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Der Goldkäfer
ОглавлениеVor vielen Jahren befreundete ich mich mit einem gewissen William Legrand. Er stammte aus einer alten Hugenottenfamilie und war einst wohlhabend gewesen, bis er durch eine Folge von Unglücksfällen verarmte. Um nun den Demütigungen seiner üblen Lage zu entgehen, verließ er seine Vaterstadt New Orleans und schlug seinen Wohnsitz auf der Sullivansinsel nahe bei Charleston in Südkarolina auf.
Es ist dies eine merkwürdige Insel. Sie besteht eigentlich nur aus Seesand und ist ungefähr drei Meilen lang und höchstens eine Viertelmeile breit. Vom Festland trennt sie ein kaum bemerkbarer Flußarm, der sich träge durch eine Wildnis von Schilf und Schlamm wälzt und den Lieblingsaufenthalt der Wasserhühner bildet. Natürlich ist die Vegetation ärmlich und niedrig, einigermaßen hohe Bäume gibt es überhaupt nicht. Am Westende beim Fort Moultrie, wo einige elende Holzhäuser stehen, die im Sommer Bewohnern von Charleston eine Zuflucht vor Staub und Fieber bieten, wächst die stachlige Zwergpalme. Sonst aber ist die ganze Insel, wenn man von einem schmalen weißen Küstenstreifen an der Seeseite absieht, dicht bedeckt mit den Sträuchern der wohlriechenden Myrte, die bei den englischen Gärtnern so beliebt ist. Sie erreichen hier manchmal eine Höhe von fünfzehn bis zwanzig Fuß und bilden ein fast undurchdringliches, von schwerem Duft erfülltes Dickicht.
Im tiefsten Innern dieses Dickichts, nahe beim östlichen und entlegensten Ende der Insel, hatte Legrand eine kleine Hütte gebaut, die er bewohnte, als ich, rein durch Zufall, seine Bekanntschaft machte. Bald entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft, denn es gab vieles bei diesem Einsiedler, was mein Interesse und meine Achtung erweckte. Er besaß eine gute Erziehung und ungewöhnliche geistige Fähigkeiten, war aber etwas menschenscheu und fiel oft in wunderliche Stimmungen, die zwischen höchster Begeisterung und tiefster Schwermut schwankten. Er besaß eine Menge Bücher, las aber selten darin. Seine Lieblingsbeschäftigung war Jagd und Fischfang. Auch schlenderte er gerne an der Küste und in den Büschen herum und suchte merkwürdige Muscheln und Insekten. Besonders um seine Insektensammlung würde ihn sogar ein Swammerdamm beneidet haben. Gewöhnlich begleitete ihn bei diesen Ausflügen ein alter Neger namens Jupiter, dem die Familie schon vor dem Zusammenbruch die Freiheit geschenkt hatte. Aber weder durch Drohungen noch Versprechungen konnte man ihn von dem abbringen, was er als sein gutes Recht betrachtete, nämlich seinem jungen »Massa Will« auf Schritt und Tritt zu folgen und ihm zu dienen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Verwandten Legrands, die diesen für geistig nicht ganz normal hielten, Jupiter absichtlich die Idee eingeflößt hatten, um so dem Sonderling eine Aufsicht und einen Schutz zu geben.
Im Breitengrad der Sullivansinsel sind die Winter meistens sehr mild, und es kommt selten vor, daß man einmal Feuer anmachen muß. Mitte Oktober 18... hatten wir aber einmal einen bemerkenswert kalten Tag. Es war kurz vor Sonnenuntergang, als ich mir durch das Immergrün meinen Weg nach der Hütte meines Freundes bahnte. Ich hatte ihn seit mehreren Wochen nicht mehr besucht, denn ich wohnte damals neun Meilen von der Insel entfernt in Charleston, und die Gelegenheit zur Hin- und Rückfahrt war damals nicht so bequem wie heute. Bei meiner Ankunft an der Hütte klopfte ich wie gewöhnlich, und da ich keine Antwort bekam, suchte ich mir den Schlüssel, denn ich wußte, wo er versteckt war, öffnete die Türe und trat hinein. Ein helles Feuer brannte im Kamin. Das war eine Überraschung, aber durchaus keine unangenehme. Ich warf meinen Mantel ab, zog einen Armstuhl in die Nähe der knisternden Holzkloben und wartete geduldig auf die Ankunft meiner Wirte.
Bald nach Eintritt der Dunkelheit kamen sie an und empfingen mich aufs herzlichste. Jupiter grinste über das ganze Gesicht und machte sich eilig daran, ein paar Wasserhühner für das Abendessen zu braten. Legrand war wieder einmal in einem seiner Anfälle von Begeisterung. Er hatte eine unbekannte Muschel gefunden, die eine neue Art bildete, und mehr als das, es war ihm mit Jupiters Hilfe gelungen, einen Käfer zu fangen, den er für gänzlich neu hielt, über den er aber am nächsten Morgen meine Meinung wissen wollte.
»Und warum nicht heute abend?« fragte ich, indem ich mir über der Glut meine Hände rieb und das ganze Geschlecht der Käfer zum Teufel wünschte.
»Ja, wenn ich nur gewußt hätte, daß Sie hier wären!« sagte Legrand. »Aber ich habe Sie so lange nicht mehr getroffen, und wie konnte ich da vorhersehen, daß Sie mir gerade am heutigen Abend einen Besuch abstatten würden? Auf dem Heimwege traf ich Leutnant G. vom Fort und lieh ihm dummerweise den Käfer, darum können Sie ihn erst morgen sehen. Bitte, übernachten Sie bei mir, und bei Sonnenaufgang will ich Jupiter danach schicken. Er ist das Herrlichste, was es auf der Welt gibt!«
»Wer? der Sonnenaufgang?«
»Unsinn! der Käfer! Er ist so groß wie eine dicke Walnuß, hat eine brillante Goldfarbe mit zwei pechschwarzen Flecken an einem Ende des Rückens und einem etwas längeren Fleck am andern Ende. Die Fühlhörner sind –«
»Keine Farbe daran, Massa Will«, unterbrach hier Jupiter. »Käfer sein Goldkäfer, durch und durch Gold, überall Gold, nur nicht Flügel. Nie halb so schweren Käfer im Leben gehabt.«
»Angenommen, es ist so, Jup«, antwortete Legrand mit etwas mehr Ernst, als der Fall nach meiner Ansicht erforderte, »brauchst du deswegen die Hühner anbrennen zu lassen? Die Farbe –« hier wandte er sich wieder zu mir – »ist tatsächlich leuchtend genug, um Jupiters Idee Kraft zu geben. Sie haben noch nie einen so brillanten Metallglanz gesehen, wie ihn seine Einkerbungen ausstrahlen – aber darüber können Sie erst morgen früh urteilen. Inzwischen will ich Ihnen einen Begriff von seiner Form geben.« Mit diesen Worten setzte er sich an einen kleinen Tisch, auf dem sich Feder und Tinte, aber kein Papier befand. Er suchte in einer Schublade, fand aber keins.
»Übrigens genügt auch dies«, sagte er schließlich und zog aus seiner Westentasche einen Fetzen, der wie sehr schmutziges Aktenpapier aussah. Dann zeichnete er mit der Feder eine flüchtige Skizze darauf, während ich beim Feuer sitzen blieb, denn es war noch sehr kühl. Als er mit der Zeichnung fertig war, reichte er sie mir, ohne aufzustehen, herüber, und ich nahm sie in die Hand. Gerade in diesem Augenblick hörte man draußen ein lautes Knurren und dann ein Kratzen an der Tür. Jupiter öffnete, und ein großer Neufundländer, der Legrand gehörte, stürzte herein, sprang mir auf die Schulter und überschüttete mich mit Liebkosungen, denn ich war bei meinen früheren Besuchen sehr freundlich gegen ihn gewesen. Als seine Freudensprünge vorbei waren, besah ich mir das Papier und war, um die Wahrheit zu sagen, nicht wenig erstaunt über das, was mein Freund gezeichnet hatte.
»Nun ja«, sagte ich, nachdem ich es eine Weile betrachtet hatte, »das ist wirklich, wie ich gestehen muß, ein seltsamer Käfer. Er ist für mich ganz neu, und ich habe nie etwas Ähnliches gesehen – es sei denn bei einem Schädel oder Totenkopf, mit dem er mehr Ähnlichkeit hat als alles, was mir bisher vorgekommen ist.«
»Ein Totenkopf«, wiederholte Legrand. »Jawohl, etwas Ähnlichkeit hat er ohne Zweifel in der Zeichnung damit. Die beiden oberen schwarzen Flecke sehen wie Augen aus – nicht wahr? Und unten der längere wie ein Mund – auch ist der Umriß oval.«
»Vielleicht«, antwortete ich. »Übrigens, Legrand, ich fürchte, Sie sind kein großer Künstler, und ich muß warten, bis ich den Käfer selbst sehe, um mir von seinem wirklichen Aussehen ein Bild zu machen.«
»Nun, ich weiß nicht«, sagte er etwas gereizt, »ich zeichne sonst ganz leidlich – ich sollte es wenigstens, denn ich habe eine gute Schule gehabt und schmeichle mir auch, daß ich nicht so unbegabt bin.«
»Aber, mein lieber Freund, dann machen Sie sich einen Spaß mit mir«, sagte ich. »Dies ist ein ganz leidlicher Schädel – ich könnte sogar sagen, es ist ein ganz ausgezeichneter Schädel, wenigstens nach der gewöhnlichen Vorstellung, die man sich von einem solchen physiologischen Gegenstand macht. Und Ihr Käfer muß der eigentümlichste Käfer der Welt sein, wenn er ihm gleicht. Wahrhaftig, sein Anblick könnte einen zu einem abergläubischen Gruseln verführen. Ich schlage vor, wir nennen den Käfer Scarabaeus caput hominis oder so ähnlich – es gibt ja solche Namen in der Naturgeschichte. Aber wo sind die Fühler, von denen Sie sprachen?«
»Die Fühler?« sagte Legrand, der sich bei dem Gespräch merkwürdig zu erregen schien. »Die müssen Sie doch sehen. Ich zeichnete sie genau so, wie sie bei dem wirklichen Insekt sind, und ich nehme an, das genügt.«
»Nun ja«, antwortete ich, »vielleicht haben Sie das getan – nur sehe ich es nicht.« Damit überreichte ich ihm das Papier, ohne weiter eine Bemerkung zu machen, denn ich wollte seine Erregung nicht noch steigern. Aber ich war doch sehr erstaunt über die Wendung, die unsere Unterhaltung genommen hatte. Seine Verstimmung verblüffte mich, und was die Zeichnung des Käfers anging, so waren wirklich keine Fühler darauf zu sehen. Das Ganze glich vielmehr genau dem gewöhnlichen Umriß eines Totenschädels.
Er nahm sehr verdrießlich das Papier und war gerade dabei, es zu zerknüllen, offenbar, um es ins Feuer zu werfen, als ein zufälliger Blick auf die Zeichnung plötzlich seine Aufmerksamkeit zu erregen schien. Sein Gesicht wurde einen Moment dunkelrot und gleich darauf ganz blaß. Ohne sich zu rühren, betrachtete er die Zeichnung minutenlang aufs genaueste. Dann erhob er sich, nahm eine Kerze vom Tisch und setzte sich auf eine Schiffstruhe im entferntesten Winkel des Zimmers. Hier begann er von neuem das Papier sorgfältig zu untersuchen, indem er es nach allen Richtungen umwandte. Er sprach aber kein Wort, und sein Benehmen versetzte mich in das größte Erstaunen. Trotzdem hielt ich es für das klügste, die wachsende Erregung seiner Stimmung durch keine Bemerkung zu vergrößern. Nach einer Weile nahm er aus seiner Rocktasche eine Briefmappe, legte das Papier sorgfältig hinein und verschloß beides in einem Schreibtisch. Sein Verhalten wurde jetzt etwas ruhiger, aber die ursprüngliche gehobene Stimmung war ganz verschwunden. Trotzdem schien er weniger verstimmt als zerstreut zu sein, und je mehr der Abend fortschritt, desto mehr versank er in Träumerei, aus der ich ihn durch keine lustige Bemerkung erwecken konnte. Es war meine Absicht gewesen, die Nacht in der Hütte zu verbringen, wie ich es schon oft getan hatte; aber da ich meinen Wirt in einer solchen Laune sah, hielt ich es doch für das beste, aufzubrechen. Er drängte mich nicht zu bleiben, schüttelte aber beim Abschied meine Hand mit fast größerer Herzlichkeit als sonst. Ungefähr einen Monat später (ich hatte inzwischen nichts von Legrand gesehen) besuchte mich Jupiter in Charleston. Noch nie war mir der gute alte Neger so niedergeschlagen vorgekommen, und ich fürchtete, meinem Freunde sei ein ernsthaftes Mißgeschick widerfahren.
»Nun, Jup«, fragte ich, »was ist denn geschehen? Wie geht es deinem Herrn?«
»Ach, Massa, um die Wahrheit zu sagen, es sein nicht ganz so wohl, wie sich gehört.«
»Nicht wohl? Das tut mir aber leid! Worüber klagt er denn?«
»Ja, das ist es! Er nie über etwas klagen – er aber wirklich sehr krank sein.«
»Sehr krank, Jupiter? Warum sagtest du das nicht sofort? Liegt er zu Bett?«
»Nein, das nicht! Er überhaupt nicht liegen – das ist gerade, warum mich der Schuh drücken. Mein Kopf sein sehr schwer wegen armen Massa Will.«
»Jupiter, ich möchte nun endlich wissen, worüber du redest. Du sagst, der Herr ist krank. Hat er dir nicht mitgeteilt, was ihn quält?«
»Ach, Massa, es sein nicht nötig, sich darüber aufzuregen – Massa Will sagen nie, was ihm fehlen – aber warum gehn er denn herum und sehen so aus, und lassen den Kopf hängen und regen sich auf, und sein so weiß wie eine Gans? Und halten immer Syphons in der Hand –«
»Was hält er, Jupiter?«
»Er halten ein Papier mit Schiffers und Zahlen in der Hand – die merkwürdigsten Syphons, die es geben. Muß mich um ihn kümmern, muß jetzt mächtig scharfes Auge auf ihn haben. Neulich rücken er aus bei Sonnenaufgang und sein den ganzen lieben Tag verschwunden. Ich hatten dickes Stock geschnitten, um ihm sehr gute Prügel bei Rückkehr zu geben – aber bin sich ein Narr, hatten nicht das Herz – er sich zu elend ausgesehen.«
»Wie? Was? Na ja, aber du mußt nicht zu streng mit dem armen Kerl umgehen – du darfst ihn nicht prügeln, Jupiter, das hält er nicht aus. Aber hast du keine Idee, wodurch seine Krankheit oder, besser gesagt, sein verändertes Benehmen verursacht ist? Ist, seit ich dort war, etwas Unangenehmes vorgekommen?«
»Nein, Massa, nichts Unangenehmes sein vorgekommen, seitdem – es sein gekommen vordem – es war am selben Tag, als Massa da waren.«
»Wie? Was meinst du damit?«
»Ja, Massa, ich meinen den Käfer von damals.«
»Was?«
»Den Käfer – ich sein sehr gewiß, daß Massa Will gebissen worden am Kopf von diesem Goldkäfer.«
»Und welcher Grund bringt dich auf diese Annahme, Jupiter?«
»Gründe genug, Massa. Ich nie einen solchen Teufelskäfer gesehn – er treten und beißen alles, was nahe kam. Massa Will ihn fest packen, aber ihn mächtig schnell wieder fahren lassen – das war Moment, wo er gebissen sein müssen. Mir selbst nicht gefallen das Maul von Käfer, darum ich ihn nicht packen mit Finger, sondern mit Stück Papier, das ich gefunden. Ich ihn wickeln in das Papier und ihm ein Stück Papier ins Maul stecken – so es gegangen.«
»Und du glaubst also, daß dein Herr wirklich von dem Käfer gebissen wurde, und daß der Biß ihn krank gemacht hat?«
»Ich nichts darüber glauben, ich es wissen. Warum träumen er so viel von Gold, wenn nicht wegen Goldkäfer? Ich haben schon früher von goldenen Käfer gehört.«
»Aber woher weißt du, daß er von Gold träumt?«
»Woher ich wissen? Nun, weil er davon im Schlaf sprechen – daher ich wissen.«
»Gut, Jup, vielleicht hast du recht. Aber welche glücklichen Umstände verschaffen mir die Ehre deines heutigen Besuchs?«
»Wie meinen Massa?«
»Bringst du eine Botschaft von Mr. Legrand?«
»Nein, Massa, ich bringen hier diesen Brief«, und damit reichte mir Jupiter ein Schreiben, das folgendermaßen lautete:
»Lieber Freund, warum habe ich Sie so lange nicht gesehen? Sie sind doch hoffentlich nicht so töricht gewesen, mir irgendeine kleine Unhöflichkeit in meinem Benehmen übel zu nehmen? Doch nein, das ist unmöglich. Seit Ihrem letzten Besuch hat mir etwas viele Sorgen gemacht. Ich muß Ihnen etwas mitteilen und weiß doch nicht, wie ich es mitteilen oder ob ich es überhaupt tun soll. Ein paar Tage lang fühlte ich mich gar nicht wohl, und der arme alte Jup quält mich auf fast unerträgliche Weise mit seinen gutgemeinten Aufmerksamkeiten. Werden Sie es glauben? – neulich hatte er einen großen Stock zurechtgemacht, um mich zu züchtigen, weil ich ihn im Stich gelassen und den ganzen Tag allein auf den Hügeln des Festlandes verbracht hatte. Ich glaube wirklich, daß nur mein schlechtes Aussehen mich vor den Prügeln bewahrt hat. Meine Sammlung hat sich seit unserem letzten Beisammensein nicht vergrößert. Wenn Sie es irgendwie ermöglichen können, so kommen Sie doch mit Jupiter herüber. Bitte, kommen Sie. Ich möchte Sie heute abend noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Ich versichere Ihnen, es handelt sich um eine für mich höchst wichtige Sache. Ihr alter William Legrand.«
Es war etwas in dem Brief, was mir durchaus nicht gefiel. Der ganze Stil paßte so gar nicht zu Legrand. Wovon mochte er träumen? Welche verrückte Idee war wieder in sein erregbares Gehirn getreten? Welche »höchstwichtige Sache« konnte er zu erledigen haben? Jupiters Bericht über ihn verkündete nichts Gutes. Ich fürchtete, das fortgesetzte Grübeln über sein Unglück habe doch schließlich die Vernunft meines Freundes etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Ohne mich daher einen Augenblick zu besinnen, schickte ich mich an, den Neger zu begleiten.
Als wir die Werft erreichten, sah ich eine Sense und drei Spaten, alle offenbar neu, auf dem Boden des Bootes liegen, mit dem wir fahren sollten.
»Was bedeutet das alles, Jup?« fragte ich.
»Das sein Sense, Massa, und Spaten.«
»Sehr richtig, aber was sollen die hier?«
»Das sein die Sense und die Spaten, die ich für Massa Will in der Stadt gekauft, und haben teufelsmäßig viel Geld gekostet.«
»Aber was in aller Welt will dein Massa Will mit Sense und Spaten anfangen?«
»Das ist mehr, als ich wissen, und, wenn mich Teufel holt, auch mehr, als er wissen. Aber das kommen alles von dem Käfer.«
Da ich fand, daß mir Jupiter, dessen ganzer Verstand von dem Käfer verschluckt zu sein schien, keine vernünftige Erklärung geben konnte, so stieg ich ins Boot und spannte die Segel. Mit einem günstigen, scharfen Wind fuhren wir bald in die kleine Bucht nördlich von Fort Moultrie ein, und ein Marsch von zwei Meilen brachte uns zur Hütte. Es war gegen drei Uhr nachmittags, als wir ankamen. Legrand hatte uns voller Ungeduld erwartet. Er drückte mir die Hand mit einer nervösen Überschwänglichkeit, die mich beunruhigte und den Verdacht bestärkte, der schon in mir aufgestiegen war. Sein Aussehen war fast gespenstig blaß, und seine tiefliegenden Augen leuchteten in einem unnatürlichen Glanz. Nach einigen Fragen über seine Gesundheit erkundigte ich mich, da mir sonst kein Gesprächsstoff einfiel, ob er schon den Käfer von dem Leutnant G. zurückerhalten habe.
»O ja«, antwortete er heftig errötend, »ich bekam ihn schon am nächsten Morgen. Nichts könnte mich dazu bringen, mich von dem Käfer wieder zu trennen. Wissen Sie, daß Jupiter in bezug auf ihn ganz recht hatte?«
»In welcher Beziehung?« fragte ich mit einem traurigen Vorgefühl im Herzen.
»In der Annahme, daß der Käfer aus wirklichem Gold war.«
Er sagte dies mit einem Ausdruck tiefsten Ernstes, so daß mich ein unbeschreiblicher Schreck überfiel.
»Dieser Käfer wird mein Glück machen«, fuhr er mit triumphierendem Lächeln fort. »Er wird mich wieder in meinen Familienbesitz bringen. Ist es daher ein Wunder, wenn ich ihn so preise? Seit das Glück den Einfall gehabt hat, ihn mir zu schenken, brauche ich nur den richtigen Gebrauch davon zu machen, um zu dem Gold zu gelangen, das er mir zeigt. Jupiter bring mir den Käfer!«
»Was, den Käfer, Massa? Ich lieber diesen Käfer nicht anrühren, Sie ihn selber nehmen.« Legrand erhob sich darauf mit ernster und würdiger Miene und holte mir den Käfer aus einem Glaskasten, in dem er eingeschlossen war. Es war ein schöner Käfer, der damals noch den Naturforschern unbekannt und deshalb von großem wissenschaftlichen Wert war. Er hatte zwei runde schwarze Flecken an dem einen Ende des Rückens und einen länglichen am andern. Die Glieder waren außerordentlich hart und glänzend und sahen aus wie poliertes Gold. Auch das Gewicht war sehr beträchtlich, und wenn ich alles das erwog, so konnte ich schwerlich Jupiter wegen seiner Meinung über ihn tadeln. Aber wie Legrand dazu kam, diese Meinung zu teilen, war mir wirklich ein Rätsel.
»Ich habe Sie hergebeten«, sagte er in pathetischem Ton, als ich den Käfer betrachtet hatte, »ich habe Sie hergebeten, weil ich Ihren Rat und Ihre Hilfe brauche, um die Aussichten zu verwirklichen, die mir das Schicksal und der Käfer bieten.«
»Mein lieber Legrand«, unterbrach ich ihn, »Sie sind wirklich nicht wohl und sollten sich etwas schonen. Sie werden jetzt zu Bett gehen, und ich will ein paar Tage hierbleiben, bis Sie über alles hinweg sind. Sie haben Fieber und –«
»Fühlen Sie meinen Puls«, sagte er.
Ich fühlte ihn und fand, um die Wahrheit zu sagen, nicht die leiseste Spur von Fieber.
»Aber Sie können krank sein und trotzdem kein Fieber haben. Gestatten Sie mir dieses eine Mal, Ihr Arzt zu sein. Zunächst müssen Sie zu Bett gehen, ferner –«
»Sie irren sich«, unterbrach er mich. »Ich bin so wohl, wie ich bei der Aufregung, an der ich leide, nur sein kann. Wenn Sie wirklich mein Bestes wollen, dann müssen Sie mir helfen, diese Aufregung zu überwinden.«
»Und wie kann das geschehen?«
»Sehr einfach. Jupiter und ich machen einen Ausflug in die Festlandshügel, und bei diesem Ausflug brauchen wir jemand, dem wir vertrauen können. Sie sind der einzige, auf den wir uns verlassen dürfen. Ob wir nun Erfolg haben oder nicht, in jedem Fall wird die Erregung, die Sie bei mir bemerken, danach vorüber sein.«
»Ich will Ihnen gerne in jeder Weise zu Diensten sein«, antwortete ich. »Aber wollen Sie etwa sagen, daß dieser höllische Käfer irgend etwas mit Ihrem Ausflug in die Hügel zu tun hat?«
»Unbedingt.«
»Dann, Legrand, kann ich mich an einer solchen verrückten Geschichte nicht beteiligen.«
»Das tut mir leid – sehr leid – denn dann müssen wir es allein versuchen.«
»Allein versuchen! Sie sind sicher nicht bei Sinnen! – Aber halt, wie lange soll dieser Ausflug dauern?«
»Wahrscheinlich die ganze Nacht, wir werden sofort aufbrechen und jedenfalls bei Sonnenaufgang zurück sein.«
»Und Sie versprechen mir auf Ehrenwort, daß, wenn diese tolle Geschichte vorüber und die Käferangelegenheit zu Ihrer Zufriedenheit erledigt ist, Sie dann nach Hause zurückkehren und meinen Ratschlägen folgen, als wäre ich Ihr Arzt?«
»Ja, das verspreche ich. Und nun wollen wir aufbrechen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Mit schwerem Herzen begleitete ich meinen Freund. Wir brachen um vier Uhr auf – Legrand, Jupiter, der Hund und ich. Jupiter nahm die Sense und die Spaten – er bestand darauf, alles zu tragen – wie es mir schien, mehr aus Furcht, die Geräte im Bereich seines Herrn zu lassen, als aus einem Übermaß an Arbeitslust oder Gefälligkeit. Sein Benehmen war sehr mürrisch, und »das verdammte Käfer« waren die einzigen Worte, die während des Marsches über seine Lippen kamen. Mir selbst waren ein paar Blendlaternen anvertraut worden, während sich Legrand mit dem Käfer begnügte, den er an einem Stück Peitschenschnur angebunden trug. Er schwang ihn beim Gehen vorwärts und rückwärts mit dem Gesicht eines Hexenmeisters. Als ich diesen letzten klaren Beweis von der Geistesverwirrung meines Freundes sah, konnte ich kaum die Tränen zurückhalten. Ich hielt es aber für das beste, auf seine Idee einzugehen, wenigstens für den Augenblick, oder bis ich eine Gelegenheit fand, ernstere Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg zu ergreifen. Inzwischen versuchte ich vergebens, etwas über den Zweck unseres Unternehmens zu erfahren. Nachdem es ihm gelungen war, mich zur Teilnahme daran zu bewegen, schien er nicht in der Laune zu sein, sich über etwas weniger Wichtiges zu unterhalten, und auf alle Fragen bekam ich nur die Antwort: »Wir werden sehen!«
Auf einem Ruderboot setzten wir am Ende der Insel über den Flußarm, erstiegen die Höhen am Festlandsufer und wandten uns nach Nordwesten durch ein außerordentlich wildes und verlassenes Stück Land, wo auch nicht die Spur eines menschlichen Fußtrittes zu sehen war. Legrand führte uns entschlossen vorwärts, wobei er nur von Zeit zu Zeit einen Augenblick halt machte, um nach gewissen Wegzeichen zu sehen, die er offenbar selbst bei einer früheren Gelegenheit angebracht hatte.
Wir waren auf diese Weise ungefähr zwei Stunden marschiert, und die Sonne neigte sich gerade zum Untergang, als wir in eine Gegend kamen, so unendlich traurig, wie ich nie etwas gesehen hatte. Es war eine Art Tafelland nahe dem Gipfel eines fast unersteigbaren, von unten bis oben dicht bewachsenen Hügels, der mit riesigen Felsspitzen besät war, die lose auf dem Boden zu liegen schienen, so daß es aussah, als würden sie nur durch die Bäume, an die sie sich anlehnten, verhindert, ins Tal herabzustürzen. Nach allen Seiten liefen tiefe Schluchten und gaben der Landschaft den Anschein nach ernsterer Feierlichkeit. Eine natürliche Abflachung, die wir erklettert hatten, war so dicht mit Brombeeren überwachsen, daß wir bald die Unmöglichkeit entdeckten, uns ohne die Sense einen Weg hindurch zu bahnen. Jupiter ging auf Geheiß seines Herrn daran, uns einen Pfad freizumachen bis dicht an einen riesig hohen Tulpenbaum, der mit acht oder zehn Eichen auf der Höhe stand und sie weit überragte. Er übertraf auch alle Bäume, die ich je gesehen hatte, an Schönheit seiner Form und seines Laubes, an der gewaltigen Ausdehnung seiner Äste und der allgemeinen Majestät seines Aussehens. Als wir diesen Baum erreichten, wandte sich Legrand an Jupiter und fragte ihn, ob er sich wohl getraue, ihn zu erklettern. Der alte Mann schien etwas verblüfft zu sein über diese Frage und gab einen Augenblick keine Antwort. Schließlich näherte er sich dem riesigen Stamm, ging langsam um ihn herum und besah ihn sich genau. Als er seine Prüfung beendet hatte, sagte er gleichmütig:
»Ja, Massa, Jup klettern auf jeden Baum, den er im Leben gesehen haben.«
»Dann hinauf mit dir so schnell wie möglich, denn es wird bald zu dunkel sein für unsere Angelegenheit.«
»Wie weit muß ich hinauf, Massa?« fragte Jupiter.
»Steige zuerst den Hauptstamm hinauf, das weitere will ich dir dann schon sagen. Und halt! nimm hier den Käfer mit.«
»Den Käfer, Massa Will! den Goldkäfer!« schrie der Neger und fuhr entsetzt zurück. »Wozu müssen der Käfer mit auf den Baum? Ich verdammt sein, wenn ich das tun!«
»Wenn ein großer, starker Neger wie du, Jup, Angst hat, einen kleinen, unschädlichen, toten Käfer anzufassen, dann kannst du ihn an der Schnur hinaufziehen – aber wenn du ihn nicht auf irgendeine Art mitnimmst, dann bin ich genötigt, dir mit dieser Schippe den Schädel einzuschlagen.«
»Was wollen denn Massa?« fragte Jupiter, der sich schämte und plötzlich nachgiebig wurde. »Sie immer Streit suchen mit alten Nigger. War ja nur Scherz. Ich den Käfer fürchten? Was gehen mich Käfer an!« Damit faßte er sorgfältig das äußere Ende der Schnur und machte sich, indem er das Insekt so weit wie möglich von seiner Person abhielt, daran, den Baum zu erklettern.
In seiner Jugend hat der Tulpenbaum oder Liriodendron Tulipiferum, die prächtigste Erscheinung der amerikanischen Wälder, einen auffallend glatten Stamm und erreicht oft eine bedeutende Höhe ohne Seitenäste. Im reiferen Alter wird aber seine Rinde rissig und uneben, und viele kurze Äste erscheinen an dem Stamm. Daher war auch in diesem Falle die Schwierigkeit des Kletterns mehr scheinbar als wirklich. Indem er sich mit Armen und Knien so fest wie möglich an den riesigen Zylinder drückte, mit den Händen nach vorstehenden Stümpfen griff und auf andern die nackten Zehen ruhen ließ, wand sich Jupiter bis auf den ersten großen Ast, nachdem er allerdings ein- oder zweimal mit genauer Not der Gefahr des Abstürzens entgangen war. Er schien jetzt die ganze Aufgabe in der Hauptsache für erledigt zu halten. Das Gefährliche an dem Unternehmen war jedenfalls vorbei, obgleich der Kletterer sich nunmehr sechzig oder siebzig Fuß über dem Erdboden befand.
»Welchen Weg müssen ich jetzt gehen, Massa Will?« fragte er.
»Jetzt steige den stärksten Ast hinauf – den hier auf dieser Seite«, sagte Legrand. Der Neger gehorchte ihm unverzüglich und offenbar ohne viel Mühe. Er stieg höher und höher, bis man in dem dichten Laubwerk, das ihn umgab, keinen Schimmer mehr von seinem breiten Körper sah. Nach einer Weile hörte man seine Stimme wie eine Art Hallo.
»Wieviel weiter sollen ich klettern?«
»Wie hoch bist du?« fragte Legrand.
»Ich so hoch sein«, antwortete der Neger, »daß ich sehen den Himmel von dem Ast.«
»Kümmere dich nicht um den Himmel, aber höre, was ich dir sage. Sieh hinunter und zähle die Äste, die an dieser Seite unter dir sind. An wieviel Ästen bist du vorbeigeklettert?«
»Eins, zwei, drei, vier, fünf – ich sein an fünf Ästen vorbei, Massa, an dieser Seite.«
»Dann steige einen Ast höher.«
Einige Minuten darauf hörte man wieder seine Stimme; er rief, daß er den siebten Ast erreicht habe.
»Nun, Jup«, rief Legrand, augenscheinlich sehr erregt, »möchte ich, daß du dich auf dem Ast so weit wie möglich herausarbeitest. Wenn du etwas Ungewöhnliches siehst, teile es mir mit.«
Wenn ich bisher noch ein wenig an meines Freundes Geistesverwirrung gezweifelt hatte, so war das jetzt endgültig vorbei. Es gab keine andere Möglichkeit, als ihn für wahnsinnig zu halten, und ich machte mir ernsthafte Sorgen, wie ich ihn nach Hause bringen sollte. Während ich noch nachdachte, was am besten zu geschehen sei, hörten wir wieder Jupiters Stimme.
»Ich sehr fürchten, auf diesem Ast weit vorzugehen – er vollständig abgestorben sein.«
»Sagtest du, der Ast wäre abgestorben, Jupiter?« fragte Legrand mit zitternder Stimme.
»Ja, Massa, er tot wie ein Türnagel – ganz bestimmt – sein Leben vorbei.«
»Was in Himmelsnamen soll ich nun anfangen?« fragte Legrand anscheinend in höchster Verzweiflung.
»Anfangen!« sagte ich erfreut, weil ich eine Gelegenheit fand, mich einzumischen. »Natürlich nach Hause gehen und sich zu Bett legen. Kommen Sie mit, seien Sie vernünftig. Es ist sehr spät, und denken Sie an Ihr Versprechen.«
»Jupiter«, schrie er, ohne mich im geringsten zu beachten, »kannst du mich hören?«
»Ja, Massa Will, ich Sie hören ganz deutlich.«
»Untersuche einmal genau das Holz mit deinem Messer und sage mir, ob du es für sehr morsch hältst.«
»Es sein sicher morsch, Massa«, antwortete der Neger etwas später, »aber doch nicht so morsch, als ich gedacht haben. Allein können ich mich sicher etwas hinauswagen.«
»Allein! – Was meinst du damit?«
»Nun, ich meinen den Käfer. Es sein sehr schwerer Käfer. Wenn ich ihn zuerst fallen lassen, dann der Ast werden nicht brechen vom Gewicht von einem Nigger.«
»Du verdammter Schurke!« rief Legrand, offenbar sehr erleichtert. »Was soll das heißen, daß du mir solchen Unsinn erzählst? Wenn du dich unterstehst, den Käfer fallen zu lassen, schlage ich dir den Schädel ein. Gib acht, Jupiter, hörst du, was ich sage?«
»Ja, Massa brauchen armen Nigger nicht so anzubrüllen.«
»Nun, dann paß auf! Wenn du dich, soweit du es für sicher hältst, auf den Ast hinauswagst und den Käfer nicht fallen läßt, werde ich dir einen Silberdollar schenken, sobald du herabkommst.«
»Ich gehen vor, Massa Will«, antwortete der Neger sehr bereitwillig. »Ich jetzt ganz am Ende sein.«
»Ganz am Ende!« Legrand schrie jetzt förmlich. »Sagtest du, daß du am Ende des Astes bist?«
»Fast am Ende – o – o – oh! Barmherziger Gott, was sein das auf dem Ast?«
»Nun?« rief Legrand höchst entzückt. »Was gibt es da?«
»Es sein nur ein Schädel – jemand seinen Kopf auf dem Ast gelassen, und die Krähen alles Fleisch davon gegessen.«
»Ein Schädel, sagst du? – Sehr gut – wie ist er an dem Ast befestigt? – Was hält ihn fest?«
»Wahrhaftig, Massa, ich müssen sehen. Aber, dies sein merkwürdig – da sein ein dicker Nagel in dem Schädel, der ihn an dem Zweig festhalten.«
»Und nun, Jupiter, tu genau, was ich dir sag«. Hörst du mich?«
»Ja, Massa.«
»Also, gib acht. Suche das linke Auge des Schädels.«
»Hm, ja! Aber er haben ja kein linkes Auge mehr.«
»Verfluchter Dummkopf! Du weißt doch, was deine rechte und was deine linke Hand ist?«
»Ja, ich das wissen – ich das alles wissen – mit linker Hand ich spalten Holz.«
»Natürlich, denn du bist linkshändig! Und dein linkes Auge ist auf derselben Seite wie deine linke Hand. Jetzt, denke ich, kannst du das linke Auge von dem Schädel finden, oder vielmehr den Platz, wo es gesteckt hat. Hast du es gefunden?«
Hier folgte eine lange Pause. Endlich fragte der Neger:
»Sein das linke Auge von dem Schädel auf derselben Seite, wo die linke Handseite von dem Schädel gewesen? Denn der Schädel haben überhaupt keine Hand – aber das machen nichts! Ich nun das linke Auge gefunden – hier sein das linke Auge! Was sollen ich machen mit ihm?«
»Laß den Käfer hindurchfallen, soweit die Schnur reicht. Aber nimm dich in acht, daß du die Schnur festhältst.«
»Alles getan, Massa Will. Sehr leichte Sache, den Käfer durch das Loch zu lassen – sehen ihn jetzt unten hängen.«
Während der ganzen Unterredung war von Jupiter nichts zu sehen gewesen. Aber der Käfer, den er herabgelassen hatte, wurde nun am Schnurende sichtbar und glitzerte wie eine Kugel von flammendem Gold in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die noch gerade mit einem Schimmer die Höhe traf, auf der wir standen. Der Käfer hing ganz frei von Zweigen und wäre, wenn man ihn losgelassen, gerade vor unsere Füße gefallen. Legrand nahm sofort die Sense und mähte damit gerade unter dem Insekt einen Kreis von drei oder vier Metern im Durchmesser ab. Dann befahl er Jupiter, den Käfer fallen zu lassen und herabzukommen.
Nunmehr trieb mein Freund genau an der Stelle, wo der Käfer hingefallen war, einen Pflock in die Erde und nahm aus seiner Tasche ein Maßband. Indem er ein Ende davon an der Stelle des Baumes befestigte, die dem Pflock am nächsten war, rollte er es weiter ab und legte es in der Linie, die durch den Baum und den Pflock gegeben war, auf eine Entfernung von fünfzig Fuß hin, wobei Jupiter den Weg von Brombeeren freimachte. Auf dem nun erreichten Punkte wurde ein zweiter Pflock in den Boden getrieben und um ihn herum als Mittelpunkt ein Kreis von etwa vier Fuß im Durchmesser abgemäht. Legrand nahm nun einen Spaten, gab einen Jupiter und einen mir und bat uns, so schnell wie möglich zu graben.
Um die Wahrheit zu sagen, ich habe noch nie an einer solchen Beschäftigung große Freude gehabt, und diesmal hätte ich sie sehr gerne verweigert. Die Nacht rückte auch heran, und ich fühlte mich schon sehr ermüdet von der durchgemachten Anstrengung. Aber ich sah keine Möglichkeit, der Sache zu entgehen, und fürchtete mich, durch eine Weigerung meinen armen Freund erst recht zu erregen. Wahrhaftig, hätte ich mich auf Jupiters Hilfe verlassen können, ich würde ohne Zögern versucht haben, den Verrückten mit Gewalt nach Hause zu bringen. Aber ich kannte die Verfassung des alten Negers zu gut, um bei einem Kampf mit seinem Meister irgendwie auf seinen Beistand zu rechnen. Ich zweifelte nicht, daß Legrand von einer der im Süden so häufigen abergläubischen Ideen über vergrabene Schätze befallen war, und daß seine Phantasie sich verstärkt hatte durch die Auffindung des Käfers und vielleicht auch durch den hartnäckigen Glauben Jupiters, der Käfer sei von purem Gold. Ein schon zum Wahnsinn geneigtes Gehirn konnte leicht durch solche Erlebnisse verführt werden – besonders wenn sie mit Lieblingsideen harmonierten – und dann rief ich mir auch wieder die Worte des armen Menschen zurück, der Käfer würde ihm den Weg zum Reichtum zeigen. Ich war durch alles das sehr traurig und verstört, beschloß aber schließlich, aus der Not eine Tugend zu machen und bereitwillig zu graben, um auf diese Weise den Phantasten so schnell wie möglich durch den Augenschein von der Torheit seiner Idee zu überzeugen.
Die Laternen wurden angezündet, und wir gingen alle mit einem Eifer an die Arbeit, der einer vernünftigeren Sache würdig gewesen wäre. Wie der Schein auf uns und unsere Arbeit fiel, mußte ich unwillkürlich denken, wie malerisch doch unsere Gruppe war, und wie seltsam und unheimlich doch unsere Arbeit einem Wanderer erscheinen würde, der zufällig auf uns stieße.
Das Graben dauerte ununterbrochen zwei Stunden. Wir sprachen wenig und machten uns nur Sorgen wegen des lauten Gebells des Hundes, der an unserm Unternehmen ein leidenschaftliches Interesse nahm. Er lärmte schließlich so sehr, daß wir fürchteten, er könnte in der Nähe befindliche Landstreicher herbeiziehen – oder vielmehr war das die Besorgnis Legrands, denn ich wäre über jede Unterbrechung froh gewesen, die mir Gelegenheit gegeben hätte, den Irren nach Hause zu bringen. Jupiter verstand es, dem Lärm sehr wirkungsvoll ein Ende zu machen, indem er entschlossen aus der Höhlung kletterte und dem Tier mit einem seiner Hosenträger das Maul verband, worauf er mit einem verhaltenen Kichern wieder an seine Arbeit ging.
Als die zwei Stunden herum waren, hatten wir eine Tiefe von fünf Fuß erreicht, ohne aber irgend welche Anzeichen von einem Schatz zu finden. Eine allgemeine Pause folgte, und ich hoffte schon, die Posse sei zu Ende. Legrand aber, obgleich er offenbar sehr verwirrt war, wischte sich gedankenvoll die Stirne und begann von neuem. Wir hatten den ganzen Kreis von vier Fuß Durchmesser ausgehoben und vergrößerten ihn etwas, wobei wir noch zwei Fuß tiefer gingen. Aber auch jetzt stießen wir auf nichts. Der Goldsucher, der mir ernstlich leid tat, kletterte schließlich mit dem Ausdruck der bittersten Enttäuschung auf seinen Zügen aus der Grube und ging langsam und widerstrebend daran, seinen Rock wieder anzuziehen, den er beim Beginn der Arbeit abgeworfen hatte. Ich machte inzwischen keine Bemerkung. Jupiter begann, auf einen Wink seines Herrn, die Werkzeuge aufzunehmen. Nachdem das geschehen und der Hund wieder freigemacht war, wandten wir uns in tiefem Schweigen auf den Heimweg.
Wir hatten vielleicht ein Dutzend Schritte in dieser Richtung getan, als sich Legrand mit einem lauten Fluch auf Jupiter stürzte und ihn beim Kragen faßte. Der erstaunte Neger öffnete Augen und Mund, soweit er konnte, ließ die Spaten fallen und fiel auf die Knie.
»Du Schurke«, sagte Legrand, indem er die Silben zwischen den zusammengebissenen Zähnen herauszischte. »Du höllischer, schwarzer Schurke! – Sprich, sage ich! – Antworte mir sofort, ohne Umschweife! – welches ist dein linkes Auge?«
»O, mein Gott, Massa Will! Sein das nicht richtig mein linkes Auge?« brüllte der erschrockene Jupiter, indem er seine Hand auf sein rechtes Sehorgan legte und es dort mit verzweifelter Hartnäckigkeit festhielt, als fürchtete er, sein Meister möchte es ihm aus der Höhlung herausreißen.
»Ich habe es mir gedacht – ich wußte es! Hurra!« schrie Legrand laut und ließ den Neger gehen, worauf er eine Reihe von Kurven und Wendungen tanzte, sehr zum Erstaunen seines Dieners, der sich von den Knien erhob und stumm von seinem Meister nach mir und von mir nach seinem Meister blickte.
»Kommt, wir müssen zurückgehen«, sagte Legrand. »Das Spiel ist noch nicht verloren.« Und er führte uns wieder zum Tulpenbaum.
»Jupiter«, fragte er, als wir seinen Fuß erreichten, »komm her! War der Schädel mit dem Gesicht nach auswärts oder mit dem Gesicht nach einwärts an den Ast genagelt?«
»Das Gesicht waren nach auswärts, Massa, so daß die Krähen gut und ohne Mühen an die Augen konnten.«
»Gut, war es nun dieses Auge oder das, wodurch du den Käfer fallen ließest?« Damit berührte Legrand jedes von Jupiters Augen.
»Es waren dies Auge, Massa – das linke Auge – wie Massa mir sagten«, und auch jetzt wieder berührte der Neger sein rechtes Auge.
»Das genügt – wir müssen es noch einmal versuchen.«
Mein Freund, in dessen Wahnsinn ich jetzt eine gewisse Methode sah, oder wenigstens zu sehen glaubte, versetzte nunmehr den Pflock von dem Punkt, wo der Käfer hingefallen war, nach einem Punkt, der drei Zoll mehr westwärts lag. Indem er jetzt das Maßband von dem nächstgelegenen Punkte des Baumes über den Pflock hinweg fünfzig Fuß in gerader Linie hinlegte, kam er zu einem Fleck, der mehrere Meter von dem entfernt war, wo wir gegraben hatten.
Wieder wurde an dem neuen Ort ein Kreis gezogen, diesmal ein etwas größerer als vorher, und wieder begannen wir mit den Spaten zu arbeiten. Ich war entsetzlich müde, aber ich fühlte, obgleich ich kaum wußte, wodurch die Veränderung in meinen Gedanken erzeugt war, nicht mehr die große Abneigung gegen die mir auferlegte Arbeit. Ein ganz merkwürdiges Interesse war in mir erwacht, ich wurde sogar aufgeregt. Vielleicht steckte doch etwas hinter dem ganz sonderbaren Benehmen Legrands – eine gewisse Umsicht oder Überlegtheit, die auf mich Eindruck machte. Ich grub eifrig und ertappte mich ein paarmal tatsächlich dabei, daß ich mit einer gewissen Erwartung nach dem Schatz ausschaute, dessen Vision meinen unglücklichen Freund um seinen Verstand gebracht hatte. Ich war gerade wieder einmal dabei, solchen Gedankenbildern nachzuhängen, und wir hatten vielleicht anderthalb Stunden gearbeitet, als wir aufs neue durch ein lautes Gebell des Hundes unterbrochen wurden. Beim ersten Graben war seine Unruhe offenbar die Folge von Spiellust oder Laune gewesen, jetzt aber klang ein scharfer und ernsthafter Ton daraus. Als Jupiter wieder versuchte, ihm das Maul zu verbinden, leistete er wütenden Widerstand, sprang in die Höhlung und wühlte wie rasend mit seinen Pfoten die Erde auf. In wenigen Sekunden hatte er einen Haufen Menschenknochen freigelegt, die zwei vollständige Skelette bildeten und mit einigen Metallknöpfen und etwas, was wie verweste Wolle aussah, vermischt waren. Ein oder zwei Spatenstiche hoben die Klinge eines großen spanischen Messers empor, und als wir weitergruben, fanden wir drei oder vier einzelne Gold- und Silbermünzen.
Bei ihrem Anblick konnte Jupiter kaum seine Freude bemeistern, während sich in dem Gesicht seines Herrn ein Zug tiefster Enttäuschung malte. Er trieb uns aber an, mit unseren Anstrengungen fortzufahren, und er hatte das kaum ausgesprochen, als ich strauchelte und hinfiel, weil meine Fußspitze sich in einem großen eisernen Ring verfangen hatte, der halb begraben in der aufgewühlten Erde lag.
Wir arbeiteten jetzt erst recht voll Eifer, und nie habe ich zehn aufgeregtere Minuten verbracht. In dieser Zeit legten wir eine längliche Holztruhe frei, die, nach ihrem gut erhaltenen Zustand und ihrer wundervollen Härte zu urteilen, eine Art Versteinerungs-Prozeß – vielleicht durch Quecksilberdoppelchlorid – durchgemacht hatte. Die Truhe war drei und einen halben Fuß lang, drei Fuß breit und zwei und einen halben Fuß hoch. Sie war fest umschlossen von schmiedeeisernen, vernieteten Bändern, die wie ein Gitterwerk rings herum gingen. An jeder Seite der Kiste nahe am oberen Rand befanden sich drei eiserne Ringe – im ganzen also sechs – die sechs Personen einen guten Halt geben konnten. Trotz unserm gemeinsamen Bemühen gelang es nur, die Truhe ein wenig aus ihrer Lage zu bringen. Wir sahen bald die Unmöglichkeit ein, ein so schweres Gewicht fortzuschaffen. Zum Glück war der Deckel nur durch zwei Riegel geschlossen. Zitternd und keuchend vor Erwartung schoben wir sie zurück, und in einem Augenblick lag ein Schatz von unberechenbarem Wert vor uns. Als das Licht der Laternen in die Grube fiel, blitzte uns daraus ein leuchtender Glanz von einem wirren Haufen von Gold und Edelsteinen entgegen, so daß unsere Augen förmlich geblendet wurden.
Ich will nicht versuchen, die Gefühle zu beschreiben, mit denen ich hineinstarrte. Ein grenzenloses Erstaunen hatte mich gefaßt. Legrand schien erschöpft von seiner Erregung zu sein und sprach sehr wenig. Jupiters Gesicht war für einige Augenblicke so totenblaß, wie das bei einem Neger nur möglich ist. Er schien verblüfft, vom Blitz getroffen zu sein. Dann fiel er in der Grube auf die Knie, vergrub seine nackten Arme bis zu den Ellenbogen in dem Gold und ließ sie dort ruhen, als ob er das Behagen eines Bades genösse. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus und rief wie in einem Selbstgespräch:
»Und all dies kommen durch den Goldkäfer! den hübschen Goldkäfer! den armen, kleinen Goldkäfer, auf den ich so häßlich geschimpft haben! Schämst du dich über dich selbst, Nigger? – mir das antworten!«
Es wurde schließlich notwendig, daß ich sowohl den Herrn wie den Diener auf die Notwendigkeit hinwies, den Schatz wegzuschaffen. Es wurde spät, und wir mußten uns anstrengen, um alles vor Tagesanbruch nach Hause zu schaffen. Dabei war es schwierig, zu sagen, auf welche Weise das getan werden sollte, und wir verbrachten eine lange Zeit zum Überlegen, so verwirrt waren alle unsere Gedanken. Schließlich erleichterten wir die Truhe, indem wir Zweidrittel ihres Inhaltes herausnahmen, und konnten sie dann, wenn auch mit Mühe, aus dem Loch herausschaffen. Das Herausgenommene wurde zwischen die Brombeersträucher gelegt, und der Hund als Wache zurückgelassen, wobei ihm Jupiter den strengen Befehl gab, nicht vom Fleck zu weichen, noch bis zu unserer Rückkehr einen Laut zu geben. Dann eilten wir mit der Truhe heim und erreichten sicher, aber nach unendlicher Mühe um ein Uhr morgens die Hütte. Es wäre über die menschliche Natur gegangen, bei unserer vollständigen Erschöpfung sofort wieder aufzubrechen. So blieben wir bis zwei Uhr und aßen zu Abend. Dann beluden wir uns mit drei festen Säcken, die wir zum Glück auf dem Grundstück fanden, und gingen wieder nach dem Bergland. Etwas vor vier Uhr kamen wir an der Grube an, verteilten den Rest unseres Fundes möglichst gleichförmig auf uns drei und traten dann wieder den Rückweg an, wobei wir die Grube offen ließen. Als wir in der Hütte zum zweiten Male unsere goldene Last absetzten, leuchteten im Osten über den Baumwipfeln gerade die ersten schwachen Strahlen der Morgendämmerung auf.
Wir waren nun fast zusammengebrochen, aber die Erregung ließ uns nicht zur Ruhe kommen. Nach einem unruhigen Schlummer von drei oder vier Stunden erhoben wir uns, als hätten wir es vorher abgemacht, um unseren Schatz zu besichtigen.
Die Truhe war bis zum Rand gefüllt gewesen, und wir verbrachten den ganzen Tag und den größeren Teil der nächsten Nacht, um ihren Inhalt abzuschätzen. Es war nichts darin geordnet gewesen, alles lag in wirrem Durcheinander aufgehäuft. Nachdem wir nun das Ganze sorgfältig geordnet hatten, fanden wir uns im Besitz eines noch größeren Reichtums, als wir es zuerst angenommen hatten. An Münzen gab es für mehr als vierhundertundfünfzigtausend Dollar – wobei wir die einzelnen Stücke so gut es ging nach den Tabellen ihrer Zeit schätzten. Auch nicht ein Silberstück war dabei. Alles war Gold von alter Prägung und in den verschiedensten Sorten – es gab französisches, spanisches und deutsches Geld, einige englische Guineen und ein paar Stücke, die wir gar nicht kannten. So fanden wir verschiedene sehr große und schwere Münzen, die so abgebraucht waren, daß wir von ihren Inschriften nichts mehr entziffern konnten. Es gab kein amerikanisches Geld. Schwieriger wurde die Schätzung der Juwelen. An Diamanten – einige waren außerordentlich groß und schön – zählten wir im ganzen hundertundzehn Stück, von denen keiner klein war. Wir fanden achtzehn Rubinen von ungewöhnlichem Glanz, dreihundertundzehn Smaragde – alle sehr schön – und einundzwanzig Saphire nebst einem Opal. Alle diese Steine hatte man aus ihren Fassungen herausgebrochen und lose in die Truhe geworfen. Die Fassungen selbst, die wir aus dem übrigen Gold herausfischten, schienen mit dem Hammer zusammengeschlagen zu sein, wie um die Feststellung ihrer Herkunft zu verhindern. Außerdem gab es eine große Menge an gediegenem Goldschmuck: ungefähr zweihundert schwere Finger- und Ohrringe: dreißig prächtige Ketten; dreiundachtzig sehr große und schwere Kruzifixe; fünf goldene Weihrauchfässer von hohem Wert; eine wundervolle goldene Punschbowle, reich geschmückt mit getriebenen Weinblättern und Figuren eines Bacchanals; zwei kunstvoll bossierte Schwertgriffe und eine Menge kleinerer Gegenstände, auf die ich mich jetzt nicht besinnen kann. Das Gewicht dieser Kostbarkeiten überstieg dreihundertundfünfzig Pfund, ohne daß ich dazu die hundertsiebenundneunzig herrlichen Uhren gerechnet habe. Von diesen waren drei, die mindestens jede einen Wert von fünfhundert Dollar hatte. Viele von ihnen waren sehr alt und als Zeitmesser wertlos; auch hatten die meisten Werke mehr oder weniger durch den Rost gelitten. Aber alle waren reich mit Edelsteinen geschmückt und steckten in Gehäusen von großem Wert. Wir schätzten in dieser Nacht den ganzen Inhalt der Truhe auf eineinhalb Millionen Dollar, aber bei dem späteren Verkauf der Schmucksachen und Juwelen (ein paar behielten wir zum eigenen Gebrauch) stellte es sich heraus, daß wir den Schatz gewaltig unterschätzt hatten.
Als wir endlich unsere Untersuchung beendet hatten, und sich die tiefe Erregung dieses Tages etwas gelegt hatte, begann Legrand, der sah, wie ich fast vor Ungeduld starb, nun endlich die Lösung des außerordentlichen Rätsels zu erfahren, mir einen ausführlichen Bericht über alle damit verknüpften Einzelheiten zu geben.
»Sie werden sich«, sagte er, »des Abends erinnern, als ich Ihnen die flüchtige Skizze überreichte, die ich von dem Käfer gemacht hatte. Sie erinnern sich auch, daß ich sehr verblüfft war, weil Sie darauf bestanden, meine Zeichnung gliche einem Totenkopf. Als Sie zuerst die Bemerkung machten, dachte ich, Sie scherzten; dann fielen mir aber die eigentümlichen Flecken auf dem Rücken des Insekts ein, und ich gestand mir, daß Ihre Ansicht in gewisser Beziehung begründet sei. Trotzdem ärgerte mich der Spott über meine zeichnerischen Fähigkeiten – denn ich gelte für einen guten Zeichner – und als Sie mir den Pergamentfetzen gaben, war ich dabei, ihn zu zerknittern und in den Ofen zu werfen.«
»Sie meinen den Papierfetzen«, sagte ich.
»Nein, er sah zwar wie Papier aus, und zuerst hielt ich ihn auch dafür, aber als ich begann, darauf zu zeichnen, entdeckte ich sofort, daß er ein Stück sehr dünnen Pergaments war. Sie erinnern sich, daß er ganz schmutzig war. Nun wohl, gerade als ich dabei war, ihn zu zerknittern, fiel mein Blick auf die Zeichnung, die Sie betrachtet hatten, und Sie können sich mein Erstaunen vorstellen, als ich tatsächlich die Figur eines Totenkopfs gerade an der Stelle sah, wo ich glaubte, den Käfer hingezeichnet zu haben. Einen Augenblick war ich zu erstaunt, um richtig zu denken. Ich wußte, daß meine Zeichnung in den Einzelheiten ganz anders gewesen, obgleich es eine gewisse Ähnlichkeit im Umriß gab. Ich nahm dann eine Kerze und setzte mich in das andere Ende des Zimmers, wo ich begann, das Pergament genauer zu untersuchen. Als ich es umwandte, sah ich auf der Rückseite meine eigene Zeichnung genau so, wie ich sie gemacht hatte. Mein erster Gedanke war ein einfaches Erstaunen über die merkwürdige Ähnlichkeit im Umriß – über den seltsamen Zufall, daß mir ganz unbewußt, genau unter meiner Zeichnung des Käfers, sich an der auf der anderen Seite des Pergaments ein Totenkopf befunden hatte, und daß dieser Totenkopf nicht nur in der Form, sondern auch in der Größe genau meiner Zeichnung glich. Wie gesagt, die Einzigartigkeit dieses Zusammentreffens verwirrte mich eine Zeitlang vollständig. Das ist häufig so bei solchen Zufällen. Das Gehirn müht sich, irgend eine Verbindung zu finden, eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung herzustellen, und wenn es das nicht kann, entsteht eine Art vorübergehender Lähmung. Als ich mich aber von dieser Verblüffung erholt hatte, dämmerte in mir nach und nach eine Überzeugung, die mir noch erstaunlicher schien als das Zusammentreffen. Ich begann mich genau und bestimmt zu erinnern, daß sich auf dem Pergament keine Zeichnung befunden hatte, als ich die Skizze des Käfers anfertigte. Ich wurde mir dessen völlig gewiß, denn ich erinnerte mich, daß ich das Blatt von einer Seite auf die andere gewendet hatte, um die reinste Stelle zu suchen. Wäre der Schädel dagewesen, ich hätte ihn sicherlich bemerkt. Hier gab es in jedem Fall ein Geheimnis, das ich mir nicht erklären konnte. Aber schon damals, in diesem ersten Augenblick, schien ganz schwach in der entlegensten und geheimsten Kammer meiner Seele glühwürmchenhaft eine Ahnung von jener Wahrheit aufzuglimmen, die das Abenteuer der gestrigen Nacht zu einem so großartigen Ergebnis führte. Ich erhob mich plötzlich, verschloß das Pergament sorgfältig und verschob alles weitere Nachdenken, bis ich allein war.
Als Sie gegangen waren, und Jupiter fest schlief, unterzog ich die Sache einer mehr methodischen Untersuchung. Zunächst betrachtete ich die Art, wie das Pergament in meinen Besitz gekommen war. Der Fleck, wo ich den Käfer entdeckt hatte, lag eine Meile östlich von der Insel an der Festlandsküste und nur ein wenig über der Hochwasserlinie. Als ich das Tier anfaßte, biß es mich heftig, was mich veranlaßte, es fallen zu lassen. Jupiter, auf den das Insekt hingeflohen war, suchte, bevor er es anfaßte, mit seiner gewohnten Vorsicht nach einem Blatt oder dergleichen, um es damit zu packen. Es war in diesem Augenblick, daß seine Augen und auch die meinen auf den Pergamentfetzen fielen, den ich damals für Papier hielt. Es lag halb begraben im Sand und ragte mit einer Ecke heraus. Nahe bei der Fundstätte bemerkte ich die Überreste eines Schiffskörpers, die von einer Pinasse zu stammen schienen. Das Wrack hatte wohl schon eine sehr lange Zeit dort gelegen, denn die Form der Bootsrippen war kaum noch zu erkennen.
Nun wohl, Jupiter nahm das Pergament auf, wickelte den Käfer hinein und überreichte ihn mir. Kurz darauf kehrten wir heim und trafen unterwegs den Leutnant G. Ich zeigte ihm das Insekt, und er bat mich, es mit zum Fort nehmen zu dürfen. Da ich zustimmte, steckte er es in seine Westentasche, und zwar ohne das Pergament, in das es gewickelt gewesen, und das ich während seiner Betrachtung in der Hand gehalten hatte. Vielleicht fürchtete er, ich möchte meine Zustimmung zurücknehmen, und hielt es für das beste, möglichst schnell das Tier einzustecken – Sie wissen ja, wie begeistert er an allem hängt, was mit der Naturforschung zusammenhängt. Ich selbst aber muß zur gleichen Zeit, ohne es zu wissen, das Pergament in meine Tasche gesteckt haben.
Sie erinnern sich ferner, daß ich an den Tisch ging, um eine Zeichnung des Käfers anzufertigen, und daß ich an dem gewohnten Platz kein Papier fand. Ich suchte in der Schublade, aber es war nichts da. Als ich meine Taschen durchfühlte, um vielleicht einen alten Brief zu finden, berührte meine Hand das Pergament. Ich erzähle Ihnen die Einzelheiten, durch die ich in seinen Besitz kam, so genau, weil die Umstände auf mich einen außerordentlich starken Eindruck machten.
Sie werden mich zweifellos für einen Phantasten halten – aber ich hatte schon begonnen, eine Art von innerer Verknüpfung zu bilden. Ich hatte zwei Glieder einer langen Kette miteinander verbunden. Ein Boot lag an der Seeküste, und nicht weit von dem Boot fand ich ein Pergament – nicht ein Papier – mit einem darauf gezeichneten Totenkopf. Sie fragen natürlich, wo denn hier die Verbindung stecke. Meine Antwort ist, daß der Schädel oder Totenkopf als wohlbekanntes Emblem der Piraten gilt. Die Flagge mit dem Totenkopf wird bei allen ihren Unternehmungen gehißt.
Ich sagte, der Fetzen sei Pergament und nicht Papier gewesen. Pergament ist fast unzerstörbar. Unwichtige Dinge schreibt man selten auf Pergament, denn zum gewöhnlichen Zeichnen oder Schreiben eignet es sich nicht so gut wie Papier. Ich kam durch diese Überlegung darauf, daß hinter dem Totenkopf etwas Besonderes, etwas von Bedeutung stecken müßte. Auch entging mir nicht die besondere Form des Pergaments, obgleich eine Ecke durch einen Zufall zerstört war, konnte man doch die ursprüngliche längliche Form erkennen. Es war gerade solch ein Blatt, wie man es für ein besonderes Dokument gewählt haben würde – für ein wichtiges Schriftstück, das sorgfältig aufgehoben werden sollte.«
»Aber«, unterbrach ich ihn, »Sie sagten doch, der Schädel sei nicht auf dem Pergament gewesen, als Sie den Käfer zeichneten. Wie wollen Sie eine Verbindung zwischen dem Boot und dem Schädel herstellen, wenn dieser, wie Sie selbst zugeben, erst nach Ihrer Zeichnung des Käfers, Gott weiß, auf welche Weise, entstanden ist?«
»Ja, hier kommen wir zu dem Kernpunkt des ganzen Geheimnisses, obgleich gerade dies zu lösen mir die wenigsten Schwierigkeiten machte. Meine Schritte waren sicher und konnten nur zu einem Ergebnis führen. Ich schloß also folgendermaßen: Als ich den Käfer zeichnete, war auf dem Pergament kein Schädel zu sehen. Als ich Ihnen dann die fertiggestellte Zeichnung überreichte, beobachtete ich Sie genau, bis Sie sie mir zurückgaben. Sie also hatten nicht die Zeichnung gemacht, und auch sonst kein Anwesender. Sie war also nicht durch eine menschliche Tätigkeit entstanden, und doch war sie da.
Bei diesem Punkte meines Nachdenkens versuchte ich mich genau an jede Einzelheit des damaligen Geschehens zu erinnern und erreichte das auch. Das Wetter war frostig – welch ein wunderbarer und glücklicher Zufall! – und im Kamin brannte ein Feuer. Ich war durch das Marschieren warm geworden und saß am Tisch. Sie aber hatten sich einen Stuhl dicht an den Kamin gerückt. Und nun kam gerade, als ich Ihnen das Pergament in die Hand gegeben hatte und Sie es betrachteten, der Neufundländer herein und sprang auf Ihre Schultern. Mit Ihrer linken Hand liebkosten sie ihn und drängten ihn zurück, während Sie Ihre Rechte, die das Pergament hielt, nachlässig zwischen den Knien herabsinken ließen, so daß es dicht an das Feuer kam. Einmal dachte ich sogar, es würde von den Flammen erfaßt werden und war gerade dabei, Sie zu warnen. Aber bevor ich sprechen konnte, hatten Sie es zurückgezogen und gaben sich daran, es zu betrachten. Wie ich mir alle diese Einzelheiten überlegte, zweifelte ich keinen Augenblick, daß der Schädel, den ich auf dem Pergament gezeichnet sah, nur durch Einwirkung von Hitze darauf sichtbar geworden sein konnte. Sie wissen natürlich, daß es chemische Präparate gibt und schon seit Urzeiten gegeben hat, mit denen man so auf Papier oder Pergament schreiben kann, daß die Buchstaben nur bei Einwirkung von Wärme sichtbar werden. Sehr gebräuchlich ist in aqua regia gelöster Kobalt, der mit vier Teilen Wasser verdünnt wird und eine grüne Tinte gibt. Löst man den Kobalt in Salpetersäure, so erhält man eine rote Tinte. Die Farben verschwinden, wenn sich das Material, auf dem sie geschrieben sind, abgekühlt hat, nach längerer oder kürzerer Zeit und werden wieder sichtbar, wenn man sie aufs neue der Hitze aussetzt.
Ich untersuchte nun den Totenkopf sorgfältigst. Seine Umrisse waren an der Seite nach dem Rand des Pergaments hin deutlicher als an der andern Seite. Es war klar, daß die Erwärmung unvollkommen oder ungleichartig gewirkt hatte. Ich zündete daher sofort ein Feuer an und setzte jede Stelle des Pergaments der Einwirkung einer starken Hitze aus. Zunächst war die einzige Folge, daß die schwächeren Linien des Schädels deutlicher wurden. Als ich aber mit meinen Bemühungen fortfuhr, sah ich in einer Ecke des Fetzens, schräg gegenüber dem Fleck, wo der Totenkopf gezeichnet war, eine Figur, die mir zunächst einer Ziege ähnlich zu sein schien. Eine genauere Untersuchung überzeugte mich aber, daß sie ein Böckchen darstellen sollte.«
»Haha!« rief ich, »ich habe natürlich kein Recht, über Sie zu lachen – eineinhalb Millionen sind eine zu ernsthafte Sache, um darüber zu spotten – aber Sie wollen doch nicht daraus ein drittes Glied in Ihrer Kette machen? Zwischen Piraten und einer Ziege werden Sie schwerlich eine Verbindung finden – Piraten haben, wie Sie wissen, nichts mit Ziegen zu tun. Die scheinen mir mehr für die Landwirtschaft von Interesse zu sein.«
»Aber ich habe doch gerade gesagt, die Figur stellte keine Ziege dar.«
»Nun denn, ein Ziegenböckchen – was mir ziemlich dasselbe zu sein scheint.«
»Ziemlich dasselbe, aber doch nicht ganz«, sagte Legrand. »Vielleicht haben Sie schon einmal von einem Kapitän Kidd gehört, das englische Wort kid bedeutet Böckchen. Jedenfalls kam mir die Figur des Tieres wie eine Art scherzhafter oder hieroglyphischer Unterschrift vor. Ich sage Unterschrift, denn die ganze Stellung auf dem Pergament sah danach aus. Ebenso hatte der Totenkopf schräg gegenüber das Aussehen eines Stempels oder Siegels. Ich war aber bitter enttäuscht, weil alles andere fehlte – nämlich die Hauptsache der vermutlichen Urkunde, der erwartete Text.«
»Sie hofften vermutlich, einen Brief zwischen Stempel und Unterschrift zu finden.«
»Irgend so etwas. Tatsache ist, daß ich ein unbezwingliches Gefühl hatte, irgend ein riesengroßes Glück stehe mir bevor. Ich kann eigentlich nicht sagen, warum. Vielleicht war es schließlich mehr ein Wunsch als ein wirklicher Glaube – jedenfalls versichere ich Ihnen, daß Jupiters verrückter Ausspruch, der Käfer sei aus solidem Gold, einen starken Einfluß auf meine Idee ausübte. Und dann diese Folge von seltsamen Zufälligkeiten – das war so außerordentlich merkwürdig. Beachten Sie doch das ungewöhnliche Zusammentreffen, daß alle diese Dinge gerade an dem einzigen Tag im Jahr geschahen, als es genügend kalt zum Heizen war, und daß ohne das Hinzukommen des Hundes genau in jenem bestimmten Augenblick ich niemals etwas von dem Totenkopf gewahr geworden und damit auch nie in den Besitz des Schatzes gekommen wäre.«
»Aber fahren Sie fort – ich vergehe vor Ungeduld.«
»Also, Sie haben natürlich auch gehört von den vielen Geschichten, von den tausend unbestimmten Gerüchten über Geld, das irgendwo an der atlantischen Küste von Kidd und seinen Spießgesellen begraben sei. Irgendwie mußten diese Gerüchte natürlich ihren Grund haben. Und wenn sie sich so lange und so hartnäckig erhielten, so lag das nur daran, daß der vergrabene Schatz eben immer noch in der Erde lag. Hätte Kidd seine Beute nur für eine Zeit vergraben und sie nachher wiedergeholt, so würden die Gerüchte nicht in der bestimmten Form bis auf uns gekommen sein. Sie wollen auch beachten, daß die Geschichten nur von Goldsuchern, aber nie von Geldfindern erzählten. Hätte der Pirat sein Geld wieder bekommen, dann wäre die Geschichte zu Ende gewesen. Mir schien es, als ob irgend ein Zufall – vielleicht der Verlust eines Schriftstückes, das den Ort bezeichnete – ihn der Möglichkeit beraubte, sie wiederzufinden. Dieser Zufall war seinen Anhängern, die sonst vielleicht niemals etwas von dem vergrabenen Schatz erfahren hätten, bekannt geworden, und ihre natürlich fruchtlosen Versuche, ihn zu finden, hatten dann erst die Erzählungen veranlaßt, die jetzt so große Verbreitung gewonnen haben. Haben Sie je etwas davon gehört, daß irgend ein Schatz von Bedeutung an der Küste ausgegraben wurde?«
»Nie.«
»Aber es ist bekannt, daß Kidd ungeheure Schätze angesammelt hat. Ich hielt es daher für sicher, daß sie noch in der Erde lagen, und Sie werden schwerlich sehr erstaunt sein, wenn ich Ihnen erzähle, daß ich eine Hoffnung fühlte, die fast zur Gewißheit stieg, das so seltsam gefundene Pergament enthielte den verlorenen Bericht über die Schatzstelle.«
»Aber wie gingen Sie weiter vor?«
»Ich hielt das Pergament wieder ans Feuer, nachdem ich die Hitze verstärkt hatte, aber es erschien nichts. Dann kam mir der Gedanke, der Schmutzüberzug könnte etwas mit diesem Versagen zu tun haben, und ich reinigte das Pergament vorsichtig, indem ich warmes Wasser darüber goß. Hierauf legte ich es mit dem Schädel nach unten auf eine Pfanne von Eisenblech und setzte diese auf ein Holzkohlenfeuer. Nach einigen Minuten, als die Pfanne gehörig heiß geworden war, nahm ich den Fetzen heraus und fand ihn zu meiner unaussprechlichen Freude an verschiedenen Stellen mit Schriftzeichen bedeckt, die mir in Linien angeordnet zu sein schienen. Wieder legte ich ihn in die Pfanne und ließ ihn dort noch eine Minute liegen. Als ich ihn dann abnahm, war er ganz so, wie Sie ihn jetzt sehen.«
Damit übergab mir Legrand das Pergament zur Besichtigung, nachdem er es wieder erhitzt hatte. Zwischen dem Totenkopf und der Ziege befanden sich in roter Tinte die folgenden, ungeschickt geschriebenen Schriftzeichen:
53 XX + 305 ) ) 6 *; 4826 ) 4 X . ) 4 X ) ; 806 *; 48 + 876 0 ) ) 85; 1 X ( ; : X * 8 + 83 (88) 5* + ;
46 ( ; 88 * 96 * ? ; 8 ) * X ( ; 485 ) ; 5 * + 2 : * X ( ; 4956 * 2 ( 5 * – 4 ) 878 * ; 4069285 ) ; )
6 + 8) 4 X X ; 1 ( X 9 ; 48081 ; 8 : 8 X 1 ; 48 + 85 ; 4 ) 485 + 528806 * 81 ( X 9 ; 48 ; ( 88 ; 4 ( X ? 34 ; 48 ) 4 X ; 161 ; : 188 ; X ? ;
»Aber«, sagte ich, indem ich ihm den Zettel zurückgab, »ich bin noch genau so im Dunkeln wie vorher. Wenn man mir alle Edelsteine von Golkonda für die Lösung des Rätsels aussetzte, ich wäre sicherlich nicht imstande, sie zu gewinnen.«
»Und doch«, meinte Legrand, »ist die Lösung keineswegs so schwierig, wie Sie sich bei der ersten flüchtigen Betrachtung der Heichen vielleicht einreden. Diese Zeichen bilden, wie jeder sofort errät, eine Geheimschrift, das heißt, sie verbergen einen Sinn. Aber nach allem, was von Kidd bekannt ist, konnte ich mir nicht vorstellen, daß er imstande gewesen ist, eine sehr versteckte Chiffreschrift zu erfinden. Ich schloß daher sofort, daß dies eine ganz einfache Art sei – allerdings eine solche, die für den schlichten Verstand eines Seemanns ohne Schlüssel absolut unlösbar sei.«
»Und Sie haben die Lösung wirklich gefunden?« »Mit Leichtigkeit. Ich habe andere gelöst, die zehntausendmal schwieriger waren. Durch Zufälligkeiten und eine gewisse Veranlagung bin ich dahin gekommen, mich für solche Rätsel zu interessieren, und ich glaube nicht, daß menschlicher Scharfsinn ein Rätsel erdenken kann, das nicht menschlicher Scharfsinn, wenn er richtig angewendet wird, wieder auflöst. Wirklich, nachdem ich die Schriftzeichen erst in einen lesbaren Zustand gebracht hatte, machte ich mir wegen der Entzifferung ihrer Bedeutung keine Sorgen mehr.
Im vorliegenden Fall, wie in allen Fällen von Geheimschriften, war die erste Frage die nach der Sprache, in der sie geschrieben war. Denn die Art der Lösung hängt – wenigstens bei einfachen Chiffren – ganz von dem Charakter der betreffenden Sprache ab. Im allgemeinen bleibt einem hier nichts übrig, als so lange zu probieren – wobei man sich von der größeren Wahrscheinlichkeit leiten läßt –, bis man die richtige gefunden hat. Bei dieser Geheimschrift nun wurde alle Schwierigkeit behoben durch die Unterschrift. Der Wortwitz auf Kidd ist nur in englischer Sprache möglich. Wäre dies nicht gewesen, dann hätte ich meine Versuche in Spanisch oder Französisch begonnen, weil das die wahrscheinlichsten Sprachen sind, in der ein Pirat an der spanischen Küste ein solches Geheimnis niedergeschrieben hätte. So aber schloß ich, die Geheimschrift sei englisch.
Sie sehen, daß es zwischen den einzelnen Wörtern keine Zwischenräume gibt. Hätte es solche gegeben, dann wäre die ganze Aufgabe sehr leicht gewesen. Ich hätte dann mit einer Sammlung und Untersuchung der kürzeren Worte begonnen, und wenn ich dann auf ein Wort mit einem einzelnen Buchstaben (das englische a oder I zum Beispiel) gestoßen wäre, dann hätte ich die Lösung bereits für gesichert gehalten. Da es aber keine Zwischenräume gab, mußte ich mir zunächst die häufigsten und die seltensten Buchstaben heraussuchen. Indem ich sie alle zählte, kam ich zu folgender Tabelle:
Das Zeichen | 8 | kommt | 33 mal vor |
; | 26 mal vor | ||
4 | 19 mal vor | ||
) und X | 16 mal vor | ||
* | 13 mal vor | ||
5 | 12 mal vor | ||
6 | 11mal vor | ||
( | 10 mal vor | ||
+ und 1 | 8 mal vor | ||
0 | 6 mal vor | ||
9 und 2 | 5 mal vor | ||
: und 3 | 4 mal vor | ||
? | 3 mal vor | ||
II | 2 mal vor | ||
– und . | 1 mal vor. |
Nun ist im Englischen das e der häufigste Buchstabe. Dann kommen der Reihenfolge nach a o i d h n r s t u y c f g l m w b k p q x z. Das e überragt die andern aber so sehr, daß es selten einen einigermaßen langen Satz gibt, in dem es nicht durch seine Häufigkeit auffällt.
Wir haben also hier schon von vornherein eine Grundlage, die mehr ist als ein bloßes Raten. Natürlich ist es klar, daß eine solche Tabelle im allgemeinen sehr nützlich sein kann – bei dieser bestimmten Geheimschrift werden wir aber nur wenig Gebrauch von ihr machen. Da das häufigste Zeichen 8 ist, wollen wir mit der Annahme beginnen, daß es den Buchstaben e bezeichnet. Zur größeren Sicherheit werden wir noch untersuchen, ob diese 8 öfters verdoppelt vorkommt, denn im Englischen ist das doppelte e sehr häufig, besonders in Wörtern wie meet, fleet, seen, been, agree und so fort. In diesem Fall kommt es nicht weniger als fünfmal doppelt vor, obgleich das Kryptogramm nur kurz ist. Also wir nehmen an, 8 bedeutet e. Nun ist von allen Wörtern der Sprache das the das häufigste. Untersuchen wir also, ob sich die gleiche Wiederholung von drei Zeichen findet, deren letztes eine 8 ist. Wenn wir solche Zeichen finden, dann bedeuten sie höchst wahrscheinlich the. Und wirklich finden wir nicht weniger als siebenmal eine solche Zusammenstellung, es sind die Zeichen ;48. Wir können daher annehmen, daß ; ein t, 4 ein h und 8 ein e bedeutet. Dieses letztere steht nun fest, wir haben also schon einen großen Schritt gemacht.
Aber nach dem Bestimmen eines einzelnen Wortes sind wir auch imstande, zugleich etwas sehr Weitgehendes zu bestimmen, nämlich verschiedene Endungen und Anfänge von anderen Wörtern. Sehen wir uns zum Beispiel die Stelle an, wo die Kombination ; 4 8 zum vorletzten Mal vorkommt – kurz vor dem Ende der Geheimschrift. Wir wissen, daß das unmittelbar folgende ; der Beginn eines Wortes ist, und von den sechs Zeichen, die dem the folgen, kennen wir nicht weniger als fünf. Schreiben wir die Zeichen in den Buchstaben hin, die sie bedeuten, wobei der Zwischenraum den unbekannten Buchstaben bedeutet:
t eeth.
Hier können wir sofort das th abtrennen, denn es bildet keinen Teil des Wortes, das mit t beginnt, denn wenn wir auch das ganze Alphabet durchprobieren, so finden wir doch kein hier passendes Wort mit einem th am Ende. Es bleibt also nur:
t ee,
und wenn wir auch hier wieder das Alphabet durchgehen, dann kommen wir zu dem Wort tree als der einzig möglichen Lösung. Damit gewinnen wir noch einen Buchstaben, das durch ( dargestellte r, mit den nebeneinander stehenden Wörtern the tree. Etwas hinter diesen Wörtern sehen wir wieder die Zusammenstellung ; 4 8 und verwenden sie jetzt als Endung für das unmittelbar Vorhergehende. Wir haben dann, nach Einsetzung der uns schon bekannten Buchstaben, die Folge:
the tree thr X ? h the.
Jetzt brauchen wir nur an der Stelle der noch unbekannten Zeichen freien Raum oder Punkte zu setzen. Wir lesen dann:
the tree thr ... h the,
und das Wort through springt uns von selbst ins Auge. Damit haben wir aber schon wieder drei Buchstaben gefunden, o, u und g, die durch X, ? und 3 bezeichnet sind.
Wenn wir nun die Geheimschrift aufs neue nach Kombinationen bekannter Zeichen durchsuchen, dann finden wir nicht weit vom Beginn die Zusammenstellung 8 3 ( 8 8 oder egree, die nur zu dem Wort degree führen kann und uns den durch + bezeichneten Buchstaben d gibt.
Vier Buchstaben hinter dem Wort degree bemerken wir die Zusammenstellung
; 4 6 ( ; 8 8.
Übersetzen wir wieder die bekannten Zeichen und lassen wir für das unbekannte einen Punkt, dann lesen wir:
th . rteen
und wissen sofort, daß es sich nur um das Wort thirteen handeln kann, wodurch wieder zwei Buchstaben, nämlich die durch 6 und * bezeichneten i und n ermittelt sind.
Wenden wir uns jetzt zum Beginn, so finden wir die Zusammenstellung 5 3 X X +. Da 3 X X + good bedeutet, kann der erste Buchstabe nur ein a sein, und die ersten zwei Worte lauten also: A good.
Es wird nun Zeit, das bisher Gefundene in eine Tabellenform zu bringen, um Verwirrung zu vermeiden. Die Tabelle lautet:
5 | = | a |
+ | = | d |
8 | = | e |
3 | = | g |
4 | = | h |
6 | = | i |
* | = | n |
† | = | o |
( | = | r |
; | = | t |
Wir haben nunmehr also nicht weniger als elf der wichtigsten Buchstaben, und es ist unnötig, mit den Einzelheiten der Lösung fortzufahren. Ich habe genug gesagt, um Sie zu überzeugen, daß Geheimschriften dieser Art leicht zu lösen sind, und ich habe Ihnen die Methode einer solchen Lösung gezeigt. Das vorliegende Kryptogramm gehört übrigens zu der leichtesten Art, die ich kenne, und es bleibt mir jetzt nur übrig, Ihnen die vollständige Übersetzung der Zeichen auf dem Pergament zu geben. Sie lautet:
»A good glass in the bishop's hostel in the devil's seat forty-one degrees and thirteen minutes northeast and by north main branch seventh limb east side shoot from the left eye of the death's-head a bee-line from the tree through the shot fifty feet out.«
Also auf Deutsch: ›Ein gutes Glas in Bischofs Hotel im Teufelssitz einundvierzig Grad und dreizehn Minuten nordnordöstlich Hauptast siebter Zweig Ostseite Schuß durch das linke Auge des Totenkopfs Luftlinie von dem Baum über den Schuß fünfzig Fuß hinaus.‹
»Aber«, sagte ich, »das Rätsel scheint mir noch gerade so dunkel zu sein wie vorher. Wie ist es möglich, aus dem Wortgemenge einen Sinn herauszufinden? Was bedeuten Teufelssitz, Bischofs Hotel, Totenkopf?«
»Ich gestehe«, erwiderte Legrand, »daß die Sache nicht so ganz einfach erscheint, wenn man sie oberflächlich betrachtet. Mein erstes Bestreben war, das Ganze im Sinne des Geheimschreibers in natürliche Abschnitte zu zerlegen.«
»Das heißt, es zu interpunktieren?«
»Wenigstens etwas Ähnliches wollte ich.«
»Aber wie war denn das möglich?«
»Ich überlegte, daß der Schreiber die Wörter absichtlich ohne Zwischenräume nebeneinander gestellt hatte, um die Schwierigkeit der Lösung zu vergrößern. Nun wird ein nicht allzu scharfsinniger Mann beim Verfolg einer solchen Sache des Guten zu viel tun. Wenn er daher an eine Stelle kam, wo er dem Sinne nach eine Pause machen oder einen Punkt hinsetzen sollte, dann konnte er leicht sich verleiten lassen, die Zeichen hier besonders dicht hintereinander zu setzen. Wenn Sie jetzt das Manuskript noch einmal betrachten, dann werden Sie leicht solche Fälle von unnötig zusammengedrängten Zeichen finden. Ich handelte nach dieser Idee und machte folgende Ermittlung: ›Ein gutes Glas in Bischofs Hotel im Teufelssitz – einundvierzig Grad und dreizehn Minuten – nordnordöstlich – Hauptast siebter Zweig Ostseite – Schuß durch das linke Auge des Totenkopfs – Luftlinie von dem Baum über den Schuß fünfzig Fuß hinaus‹.«
»Selbst diese Einteilung«, sagte ich, »läßt mich noch im Dunkeln.«
»Sie ließ mich auch im Dunkeln«, antwortete Legrand, »wenigstens einige Tage lang. Ich erkundigte mich inzwischen fleißig nach einem Gebäude in der Umgegend von Sullivans Insel, das den Namen Bischofs Hotel trug, denn ich hatte ja hostel mit Hotel übersetzt. Ich erhielt aber keine Auskunft über die Sache und war schon dabei, den Umkreis meines Forschens mehr auszudehnen und dabei systematischer vorzugehen, als es mir eines Morgens plötzlich durch den Kopf fuhr, daß dieses bishop's hostel sich vielleicht auf eine alte Familie namens Bessop beziehen könnte, die in jetzt vergessenen Zeiten etwa vier Meilen, nördlich von der Insel einen herrschaftlichen Wohnsitz gehabt hatte. Ich ging daher zu der Pflanzung hinüber und begann dort die älteren Neger auszufragen. Schließlich sagte wir eine der ältesten Frauen, sie habe von einem Platze namens Bessop's Castle gehört und könnte mich dorthin führen. Es sei aber weder ein Schloß noch ein Hotel, sondern ein hoher Felsen.
Ich erbot mich, sie für ihre Bemühung reichlich zu bezahlen, und nach einigem Zögern stimmte sie zu, mich nach dem Ort zu begleiten. Wir fanden ihn ohne große Schwierigkeit, und als ich sie entlassen hatte, begann ich den Platz zu untersuchen. Das ›Castle‹ bestand aus einer unregelmäßigen Ansammlung von Klippen und Felsen, und von den letzteren war einer, der durch seine Höhe, durch seine abgesonderte Lage und seine ungewöhnliche Form auffiel. Ich kletterte auf seinen Gipfel, war aber dann ganz ratlos, was ich weiter tun sollte.
Während ich noch grübelte, fiel mein Blick auf einen schmalen Vorsprung an der Ostseite des Felsens, vielleicht einen Meter unter dem Gipfel, auf dem ich stand. Der Vorsprung war vielleicht achtzehn Zoll breit und einen Fuß lang, und eine Nische gerade über ihm im Felsen gab ihm eine flüchtige Ähnlichkeit mit einem jener rundlehnigen Stühle, wie sie unsere Vorfahren besaßen. Ich zweifelte nicht, daß dies hier der Teufelssitz sei, auf den das Manuskript anspielte, und glaubte nun die völlige Lösung des Rätsels erfassen zu können. Ich wußte, daß das ›gute Glas‹ sich nur auf ein Fernglas beziehen konnte, denn Seeleute gebrauchen das Wort Glas selten in einem anderen Sinne. Ich begriff sofort, daß hier ein Fernrohr nötig war, um damit einen ganz bestimmten Punkt, von dem man nicht abgehen durfte, festzulegen. Auch zweifelte ich nicht, daß die Ausdrücke ›einundvierzig Grad und dreizehn Minuten‹ ebenso wie das ›Nordnordost‹ als Richtungsangaben für das Glas bestimmt waren. Sehr erregt durch diese Entdeckung eilte ich nach Hause, verschaffte mir ein Fernrohr und kehrte nach dem Felsen zurück.
Ich ließ mich auf den Vorsprung herab und fand, daß man nur in einer ganz bestimmten Art darauf sitzen konnte. Diese Tatsache bestärkte mich in meiner Vermutung, und ich versuchte nun, das Glas zu gebrauchen. Natürlich konnten sich die ›einundvierzig Grad und dreizehn Minuten‹ nur auf die Erhebung über den sichtbaren Horizont beziehen, da die Seitenrichtung deutlich durch das Wort ›Nordnordwest‹ bezeichnet war. Diese letztere Richtung legte ich durch einen Taschenkompaß fest, dann richtete ich das Glas, so gut ich es konnte, ungefähr auf eine Erhebung von einundvierzig Grad und bewegte es langsam aufwärts und abwärts, bis sich meine Aufmerksamkeit auf eine kreisförmige Öffnung im Laubwerk eines mächtigen Baumes lenkte, der alle andern Bäume in der Gegend durch seine Größe überragte. Mitten in der Öffnung bemerkte ich einen weißen Fleck, konnte aber anfangs durchaus nicht erkennen, was das war. Als ich aber das Fernrohr genau einstellte und nochmals hinsah, bemerkte ich, daß es ein menschlicher Schädel war.
Nach dieser Entdeckung war ich zuversichtlich überzeugt, das Rätsel gelöst zu haben, denn der Ausdruck ›Hauptast siebter Zweig Ostseite‹ konnte sich nur auf die Stelle beziehen, wo der Schädel am Baum befestigt war, während der ›Schuß durch das linke Auge des Totenkopfs‹ auch nur eine Deutung in bezug auf die Suche nach dem vergrabenen Schatz zuließ. Ich begriff, daß die Bestimmung war, eine Kugel durch das linke Auge des Schädels fallen zu lassen, und daß die Luftlinie, also eine gerade Linie, die von dem nächsten Punkt des Stammes über den ›Schuß‹, oder den Ort, wohin die Kugel gefallen war, auf eine Entfernung von fünfzig Fuß verlängert wurde, zu einem bestimmten Ort führen würde, von dem ich es immerhin für möglich hielt, daß dort ein wertvoller Schatz begraben war.«
»Alles dies«, sagte ich, »ist außerordentlich klar und bei allem Scharfsinn in der Idee doch einfach und verständlich. Aber was taten Sie, als Sie Bischofs Hotel verlassen hatten?«
»Nachdem ich sorgfältig die Lage des Baumes festgestellt hatte, begab ich mich nach Hause. Sobald ich aber den Teufelssitz verließ, verschwand die runde Öffnung und ich konnte nachher nirgendwo mehr eine Spur davon entdecken, so sehr ich mich auch drehte. Was mir das Scharfsinnigste an der Sache zu sein scheint, ist die Tatsache, die ich durch eine Reihe von Versuchen feststellte, daß die erwähnte runde Öffnung von keinem erreichbaren Punkt sonst zu sehen war, außer von dem schmalen Vorsprung an der Felsenwand.
Auf diesem Ausflug nach Bischofs Hotel war ich von Jupiter begleitet gewesen, der ohne Zweifel seit ein paar Wochen die Zerstreutheit in meinem Benehmen beobachtet hatte und sich besondere Mühe gab, mich nicht allein zu lassen. Aber am nächsten Tag stand ich sehr früh auf, und es gelang mir, ihm zu entwischen, worauf ich in das Bergland ging, um den Baum zu suchen. Nach vielen Bemühungen fand ich ihn. Als ich abends zurückkam, wollte mich mein Diener verprügeln. Was dann weiter geschah, wissen Sie ja so gut wie ich.«
»Ich vermute«, sagte ich, »daß Sie bei unserem ersten Grabeversuch die richtige Stelle verfehlten, weil Jupiter in seiner Stupidität den Käfer statt durch das linke Auge durch das rechte Auge fallen ließ.«
»Natürlich. Dieser Irrtum ergab bei dem ›Schuß‹ einen Unterschied von zwei und einem halben Zoll, was wenig ausgemacht hätte, wenn der Schatz unter diesem Fleck begraben gewesen. Aber durch die Verlängerung der Linie um fünfzig Fuß führte uns der anfänglich kleine Irrtum weit vom Ziele ab. Hätte nicht in mir die Überzeugung, daß der Schatz dort irgendwo begraben gewesen, so fest gesessen, dann wäre wohl unsere ganze Arbeit vergebens gewesen.«
»Aber Ihr schwulstiges Reden und die Art, wie Sie den Käfer herumschwangen – wie seltsam war das! Ich zweifelte nicht daran, daß Sie wahnsinnig seien. Und warum bestanden Sie denn darauf, den Käfer durch das Schädelauge fallen zu lassen statt einer Kugel?«
»Offen gestanden, weil mich Ihr unverkennbarer Zweifel an meiner geistigen Gesundheit ärgerte. Ich beschloß deshalb, Sie auf meine Art ein wenig durch eine kleine Mystifizierung zu bestrafen. Deshalb schwang ich den Käfer, und ließ ihn auch deshalb durch den Schädel fallen. Ihre Bemerkung über sein großes Gewicht hatte mich auf die letztere Idee gebracht.«
»Nun ja, ich verstehe. Und jetzt gibt es nur noch eins, was mir rätselhaft ist. Was sollen wir über die beiden Skelette denken, die wir in der Höhlung gefunden haben?«
»Das ist eine Frage, die ich ebensowenig beantworten kann wie Sie. Doch scheint mir nur eine wahrscheinliche Erklärung möglich, obgleich ich nicht gern an eine solche Grausamkeit, wie man sie danach annehmen müßte, glauben will. Es ist klar, daß Kidd – wenn Kidd, woran ich nicht zweifle, den Schatz vergraben hat – bei seiner Arbeit Hilfe gehabt haben muß. Aber als diese Arbeit vorbei war, hat er es vielleicht für klug gehalten, alle Zeugen davon zu beseitigen. Vielleicht genügten ein paar Schläge mit einer Hacke, während die Gehilfen in der Grube arbeiteten, vielleicht waren auch ein Dutzend nötig – wer kann das wissen?«