Читать книгу Läuft - Dr. Christian Ramke - Страница 4
1. Technik und Sie
ОглавлениеHaben Sie mit Technik zu tun? Wem nein als Antwort in den Kopf schiesst, der möge jetzt dringend seine Wahrnehmung prüfen (lassen), vielleicht einfach mit 'ner App. Hab' ich auch gemacht, grosses Fertiggerichtesserehrenwort. Klar haben Sie, denn wahrscheinlich besitzen Sie z.B. Auto, Fön oder Kaffeevollautomat oder kennen jemanden mit Auto, Fön oder Kaffeevollautomat.4 Sicher, das ist nicht High-Tech aber eben Technik, die Sie und Ihre Herde schon jahrelang nutzen. Soweit zu den Grundlagen. Wer sein Auto schon mal verlieh' und als Schrotthaufen zurückbekam, Suppe mit einem Fön erhitzt und Zwiebeln mit seinem Kaffeevollautomat gewürfelt hat, weiss was Technik im Alltag für uns alle leistet.5 Und es geht weit darüber hinaus.
Sicher ist Ihnen der Begriff Smart-Home bekannt. Einschlägige Definitionen und Beschreibungen dieses Begriffs finden Sie in ebenso einschlägiger Fachliteratur gedruckter und elektroischer Natur, in Fachkreisen auch Internet genannt. Für den Zweck dieses kleinen und symphatischen Büchleins verstehen wir ein Smart-Home als Haus, Wohnung oder sonstigen Behälter, in dem Sie wohnen und nichts mehr tun müssen, weil so ziemlich alles automatisch geht, immer online ist und wir hier unsere Spässchen damit treiben können.
Sie befinden sich also gedanklich in Ihrem jetzigen Zuhause, nur wie gesagt, ist eben alles automatisch, fortschrittlich und vermeintlich intelligent. Sie haben Features, die Ihr Leben so lebenswert machen, dass es Ihnen die Socken auszieht (auch automatisch natürlich). Um die Fantasie in Gang zu bringen, nehmen Sie an, es ist bereits August 2044, und unser Kopfkino beginnt zu unser aller Lieblingszeit der Woche: Montag morgen, ziemlich früh.
Ihre Nachtruhe endet soeben. Allerdings nicht, weil Sie es für richtig halten, sondern weil der Zentralcomputer Ihrer Krankenkasse es für richtig hält. Die optimale Schlafdauer wurde für Sie und nur für Sie persönlich errechnet. Wie kommt das? Na ja, sehr einfach. Aus Ihrer körperlichen Verfassung, Alter, Musikgeschmack und Bierdosensammlung wird ermittelt, wie lange oder kurz Sie ruhen, damit Sie möglichst wenig Schaden anrichten. Dazu gibt es hochentwickelte Technologie: Ihre Matratze ist mit Sensoren ausgerüstet, die Ihre Bewegungen und Ruhepahsen misst. Eine Kamera in der Decke zeichnet alles zum Abgleich auf. Dabei würde z.B. festgestellt, ob Ihre äusserst wohlgenährten Kurzhaardackel, mit den niedlichen Namen Bolzen und Püütagohras, nachts unbemerkt ins Bett kamen und damit die Messergebnisse der Matratze verfälscht haben könnten.
Sie haben zudem den Sicherheitstarif Ihrer Krankenkasse gewählt. Das bedeutet, dass Sie großzügige 1,98% Rabatt auf den Monatsbeitrag erhalten und Ihre Matratze Pflichtsicherheits-funktionen besitzt, die Sie dafür schützen, aus dem Bett fallen und vom Mondschein beleuchtet zu werden. Genauer gesagt, hält Ihre High-Tech-Matratze Sie mittels kuschelig weicher Schlingen für die Dauer der Nachtruhe gefangen: kein Gang zur Toilette oder zum Kühlschrank. Ihre Matratze passt auf Sie auf und das erfordert Disziplin und Organisation. Sie reissen sich aber gerne am Riemen, denn sonst ist der Krankenkassenrabatt futsch. Na ja, genauer gesagt, tragen Sie deshalb neuerdings Windeln und nehmen Proviant mit ins Bett. Ihre Krankenkasse duldet diese Pseudodisziplin für den Moment, allerdings gleichen Sie in Windeln mit Ihren riesen Kartoffelchipstüten einem ausgefreakten Riesenbaby auf dem Weg in den Urlaub zu Oma und Opa auf deren Alpakabauernhof kurz vor Bremen.
Sie verlassen also zum optimalen Zeitpunkt Ihr Bett. Die Matratze bringt Sie in eine aufrechte Position, und kippt Sie zügig zur Seite auf den Bettvorleger, denn Sie selbst waren wieder nicht schnell genug. Geschafft, relativ sanfte Landung hingelegt und die blauen Flecken der letzten Aufstehvorgänge sind auch schon fast nicht mehr zu sehen. Sie stehen vom Boden auf und hängen Ihre Riesenwindel an die Gaderobe unweit vom Bett.
Sie öffnen die Tür und verlassen das Schlafzimmer. Dabei hat die intelligente Türklinke Ihre Druckkraft mit dem Durchschnittswert der letzten 14 Tage verglichen und festgestellt: Sie sind schwächer geworden. Die Reaktion der Krankenkasse erscheint umgehend auf den Bildschrimen im Flur ihres Hauses: der Rabatt von 1,98% geht, die Bondagematratze bleibt. Ihr Ansprechpartner beraumt sofort einen Online-Arzttermin an, der direkt auf der Treppe über die krankenkassen-eigenen Kameras in Ihrem Hausflur stattfindet, noch bevor Sie Ihr Ziel, die Küche, erreichen. Die Sichtprüfung des Arztes geht schnell und das Ergebnis liegt umgehend vor. Ihre optimale Schlafdauer wird daraufhin um 45 Minuten gekürzt und Sie müssen den Tag nun in diesem frei gewordenen Zeitfenster mit Krafttraining vor Ihrem Bett beginnen. Schummeln is' nicht … denken Sie an die Kamera über'm Bett.
Noch während Sie die Beitragserhöhung seelisch verdauen, sehen Sie, wie Bolzen und Püütagohras mismutig hinter Ihnen das Schlafzimmer verlassen haben. Ein Glücksfall, dass die beiden sich überhaupt aus eigener Kraft bewegen, denn die Bäuche der Hunde haben deren Beinlänge längst überschritten und Ihre Art sich fortzubewegen gleicht einer alternierenden robb-schleich Rotation. Erbärmlich aber auch irgendwie süß. Jede Blindschleiche ist agiler. Sie wähnen sich unten in der Küche in Sicherheit vor Ihren Hunden ... Sicherheit ist richtig, allerdings eben falsche Sicherheit. Bolzen und Püütagohras kleffen hungrig oben am Treppenabsatz, als Bolzen plötzlich versucht die erste Treppe hinabzusteigen. Sie wissen, das geht nicht gut und das tut's auch nicht. Bolzen kommt ins Rutschen und beisst Püütagohras vor Schreck in den Schwanz. Beide rollen unkontrolliert und laut kleffend die Treppe Richtung Küche hinunter direkt vor Ihre Füsse. Sie sind der Herr des Hauses, glauben Sie. Bolzen und Püütagohras schieben sich an Ihnen vorbei direkt zum Futterautomaten unter Ihrem Kühlschrank, dem eigentlichen Herr und Gebieter der beiden: der Kalorienaltar, der Mampfschrein und Leckerchengral als höchste Instanz jeden Vierbeiners.
Leider haben Sie Futter und Portionierung von Bulldogge Hansi, dem Vorgänger von Bolzen und Püütagohras, noch nicht umgestellt. Der Leasingvertrag für Hansi endete zwar schon vor 3 Monaten, die seinerzeit günstig erstandenen Hundefuttervorräte wollten Sie aber nicht einfach wegwerfen. Von diesem ökonomisch durchaus sinnvollen Schritt profitieren nun Bolzen und Püütagohras und verdanken diesem Umstand auch ihr dynamisches Klumpenformat.
Zwischenzeitlich haben die Luftanalysesensoren Ihres Hauses die wöchentliche Auswertung der Luftqualität abgeschlossen und übertragen. Das Resultat hätte jedoch besser ausfallen können. Die Detailauswertung zeigt, dass alle Fenster und Türen innen und aussen weitgehend geschlossen waren. Das hat Auswirkungen. Der Algorithmus Ihrer Krankenkasse klassifiziert Sie und Ihre Musterfamilie wegen unzureichenden Kontakts mit der Aussenwelt und innerhalb der Familie als Soziopathen mit zu erwartender Sauerstoffunterversorgung. Ihr Monatsbeitrag erhöht sich an diesem morgen weiter, um nunmehr insgesamt 20%. Allerdings können Sie diese Strafprozente monatlich durch Verlängerung der verordneten Kraftsport-einheiten vor Ihrem Bett reduzieren … um 1% jährlich.
Sie sind mittlerweile geduscht und haben sich angezogen. Der intelligente Kleiderschrank hat eine optimale Kleiderauswahl für Sie anhand Ihrer allmorgentlichen Urinprobe getroffen. Die Werte sind nicht optimal, aber zumindest sind Sie nicht besoffen und dürfen heute Autofahren. Der Testhat ferner ergeben, dass Sie sich in einem ausgeglichenen Zustand befinden und entsprechend einen hellbraunen Anzug, ein hellbrauneres Hemd mit einer etwas hellbrauneren Krawatte und topmodischen, hellbraunen Schuhen von eben Ihrem intelligenten Kleiderschrank für Sie bereitstellen lassen. Das ist genial, hat nur einen Haken: Sie hassen hellbraun. Ihr/e Ehepartner/in hat Ihnen bereits mehrfach bestätigt, dass Sie in dieser Kleiderkombintion aussehen wie ein Eichhörnchen. Ihr Smart-Home bestellt seither regelmässig Erdnüsschen für Sie.
Sie machen sich auf den Weg in die Garage, um zur Arbeit zu fahren. Ihr Auto wartet schon. Es wurde für den heutigen Tag vorkonfiguriert … entsprechend Ihrer Testergebnisse und Sauerstoffmesswerte. Die Klimaanlage ist deaktiviert und das Fenster 1/3 heruntergelassen, weil Sie zuhause Fenster und Türen ja ewig dicht machen.
Die Höchstgeschwindigkeit ist bei 90 km/h abgeriegelt, weil Sie heute Nacht unruhig geschlafen haben und sich Ihre Konzentrationsfähigkeit von Hause aus im unteren Drittel der Bevölkerungsschnitts bewegt. Das Navi sagt Ihnen, dass Sie in hellbraun toll aussehen, weil Sie immernoch ein langes Gesicht ziehen und an Eichhörnchen denken und ständig nach Erdnüsschen riechen.
Egal, Sie sind eine Stabile Persönlichkeit und drehen entschlossen den Zündschlüssel herum. Das Auto spring nicht an ... weil heute Sonntag ist und Sie nicht weg müssen. Das hätte Ihr ach so intelligenter Kleiderschrank eigentlich hätte wissen müssen. Stimmt, aber Sie haben das Softwareupdate nich' draufgefahren und so ist Ihrem Kleiderschrank einfach egal, welcher Tag ist.
Sie kommen sich leicht dämlich vor, bewahren aber Haltung. Auf Ihrem Weg zurück von Ihrer Smart-Garage, durch den Smart-Durchgang in Ihr Smart-Home laden Sie sich mögliche Ausreden herunter. Sekunden später nur atmen Sie jedoch erleichtert auf, denn niemand kann Ihren Irrtum bemerken. Ihre Frau ist auf einem Wellnesstrip mit ihren unerträglichen Geschwistern und Ihre Tochter ist noch nicht wach. Geht auch nicht, weil das Zimmer der jungen Dame am Wochenende in den frühen Morgenstunden mit Schlafgas geflutet wird, um Ihnen weitere Ruhezeit an Sams- und Sonntagen zu ermöglichen. Die Anlage wurde vor 5 Monaten ohne Wissen Ihrer Tochter installiert … eine Aufmerksamkeit Ihres Arbeitgebers in Kooperation mit Ihrer Krankenkasse.
Sie kehren in die Küche zurück. Bolzen und Püütagohras fressen weiterhin ungestört, als ob es kein Morgen gäbe. Nur sieht das da nicht nach Hundefutter aus. Ihre Vierbeiner haben bislang nicht durch geistige Hochleistungen geglänzt, aber irgendwie die Tür zur Vorratskammer geknackt und sich bedient: halbe Hähnchen, Kartoffelbrei und Apfelpfannekuchen mögen die beiden offensichtlich gerne. Das können Sie nachvollziehen, is' ja auch lecker. Die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. Das Hundefutter haben Bolzen und Püütagohras dankenswerterweise - quasi für Sie - übrig gelassen. Wie aufgeweckt, diese kleinen Racker. Sie setzen sich und sehen beiden beim Frühstück zu, dass nun bald die kritische Dauer von 20 Minuten erreicht. Bolzen macht eine Pause und bemerkt Ihre Anwesenheit. Voller Freude schnappt er sich 2 Apfelpfannekuchen und zieht auf dem Weg zu Ihnen eine schnurgerade Spur durch den kartoffelbreibedeckten Küchenboden. „Wie fürsorglich,“ denken Sie erfreut, in der Erwartung Bolzen bringt Ihnen die Apfelpfannekuchen. Sie bemerken Ihren Irrtum, als Bolzen mit seiner Beute kurz vor Ihnen plötzlich Richtung Wohnzimmer abbiegt und den Kartoffelbrei mit seinem Schleifbauch in den Flurteppich einarbeitet. Sie sind vor Entzückung über die Selbständigkeit Ihrer Hunde kaum zu bremsen. Noch während Sie Bolzen hinterhersehen, bemerken Sie, wie Püütagohras halbes Hähnchen Nr. 4 aus der Vorratskammer holt. Er muss sich dazu aufstellen und rupft den Nachschub aus dem Regal. Leider etwas unsanft und räumt damit auch die letzten 3 Flaschen Ihrer geerbten Rotweinsammlung von 1963 von der Ablagefläche. Katastrophe … keineswegs. Denn Sie hatten mitgedacht und den 1963er Rotwein schon vor Jahren in Plasitkflaschen umgefüllt. Sie Fuchs – läuft.