Читать книгу Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil - Döring Georg - Страница 1

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Die zwei hoffnungsvollen Schüler des Leydener Professors Eobanus Hazenbrook hatten, als sie ihn am heutigen Morgen verließen, ihre Schritte zum Haven von Rotterdam gelenkt. Es dünkte ihnen wahrscheinlich, daß Clelia van Vlieten mit ihrem Herzallerliebsten zu Wasser entflohen sey, indem sie hier nicht so leicht eine Entdeckung und Verfolgung zu fürchten hatten, als auf einem Landwege.

»Sandis!« sagte Le Vaillant, als sie an der vorüberströmenden Maas standen und zahllose Schiffe ab- und zufahren sahen, »wir sind ein Paar irrende Ritter geworden aus den Zeiten der Tafelrunde und ziehen auf Abentheuer, wie die Helden Lancelot und Parcival. Aber wo ist unsere Dame vom See, wo ist das heilige Graal? – Da fahren Schiffe nach Ost- und Westindien, nach Constantinopel und Copenhagen, sie alle wissen das Ziel ihrer Reise, den Weg, den sie zu nehmen haben, aber wir stehen schon hier, wie vor einem bezauberten Schlosse, das uns hundert Pforten zeigt, aber keine vor uns aufthut, weil wir den Talisman nicht kennen, der sie eröffnet.«

»Es wird sich Alles finden!« erwiederte der ruhige La Paix. »Nur nichts übereilt, nur nicht Sturm gelaufen am unrechten Orte. Festina lente! sagen die Alten und der Professor, und ein Sprüchlein, das sich seit tausend Jahren bewährt hat, kann uns wohl auch zum Frommen gereichen. Haben wir doch jetzt Ferienzeit, Geld im Sacke und sind der Aufsicht des lästigen Professors entledigt. Mag er seine egyptische Gelehrsamkeit auskramen, wo er will, uns soll das freie Leben behagen und wenn wir in dieser Zeit den Musen opfern, so müssen es holländische seyn im Spitzenhäubchen und Silbermieder!«

»Cadédis!« rief sein Freund. »Das heißt weise gesprochen. Wir wollen deine Lebensphilosophie so lange in’s Praktische übersetzen, wie es unsere Gelder aushalten. Aber die Hauptsache ist, daß wir erst wissen, wo der Wind die Amasia hingeweht hat, die wir aufsuchen sollen. Ist es zu Lande, so führen wir in unsern Börsen Alles, was wir bedürfen; ist es aber zu Wasser, so müssen wir reichlich für die nothwendigsten Lebensmittel sorgen: als da sind geräucherte Würste, Wildpret, Austern, Mandeln, Rosinen und Zucker; dann jene Getränke, deren wir durchaus bedürfen, um Jugend und Leben zu conserviren: den belebenden Genever, den kräftigen Rhum, den beruhigenden Burgunder und das treffliche Bier aus Löwen, dem man mit Recht den königlichen Namen des Pharao gegeben hat.«

»Nimm dich in Acht!« ermahnte La Paix und zeigte mit der erhobenen Hand nach einem Manne in der Kleidung eines gemeinen Schiffers, der schlafend so hart am Rande des Havenbassins lag, daß er bei der geringsten Bewegung hinabfallen konnte. »Nimm dir ein Beispiel an dem Burschen! Der scheint auch dem hold belebenden Genever so lange zugesprochen zu haben, bis er den Gang am Havenbassin für seine Hangematte angesehen und sich unbekümmert hingelegt hat zum Schlafe, aus dem ihn ein unruhiger Traum in den ewigen befördern kann. Komm her, Le Vaillant! Wir wollen ein gutes Werk thun! Nimm du den Schläfer bei den Schultern, ich nehme ihn an den Füßen. Da legen wir ihn zur Seite, mit dem Kopfe auf die Wollsäcke dort, und wir können so uns einbilden, ein Menschenleben gerettet zu haben.«

Le Vaillant griff sogleich zu. Aber er that dieses so derb, daß der Seemann, während sie ihn nach dem von La Paix bezeichneten Platze trugen, halb erwachte und, ihr Benehmen mißverstehend, heftig mit den Fäusten um sich schlug.

»Seyd Ihr es, Myn Heer Cornelius van Daalen?« rief er, ohne die Augen zu öffnen, mit lallender Zunge und noch von der Macht des betäubenden Wachholderrausches befangen. »Soll ich Euch noch einmal an Bord der Syrene führen, wie ich in dieser Nacht gethan, mit der schönen Jungfer, die sich so gar innig an Euch schmiegte! Kommt nur her! Die Brücke liegt. Gleich sind wir drüben, wo Capitän Jansen Euch erwartet.«

»Bei allen Reichthümern der Gascogne!« rief Le Vaillant, indem er den verstummenden Trunkenbold ziemlich unsanft auf die Wollsäcke hinwarf. »Jetzt wirst du dich doch überzeugen, daß der Wachholder gar kein zu verachtendes Getränk ist, denn er lös’t die Zungen und öffnet die Herzen. Er ist uns der Compaß geworden, nach dem wir unsere Fahrt regeln können. Aber der Bursch muß noch mehr reden! Ich will ihn mit meiner Degenspitze kitzeln, bis er munter genug geworden ist, um die ganze Entführungsgeschichte ausführlich zu erzählen.«

»Bist du rasend?« sagte La Paix und hielt den Unbesonnenen zurück, der schon den Degen halb entblößt hatte. »Siehst du dort die stämmigen Bursche herumschlendern, seine Freunde und Cameraden, die jetzt gerade ein müßiges Stündchen hätten, um es bei der geringsten Gewaltthätigkeit gegen ihn, mit einer gymnastischen Uebung auszufüllen, die uns übel bekommen dürfte? Sieh, wie sie schon argwöhnisch ihre Blicke auf uns richten! Wir müssen die Sache anders anfangen. Wir wissen nun schon genug, um in wenigen Augenblicken ganz im Reinen seyn zu können. Laß mich nur machen! Jene selbst sollen uns das Uebrige sagen, aber dazu müssen wir ihr Vertrauen gewinnen.«

Er beugte sich nun zu dem Schlafenden herab. Er faßte ihn so sanft und zart an, wie er nur vermochte, legte ihn möglichst bequem auf die Wollsäcke und steckte ihm, so daß es die näher tretenden und neugierig gaffenden Seeleute deutlich bemerken konnten, ein Stück Geld in die halbgeöffnete Hand.

»Richtig!« sagte jetzt einer von diesen, der ganz nahe herangekommen war. »Es ist Peter Trip von der Barke Syrene, Capitän Jansen. Er kann das Trinken nicht lassen, bis ihn der Verstand verläßt und, ich wette zehn holländische Dreidecker gegen eine spanische Galliotte, daß er sich an derselben Stelle benebelt hat, wo Ihr ihn fandet. Aber woher mag er das Geld bekommen haben? Niemand borgt ihm mehr und sein Capitän hebt ihm schon seit lang den Sold auf, damit er in seinen alten Tagen etwas hat.«

Indem die Schiffleute sich über diesen wichtigen Gegenstand in die scharfsinnigsten Vermuthungen verloren, zeigte sich La Paix noch immer thätig, dem Schlafenden eine recht bequeme Lage zu verschaffen. Er zupfte bald an den Wollsäcken, auf welchen er hingestreckt lag, bald suchte er ihn mit den in Unordnung gerathenen Kleidern gegen die kühle Luft zu verwahren, bald rückte er ihm den schweren sinkenden Kopf zurecht.

»Bemühet Euch nicht so sehr um ihn!« hob jetzt wieder der Mann an, der vorher gesprochen hatte. »Er schläft jetzt sein Stück weg, bis der Wachholder all verdampft ist, der ihm den Kopf einnimmt. Er fühlt auch nicht, ob er weich oder hart liegt, denn seine Knochen sind die Steine mehr gewohnt, als ein Bett oder die Hangematte. Sein Herr ist heute Morgen in aller Frühe nach Antwerpen unter Segel gegangen. Der Peter thut nicht mehr gut auf dem Schiffe. Er ist zu steif und zu faul. Deshalb läßt ihn der Capitän immer daheim, damit er im Gewölbe die Kisten und Ballen verwahre, die für die nächste Fahrt eingebracht werden.«

»Nach Antwerpen? Morgué! dahin müssen wir auch,« fuhr Le Vaillant unbesonnen heraus, »und noch in dieser Stunde.«

Der französische Schwur, der übereilt seinen Lippen entflohen, machte sogleich die Matrosen stutzig. Sie sahen ihn finster an. Sie flüsterten einander ihre Vermuthungen zu und einige ballten schon drohend die kräftigen Fäuste, um sie im nächsten Augenblicke vielleicht den Feind des Vaterlandes empfinden zu lassen. Da trat der besonnene La Paix dem leichtsinnigen Freunde ebenso heftig, wie bedeutsam, auf den Fuß und sagte zu den Umstehenden mit seiner sanften, fast mädchenhaften Stimme:

»Wir sind Wallonen, liebe Leute. Wir kommen von Leyden und wollen in die Heimath, um unsere Eltern zu besuchen. Aber wir haben Eile. Wir wären heute Morgen schon gern mit der Syrene abgefahren, doch sind wir zu spät gekommen und wir sahen die Barke schon in weiter Ferne, als wir am Haven anlangten. Da, Freunde, trinkt einmal auf unsere Gesundheit! Sagt mir aber auch, ob wir nicht gleich Gelegenheit finden können, auf irgend einem schnellen Fahrzeuge der Syrene nachzusegeln und sie noch während ihrer Fahrt zu erreichen?«

»Nichts leichter, als das!« erwiederte sehr freundlich der Seemann, der sich selbst zum Sprecher aufgeworfen und das Geld genommen hatte. »Seht Ihr dort den Kutter, der eben anfängt sich zu bewegen und hin und her zu schaukeln auf den Wellen? Die Leute drauf sind im Begriff, die Anker zu lichten und in Zeit von fünf Minuten sind alle Segel aufgespannt und er tritt seine Fahrt durch den Biesbosch und das Hollands-Diep nach Middelburg an, um die Binnengewässer von den kreuzenden Dons rein zu fegen und zu kehren. Der holt die Syrene noch vor Abends ein. Kommt in meinen Nachen! In zwei Minuten bring’ ich Euch an Bord. Der Capitän ist ein Seehund, der ein Dutzend Spagnols zum Frühstück aufzehrt. Aber er liebt auch das Geld und wenn Ihr nicht karg seyd, so nimmt er Euch gern mit. Es giebt dann auch wohl Gelegenheit, Euere Bratspieße auf die Dons zu versuchen, denn, wie es heißt, so treiben sie die Frechheit so weit, ihre Flagge im Biesbosch und im Diep blicken zu lassen.«

»Das könnte mir gefallen!« sagte mit einem behaglichen Lächeln Le Vaillant zu La Paix in lateinischer Sprache, während beide dem Schiffer zu seinem Kahne folgten. »Wenn ich meinen Degen einmal an einem andern wetzen kann, so gilt mir’s gleichviel, ob’s an einem englischen oder an einem spanischen geschieht. Ich kann so die Hidalgo’s nicht leiden wegen ihres Hochmuths und das Bündniß, das sie mit unserm allergnädigsten Ludwig geschlossen, ist ganz und gar nicht nach meinem Sinne.«

Mit der Schnelligkeit eines Pfeiles durchschnitt das kleine Fahrzeug, in dem sie sich befanden, die Wellen. Es wurde von acht kräftigen und geübten Armen fortbewegt. Sie erreichten den Kutter gerade in dem Augenblicke, als der letzte Anker gehoben werden sollte. Ihrer Aufnahme stellte sich keine Schwierigkeit entgegen und, von günstigen Winden fortgetrieben, hatten sie bald die gute Stadt Rotterdam aus den Augen verloren.

La Paix grollte mit seinem Freunde, der unbesonnen und voreilig wie er einmal war, die unmäßige Forderung des Capitäns sogleich bewilligt hatte, ohne weiter zu handeln. Er ging auf der einen Seite des Verdeckes mit untergeschlagenen Armen auf und nieder, während jener, trotzig den Groll erwiedernd, auf der anderen Seite, nur mit schnelleren und unruhigeren Schritten dasselbe that. La Paix war im Grunde ebenso reizbar wie Le Vaillant, nur hatte er sich gewöhnt eine Sanftmuth und Ruhe zu affectiren, die viele für eine wirkliche Eigenthümlichkeit seines Characters hielten. Aber manche seiner Mitstudenten in Leyden mußten sich schon überzeugen, daß er ebenso leicht zu beleidigen und ebenso bereit sey, jede Beleidigung zu rächen, wie sein Landsmann aus der Gascogne. Dabei war sein Groll tiefer und dauernder. Was Le Vaillant in einer Viertelstunde längst wieder vergessen hatte, das nagte noch lange an der Seele seines Freundes und konnte durch den geringsten Anstoß zu einem Ausbruche des Unwillens angeregt werden, der sich nur schlecht unter der Maske eines kalten und ruhigen Spottes verbarg.

In den Anblick der vorübereilenden Ufer verloren, die der lebhaften Empfänglichkeit Le Vaillant’s manchen Anziehungspunkt boten, dachte dieser bald nicht mehr an den unbedeutenden Zwiespalt und dessen Gegenstand. Erst, als er dem Freunde am Vordertheile des Schiffes begegnete und die spöttische Miene bemerkte, mit der ihn dieser betrachtete, kam ihm die Sache wieder in’s Gedächtniß. Von jeher war ihm nichts so verhaßt gewesen, als der kalte Hohn, in den La Paix bei solchen Gelegenheiten sich wappnete. Auch in ihm wurde die Galle jetzt wieder rege und er sagte, indem er, die Hand an das Gefäß seines langen Raufdegens legend, vor dem Cameraden stehen blieb:

»Corbleu, Sire La Paix, Ihr macht ein Gesicht, als suchtet Ihr Händel! Uebrigens ist Euch bekannt, daß der Mann, der einem Waffengang nie aus dem Wege geht, nicht fern ist und ich muß Euch ersuchen, Euere spöttischen Blicke nicht auf ihn, sondern nach einer andern Seite zu richten, wohin es Euch sonst belieben mag.«

»Ich sehe hin, wohin ich will und ob ich spöttisch oder zärtlich blicken mag, das liegt ebensowohl ganz in meinem Willen;« erwiederte mit erkünstelter Kälte La Paix. »Im Uebrigen beruhige dich, guter Le Vaillant!« fuhr er in einem Tone des Hohns fort, der seinem Freunde über Alles verhaßt und unerträglich war. »Wir wollen uns nicht entzweien! Ich habe mir im Gegentheile vorgenommen, für dich die Wohlthätigkeit fremder Leute anzusprechen, wenn du unser sämmtliches Reisegeld großmüthig verschleudert haben wirst, damit es dir wenigstens nicht an einem Diner de Gascogne, an einer Zwiebel und einem Stück Brod fehlt!«

»Cadédis!« fuhr Le Vaillant auf: »ich glaube gar, du willst meines Vaterlandes spotten? Laß dir das vergehen oder es ist aus mit unserer Freundschaft! Freilich speist man gern Zwiebeln an den Ufern der Garonne, aber wenn das geschieht, so kommt es daher, weil eine gascognische Zwiebel delikater ist, als Alles, was das Raffinement Euerer Pariser Küche ersinnen kann. Sandis! du solltest Zwiebeln mit mir gefrühstückt haben im Garten meines Vaters, als ich manchmal, da ich noch ein Knabe war, gegen sein Verbot hinein schlich und naschte und nicht aufhören konnte zu naschen. Ich habe köstliche Dinge später kennen gelernt in Frankreich und im Auslande, aber aller Wohlgeschmack der Südfrüchte, der Seefische und der Austern ist nur ein Schatten gegen die Delicatesse einer Zwiebel in meiner Heimath.«

Le Vaillant war bei dem Lobe seines Vaterlandes wieder in seinen gutmüthigen Ton gerathen und es wäre Alles freundlich zwischen den beiden jungen Leuten abgethan worden, wenn der Andere ebenso schnell seinen Groll vergessen und seine Neckereien hätte lassen können. La Paix aber begann aufs Neue in jenem kalten spöttischen Tone:

»So lange du deine Gasconaden nur auf die Zwiebeln beschränkst, kann ich sie mir wohl gefallen lassen. Willst du sie aber auf meinen Beutel erstrecken, so muß ich sie mir verbitten. Schon zu oft haben deine Sottisen ihn in einen Zustand der Schwindsucht versetzt und mein Vater dürfte endlich müde werden, an einem unheilbaren Kranken immerfort zu curiren.«

»Sottisen?« entgegnete ernst und gesetzt Le Vaillant, indem er mit dem Anstande eines Mannes, der wohl weiß, daß bei einer Ehrensache kein Punkt ritterlicher Courtoisie aus den Augen gesetzt werden darf, einen Schritt zurückthat. »Das ist eine Beleidigung, wie Ihr wißt, die nur mit dem Degen in der Hand wieder gut gemacht werden kann, Sire La Paix. So es Euch beliebt, wollen wir gleich einen Gang mit einander machen und ich hoffe, da ich bis jetzt noch keinen Mangel an Muth bei Euch wahrgenommen, Euch dazu bereit zu finden.«

»Gewiß, Sire Le Vaillant!« versetzte der Aufgeforderte, dessen natürlichem Muthe jetzt die erkünstelte Ruhe wich. »Noch nie habe ich eine Einladung dieser Art ausgeschlagen, besonders wenn sie von den Ufern der Garonne kam, wo der Muth mehr auf der Zunge, als an der Degenspitze sitzt.«

»Zieh!« rief durch diesen neuen Spott zum Uebermaße gereizt, der Gegner mit ausbrechender Wuth. »Deinesgleichen habe ich schon ein Dutzend vor meiner Degenspitze hergetrieben. Sandis! Ich will deine Klinge zerbrechen und hinwegschleudern, daß du sie in den Fluthen der Nordsee wieder suchen sollst!«

Bei allem Ernste der Sache mußte La Paix laut auflachen über diese ungeheuere Gasconade. Le Vaillant wurde nun noch wüthender. In einem Augenblicke waren beide mit den gewaltigen, den ganzen Vorderarm bedeckenden Stulpenhandschuhen bekleidet, die sie im Gürtel bei sich führten.

»En garde!« schrie der junge Gascogner, mit dem Degen in der Hand zum Ausfalle gerüstet.

La Paix stand ihm ruhig gegenüber. Auch er hatte den Degen gezogen und schien den Angriff des Freundes, den er, wie er jetzt wohl einsah, muthwillig selbst zu seinem Gegner gemacht hatte, zu erwarten. Sein sanftes Angesicht, seine schlanke Gestalt, die sich in der zierlichen Fechterstellung auf das Vortheilhafteste zeigte, gaben ihm das Ansehen einer Amazone, deren Muth dem Vertrauen auf ihre Kunstfertigkeit gleich ist.

Aber es sollte kein Blut vergossen werden zwischen den beiden Freunden! Le Vaillant hatte zweimal den drohenden Appell, wie ihn die französische Fechtersitte vorschreibt, durch Stampfen mit dem Fuße gegeben, er war eben im Begriffe, beim drittenmale auf die Brust des Freundes auszufallen; als plötzlich hart an seiner Seite eine tiefe Baßstimme laut ward und zugleich ein schwirrender Ton über ihren Häuptern erklang.

»Halt da!« gebot die Baßstimme mit dem Ausdrucke einer Bestimmtheit, der die Arme der Kampflustigen lähmte. »Wer es wagt und den Degen zückt auf den andern, dem zerschmettere ich im Augenblick das Gehirn. Rauferei, Meuterei auf meinem Schiffe? Seh doch einer die Gelbschnäbel! Habe ich Euch den Platz auf dem Kutter vermiethet, daß Ihr hier Lärm anfangt und mir das Verdeck mit Euerem Blute besudelt? Hier bin ich Herr: Capitän Jonas! Hinein mit den Klingen in die Scheiden oder Ihr sollt lernen, was es heißt, gekielholt werden!«

Die beiden unbesonnenen jungen Leute sahen sich umringt. Mehrere Matrosen hatten einen Kreis um sie geschlossen. Der Capitän und seine Leute schwangen mit drohenden Gebehrden schwere Ruder über ihren Häuptern und ein Wort, ein Wink des Capitäns, so fielen diese nieder zu zermalmenden Schlägen. Die Blicke, mit denen Le Vaillant und La Paix diese rasch und in aller Stille getroffenen Anstalten musterten, sprachen deutlich ihre Betroffenheit und die Erkenntniß aus, daß eben hier kein anderes Heil, als in unbedingter Unterwerfung zu finden sey.

Unter dem hoch gehobenen rechten Arme des Capitäns blickte das lächelnde Antlitz eines schönen, etwa zwanzigjährigen Mädchens hervor. Sie schien sich an der Verlegenheit der zwei Jünglinge zu weiden. Das halb verbissene Lachen gab ihren Zügen etwas sehr Schalkhaftes und Reizendes. La Paix bemerkte sie zuerst und sein leicht entzündbares Herz fing sogleich Feuer an den lebhaften Augen des schönen Mädchens. Wie sein Freund übereilt und vorschnell in allen Dingen war, so war es La Paix allein in der Liebe, aber hier auch in einem solchen Uebermaße, daß er, wenn er verliebt war, leicht zu allen übrigen Fehlern verleitet werden konnte, von denen er sonst mit allem Aufwande von Beredsamkeit seinen Cameraden abzuhalten suchte. Glücklicherweise war seine Liebe ebenso flüchtig, wie stark. Der Anblick des reizenden Wesens gab ihm seine Fassung zurück. Mit einem lauten Gelächter und indem er den Degen rasch in die Scheide schob, ging er auf Le Vaillant zu, bot diesem freundlich die Hand und sagte in französischer Sprache, von der er voraussetzte, daß sie keiner der Anwesenden verstünde:

»Soyons amis, Cinna! Wir waren nahe daran, einen dummen Streich zu machen und ich war daran Schuld. Gieb mir die Hand, Le Vaillant! Ich habe dich gekränkt, mein Freund, aber du hast nun einige Grobheiten voraus, die du mir bei Gelegenheit mit Interessen wiedergeben darfst!«

Der leidenschaftliche, aber dabei gutmüthige Gascogner schlug ein.

»Sandis!« sagte er. »Du mußt es auch nicht gar zu grob machen. Wo soll ich sonst die Interessen herausbringen, ohne wieder den Degen zur Hand zu nehmen?«

Jetzt trat La Paix zu dem Capitän. Dieser blickte ihn aus dem einen Auge, das ihm bei einem mißlungenen Versuche, ein englisches Linienschiff durch einen Brander in die Luft zu sprengen, übrig geblieben war, finster und argwöhnisch an. Seine Leute hatten zwar die Ruder sinken lassen, aber in ihren Gebehrden lag noch so viel Drohendes, daß der Jüngling wohl einsah, er müsse alle seine Gewandtheit aufbieten, um das bisherige gute Vernehmen wieder herzustellen. Besonders fürchtete er, daß man sie als Franzosen erkennen möchte und dann war’s vorbei mit allen schönen Plänen, mit allen zu erwartenden Abentheuern.

Capitän Jonas, eine kurze stämmige Gestalt, war schon ein Fünfziger. Sein Kopf zeigte einen nackten Scheitel, von einem schwarzen Sammetkäppchen leicht bedeckt. Auf der Stelle, wo sein rechtes Auge gesessen, lag ein Pflaster, das linke schien die beiden Jünglinge zu durchbohren. Er stand da, wie ein Richter, der das Bekenntniß eines Schuldigen erwartet. Neben ihm war seine Tochter hervorgetreten, die reizende Juliane, in deren anmuthigen Gesichtszügen ein Ausdruck von Leichtsinn, der dem Menschenkenner unangenehm auffallen mußte, überwiegend hervortrat. Sie hatte seit früher Kindheit alle Kreuz- und Querzüge des Vaters auf Flüssen und Meeren mitgemacht, hatte immer unter Männern gelebt und war von dem Alten, der Alles, außer dem Dienste und der Schiffsordnung, gleichgültig ansah, ganz ihren Neigungen überlassen worden.

Indem der zierliche La Paix sich beiden näherte, wendete sich seine Verbeugung mehr nach der Tochter, wie nach dem Vater hin.

»Verzeiht, wohlmögender Heer,« sagte er in gutem Holländisch und mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, zu diesem, »wenn ich Euch bemerken muß, daß Ihr von einem Irrthume befangen, mich und meinen Freund in einem ernstlichen Handgemenge wähntet. Wie kämen wir dazu: Stuben- und Schlafgenossen seit langer Zeit? Wir wollten uns die Zeit vertreiben mit einem leichten Fechterspiele, mit einer Uebung, wie wir sie Morgens gewöhnlich unternehmen. Freilich hatten wir Unrecht, Euch nicht zuvor davon in Kenntniß zu setzen und ich würde untröstlich seyn, wenn unsere Unbesonnenheit vielleicht diese zarte Jungfrau erschreckt hätte!«

»Nein, nein!« entgegnete lachend Juliane. »Ich bin nicht so schreckhaft, wie Ihr Euch einbildet, und habe schon ganz andere Dinge gesehen, als ein Paar junge Leute, die mit ihren Degen ein zweckloses Spiel trieben. Auch erkannte ich gleich,« setzte sie mit einem listigen Blicke hinzu, »daß das Ganze nur auf einen Scherz abgesehen war. Deshalb wird’s auch der Vater nicht so genau nehmen, denn ein Scherz ist kein unerlaubtes Ding an Bord des lustigen Freiers von Rotterdam

Der Capitän schien zwar mit dieser Erklärung nicht ganz zufrieden, aber sey es, daß er dem Rathe seiner Tochter zu folgen gewohnt war, oder daß er die reich scheinenden jungen Leute nicht weiter bedrängen mochte: genug! er gab den Matrosen einen Wink, sich wieder an ihre angewiesene Plätze zu begeben und zog sich selbst brummend in die Gegend des Steuerruders zurück.

Der lustige Freier von Rotterdam segelte so schnell, daß sie bald den Haven und die weißen, glänzenden Häuser von Dortrecht zur Seite hatten. La Paix stand neben Julianen und schien bereits in ein sehr vertrauliches Gespräch mit dem Mädchen verflochten, das ihm offenbar eine große Freundlichkeit und Gefälligkeit zeigte. Sein nicht so glücklicher Freund lag auf eine Bank hingestreckt und bemühete sich, seine Aufmerksamkeit dem vierten Buche der Aeneide zu widmen, die er zu seiner Unterhaltung auf die Reise mitgenommen hatte. Aber weder Aeneas noch Dido wollten ihn heute ansprechen. Statt mit beiden in die verhängnißvolle Höhle zu wandern und sie dort zu belauschen, flogen seine Blicke oft neidisch nach dem kosenden Paare hin und als sich dieses endlich gar von dem Verdecke in das Innere des Schiffes zurückzog, warf er das Buch unwillig zur Seite und trat an das Hinterdeck, um hier seine heiße Brust durch die anströmende scharfe Herbstluft kühlen zu lassen.

»Kommt mit in meine Cajüte!« sagte Juliane, indem sie den entzückten La Paix die dunkele Treppe hinabzog. »Die hat der Vater für mich besonders einrichten lassen und wir sind da ungestörter und traulicher, als in dem großen Zimmer, wo bald den Bootsmann, bald den Vater, bald einen anderen irgend ein Geschäft hinführt. Ihr sollt sehen, wie hübsch und glänzend Alles bei mir aufgeputzt ist. Das ist so recht ein Staatszimmerchen für einen jungen Mann von nobler Herkunft, wie Ihr zu seyn scheint, Myn Heer!«

In der That schimmerten und blinkten auch die Mahagoniwände des artigen Kabinets, wie venetianische Spiegel. Allenthalben sah dem Jünglinge, neben dem seinigen, das anmuthige, schalkhafte Gesicht seiner freundlichen Begleiterin entgegen. Er hatte noch nie ein weibliches Wesen gefunden, das, nach einer so kurzen Bekanntschaft, sich ihm so zuvorkommend genähert hätte, und gewiß war unter diesen Umständen der Gedanke, daß er, wie Cäsar gekommen sey, um zu sehen und zu siegen, bei einem jungen, leicht anregbaren Franzosen sehr verzeihlich.

Eine Laute lag auf dem Seidenpolster, das längs der einen Seitenwand hinlief. Juliane schob das Instrument bei Seite und, nachdem sie schäkernd den jungen Mann zum Sitzen genöthigt, öffnete sie ein Schränkchen und holte ein versiegeltes Fläschchen und einen Teller mit köstlich duftenden Zimmetschnitten hervor.

»Wir wollen frühstücken!« sagte sie, indem sie Beides auf das Tischchen vor dem Polster stellte und sich neben La Paix niederließ. »Hier ist köstlicher Rosoli, den mir mein Oheim aus Schidam verehrt, und diese Zimmetschnitten habe ich selbst gebacken. Laßt Euch Beides munden! Wir haben noch einige Stunden, bis wir die Syrene erreichen, und die müssen wir so gut, als möglich auszufüllen suchen.«

La Paix war überselig. Er ergriff ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Sie aber entwand sie ihm lachend, um von einem nahe befindlichen Gestelle ein Paar zierliche silberne Becher herbeizureichen, die sie mit dem süßen geistigen Getränk bis zum Rande füllte.

»Auf gut Glück in unserm Vorhaben!« sagte sie und stieß mit einem Feuerblicke, der dem Leydener Studenten tief in die Seele drang, an den Becher, den dieser ergriffen hatte. Er wurde doch ein wenig betroffen, als er Julianen den nicht gar kleinen Pokal auf einen Zug leeren sah; folgte aber, um nicht zurück zu bleiben, ihrem Beispiele und verstieß so, von seiner Verliebtheit irre geführt, schon zum erstenmale gegen seine Gewohnheit, von gebrannten Wassern nur zu nippen. Das Getränk war sehr stark. Dem zarten La Paix drängte es Thränen in die Augen, während Juliane nicht anders that, als habe sie ein Glas Wasser getrunken. Sie lachte ihn aus und schenkte von Neuem ein.

»Ihr seyd ein Student und könnt nicht trinken?« spottete sie. »Ihr sollt es von mir lernen, daß Ihr Euch nicht wieder vor einem holländischen Mädchen zu schämen braucht! Freilich sind sie nicht alle, wie ich, auf den Schiffen groß gewachsen, wo die Seeluft eine kräftige Nahrung und ein starkes Getränk erheischt; aber eine Stadtjungfer aus Amsterdam oder dem Haag verschmäht doch auch ein Gläschen Rosoli nicht, denn es reinigt die Haut und belebt das Blut. Trinkt noch einmal! Ihr sollt eine gute Lehrmeisterin an mir finden. Stoßt an! Auf das Wohl derer, die Ihr liebt!«

La Paix sah voraus, daß der Uebergenuß des ungewohnten Getränks ihm einen Rausch zuziehen würde; aber er konnte diese Gesundheit nicht ausschlagen.

»Auf Euer Wohl!« entgegnete er und zwang sich noch einmal den Becher zu leeren.

Während Juliane rasch den Inhalt des ihrigen hinabstürzte, warf sie einen forschenden Blick auf ihren Gesellschafter. Sie sah ein, daß sie ihm, zu Erreichung ihrer Absicht, nicht weiter mit Trinken zusetzen dürfe. Sie schob lachend die Gläser bei Seite, drang ihm einige Schnitte des Zimmetgebäckes auf und sagte:

»Ich wette, Euer Freund Cadédis ist mehr vertraut mit der Rosoliflasche, als Ihr! An den Ufern der Garonne gebraucht man nicht blos den Zwiebelsaft zur Stärkung der Kräfte, man kennt auch recht gut die hülfreichen Geisterchen, die in einer solchen Phiole verstöpselt und verborgen stecken.«

Diese Anspielung auf sein früheres Gespräch mit Le Vaillant, verrieth dem Studenten, daß Juliane sie belauscht hatte, daß sie ihre Sprache verstehe und, was noch schlimmer war, ohne Zweifel sie auch als Franzosen erkenne. Dennoch besaß er noch Herrschaft genug über sich, um sich nicht weiter zu verrathen. Wie hätte er auch in einem solchen Augenblicke mehr an andere Dinge denken können, als an das reizende Wesen an seiner Seite? Sie hatte ihm jetzt ihre Hand überlassen, er durfte diese an seine Lippen drücken. Sein ganzes Innere war erregt, sein Herz klopfte ungestüm, er sah mit schmachtenden Blicken die holde Juliane an, ohne den spöttischen Zug, der bei aller Freundlichkeit in ihrer Miene lag, zu bemerken.

»Himmlische Juliane!« rief er im Tone der Begeisterung. »Ihr macht mich zum Glücklichsten aller Sterblichen, indem Ihr mir erlaubt, diese schönste Stunde meines Lebens an Euerer Seite hinzubringen. O, wer immer so fort schiffen könnte, immer fort – bis an der Welt Ende!«

»Das würde sehr langweilig seyn!« lachte das Mädchen hell auf. »Hört lieber zu! Ich will Euch ein französisches Liedchen singen. Ihr liebt ja die französische Sprache!« setzte sie scharf betonend hinzu, »und vielleicht behagt Euch mein Lied besser, als mein Rosoli, und meine Zimmetschnitten.«

Sie ergriff die Laute und stimmte ein leichtsinniges Lied an. Ihre liebliche Stimme steigerte das Entzücken des schwärmerischen Jünglings zu einem hohen Grade; seine Augen hafteten an den zierlichen Fingern, die leicht und gewandt über die Saiten flogen. Aus ihren Blicken sprüheten Blitze auf ihn, die Worte des Liedes sagten noch mehr: um keine Schätze der Welt hätte La Paix diese Augenblicke hingegeben!

Das Lied war erst zur Hälfte, als Juliane plötzlich die Laute auf’s Polster warf, ihr hübsches Gesichtchen in verdrießliche Falten legte und mit dem Ausdrucke der Ungeduld ausrief:

»Mein Himmel, auch der Gesang langweilt mich! Wir müssen etwas Anderes vornehmen. Wir sind noch nicht im Biesbosch,« fuhr sie fort, indem sie durch’s Fenster sah, »wir müssen Alles aufbieten, die langweilige Fahrt erträglich zu machen. Da habt Ihr ein Andenken an diese Stunde, lieber Junker! Es ist ein Riechfläschlein mit köstlichem Balsam, das mir wiederum der gute Oheim in Schidam verehrt. Denkt dabei manchmal an die fröhliche Juliane, die es so gar gut mit Euch gemeint!«

Bei diesen Worten zog sie ein Schublädchen aus dem Tischchen und nahm, während La Paix mit wonnetrunkener Miene das süße Aroma des Büchschens in sich sog, Würfel und Karten hervor. Der Student achtete nicht darauf. Er war, nachdem er das Geschenk in der Nähe des Herzens wohl verwahrt hatte, beschäftigt, ein goldenes Kettchen von seinem Halse loszumachen, an dem sich eine werthvolle Schaumünze von demselben Metall befand. Beides hatte er in der Abschiedsstunde von seiner Mutter erhalten, und er achtete es über Alles hoch. Aber der Sinnentaumel riß ihn fort. Was er in einem Zustande ruhiger Besonnenheit um keinen Preis hingegeben haben würde, fiel jetzt der listigen Juliane als eine willkommene Beute zu.

Sie hielt die glänzende Gabe ans Licht, betrachtete sie mit lüsternen Blicken und fragte endlich im Tone des Zweifels:

»Ist’s gut Gold, lieber Junker? Man muß doch wissen, was man trägt von so werther Hand.«

»Gewiß!« betheuerte La Paix. »Aecht Peruanisches! Mein Großvater hat es selbst aus Amerika mitgebracht. O, glaubt mir, himmlische Juliane, so lauter und stark, wie dieses Metall, ist die Liebe, die ich zu Euch im Herzen trage!«

»Charmant!« versetzte die himmlische Juliane, indem sie die schöne Kette mit dem Schaustück behaglich in ihr Mieder schob. »Aber laßt uns Eins würfeln, Herzensjunker! Blos zum Scherz, einen Gulden den Einsatz und wer zuletzt gewonnen hat, der lacht den andern aus! Ich würfle für mein Leben gern. Die Stunden verfliegen, wie Minuten, und das Spiel versetzt in eine so angenehme Spannung, die ich mit Nichts in der Welt vergleichen kann. Kommt her! Da ist mein Satz. Die Sache wird bald abgethan seyn, denn viel darf ich nicht wagen, weil mich der Vater sehr knapp hält im Gelde.«

Sie schüttete ihr kleines Börs’chen auf dem Tische aus. Was hätte La Paix in dem Zustande der Liebe und halber Trunkenheit, in dem er sich befand, dem verführerischen Mädchen abschlagen können? Er setzte und verlor rasch hintereinander. Sie neckte ihn mit seinem Verluste und meinte, er sey nicht stärker im Spielen, wie im Trinken. Diese Neckerei reizte den jungen Mann, der ganz aus seinem gewöhnlichen Geleis gekommen war, immer mehr. Die Sätze wurden verdoppelt, das Glück blieb Julianen getreu. Während des Spiels unterhielt sie ihn mit kurzweiligen Reden, nannte ihn bald ihren Herzensjunker, bald ihr liebstes Studentchen, und ihre freundlichen Blicke verwirrten ihn noch überdem so sehr, daß er gar nicht bemerkte, wie ihr kleiner Finger oft auf den Tisch huschte, einen ihr ungünstigen Wurf in einen günstigen verwandelnd, und wie sie zuletzt sogar ganz andere Würfel unter dem Tischchen hervorbrachte und mit diesen gegen ihn und die schon vorhandenen spielte. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als der letzte Gulden aus des Studenten Börse zu ihr hinüberflog und dieser den leeren Beutel verlegen vor sich hinhielt.

Aber das laute Gelächter, das Juliane, indem sie aufstand, erschallen ließ, brachte ihn einigermaßen zur Besinnung. Der dumme Streich, den er gemacht hatte, wurde ihm klar; allein noch ließ ihn die Liebe nicht aus ihren Schlingen.

»Herrliches Mädchen!« rief er aus und schritt ihr mit geöffneten Armen nach: »Alles was ich besitze gehört Euch, aber nehmt auch mein Herz an und laßt unsere Lippen diesen süßen Bund besiegeln!«

Da veränderte sich mit einemmale Julianens ganzes Wesen. Ihre Blicke wurden finster, ihre Züge streng und ernst, sie sah den Jüngling von oben bis unten mit einer geringschätzigen Miene an und sagte wegwerfend:

»Was fällt Euch ein, Junker? Ihr müßt wohl wenig mit ehrsamen Jungfrauen umgegangen seyn, daß Ihr eine Freundlichkeit, wie sie das gesellige Leben mit sich bringt, für eine Aufmunterung zu unanständiger Aufdringlichkeit nehmt. Ich habe Euch Höflichkeit erwiesen und dafür gebt Ihr mir Schimpf zurück. Ich dürfte das meinem Vater entdecken und er würde diese Beleidigung auf eine Weise bestrafen, die Euer unerlaubtes Liebesfeuer wohl abkühlen sollte! Doch ich will großmüthig seyn. Ich verzeihe Euch, Euere große Jugend mag Euch entschuldigen! Wenn Ihr einmal aus den Knabenjahren heraus seyd, dann wird ein tugendhaftes Mädchen wohl eher, ohne Gefahr für ihre Ehre, bei Euch verweilen können.«

Die himmlische Juliane warf noch einen durchbohrenden Blick auf den betretenen La Paix. Dann rauschte sie schnellen Schrittes aus dem Closett, die Treppe hinauf nach dem Verdeck hin. Der Student sah ihr dumm nach. Endlich erst begriff er – zu spät – die ganze Größe seiner Albernheit. Er sah ein, daß er in das Netz einer listigen Betrügerin gefallen sey, daß er, der sonst so weise und besonnene La Paix – einen Gimpelstreich begangen habe, vor dem sich selbst der so oft getadelte Le Vaillant zu hüten gewußt haben würde. Er hatte Alles verspielt bis auf den letzten Heller, das immer so treu bewahrte Angedenken seiner Mutter war auch dahin und – was hatte er dafür? Ein hölzernes Büchschen, das stark nach Moschus und Wachholder roch. Ingrimmig riß er es hervor, schleuderte es zu Boden und zertrat es.

»Mußte ich darum Latein und Griechisch lernen, Philologie und Physiologie studiren, Anatomie und Medecin treiben, um mich auf eine so bejammernswürdige Weise anführen zu lassen?« rief er gegen sich selbst erbittert aus. »Wenn Le Vaillant die Sache merkt, wie wird er triumphiren! Doch Ruhe, La Paix, Fassung, Frieden! Es ist nicht das erstemal, daß dir die Moneten ausgingen. Ein braver Bursch verzagt nicht!«

Der Rausch von Liebe und Rosoli war verflogen. Er ging gefaßt auf das Verdeck. Sein Antlitz zeigte Ruhe und Heiterkeit. Er warf nur einen Seitenblick auf Juliane, die jetzt neben Le Vaillant am Vordertheile des Schiffes stand und diesen ebenso freundlich anlockend beäugelte und besprach, wie sie es früher ihm selbst gemacht hatte. Le Vaillant aber blickte noch immer verdrießlich und gab ihr kurze Antworten.

»Den will sie auch kirren!« sagte La Paix zu sich selbst. »Ich werde ihr aber den Spaß verderben. Französisch versteht die Schlange, aber jetzt soll mir mein Latein helfen, wenn es mir auch gegen ihre Künste nichts genützt hat.«

Der lustige Freier von Rotterdam befand sich jetzt zwischen den Inseln des Biesbosches und Capitän Jonas hatte mit dem Auswerfen des Senkbleies, mit mancherlei Wendungen des Schiffes, um den Untiefen zu entgehen, so Viel zu thun, daß er nicht auf das Töchterlein achten konnte, wenn er es überhaupt auch für Noth gehalten hätte.

Mit freiem Anstande und ungetrübter Stirn trat La Paix zu seinem Freunde, der eben anfing durch Julianens fortgesetzte Freundlichkeit erwärmt zu werden und seine auf dem Geländer ruhende Hand dicht neben die ihrige gerückt hatte. Die listige Gaunerin schien betroffen über seine Gegenwart und sein unbefangenes Wesen. Nach einem Augenblicke aber lächelte sie zu ihm hin, als wenn nichts vorgefallen wäre. Die goldene Kette prangte an ihrem Halse und La Paix mußte einen Seufzer über seine Thorheit, dieses Kleinod an eine Unwürdige verschleudert zu haben, unterdrücken. Mit wenigen Worten hatte er dem staunenden Le Vaillant seine Abentheuer berichtet. Dieser verschluckte ein Cadédis, das ihm auf der Zunge schwebte. Dann besann er sich einen Moment, sah bedeutungsvoll nach seinem Cameraden und wandte sich nun mit einer sehr höflichen Gebehrde zu Julianen, die vergebens bemüht gewesen, etwas von der französisch klingenden Mittheilung zu verstehen.

»Prangende Schönheit, deren Reize des Aeußern noch weit übertroffen werden von denen des Innern,« begann er in einem ernsten und ehrerbietigen Tone, hinter dem sich aber der Spott schlecht versteckte: »wie ich so eben vernehme, so liebt Ihr ein kurzweiliges Spiel und seyd auch nebenbei dem Rosoli nicht abhold! Sandis! Das sind auch eben meine Passionen und ich habe bis jetzt vergebens versucht, sie auch meinem Freunde da werth und theuer zu machen. Der Rosoli bringt ihn herunter, aber er nicht jenen. Das Spiel kann ihn nur ergötzen, wenn er verliert, weil er so gar mildthätig ist und lieber gibt, denn nimmt. Ihr seht, wie ihm die Freude über seinen Verlust die Wange geröthet hat, wie er noch einmal so heiter in die Welt blickt, als früher, da er noch nicht verloren hatte! Ihr habt ihn glücklich gemacht, aber mich unglücklich! Nach jenem Kettlein mit der Schaumünze, die nur eine schlechte Zierde Euerer vortrefflichen Person ist, stand schon lange mein Gelüst. Cadédis! Ich habe ihm Geld, ich habe Alles geboten für dieses Kleinod. Jetzt besitzt Ihr es. Aber hört noch, Dame sonder Gleichen! Seht diesen Diamant an meinem Finger! Ich setze ihn gegen die Kette mit dem Schaustück, wir spielen d’rum und wem Fortuna wohl will, dem wird Beides!«

Die Blicke der Dame sonder Gleichen ruheten mit großer Begehrlichkeit auf dem köstlichen Ringe. Die Strahlen des Diamants drangen bis in ihr Herz: er hatte gewiß den vierfachen Werth der Kette und des Schaustücks. Wie herrlich mußte er sich nicht an Julianens zarter Hand ausnehmen? Ein solches Kleinod besaß sie noch gar nicht. Sie konnte dem lockenden Vorschlag nicht widerstehen.

»Gern, edler Junker!« erwiederte sie. »Harret nur einen Augenblick, bis ich die Würfel heraufhole!«

»Was Würfel!« entgegnete Le Vaillant, sie zurückhaltend. »Wir thun es kürzer ab. Hier ist mein Ring, Ihr legt das Kettlein daneben. Diesen Reichsthaler werf ich in die Höhe: rex oder Schrift! Auf was haltet Ihr?«

Die Begierde, den schönen Ring zu besitzen, überwog bei der edeln Juliane jede Bedenklichkeit.

»Rex!« rief sie, die diese Spielweise recht wohl verstand, mit zitternder Stimme und glühenden Blicken. Der Thaler flog in die Höhe und wieder zur Erde. Schon glaubte sie gewonnen zu haben, schon streckte sie die Hand nach beiden Kleinoden aus. —

»Schrift!« sagte da stark und kaltblütig Le Vaillant, indem er auf das liegende Silberstück wies. Die Kette war sein, er gab sie mit einem triumphirenden Lächeln seinem Freunde zurück.

»Ihr müßt weiter mit mir spielen!« eiferte die treffliche Jungfrau. Ihre Wangen färbten sich dunkelroth, ihre Augen blitzten. »Ihr müßt mir Revange geben,« fuhr sie fort, »Ihr müßt mir einen Satz halten im Würfelspiele, das auch weit unterhaltender ist, als Euer erbärmlicher Rex, mit dem ich nichts zu thun haben mag!«

»Ein andresmal, hochedle Jungfrau!« versetzte mit einer tiefen Verbeugung der Gascogner: »wenn wir uns einmal wieder treffen in der Welt!«

Bei diesen Worten nahm er La Paix unter den Arm und zog ihn nach einem anderen Theile des Schiffes.

»Das vergesse ich dir nicht, Le Vaillant!« sagte dieser, indem er dem Freunde herzlich die Hand drückte. »Du hast nun viel zu gut bei mir: einige Grobheiten und einen unbezahlbaren Freundschaftsdienst.«

Juliane aber sah den zwei jungen Männern mit boshaften Blicken nach. Sie bedachte sich ein Wenig. Dann wurde ihre Miene wieder heiter und lachend und singend hüpfte sie nach dem Vater zum Steuerruder hin. Sie sprach mit diesem eifrig und bedeutungsvoll, das eine Auge des Alten richtete sich oft nach den Studenten, er lächelte hämisch und gab der Tochter eine kurze Antwort, die diese jedoch ganz zufrieden zu stellen schien.

Noch immer schwebte der Kutter in den Gewässern des Biesbosches. Bald aber mußten sie ins Offene kommen und die Syrene, die unmöglich einen großen Vorsprung haben konnte, mußte sich ihnen zeigen. Da rollte es mit einemmale, wie Kanonendonner über die Wellen heran, die durch einen Wind, der sich erhoben hatte, bewegt wurden, da folgten dem ersten Schuße in geringer Entfernung mehrere andere, ein dunkler Rauch stieg hinter einer Insel, dem Kutter zur Rechten, auf, der Himmel hatte sich verdunkelt und eine schwarze Wolke hing drohend herab.

»Alle Segel auf!« befahl des Capitäns Stimme. »Das ist ein Tanz zwischen Geusen und Spaniern oder Franzosen. Wir müssen auch dabei seyn. Frisch, ihr Jungen! Das kann gute Beute geben, wenn wir noch bei Zeiten anlangen!«

Schreiend flog Juliane, die nur Muth hinter’m Würfelbecher besaß, in die Cajüte hinab. In wenigen Minuten hatte sich eine stolze Wucht von Segeln über dem Kutter entfaltet. Er schoß wie ein Pfeil über die Wogen hin. Schuß folgte jetzt auf Schuß, das Gefecht konnte keine halbe Meile entfernt seyn.

»Morgué.« sagte Le Vaillant zu La Paix, indem er seinen Degen in der Scheide lüpfte. »Es wird etwas Warmes setzen! Sind es Spanier, so mache ich gemeinschaftliche Sache mit dem lustigen Freier von Rotterdam; sind es aber Landsleute, so falle ich ihm in den Rücken.«

Man kam dem Orte des Gefechtes immer näher. Jetzt schwieg das Feuer des groben Geschützes, aber deutlich wurden die Schüße der Hakenbüchsen, das Geschrei der Kämpfenden vernommen.

»Leewärts!« commandirte Jonas nach dem Steuermanne hin. Die Bewegung wurde vollzogen, das Fahrzeug schoß nur noch einige Schiffslängen weit vor sich hin, die Spitze der Insel war erreicht, der überraschten Mannschaft des Kutters zeigte sich die spanische Schebecke in Flammen und Jansen’s wohlbekannte Barke, die in einer Stellung, welche sie als Siegerin verkündete, dem brennenden Fahrzeug gegenüber hielt.

»Victoria!« jubelten Alle und die zwei lebhaften Jünglinge von Leyden konnten sich nicht enthalten miteinzustimmen.

Da erblickte Le Vaillant, der ein sehr scharfes Auge besaß und mit großer Aufmerksamkeit das ihm neue Schauspiel betrachtete, durch den heranziehenden Rauch hindurch einen kleinen Nachen, der gerade auf den Kutter zuruderte. Er kam näher. Er schwankte hin und her auf den Wellen, er schien beschädigt und dem Untersinken nahe. Der Gascogner unterschied fünf Menschen in dem kleinen Fahrzeuge, von denen zwei emsig die Ruder bearbeiteten, die andern drei ebenso eifrig den Nachen von dem Wasser zu entleeren suchten, das durch alle Fugen eindrang.

»Sandis!« rief er dem Capitän zu, indem er ihn auf die Gefahr der Menschen im Nachen aufmerksam machte. »Die gehen unter, wenn ihnen nicht bald geholfen wird.«

Der Kutter war dem Nachen jetzt so nahe, daß man die herbeirudernden Leute erkennen konnte. Einer von ihnen schwang ein weißes Tuch nach dem lustigen Freier von Rotterdam hin.

»Ich will mit dem Spagnol in die Luft fahren,« brach Jonas in wilder Heftigkeit aus, »wenn das nicht Herrmanneke von Jansens Barke ist und neben ihm – wahrhaftig – das ist mein alter Freund, Heer Cornelius van Daalen, des dicksten Mannes Sohn in Rotterdam! Wie kommt der Landläufer in das Seehundsgebiet, was hat er zu fischen im Biesbosch

Die Jölle lag am Kutter, aber sie war auch im Begriff unterzugehen. Taue und Leitern flogen nach den befreundeten Männern herab. Sie kletterten an Bord, während ihr Fahrzeug versank. Die Gesichter von Pulverdampf geschwärzt, die Kleider halb verbrannt, von Wasser triefend, standen sie, munter um sich blickend, vor dem staunenden Capitän des Kutters. Auch Le Vaillant und La Paix hatten sich herbeigedrängt. Mit Blicken der Neugierde sahen sie auf Cornelius, der sich durch seinen Anstand und seine Kleidung vor den übrigen auszeichnete. Sie erblickten ihren Feind in ihm, den Gegner, dem sie eine kostbare Beute abnehmen wollten; aber sie konnten zugleich nicht umhin, seine kriegerische Haltung, den Muth, den er eben bei einem wahrscheinlich sehr gefährlichen Unternehmen bewiesen, zu bewundern.

Herrmanneke war der erste an Bord Gekommene, welcher die Stille unterbrach.

»Gebt mir ein Glas Brandwein!« sagte er. »Wir haben es wohl verdient. Aber dem Heern Cornelius gebt zwei, denn er hat mehr gethan, als wir andern alle.«

Er erhielt was er verlangte. Zu Cornelius war schon Capitän Jonas getreten. Er wollte eben sprechen, da flog die Schebecke in die Luft, und in starrem Verstummen stand Alles auf dem Kutter. Das Wasser wogte ungestüm. Aus der verdunkelten Luft flogen einzelne Trümmer der zerschmetterten Schebecke herab. Den zwei Studenten von Leyden, die dergleichen noch nie gesehen, trat das Blut zum Herzen.

»Das haben wir gethan!« hob mit stolzem Selbstbewußtseyn der Bootsmann der Syrene an. »Oder,« setzte er verdrießlich hinzu, »Junker Cornelius hat eigentlich dem Don den rothen Hahn aufgesteckt und wir haben nur die Jölle unter seinem Spiegel gehalten, damit der verwegenste Streich, der je in diesen Gewässern erlebt worden, ausgeführt werden konnte!«

»Ihr, Myn Heer van Daalen?« sagte im Tone zweifelhaften Erstaunens Capitän Jonas. »Ihr habt Euch auf das Element gewagt, das keine Balken hat? Ihr habt dem Spagnol ein Autodafé angezündet auf seinem eigenen Schiffe, so daß er als ein geläuterter Christ gen Himmel gefahren? Auf Seemannsehre, dann muß nächstens der Landheld Marlborough die Flotte kommandiren und Prinz Eugenius ihm als Vice-Admiral beigegeben werden!«

»Nassau und Oranien!« erwiederte lachend Cornelius, indem er sich von einem Matrosen seinen Uniformrock säubern ließ. »Ihr macht viel Aufhebens um nichts! Die spanischen Butterschläuche waren alle am Vorsteven mit Entern beschäftigt, da kletterte ich ungesehen im Pulverdampfe auf ihr Schiff, schlich in die Nähe der Pulverkammer und machte das glimmende Brandwerk fest – das ist Alles! Dergleichen Dinge kommen uns Landsoldaten zu hunderten vor, aber wir halten sie für nichts Besonderes und reden nicht viel davon.«

Jonas schwieg verblüfft, aber durch die Reihen seiner Leute lief ein Gemurmel des Beifalls. Le Vaillant drückte dem La Paix die Hand. Beide verstanden sich. Sie theilten das Gefühl der Achtung vor dem jungen Helden, aber sie dachten auch daran, daß es ihnen um so größere Ehre bringen würde, dem kühnen Cornelius die entführte Clelia wieder abzunehmen.

»Sandis!« flüsterte der Gascogner seinem Freunde zu. »Das ist ein wackerer Bursche, allein eben darum müssen wir unserm Plane getreu bleiben und ohne Furcht auf das Ziel los gehen.«

»Gewiß!« entgegnete La Paix. »Wir haben unser Wort gegeben.«

In diesem Augenblicke kehrte der erste Gedanke an die Geliebte in Cornelius Seele zurück. Es gewährte ihm eine süße Empfindung, auch ihr, durch den kühnen Streich, der ihm gelungen, Freiheit, Ehre und wahrscheinlich das Leben selbst gerettet zu haben. Aber in welcher Sorge, in welcher entsetzlichen Beängstigung um ihn konnte sie schweben, während er ruhig und sicher hier verweilte und die Zeit mit unnützen Dingen hinbrachte!

»Schafft mich schnell zurück auf die Barke!« sagte er hastig zu dem Kutter-Capitän. »Verliert keinen Augenblick! Jeder kann dem theuersten Leben Gefahr bringen!«

Jonas sah ihn erstaunt an, aber auf seinen Wink ward sogleich ein Boot in’s Wasser gelassen. »Und wohin führt Euch Euer Weg weiter von Antwerpen?« rief er dem Forteilenden nach.

»Nach Mastricht, Capitän!« erwiederte Cornelius hinabspringend. Die vier Matrosen von der Syrene und einige Leute des Kutters folgten ihm.

»Jetzt ist es Zeit!« sagte La Paix zu seinem Freunde und Beide drängten sich vor, um auch das nach der Barke abgehende Boot zu besteigen.

»Halt da!« donnerte die Stimme des Kutter-Capitäns sie an, indem er ihnen in den Weg trat. »Ihr bleibt zurück! Ihr seyd Franzosen, ihr seyd meine Gefangene!«

Wüthend griffen die zwei Studenten nach den Degen, um sich mit Gewalt freie Bahn zu machen; aber im nämlichen Augenblicke schon sahen sie sich ihrer Waffen beraubt. Einige Matrosen hatten sie von hinten ergriffen, kein Widerstand war möglich.

Das Boot stieß ab. Mit einem schallenden Gelächter ließ Jonas die entwaffneten Jünglinge stehen. Der laute Spott der Matrosen verwundete sie bis in das tief Innerste.

»Das ist Julianens Werk!« knirschte Le Vaillant im verbissenen Ingrimm. »Corbleu! Ich werde mich an ihr rächen.«

»Nur ruhig!« ermahnte La Paix. »Mit Gewalt ist hier nichts zu thun.«

Der Kutter zog stolz an der Barke vorüber. Die Capitäne begrüßten sich. Auf der Bank am Steuerborde lag bleich und, wie es schien, in tiefer Ohnmacht eine weiß gekleidete Frauengestalt. Man war so nahe, daß man ihre schönen, regelmäßigen Züge erkennen konnte. Le Vaillant und La Paix mußten sehen, wie Cornelius hastig an Bord der Syrene stieg, wie er sich in unruhiger Bewegung der Ohnmächtigen näherte und sie mit dem Feuer, mit der Besorgniß eines Liebenden an seine Brust schloß.

»Das ist Clelia van Vlieten!« sprach mit einiger Erbitterung La Paix. »Sie sind glücklich vereint und wir – «

»Sandis!« unterbrach ihn der Gascogner mit dem Fuße aufstampfend. »Ich gönne ihm das Mädchen, aber unsere Ehre gebietet uns, sie ihm zu entreißen.«

»Wenn wir uns erst selbst dem Capitän Jonas und seiner verschmitzten Juliane entrissen haben werden!« setzte La Paix kaltblütig hinzu. »Mastricht heißt die Losung: dort finden wir sie wieder!«

Von günstigen Winden getragen, schwebte der lustige Freier von Rotterdam dem Hollands-Diep zu. Bald sah man die Barke nur noch wie einen kleinen schwarzen Punkt, in weiter Entfernung hinter sich. Noch einige Minuten lang konnten die scharfsichtigen Blicke der Leydener Studenten sie erreichen. Dann war sie ganz verschwunden.

Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil

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