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4.2.3 Motivationsforschung: Probleme und neue Impulse

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In Kapitel 3 wurde bereits dargestellt, dass Lehren zwar das Lernen unterstützen, nicht jedoch gewährleisten oder gar erzwingen kann. Stattdessen muss Lernen „vom Individuum selbst gewollt werden“ (Haß 2010, 204). Motivationsförderung gehört somit zu den zentralen Aufgaben der Schule. Da es sich bei Lernmotivation jedoch um ein äußerst vielschichtiges Konstrukt handelt, existiert eine entsprechend große Anzahl an wissenschaftlichen Theorien und Konzepten, die alle darauf abzielen, motivationale Faktoren in der Schule zu beschreiben und zu erklären. Obwohl die Motivationsforschung bereits eine längere Tradition hat, scheint es jedoch kaum stabile Ergebnisse und allgemeingültige Modelle zu geben, stattdessen ist vielmehr das Gegenteil der Fall: “Contemporary motivational psychology is characterised by a confusing plethora of competing theories, with little consensus and much disagreement among researchers. In fact, we can say without much risk of exaggeration that ‘motivation’ is one of the most elusive concepts in the whole domain of the social sciences“ (Dörnyei 2001b, 2). Dörnyei begründet den fehlenden Konsens in der Motivationsforschung zunächst damit, dass der Begriff nicht einheitlich verwendet wird. Allerdings haben sich laut Dörnyei und Ushioda (2011, 4ff.) in den letzten Jahren einige neue Entwicklungen abgezeichnet, die hier kurz zusammengefasst werden:

 Kognition vs. Emotion: In frühen Motivationstheorien wurden vor allem unbewusste Triebe, Emotionen und Instinkte für das menschliche Handeln verantwortlich gemacht, während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fokus in der Motivationsforschung auf bewusste kognitive Prozesse (z.B. Ziele und Erwartungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen usw.), welche Handeln und Verhalten beeinflussen, gelegt wurde. Einerseits wurden also unbewusste und bewusste Prozesse, andererseits die Rollen von Emotion und Kognition berücksichtigt. Mit Ausnahme der von Weiner (1986) entwickelten Attributionstheorie unternahmen laut Dörnyei und Ushioda (2011) jedoch nur wenige Theorien den Versuch, Affekt und Kognition “in a unified framework“ (Ebd., 5) zu integrieren.Ciompi (1999) kritisiert Wissenschaft und Forschung, emotionale Phänomene „lange Zeit vergleichsweise stark vernachlässigt“ (Ebd., 11) zu haben, mit der Folge, dass „ein einseitig intellektzentriertes Welt- und Menschenverständnis (...) das wissenschaftliche Denken doch lange Zeit fast ausschließlich beherrscht hat“ (Ebd.). Aus Pekruns (1998) Sicht sind Schüleremotionen ein „blinder Fleck der Unterrichtsforschung. (...) Mit Ausnahme von Prüfungsangst sind die Lern- und Leistungsemotionen von Schülern bisher kaum erforscht“ (Ebd., 230). Dasselbe gilt laut Düwell (2002) auch für die Sprachlehr- und -lernforschung, die den Schwerpunkt allzu lange „auf Untersuchungen in der kognitiven Dimension gelegt“ hat (Ebd., 171).Auch wenn kognitive Ansätze noch immer das Feld beherrschen, wird seit einigen Jahren die Rolle der Emotionen in der Motivationspsychologie (und auch in der Fremdsprachenforschung) quasi neu entdeckt, was sich beispielsweise auch in den Publikationen auf dem deutschsprachigen Markt widerspiegelt.1 Ausgelöst wurde diese Neuorientierung unter anderem durch neue Erkenntnisse in der Neuropsychologie und in anderen Bereichen der Psychologie.2 Die Herausforderung wird darin bestehen, kohärente theoretische Konzepte zu entwickeln, welche beide Dimensionen berücksichtigen.

 Reduktion vs. Umfänglichkeit: Motivation wurde in der Vergangenheit je nach Fachdisziplin, Zeitgeist, Forschungsgegenstand oder -interesse immer wieder unterschiedlich ausgelegt, was die Konsensbildung erschwert hat: “Taken collectively, a striking feature of all mainstream motivation theories has been their lack of comprehensiveness. They are typically anchored around a few selected motivational aspects (e.g. around a key concept or process), while largely ignoring research that follows different lines“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 8). Da menschliches Verhalten überaus komplex und die Anzahl möglicher Determinanten extrem hoch ist, wurden in der Motivationsforschung meist so genannte Reduktionsmodelle (reductionist models) entwickelt, die sich auf wenige Schlüsselvariablen konzentrierten. Der Hauptunterschied zwischen konkurrierenden Theorien liegt somit häufig in der Auswahl der Faktoren: “This can be compared to lifting a large, loosely knitted net (which symbolises human behaviour). If we lift it up by holding different knots, very different shapes will emerge, even though the actual net is exactly the same“ (Ebd., 9).Auch wenn die Reduktion und Isolation von Einflussfaktoren im Hinblick auf Forschung und Theoriebildung durchaus nachvollziehbar ist, wird diese Vorgehensweise natürlich nie den komplexen realen Bedingungen im Klassenzimmer gerecht. Offenbar gibt es – bis auf Wentzel (2000) – kaum Untersuchungen dazu, wie Lernende mit den diversen parallelen und konkurrierenden Zielen, Ansprüchen, Anforderungen, Aktivitäten usw. in Schule und Unterricht umgehen. Ferner existiert laut Dörnyei und Ushioda (2011) keine adäquate Motivationstheorie, die auf die “parallel multiplicity“ (Ebd., 10) von Motivationsprozessen eingeht, welche menschliches Verhalten bestimmen.

 Parallele Prozesse vs. lineare Modelle: Die Komplexität des menschlichen Verhaltens und seiner vielfältigen Einflussfaktoren in einer einzigen allumfassenden Motivationstheorie zu berücksichtigen, wird vermutlich immer ein unerreichbares Ziel bleiben. Dennoch bezeichnen Dörnyei und Ushioda (2011) die üblichen linearen Motivationsmodelle als “inherently flawed“ (Ebd., 11). Während der Faktor Zeit durch die Einteilung in spezifische Phasen noch am ehesten als lineares Modell dargestellt werden kann, wird es dagegen schwierig, sich vorzustellen, wie ein solches Modell die dynamischen Interaktionen mit dem Umfeld oder die komplexen kognitiven und emotionalen Prozesse berücksichtigen könnte, die in und zwischen Individuen ablaufen. Davon abgesehen ist natürlich auch der Zeitaspekt keineswegs eine stabile Größe. Die offensichtliche Begrenztheit dieser Modelle initiiert in Psychologie und Fremdsprachenforschung derzeit “a new way of thinking, pushing forward relational and dynamic systems perspectives“ (Ebd.).

 Individuum vs. Kontext: Motivationstheorien berücksichtigen den sozialen Kontext in unterschiedlichem Maße: Während in behavioristischen Lerntheorien Umwelteinflüsse (z.B. Belohnung oder Strafe) noch eine große Rolle spielten, wurde nach der kognitiven Wende der Fokus auf die internen Prozesse im Sinne der Informationsverarbeitung gelegt, wobei soziokontextuelle Faktoren hier nur insofern eine Rolle spielen, als sie durch die menschliche Wahrnehmung gefiltert werden. Zu Recht monieren Dörnyei und Ushioda (2011), dass diese Position Lücken aufweist: “Humans are social beings and human action is always embedded in a number of physical, cultural and psychological contexts, which considerably affect a person’s cognition, behaviour and achievement“ (Ebd., 7).Seit etwa 10-15 Jahren beschäftigt sich die Forschung offenbar wieder stärker mit der Rolle des Umfelds, was gelegentlich auch als “second cognitive revolution or ‘discursive turn’“ bezeichnet wird (Ebd., 8), und es besteht ein wachsendes Interesse an der dynamischen Interaktion zwischen Individuum und soziokontextuellen Faktoren.3

 Ursache-Wirkung vs. Prozess: In der Motivationsforschung wurden bisher auch verschiedene Stadien des Motivationsprozesses untersucht, und zwar vorrangig die Initialphase, in der es um Auswahl und Engagement in Handlungen geht (z.B. Erwartungs-Wert-Theorie von Wigfield/Eccles (2000)), oder aber die Auswirkungen von Handlungen und Erfahrungen auf Motivation (z.B. „erlernte Hilflosigkeit“). Diese unterschiedliche Fokussierung spiegelt wiederum die historische Debatte um die Frage, ob Motivation Ursache oder Folge des Lernens ist. Zwischenzeitlich besteht offenbar weitgehend Konsens darüber, “that it functions in a cyclical relationship with learning“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 5). Dabei wird zwischen positiven und negativen Zyklen unterschieden, und es wurde verstärkt untersucht, wie durch Modifizierung der kognitiven Prozesse negative Zyklen (schwache Motivation → schwache Leistung → schwache Motivation) durchbrochen werden können (Dweck 1999). Allerdings greift ein einfaches Ursache-Wirkung-Modell zu kurz, um die komplexen Motivationsprozesse aus dem Alltag zu erklären.Insbesondere im Hinblick auf das (langwierige) Fremdsprachenlernen muss zudem bedacht werden, dass Motivation nie konstant ist, sondern von verschiedenen internen und externen Faktoren abhängt. Dörnyei und Ushioda (2011) monieren, dass sich bisher nur wenige Studien damit befasst haben, wie sich Motivation im Laufe der Zeit entwickelt, beispielsweise auf der Mikroebene “of moment-by-moment experience“ (Ebd., 6) oder der Makroebene “of long-term experience or life history“ (Ebd.). Der diachrone Aspekt erschwert also die Konsensbildung in der Motivationsforschung noch zusätzlich.

Fazit: Die selektiven Untersuchungsschwerpunkte und Herangehensweisen in der Motivationsforschung ermöglichen kaum eine konsistente Theoriebildung: “It seems impossible to capture the whole picture. (...) and it may well be the case that devising an integrative ‘supertheory’ of motivation will always remain an unrealistic desire“ (Ebd., 4).

Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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