Читать книгу Wenn alles doof ist, hilft nur noch Schokolade? - Dr. Catherine Senécal - Страница 6

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Die Hassliebe zum Essen

Heute sind Sie eisern: zum Frühstück einen Joghurt mit Obst, mittags einen Salat … Doch dann ist Büroschluss! Sie haben Lust, etwas zu essen, und kämpfen gegen den Wunsch an, auf dem Heimweg im Supermarkt anzuhalten. Schließlich schaffen Sie es nach Hause, indem Sie sich sagen, dass Sie durchhalten müssen … Aber sobald Sie Ihre Küche betreten, können Sie nicht mehr. Sie greifen zum Knabbergebäck, dann zum Käse und immer so weiter! Was für eine Enttäuschung … Aber morgen reißen Sie sich wieder am Riemen, Sie fangen wieder bei null an …

Ein ständiges Ringen

Vielleicht sind Sie aber auch der Typ, der ganz normal mit den Kindern und dem Partner isst, doch wenn der Abend voranschreitet und sich Ruhe einstellt, verspüren Sie Gelüste, Sie können an nichts anderes denken, das Verlangen wird stärker und stärker – nach Schokolade oder Chips zum Beispiel. Sie wissen, dass das für Ihr Gewicht oder Ihre Gesundheit nicht gut ist, aber trotzdem ist das Verlangen da …

Kommen Ihnen diese Beispiele bekannt vor? Erkennen Sie sich darin wieder? Dann sollten Sie wissen, dass es nicht nur Ihnen so geht, auch andere haben diese Hassliebe zum Essen, die ihre Gedanken vereinnahmt und ihre Lebensqualität erheblich belastet. Es ist wahrlich nicht leicht, eine gesunde Einstellung zu Lebensmitteln zu haben, wenn diese häufig als gut oder schlecht dargestellt werden, wenn Diäten beliebter denn je sind und Schlanksein so hoch im Kurs steht wie in unserer Gesellschaft! Und doch reicht es häufig, einige Regeln zu beachten, um seine Einstellung zur Ernährung zu verbessern und wieder ganz unbeschwert und ohne Schuldgefühle essen zu können!

Reicht das Problem tiefer und eine Essstörung wird diagnostiziert, dann ist der Weg ein längerer, und man sollte sich einen Experten oder eine Selbsthilfegruppe suchen. Auf dieses Thema kommen wir später noch zurück.

Lassen Sie uns zuerst das Problem einkreisen

Wer stolpert nicht hin und wieder über eine Tüte Chips oder eine Packung Kekse? Ist das ein Zeichen für eine Essstörung? Nicht unbedingt, denn mehr zu essen, als man eigentlich will, passiert uns allen. Doch wenn es regelmäßig zu Kontrollverlusten kommt, und zwar im Zusammenhang mit bestimmten Gefühlen und zum Schaden unserer körperlichen und geistigen Gesundheit, dann brauchen wir Hilfe.

Ein typisches Beispiel …

Manon hat in ihrem Leben mehrere Diäten gemacht. Ihr Gewicht schwankt regelmäßig über eine Spanne von rund 15 Kilogramm. So ziemlich jede Art Diät war dabei: Proteine in Pulverform, Abführmittel, Trennkost, Kohlsuppe, Weintraubenkur etc. Doch nie schafft sie es, ihr Gewicht zu halten. Als hochempfindsamer und diskreter Mensch will Manon weder ihre Familie noch ihren Vorgesetzten enttäuschen. Sie war immer für andere da, und im Alter von fünfundvierzig möchte sie nun ein bisschen mehr an sich denken und auf ihre Gesundheit achten. Sie tritt an uns heran, weil sie wieder lernen möchte, gesund zu essen und vor allem mit ihren Gefühlen klarzukommen, da sie mehrere Male in der Woche die Kontrolle verliert. Essen hat ja etwas so Tröstliches nach einem harten Tag …

Manons Fall ist kein Einzelfall, im Gegenteil. Welche Strategien wären wirksam, um ihr Gewicht zu stabilisieren und ihr Essverhalten zu verbessern? Dieses Buch stellt verschiedene Facetten vor, die sowohl Manon als auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, in die richtige Richtung lenken werden!

Heißhungerattacke, was ist das?

Den Begriff Heißhungerattacke werden wir in diesem Buch immer verwenden, um die Momente des Kontrollverlusts zu umschreiben, in denen man ohne wirklichen Hunger isst, und zwar mehr, als man wollte, und manchmal auch mit Schuldgefühlen. Diese Kontrollverluste können gelegentlich oder häufig auftreten.


Welche Arten von Kontrollverlust es gibt

Binge-Eating (Esssucht)

»Wenn ich die Kontrolle verliere, verschlinge ich eine große Tüte Chips und verschiedene Süßigkeiten. Ich bin unfähig aufzuhören und habe ein schlechtes Gewissen. Danach hasse ich meinen Körper.«

Stresskompensation

»Wenn ich gestresst bin, hole ich mir manchmal im Café um die Ecke zwei Gebäckstücke, obwohl ich besser eine Atemübung machen sollte, um mich zu beruhigen. Ich habe deshalb kein schlechtes Gewissen, aber ich mache mir Sorgen um die Auswirkungen auf mein Gewicht und meine Gesundheit. Ich hätte meine Emotionen gern besser im Griff.«

Genussessen*

»Bei einem Festessen esse ich immer mehr, als ich sollte. Das kommt von Zeit zu Zeit bei besonderen Anlässen vor, und wir kochen und essen ja auch gern zusammen.«

* Genussessen zeugt nicht von einem krankhaften Verhältnis zum Essen. Bei einem guten Festmahl zu viel zu essen, kommt oft vor und ist nicht beunruhigend.


Essen alle Menschen bei einer Heißhungerattacke das Gleiche?

Die Anfälle variieren von Mensch zu Mensch. Bei manchen bestehen sie darin, eine ganze Tüte Chips zu vertilgen. Bei anderen folgen auf die Tüte Chips eine Packung Eiscreme und zwei Packungen Kekse. Häufig geht es bei einer Heißhungerattacke um Lebensmittel, die »verboten« sind (zum Beispiel bei Diäten). In der Regel dreht sich ein solcher Anfall um Chips, Schokolade, Nussnougatcreme, Eiscreme, Knusperflocken, Kekse etc. Am ehesten werden bei den Attacken zuckerhaltige und fettreiche Lebensmittel verzehrt.1

Was kann eine Heißhungerattacke auslösen?

Hier eine Auflistung der wichtigsten Faktoren, die erklären können, warum man in bestimmten Momenten einem Heißhungeranfall nachgibt.

1. Negative Gefühle (Wut, Einsamkeit, Langeweile, Angst etc.) und Stress 2

Die Erkenntnis, dass es schwierig ist, mit bestimmten Gefühlen umzugehen, kann dazu verleiten, sie unterdrücken zu wollen, und dabei kann sich Nahrung als hilfreich erweisen. Die Attacken sind manchmal eine willkommene Gelegenheit, sich eine »Auszeit« von solch übermächtigen Gefühlen zu nehmen, die man nicht unter Kontrolle hat. Dieses Ernährungsverhalten wird so zu einer Art Rettungsboje, an die man sich klammert, um in psychischer Hinsicht »überleben« zu können.


Gefühle hinunterschlucken

Der Ausdruck »seine Gefühle hinunterschlucken« wird schon sehr lange verwendet, wenn man von zwanghaftem Verhalten spricht. Das ist nicht erstaunlich, weil bestimmte Gefühle zum Kontrollverlust führen können. Die Nahrung wird zum Trost und beruhigt die Seele, zumindest vorübergehend. In Kapitel 4 wenden wir uns dem Umgang mit solchen Gefühlen zu. Er ist ein Schlüsselfaktor, um die Kontrolle über seine Ernährung wiederzuerlangen.


2. Selbst auferlegte Verbote – man untersagt sich den Verzehr bestimmter Lebensmittel oder den Verzehr ausreichender Mengen.

Diese Story kennen Sie auch, wir alle haben sie tausendmal gehört. Jemand macht eine Diät, verliert Gewicht, nimmt wieder zu und wiegt schließlich mehr als vorher. Die Schuld gibt man sich selbst: »Ich bin schuld, ich bin so eine Naschkatze, einfach unkontrollierbar.«

Die Menschen, die sich an uns wenden, beschreiben sich oft als Naschkatzen, die kein Durchhaltevermögen haben. Dabei würde jeder von uns, der sich ein unrealistisches Ziel setzt – wie 2,5 bis 5 Kilogramm pro Woche abzunehmen oder keines seiner Lieblingsgerichte mehr zu essen – irgendwann schwach werden und sich dann unfähig fühlen.

Sowohl das Verbot, genug zu essen, als auch das Verbot, bestimmte Dinge zu essen, führen zum gleichen Ergebnis.


Aus diesem Grund funktionieren Schnelldiäten auch nicht: Die Verbote lösen Heißhungerattacken aus. Die Funktion der Krisen besteht darin, das »Überleben« des Körpers sicherzustellen, der sich vor der Nahrungsentbehrung »fürchtet«. Da er ignoriert, dass Sie ihm selbst dieses Verbot auferlegen, versucht Ihr Körper, Sie vor der nächsten Hungersnot zu beschützen, und legt sich vorsorglich eine Reserve in Form einiger Zusatzpfunde zu.

Kompensiert man eine Heißhungerattacke durch weitere Beschränkungen, wird der Zwang verstärkt, und der Teufelskreis geht weiter.

RICHTIG oder FALSCH?

Wer wenig isst, nimmt ab.

FALSCH

Im Gegenteil: Bei Menschen, die zu wenig essen, ist der Stoffwechsel deutlich verlangsamt, was einer Gewichtsabnahme abträglich ist.


Verzicht führt dazu, dass man … noch mehr isst!

Wussten Sie, dass Menschen, die sich beim Essen zurückhalten, schlussendlich mehr verzehren als Menschen, die normal essen? 3 Das konnte im Rahmen einer Studie belegt werden.

Für diese Studie waren zwei Gruppen von Teilnehmern ausgewählt worden, angeblich, um an einem Geschmackstest teilzunehmen. Die erste Gruppe bestand aus Probanden, die normal aßen. Die zweite Gruppe dagegen aus Probanden, die regelmäßig Diäten zur Gewichtsabnahme machten. In beiden Gruppen bat man einige der Teilnehmer, einen oder zwei Milchshakes zu trinken, während die anderen Teilnehmer nichts bekamen. Anschließend wurde jeder Teilnehmer aufgefordert, so viel Eiscreme zu essen, wie er wollte.

In der Gruppe, deren Ernährung als normal betrachtet wurde, aßen die Teilnehmer, die mehr Milchshakes getrunken hatten, weniger Eis, denn sie achteten auf ihr Sättigungsgefühl. In der Testgruppe, die regelmäßig Diäten befolgte, aßen die Teilnehmer, die einen Milchshake hatten, mehr Eis als diejenigen, die keinen getrunken hatten. Da sie bereits etwas »Verbotenes« konsumiert hatten, sagten diese Teilnehmer sich: »Der Tag ist sowieso verdorben, dann kann ich auch von dem Eis profitieren, wenn ich schon dabei bin …«

Finden auch Sie, dass Ihr Tag missraten ist, wenn Sie bei einem weniger gesunden Nahrungsmittel schwach werden?


Bei Diäten geht es um Gut und Böse, um Verbote, die dazu führen, dass man mehr isst, sobald die Ernährungsregeln gebrochen werden. Anders ist es bei Menschen, die keine Vorgaben haben und ihren Hunger als Richtlinie für die Ernährung verwenden. Dieses Phänomen sehen wir oft bei unseren Patienten: »Alles oder nichts«! Sobald ein Nahrungsmittel, das als weniger gesund erachtet wird, in den Mund eines Patienten kommt, der an einer Essstörung leidet oder eine ungesunde Beziehung zum Essen hat, ist der Tag verdorben und gerät außer Kontrolle.

Sie erliegen zum Beispiel einem Schokoladencroissant, das Ihnen bei einem Morgenmeeting im Büro angeboten wird, und sagen sich dann: »Der Tag ist gelaufen! Wenn ich schon mal dabei bin, kann ich auch gleich weiter schlemmen und ab morgen wieder vernünftig essen!« Und wenn es ein Donnerstag ist, kann man genauso gut den Montag abwarten, das ist ein besserer Tag, um mit einer Diät zu beginnen, stimmt’s?

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, kommt es also darauf an, Maß zu halten, möglichst kein Lebensmittel auszuschließen und vor allem umzudenken, damit man nicht wieder in Schuldgefühle verfällt, die mit dem Verzehr eines Nahrungsmittels oder einer Mahlzeit verbunden sind, welche man für ungeeignet hält. Darauf werden wir im Lauf der nächsten Kapitel noch zu sprechen kommen.

3. Sich dick oder aufgebläht fühlen, denn dann hat man vielleicht den Eindruck zu versagen oder sabotiert zu werden, oder es fällt schwerer, auf sich selbst achtzugeben.

Es gibt Menschen, die sich jeden Tag wiegen und der Waage die Entscheidung über ihre Laune überlassen. Auch das ist ein gutes Beispiel für die Philosophie des »Alles oder Nichts«, die wir bereits erwähnt haben. Demzufolge ist der Tag gut, wenn die Waage weniger anzeigt, denn dann hat man es geschafft. Zeigt die Waage am nächsten Tag aber wieder mehr an, ist das ein Misserfolg, der Tag ist gelaufen, man fühlt sich schlecht und willensschwach. Diese Art Logik gesteht einer einfachen Zahl ganz schön viel Macht zu, finden Sie nicht auch?

Man sollte aber wissen, dass mehrere Faktoren Einfluss auf diese Zahl haben können. Wenn man sich jeden Tag wiegt, kann man häufig große Unterschiede feststellen, obwohl es physiologisch gesehen unmöglich ist, an einem Tag 1,5 Kilogramm ab- oder zuzunehmen! Um 0,5 Kilogramm zuzulegen, muss man ein Plus an 3500 Kalorien zu sich nehmen. Ja, Sie müssten an einem Tag 10 500 Kalorien verdrücken für 1,5 Kilogramm mehr Gewicht. Unmöglich, oder? Was wir messen, wenn wir uns regelmäßig wiegen, ist einfach die Menge an zurückgehaltenem Wasser. Haben wir salzig gegessen? Haben wir Sport gemacht? Viele Ballaststoffe gegessen? Auch hormonelle Schwankungen können diese täglichen Gewichtsänderungen erklären, die nichts mit einer Zunahme des Fettgewebes zu tun haben.

Hier eine Grafik zur Gewichtsentwicklung einer Person, deren Ernährung normal ist.

Grafik zur Gewichtsentwicklung in einem Zeitraum von sechs Wochen


Anhand der Grafik sieht man, dass das Gewicht der Person zwischen 81,5 Kilogramm und 83,5 Kilogramm schwankt. Man kann sich leicht vorstellen, wie beunruhigt diese Person wäre, wenn sie sich an den Tagen mit dem höchsten Gewicht wiegen würde.

Das Gewicht steigt und fällt jede Woche ein bisschen – wie eine kleine Welle. Wichtig ist, die Zahlen mit etwas Abstand zu betrachten. Dann erkennt man, dass die Wellenbewegungen immer die gleichen sind, unabhängig von den äußeren Faktoren.


Normalgewicht und Idealgewicht

Häufig ist vom Idealgewicht die Rede, einer Norm, die es aus Gesundheitsgründen zu erreichen gilt. Vom natürlichen Gewicht ist seltener die Rede. Das Normalgewicht, auch »set point«4 genannt, basiert auf einer Theorie, der zufolge jeder Mensch ein genetisch bedingtes Gewicht hat. Vergleichbar einem Korken, der auf der Wasseroberfläche schwimmt, legt der Körper das Gewicht fest, bei dem er sich in Homöostase (= physiologisches Gleichgewicht) befindet und das ihm erlaubt, alle Körperfunktionen so effektiv wie möglich aufrechtzuerhalten. Somit entscheidet unser genetisches Erbe darüber, wie hoch dieses Gewicht ist. Waren unsere Eltern zeitlebens übergewichtig, ist es sehr wahrscheinlich, dass unser Normalgewicht über dem Idealgewicht liegt. Haben unsere Eltern hingegen ein niedrigeres Normalgewicht, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch das eigene Normalgewicht niedriger ist.

Die einzige Möglichkeit zur Erhöhung des Normalgewichts besteht darin, sich phasenweise zum Diäthalten zu zwingen, dem dann wieder eine Gewichtszunahme folgt. Als Reaktion auf die Nahrungsbeschränkung beschützt der Körper seine Reserven und löst im Gehirn Signale aus, um an fette und gezuckerte Nahrung zu gelangen, weil er schnellstmöglich sein »Überleben« sichern will.


Außerdem muss man zwischen einem »Voll sein« und einer Gewichtszunahme unterscheiden. Essen Sie zum Beispiel abends einen großen Teller Nudeln, wird jedes Gramm Kohlenhydrate mit drei Gramm Wasser in Ihren Körperreserven zwischengespeichert, was die Anzeige auf der Waage kurzzeitig nach oben schnellen lässt. Aber heißt das auch, dass Sie zugenommen haben?

Wenn man dieser Logik folgt, würde es auch bedeuten, dass man schlanker wäre, wenn man Stuhlgang hatte, und die Anzeige der Waage fällt, oder? Das ist natürlich nicht einleuchtend, denn voll zu sein bedeutet nicht, dass man auch dicker ist. Das äußert sich nicht in einer automatischen Gewichtszunahme, denn es handelt sich um eine Wahrnehmung, um ein Gefühl. Die Anzeige auf der Waage sollte also keineswegs über unsere Laune entscheiden. Das Gewicht unterliegt nun einmal natürlichen Schwankungen.

RICHTIG oder FALSCH?

Es ist gut, sich jeden Tag zu wiegen.

FALSCH

Tägliches oder auch wöchentliches Wiegen verstärkt nur die zwanghafte Einstellung gegenüber dem Körper und dem Essen. Es reicht, sich einmal im Monat zu wiegen. Idealerweise gestattet man sich dabei eine Schwankung von 2 Kilogramm. Übersteigt das Gewicht die Obergrenze, nimmt man einige kleine Änderungen vor, zum Beispiel etwas kleinere Essensportionen oder etwas mehr Bewegung.

Das Wiegen ist nur auf lange Sicht ein sinnvolles Hilfsmittel. Sich einmal im Monat zu wiegen reicht völlig aus, um eine echte Gewichtsveränderung zu erkennen. Man kann die Waage sogar ganz verbannen, wenn sie zu viel Druck ausübt! Eine weitere gute Idee ist es, sich nur in Gegenwart eines Experten zu wiegen (Ernährungsberater, Psychologe, Kinesiologe). Der Experte kann die Zahl auf der Waage deuten und Ihnen helfen, die vom Ergebnis ausgelösten Emotionen zu bewältigen.

Binge–Eating: Wenn Heißhungerattacken das Leben bestimmen

Statt einfach immer zu viel zu essen, erleben Menschen, die an einer Binge-Eating-Störung leiden, phasenweise Heißhungerattacken, bei denen sie in kürzester Zeit große Mengen an Nahrung zu sich nehmen. Von diesem Leiden Betroffene erleben während solcher Anfälle einen Kontrollverlust und im Anschluss starke Schuldgefühle und Scham. Ein Teufelskreis entsteht. Je hilfloser sie angesichts dieser Krisen sind, desto häufiger kommt es anscheinend zu diesem zwanghaften Verhalten. Da sie nicht durch ungeeignete Maßnahmen gegensteuern (Erbrechen, Abführmittel etc.), wie es Menschen mit Bulimie tun, sind viele von ihnen übergewichtig oder adipös.

Menschen mit einer Binge-Eating-Störung sind in der Regel sehr unglücklich. Dennoch ist diese Störung noch wenig bekannt. Auch die Bezeichnung »zwanghafter Esser« oder »Überesser« (abgeleitet vom englischen overeater) wird inzwischen häufiger verwendet. Aufgrund des täglichen Kampfes gegen den einen Bissen zu viel, der die nächste Heißhungerattacke auslöst, leben die Überesser in tiefer Verzweiflung. Jede Mahlzeit, jeder Happen zwischendurch ist eine Herausforderung für die Selbstkontrolle und die Berücksichtigung der eigenen Hungersignale. Die unvermeidlichen Schuldgefühle, die jedem Kontrollverlust folgen, sind zerstörerisch. Verachtung, Furcht und Scham führen zu seelischer Not.

Zwanghafte Esser fokussieren sich ganz auf ihren Körper, der – deformiert durch die zahlreichen Misshandlungen – das ohnehin schwache Selbstwertgefühl nur noch mehr schwächt. Die vielen drastischen Diäten verstärken das zwanghafte Verhalten. Das führt zu immer neuen Niederlagen, einem Jo-Jo-Effekt in Bezug auf das Gewicht und zu selbstzerstörerischen Schuldgefühlen.


Wissenswertes zur Binge–Eating–Störung

Im Gegensatz zur Bulimie, von der viel mehr Frauen als Männer betroffen sind, sind etwa 40 Prozent der Binge-Eater männlichen Geschlechts (der Unterschied zwischen Bulimie und Binge-Eating-Störung wird in Anhang 1, → Seite 205 ff., erklärt). Obwohl es keine genaue Statistik gibt, schätzt man, das rund neun Prozent der Bevölkerung von dieser Störung betroffen sind, während die Bulimie nur ein bis zwei Prozent der Menschen trifft.

Binge-Eating:

tritt bei Menschen aller Ethnien auf,

tritt verstärkt bei Menschen auf, die versuchen abzunehmen,

tritt bei Menschen auf, die im Durchschnitt zwischen vierzig und fünfzig sind.

Es gibt weitere Störungen des Essverhaltens (Magersucht, Bulimie, nächtlicher Heißhunger etc.), die im Anhang 1, → Seite 205 ff., erläutert werden.


Habe ich ein problematisches Essverhalten?

Trotz der beschriebenen Elemente ist es möglich, dass Sie noch immer unsicher sind in Bezug auf Ihr eigenes Essverhalten.

Dieser Fragebogen5 zur Früherkennung wird Ihnen weiterhelfen!

JaNein
1.Haben Sie das Gefühl, beim Essen keine Kontrolle zu haben?
2.Denken Sie ständig ans Essen?
3.Essen Sie, auch wenn Sie nicht hungrig sind?
4.Verstecken oder horten Sie Essen?
5.Essen Sie heimlich?
6.Essen Sie, bis Ihnen schlecht wird?
7.Essen Sie, wenn Sie unter Stress stehen, sich Sorgen machen oder Trost suchen?
8.Sind Sie nach dem Essen angeekelt, beschämt oder deprimiert?
9.Fühlen Sie sich machtlos, weil Sie nicht aufhören können zu essen, obwohl Sie es wollen?
10.Sind Sie ständig unzufrieden, egal wie viel Sie essen?
11.Haben Sie öfter als ein Mal in der Woche eine Heißhungerattacke?
12.Sind Sie übergewichtig oder adipös?

Auswertung

Eine bis drei bejahende Antworten ➨ Es ist ratsam, die eigene Ernährung im Lauf der nächsten Monate zu überwachen und einen Termin bei einem Ernährungsberater ins Auge zu fassen. Ihr Essverhalten könnte manchmal konfliktreich sein.

Vier oder mehr bejahende Antworten ➨ Es ist ratsam, einen Spezialisten aufzusuchen, um mit ihm über die riskanten Verhaltensweisen zu sprechen. Von Vorteil könnte auch sein, sich mit einem nahestehenden Freund oder einem Familienmitglied zu beraten.

Sechs oder mehr bejahende Antworten ➨ Es ist ratsam, einen Spezialisten zu konsultieren, um abzuklären, ob Sie an einer Binge-Eating-Störung leiden, wie die Antworten auf diesen Fragebogen andeuten.

Stellt sich heraus, dass es sinnvoll wäre, sich an einen Spezialisten zu wenden, und sei es auch nur vorsorglich, so sollte man diesem die Ergebnisse des Fragebogens vorlegen. Das zeigt ein gutes Verständnis Ihrerseits und wird Ihnen helfen, weitere Fragen von Ärzten, Ernährungsberatern oder Psychologen zu beantworten. Wenn Sie sehr unter den häufigen Heißhungerattacken leiden oder meinen, vielleicht von einer Binge-Eating-Störung betroffen zu sein, wird der zweite Teil des Buches Ihnen sehr nützlich dabei sein, Ihr weiteres Vorgehen zu planen. Wenn Sie das sofort angehen möchten, sehen Sie in Kapitel 8 (ab Seite 169 ff.) nach.

In jedem Fall werden die Empfehlungen und Übungen in diesem Buch Ihnen helfen, wieder etwas für Ihre Gesundheit zu tun. Im Lauf der Kapitel werden Sie nicht nur lernen, Ernährungsstrategien zu entwickeln, um Ihren Appetit und Ihre Gelüste besser zu kontrollieren, sondern Sie werden auch kognitive Strategien entwickeln, um Ihr Essverhalten zu überdenken und Ihre Gefühle besser in den Griff zu bekommen.


Um von meinen Mitmenschen geliebt und bewundert zu werden, habe ich meine Persönlichkeit darauf ausgerichtet, was sie von mir erwarteten. Statt den wahren Sinn meines Wesens zu erkunden, indem ich auf meine innere Stimme hörte, die in mir aufschrie, erstickte ich sie mit immer mehr Nahrung. Ich spreche bewusst von einem Überschuss an Nahrung und nicht nur von den normalen Mahlzeiten. Und trotz meiner Bemühungen, mich zu zügeln, gab es immer wieder Witzbolde, die mir sagten: »Na hör mal, Ginette, man muss doch anständig essen!«

Man darf nicht vergessen, dass Gewohnheiten hartnäckig sind: Es ist schwer, sie abzuschütteln. Es wird immer leichter sein, auf ausgetretenen Pfaden zu bleiben, statt ins Unbekannte aufzubrechen. Das gibt einem ein Gefühl der Sicherheit, statt einem Angst zu machen. Ich habe festgestellt, dass in meinem Leben etwas nicht normal ist, etwas, das mich fertig macht, das mir nicht aus dem Sinn geht und das eindeutig stärker ist als ich: fressen … Fressanfälle!

Mein ganzes Leben habe ich mir gesagt, dass meine überschüssigen Pfunde allein meinem Glück im Weg stehen, und wenn ich sie verliere, kann ich mich den Menschen leichter annähern. Ich habe den Eindruck, dass ich in Gefühlsdingen nicht so abhängig gewesen wäre, ich hätte nicht so viele Schuldgefühle und weniger Angst gehabt, ich wäre nicht so schüchtern gewesen, nicht so kritisch, und ich wäre auch nicht so verbittert. Ich wäre längst nicht so eifersüchtig und besitzergreifend gewesen. Ich habe auch den Eindruck, dass man unehrlich ist, wenn man dick ist.

Es ist, als vergäße ich all die vielen Male, die ich versucht habe abzunehmen, all die Möglichkeiten, die ich ausprobiert habe, und Sie dürfen mir glauben, es waren viele: mithilfe eines Heilpraktikers, im Krankenhaus bei einer Schlafkur, mit Hypnose, mit einem Sexologen, einem Psychologen, mit Psychoanalyse, Amphetaminen, Diuretika, mit Diäten nach Dr. Colpron, Atkins oder Martineau, mit Spritzen, mit exzessiven Fitnessprogrammen. Ich habe auch Kalorien und Kohlenhydrate gezählt, ich habe Nahrungsergänzungsmittel genommen, Vitamine etc. Wie kann es sein, dass ich mir all diese Programme angetan habe? Und dann, eines Tages, hatte ich einen perfekten Körper: 36 – 26 – 36 (in Zoll) … Oh, wie schön ich war! Aber nichts hatte sich verändert, außer meinem Körper. Innerlich war ich noch genauso unglücklich. Und jedes Mal kamen die Pfunde genauso schnell wieder, wie sie verschwunden waren. Warum nur … warum?

Noch heute gibt es Männer und Frauen, die sich daran erinnern, wie schön ich war, und die mir das mit einer Liebenswürdigkeit sagen, die mich jedes Mal schier umbringt. »Sie waren doch so schön, Madame Reno, was ist denn passiert?« Einige Männer gestanden mir, dass sie mich damals begehrten. Was ist nur mit mir geschehen? Das ist alles andere als lustig. Die Angst vor dem Erfolg, die Angst davor, dass die Leute entdecken, wer ich wirklich bin, denn im Grunde war ich ein Nichts, und trotzdem beneideten die Menschen mich … Um all dieses Leid zu kaschieren, trug ich eine Maske, ich hatte dauernd Angst davor, mein Leben zu leben und irgendwann allein dazustehen, ohne jemanden an meiner Seite.

Auf so selbstzerstörerische Weise zu essen ist genauso schlimm wie Alkohol– oder Drogenmissbrauch. Ich weiß jetzt, dass es sich um eine ernsthafte Erkrankung handelt, und ich weiß, dass man jeden Tag davon loskommen kann, aber nicht allein!

Ginette Reno

Trägerin des kanadischen Verdienstordens

Trägerin des Ordens von Québec

Trägerin des Ordens der Künste und der Literatur, Frankreich


Kurze Zusammenfassung

Verschiedene Faktoren haben Einfluss auf unser Essverhalten. Von Zeit zu Zeit die Kontrolle zu verlieren und weiterzuessen, obwohl man eigentlich satt ist, ist nicht alarmierend. Das passiert jedem von uns!

Wenn der Kontrollverlust sich Woche für Woche wiederholt oder wir uns Sorgen machen um unsere Ernährung, ist es wichtig, dass wir uns um uns selbst kümmern und Hilfe suchen.

Wenn man Schwierigkeiten hat, mit heftigen Gefühlen umzugehen, sich Ernährungsverbote auferlegt oder seinem Gewicht zu viel Bedeutung beimisst, kann das zu Heißhungerattacken führen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass unser Gewicht in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren variiert.

Wenn man sich mit etwas Abstand und ohne Vorurteile betrachtet, erkennt man die Dynamik, die hinter der Beziehung zum Essen und zu unserem Körper steckt.

Wenn alles doof ist, hilft nur noch Schokolade?

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