Читать книгу Ungeküsst in Bolsterlang - Edda Bruch-Cekinmez und Daniel Grewe - Страница 3
1. Moisie, oder so ähnlich!
ОглавлениеMein Name ist Herz, Sammi Herz!
Klingt cool, oder?
Den Spruch habe ich gestern im Fernsehen gesehen. Da lief ein „James Bond-Film“, und der Agent James
Bond hat sich genauso vorgestellt. Na ja, nicht mit Herz, sondern mit „Bond, James Bond!“
Statt seinen Martini, den er gerührt und nicht geschüttelt trinkt, so nehme ich meinen Kakao ohne Sahne
zu mir. Martini geht ja bei mir nicht, denn ich bin ja erst 12! Aber bald bin ich schon 13, und dann darf ich …
Ja, was eigentlich? Vielleicht küssen? James Bond hat auch dauernd geknutscht. Ich bin aber, na ja, ungeküsst!
Wie is’n das mit Zungenküssen? Wäre nicht schlecht! Ich sollte mal eine Liste machen, welche Mädchen
ich gerne küssen möchte. Also mit Zunge und so. Aber ehrlich gesagt weiß ich gar nicht wie man das anstellen soll!
Ich habe mal meinen älteren Bruder gefragt, wie das so ist. Er hat gesagt, dass ich mich mal
von unserem Hund abschlecken lassen soll, denn das wäre genauso wie ein Zungenkuss!
Was?
Kann ich mir nur schwer vorstellen. Und ehrlich gesagt will ich mir das auch nicht vorstellen.
Mein Bruder ist aber auch ein Depp…
Meine Kumpels Berni und Loisl tun immer so, als hätten sie schon Erfahrungen im Knutschen,
aber ich weiß nicht ob ich das glauben soll.
Wenn ich die Beiden dann frage, wen sie denn bereits geküsst haben, dann rücken sie einfach
nicht mit den Namen aus.
Es gibt schon ein paar nette Mädels in der Schule, die ich mal gerne küssen würde. Aber diese Mädels
schauen mich gar nicht erst an.
Wahrscheinlich bin ich zu unscheinbar? Bei den Fünftklässlerinnen hätte ich Chancen. Die himmeln jeden
von uns in der Klasse an. Aber die sind ja noch voll klein und spielen noch mit Puppen!
Muss man denn zum Knutschen auch verliebt sein?
Mannomann, das Leben ist für einen 12-Jährigen verdammt hart!
Vielleicht liegt es auch manchmal an den Pickeln, die sich ihren Weg durch mein Gesicht bahnen,
dass meine Favoritinnen mich nicht anschauen. Die machen mich bestimmt nicht hübscher.
Meine Familie, Mama, Papa, mein depperter Bruder und ich wohnen im Allgäu. Um es genauer zu sagen:
Wir leben in Bolsterlang. Mama und Papa sagen, dass es hier richtig idyllisch ist, aber wenn man mich
fragt, dann sage ich: „Hier ist TOTE HOSE“, nix los.
Um mal was auf die Beine zu stellen, muss man schon in den nächsten Ort nach Fischen fahren,
wo ich auch zur Schule gehe.
Da Fischen aber auch nicht gerade der Nabel der Welt ist, bin ich froh, dass es so etwas wie den
Computer gibt, quasi mein Tor zur Welt!
Ich habe zwar keinen eigenen Computer, aber Papa stellt mir seinen meistens zur Verfügung.
Und jetzt kommt’s:
Im Osterurlaub habe ich ein mega-cooles Mädchen kennengelernt.
Leider erst am letzten Tag und der Kontakt erstreckte sich auch nur über ein paar Minuten, aber wir lagen
auf einer Wellenlänge. Ich habe versprochen, ihr zu mailen.
Und das habe ich gestern in meine Tasten gehauen:
1. April: Sonntag
Liebe Moisie,
ich finde es schade, dass wir heute am Strand nur so wenig Zeit zum
Reden hatten.
Echt doof, dass wir wieder nach Hause gefahren sind! Dabei weiß
ich noch nicht einmal Deinen Namen.
Wie waren denn Deine Ferien noch so?
Also, meine waren cool.
Ich freue mich, wenn Du mir auf meine Mail antworten würdest!
Tschüss,
Sammi
3. April: Dienstag
Hallo Sammi,
klasse, dass Du Dich gemeldet hast.
Ich war mir nicht sicher, ob Du mir tatsächlich schreiben würdest.
Also - Moisie ist eigentlich mein Spitzname.
Echt peinlich, den haben mir meine Eltern als kleines Kind angehängt.
Weil ich immer "ich auch" gesagt habe (was auf Französisch
"moi aussi" heißt). Und als Du dann so schnell los bist, ist mir nichts
Besseres eingefallen.
Eigentlich heiße ich Lieselotte, aber der Name ist ja auch doof.
Irgendwann, wenn ich groß bin, werde ich mich umbenennen.
Was meinst Du, was zu mir passt? Du hast mich ja am Strand doch
besser kennen gelernt. Der Name ist doch blöd, oder?
Passt doch viel besser zu einem Mädchen mit blauen Augen und
blonden Zöpfen!
Und nicht zu meinen kurzen schwarzen Locken und braunen Augen,
oder?
Da ist Moisie doch viel besser, ja genau:
Schreib doch mal, wie Deine Ferien noch so waren.
Bei uns war es total langweilig, nachdem Ihr wieder weggefahren
seid. Meine Eltern haben sich gestritten und ich musste die ganze
schlechte Laune ausbaden.
Manchmal ist es ganz schön anstrengend, Einzelkind zu sein.
Hoch-herzliche Grüße
von Lieselotte (alias Moisie Combifix).
Ja, sie hat geantwortet! Hört sich auf jeden Fall immer noch sympathisch an. Jetzt muss ich am Ball bleiben.
Endlich einmal ein Mädchen, mit dem man sich unterhalten kann. Hoffentlich schreibt sie mir weiter!
TOP 3 der interessantesten Mädchen (jedenfalls im Moment):
1 Lisa (aus Klasse 8), den Nachnamen kenne ich nicht.
2 Mama
3 Oma
Okay, Platz 2 und 3 sind schon ein paar ältere Mädels, aber für mich sind sie stark!
4. April: Mittwoch
Hallo Lieselotte,
finde ich großartig, dass Du mir geantwortet hast. Und jetzt weiß ich
gar nicht, was ich Dir schreiben soll.
Aber klar, mir fällt doch was ein!
Also, Deinen Namen finde ich okay.
Stell Dir vor, in meiner Nachbarschaft gibt es einen Jungen, der Erdmann
heißt, und das mit Vornamen. Die Eltern sollen auch blöde Vornamen
haben, aber die kenne ich nicht.
Die Fahrt nach Hause war schrecklich. Stau, Stau, Stau!
Zwischendurch trällerten meine Eltern immer diese langweiligen Lieder.
Man hätte meinen können, dass der Motor davon kaputt geht.
Ist aber doch nicht passiert.
Bald geht die Schule wieder los.
Da habe ich nun gar keinen Bock drauf.
Vielleicht geht es Dir ja genauso?
In welcher Klasse bist Du denn eigentlich?
Du schreibst, dass Du ein Einzelkind bist. Sei doch froh, denn dann musst
Du nicht alte Sachen auftragen, so wie ich!
Ich habe einen älteren Bruder und die Sachen von ihm darf ich dann
zwei Jahre später tragen. Wenn ich meckere, sagt meine Mutter immer,
dass man das heute so trägt.
Mag ja sein, dass diese Klamotten gerade in sind, aber wahrscheinlich
in Burkina Faso oder so.
Frage mich nicht, wo das liegt. Muss ich mal googeln.
Ist vielleicht ein Ortsteil von Düsseldorf.
Das Wetter ist für Anfang April immer noch toll, und ich bin gerade dabei, mit meinen
Kumpels eine Hütte zu bauen.
Ganz in der Nähe von unserem Haus ist ein großer Wald. Und am
Waldrand bauen wir uns mit Brettern, Ästen und Stöcken eine Hütte.
Na ja, jedenfalls soll es eine Hütte werden.
Momentan sieht das Ding nach etwas anderem als einer Hütte aus.
Und wenn wir sie fertig gebaut haben, übernachten wir mal darin.
Meine Eltern wollen das zwar nicht, aber ich werde sie schon überreden.
Und wenn sie es nicht erlauben, dann mache ich das halt heimlich.
Bin mal gespannt, weil es heißt, dass es in dem Wald spuken soll.
Aber Angst kenne ich nicht, jedenfalls noch nicht, haha!
Ui ...! Am Anfang ist mir gar nix eingefallen, und jetzt bin ich kaum zu
bremsen. Ich muss aber jetzt aufhören, weil ich ziemlich müde bin.
Hütten bauen ist echt anstrengend!
Bis dann,
Sammi
Ich weiß nicht, aber hätte ich das mit dem Hüttenbauen nicht lieber weg lassen sollen? Macht man das i
n meinem Alter überhaupt? Keine Ahnung! Könnte ja schreiben, dass ich voll die Leseratte, oder der Nerd bin.
Wäre aber Quark!
Mein Bruder hat mal auf eine Heiratsanzeige mit einem Bild meines Vaters geantwortet, nur um zu sehen,
ob darauf geantwortet würde. Die Antwort kam und damit auch der Ärger für meinen schwachsinnigen Bruder.
Eine Woche Fernseh- und Computer-Verbot für ihn. Papa hatte auch Ärger mit Mama, weil die zunächst glaubte,
dass Papa da Blödsinn macht. Aber glücklicherweise war er es ja nicht.
Deshalb sollte ich lieber ehrlich bleiben und nicht irgendetwas erfinden, was ich gar nicht mache…
4. April: Mittwoch
Hallo Sammi,
echt nett von Dir, dass Du meinen Namen okay findest. Na ja, im
Vergleich zu Erdmann geht es mir ja richtig gut mit Lieselotte. Wenn
Eltern wüssten, was sie ihren Kindern antun.
Warum heißen denn alle Kinder in meiner Klasse Jacqueline, Michelle
oder Vanessa? Haben die Eltern vielleicht das gleiche Namensbuch
gelesen als sie ihr Baby bekommen haben?
Ich gehe übrigens in die 7b, am Wildstädter-Gymnasium in Nürnberg.
Unser Klassenlehrer heißt Dr. Karl Friese, aber wir nennen ihn Bohnenstange,
weil er lange dünne Beine hat und immer giftgrüne,
selbstgestrickte Pullover, von seiner Mutter gemacht, an hat.
Einmal hat er aus Versehen mit seiner Zigarette ein Loch hinein gebrannt.
Aber am nächsten Tag hat er wieder den gleichen Pullover angehabt.
Sag’ mal, Dein älterer Bruder, wieso war der denn nicht mit am
Strand? Ich dachte, Du wärst auch ein Einzelkind. Habt Ihr den Bruder
mit den neuen Klamotten zu Hause gelassen, oder hatte er
nichts mehr zum Anziehen, da Du alles mit in den Urlaub genommen
hast?
Ha..., Theodor..., Du musst leider zu Hause bleiben, diesmal kommt
Sammi mit. Du warst schon im letzten Jahr dabei und leider passt Dir
Deine Badehose nicht mehr...!
Burkina Faso liegt in Afrika oder? Aber wo genau ... hmm?
Kann leider gerade nicht googeln, da ich Internetverbot habe. Papa
meint, ich hätte es mal wieder übertrieben. Dann eben nicht: werde
dann in meinem Atlas nachschauen, den mir mein Opa zum Geburtstag
geschenkt hat.
Toll, das mit eurer Hütte! So was kann ich leider hier in der Stadt
nicht machen.
Meine Eltern sind Intellektuelle und haben kein Haus, sondern eine
große Altbauwohnung in der Nähe der Kaiserburg. Wenn ich in den
Wald will, fahren wir mit unserem Auto dort hin. Das heißt dann:
"Kind, wir machen heute einen Ausflug auf's Land."
Ich wünsche mir, ich würde auch in einem Dorf wohnen, mit Wald
und Wiesen und so ... und dann Hütten bauen, Lagerfeuer machen
und Kartoffeln rösten.
Hier in Nürnberg würden unsere Nachbarn nebenan durchdrehen
und sofort die Feuerwehr rufen. Ganz ehrlich, das haben die wirklich
gemacht, als ich einmal allein zu Hause war und mir ein paar Würstchen
auf dem Balkon grillen wollte.
Ich hatte zwei Wochen Stubenarrest und mein Opa, der in der Wohnung
unter uns wohnt, kam zu uns hoch und hat mir zum Spaß Esspapier
durch die Türritze geschoben. Mit Mitteilungen darauf, die ich
dann gegessen habe. Ich hatte mich in mein Zimmer eingeschlossen,
weil ich so sauer war. War doch nicht schlimm, so ein kleines
Feuer auf dem Balkon, oder?
Ich hasse unsere Nachbarn, die sind so was von ...!
Schreib doch mal, wie eure Hütte aussieht und ob Du schon mal drin
geschlafen hast. Echt cool, ich wäre so gerne dabei.
So, jetzt muss ich aufhören! Papa steht in der Tür und drängelt, dass ich
ihn wieder an seinen Computer lasse.
Na gut, ist ja schon spät und ich muss morgen auch wieder zur
Schule.
Bis denn,
Lieselotte
Glück gehabt, denn die Hütte findet sie cool.
5. April: Donnerstag
Hi Lieselotte,
bei uns in der Klasse haben auch viele den gleichen Namen.
Zwei Mädchen heißen Chantal und wir haben drei Florian, die wir unterscheiden,
indem wir sie Flori 1, Flori 2 und Flori 3 rufen. Verrückt, was?
Ich gehe in die siebte Klasse einer Realschule in Fischen. Da muss
ich immer mit dem Bus hin. Es sind zwar nur ein paar Kilometer von
meinem Dorf bis Fischen, aber da es hier eine Menge Berge gibt,
braucht man erst gar nicht darüber nachzudenken, ob man vielleicht
mit dem Rad zur Schule fahren will.
Wir wohnen nämlich in Bolsterlang. Das ist ein kleines Dorf im Allgäu,
wo Du im Winter ganz toll Skifahren kannst. Jeder kennt jeden
und viel passiert hier nicht!
In der Schule haben wir natürlich auch komische Lehrer. Der Seltsamste
von allen ist unser Mathelehrer, der schon zwei Lineale zerbrochen
hat, weil er die dauernd verbiegt. Deswegen nennen wir ihn auch
„Kaputtnik“.
Ich habe die Berge vor der Haustür und fühle mich manchmal wie
der Ziegen-Peter bei Heidi!
Und genau wie bei Heidi geht hier beim ersten Schneefall der Punk
ab. Aber das dürfte noch einige Monate dauern.
Mein Bruder war nicht mit uns im Urlaub. Er durfte mit einer Feriengruppe
nach Schweden fahren. Ich wollte auch, aber Mama und
Papa waren der Meinung, dass ich zu jung dafür sei.
Bin ich gar nicht! Schließlich bin ich fast 13!
Mama und Papa haben einen kleinen Bauernhof. Einen Bio-Bauernhof,
wo es nur gesundes Zeug gibt. Scheint gut zu laufen, denn die
Leute rennen (fahren) uns hier die Bude ein.
Als Du geschrieben hast, dass Deine Eltern Intellektuelle sind, habe
ich erst einmal einen Schreck gekriegt. Weil ich dachte, dass das
eine Krankheit ist.
Nein, war nur Spaß ....! Ich glaube auch, dass ich intellektuell bin.
Ich lese viel. Momentan die Comics von Star Wars.
Dass nicht viel los ist bei uns, habe ich ja schon erwähnt, aber manches
Mal passiert doch mal was.
Wir haben letztes Jahr in unserem Garten beim Umgraben eine Kiste
gefunden. Wir haben geglaubt, dass wir einen Schatz gefunden hätten,
aber es waren nur die Überreste eines Hundes drin. Vor vielen,
vielen Jahren hat da wohl jemand seinen Hund begraben.
Wir hatten das Pech, die Kiste auszubuddeln. Loisl, einer meiner
besten Freunde, hat sogar gekotzt, als er gesehen hat was in der
Kiste war.
Grillen auf dem Balkon ist doch okay - aber wenn Du echt ein Feuer
gemacht hast, dann würde ich das beim nächsten Mal woanders machen.
Unser Haus ist nämlich aus Holz, da würde alles direkt brennen
wie Zunder.
Vor ein paar Wochen ist bei den Nachbarn eine Scheune abgebrannt.
Das ging ratzfatz. Der Blitz ist eingeschlagen, war nix zu machen.
Zum Glück war da nur Stroh drin sonst nichts!
Unsere selbstgebaute Hütte ist ja auch aus Holz und Stroh. Sie ist
fast fertig und gerade mal so groß, dass Berni (mein anderer bester
Kumpel), Loisl und ich darin Platz finden.
Dicht ist sie noch nicht.
Bernis Papa hat uns eine Kunststoffplane gegeben. Die muss noch
drauf, dann sind wir fertig.
Berni hat uns in den letzten Tagen ein wenig hängen lassen. Er hat
Liebeskummer. Er will das nicht zugeben, aber Loisl und ich sind uns
da sicher. Berni ist verknallt in Rita. Die ist bei uns in der Klasse.
Er hat ihr einen Zettel geschrieben, auf den sie bis heute nicht reagiert
hat. Letztes Jahr fanden wir Rita ziemlich doof und nun hat er
sich in sie verliebt.
Muss man das verstehen?
Mal schauen, ob wir in der Hütte schlafen können? Ich werde es Dir
auf jeden Fall schreiben.
Ich muss jetzt auch Schluss machen, da es bei uns gewittert und ich
den Hund ins Haus holen soll. Der hat bei Gewitter immer Angst!
Bis bald,
Sammi
P.S.: Papa hat vorhin über unsere Nachbarin Resi gesprochen.
Er sagt, die hätte eine Kiste wie ein Brauereipferd.
Verstehst Du das?
10. April: Dienstag
Hallo Sammi,
hey cool! Fischen und Bolsterlang habe ich direkt mal gegoogelt
(heute durfte ich wieder kurz ins Internet).
Skifahren war ich bisher nur einmal, in Österreich, als ich acht war.
Meine Eltern haben mich in so einen Kinderski-Kurs geschickt. Aber
irgendwie bin ich dauernd hingefallen und die andern haben dann immer
so blöd gelacht, dass es mir mit denen keinen Spaß mehr gemacht
hat.
Der Skilehrer Martin hat mich dann am Hügel an der Seite alleine
üben lassen. Das war wirklich gemein! Ich sollte einen Skipflug machen,
aber die Ski waren zu lang für mich und ich bin dann so Über Kreuz
gefahren. Alles kein Problem, bis ich Martin in die Hacken gefahren
bin und er hingefallen ist. Das fand er dann gar nicht lustig.
Weil die anderen Kinder ihn dann ausgelacht haben.
Aber er ist trotzdem cool geblieben und hat gesagt, dass ich das mit
dem Ski-Fahren schon hinbekomme. Alle seine Ski-Schüler würden
heute wie Profis fahren. Und dann mussten wir mit unserer Gruppe
mit dem Tellerlift zu einem höheren Hügel rauf.
Hilfe ..., ich hatte echt Angst aus dem Lift zu fallen und im Schnee zu
verschwinden und dann jämmerlich zu erfrieren. Aber Martin blieb an
meiner Seite und hat aufgepasst wie ein Wachhund, dass ich ihm
nicht unterwegs abhanden komme.
Das fand ich dann wieder nett von ihm.
Und als ich dann die Abfahrt runtergesaust bin, weil ich so
froh war, endlich unten anzukommen, hat er mich Lotti Pirelli genannt.
Also vielleicht kann ich ja mal meine Eltern überreden, im Allgäu Ski
zu fahren. Dann ruf ich Dich an, und Du bringst mir noch mal das
Skifahren bei, ja?
Das wird bestimmt lustig.
Dafür zeige ich Dir, was ich besonders gut kann (nämlich mit den Ohren
wackeln). Echt cool, wie kleine Propeller, an beiden Seiten vom
Kopf. Mein Opa lacht immer und sagt, dass ich bald abhebe, wenn ich so
weitermache.
Ich musste übrigens auch ganz doll lachen, wegen Deinem Spruch,
das Intellektuell-Sein eine Krankheit ist.
Hmm ... das sollte ich mal meine Eltern fragen. Mama und Papa sind
nämlich Psychiater und haben unten im Erdgeschoss bei uns eine
gemeinsame Praxis.
Ich darf das eigentlich nicht, aber manchmal verstecke ich mich unten
hinter der Treppe und beobachte, wer da reinkommt.
Ganz niedergeschlagen und gebeugt sehen manche aus.
Und hinterher sind sie etwas gerader im Rücken, aber mit verheulten
Augen und schniefen jede Menge Papiertaschentücher voll.
Eigentlich tun sie mir ja leid. Aber manche sind auch lustig. Die machen
ganz merkwürdige Sachen, wie der eine im dunkelrot-grün gestreiften
Pullover, der die ganze Zeit die Treppen gezählt hat. Als er
bei dreizehn ankam, fing er an zu jammern: "Ohjemine, ohjemine."
Und dann hat er so merkwürdige Zeichen mit Kreide an die Wand gemalt.
Echt verrückt, findest Du nicht auch?
Also Kaputtnik wäre ja ein Fall für meine Eltern: so von wegen unterdrückte
Aggressionen oder so. Ist ein Spruch von meiner Mutter,
wenn ich mal an meinen Haaren kaue. Ich hasse es, wenn meine
Mutter das sagt. Alles muss sie immer irgendwie kommentieren.
Aber ansonsten ist sie total lieb und erzählt mir manchmal abends im
Bett total witzige Geschichten. Oder wir reimen hin und her, fast wie
ein Rap. Dann merke ich nicht, das sie eigentlich uralt ist, also
achtunddreißig.
Deine Geschichte mit dem toten Hund fand ich echt schrecklich.
Ich liebe Hunde, vor allem große. Und wer weiß, wer den Hund da
begraben hat. Das war bestimmt der Hundemörder aus Bolsterlang,
der schon ganz viele Tiere auf dem Gewissen hat. Er hat Euch vielleicht
beobachtet und jetzt ist er Euch AUF DER SPURRRR!!!
Also, ich würde da echt nicht im Wald übernachten. Vielleicht wartet
der HuMö nur auf den Tag, wo er Dich, Berni und Loisl im Wald alleine
vorfindet ... HUARRR! Huch, jetzt grusele ich mich, obwohl ich Dir
doch Angst einjagen wollte.
So, ich muss gleich ins Bett. Papa meckert schon und fragt mich, ob
ich ihn endlich mal an seinen PC lasse.
Ich kriege keinen eigenen, weil meine Eltern nicht wollen, dass ich
Sachen sehen könnte, die nicht altersgemäß sind. Also echt, ich bin
doch auch bald dreizehn und manchmal behandeln die mich immer
noch wie ein kleines Kind.
Und ... hier noch was für Dich:
RESI HAT NEN ARSCH WIE NE KISTE
STEHT MIT MARTIN AUF DER PISTE.
PUPST VON HINTEN WIE EIN PFERD.
MARTIN FÄLLT AUF GERD
GERD AUF FRED, FRED AUF MICH
UND ENDE DER GESCHICHT!!!
.. und weiter weiß ich nicht!
Gute Nacht und lass’ uns weiter schreiben. Ist viel schöner als in ein
Tagebuch zu schreiben, was ich aber auch ab und zu mache wenn
ich Lust dazu habe.
Gute Nacht,
Lieselotte
Wow, Lieselotte hat Humor! Gefällt mir.
12. April: Donnerstag
Hi Lotti Pirelli!
Haha, ich komme aus dem Lachen nicht mehr heraus. Das Gedicht
mit Resi und Martin war klasse.
Und schön, dass Du schon mal Ski gefahren bist! Hier im Allgäu können
alle ausgezeichnet Ski fahren; es heißt, wir wären mit Skiern auf die Welt gekommen.
Wenn Du wirklich mal in Fischen Urlaub machen solltest,
dann zeige ich Dir natürlich ein paar Tricks. Und Du musst mir dann
unbedingt das Ohrenwackeln zeigen, okay?
Ich überlege gerade, was ich gut kann? Ich kann das Alphabet rülpsen.
Ist das was Besonderes?
In der Schule verdrehen die Mädchen jedenfalls immer die Augen.
Mama kann das nicht ausstehen!
Sie sagt, wenn ich damit nicht aufhöre, muss ich zum Psychiater. Dann
komme ich halt zu Euch.
Wäre doch cool oder?
Psychiater gibt's hier glaube ich nicht. Wenn Papa mal Probleme hat,
dann geht er zum Xaver, um zu Reden, wie er sagt. Das hasst Mama
auch, weil Papa dann immer angetrunken nach Hause kommt und
laut zu singen anfängt.
Wir müssen lachen, obwohl wir von dem Gesangkein Auge zu kriegen.
Zum Glück geht er sehr selten zum Xaver.
Xaver schnitzt Jesusfiguren, die er in Fischen in einem Laden verkauft.
Und ich kenne keinen, der so viele Freundinnen hat wie Xaver.
Da ich noch keine hatte, muss ich ihn mal um Rat fragen. Aber wenn
ich dann auch angetrunken nach Hause kommen würde, lacht bestimmt keiner
mehr.
Komische Leute haben wir hier auch. Die muss man nicht zum
Psychiater schicken, denn die Macken, die die haben, sind echt ulkig.
Aber vor allem harmlos.
Unser Nachbar hat eine Ameisenfarm.
Bestimmt ein paar Millionen Ameisen. Manchmal sitzt er vor der riesigen
Glaswand und spricht mit seinen Tieren.
Oder er legt Essenskrümel aus und beobachtet, wie die Ameisen alles
nach draußen befördern. Im Sommer lösche ich im Hof wahrscheinlich
die Hälfte seiner Freunde aus, denn die nerven nur.
Herr Brecht, so heißt der Nachbar, lässt sie sogar ins Schlafzimmer.
Resi, die mit der dicken Kiste, strickt einen Schal nach dem anderen
und wartet auf den Traumprinzen, dem sie die Dinger umhängen
kann.
Wenn sie mich anspricht, dann schaue ich immer ganz schnell,
dass ich mich verdrücke. Mein Hals braucht keinen Schal!
Das sind nur zwei komische Typen, die ich Dir beschrieben habe.
Aber es gibt noch viele mehr. Papa sagt von denen nur, dass die
einen Sparren haben. Dann wissen wir, dass die einen an der Klatsche
haben.
Ich kann Dich beruhigen, denn nicht nur bei Euch wird zu Hause
rumgemeckert. Meine Eltern mosern momentan auch viel.
Wenn es mir dann zu viel wird, dann ziehe ich mich in mein Zimmer
zurück, setze mir Kopfhörer auf und höre Papas Schallplatten.
Der hat im Keller eine total große Sammlung.
Da suche ich mir dann welche aus und höre sie an.
Ganz anders als CDs. Da knistert und knarzt es.
Aber ganz tolle Platten sind dabei, die wahrscheinlich kein Schwein kennt.
Ich muss dir mal eine Liste mit den tollsten Songs machen. Die schicke ich Dir dann. Mal sehen, ob Du ein paar Lieder erkennst.
Musik machen wir zu Hause auch. Papa spielt Gitarre, Mama die
Geige, mein Bruder Klavier und ich darf dazu trommeln, also Schlagzeug
spielen.
Jeden Samstagabend spielen wir im Wohnzimmer.
Mein Bruder will zwar immer zu seinen Freunden nach Fischen, aber
erst wird musiziert, wie Mama sagt, dann darf er los.
Ich glaube aber, dass es nicht mehr lange dauert und dass wir bald
nur noch als Trio musizieren.
Mein Bruder will eigentlich nicht mehr mitmachen. Er findet,
dass Familienmusik uncool ist!
Tatarata!!
Unsere Hütte ist endlich fertig und Berni hat keinen Liebeskummer
mehr. Sieht jedenfalls so aus.
Morgen wollen wir in der Hütte übernachten. Papa geht mit,
weil er glaubt, dass wir alleine nur auf krumme Gedanken kommen.
Wäre echt cool, wenn es nur halb so gruselig wird, wie Du es beschrieben
hast. Eigentlich wollten wir unseren Hund, der Barthel
heißt, als Wachhund mitnehmen, aber da er hier bei uns zu Hause
schon versagt, weil er nicht wacht, sondern jeden freundlich begrüßt,
lassen wir ihn lieber daheim.
Das Wetter ist gut, nachts ist es momentan auch nicht so kalt, es könnte
klappen.
Fünf Dinge, die man auf jeden Fall in der Hütte dabei haben sollte:
1. Loisl
2. Berni
3. Sammi
4. Mindestens drei Tüten Kartoffelchips
5. Cola, damit man wach bleibt
6. Mindestens zwei Taschenlampen, weil eine bestimmt kaputt geht
7. Guuuute Laune
Na ja, bis fünf konnte ich noch nie so gut zählen, hahaha. Egal!
Oje, jetzt ist es wieder spät geworden! Barthel streicht wieder in der
Wohnung umher. Es wird gleich wieder gewittern.
Dann nehme ich ihn in die Arme und halte ihn fest.
Erst dann hört er auf zu jaulen.
Barthel ist auch schon über zehn Jahre alt, aber an Gewitter gewöhnt
er sich nicht.