jahren.“ Allein seines frechen Grinsens wegen, wünsche ich mir die neue Stelle. Ich überlege kurz und sage Liv, einen befristeten Vertrag kann ich nicht annehmen.
Ich hab eine Woche frei und in dieser Zeit ist auch mein Vorstellungsgespräch. Ich bin unglaublich aufgeregt, alles zureden hilft nichts. Ich sitze in meiner Küche, rauche eine nach der anderen und kann mich einfach nicht beruhigen. Für einen Moment halte ich inne und höre auf mein Gefühl. „Du wirst beide Stellen erhalten“. Das beruhigt mich, aber schon pfuscht der Kopf wieder rein und ich bin wieder mit den Nerven am Ende. Immer dieser Kampf zwischen Verstand und Gefühl.
Endlich ist es soweit. Ich werde von Caro herzlich begrüsst, in einen Raum mit vielen Tischen geführt. Zwischen mir, Caro links, Franz rechts und Robert gegenüber, sind etliche Meter, ich muss fast schreien. Robert erzählt, ich seh ihn an, ich schaue Franz an und denke, hier will ich nicht arbeiten. Mit so vertrockneten Pflaumen halte ich es auf gar keinen Fall aus. Ich lass ihn reden, nicke hier und da, hoffe es ist bald vorbei. Im Kopf formuliere ich schon meine Absage. Gleich morgen oder soll ich so tun als hätte ich darüber nachgedacht und erst nächste Woche absagen?
Dann bin ich an der Reihe mit erzählen. Ja das kann ich. Sie stellen Fragen, ich antworte gewissenhaft, aber auch mit einer Prise Humor. Die beiden tauen auf, sogar der verstockte Franz lacht. Die Stimmung hebt sich und ich denke, geht doch. Sie können tatsächlich auch anders. Robert war von meinem Maturzeugnis so beeindruckt und wollte die Person, die das hingekriegt hat, mal kennenlernen. Nach dem Gespräch weiss ich, die Stelle gehört mir. Ich bin mir so sicher. Ich bin mir auch sicher, dass ich sie annehmen muss, es ist sehr wichtig für mich. Warum, weiss ich nicht, nur dass mein Instinkt mir sagt, ich muss.
Am Montag geh ich wieder zur Arbeit. Bjarne ruft mich in sein Büro, er ist ganz aufgeregt und zappelt herum. Ich verstehe nicht, was los ist. Wir haben uns nur ein paar Tage nicht gesehen und nicht Jahre, ich schaue ihn ausdruckslos an. Er schaut mich verwirrt an, weil ich ihn ausdruckslos anschaue. So stehen wir beide einen Moment verwirrt da bis er ruft „Du gehst!“ Verwirrt frage ich „Wohin?“ „Du hast doch die Stelle bei Liv bekommen“ ruft er aus. „Hab ich das? Davon weiss ich nichts.“ Er ist überrascht, denn er war ja auch im Urlaub. Ich erzähle ihm von dem befristeten Vertrag, dass ich abgelehnt habe und seitdem nichts mehr gehört habe und auch von meinem Vorstellungsgespräch, von dem ich denke, dass ich die Stelle bekomme. Er meint, für meine Stelle sei schon ein Vorstellungsgespräch für 10 Uhr angesetzt. „Würdest du bitte warten, bis ich weg bin, bevor du meinen Stuhl besetzt!“ rufe ich aus.
Es geht dann etwas drunter und drüber. Er rennt zur Führung, Vorstellungsgespräch absagen, Liv informieren. Der kommt, um mit mir zu reden, offenbar wollte mich Maurizio überraschen. Tja die Überraschung wird er jetzt erleben, wenn er aus seinem Urlaub zurückkommt. Ich mag Maurizio, er ist der perfekte Big-Boss, ich hab viel von ihm gelernt und dass er ein Charmeur ist und aussieht wie George Clooney, ist nicht irrelevant, aber er ist auch ein Chaot. Ich bitte Liv mir bis Ende Woche Zeit zu geben, da sich die anderen bis Freitag melden wollen.
Am nächsten Tag bekomme ich eine Mail aus der Stadt am Fluss, sie bitten um eine Verlängerung, sie brauchen eine weitere Woche Zeit für ihre Entscheidung. Ich überlege, was ich tun soll und schreib zurück, ich hätte eine Stelle erhalten und muss bis Freitag Bescheid geben. Wenn sie mir bis dahin keine Antwort geben können, muss ich meine Bewerbung zurückziehen. Alles oder nichts.
Ich bin mir so sicher, ich werde die Stelle bekommen. Am Mittwoch ruft mich Caro an, sie wollten noch mehr Zeit, weil der Big-Boss noch in den Staaten ist, holen sein Einverständnis halt per Mail. Wir besprechen noch die Lohndetails. Am Donnerstag bekomme ich die Zusage. Ich hab den Job!
Alle, vor allem Bjarne, reden auf mich ein, ich soll ihn nicht annehmen, es wäre kein Umfeld für mich, ich würde dort durchdrehen. Aber ich bin mir so sicher, wie das Amen in der Kirche. Ich muss hin. Ich muss unbedingt eine wichtige Erfahrung machen. Ich bin mir bewusst, das könnte auch eine negative sein, aber es muss sein. Es scheint mir einfach schicksalsbestimmt und wichtig zu sein, um weiterzukommen.
Der Abschied nach fast 10 Jahren fällt mir schwer. Wie viele Kämpfe habe ich da geführt, wie vielen Angriffen ausgesetzt, Intrigen, Verleumdung, Lügen, nur weil ich eine Ausländerin bin. Wir werden als stille, steuerzahlende, gut integrierte Putzfrauen gern gesehen, aber nicht als Führungskraft. Einmal hab ich frustriert zu Bjarne gesagt „Wenn ich ein männlicher Einheimischer wäre, würden sie mich lieben. Sie würden den Boden küssen auf dem ich gehe.“ Er sah mich traurig an und sagte nur „Ich weiss.“
Er hielt immer zu mir, dafür bin ich ihm sehr dankbar, selbst wenn ich mal ausgerastet bin, hat er mich unter vier Augen kritisiert, aber nach Aussen verteidigt. Ich musste viel ertragen, aber ich bin auch nicht einfach. Politisch absolut inkorrekt, hart und direkt, Vorlaut, unglaublich stur, aber fair und fleissig und ich lach auch gerne.
Oft ging ich in diesen Jahren traurig nach Hause. Konnte es nicht verstehen. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht, bin ja nicht als Chefin auf die Welt gekommen. Learning by doing war das Motto. Aus meinen Fehlern hab ich viel gelernt, mich weiterentwickelt und mir mit der Zeit auch Respekt verschafft. Die zwei letzten Jahre ist man mir mit Respekt und Wertschätzung begegnet, man höre und staune, man hat mich sogar nach meiner Meinung gefragt, nach meinem Rat, nach meiner Unterstützung.
Als ich meine Ehrenrunde drehe, bin ich überrascht, dass Giftzwerg B. Tränen in die Augen steigen als wir uns verabschieden. Bei diesem Anblick kommen auch mir die Tränen. Ausgerechnet bei ihm. Wie oft hatten wir in all den Jahren miteinander gestritten. Manches Mal hat er mich bis aufs Blut gereizt. Das letzte Jahr hat er täglich angerufen und um Rat und nach meiner Meinung gefragt.
Die Angst vor einem Neuanfang ist schon da. Bjarne hat mir die Chance gegeben, so unerfahren wie ich war, mich zu beweisen. Dank seines Vertrauens in mich, bin ich weitergekommen. Aber ich bin auch vereinsamt. Es gibt nur noch ein Arbeits-Ich, eine Chefin. Ein Familien-Ich, eine Mutter. Ich bin leider auch zu einem absoluten Workaholic verkommen. Die letzten drei Jahre hab ich fast jedes Wochenende gearbeitet. Ich selbst habe mich unterwegs verloren, mich selbst gibt es gar nicht mehr. Ich lebe zwischen Mutter- und Chefin sein. Mein Leben besteht nur noch aus Organisation, Verantwortung, führen, leiten, der Zeit hinterherrennen. Wer werde ich nun sein? Ich bin zuversichtlich, ich werde mehr Zeit für mich haben. In der Stadt, in der ich lebe nun auch nur noch vier Tage die Woche arbeiten. Ich werde das Leben endlich geniessen.
Der Neuanfang ist erfolgreicher als in meiner Vorstellung. Die erste Woche fühle ich mich gut, es ist gar nicht schlimm neu anzufangen. Ich freue mich natürlich über so einen kurzen Arbeitsweg, ein eigenes Büro und mehr Freizeit.
Doch mit der Zeit geht es nur noch bergab. Woche um Woche, Monat um Monat vergeht, ohne dass ich recht weiss, wofür ich da bin. Die Leute sind zwar nett, aber reserviert, jeder für sich. Ich sitze den ganzen Tag in meinem Büro ohne konkrete Aufgaben. Ich arbeite nicht sondern sitz einfach meine Zeit ab. Ich hab ja nichts zu tun und weiss auch gar nicht, was denn nun meine Aufgabe sein soll. Das weiss niemand so recht. Hauptsache ich bin anwesend und bediene das Telefon, falls es mal klingelt und philosophiere ein bisschen um den heissen Brei herum. Nur kein Stress, dein Projekt kommt schon. “Wir müssen schauen“ ist der meistgesagte Satz meines Chefs, während er im Monats-Rhythmus seine Meinung über das Projekt ändert, so dass ich immer wieder von vorne anfangen kann, zu philosophieren.
Die Tage werden zur Qual, die Abende verbringe ich deprimiert auf meinem geliebten Sofa. Donnerstagabends läute ich das Wochenende mit Tränen ein. Die Lethargie aus dem Büro nehme ich mit nach Hause. Meinen Haushalt hab ich früher am Samstagvormittag erledigt, nun schaff ich es das ganze Wochenende nicht. Es glänzt nicht mehr so wie früher. Jede Woche drei Tage frei, in denen ich kaum was mache. Ich sitze meist rum, weine, schleppte mich ziellos durch die Wohnung, fühle mich nutzlos, einsam, hässlich, fett, unbrauchbar, ungeliebt.
Ich verstehe nicht, warum mein Instinkt mir geraten hat, diese Stelle anzunehmen. Dieses Mal hätte er eine Gebrauchsanweisung mitliefern sollen, ich verstehe es einfach nicht.
Sechs Monate krieche ich, langsam aber stetig, in den Abgrund.