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Vorwort
ОглавлениеMedizinisch-psychologische Wirkungen der Umarmung
Umarmungen und Berührungen sind für das psychische Wohl von Menschen sehr wichtig, wobei man umso mehr vom Körper des anderen berühren darf, desto näher man sich steht.
Die positive Wirkung der Umarmung und des Streichelns wird in ihrer Herkunft wissenschaftlich mit der Fellpflege und der sozialen Zuwendung der Primaten erklärt, von denen wir ja abzustammen scheinen. Zum einen spielt hierbei die Suche nach Parasiten eine Rolle. Aber auch die aufmerksame und zeitintensive Zuwendung durch ein vielleicht sogar sozial höher gestelltes Tier hat offensichtlich beruhigende und befriedigende Gefühle zur Folge. Dies nutzen Eltern intuitiv, wenn sie ihren Kindern abends liebevoll über die Haare streicheln, wodurch diese schneller einschlafen und sich wohlfühlen.
Auch aus der psychotherapeutischen Praxis habe ich nicht selten gehört: „Es war nicht der Sex und nicht sein Status, nicht einmal sein Lächeln oder sein Duft, sondern als er mir liebevoll durch meine Haare gestreichelt hatte … da wusste ich, ich würde ihn heiraten!“
Durch langsamen, milden Druck und Streicheln werden sog. afferente Tastneurone stimuliert, was zu Endorphin-Ausschüttung im Gehirn führt, ebenso wie eine vermehrte Bildung des Peptidhormons Oxytocin.
Da körperlicher und psychischer Schmerz in den gleichen Hirnarealen verarbeitet wird, wirkt eine Umarmung auch bei seelischem Schmerz tröstlich und schmerzlindernd.
Selbst für die Entwicklung von Kindern scheinen Umarmungen eine wesentliche Rolle zu spielen (sog. „Urvertrauen“, aber auch mechanische Wirkungen) und sind absolut notwendig, damit der Organismus überhaupt wachsen kann und das Immunsystem sich richtig entwickelt (Studien von GRUNWALD, Leipzig). Auch ob wir uns links oder rechts umarmen, hat teilweise unterschiedliche Qualitäten (wiss. Studie von 2018 mit über 2.500 Teilnehmern). Die rechte Seite scheint häufiger gewählt zu werden und bei starker emotionaler Beteiligung eher die linke, wobei es auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Links- und Rechtshändern gibt. Hierbei darf man sich aber ruhig auf seine Intuition verlassen.
Allerdings kann das Behagen schnell ins Unangenehme wechseln, wenn die Berührung von den „falschen“ Menschen kommt. Deshalb spielt das gesamte Setting, also wer, wie und wann umarmt, eine entscheidende Rolle.
Die individuelle Distanzzone oder die sog. „Intimdistanz“ sind ebenso zu berücksichtigen, weshalb wir nicht von jedem Beliebigen umarmt werden wollen und ebenso wenig in jeder beliebigen Situation.
Allerdings kann man mit Umarmungen oder einfacher noch mit leichten Berührungen, z.B. an der Schulter, ärgerliche Situationen entschärfen und Streitszenen abmildern. Zum Erhalt und der Pflege von partnerschaftlichen Beziehungen spielen Berührungen eine große Rolle, selbst wenn ein gewisser Gewöhnungseffekt eintreten kann.
Spontane Umarmungen durch relativ fremde Menschen – um die es im Buch ja auch geht – sind in unserer Gesellschaft eher selten anzutreffen, außer im Sport in emotionaler Erregung. Jedoch werden Umarmungen in großer Trauer, wie z.B. bei Todesfällen, fast immer dankbar von jedermann toleriert und tröstend angenommen.
Aus der Alten- und Dementenpflege weiß man, dass eine Umarmung in jedem Alter und selbst bei Ausfall der meisten kognitiven Funktionen nahezu immer positive Wirkungen aufweist; eine Umarmung versteht jeder!
Natürlich gibt es auch Scheinumarmungen, wie aus der Bussi-Bussi-Gesellschaft bekannt, bei der sie zu einem bloßen Ritual reduziert worden sind, ohne echte Emotionen. Diese Art erkennt man aber leicht an recht steifen Körperbewegungen und spärlichem Körperkontakt.