Читать книгу 50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 - Эдгар Аллан По, Герман Гессе - Страница 53
Kapitel Neunzehn
ОглавлениеIn dem Traum dieser Nacht muß etwas von dem Brande Onderkuhles gewesen sein. Zwar ist es mir nicht klar, wie es möglich sein sollte, daß Onderkuhle zweimal gebrannt habe, und zwar das erstemal während meines kurzen, durch Windstöße gestörten Schlafes zwischen vier und acht Uhr morgens und dann in Wirklichkeit an dem Abend dieses Tages. Ich weiß nur, daß ich dadurch geweckt werde, daß zu ungewohnter Stunde die Zöglinge in den Schlafsaal zurückkehren, um sich dort die Galauniform anzuziehen. Der Herzog hat eben aus der nächst Onderkuhle gelegenen großen Bahnstation dem Obersten telegrafiert, daß er mit seinem Sekretär lieber mit dem Wagen abgeholt sein will, statt die Reise mit der Kleinbahn fortzusetzen. Ich höre dies aus den Gesprächen der Knaben und richte mich für meine Person danach. Zufällig blicke ich hinaus und sehe den Meister neben dem »unverwüstlichen Beamten« mitten in der sausenden Morgenglut stehen, sie sprechen aber nicht miteinander, sondern bloß ihre Hände bewegen sich unruhig, schließlich rafft sich der Meister auf und geht seiner Behausung zu; der Rendant folgt ihm wie hypnotisiert, so in Gedanken versunken, daß er fast von dem eben in schnellem Tempo losfahrenden Wagen, der mit unseren besten Pferden bespannt worden ist, überfahren wird. Der dritte in Träume Versunkene bin ich, der weiß, daß er etwas Bedeutsames geträumt hat, aber noch nicht richtig auf den Geschmack dieses Traumbildes gekommen ist.
In sehr kurzer Zeit erscheint der Wagen wieder. Im Fond sitzt ein einfach gekleideter Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er ist in einen sehr weiten, aber ausgezeichnet geschnittenen englischen Reiseanzug gekleidet. Er ist eher klein als groß und unmilitärisch in seiner Haltung. Nur beim Reden werden die schon etwas schlaffen Züge straffer. Das unbewußte, das angeborene Kommandieren (eine seltene Begabung) wird dann offenbar, wenn er etwas ablehnt: dann hält er den linken Vorderarm rechtwinklig abgebeugt und schiebt das von ihm nicht Gewollte in eine nur ihm sichtbare Versenkung, so daß nie mehr die Rede davon ist. Dagegen winkt er, wenn er etwas haben will, bloß mit dem Zeigefinger der rechten Hand das Gewünschte zu sich her, wobei er den gelblichen, mit kurzem Haar bedeckten, langen und sehr schmalen Schädel ein wenig hebt. Er gibt dem neben ihm sitzenden Sekretär allerhand Winke und Aufträge, die sich offenbar auf die Zeiteinteilung des ganzen Tages beziehen. Am Abend, gegen zehn, muß der Herzog wieder fort, es erwartet ihn ein Extrazug, da er am nächsten Morgen einer wichtigen Sitzung in Brüssel beiwohnen muß. Seinen etwas verdrossenen und mißtrauischen Charakter versucht der Herzog mit großer Willensanstrengung zu überwinden, ebenso auch die Anzeichen einer Schwerhörigkeit zu vertuschen, die er wohl den gewaltig das Trommelfell erschütternden Winchesterbüchsen verdankt, wie man sie bei Tropenjagden anwenden muß. Solche Jagden hat er zu wiederholten Malen im Kongo und im englischen Sudan mitgemacht. Er winkt den in seiner goldgestickten Uniform schwitzenden Direktor an seine rechte Seite, offenbar, weil er an dieser besser hört, dann verbittet er sich, während er mit mißvergnügter Miene die Lippen des Obersten betrachtet, alle Adelsprädikate und ruhmvollen Ansprachen und ist für Einfachheit. Sein Blick hellt sich auf, als er uns in unsern neuen Uniformen schön aufgestellt erblickt, aber unsere Personen sind es und nicht die Galauniformen oder die Paradeaufstellung, die ihn erfreuen, denn er versammelt uns kurzerhand um sich und wünscht, daß wir die gewöhnlichen Uniformen anlegen. Auch im übrigen soll sich dieser Tag in nichts von einem gewöhnlichen Schultage in Onderkuhle unterscheiden, wie er solche in seiner Jugend hier mitgemacht hat.
Wir legen nun unter großem Hallo die Extrauniformen ab. Es ist ein ganz unvorschriftsmäßiges Geschrei. Aber der Meister, der im Hintergrunde steht und alles mit seinen eisgrauen Augen umfaßt, lächelt dazu. Er lächelt selten, und das Lächeln an diesem Tage hat viel bei mir entschieden. Nach dem Ausbruch des Brandes kam es dazu, daß man den Meister, dessen »Unregelmäßigkeiten« hier jeder kannte, aber keiner anzugreifen wagte, verdächtigte, er hätte gemeinsam mit dem Rendanten, der in die Geschäfte (Diskont und Prolongation, Börsenengagements und Verluste auf Kosten der Anstalt) verwickelt war und der die Untersuchung durch den Sekretär des Herzogs fürchten mußte, den Brand von Onderkuhle gelegt. Obwohl viel dafür sprach, glaube ich es nicht. Ich glaube nicht an die Schuld des Meisters. Erstens deshalb nicht, weil tatsächlich das ganze Hab und Gut, das schwer und gewissermaßen ehrlich erworbene Vermögen des Meisters in dem Brande unterging, doch vor allem nicht wegen dieses wohltuenden, leichten, väterlichen Lächelns, mit dem er die kreischende, jauchzende, sich schon im Hofe und auf den Treppen entkleidende Jugend begleitete.
Aber wozu jetzt schon von dem Brande sprechen? Noch stehen die Mauern des hohen, roten, schloßähnlichen Baues, noch flattern die grauen Vorhänge aus Zwilchleinwand vor den Fenstern. Die Pferde und Kühe und das andere Vieh, soweit es sich nicht auf der Weide befindet, leben heil und wohlbehalten in diesem Augenblicke noch in den gewohnten Ställen, und von dem ganzen Brand ist noch nichts da außer einer Vorahnung im Herzen des achtzehnjährigen Boëtius von Orlamünde. Jetzt trete ich mit den andern Jungen in das bedrückend schwüle, von gleißendem Glanz erfüllte Schlafzimmer der »Fünften«, blicke in die schnell geöffneten, riesigen Schränke, wo die Uniformen und die andern Habseligkeiten der Zöglinge sich in abgeteilten Fächern numeriert befinden. Dann erst stutze ich, seit langem bin ich ja aus diesem Raum verbannt, ich begreife mein Mißverständnis und gehe zurück in mein Kabinett. Titurel, beim Umkleiden halb entblößt, wirft mir einen sonderbar kalten Blick zu. Der Prinz Piggy legt nur den Kopf zur Seite, so daß sich richtige Speckfalten an seinem gelblichen, stämmigen Halse bilden. In meinem Zimmer erblicke ich die Feuerkatze, die noch tief schläft und sich in meinem Bett eine kleine Höhle gegraben hat. Eine Minute später eile ich zum Schwimmunterricht in die Halle, wo ich den verreisten Rittmeister vertreten soll.
Der Herzog hat sich inzwischen von dem Sekretär getrennt, der sich mit dem Rendanten an die Bücher und Kassarevision machen soll. Der Herzog selbst will mit der jüngsten Klasse zusammen sein, die jetzt ihre ersten Schwimmlektionen erhält. Die meisten können allerdings schon beim Eintritt ins Institut schwimmen, nur wenige, die Zartesten, können es nicht. Da ist ein blonder, sehr zierlicher Knabe, zehn Jahre alt, so alt wie ich, als ich hierherkam. Er ist ein wenig wasserscheu. Man merkt es gleich, wenn er aus der Kabine herauskommt. Das grünweißgestreifte Trikot ist ihm zu groß. Der Junge zittert. Vor Kälte kann er nicht zittern an diesem sausenden, überheißen Junitage. Aber er nimmt sich zusammen, streckt seine magere Kehle vor, blickt mutig mich, das Wasser und den Herzog an. Die seidigen aschblonden Haare hat ihm seine zärtliche Mutter daheim tief in die mädchenhafte, niedrige Stirn wachsen lassen, an deren unterer Grenze die ebenfalls aschblonden Augenbrauen wie mit einem millimeterbreiten Stift gezogen sind. Er spricht mit einem hellen, silbernen Stimmchen, halblaut wehrt er sich, ohne seinen Stolz aufzugeben, ohne seine Schwäche einzugestehen, gegen die gutmütigen oder auch boshaften Scherze seiner Kameraden, die sich darüber lustig machen, daß er an die »Angelrute« kommen soll, woran sie aber auch fast alle einmal gewesen sind, denn wie sollte man das Schwimmen sonst lernen?
Es gibt zwar auch Menschen, die man einfach ins Wasser wirft oder die sich selbst ins Wasser werfen (wie ich) und sofort schwimmen, schlecht zwar und unter großer Kraftvergeudung – aber doch. Sie sind selten. Ich sorge selbst dafür, daß die Riemen der Angelrute richtig umgeschnallt werden. Die Angelrute ist der in allen Schwimmanstalten gebräuchliche Apparat, der aus einer Stange besteht, die der Schwimmeister führt, und dem dazugehörigen Riemenzeug, das um den Schüler gelegt wird. Ich warte ab, bis sich die Aufregung des Jungen, den man bei uns Alma Venus oder einfach Alma genannt hat, etwas gelegt hat, bis sich seine feine Haut kühl anfühlt und sein Pulsschlag ruhig geht. Gerade diese Vorsorge scheint aber Alma zu bedrücken, denn seine mädchenhafte Stirn wird immer röter, seine niedlichen Lippen zucken, immer krankhafter reckt er seinen schmächtigen Körper, und unter den beiden Riemen an der Brust rieseln geradezu Ströme von Schweiß herab. Also: bloß schnell ins Wasser – und alles ist gut.
Da tritt der Fürst, der meinen Vater kennt, zu mir. Er reicht mir die Hand, die ich ehrerbietig nehme, er lehnt sich neben mich über das Messinggeländer des Schwimmbassins und gibt mir Grüße an meinen Vater auf. Er merkt aber, daß meine Aufmerksamkeit in dieser Minute geteilt ist. Er winkt mir freundlich mit seiner gelben, starken, männlichen, mit keinem Ringe, sondern nur mit einer breiten, dunkelbraun gewordenen Narbe geschmückten Hand. Ich wende mich meinem Alma wieder zu. Die wenigen Augenblicke Wartens haben aber die moralische Widerstandskraft des Jungen stark angegriffen. Er verkrampft jetzt seine schönen Lippen. Die Neckereien seiner Kameraden, welche sich durch die Anwesenheit eines Mitgliedes des königlichen Hauses nicht im mindesten bedrückt fühlen, lassen ihn abwechselnd erblassen und erröten, seine ersten Tränen rinnen, glücklicherweise nur von mir bemerkt, in das von den Zöglingen aufgerührte, in kleinen Wellen bewegte Wasser des Schwimmbassins. Unter anderen Umständen hätte ich die Schwimmlektion verschoben, bis wir, Alma und ich, allein gewesen wären.
Jetzt aber ist der Herzog aufmerksam geworden. Er ist entfernt mit Alma verwandt. Er lehnt sich nun in seinem leichten englischen Reiseanzug (Pfeffer und Salz) an das Geländer und raunt dem Jungen an der Angelrute zu: »Nur Mut, Baby! Hopp!« Gerade das macht das arme Baby ganz kopfscheu. Es weint nun ganz offensichtlich, während es die vorgeschriebenen Bewegungen rein mechanisch so ausführt, wie ich sie ihm beim Vorunterricht auf der Matratze beigebracht habe. Und nach ein paar schlechten, kraftlosen Schwimmbewegungen geschieht das Unglaubliche: Alma verliert die Fassung, beginnt nach der Mutter zu schreien und sich mit beiden Händchen um das eiserne Rohr zu klammern, das innen in Wasserhöhe um das ganze Bassin herumläuft. Ich nehme davon natürlich keine Notiz – merke nur, wie ich rot werde. Ich hätte selbst in der größten Gefahr nie an meine Mutter gedacht. Ich hätte sie nie gerufen. Nur meinen Vater. Nur ein Vater hat die Kraft, mir in meiner Angst vor dem T. helfend zur Seite zu stehen – aber wie weit entfernt ist er jetzt? Seit fünf Wochen habe ich keine Nachricht von ihm. Aber ich beherrsche mich – ich mahne auch die laut aufschreienden und boshaft johlenden Kameraden des mitleidswürdigen Alma zur Ruhe. Ich kommandiere weiter. Ich gehe Schritt für Schritt mit meiner Stange vorwärts und schleppe den hilflos mit den feinen, spitz zulaufenden Füßchen zappelnden Alma mit. Ich bin natürlich stärker als er. Er muß folgen. Er muß das eiserne Rohr loslassen. Es kann ihm nichts geschehen. Zwar ist das Becken hier so tief, daß ein Stück Blei versinken oder ein mit Willen ertrinkender Mensch untergehen könnte, aber der Knabe hat ja mich, der ihn vor dem Tode schützt.
Der Herzog hat dieses Beispiel von Wasserscheu sehr ungnädig bemerkt. Vergebens wollen ihn der Direktor und einer der Präfekten von der Stätte des Versagens eines Schülers unserer Anstalt fortziehen. Der Herzog bleibt aber gerade deshalb hier wie eingewurzelt und würdigt diese jedem Schwimmlehrer bekannte Szene einer Aufmerksamkeit, die sie sicher nicht verdient. »Geben Sie einmal her!« sagt er zu mir und nimmt mir die Schwimmstange aus der Hand. Er bringt durch brüskes Aufrichten des Instrumentes den Knaben dazu, sich im Wasser zu eben, richtig wie ein geangelter Fisch. Dann schiebt er, der Herzog, die Stange weiter hinaus, so daß der Knabe das Geländer nicht mehr erwischen kann. Dann läßt der Herzog die Stange tief niedergleiten, so daß das verbindende Seil schlaff wird und der Oberkörper Almas ganz im Wasser untertaucht. »Los!« ruft der Herzog halblaut. »Vorwärts! Hopp und schäme dich!«
Doch der Knabe hört nichts mehr. Hilflos schlägt der Unselige mit Armen und Beinen und mit dem niedlichen Köpfchen um sich. Die Haare, goldblond, im Wasser schimmernd wie Fischschuppen, fallen ihm ins Gesicht, fast in die Augen. Er prustet und ruft: »Hilfe, Mutter! Ich ertrinke!« Lautes Gelächter der Zöglinge. Ich schäme mich für ihn. Der Herzog wird dunkelrot. Nun wirft er dem Knaben die Stange zu, als sei er des Ganzen überdrüssig. Aber nun schaukelt sie in ihrer ganzen Länge im Bassin. Der Junge hängt nicht mehr an ihr. Er sinkt nun allen Ernstes im Wasser nieder. Niemand scheint es zu bemerken. Die Kameraden lachen nur und bespritzen sich und ihn johlend mit dem lauwarmen Wasser. Der Herzog hat sich abgewendet und unterhält sich mit den Professoren, zu denen sich Piggy gesellt.
Alma hat sich im Wasser infolge seiner krampfhaften und zugleich gefesselten Bewegungen gewendet, er liegt auf der Seite, gurgelnd ruft er um Hilfe.
Sein Zustand ist nicht ohne Gefahr, da er sich mit dem linken Unterschenkel in die Seile verwickelt hat. Mir bleibt nichts übrig, als mich mit einem Hechtsprung ins Wasser zu werfen und die Stange zu erfassen. Bei dem klatschenden Geräusch (tadellos ist der improvisierte Sprung nicht geworden) hat sich der Herzog erstaunt umgewendet. Nun lacht er aus vollem Munde. Ich schleppe Alma, der blau geworden ist, ans Land. Er zittert und scheint ohnmächtig zu sein. Ich empfinde jetzt starkes Mitleid. Das darf nicht sein. Es widerspricht der spartanischen, unnatürlichen Lebensauffassung Onderkuhles. So wird der arme kleine Kerl, das moralische Baby, wie ein Aussätziger behandelt. Er bekommt Zimmerarrest, darf nicht bei dem gemeinsamen Mittagessen dabeisein. Das ist die Strafe für seine Feigheit, für seine Angst vor dem T. Als Straflokal bestimmt man den Fechtboden. Ich helfe dem fassungslosen Jungen beim Ankleiden wie ein Vater seinem Sohn. Ich führe ihn hinauf in den nach rostigen Rapieren und Karbolsäure riechenden Fechtsaal. Ich möchte, selbst von Feigheit angekränkelt, mit dem fürchterlichen Traum der Brandnacht im Herzen, dem armen kleinen Feigling etwas Gutes tun, ihm vielleicht die Möglichkeit geben, im benachbarten Schlafraum seine Haft zu verbringen und den schwarzen Tag zu verschlafen. Gegen diese Regung von feiger Milde und unmännlicher Weichheit wehre ich mich und führe Alma, der leise, aber unverkennbar widerstrebt, zu der Bank an der Wand des Fechtzimmers und schließe ihn in dem überhitzten, unter dem Dache liegenden Raum pedantisch von außen ein. Wir andern setzen uns im Schatten der blauen Schulfahnen unten zu Tisch in der großen Kadettenmesse und speisen mit ausgelassener Fröhlichkeit und lärmend wie Spatzen zu Mittag. Dazu tragen guter Wein und Liköre, ungewohnte Genüsse, noch das übrige bei.
Nach dem sehr üppigen Diner begeben wir uns alle in den Park. Das Rauchen, sonst nur als heimliches, aber unvermeidliches Laster geduldet, wird am heutigen Festtage vom Obersten, dem Direktor, persönlich zugelassen, nur bittet er, mit den Zündhölzern vorsichtig umzugehen, denn die Hitze der letzten Tage, verbunden mit dem auch heute wehenden, die ganze Landschaft mit einem zischenden Geräusche erfüllenden Hitzewind, hat alles, von den Schindeln der Dächer angefangen bis zu dem früh von den Bäumen fallenden Laube, völlig ausgedörrt. Fällt ein glimmendes Streichholz zu Boden, so flammt innerhalb von drei Sekunden der wie Papier raschelnde und ganz trockene Grasboden auf, bis man das Feuerchen unter den Schuhsohlen zusammentritt.
Wir haben uns, als wären wir alle eine Familie, nämlich die königliche, um den Herzog geschart, lauschen seinen Berichten, die er in einer ganz sachlichen Form zum besten gibt, so etwa, daß er von seinen Jagden auf wilde Büffel, weiße Nashorne mit kalendarischer Genauigkeit berichtet, dagegen andere Jagdzüge, zum Beispiel die in dem englischen Sudan, einfach dahin zusammenfaßt, man könne dort alles schießen, angefangen vom Menschen bis zum Paradiesvogel. Ist eine Schule wie die unserige die richtige, ist der Unterricht in den Reiter-, Schwimmer-, Fechterkünsten der wahre, ist die Pflege männlicher Eigenschaften, Mut, Haltung und Form, Hintansetzung des eigenen Lebens bis zur Todesverachtung das richtige Ziel des Daseins, so muß ein Dasein, wie es der Herzog führt, bestehend aus Jagden, Reisen und lebensgefährlichen geographischen Entdeckungen, der höchste Inbegriff des Lebens sein. So empfinde ich es.
In der Nähe des Herzogs riecht es, vielleicht nicht für jedermann erkennbar, nach Juchten oder Nilpferdpeitsche; ein Geruch, halb scharf, halb süß, den ich mit besonderer Wollust einatme. Mir ist der Anblick des Herzogs eine Stütze, eine wichtige und unentbehrliche gerade an diesem Tage, ich gestehe es.
Für mich hat er, der Herzog, viel übrig. Er zeichnet mich zwar nur durch einen Blick aus oder durch eine winzige Wendung seines Körpers, ein schwaches Heben der Stimme, wenn er zu mir spricht. Mein Vater und er waren Kameraden hier. Aber wie sehr hat sich ihr Dasein seither geändert! Aber davon kein Gedenken jetzt. Hat er, mein Vater, es aller Welt verborgen, das fürstliche Elend der Seinen, dann kann auch ich schweigen. Vor der Weit ist mein Vater immer noch der große Mann. Er fehlt bei keinem der exklusiven Empfänge, die er im schwarzen Frack mitmacht, als einzige Auszeichnung einen österreichischen Orden tragend, vielleicht den höchsten, einen Komturstern, den außer ihm nur gekrönte Fürstlichkeiten verliehen bekommen. Aber ist unser Geschlecht der Orlamünde nicht ebenso alt, ebenso gut wie das der Habsburger? Ganz schmucklos und ohne Ehrenzeichen ist der Anzug des Herzogs. Dieser Mann gehört einer neueren Zeit. Dieser Mann liebt, ein andersgearteter Schüler unserer Schule, keinen Prunk, seine Uniform ist der englische Reiseanzug, Pfeffer und Salz. Sein Orden ist die breite Narbe an der rechten Hand. Wie wir alle, lebt auch er nur unter Männern, Kameraden seiner Reisen, Trägern seiner Flinte, Führern seiner Last- und Tragtiere, deren er auf seinen Expeditionen bedarf. Bei Hofe wird man ihn nicht oft sehen. Sein Hof ist die Königliche Geographische Gesellschaft, wo er unter Professoren wie unter seinesgleichen sitzt, genau hinhört, da sein Gehör geschwächt ist, und wo er eine Rauchglasbrille nicht verschmäht, deren er, dessen Augen durch die Tropensonne geschwächt sind, sich auch jetzt, im blitzenden Licht der Nachmittagssonne, bedient.
Alles tut mir an diesem endlosen, feurig goldenen, durchsichtigen Sommertag wohl. Ich klammere mich an den Mut, die Überlegenheit, den Gleichmut des Herzogs. Die letzte Nacht liegt weit hinter mir. Mit ihren Träumen von Brand ist sie fast völlig versunken. Das »im ganzen Wohlwollende« der Welt, ihre verhältnismäßige Sicherheit macht mich jetzt ruhig, besonders in der Nähe des Herzogs, und ich wünsche, in seiner von juchtenähnlichem Geruch und Zigarrenrauch erfüllten Nähe auf einem Liegestuhl ruhend wie er, mit dem Blick auf den Park und die Gebäude des Stiftes, ich wünsche Proben herab, mich in ihnen ruhig zu bewähren und mich selbst endlich ganz wiederzugewinnen.