Читать книгу Lebendige Seelsorge 6/2017 - Echter Verlag - Страница 4
ОглавлениеWir könnten. Pastorale Innovation mit dem Gründer*innen Handbuch
Im zurückliegenden Jahrzehnt entwickelte sich im Bistum Aachen zeitweise ein regelrechtes Gründerklima, das innovationsmotivierte junge Theolog/innen aus anderen Teilen der Republik motivieren konnte, beruflich nach Westen aufzubrechen. Im Mittelpunkt dieser von lokalen Gemeindegründungen getragenen Entwicklung entstand unter anderem ein Gründertraining für Seelsorger/innen, dessen Erträge im ZAP-Projekt „Gründerkompetenzen für Seelsorger/innen“ zu einer eigenen Forschungslinie wurden. Die hieraus erwachsene Publikation „Kirche neu gründen“ ist angekündigt für Mitte 2018 und verdiskursiviert unter pragmatistischem Vorzeichen die pastoraltheologische Debatte um die Zeichen der Zeit mit dem Begriff der unternehmerischen Gelegenheit in der ökonomischen Entrepreneurshiptheorie. Florian Sobetzko
Das im Sommer 2017 erschienene „Gründer*innen Handbuch für pastorale Startups und Innovationsprojekte“ wendet zentrale Erträge dieser Forschung praxeologisch, indem es aktuelle Modelle unternehmerischen Gründens und Innovierens für die Pastoralentwicklung verfügbar macht.
Das Gründer*innen Handbuch erscheint in seiner aufwändigen Gestaltung für ein theologisches Fachbuch manchem/r Leser/in ungewohnt bunt, dabei aufgrund des Umfangs von 480 Seiten und des dem Vollfarbdruck geschuldeten Gewichts von 1200g vielleicht etwas überfordernd. Wer das Konzept des Buches aber einmal durchschaut hat, wird flexibel damit arbeiten können. Man kann das Gründer*innen Handbuch von vorne bis hinten durcharbeiten oder es kursorisch nutzen. Dabei hilft die grafische Benutzerführung mit Hinweisen, wo man mit welchem Interesse oder welcher Herausforderungslage einsteigen sollte.
INNOVATIONSFÄHIGKEIT: KEINE BEGABUNG, SONDERN ERLERNBARE KOMPETENZ
Wer es beruflich mit pastoraler Innovation zu tun bekommt, der merkt schnell: Es braucht Verrückte, es braucht aber eben auch Leute, die mit den Verrückten zusammenarbeiten können. Egal nun, wo in dem breiten und teils blumigen Spektrum zwischen Gemeindepflanzern, Pastoralpionieren und kirchlichen Innovationsmanager/innen sich der/die Leser/in verortet, Innovationsfähigkeit ist keine Begabung, die man entweder hat oder nicht, sondern sie ist als sehr klar strukturiertes und vor allem erlernbares Kompetenzmodell beschreibbar in einer dreischrittigen Logik von der Idee zur erfolgreichen Umsetzung. Die Schritte heißen Ideation – Applikation – Diffusion, oder einfacher: Ausdenken – Ausprobieren – Ausbreiten. Womit zugleich klargestellt wäre: Innovation ist mehr als nur eine originelle Idee oder eine reine Novität.
Florian Sobetzko
Dipl.-Theol., arbeitete 2000–2017 als Pastoralreferent im Bistum Aachen und Gründer der kafarna:um Hauskirchengemeinde Aachen, 2013–2017 als Referent für Innovationsprozesse und Personalentwicklung in der Hauptabteilung Pastoralpersonal; seit November 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzzentrums „Internationale Pastorale Innovation“ am ZAP.
Innovation ist mehr als nur eine originelle Idee oder eine reine Novität.
LUST AUF PASTORALEN ERFOLG
Das Gründer*innen Handbuch will kreative Unzufriedenheit wecken, Mut machen und Lust auf echten pastoralen Erfolg jenseits des nur gut Gemeinten. Und weil nichts so sehr ermutigt und inspiriert wie die Begegnung mit erfolgreichen Gründer/innen, wird der Auftakt mit einer Erfolgsstory abgeschlossen: Als solche jedenfalls verstehen die Autoren die das Buch auch später als Praxisbeispiel durchziehende Gründungsgeschichte von Zeitfenster Aachen, die der Gemeindereferent Jürgen Maubach hier in berufsbiographischer Perspektive erzählt.
Maubach ist dabei kein ausgeflippt Verrückter, sondern er ist und bleibt ein bodenständiger, wertschätzender und nachdenklicher Seelsorger von nebenan, der sich seine Sporen in den sogenannten „klassischen“ Einsatzfeldern auch weiterhin verdient, dabei aber seine kreative Sehnsucht kirchenproduktiv gewendet hat. Maubach kann auch mit Verrückten zusammenarbeiten, muss es aber nicht.
KIRCHE ALS START-UP
Im Zentrum des Buches steht das seit 2010 entwickelte und im Rahmen des Aachener Gründertrainings für Seelsorger/innen erprobte Ecclesiopreneurship-Konzept. Pastoralstrategisch grundlegend ist dabei die Idee, dass jenseits der sich ausbreitenden und aber im Metaphorischen verbleibenden Rede von der Kairóshaftigkeit der kirchlichen Krise ein auf echte Wirksamkeit zielender Modus der Kirchenentwicklung fällig ist, der es nicht beim Sehen und Urteilen belässt, ohne ins Handeln zu kommen.
Das Credo des Gründer*innen Handbuches lautet hier: Lieber neue Fehler machen als immer wieder die ständig selben, alten. Die dazu optimale Vorgehensweise ist sehr kleinschrittig und macht entscheidende Anleihen bei Konzepten unternehmerischer Start-up-Entwicklung, Geschäftsmodellinnovation und dem sogenannten Design Thinking. Alle drei Schlagworte sind konzeptuell mit sehr dynamischen Verfahren in oft maximalem Kundenkontakt verbunden.
Dies wiederum unterscheidet sich von der gewohnten Art und Weise, wie bei Kirche normalerweise gearbeitet wird – nicht nur, weil Christ/innen natürlich keine Kirchenkunden sind.
Kirchlich ist man es gewohnt, dass Projekte in aufwändigen Planungsprozessen heranreifen und dann möglichst minutiös umgesetzt werden. Der Plan definiert den Weg über feste Meilensteine hin zum Ziel. Das Team steht gerne schon zu Beginn fest und besteht bevorzugt aus hauptamtlichen Profis. Ideen kommen in der Regel von den organigraphisch Zuständigen innerhalb der Organisation. Die für die Ressourcenvergabe verantwortlichen Gremien tagen halbjährlich bis jährlich. Bezuschusst werden vertrauenswürdige Pläne zur Erreichung sichtbarer Ziele. Risiken werden durch möglichst präzise Planung minimiert, Scheitern gilt als Misserfolg. Da es dennoch passiert, wird es kaschiert und umgedeutet. Kurz: Ein Innovationsprojekt besteht hier normalerweise in der Ausführung eines Planes.
LIEBER NEUE FEHLER MACHEN ALS IMMER DIE ALTEN
Start-ups – und eben auch pastorale – funktionieren aber eigentlich anders. Sie sind keine große Organisation in klein, sondern temporäre Organisationsformen zur Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells bzw. hier: zur Entwicklung neuen pastoralen Handlungswissens. Projekte entstehen in kleinen Updatezyklen, bei denen sich das Vorhaben innerhalb weniger Tage sehr verändern kann. Das letztliche Ziel ist bei Prozessbeginn oft noch völlig unsichtbar, weil zunächst mittelorientiert mit dem gearbeitet wird, was an Ressourcen und Ideen zur Verfügung steht. Der Ressourcenbedarf verändert sich dadurch ebenfalls eher kurzfristig, keinesfalls aber halbjährlich oder jährlich. Das Team entsteht auf dem Weg, abhängig von der Leistungsbereitschaft der verfügbaren Talente. Ideen können von überallher kommen, nicht nur von hauptamtlichen Expert/innen mit ihrem unmittelbaren Zugang zu den Entscheidern. Und umgesetzt wird im Start-up nur, was die Beteiligten so überzeugend finden, dass sie ihre Ressourcen aktiv einbringen.
Statt klar definierter und planbarer Endprodukte bieten Start-ups also vor allem Personen und Visionen, sie müssen Mittel einwerben für einen Wissensproduktionsprozess mit möglicherweise unklarem Ausgang. Risiken sind schlicht nicht auszuschließen, Unvorhergesehenes kann den Plan ändern oder auch das ganze Projekt beenden.
Das alles klingt nun erheblich riskanter, aber die Fallhöhe ist geringer: Durch kleinschrittige, agile Verfahren in kurzen Updatezyklen werden riesige Fehlinvestitionen so weit wie möglich vermieden. Statt ein großes und aufwändiges Projekt aufgrund vorheriger Analysen und Einschätzungen vollständig umzusetzen und dann an der Realität zu überprüfen, werden Start-ups optimalerweise in größtmöglichem Kontakt zu ihren Anwender/innen immer wieder testen, ob ihre Produktidee und das dazugehörige Geschäftsmodell tatsächlich Kunden findet.
Aus Sicht der Autoren des Gründer*innen Handbuches klingt diese in Jahrzehnten ökonomischer Entrepreneurshipforschung und Gründerförderung gewachsene Arbeitsweise nach einem attraktiven Vorschlag auch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte.
Auch die bestehen dann optimalerweise nicht in der Ausführung eines Planes, sondern in der kleinschrittigen und anwenderorientierten Suche nach demselben. Und auch hier gehört eine Flasche Sekt in den Kühlschrank, um darauf anzustoßen, wenn man mal wieder einen interessanten neuen Fehler gemacht hat – und den Plan dann ändert oder nötigenfalls rechtzeitig beendet.
Die Resonanzen der Kursteilnehmer/innen des Gründertrainings sind eindeutig: „Wenn das so läuft, dann kann man sich an Innovationsprojekte heranwagen, ohne Angst vor dem großen Scheitern zu haben“. Es liegt allerdings auf der Hand, dass ein solches Design von Innovationsprozessen der kirchlichen Innovationsstrategie Konzessionen abverlangt. Fehlerkultur heißt das Stichwort, und gemeint ist keine Fehlerkulturmetaphorik, sondern ganz konkrete Maßnahmen, denn gefördert werden in solch einem Paradigma nicht nur gut geplante Projekte, sondern offene Innovationsprozesse.
Geeignete Förderzyklen orientieren sich dann nicht an institutionellen Rhythmen, sondern an den Bedarfen der Innovationsprojekte. Statt des großen Geldes für wenige, ausgewählte Projekte von bekannten und fachzuständigen Profis gibt es adaptive Förderung für eine Vielzahl von Unternehmungen, die nicht zuerst einen großen Plan schreiben, sondern die nachvollziehbar und systematisch ihre Ideen in der Interaktion mit ihren Partner/innen und erhofften Adressat/innen schärfen, bis sie nachweislich tragfähig sind.
Die Realität sieht bisher anders aus: Wo es Projektmittel und Fördertöpfe überhaupt gibt, müssen die Bewerber/innen innerhalb der Antragsfristen überzeugende Gesamtkonzepte vorlegen, ohne selbst sicher sein zu können. Die anschließende Bewilligung der Mittel hat dabei einen sonderbaren Effekt, denn sie suggeriert eine Autorisierung des Planes als geeignet: Wenn die uns das Geld geben, dann scheint es sich ja wirklich um eine starke Idee zu handeln…
Die Adaption unternehmerischer Innovationsstrategien ist keine Platitüde.
Das alles ist keine Raketenwissenschaft, und doch ist die Adaption unternehmerischer Innovationsstrategien auch theologisch keine Platitüde. Zugrunde liegt die Idee, den philosophisch-theologischen Begriff des Kairós analog der sog. Gelegenheit bzw. Opportunity des Entrepreneurshipdiskurses zu deuten.
Und hier finden sich drei unterschiedliche Sichtweisen dieser Gelegenheit, deren Auswahl sich am jeweiligen Unsicherheitsgrad festmacht. Egal, ob es sich um rein auf finanziellen Profit gerichtete Gründungen handelt oder um auf soziale, ökologische oder eben auch pastorale Nachhaltigkeit gerichtete Vorhaben, bei denen das Ökonomische nur als notwendige Nebenbedingung zu berücksichtigen ist, entscheidend ist die Wahl einer geeigneten Vorgehensweise zur Bearbeitung unterschiedlicher Grade an Unsicherheit, und zwar hier insbesondere marktlicher Unsicherheit. Marktliche Unsicherheit meint fehlende Information über Angebot, Nachfrage und Relation der beiden Größen.
Das Gründer*innen Handbuch unterscheidet hier im Anschluss an den ökonomischen Diskurs drei Sichtweisen eben auch pastoraler Gelegenheiten, die der Klarheit halber unpastoralisiert skizziert werden sollen. Die Rede von „Produkten“ ist dabei bewusst herausfordernd gesetzt, denn es geht natürlich nicht darum, Pastoral zum Geschäft umzudeklarieren, sondern gerade an der Reibungsfläche der Sprachspiele etwas Neues zu entwickeln.
1. Opportunity Recognition bzw. Erkennen von Gelegenheiten:
Produkt und Nachfrage sind bekannt, oder etwas neutraler: Mittel und Zwecke. Bei dieser Sicht bzw. Art der Gelegenheit wird man normalerweise nach bekannten Regeln bzw. Geschäftsmodell vorgehen, um etwa ein bewahrtes Angebot in bewährter Weise nun auch an einem anderen Ort auf den Markt zu bringen.
2. Opportunity Discovery bzw. Entdecken von Gelegenheiten:
Produkt oder Nachfrage sind bekannt, nicht aber das jeweils andere. Möglicherweise ist für ein vormals gefragtes Produkt die Kundschaft abgewandert, möglicherweise ist das Angebot auch ganz neu und die Zielgruppe muss noch entdeckt werden. Oder eben im umgekehrten Falle: Möglicherweise gibt es da draußen ein Problem oder Kundenbedürfnis, für das aber noch das passende Produkt gefunden oder erfunden werden muss.
3. Opportunity Creation bzw. Erschaffen von Gelegenheiten:
Produkt und Nachfrage sind unbekannt. Vielleicht gibt es nur eine neue Technologie, deren sinnvolle Anwendung aber noch aussteht, vielleicht gibt es sogar schlicht nur eine Krise der bisherigen Wirtschaftsweise, weil die früher bewährten Produkte nicht mehr lieferbar sind und sie auch eh keiner mehr haben wollte. Manchmal ist es auch einfach nur die Intuition eines/r Akteur/in, dass etwas Neues begonnen werden will, dass ein Aufbruch fällig ist.
Diese drei Szenarien ergeben die Achse, auf der das Gründer*innen Handbuch gezielte Verfahrensvorschläge unterbreitet. Ist ein Projekt so bewährt oder so weit gediehen, dass Angebot und Nachfrage erfolgversprechend kombiniert sind und in einem funktionierenden Konzept zur Anwendung kommen können, greifen planerische Verfahrensweisen – Opportunity bzw. Kairós muss „nur“ erkannt werden.
Fehlt aber eindeutige Information über Angebot oder Nachfrage, so greift das Discovery-Konzept: In experimenteller Annäherung muss das fehlende Element erschlossen werden. Das Gründer*innen Handbuch schlägt hier die kleinschrittige Annäherung mit der sog. Canvas-Methode vor: Hypothesen werden lose notiert und möglichst ressourcenschonend getestet.
Der eigentliche Start-up-Bereich, so wie er oben skizziert wurde, ist aber die Domäne des sog. Creation View der Opportunity. Wo hinsichtlich der Mittel und Wege zu einem noch unbekannten Ziel maximale Ungewissheit besteht, wo vielleicht außer der Krisenhaftigkeit der Ausgangslage keinerlei Rezeptidee Erfolg verspricht, da muss anders innoviert werden.
Das Buch empfiehlt hier die radikal mittelorientierte und co-kreative Vorgehensweise des sog. Effectuation-Ansatzes und seiner beliebten Kühlschrankmetapher: Gekocht wird mit dem, was im Kühlschrank ist. Statt des perfekten Menüs nach Rezept erhalten die Gäste eine Einladung zum Mitkochen, und zwar unter Einbezug des eigenen Kühlschrankinhaltes und eigener Rezeptideen. Gesucht werden nicht „die Richtigen“, sondern die, die da und bereit sind. Zufälle lassen sich nicht planen und können den Abendverlauf maßgeblich verändern. Und vor allem: Je diverser die Kochpartner/innen, desto diverser und ergiebiger für den Innovationsprozess sind die Rezeptideen und Kühlschrankinhalte.
In der Kirchenentwicklung geht es um nicht weniger als um das Erkennen, Entdecken und Erschaffen pastoraler Gelegenheiten kairóshafter Dignität.
Das Gründer*innen Handbuch will dies alles eben nicht nur auf die Erschaffung von unternehmerischen Gelegenheiten lesen, sondern es wendet den Vorschlag kairologisch auf pastorale Chancen. In der Kirchenentwicklung geht es um nicht weniger als um das Erkennen, Entdecken und Erschaffen pastoraler Gelegenheiten kairóshafter Dignität.
INNOVATION: KEIN BUNTER ORCHIDEENSTRAUCH
Im Hintergrund steht der Innovationsbegriff des Gründer*innen Handbuches, der der Reduktion des Innovativen auf das bloß Neue oder Originelle widerspricht. Originell zu sein alleine macht keine Innovation aus, sondern nur, was aus Nutzersicht brauchbar ist und sich auch nachhaltig umsetzen und ggf. verbreiten lässt, gilt als wirkliche Innovation. Wer pastorale Innovation so buchstabiert, kann beim ersten Hinsehen beunruhigt sein, denn es ist kirchlich ungewohnt, nach den Erfolgen zu fragen. Mehr Energie geht in die Umdeutung: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“, hört man sagen.
Dieses Abfinden mit der Erfolglosigkeit hat aber kritische Konsequenzen für die Kirchenentwicklung auf allen Ebenen. Denn eine kirchliche Organisation, in der Erfolg nicht nur für nicht relevant gehalten wird, sondern in deren Kultur sogar die Lust am pastoralen Erfolg als unangemessen oder eitel gilt, wird auf Dauer auch nur noch Menschen zur Mitarbeit gewinnen können, mit denen man erfolgreich erfolglos bleiben dürfte.
Strategisch bedeutsam ist ferner die klare Drift des Konzeptes zur Reproduzierbarkeit pastoraler Innovation: So wie sich die simple Spiritualisierung der kirchlichen Herausforderungslage durch die Kirchenleitungen verbietet, so wollen die Autoren auch die Pastoralpioniere motivieren, etwa mittels der sog. Canvas-Methode nach der Funktionsweise der Projekte zu fragen, um den Erfolg möglichst reproduzierbar zu machen. Denn zweifellos muss zwar vor Ort jeweils berücksichtigt werden, welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Aber wenn pastorale Innovation kein Orchideenfach bleiben will, so muss hier nachvollziehbares Wissen darüber produziert werden, wie erfolgreiche Modelle etwa einer „Kirche für Leute, die nicht mehr zur Kirche gehen“ auch andernorts gestartet werden könnte, ohne das Rad jeweils neu zu erfinden. Interessanter als das Original ist dann überraschenderweise die „Kopie“ des Neuen.
INNOVATION ALS TEIL DER EIGNERSTRATEGIE
Insofern am Anfang und am Ende speziell von kirchlichen Innovationsvorhaben die Frage nach den Rahmenbedingungen unausweichlich ist, schließt sich ein Kapitel zum Thema Führung und Innovationsmanagement an. Das Gründer*innen Handbuch macht hier wiederum Anleihen aus Führungsforschung und Technologie-Innovationsmanagement, thematisiert Innovationshindernisse wie etwa das Not-Invented-Here-Syndrom und die Kannibalisierung des Neuen durch das Alte, ferner das unternehmerisch bewährte Führungskonzept der sog. Dienenden Führung.
Gerade letzteres Modell erscheint im pastoralen Kontext gut brauchbar, weil es anschlussfähig für im besten Sinne christliche Führungsaufgaben erscheint, ohne dabei von ergebnisorientierter Verantwortungszuschreibung abzusehen.
THEOLOGISCHES SELBSTBEWUSSTSEIN FÜR PASTORALE PIONIERE
Das Gründer*innen Handbuch schließt mit einem theologischen Großkapitel, das übrigens in der Urfassung des Buchkonzepts am Anfang stand, aber in der nun vorliegenden Struktur einen stärker reflexiven und vor allem instrumentellen Charakter bekommt.
Reflexiv, weil das Buch einem Handeln-Sehen-Urteilen Paradigma folgt. Instrumentell deswegen, weil in der gegenwärtigen kirchlichen Lage pastorale Innovation und Gründung noch immer als Orchideenfach gelten und sich rechtfertigen müssen: Wo Pastoralpioniere ihre Projekte ohne belastbare Aufträge und bestenfalls noch mit ständig widerrufbarer „Erlaubnis von oben“ vorantreiben müssen, da hilft es sehr, die zentralen theologischen Argumente gebündelt parat zu haben, und sei es in Form eines 1200g schweren Ziegelsteins, mit dem man notfalls auch mal eine Scheibe einschmeißen könnte. Das gebührt sich nicht, aber die schiere Möglichkeit ändert etwas: Wir könnten, wenn wir nur wollten.
LITERATUR
Pott, Martin, Das „Aachener Innovations- und Gründertraining für Seelsorger*innen“ als strategischer Baustein diözesaner Pastoralentwicklung, in: https://www.euangel.de/ausgabe-2-2017/werkzeuge-aufdem-pastoralen-markt/das-aachener-innovations-und-gruendertrainingfuer-seelsorgerinnen/.
Sarasvathy, Saras D. et al., Three Views of Entrepreneurial Opportunity, in: Acs, Zoltan J./Audretsch, David B. (Hg.), Handbook of Entrepreneurship Research. An Interdisciplinary Survey and Introduction, New York 2010, 77–96.
Sobetzko, Florian/Sellmann, Matthias, Gründer*innen Handbuch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte, Würzburg 2017.