Читать книгу Heimkehr - Eckhard Lange - Страница 4
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ОглавлениеDamals. Nein, er hatte nicht zurückgeblickt, auf diesem Hügel oberhalb des väterlichen Hofes. Er wußte es: Der Vater würde noch immer dort unten stehen, hinaufblicken, warten. Worauf? Daß er doch noch umkehren würde? Daß er noch einmal winken würde, ehe der Weg hinab zur anderen Seite hin ihn seinen Blicken entziehen würde? Aber wollte nicht winken, und schon gar nicht umkehren. Er wollte fort. Nur fort. Schweigend hatte er erduldet, daß der Vater nach alter Sitte den Reisesegen über ihn sprach, so als wäre er für ein paar Tage, für ein paar Wochen irgendwo zu Besuch, um dann heimzukehren. Schweigend hatte er auch seine Umarmung erduldet, und ja - es hatte ihn schon geschmerzt, die unausgesprochene Trauer in den Augen des Vaters zu sehen.
Der Bruder war nicht zum Abschied erschienen. Noch vor Sonnenaufgang war er hinausgegangen auf die Felder, um dort nach dem Rechten zu schauen. Vielleicht war das besser so, hatte er damals gedacht. Denn bei ihm wäre er keiner Trauer begegnen, sondern Zorn und wohl auch Verachtung. Sie hatten sich ein Lebewohl erspart, beide.
Jetzt also wanderte er den Hang hinab, und die Gedanken liefen voraus, sahen schon, was noch zukünftig war, sahen, was er erhoffte und erträumte. Zügig schritt er voran, während die Sonne verschleiert am Himmel hing. Denn von Osten her, von der fernen Wüste her hatte ein Sturm den Sand aufgejagt, an den Himmel geschickt als künstliche Wolke. Nun zog sie über ihn hinweg, dem Meer zu auf der anderen Seite. Es war ihm recht, milderte sie doch die Hitze des Tages. Er würde ihr folgen, sie wies ihm den Weg gegen Westen. Die beiden Dörfer, die vor ihm lagen, umging er. Noch gab es dort Menschen, die er kannte, denen er nicht begegnen mochte, weil sie vielleicht Auskunft erheischten über das Wohin seines Weges.
Der abendliche Wind vom Meer her grüßte bereits, da hatte er die Stadt erreicht. Eine kleine Stadt nur, aber dort gab es einen Basar. Bei einem Tuchhändler blieb er stehen, er bot auch fertige Gewänder an, und eben danach suchte er. Wie sollte er auch mit diesem kurzen Bauernkittel aus grobem Leinen seinen Weg fortsetzen! Da gab es einen langen Rock, aus samtähnlich weichem Stoff gewebt, nicht übermäßig prunkvoll, doch mit gestickten Borten am Halsausschnitt und an den Ärmeln. Er reichte bis zu den Waden, ganz wie das Gewand des Vaters, das er zu Festzeiten trug, wenn die Arbeit ruhte und ein hoher Feiertag gewürdigt werden sollte. Nicht so lang, wie die Kleider der Priester, doch lang genug, um Wohlstand zu verkünden. Den üblichen Streit um den Preis hielt er kurz, zahlte. tauschte die Kleider und schenkte den alten Kittel einem blinden Bettler, der in der engen Gasse um milde Gaben bat.
Nun galt es, ein Maultier zu finden, denn sollte er seine Wanderung zu Fuß fortsetzen? Unwürdig wäre es, so den Reichtum zu verbergen, ungünstig auch, in diesem Gewand die staubige Straße zu nutzen. Und allzu anstrengend zudem, weil seine Reise hier schließlich nicht enden sollte. Sein Ziel waren die großen Städte am Meer, lebendig und aufregend bunt. So erwarb er auf dem Viehmarkt vor den Toren ein passendes Tier, kaufte auch Sattel und Zaumzeug, beschlagen mit kupfernen Knöpfen, die in der Sonne glänzten wie Gold. Dann kehrte er zurück auf der Suche nach einer Herberge. Die Karawanenstation mied er, denn schon von Ferne drangen Gelächter und Flüche der Kameltreiber herüber, schon von weitem der Geruch der Tiere.
In einer Gasse fand er ein Wirtshaus, das mit einem Nachtlager warb. Dort kehrte er ein, ließ sich Fladenbrot, Oliven und Trauben bringen, denn er war hungrig vom Weg. Auch bat er um einen Becher Wein, wählte den schweren, dunklen Roten von den Hängen des Karmel und lehnte es ab, ihn wie üblich mit Wasser zu mischen, zum Erstaunen, ja Erschrecken des Wirts und der drei Männer, die dort in einer Ecke zusammensaßen. So wurde ihm bald leicht ums Herz, und gerne nahm er an, als die Drei ihn mit freundlichen Worten anredeten, sich zu ihm setzten und seine Herkunft erforschten. Auch wenn er nach dem zweiten Becher redseliger wurde, den Grund seiner Reise verschwieg er, das Ziel deutete er ebenfalls nur an. Es war das Mißtrauen des bäuerlichen Menschen gegen Ausfragerei, das ihm geblieben war.
Zu einem Würfelspiel allerdings war er bereit, doch setzte er nur kleinste Summen, obwohl er dreimal hintereinander gewann. Er hatte daheim von den älteren Knechten oft genug gehört, daß die Spieler in den Herbergen gerne gefälschte Würfel nutzen, daß sie den Ahnungslosen anfangs gewinnen ließen, um ihm einen Glückstag vorzutäuschen und zu hohem Einsatz zu verlocken. Das alles wußte er, aber der Wein verwischte die Erinnerung, er erhöhte den Einsatz, nicht allzu sehr, aber merklich. Und er verlor ihn, bis er einen mahnenden Blick des Wirts an die anderen Mitspieler auffing. Da brach er das Spiel ab, täuschte Müdigkeit vor und bat, man möge ihm ein Nachtlager zeigen.
Allein in der Kammer, nutzte er die Zeit, um seinen Schatz besser zu verstecken. Der Händler hatte ihm auch deshalb das Gewand empfohlen, weil es im Inneren mancherlei kleine verborgene Taschen für Münzen bereithielt. Ebenso war der Saum so gearbeitet, daß man ihn mühelos öffnen konnte als zusätzliches Versteck. So hatte er am Abend schon viele Silbermünzen in wenige goldene getauscht, um weniger Gewicht tragen zu müssen. Nur in seinem Beutel verblieb ein Rest an Silberdenaren und kleineren Münzen, damit er stets zahlen konnte, ohne sein Geheimnis zu verraten. Als alles sorgfältig geschehen, alle Taschen wohl verschlossen und die Säume mit einigen Stichen wiederhergestellt waren, legte er sich auf die Schlafstatt, nicht ohne die Kammertür zu sichern gegen nächtliche Diebe.
Die Träume kamen und gingen, aber stets sah er dabei den Vater, sah seine Tränen, die er doch vor ihm verborgen hatte, hörte die Flüche des Bruders, die doch niemals laut gesprochen wurden. Er sah das Elternhaus, das plötzlich in Flammen stand, wollte löschen und konnte sich nicht bewegen, bis er mit einem Schrei erwachte, um bald darauf erneut Schreckliches zu erleben. Der Morgen graute bereits, als er endlich noch einmal tief und traumlos einschlief. Erst als der Wirt an die Tür pochte und sich nach ihm erkundigte, fuhr er auf, kleidete sich an und ging hinunter.