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Die List des Falkners

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Mythen und Sagen beinhalten immer ein Stück Wahrheit.

Wo Fantasie, Legende oder Sagen mit Wünschen verschmelzen, ist nicht klar nachzuvollziehen, was Wahrheit und was Vorstellungskraft ist.

Diese Dichtung besagt, dass der sagenhafte Phönix nur alle fünfhundert bis zwölftausend Jahre auf die Erde zurückkehrt, meist dann, wenn ein Zeitenwechsel bevorsteht.

Doch was geschieht, wenn der Mythos sich irrt, oder durch eine Laune der Natur widrige, wenn nicht sogar unvorhersehbare Ereignisse eintreten?

Das Nest lag auf einer hohen Klippe, eingebettet in eine wilde und raue Berglandschaft. Sanft geschwungen fielen die Felsenklippen nach unten ab. Der sandige Küstenstreifen vor dem Meer wurde wieder und wieder vom Wasser überspült. Winde jagten über das Meer und durch das Waldgebiet, welches mit der Klippenlandschaft verwachsen und zum Teil im Stein fest verwurzelt war.

Die Menschen blieben in ihren Häusern. Sie kannten die Kraft der Naturgewalten, die manches Mal ganze Bäume entwurzelte, Hänge ins Rutschen brachte oder durch den Regen Schlammlawinen in Bewegung setzte. Oftmals waren Wege und Pfade tagelang nicht passierbar, ehe sie mit Hilfe von Rückepferden mit dem Aufforsten und Aufräumen begannen.

Unbeachtet von den Dorfbewohnern war ein großer, starker Vogel über das Meer gekommen. Er hatte auf der höchsten Erhebung der Klippe, geschützt in einer Mauernische, eine Behausung gefunden. Das Tier war das letzte seiner Art. Es war nach dem langen Flug im Sturm kraftlos geworden. Mit der ihm verbleibenden Kraft schleppte er sich in die Nische der Klippe, um seine Aufgabe erfüllen zu können. Er würde sterben. Entkräftet durch die

Anstrengung verlor er eine seiner großen Federn aus seinem einst so farbenprächtigen Gefieder. Ohne etwas davon zu bemerken, schleppte sich das Tier weiter. Matt und farblos sah sein Federkleid mittlerweile aus, dennoch wohnte auch in der einen Feder, wie in jeder Faser des Vogelkörpers, eine geheimnisvolle Kraft.

Eine leichte Windbö fegte über das letzte Domizil dieses graziösen Tiers und trieb die Feder über den Rand der Klippe hinaus. Sie schwebte hinunter, wurde vom Wind hin- und her gewirbelt, ehe sie im feuchten Sand landete und liegen blieb. Oben züngelte unversehens eine Stichflamme herauf, und für einen Augenblick flammte ein heller Schein im weißen Licht auf, welcher rasch in sich zusammenfiel. Lediglich ein kleiner Ascheberg blieb zurück. Doch noch eine weitere Ungereimtheit geschah – eben diese einzelne Feder setzte sich genauso in Brand wie zuvor der große Vogel. Auch hier war ein winziger Rest Asche sichtbar, der nun auf dem feuchten Sandboden lag.

Bald regte sich etwas in diesem Aschehäufchen. Ein winziger grauer Vogel, kleiner als ein Zaunkönig, bewegte sich darin. Während oben ein größerer Vogel, der wie ein Eichelhäher aussah, dem Ascheberg entstieg. Noch waren beide Geschöpfe hilflos und jung. Sie benötigten Futter und machten sich sogleich mit tapsenden, unsicheren Schritten auf die Suche. Während der größere Vogel in der Nähe einige Samenkörner aus dem Waldgebiet zwischen den Steinen aufpickte, lief das kleine Tier unten am Strand entlang, um hinter einer Düne zu verschwinden. Auch er fand Zuflucht in dem großen Waldgebiet und hatte kurze Zeit darauf Würmer gepickt und Samen gefunden.

Nie zuvor gab es gleichzeitig zwei so unterschiedliche Vögel dieser Art auf der Erde. Gewöhnlich fraßen diese Vögel keine Insekten oder Würmer.

Der kleine Vogel hatte bereits eine stattliche Zahl Käfer, Schaben und Würmer verspeist und eine erste Veränderung vollbracht, die sein weiteres Leben prägen würde – er wurde zum Fleischfresser. Sein Zwilling jedoch war

und blieb Vegetarier, wie es ihm durch seine genetischen Eigenschaften vorherbestimmt war.

Innerhalb kürzester Zeit wuchsen beide Tiere heran, erreichten ihre endgültige Größe, die dem eines Adlers glich. Sie behaupteten sich in ihrer Umgebung, erkundeten die Territorien und drangen immer tiefer in die menschlichen Siedlungen ein.

Ganz vorsichtig zog Theresa ihrem Falken den Sichtschutz von den Augen. Das kluge Tier schloss geblendet von der plötzlichen Helligkeit die Augen. Dann drehte es seinen Kopf und verschaffte sich rasch einen Überblick über das Gelände. Sie befanden sich auf einer riesigen, langgestreckten Lichtung, die zu einer Seite mit felsigen Wänden umschlossen wurde. Sie streichelte ihm sanft über das Gefieder, senkte den Arm und ließ seine lederne Fußfessel los. Majestätisch erhob sich der Falke, schwang sich im Auftrieb des Windes empor. Er stieg hoch, schon bald war er oben an der Felsenklippe angekommen. Theresa ließ ihm die Freiheit, einige Runden zu drehen. Schließlich lockte sie ihn mit einem Stückchen Fleisch zur Belohnung. Er hatte verstanden, denn er war gut von ihr ausgebildet worden. Schon stürzte er sich in die Tiefe, um wieder auf ihrem ausgestreckten Arm zu landen.

Plötzlich tauchte ein weiteres, wesentlich größeres Tier in seiner Flugbahn auf und schubste den Falken mit seinen Flügeln beiseite. Dabei stieß er einen seltsam rauen Laut aus. Der junge Falke geriet ins Trudeln, drohte abzustürzen. Über den Baumwipfeln fing er sich aber wieder. Indes riss der fremde Vogel das dargebotene Stück Fleisch mit seinen großen Klauen aus der glücklicherweise behandschuhten Hand. Er jagte wie ein Raubvogel, doch seine Körperform war gänzlich anders. Theresa war von dem merkwürdig anmutenden Vogel überrumpelt worden. Ihre einzige Sorge galt dem Falken, während der »gefiederte Fleischdieb« sich längst wieder hinauf auf die Klippen geschwungen hatte. Der Falke landete auf ihrer Hand und zupfte am Handschuh. Rasch nahm sie ein weiteres Stück Fleisch, welches sie ihm als Belohnung anbot.

Der fremde Vogel war mittlerweile aus ihrer Sicht verschwunden. Rasch stülpte sie ihrem Falken den ledernen Kopfschutz über. Dann erst untersuchte sie ihn vorsichtig. Geduldig ließ er sie gewähren. Offenbar hatte er keine Verletzungen davongetragen und war glücklicherweise nur von den Schwingen des fremdartigen Greifen berührt worden.

Theresa beobachte noch eine Weile die Klippenformation, doch sie sah das fremdartige Tier kein weiteres Mal.

Daheim angekommen berichtete sie ihrem Vater von dem seltsamen Erlebnis. Als sie geendet hatte, sah der Vater sie einen Augenblick an.

»Auf einigen Höfen in der Umgebung sind Hühner verschwunden, sogar Gänse – ausgewachsene Tiere – das kann kein normaler Greifvogel sein. Es ist eine neue Lebensform, die sich entweder hierher verirrt hat, oder es ist ein mutierter Greifvogel. Eine andere Möglichkeit kann ich mir kaum vorstellen!«

»Ein mutierter Greifvogel?« Theresa schüttelte den Kopf. »Sein Gefieder war farbenprächtig – so etwas habe ich vorher nie gesehen. Das Tier schien im Kopfbereich einem kleinen Drachen zu ähneln – ja, das passt am ehesten zur Körperform, besser zum massiven Kopf«.

Der Vater sah sie erstaunt an. »In meinen Büchern steht, dass ein Phönix kein Fleisch frisst …! Wir sollten uns auf den Weg machen und den mysteriösen Vogel suchen, ehe er weiteres Unheil anrichtet, denn ich glaube, etwas stimmt nicht mit ihm! Vielleicht ist dieses Tier krank und bedarf unserer Hilfe. Der Phönix ist ein heiliges Tier, es wurde seit Anbeginn der Menschheit verehrt.«

Theresas Vater sah grimmig aus dem Fenster in den bewölkten Himmel. Die Sache gefiel ihm so gar nicht. Wenn ein Phönix erschien, war es immer ein gutes Zeichen, doch dieser ... Er wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

Zur Mittagszeit gingen Vater und Tochter zur Lichtung. Den Falken hatten sie erneut mitgenommen und ließen ihn frei fliegen, damit der ominöse Vogel

vom Morgen erneut aufmerksam wurde. Sie suchten mit den Augen den Himmel, die Baumwipfel und Klippenränder ab. Doch es zeigte sich kein weiterer gefiederter Jäger. Mutlos gingen sie heim.

Am Waldrand, nahe dem Dorf, in dem sie lebten, war das andere Tier gesehen worden. Aufgeregt kam die Frau vom Fischer Wilm zu ihnen. »Wir haben den großen, bunt schillernden Vogel am Morgen gesehen, er ist im Wald, nördlich der Birkenlichtung! Die Männer meinen, wir sollten ihm den Garaus machen, damit er nicht noch die Fische aus dem See holt, nachdem er sich bereits Gänse und Hühner geschnappt hat!«

Ärger schwang in ihrer Stimme mit. »Beruhige dich, Anna. Du sagst zur Mittagszeit?«, fragte er sicherheitshalber nach.

»Theresa hat ebenfalls einen Vogel an den Felsen gesehen, als sie mit dem Falken unterwegs war. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass er an zwei Stellen gleichzeitig gewesen sein soll. Es gibt für mich nur eine Erklärung – es sind zwei Vögel der gleichen Gattung!«

»Das ist ja noch schlimmer«, jammerte Anna.

»Was willst du dagegen tun?«, fragte sie ungeduldig.

»Ich weiß es noch nicht, doch wir sollten die Tiere lebend fangen, es sind vermutlich harmlose Tiere, die man auch Benu nennt!«

Anna schüttelte sprachlos den Kopf. Sie wusste nicht, was ein Benu war, doch sie lief schnurstracks vor Aufregung mit den Armen gestikulierend zurück in ihr Haus, um die Neuigkeiten weiterzuerzählen.

»Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Die Leute sind missmutig und übellaunig, da ihnen die Haustiere und Nahrung genommen wurden. Wir werden Netze spannen und versuchen, beide Vögel lebend einzufangen!«, erklärte der Vater.

»Warum hast du Anna nicht gesagt, dass es Phönixe sind, sondern einen anderen Namen genannt?«

»Sie würden sofort alles stehen und liegen lassen, um Jagd auf die Wesen zu machen, damit sie ihre bunten Federn verkaufen können oder hoffen, dass sie ihnen Wünsche erfüllen!«

»Was werden wir mit den beiden machen?«

»Der Phönix besitzt viele magische Eigenschaften, und nur die Wenigsten wissen davon. Eine, so erzählt man sich, ist die, dass er sprechen kann wie ein Mensch. Wenn er ein Geheimnis hütet, wird er versuchen, es zu lüften, denn dafür kehrte er auf die Welt zurück, und wenn wir mutig sind und ein wenig Glück haben, können wir dabei helfen.«

Verstehend nickte Theresa. Am gleichen Abend machten sie sich daran, feinmaschige Netze über das Hühnergehege und die Obstbäume zu legen. Die ganze Nacht knoteten sie aus dünnem Garn weitere Netze. Kurz vor Anbruch des Tages fielen sie in einen leichten Schlaf.

Das Gaggern der Hühner und Schnattern einiger Gänse riss sie aus dem Schlaf. Der Tag dämmerte gerade erst herauf, ein schmaler, heller Streifen zeichnete sich am Horizont ab. Noch war alles still im Dorf. Jedoch irgendetwas oder irgendjemand hatte die Gänse alarmiert.

Theresa nahm die Schrotflinte, die ihr Vater für die Jagd benutzte mit hinaus. Am Hühnergehege blieb sie stehen und lauschte sicherheitshalber. Als sie um die Ecke ging, stand ein großer, prächtiger Vogel an der Türe zum Stall. Theresa war erschrocken und gleichzeitig fasziniert von der Schönheit und Ausstrahlung dieses seltenen Vogels. Er wirkte wie ein kostbares Juwel, schön und schützenswert.

Schnell fing sie sich und erinnerte sich an die Geschehnisse. Der Vogel hatte sie ruhig angesehen und blieb regungslos stehen, als hinge sein Handeln von ihren weiteren Reaktionen ab. So standen sie sich gegenüber, Auge in Auge, und der Vogel senkte den Kopf, ehe er mit seiner kehligen Stimme zu reden begann.

»Wie ich sehe, wisst Ihr, wer oder was ich bin! Doch ich war es nicht, der Euch das Fleisch aus der Hand riss – es war mein Zwilling – der, den es niemals hätte geben dürfen. Ich sah ihn, als ich am Waldrand nach ihm suchte. Doch geschehen ist geschehen, wir können es nicht rückgängig machen. Meine Mission war einfach, doch noch habe ich nicht versagt.«

»Wovon sprecht Ihr? Was müsst Ihr tun? Ich weiß, dass Euer Erscheinen mit einer Aufgabe verbunden ist.«

»Gebt mir bis zum Anbruch der Nacht Unterschlupf in Eurem Stall und geht mit dem Falken zur Klippe. Mein Bruder wird sich dort zeigen. Sprecht mit ihm, dass er Euch helfen muss! Die Klippenspitze wird in wenigen Tagen am Waldrand, wo Euer Dorf beginnt, wegrutschen und alles hinunterziehen. Das Gestein ist mit Lavaresten vermengt. Wenn er damit in Berührung kommt, geht er in Flammen auf. Sagt ihm, dass er es aufhalten soll, indem er am Waldrand die Klippe mit den Krallen aufreißt, versprecht ihm im Gegenzug dafür eine Fleischration, wie der Falke sie normalerweise erhält!«

»Aber wozu soll das gut sein – wir werden alles verlieren, die Häuser, den Wald, vielleicht auch unser Leben!«

Theresa versuchte zu verstehen, doch sie entdeckte keine Weisheit in seinen Worten.

»Wenn er mit den Krallen den Boden und die Kalkwand aufreißt, bleibt das Dorf verschont, nur der bewaldete Teil stürzt hinunter, und er stößt auch hier auf den Lavastein. Wir werden aus Feuer geboren, doch es vernichtet uns auch.«

»Und was wird aus Euch? – Wie sieht Eure Aufgabe aus?«, fragte Theresa aufgewühlt

weit von meinem Kurs abgebracht. Dort, wo Eis und Schnee sind, weit oben im Norden, im Land der Geysire, werde ich gebraucht.«

Theresas Vater war hinzugekommen. Er hatte einen großen Teil des Gespräches mitbekommen.

Rasch öffnete einen kleinen Verschlag am Stall und schickte den Vogel hinein.

»Er tut gut daran, sich zu verstecken, die Dorfbewohner werden Jagd auf beide machen, und hier wird ihn hoffentlich niemand vermuten.«

Theresa bereitete rasch ein Frühstück zu und packte danach ihren Rucksack. Der Vater versorgte Hühner und Gänse, dabei vergaß er auch den Phönix nicht und stellte ihm eine Schüssel mit Getreidekörnern bereit. Das wunderschöne Tier bedankte sich erfreut über die Fürsorge und wünschte ihnen Glück für das Vorhaben.

Vater und Tochter machten sich mit ihrem Falken auf den Weg. An den Klippenrand angekommen, ließen sie den Falken fliegen und belohnten ihn wie üblich mit Fleischstückchen. Es dauerte nicht lange, und der Zwillingsphönix erschien. Er wollte sich das Fleisch aus der Hand des Falkners holen, als dieser blitzschnell den Arm sinken ließ. Der Vogel war bereits sehr tief geflogen, doch durch den sich senkenden Arm flog er noch tiefer, als er mit seinen großen Schwingen abfangen konnte. Doch er hatte sich offenbar nur auf das Fleischstück konzentriert, welches er unbedingt haben wollte. Er trudelte und landete wenig graziös. »Was denkt Ihr Euch, Falkner«, krächzte der Phönix erbost. »Es geht um einen Vorschlag, den ich Euch unterbreiten möchte«, antwortete ihm Theresas Vater. Das große Tier breitete angriffslustig seine Flügel aus, was ihn furchteinflößender aussehen ließ, und machte einige Schritte auf sie zu.

»Was solltet Ihr mir anzubieten haben?«

Der Falke war zwischenzeitlich auf Theresas Arm gelandet und saß dort abwartend, was geschehen würde.

»Unser Dorf ist in Gefahr – in wenigen Tagen wird die Klippe mit dem Wald und vermutlich unserem gesamten Ort abrutschen. Euer Zwilling erzählte mir ehe er weiterflog, dass Ihr mehr Kraft habt, da Ihr Fleisch verzehrt. Wenn Ihr mit Euren scharfen Krallen den Boden und die Kalkwand aufreißen würdet, bliebe unser Dorf verschont. Im Gegenzug würden wir Euch mit

Fleisch versorgen, damit Ihr nicht unsere Enten, Gänse oder Hühner wegfangen müsstet. Was sagt Ihr zu dem Angebot?«

»So, mein Zwillingsbruder ist weitergeflogen …? Mmm, so viel Fleisch, wie ich benötige, um satt zu werden?«, fragte er dann lauernd.

»Gebt Ihr mir auch etwas anderes, wenn ich es fordere?«

»So viel, um satt zu werden, und alles andere, was ich Euch geben kann, darauf gebe ich mein Wort!«

»Als Pfand behalte ich Eure Tochter hier«, bestimmte der Vogel argwöhnisch. »Aber dieser Teil der Klippe wird hinunterstürzen, sie wird sterben!«, rief der Falkner verzweifelt.

»Das ist meine Bedingung!«, erwiderte das Tier hart.

Der Falkner schaute zu seiner Tochter. In ihren Augen sah er die Angst, doch er hatte sein Wort gegeben, ihm alles andere zu geben, was der Phönix einfordern würde. Er hatte nicht mit der tiefen Boshaftigkeit dieses Tieres gerechnet.

Theresa ging mit dem Falken auf dem Arm zu ihren Vater.

»Warum haben wir uns nur darauf eingelassen, Vater …?«

Verzweifelt sah sie ihn an.

»Es ist noch nicht zu spät. Schick den Falken los, er wird zurückfliegen, und sein Ruf wird den wahren Phönix verständigen«, raunte er ihr zu, während er beschützend den Arm um sie legte. Theresa sah ihren Vater fragend an.

»Was ist, geht auf meine Bedingung ein, oder lasst es!«, krächzte der Vogel ungehalten.

»Wir haben eine Übereinkunft und Ihr mein Wort«, antwortete der Falkner besonnen.

Laut an seine Tochter gewandt sagte er: »Frag, ob du deinen Falken ein letztes Mal fliegen sehen darfst – es ist der Wunsch meiner Tochter, ehe sie Eurem Wunsch nachkommt«, fügte er erklärend hinzu.

»Meinetwegen, lasst ihn frei, ihr habt mehr zu verlieren als ihn!« Theresa sagte ihrem Falken leise: »Flieg heim und schreie so laut du kannst!«

Der kluge Falke sah sie an, und sie hob ihren Arm. Er gewann rasch an Höhe, war fast über dem Dorf, als sie ihm immer noch nachblickte. Eine große Ruhe breitete sich ihn ihr aus. Sie ging zurück zum Vater, um sich von ihm zu verabschieden. Sie fühlte sich wie eine Jungfrau, die wie im Märchen einem Drachen zum Fraß vorgeworfen würde. Aber sie verspürte keine Angst.

Nun stand sie allein auf der Klippe, betete und hoffte, dass der andere Phönix es rechtzeitig schaffen würde … Aber, was sollte er schaffen? Seinen Bruder zu vernichten oder sie retten? Vielleicht war der Plan aberwitzig und aussichtslos, dennoch: Die Hoffnung blieb.

Der Falke hatte sofort über dem Haus seinen Ruf ausgestoßen. Immer wieder ertönte sein Ruf. Der Phönix, der im Stall saß, erkannte den Ruf des Falken. Er lauschte einen Augenblick. Der Falke wirkte aufgeregt, zudem waren keine Geräusche von den Menschen zu hören. Mit einem gewaltigen Sprung durchbrach der Phönix die Holztür. Er schwang sich in die Luft, wobei der Falke ihm den Weg wies.

Die Klippe erbebte bereits durch die massive Kraft, und Theresa zitterte nun doch vor Angst, als sie den Schrei ihres Falken über sich vernahm. Der riesige Schatten über ihrem Kopf konnte nur bedeuten, der wahre Phönix war da. Sie schaute zum Himmel und erblickte die ausgestreckten Krallen des Tieres, welche sie packten und aufhoben. Sie segelten noch durch die Luft, als die Klippe brüchig wurde. Sanft wurde Theresa am Waldrand neben ihren Vater abgesetzt. In diesem Augenblick hörten sie ein Grollen wie von einem Donnerschlag, die Erde unter ihnen bebte. Die Klippe und der dazugehörende Wald brachen ab. Der bösartige Phönix wurde mitgerissen. Braune und weiße Gesteinsbrocken landeten auf seinem Gefieder, doch dieser konnte sich nicht mehr retten und aufschwingen.

Lavagestein versengte sein Federkleid, dabei ging er in Flammen auf, so als sei seine Zeit erneut gekommen. Der wahre Phönix flog rasch über die Stelle, wo die Asche lag und schnappte im Flug mit dem Schnabel nach den verkohlten Resten. Diese schluckte er hinunter, dann kehrte er zum Falkner und seiner Tochter zurück.

»Es ist vollbracht! Es wird keine Wiedergeburt durch die Flammen geben!«

»Wir danken Euch von ganzem Herzen«, sagte der Falkner gerührt dabei drückte er seine Tochter an sich.

»Wäre uns Eure Hilfe nicht zuteil geworden …« Er ließ den Satz unvollendet.

»Nun, so haben wir einander geholfen«, raunte der Phönix dankbar.

»Doch es ist an der Zeit, mein wahres Ziel zu erreichen.«

Theresa nickte und fragte mit Bedacht : »Habt Ihr eigentlich einen Namen?«

»Ja, einen sehr alten. Vivere – Leben!«

»Aus diesem Grund musstet Ihr mein Leben retten. Werden wir einander wiedersehen?«

»Ich sagte ja, dort wo Eis und Schnee sind, weit oben im Norden, im Land der Geysire werde ich gebraucht, um dann vielleicht nie mehr zurückzukehren.

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