Читать книгу Hüter der Schöpfung - Dr. Stephan Götze - Страница 6
ОглавлениеWIE ALLES BEGANN
Während im „weißen Amerika“ der Sezessionskrieg (1861–1865) zwischen dem Norden und Süden der Vereinigten Staaten tobte, während die meisten Teile Nordamerikas schon lange erobert und besiedelt waren und die reichen Bodenschätze und Pelztierpopulationen in Kanada längst gieriges Interesse geweckt hatten, lebten die Sioux in der zunächst kaum als interessant betrachteten Prärie von der Lebensweise des „weißen Mannes“ weitgehend unbehelligt. Es war ein relativ friedliches Leben in den Great Plains, einem Gebiet, das sich von Colorado aus über Nebraska, vor allem aber über Süd- und Nord-Dakota bis nach Minnesota und Montana ausdehnt.
DER GROSSE WENDEPUNKT
Das Jahr 1877, genauer: der 7. Mai 1877, ist heute noch für unser modernes Leben von entscheidender Bedeutung. Dieser Tag markiert das Ende des freien Indianerlebens und ist – der festen Überzeugung bin ich – der ursprüngliche Beginn all der ökologischen Probleme, mit denen wir aktuell zu kämpfen haben. 1877 waren die anderen Naturvölker schon lange unterworfen. Die Lakota, die zusammen mit den Nakota und Dakota die Grand Sioux Nation bilden, waren die letzten beim Widerstand gegen die neue Welt; sie boten den Besatzern am heftigsten die Stirn. Dieser 7. Mai 1877 ist der Tag, an dem der letzte Häuptling der frei lebenden Lakota-Indianer seine monatelange und entbehrungsreiche Flucht mit einer Gruppe von Männern, Frauen und Kindern abbrach. Seit Langem hatten sie nicht mehr genug zu essen und zu trinken; dem Hungertod wollte Tashunka Witko, der unter seinem englischen Namen Crazy Horse zur Legende wurde, sie nicht ausliefern.
In Fort Robinson, Nebraska, breitete Crazy Horse an diesem Tag seine Decke aus, legte seine Habseligkeiten nieder und reichte General Crook, dem Befehlshaber in der dort ansässigen Red Cloud Agency, seine beiden Hände. Beide Hände, weil damit nach seinem indianischen Verständnis Verstand und Herz in die bevorstehende Einigung eingingen. Doch es kam anders. Nachdem die weißen Besatzer zuvor schon unzählige Male Verträge gebrochen hatten, war auch dieses Angebot, mit dem man Crazy Horse aus seinem Versteck gelockt hatte, eine Falle. Es ging nicht darum, in Frieden zu verhandeln und seinem Volk Verpflegung und ein weites Land zu sichern. Es ging nur darum, den bekanntesten und widerspenstigsten Krieger an die Kandare zu nehmen. Den letzten der Anführer der Lakota, der sich strikt weigerte, seine Freiheit aufzugeben.
EIN BLICK ZURÜCK
Die Regierung in Washington hatte einen Ansprechpartner gesucht gemäß den gesellschaftlichen Organisationsvorstellungen, die bei ihnen herrschten: einen Präsidenten oder Premierminister, einen König oder Kanzler – jemanden, der für sein ganzes Volk verbindlich sprechen konnte. Doch so etwas kannten die als Nomaden lebenden Lakota nicht. Ihr Gesellschaftssystem war (und ist bis heute) anders; es war und ist im Grunde gar kein politisches Gefüge, denn es basiert eher auf den Werten ihrer Religion. Alles zu Regelnde ergab sich daraus.
Bei den Lakota konnte sich jeder aussuchen, welchem Häuptling er folgen wollte, und man konnte sich stets wieder „umentscheiden“. Häuptling wurde man dadurch, dass man sich diese Würde verdient hatte und zudem als Oberhaupt akzeptiert wurde. Zwar kam es vor, dass der Sohn eines Häuptlings ebenfalls Häuptling wurde, aber zwingend war dies nicht. In der Gesellschaft der Lakota gab es kein Geld, keine Gefängnisse, keine Krankenhäuser und keine psychiatrischen Anstalten. „Verrückte“, wie wir sie nennen, galten beispielsweise als von Gott bevorzugt und konnten einfach in der Gruppe mitleben.
WARUM AUSGERECHNET CRAZY HORSE?
Crazy Horse war als Krieger in kurzer Zeit (bis 1874 kannte ihn kaum jemand unter den Weißen) zu solchem Ruhm gelangt, dass die damalige amerikanische Regierung 1877 mit ihm als Oberhaupt verhandeln wollte. Im Archiv der West Point Military Academy in den USA findet man zahlreiche Angaben, wie unglaublich den Weißen die „Unverwundbarkeit“ von Crazy Horse erschienen sein muss: Er wurde in keinem der vielen Kriege und Scharmützel, in denen er meist an vorderster Front stand, auch nur einmal getroffen. Kurz vor diesen Kämpfen ritt er verschiedene Male allein die Front der Gegner ab, um die Schussweite der feindlichen Gewehre zu erkunden. Hatte er dann die Feuerdistanzlinie erreicht, trabte er seelenruhig ein wenig umher, bevor er zu seinen Männern zurückkehrte und mit ihnen zusammen den Kampf eröffnete.
Crazy Horse schaffte es, den Lakota – die Strategie nie mochten, sondern gewohnt waren, wild drauflos zu schlagen – ein sogenanntes Outflanking (einen militärstrategischen Schachzug) beizubringen. Er war an zweiundzwanzig kleinen und großen Schlachten beteiligt – und gewann sie alle. In der Schlacht am Rosebud in Süd-Dakota im Jahr 1876 gelang es ihm, mit Pfeil und Bogen und ein paar Gewehren den übermächtig bewaffneten Militärs unter Leitung von General Crook eine Niederlage zuzufügen. Doch Häuptling im eigentlichen Sinn hat er sich selbst nie genannt und war er eigentlich nie – bis auf die letzten Tage und Stunden der Lakota in Freiheit.
DIE SCHLACHT AM LITTLE BIGHORN
Am 25. Juni 1876 wurde die 7. Kavallerie, das Aushängeschild der damaligen US-Armee, fast bis auf den letzten Mann vernichtet. Dabei fiel der nicht nur bei den Lakota zu Recht verhasste Generalmajor Custer, der jüngste Mann, der je in West Point einen Generalsrang erreichte, ein „Held“ der inneramerikanischen Kriege. Nicht nur den Lakota war dieser Mann bestens bekannt als hinterhältiger Kinder- und Frauenmörder. Er war stolz auf dieses „Lebenswerk“, hatte nachts mit einem großen Trupp ein Dorf friedlich schlafender Lakota ohne Vorwarnung angegriffen und Männer, Frauen und Kinder niedergemetzelt. Und das nur, um seinen Vorgesetzten zu beweisen, dass er der ideale Mann für die Beseitigung des „Indianerproblems“ war.
Selbst wenn Little Bighorn als bis dato größte Niederlage der amerikanischen Armee gilt: Es ist historisch erwiesen, dass weder Sitting Bull noch Crazy Horse die Schlacht am Little Bighorn geplant und ausgeführt haben. Die Niederlage der Regierungstruppen ist wohl vielmehr Custer selbst zuzuschreiben: Er wollte den sicher geglaubten Sieg nicht teilen und stieß daher allein gegen die Lakota vor. Diese hatten sich für ein Stammestreffen versammelt, als plötzlich die Nachricht vom Anmarsch amerikanischer Truppen kam. Tausende von Lakota standen lediglich Hunderten von Soldaten gegenüber. Die 7. US-Kavallerie wurde praktisch ausgelöscht – bis auf wenige Männer, die, so sagt die Überlieferung, „erzählen sollten, was sie erlebt hatten“. Diese Überlebenden rächten sich furchtbar: Sie waren beim Gemetzel von Wounded Knee im Jahre 1890 dabei, bei dem im sehr kalten Winter etwa 300 wehrlose Indianer – Frauen, Kinder und Männer – gnadenlos getötet wurden. Wounded Knee gilt bis heute als letzter tragischer Punkt in der Geschichte der Indianer.
Sitting Bull war beim direkten Kampf bei Little Bighorn gar nicht dabei, sondern er blieb im Lager und betete. Crazy Horse stieß erst später mit seinen Männern dazu, als der Sieg quasi schon errungen war. Die Schlacht trägt definitiv nicht die Handschrift von Crazy Horse, der beispielsweise das Skalpieren, zu dem es bei diesem Kampf kam, ablehnte. Dennoch wird die Schlacht am Little Bighorn als größter Erfolg von Crazy Horse und Sitting Bull gewertet, während die einundzwanzig anderen dokumentierten großen und kleinen militärischen Auseinandersetzungen, die er tatsächlich federführend oder wesentlich mitverantwortlich gestaltete und dabei seinen Ruf der Unverwundbarkeit festigte, nur wenigen Experten bekannt sind.
DER PLAN ZUR VERNICHTUNG DER LAKOTA
Nach der Schlacht am Little Bighorn wurde vonseiten der Weißen nichts mehr ausgelassen, um die Lakota, die letzten freien Indianer, zu unterwerfen, am besten jedoch völlig auszulöschen. Man schenkte Kindern vergiftete Decken, die sie in die Lager trugen. Man tötete von einstmals Millionen von Büffeln, die Lebensgrundlage für die Lakota, alle bis auf wenige Hundert. Und man jagte die Indianer, allen voran Crazy Horse. Dieser hatte sich zwar seinen Namen als großer Krieger erworben, doch mit der Schlacht, an der er nicht entscheidend teilgenommen hatte, die er weder wollte noch leitete, lenkte er die Zerstörungswut der Weißen auf sein Volk. Und damit den Zorn seiner Nation auf sich.
Ab dem Spätsommer 1876 verfolgte die amerikanische Armee die letzten freien Indianer in einem gnadenlosen Feldzug. Der strenge Winter 1876/77 tat ein Übriges: Die Lakota flüchteten vor der Verfolgung, erlitten in kleineren Scharmützeln Niederlagen und kapitulierten letztendlich – nicht aus Feigheit, sondern weil sie kurz vor dem Hungertod standen. Und weil ihnen ihre Lebensgrundlage entrissen wurde: Die Bisonherden waren so drastisch dezimiert worden, dass ihnen zum Leben nichts mehr blieb. Am 8. Januar 1877 kam es bei Wolf Mountain in Montana zur letzten großen Schlacht gegen die US-Kavallerie. Vier Monate später ergab sich Crazy Horse der Armee in Fort Robinson in Nebraska. Sein Kampf und der Kampf der Lakota waren sinnlos geworden; sein Volk war durch Kälte und Hunger geschwächt, es ging nur noch ums nackte Überleben.
DER LETZTE HÄUPTLING DER LAKOTA
Im Spätsommer 1877, in den späten Tagen der Kapitulation, war Sitting Bull wie manch anderer großer Häuptling schon entmachtet. Wegen seines Bekanntheitsgrads unter den Weißen kam die Idee auf, Crazy Horse zum Häuptling aller Lakota zu ernennen. Doch wie sollte das gehen? Wer sollte ihn ernennen? Einen einzigen Chef zu haben, waren die Lakota nicht gewohnt, so etwas gab es nicht bei ihnen. Und dann ausgerechnet Crazy Horse, der Reden nicht mochte, der nie außerhalb seiner Jagdgründe war, der sich nie Häuptling nannte und sich nichts aus materiellen Dingen machte. Sogar in seiner Spiritualität unterschied er sich von der Stammesreligion.
WAS ZEITZEUGEN BERICHTEN
In ihrem Buch „To kill an Eagle“ haben Edward und Mabell Kadlecek Aussagen von Zeitzeugen der Lakota und deren direkten Nachkommen zusammengetragen. So konnte man die Vorgänge im September 1877 aus verschiedenen Perspektiven rekonstruieren. Darunter befindet sich ein Bericht, wie Crazy Horse mit einem Freund auf einem alten Leiterwagen im späten August 1877 nach Fort Robinson fuhr und quasi als Letzter davon hörte, dass er Häuptling aller Lakota werden sollte. Er soll darüber sehr erstaunt und irritiert gewesen sein. Dass es einen Sonnentanz gab, den letzten in Freiheit, bei dem Tänzer für ihn als Häuptling beteten, zeigt aber, dass er zum Schluss kurz der Häuptling aller Lakota gewesen sein muss. Das war wichtig, denn so hatte er die Kompetenz zu Verhandlungen mit der Regierung.
EIN QUERKOPF ALS NEUES OBERHAUPT
Ausgerechnet Crazy Horse, der Strange Man, sollte anstelle von Red Cloud, dem „Chef“ des größten Zweiges der Lakota (die Oglala) zum Präsidenten nach Washington eingeladen werden. Crazy Horse wurde zwar für seine kriegerische Leistung durchaus sehr respektiert, aber er galt stets als Sonderling. Nicht von ungefähr überschreibt Mary Sandoz ihre Biografie mit dem Titel „Crazy Horse – The Strange Man of the Oglala“. Er hatte kein Talent für große Reden und wurde meistens falsch verstanden. Sogar im Stammesrat nahm er sich deshalb einen Sprecher, dem er sagte, was er meinte, und der es dann so ausdrückte, dass die anderen es richtig verstanden. Tanzen und Singen waren seine Sache ebenfalls nicht – durchaus problematisch in einem Volk, dessen zentrale gesellschaftliche und religiöse Aktivitäten genau dies in den Mittelpunkt stellen.
FRÜHE TRAUMATISCHE ERLEBNISSE
Als Heranwachsender war Crazy Horse Zeuge eines Zwischenfalls geworden, bei dem nicht nur sein Onkel, sondern vor allem Soldaten der US-Armee starben: Der betrunkene Sergeant Grattan schoss 1854 mit einer Kanone in das Dorf seiner Verwandten – als Vergeltung für eine alte, angeblich gestohlene Kuh. Bei den Verhandlungen wurde Häuptling Conquering Bear, wohl ein Onkel von Crazy Horse, in den Rücken geschossen, und es kam danach zu einem Kampf. Grattan selbst fiel zusammen mit 29 weiteren Soldaten der US-Armee. Sinnloses Töten und Ungerechtigkeit überall – so empfand es der junge Lakota, so hatte er es wieder und wieder erlebt. Auch bei der Rache der US-Armee für das Grattan-Massaker, in der sogenannten Schlacht von Ash Hollow ein Jahr später, bei der am Bluewater Creek 600 Kavalleristen eine weitaus geringere Anzahl von Lakota angriffen. 85 Indianer starben, Frauen und Kinder wurden verschleppt.
DIE VISION VON CRAZY HORSE
Weder im Sonnentanz noch in der rituell vorgeschriebenen Visionssuche fand Crazy Horse seine Bestimmung. Ihm war ein anderer Weg vorgegeben. Kurz nach dem Zwischenfall 1854, bei dem sein Onkel starb, ging Crazy Horse allein in die Prärie und stieg auf die Sandhills, eine Hügellandschaft in der Nähe von Scott’s Bluff in Nebraska.
Vier Tage und Nächte – wie es die Zeremonie verlangte – wollte der junge Lakota fasten und beten, um von den Geistern zu erfahren, wie er seinem Volk helfen könne. Vier Tage und Nächte auszuhalten – das war sein Ziel, darin wenigstens stimmte Crazy Horse mit den rituellen Regeln einer Visionssuche überein. Doch nach drei Tagen und Nächten gab er auf – seine Gebete schienen nicht erhört zu werden. Mit letzter Kraft kroch der Junge zu seinem Pferd, um ins Lager zurückzukehren. Beim Versuch, das Pferd zu erklimmen, verlor Crazy Horse das Bewusstsein – er fiel in Trance und erhielt so doch noch seine Vision. Crazy Horse berichtete später, dass in diesen drei Tagen und Nächten nichts, überhaupt kein Wesen, kein Tier, zu sehen war. Der Himmel war klar und wie leer. Nur eine Ameise sei einmal des Weges gekommen.
In der Trance sah Crazy Horse sich selbst auf einem Pferd reiten. Es wechselte ständig die Farbe, zeigte die Symbole des Blitzes mit Zickzackmustern und eines Hagels mit gesprenkelten Punkten. Mann und Reiter schienen aus einem Fluss gestiegen zu sein, die Muster zeigten sich in seinem Gesicht und am Körper und auf seinem Pferd. Er ritt immerfort, Kugeln und Pfeile verfehlten ihn wie von Geisterhand. Die Vision zeigte ihm außerdem, dass er in keinem hohen Alter vom Pferd gerissen wurde, und zwar von seinen eigenen Leuten. Teil seiner Vision war es auch, alle Beute stets zu verschenken. Er kleidete sich daher einfach und besaß praktisch nichts. Er nahm auch keinen Skalp, nachdem er als sehr junger Mann beim letzten Versuch, dies zu tun, einen Pfeil ins Bein bekommen hatte. Das war übrigens gleichzeitig seine erste und letzte und einzige Verwundung in einer Kampfsituation.
INTERPRETATIONEN ZUR VISION
Dass das Pferd in der Vision ständig die Farbe wechselte, legte sein Vater später so aus, dass er in den Schlachten verschiedene Pferde reiten würde. Manche Quellen sprechen davon, dass er im Laufe seines Lebens zahlreiche Pferde ritt und keines davon im Kampf jemals verletzt worden sei. Es gibt aber ebenso Quellen, die von nur einem Pferd berichten, das Crazy Horse besonders gern hatte und stets bei seinen Schlachten ritt. Es ist allerdings naheliegend, dass er in den 18 Jahren als Krieger mehr als ein Pferd gehabt haben muss.
Er kehrte nach drei Tagen ins Lager zurück, wohl wissend, gegen alle Rituale verstoßen zu haben, die für die heilige Lakota-Zeremonie der Vision (Hanbleceya) unabdingbar waren. Zurück im Dorf bekam Crazy Horse nach seinem eigenmächtigen Ausflug denn auch den Ärger, den jeder Junge bekommt, wenn er für ein paar Tage ausreißt. Erst glaubte nur sein Vater seine Vision. Das änderte sich, als Crazy Horse im Alter von 17 Jahren mit auf den ersten kleinen Kriegszug durfte: Sein Pferd ging mit ihm durch und lief einen Hügel hinauf auf die gegnerischen Indianer zu. Crazy Horse tötete im Alleingang eine Handvoll erwachsener Crow-Krieger. Damit war klar, dass seine Vision kein „Traum“ war, sondern eine Vision, die ihren Niederschlag in der Realität fand. Erst jetzt erhielt Crazy Horse seinen endgültigen Namen. Als Kind wurde er Light Hair oder Curly gerufen, denn er hatte sehr helles, blondes Haar und Korkenzieherlocken. Im Alter von etwa zehn Jahren gab ihm sein Vater den Namen His Horse on Sight wegen seines Erfolgs bei der Wildpferdjagd. Crazy Horse war der Name seines Vaters gewesen, und dieser nannte sich nun Worm – wegen einer ausgeprägten Ader an der Stirn. Der junge Crazy Horse aber sollte einer der größten Krieger aller Zeiten werden.
EIN LEBEN FÜR DIE FREIHEIT? DER TOD VON CRAZY HORSE
Nach der Kapitulation im Mai 1877 suchte Crazy Horse mit der amerikanischen Regierung zu einem Arrangement zu kommen – zwangsläufig, um das Überleben der Lakota zu sichern. Trotz neuen Rangs und Verantwortung stellte sich Crazy Horse vor den Verhandlungen immer wieder quer. Voller Misstrauen wollte er die Einladung nach Washington nicht annehmen, nicht zu Unrecht vermutete er einen Hinterhalt. Denn die Regierung wollte die den Lakota im Jahr 1868 fest zugesagten Black Hills um jeden Preis wieder in ihren Besitz bringen. In der Zwischenzeit war dort nämlich Gold gefunden worden. Die Lakota aber weigerten sich, ihr Land wieder herauszugeben, wollten es auch nicht verkaufen. Es gab ein ständiges Hin und Her. Mehrmals verließ Crazy Horse tageweise die Red Cloud Agency im Fort Robinson, obwohl ihm das offiziell verboten war.
GEGENSPIELER BEI DEN LAKOTA
Es scheint heute klar zu sein, dass die „offizielle Vertretung der Indianer“, die Crazy Horse in den Augen der Weißen innehatte, durchaus Neid und Missgunst erzeugte: Die Häuptlinge Red Cloud und Spotted Tail fühlten sich zurückgesetzt. Sie lebten schon etliche Zeit länger im Reservat und hatten für sich und ihre Stämme günstige Arrangements mit den Weißen getroffen. Ein wichtigerer Grund der Zerwürfnisse, die im Rufmord an Crazy Horse gipfelten, dürften die grundlegenden Unterschiede in der politischen Auffassung zwischen den „Realos“ Red Cloud und Spotted Tail auf der einen Seite und Crazy Horse als Visionär auf der anderen Seite gewesen sein.
Es kam in der Folge zu Gerüchten, dass Crazy Horse nicht an einem Friedensschluss interessiert sei, dass er sich wieder dem alten Leben als Krieger zuwenden wolle. Und letztendlich kreidete man ihm später, nach seinem Tod, an, dass die gnadenlose Reaktion der Weißen am Wounded Knee seine Schuld sei, weil er selbst in der Schlacht von Little Bighorn keinerlei Gnade habe walten lassen, sondern für den unerbittlichen Kampf gegen die Weißen gewesen sei.
MISSVERSTÄNDNIS ODER BEWUSSTE TÄUSCHUNG?
In den Gesprächen mit Vertretern der Regierung und dem leitenden Offizier der Red Cloud Agency ging es unter anderem auch darum, dass die Lakota selbst die Nez-Percé-Indianer aus einem nahegelegenen Gebiet vertreiben sollten, sonst könne man ihren Forderungen nicht nachkommen. Crazy Horse, nach etwa achtzehn kaum unterbrochenen Jahren des Krieges müde, murrte, stimmte dann letztendlich im Versammlungshaus in Fort Robinson dieser Forderung der Weißen zu. Sinngemäß sagte er so etwas wie: „Dann jagen wir die Nez Percé eben, bis keiner mehr übrig ist.“
Doch dann passierte etwas Fatales (und dies war nicht das einzige Missverständnis im Verlauf der wochenlangen Verhandlungen): Der Dolmetscher übersetzte fälschlicherweise, Crazy Horse habe gesagt, er werde jetzt alle Weißen jagen, bis keiner mehr übrig sei. Für den Vertreter der Regierung ein unglaublicher Affront. Selbst als Crazy Horse mehrmals betonte, er habe das Versprechen abgegeben, keinen Krieg mehr zu führen, nutzte das nichts.
General Philip Sheridan wurde die angebliche Äußerung vom „Töten aller Weißen“ hinterbracht. Man muss wissen, dass Sheridan der Ausspruch zugeschrieben wird, „nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“. Kein Wunder also, dass er General Crook in Fort Robinson beauftragte, mit aller Härte durchzugreifen und die Angelegenheit nicht nur aufzuklären, sondern „endgültig zu erledigen“. Bei Besprechungen mit anderen Lakota wurde sogar angedeutet, dass Crazy Horse General Crook selbst töten wolle. Daraufhin eskalierte die Situation völlig. Der General befahl aufgebracht, man solle Crazy Horse sofort verhaften. Versuche, das Missverständnis zu korrigieren, scheiterten an der Uneinsichtigkeit und Wut des Generals.
DAS ENDE
Als Crazy Horse zu einem Häuschen in Fort Robinson geführt wurde, folgte er zunächst bereitwillig – im Glauben, nun zur weiteren Verhandlung zu gehen. Erst als er durch die Tür trat, merkte er, dass es sich um ein Gefängnis handelte. Da drehte er sich um und zog ein Messer. Um ihn herum auf dem Vorplatz hatte sich ein Pulk aus vielen Männern, Soldaten und Indianern, gebildet. Irgendjemand schrie „Kill this son of a bitch“; der frühere Freund von Crazy Horse, Little Big Man, hielt ihn von hinten fest. Ein bis dato nie in Erscheinung getretener einfacher Soldat namens Gentles stieß Crazy Horse das Bajonett in den Leib, und zwar so unglücklich, dass er noch vor Mitternacht an diesem 5. September 1877 verstarb. In einem der Bücher über Crazy Horse steht zu seinem Tod treffend: „He had reached his awful destiny to be the last leader of the Sioux …“ – „Er hatte sein schreckliches Schicksal, der letzte Führer der Sioux zu sein, erreicht …“
Der Vater von Crazy Horse war beim Tod seines Sohnes dabei und sorgte später dafür, dass die sterblichen Überreste an einem geheim gehaltenen Platz in der Nähe des Wounded Knee, wahrscheinlich im Beaver Valley, bestattet wurden. Ein Gedenkstein in Fort Robinson weist noch heute auf die Stelle hin, an der Crazy Horse ermordet wurde.
Kurze Zeit nach seinem Tod flüchteten viele seiner Anhänger aus der Red Cloud Agency und gingen über die Grenze nach Kanada: Dort hatte Sitting Bull noch für einige Zeit eine freie Gruppe Lakota um sich versammelt. In den Vereinigten Staaten selbst lebten die Lakota nach dem Tod von Crazy Horse nicht mehr als freie Indianer, sondern ausschließlich in Reservaten.
DIE LAKOTA HABEN BIS HEUTE NICHT AUFGEGEBEN
Selbstverständlich gab es weitere nordamerikanische Indianervölker, die für ihre Freiheit kämpften. Zeitgleich mit den Lakota waren dies etwa die Apachen, deren Anführer Geronimo im Gebiet von New Mexiko und Arizona für seinen unbändigen Freiheitswillen und seine lange erfolgreiche Flucht berühmt ist. Er wurde erst 1886, nach Crazy Horse, bezwungen, ließ sich letztendlich aber freiwillig verhaften und ins Exil nach Florida bringen. Dort starb er Anfang des 20. Jahrhunderts, ohne seine Heimat je wiedergesehen zu haben.
Die Sioux jedoch haben offiziell niemals aufgegeben und zu keinem Zeitpunkt in die Annektierung ihrer Heimat eingewilligt. Auch nicht unter Druck – und den gab und gibt es reichlich. Die Lakota lehnen es bis heute ab, ihre heiligen Berge, die Black Hills in Süd-Dakota, zu verkaufen. Sie leben in Armut und Perspektivlosigkeit. Indianische Jugendliche begehen häufiger Selbstmord als andere Gleichaltrige: Die Sterberate der Lakota unter 25 Jahren ist dreimal so hoch wie in der Altersgruppe in den übrigen USA; die Wahrscheinlichkeit, am Alkohol zu sterben, ist sogar um 670% höher.
Aber: Sie verkaufen sich nicht; sie nehmen nicht die Entschädigung von 105 Millionen US-Dollar an, die ihnen 1980 zugesprochen wurde. Eine Gruppe von Lakota hat vor wenigen Jahren, im Dezember 2007, sogar eine eigene Republik ausgerufen, die alten Verträge von 1851 und 1868 aufgekündigt und für null und nichtig erklärt.
Der von den USA betriebene Genozid scheint unaufhaltbar. Das Ende für die letzte Generation an Vollblut-Lakota hat begonnen. In den Reservationen leben weniger als hunderttausend Menschen mit mehr oder weniger Lakota-Blutanteil. Die Zukunft der Indianer Nordamerikas ist aufs Äußerste bedroht.
Kaum ein Volk steht so sehr wie die Lakota-Indianer für ein Leben im Einklang mit der Natur. Aber genau diese sind, nachdem schon andere Stämme des nordamerikanischen Kontinents vom Erdboden verschwunden sind, zusammen mit ihren ethnischen Genossen praktisch am Aussterben. Andere Völker existieren zumindest weiter, haben – vielleicht – die Chance auf eine Zukunft.
LEBEN IM EINKLANG MIT DER NATUR
Die Lakota waren die Menschen, die mit Tieren redeten, die sich aus der Natur nur das nahmen, was sie brauchten – wir spüren intuitiv ihre Weisheit in Bezug auf den Kosmos. Sie waren keineswegs dümmer oder weniger entwickelt als wir, das haben wir mittlerweile endlich erkannt. Sie zählten ein Jahr nicht, wenn es vorbei war. Für sie fängt es im Prinzip immer wieder von vorne an – sie denken zyklisch, wir denken linear.
Crazy Horse wollte alles so lassen, wie es ist. Das empfand er als Idealzustand, und dafür ist er in den Tod gegangen. Wir wollen den Fortschritt. Denn wir konnten und können mit der Natur nicht so leben, dass wir dabei alles haben, was wir brauchen.
NOTWENDIGE ÄNDERUNG UNSERER SICHTWEISE
Betrachten wir die Dimension der vorherrschenden ökologischen Gefahren, könnte man meinen, es bräuchte ein Wunder. Andererseits: Warum sollte eine Zivilisation wie die unsere es nicht schaffen, die Herausforderung der selbst verursachten Schädigung der Natur zu bewältigen?
Für lange Zeit hielten wir uns an ein rein mechanisches Weltbild – aus der Zeit der industriellen Revolution und ihrer Manufakturen. Es wird heute mehr und mehr durch eine biologisch und physikalisch relativierte Weltsicht ersetzt. Da sollte es kaum abstrus anmuten, bei der Lösung der ökologischen Frage die einfache Idee zu verfolgen, nicht nur nach Neuem und technisch noch Versierterem zu streben, sondern einfach weiter und tiefer in die Natur zu schauen. Das wird unsere Sichtweise der Welt mehr verändern als alles andere. Die Lakota haben niemals aufgegeben. Auch daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Und nicht aufgeben.
VERTRAUEN AUF INDIANISCHE WEISHEIT
Es ist naheliegend, wenn wir Menschen aus den Industrienationen uns unter dem Druck des drohenden Klimawandels und zur Neige gehender Ölreserven umschauen, wo, wann, wie und warum Menschen in völligem Einklang mit der Natur lebten. Seitdem ich dem indianischen Wissen vertraue, habe ich schon mehrmals erstaunliche Reaktionen von Tieren erlebt, wie sie mir z.B. einen Weg zeigten, den ich allein nie gefunden hätte. Und ich habe auf meinem Lehrweg gelernt, die Zeichen des Himmels zu lesen. Angesichts der massiven ökologischen Probleme und Herausforderungen, vor denen wir Menschen stehen, sollten wir von denen lernen, die sich am besten mit der Natur auskennen und seit jeher im Einklang mit ihr leben.