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Vorwort zur zweiten Auflage.
ОглавлениеEine große Zahl kurzer vertraulicher Aussprachen Goethes ist hier sinngemäß aneinander gereiht, miteinander verbunden und zu zwei längeren Vorträgen vereinigt. Wir erhalten auf diese Weise Überblicke über die religiöse und die politische Weltanschauung des Weisen von Weimar, obwohl er selber bei Lebzeiten nicht bereit gewesen ist, seine Ansichten so offen und ausführlich darzulegen. Denn selbst zu kurzen Auslassungen über solche innerlichsten Angelegenheiten hatte er in der Regel keine Neigung; es bedurfte erst eines längeren ungestörten Gesprächs mit zuverlässigen Freunden oder ganz besonderer Anlässe, um ihn beredt zu machen. „War aber ein solcher köstlicher Moment eingetreten, so schien sein ganzes Wesen verklärt, seine Brust gleichsam freier, ja, die Person, zu der er sprach, ihm so viel lieber geworden, und er suchte und sann dann rings umher, wie er den befreundeten Genossen solcher traulichen Stunde noch mit einem sichtbaren Zeichen der Liebe und des Wohlwollens entlassen könnte.“1
Von mehreren ist uns bezeugt, dass sie sich beseligt fühlten, wenn sie in solchen guten Stunden den höchsten Gedanken des Meisters folgen durften. So schreibt Henriette v. Knebel 1806 an ihren Bruder über einen Vortrag, den er vor den Herzoginnen und ihren Damen bei ihrer regelmäßigen wöchentlichen Zusammenkunft hielt: „Er sprach von dem Bezug, den der Mensch zu sich selbst und zu den Dingen außer ihm hat, so reich, reif und mild, dass ich wirklich noch nie so habe sprechen hören. Ich wünschte, er hätte die Rede aufgeschrieben; mich dünkt, sie allein müsste ihm den Ruhm eines seltenen Menschen machen. Ich selbst dünkte mir glücklicher und vornehmer durch die unzähligen Fäden, durch die wir mit Himmel und Erde zusammenhängen.“
Ähnlich fühlte der Kanzler v. Müller an einem Apriltage 1818, den er mit Goethe auf der Dornburg verbrachte: „Er, dem über die heiligsten und wichtigsten Anliegen der Menschheit so selten ein entschiedenes Wort abzugewinnen ist, sprach diesmal über Religion, sittliche Ausbildung und letzten Zweck der Staatsanstalten mit einer Klarheit und Wärme, wie wir sie noch nie an ihm in gleichem Grade gefunden hatten ... Wir lauschten aufmerksam jedem Worte, das dem teuren Munde beredt entquoll ... Es war, als ob vor Goethes innerem Auge die großen Umrisse der Weltgeschichte vorübergingen, die sein gewaltiger Geist in ihre einfachsten Elemente aufzulösen bemüht war. Mit jeder neuen Äußerung nahm sein Wesen etwas Feierlicheres an, ich möchte sagen etwas Prophetisches ... Die höhere Ruhe des Weisen leuchtete aus seinen Zügen, und seine Gedanken schienen in einem reinen ungetrübten Äther gleichsam auf- und niederzuwogen.“
Dass ich solche Reden nachzubilden suchte, erscheint vielleicht als ein allzukühnes Beginnen, aber man wolle bedenken, welche Menge von einzelnen Meinungsäußerungen und Bekenntnissen uns trotz Goethes Zurückhaltung vergönnt ist; da sind die mündlichen Äußerungen, die von Eckermann, Riemer, Fr. v. Müller und anderen aufgeschrieben wurden, und hierzu kommen noch viele Briefstellen und Ausführungen in poetischen und gelehrten Werken: die Menge solcher Bausteine reizte zum Bau! Den Mörtel musste ich freilich oft hinzutun, oder ohne Bild: Die Überleitung von einer Äußerung zur andern musste ich zuweilen ausführen. Da war es denn meine Pflicht, nur solche Worte und Gedanken Goethe in den Mund zu legen, die ihm gemäß waren; diese Pflicht glaube ich erfüllt zu haben. Tatsächlich sind nicht nur die mit Anführungszeichen versehenen Stellen von Goethe, sondern manche Sätze haben nur deshalb diese Zeichen nicht, weil sie zwar dem Sinne, aber nicht der Wortfolge nach hier verwendbar waren. In den wenigen Fällen, wo ich andere Überzeugungen habe als der große Meister, habe ich meine eigenen Gedanken durchaus zurückgedrängt.
Fragt man mich, wann Goethe solche Reden gehalten haben könnte, so antworte ich: in den letzten sieben Lebensjahren; die erste etwa 1830, die zweite 1825. Will man für die einzelnen Abschnitte genauere Angaben über das Datum und die Gelegenheit, so findet man sie leicht in den Anmerkungen. Wer die mündlichen Äußerungen noch näher bestimmen will, sei auf die vortreffliche Sammlung des Freiherrn W. v. Biedermann „Goethes Gespräche“ verwiesen.
Die erste Auflage dieses Buches, die im Oktober 1899 erschien, wurde sehr freundlich aufgenommen. Dennoch habe ich eine gründliche Umarbeitung für nötig gehalten; namentlich sind jetzt auch die Quellennachweise genauer und bequemer einzusehen.
Mein Wunsch ist, dass manche Leser durch meine Hülfsmittel Goethes Gedanken besser kennenlernen und dass auch sie durch das vertraute Gespräch mit ihm auf ihrem Gange durch die Welt gefördert und erheitert werden.
Weimar, Ende November 1901.
Dr. Wilhelm Bode.