Читать книгу Arthrose. Kompakt-Ratgeber - Dr. med. Eberhard J. Wormer - Страница 7
ОглавлениеMysterium Knorpelschwund
»Arthrose bleibt ein Mysterium. Jeder erkennt sie, wenn er sie sieht – aber niemand kann sie definieren.« Der Arthroseforscher Paul Dieppe sagte das im Jahr 1984, und es gilt noch heute.
Bei Arthrose, auch als degenerative Gelenkerkrankung, Arthrosis deformans oder Osteoarthrose bekannt, kommt es zunehmend zum Aufbrauch (»Verschleiß«) von Gelenkknorpel, der dann seine Stoßdämpferfunktion einbüßt. Typische Anzeichen von Arthrose sind anfangs Aufweichung, Einrisse und Fragmentierungen im Gelenkknorpel. Später verdichtet sich die Knochensubstanz unter der Knorpeloberfläche. Knochenzysten und knöcherne Auswüchse an den Gelenkrändern entwickeln sich. Am Ende sind die Gelenkknochen blankgezogen und reiben aufeinander. Das zentrale Problem solcher Veränderungen: Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Arthrose ist die am weitesten verbreitete krankhafte Störung der knöchernen Komponenten des Bewegungsapparats. Sie ist heute zudem die häufigste Gelenkerkrankung überhaupt. Seit Jahrzehnten befasst sich die Forschung mit den Ursachen und Faktoren, die zur Arthrose führen. Man möchte mehr erfahren über die Entstehungsbedingungen und Verläufe, über beteiligte Zellen, Gewebe, Organe und Auslöser, über die Diagnose der Arthrose sowie über wirksame Vorbeugung und Behandlung von Beschwerden.
Eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Herkunft der Arthrose ist in der menschlichen Entwicklungsgeschichte zu finden. Der aufrechte Gang des Homo sapiens ist eine relativ junge Errungenschaft. Innerhalb von weniger als 200 Jahren ist die Lebenserwartung auf beeindruckende 70 Jahre (Männer) bzw. mehr als 80 Jahre (Frauen) angestiegen. Damit hielt offenbar die Funktionalität unserer Gelenkausstattung nicht Schritt. Die Körpergelenke, vor allem der unteren Gliedmaßen, und die Stabilität des Knochenskeletts sind auf die Belastungen eines sehr langen Lebens noch nicht optimal angepasst. Abbauvorgänge der Gelenkknorpel im jüngeren und mittleren Lebensalter bleiben meist unauffällig, können aber später schmerzhafte Gelenkprobleme verursachen. Wie man solchen Problemen am besten begegnet, bleibt eine Herausforderung für die Medizin.
Auch die biologische Anthropologie hat sich an der Spurensuche nach den Ursachen der Arthrose beteiligt – durch Analysen der knöchernen Überreste von Menschen der Stein-, Bronze- und Eisenzeit sowie moderner Menschen bis ins 17./18. Jahrhundert. Die Ergebnisse warfen mehr Fragen auf als erwartet. Alle untersuchten Einflussfaktoren kamen sowohl mit als auch ohne Arthrose vor: Alter, Geschlecht, Trauma, Knochendichte, Körpergewicht, Stoffwechselerkrankungen, Belastungen, Bewegungsmuster, Lebensstil. In früheren Zeiten war vor allem das Ellbogengelenk betroffen. Heute sind es am häufigsten arthrotische Knie- und Hüftgelenke.
Arthrose ist eine rätselhafte Gelenkerkrankung, an der viele Faktoren beteiligt sind. Dementsprechend gibt es zahlreiche Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung von Beschwerden – von der Homöopathie bis zum totalen Gelenkersatz. Eine präzise Definition der Arthrose fehlt noch immer.
Andererseits gab es erstaunliche Fortschritte, was die Behandlung der Arthrose betrifft. Obwohl bewährte gelenkerhaltende (konservative) Therapien existieren, steht die Implantation künstlicher Gelenke – der totale Gelenkersatz – in Industriestaaten ganz hoch im Kurs. International ist Deutschland Vizeweltmeister (nach den USA), was Gelenkersatz betrifft.
Obwohl »die neue Hüfte, das neue Knie« groß in Mode sind, sollten Sie die Risiken eines solchen Eingriffs nicht unterschätzen und die Möglichkeiten der orthopädischen Biotechnologie nicht überschätzen. Zudem ist bekannt, dass operative Gelenkeingriffe oft zu schnell verordnet werden oder manchmal gar überflüssig sind – Gelenkersatz ist auch ein hochprofitables Geschäftsmodell!
Der bessere Weg ist in jedem Fall, Arthrose frühzeitig vorzubeugen oder Beschwerden konservativ zu behandeln, statt auf eine Gelenkprothese zu spekulieren. Der gesunde Lebensstil mit viel Bewegung und gesunder Ernährung trägt nachhaltig dazu bei, dass Sie lebenslang gelenkfit bleiben und sich vor arthrotischen Gelenkproblemen schützen.
INFO
ARTHROSE-TAGEBUCH
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang es Ärzten, entzündliche Gelenkveränderungen (Arthritis) von nicht entzündlichen Gelenkveränderungen (Arthrose) zu unterscheiden. Der englische Arzt und Forscher Archibald E. Garrod (1857–1936) benutzte 1889 erstmals den Begriff osteoarthritis, um entzündliche von nicht entzündlichen Gelenkerkrankungen abzugrenzen. Das deutsche Label Arthrose wurde von dem Internisten Friedrich von Müller (1858–1941) 1913 geprägt.
Bis 1986 glaubte man, Arthrose sei eine Erkrankung unbekannter Ursache, die den Gelenkknorpel und darunterliegende Knochen befällt.
1989 wurde die Arthrose als degenerativer und deformierender Krankheitsprozess beschrieben, nicht als eigenständige Erkrankung. Komplexe krankhafte Veränderungen kommen durch die Kombination von degenerativem Knorpelschwund und nachfolgenden Knochenumbauprozessen zustande. Die Arthrose führt dann zu Gelenkschäden, Bewegungseinschränkung und Schmerzen.
1994 definierten Forscher Arthrose als Gruppe bestimmter sich überlappender Erkrankungen unterschiedlicher Ursache, die morphologisch, biologisch und klinisch ähnlich verlaufen. Der Krankheitsprozess betrifft Gelenkknorpel, darunterliegenden Knochen, Bänder, Gelenkkapseln, Gelenkflüssigkeit (Synovia) und die am Gelenk beteiligte Muskulatur. Demzufolge ist die Arthrose der Endzustand von mechanischen und biologischen Ereignissen, die die Funktionen sämtlicher beteiligter Gelenkstrukturen destabilisieren.
Seit 2003 betrachtet man die Arthrose als eine Erkrankung, die durch viele Faktoren ausgelöst werden kann, inklusive genetischer, metabolischer, entwicklungsbedingter und traumatischer Faktoren: »Arthrose ist durch morphologische, biochemische, molekulare und biomechanische Veränderungen sowohl der Zellen als auch der Matrix gekennzeichnet. Dies führt zur Aufweichung, Fibrillation, Ulzeration und zum Verlust von Gelenkknorpel. Zudem kommt es zur Sklerosierung und zum Aufbrauch darunterliegenden Knochens, zur Osteophyten- und Zystenbildung. Typische Arthrosebeschwerden sind Gelenkschmerz, -empfindlichkeit, Bewegungseinschränkung, Gelenkreiben, gelegentlich ein Erguss sowie Entzündungen unterschiedlichen Schweregrads ohne systemische Effekte« (Flores/Hochberg 2003).