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Super ging leise durch die Haupttür in den Garten. Der Speisesaal lag an der Seite des Hauses, und Minter eilte mit unglaublicher Schnelligkeit zu den Büschen. Auf dem Rasen war niemand, kein Laut ertönte, nur das leise Rauschen der Blätter im Nachtwind war zu hören.

Er hielt sich in der Nähe der Sträucher und suchte den ganzen Platz ab.

Hinter den Blumenbeeten standen die Ahornbäume, die die südliche Grenze des Grundstücks bezeichneten. Rechter Hand war ein kleiner Tannenwald. Die einzige Möglichkeit war, daß sich der Eindringling dorthin zurückgezogen hatte.

Super ging von Baum zu Baum vorwärts. Unter seinen Füßen war eine dichte Nadeldecke, die seine Schritte unhörbar machte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte. Aber es war nicht das geringste Geräusch vernehmbar.

Als er halbwegs durch das Gehölz gegangen war, hörte er gerade vor sich in kaum fünfzig Metern Entfernung Gesang ...

»Der maurische König reitet hin und wieder

durch Granadas königliche Stadt,

Ay de mi, Alhama!«

Einen Augenblick fühlte sich Super von dem melancholischen spanischen Lied ergriffen. Es war etwas Trauriges, etwas so verzweifelt Hoffnungsloses in den Worten des jahrhundertealten Klagegesanges, daß er stehenblieb.

Plötzlich eilte er dann nach der Richtung, aus der die Stimme kam. In dem Gehölz war es dunkel, und die Bäume standen so nahe beieinander, daß es fast unmöglich schien, weiter als ein paar Meter zu sehen. Er kam wieder ins Freie, ohne jemand erblickt zu haben.

Das Gehölz trennte den Park von Barley Stack von einer kleinen Farm. Nichts bewegte sich in den Wiesen, und Super kehrte um.

»Komm heraus, du Strolch!« rief er; aber es ertönte nur das Echo seiner Stimme.

Er hörte ein Rascheln, als ob jemand durch das Unterholz ginge. Er vermutete, daß es Jim sei, bevor er die weiße Hemdbrust aus dem Dunkel aufleuchten sah.

»Wer ist es?« fragte Ferraby.

»Irgendein Landstreicher«, erwiderte Super. »Es ist recht unvorsichtig von Ihnen, ohne eine Schusswaffe hier herauszukommen.«

»Ich habe niemand gesehen.«

»Man kann auch niemand sehen«, erwiderte Super höflich. »Wir wollen zurückgehen. Es wäre am besten, wenn ich mein Motorrad nehmen und die Straßen abpatrouillieren würde.«

Er ging wieder einige Schritte in die Felder hinein, aber da er nichts hörte und sah, kehrte er um. Auf dem Rasen fanden sie die erschrockene Gesellschaft versammelt.

»Haben Sie jemand gesehen?« fragte Mr. Cardew ängstlich. »Es ist ganz außergewöhnlich ... Sie haben die Damen erschreckt ... Ich muß gestehen, daß ich niemand gesehen habe.«

»Vielleicht hat sich Minter alles nur eingebildet«, sagte Elson. »Man kann wohl einen Mann sehen, aber es ist doch ganz unmöglich, bei der schlechten Beleuchtung eine Schusswaffe zu erkennen.«

»Ich habe sie aber gesehen«, sagte Super und schaute starr nach dem Walde hin. »Ich sah gerade, wie der Lauf aufblitzte. Es muß eine Pistole gewesen sein. Hat jemand von Ihnen eine Taschenlampe?«

Mr. Cardew ging ins Haus und kam mit einer Lampe zurück.

»Hier stand er«, sagte Super und leuchtete das Gras ab. »Man kann keine Spuren entdecken, der Boden ist zu hart. Nichts ...« Plötzlich bückte er sich, nahm einen langen, dunklen Gegenstand auf und pfiff vor sich hin.

»Was haben Sie?« fragte Cardew.

»Einen Patronenrahmen von einer Zweiundvierziger-Repetierpistole, ganz voll Patronen«, sagte Super. »Vom Marinedepartment der Vereinigten Staaten – ist ihm aus der Schusswaffe gefallen.«

Mr. Cardew erschrak. Jim glaubte wahrzunehmen, daß sein Gesicht blasser geworden war. Möglicherweise, dachte er, ist es das erste Mal, daß Mr. Cardew den nackten Tatsachen eines beabsichtigten Verbrechens Auge in Auge gegenübersteht. Stephen Elson schaute mit offenem Mund auf den Patronenrahmen.

»Und er hat die ganze Zeit mit einer Pistole dort gesessen?« Er zitterte. »Haben Sie ihn denn genau gesehen?«

Super wandte sich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Machen Sie sich keine Gedanken darüber«, sagte er freundlich, fast teilnehmend. »Wenn ich ihn gesehen hätte, hätte ich ihn auch gefangen. Ich möchte einmal Ihr Telefon benützen, Mr. Cardew.«

Sein Gastgeber führte ihn zum Arbeitszimmer.

»Sind Sie dort, Lattimer? Lassen Sie alle Reservemannschaften ausrücken, halten Sie jeden an, der sich nicht ausweisen kann, besonders Landstreicher. Wenn Sie meinen Befehl ausgeführt haben, kommen Sie nach Barley Stack, und bringen Sie eine Schusswaffe und Handlampen mit!«

»Was ist passiert, Super?«

»Ich muß einen Kragenknopf verloren haben«, sagte er ruhig und hängte den Hörer ein.

Er schaute in das ängstliche Gesicht Cardews, und seine Blicke wanderten von dem Anwalt zu den vollen Bücherschränken.

»Da muß eine Menge drinstehen, das einem helfen kann, einen verrückten Landstreicher festzunehmen«, sagte er. »Und ich muß mich auf meine gewöhnlichen Hilfsmittel verlassen, und es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß wir ihn nie kriegen.«

Er zwinkerte wie gewöhnlich mit den Augen. Cardew sah die Flecken auf seinem Hemd und nahm den Geruch wahr, den die Mottenkugeln dem Frack gegeben hatten. Dadurch erhielt er sein Selbstvertrauen und seine Haltung wieder.

»Das ist einer von den Fällen, in denen die physischen Eigenschaften der Polizei bewundernswert sind, aber alles in allem ist nichts besonders Schwieriges darin, einen bewaffneten Landstreicher zu entdecken.«

»Nichts Besonderes«, sagte Super und schüttelte traurig den Kopf. Er überschaute die vollen Bücherregale wieder und seufzte. »Der Kerl war hinter Elson her«, sagte er dann.

Cardew schaute erstaunt auf.

»Elson erwartete ihn auch«, sagte Super mit einem abwesenden Blick. »Warum hätte er sonst eine Waffe bei sich?«

»Was? Elson hat eine Pistole bei sich? Woher wissen Sie das?«

»Ich fühlte es an seiner hinteren Tasche, als ich nahe an ihn herantrat. Ist das nicht eine feine Beobachtung? Ich klopfte ihm auf die Schulter und lehnte mich mit meiner Hüfte an seine Tasche. Von der ganzen Polizeitruppe habe ich die Hüfte mit dem feinsten Gefühl. Was bedeutet das eigentlich in der Anthropologie?«

Aber Mr. Cardew ging nicht darauf ein.

»Warum folgten Sie dem Oberinspektor, Mr. Ferraby? War das nicht leichtsinnig von Ihnen?«

Jim und die junge Dame waren allein auf dem Rasenplatz. Hanna war mit dem Amerikaner verschwunden. Obgleich Jim sich Vorwürfe machte, in der hereinbrechenden Dunkelheit mit Elfa draußen zu bleiben, wurden seine Bedenken doch von dem Reiz der Nacht und der geheimnisvollen Einsamkeit überstimmt.

»Es war für mich kein größeres Wagnis als für Super«, sagte er. »Außerdem gebe ich gern zu, daß ich dachte, er habe sich durch einen Schatten täuschen lassen. Ich hatte vergessen, daß der alte Teufel Augen hat, mit denen er durch eine Wand sehen kann. – Mögen Sie diesen Elson eigentlich leiden?« fragte er plötzlich.

»Elson? Nein – weshalb fragen Sie?«

»Nun, er ist Amerikaner, und ich dachte, das sei natürlich, wenn sich Landsleute treffen«, sagte er etwas linkisch.

»Wenn ich eine Engländerin wäre und einen englischen Taugenichts in New York träfe – würde ich ihn dann gern haben, weil er ein Engländer ist?« fragte sie lächelnd.

»Einen Taugenichts? Ich wußte nicht, daß er das ist«, begann er.

»Sie wissen nicht, wie unhöflich Sie jetzt zu mir sind«, sagte sie. »Ja, Mr. Elson ist ein Taugenichts, ich kann kein anderes Wort für ihn finden, obwohl es nicht hübsch klingt.«

»Ich wußte nicht, daß Sie Amerikanerin sind«, murmelte er, als sie langsam auf dem kurzgeschnittenen Rasen auf und ab gingen.

»Ich habe mir nie träumen lassen, daß Sie überhaupt bemerkten, daß ich jemand sei«, entgegnete sie kurz. »Höchstens eine von den Stenotypistinnen in King's Bench Walk. Wollen Sie einen Flirt mit mir beginnen?«

Jim errötete bei der überraschenden Offenherzigkeit Elfas.

»Nein, das will ich nicht«, sagte er und atmete schnell.

»Dann will ich Ihren Arm nehmen. Ich fürchtete mich ein wenig«, gestand sie ihm dann. »Es war wirklich unheimlich. Das Licht ging aus, und man hatte das unangenehme Gefühl, daß man von draußen beobachtet wurde.«

Ihr Arm lag auf dem seinen. Jim Ferraby hielt etwas verlegen den Ellenbogen in steifer Haltung, und sie lächelte, als sie merkte, wie er den Anstand wahren wollte.

»Sie können ruhig Ihren Arm sinken lassen – so ist es gut, ich werde mich nicht anklammern. Ich finde nur eine gewisse Stütze und habe Vertrauen, wenn ich einen männlichen Arm fühle. Es kann der Arm irgendeines Mannes sein, mit Ausnahme von Mr. Elson.«

»Ich verstehe.« Er wollte eisig zu ihr sein, aber ihr weiches Lachen ließ seinen Trotz verschwinden.

»Ich liebe das Landleben nicht«, plauderte sie. »Mein armer Vater hatte es so gern. Er war gewöhnt, im Freien zu schlafen, selbst bei stürmischem Wetter.«

»Ihr Vater ist während des Krieges gestorben?«

»Ja.« Ihre Stimme war kaum hörbar. »Er starb im Krieg.«

Wieder gingen sie schweigend auf und ab, und ihr Arm ruhte mit größerem Zutrauen in dem seinen. Ihre Fingerspitzen berührten wie zufällig den Rücken seiner Hand.

»Wie lange werden Sie hierbleiben?« fragte er.

»Bis morgen nachmittag – ich muß einen Zettelkatalog anfertigen. Aber Mr. Cardew wird mich nicht hierbehalten, wenn seine Haushälterin fortgegangen ist. Sie macht einen Wochenendausflug.«

»Was denken Sie eigentlich von ihr?« fragte er.

»Sie mag ganz nett sein, wenn man sie näher kennenlernt«, erwiderte sie vorsichtig. Supers lange Gestalt zeigte sich in der Türöffnung.

»Kommen Sie herein, bevor die Gespenster Sie fassen, Mr. Ferraby. Es hat sich etwas Ungewöhnliches ereignet – mein Sergeant war tatsächlich auf dem Posten. Im allgemeinen denkt er, daß alle Zeit, die er nicht schläft, für ihn verloren ist. Mr. Cardew fragte nach Ihnen, Miss Leigh.«

Sie ging ins Haus. Ferraby wollte ihr folgen, aber Super hielt ihn zurück.

»Gehen Sie ein wenig mit mir auf und ab, Mr. Ferraby, und geben Sie mir Nachhilfestunden in Psychologie und Anthropologie.«

Es war merkwürdig, wie gut Super alle diese Dinge kannte, wenn er nicht in der Gesellschaft Cardews oder seines Sergeanten war.

»Elson muß heute Abend wieder nach Hause gehen, und ich vermute, daß dieser Mensch mit der Pistole ihm auflauern will. Die ganze Sache ist sehr kompliziert und geheimnisvoll. Ein Amerikaner versucht einen anderen Amerikaner niederzuknallen.«

»Denken Sie, daß der Fremde auf dem Rasen ein Amerikaner war?«

»Er hatte eine amerikanische Pistole – deshalb ist er ein Amerikaner. Ich fange jetzt selbst an, Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich vermute auch, daß er ein Sänger ist.«

»Warum?« fragte Jim verwundert.

»Weil ich ihn singen hörte!« antwortete Super. »Haben Sie jemals Karten gespielt, Mr. Ferraby? Wenn Sie es tun, will ich Ihnen einen guten Rat geben. Ein kleiner Blick in die Karten des Nachbarn ist wertvoller als alle Berechnungen. Schlussfolgerungen zu ziehen ist eine feine Sache, aber gut beobachten und hören ist besser. – Wissen Sie, ob etwas gegen Elson vorliegt?«

»Sie meinen bei der Staatsanwaltschaft? Nein, ich entsinne mich nicht, daß ich etwas gehört oder gelesen hätte. Und ich bearbeite ja gerade die Abteilung für Ausländer.«

»Nennen Sie einen Amerikaner niemals einen Ausländer, sonst wird er sehr aufgebracht. Ebenso wie sich die Engländer aufregen, wenn sie die Hafentaxe von New York bezahlen müssen. Als einen Fremden darf man nur einen Peruaner, einen Slowaken, einen Mongolen oder einen Italiener bezeichnen. Ich war während des Krieges in Washington, bis unser Polizeipräsidium entdeckte, daß ich tüchtig war. Dann haben sie mich nach Hause abberufen – sie können nämlich tüchtige Leute nicht leiden.«

Jim überlegte sich, ob er Super ins Vertrauen ziehen sollte. Er wußte allerdings nicht, ob das seinem Gastgeber recht war. Aber er entschied sich dafür.

»Super, glauben Sie, daß der Mann in dem Garten es auf Elson abgesehen hatte? Sollte das nicht ein Irrtum sein?«

»Das scheint mir unwahrscheinlich«, entgegnete Super, »aber ich lasse mich gern überzeugen.«

Ferraby erzählte ihm kurz von dem Brief, den Gordon Cardew ihm gestern gezeigt hatte. Der Oberinspektor hörte ihm ohne Unterbrechung aufmerksam zu.

»›Großfuß‹? Das klingt so wie die verrückten Wildwestnamen der Indianer. Aber was hat denn Hanna gemacht? Das ist allerdings eine sehr wichtige Neuigkeit, Mr. Ferraby, die die Lage ein wenig ändert.«

Cardew rief sie vom Haus aus.

»Kommen Sie doch herein, daß wir zu Ende essen können!«

»Warten Sie noch einen Augenblick«, sagte Super zu Jim und hielt ihn mit seiner sehnigen Hand am Ärmel fest. »Gedulden Sie sich bitte noch so lange, bis ich die logischen und psychologischen Zusammenhänge erkannt habe. Also sie geht zum Wochenende fort, sagen Sie ... Ich kenne das Haus an der Küste von Pawsey. Cardew hat mich einmal dorthin mitgenommen, bevor wir diesen Streit über Kriminalistik hatten. Ein vollkommen einsamer Platz, wo sich die Hasen und Füchse gute Nacht sagen, meilenweit von jeder Ortschaft entfernt, ganz nahe an der Küste. Große Felsenpartien mit Hunderten von Schmugglerhöhlen ... Das Haus steht an der alten Poststraße, die unterhalb der Klippe entlangführt. Aber die Straße wird nicht benützt, seitdem der neue Weg oben über die abfallenden Küstenfelsen angelegt worden ist. Es ist ziemlich gefährlich dort. Ein Teil der Felswand fiel damals ein, als ich dorthin ging, und der alte Cardew hatte einen Prozeß mit dem Gemeinderat von Pawsey, weil die Leute die Schuttmassen nicht von der Straße entfernten. Er ist bewandert in den einschlägigen Bestimmungen.«

»Kommen Sie doch endlich herein.«

Cardew ging zu ihnen hinaus, und sie wandten sich dem Haus zu.

»Lassen Sie sich nicht merken, daß Sie etwas wissen«, murmelte Jim, und Super gab mit einem Kopfnicken seine Zustimmung zu erkennen.

Mr. Cardew hatte sein Gleichgewicht vollständig wiedererlangt und war auffallend lustig, als sie ihre Plätze bei Tisch wieder einnahmen. Er hatte schon eine Erklärung herausgefunden.

»Ich habe in meinem Carillon nachgesehen, und merkwürdigerweise habe ich dort einen Parallelfall entdeckt. Es findet sich ein Kapitel bei ihm, in dem er sagt, daß eine gewisse Art von Verbrechern durch eine finstere Macht unwiderstehlich gezwungen wird, aus dem Dunkel oder dem Verborgenen zu schießen...«

Super ließ sich gerade eine geröstete Wachtel auf Toast gut schmecken und wunderte sich, warum dieser kluge Anwalt nicht den mörderischen Anschlag mit dem Drohbrief an Hanna Shaw in Zusammenhang brachte.

Es war schon halb zwei Uhr nachts, als Jim an die Tür von Mr. Cardews Arbeitszimmer klopfte, um ihm gute Nacht zu wünschen. Bei dem Licht einer Tischlampe las der Anwalt in einem großen umfangreichen Band.

»Kommen Sie bitte herein, Ferraby. Ist der Oberinspektor schon fort?«

»Er hat sich eben verabschiedet.«

Cardew schloß das Buch mit einem Seufzer.

»Ein sehr praktischer Mann, aber ich bezweifle doch, daß er seine Arbeit wirklich ernst nimmt. Die Nachforschungen der Polizeibeamten arten mehr und mehr in mechanische Routine aus. Sie stellen Wachen auf den Straßen aus, benachrichtigen die Posten auf dem Land, und am Ende werden ein paar vollständig unschuldige Bürger verhaftet. Sie tun nichts, sie leisten keine wertvolle Arbeit. Sie stellen alles so dumm an, daß man sie entschieden tadeln muß. Ihre ganze Sorge um die Sicherheit ist doch nur eine große Spielerei. Je mehr ich die alten Methoden studiere, die die Polizei anwendet, desto mehr tut es mir leid, daß das Schicksal mich nicht einen aufregenderen Weg gehen ließ als den Pfad, der sich durch die Prozesse des Kanzleigerichts schlängelt.– Sagen Sie mir offen, was denken Sie von Hanna? Ist Ihnen nichts Verdächtiges in ihrer Haltung aufgefallen?«

»Sie scheint sich die Sache doch weniger zu Herzen zu nehmen, als ich für möglich hielt«, sagte Jim ruhig. Bei diesen Worten machte Mr. Cardew ein betroffenes Gesicht.

»Das ist doch seltsam ... Ich habe niemals daran gedacht, den Brief damit in Verbindung zu bringen – ich muß geschlafen haben!«

Er war blaß geworden.

»Ich habe mich sehr gewundert«, sagte Ferraby.

Auch Super war die Sache merkwürdig vorgekommen, und er hatte seine Verwunderung Ferraby gegenüber ausgesprochen, bevor er gegangen war. Es bedurfte aller Überredungskünste Jims, den Oberinspektor davon abzuhalten, Cardew darüber zu befragen. Jim sagte nichts, obgleich er wußte, daß Super unweigerlich früher oder später diese Angelegenheit mit dem Besitzer von Barley Stack besprechen würde.

»Ich habe nicht einmal im Traum daran gedacht, den Mann im Garten mit Hanna Shaw in Verbindung zu bringen«, sagte der Anwalt nachdenklich. »Es ist doch sehr erstaunlich. Ich wünschte nur, ich hätte es Minter erzählt.«

»Rufen Sie ihn doch an und erzählen Sie es ihm«, riet Jim, der gerne sein Gewissen erleichtern wollte.

Mr. Cardew zögerte, nahm den Hörer vom Telefon und legte ihn dann wieder auf.

»Ich muß mir die Sache erst noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Wenn ich es ihm jetzt mitteilte, würde er zurückkommen und eine fürchterliche Szene mit Hanna aufführen. Gerade herausgesagt – ich habe von Hanna genug ... Es ist einfach schrecklich. Ich komme mir ganz verächtlich vor. Dabei bin ich ein Anwalt, von dem man doch annimmt, daß er keine Gefühle hat. Nein, lassen wir es bis morgen oder später. Ich will den Oberinspektor bitten, zum Abendessen zu kommen, dann wird Hanna fort sein.«

Während Jim sich auskleidete, überlegte er, daß es besser sei, die Sache aufzuschieben, bis Hanna auf ihre seltsame Wochenendfahrt gegangen war. Sicher hatte das allerhand Vorteile. Es tat ihm schon leid, daß er morgen in aller Frühe aufbrechen mußte und bei dieser Aussprache nicht zugegen sein konnte.

Langsam begann er zur Ruhe zu gehen. Eine entfernte Kirchenuhr schlug zwei, als er endlich das Licht ausmachte. Entweder waren die Aufregungen an diesem Abend oder vielleicht auch die paar Minuten Ruhe, die er auf seinem Weg von der Stadt hierher gehabt hatte, daran schuld, daß er nicht schlafen konnte. Er hatte sich eigentlich noch nie so wach in seinem Leben gefühlt. Eine halbe Stunde lang lag er, und seine Gedanken wanderten durch das ganze Haus, von Elfa Leigh zu Cardew, von Cardew zu Hanna und dann wieder zurück zu Elfa. Schließlich erhob er sich mit einem Seufzer und ging zu dem kleinen Tisch, auf dem das Rauchzeug stand. Er steckte seine Pfeife an und trat ans Fenster.

Der Mond war in seiner letzten Phase. Nur noch, eine dünne bleiche Sichel leuchtete am klaren Himmel. Von seinem Sitz am Fenster konnte Jim ein hellerleuchtetes Fenster in dem Flügel sehen, der im rechten Winkel zu seinem eigenen Zimmer lag. Ob es das Zimmer Elfas war? Oder Cardews? Oder Hannas? Jedenfalls war der Bewohner des Raumes sehr geschäftig. Er sah undeutlich eine Gestalt hin und her gehen, der Schatten hob sich von den Gardinen ab. Als sich seine Augen an das Licht und die Vorhänge gewöhnt hatten, erkannte er Hanna. Sie war vollständig angekleidet und eifrig damit beschäftigt, einen Koffer zu packen, den sie auf ihr Bett gelegt hatte. Die leichte Nachtbrise wehte den Vorhang sekundenlang beiseite, so daß er in den Raum sehen konnte. Neben der Bettstelle standen noch zwei offene Koffer. Sie hatte ihre ganze Garderobe aus dem Schrank genommen.

Jim Ferraby zog die Stirne kraus. Das bedeutete etwas anderes als einen Wochenendausflug. Sie packte wie jemand, der sich für eine lange Reise vorbereitet. Eine ganze Stunde lang sah er ihr zu. Dann war sie fertig, und ihr Licht ging aus. Der Morgen dämmerte schon grau herauf. Jim fühlte sich plötzlich müde und hätte gerne geschlafen.

Als er sich eben ins Bett gelegt hatte, hörte er Töne, die ihn in Erstaunen setzten, und er mußte sich erst überzeugen, ob er nicht träume. Draußen sang jemand. Die Stimme kam aus dem kleinen Gehölz.

»Der maurische König reitet hin und wieder

durch Granadas königliche Stadt,

Ay de mi, Alhama!«

Der Sänger! Der Mann, der gestern Abend auf dem Rasen war! Im nächsten Augenblick schlüpfte er in seinen Mantel und stieg die dunklen Stufen zur Halle hinunter. Es dauerte einige Zeit, bevor er die Tür öffnen konnte. Aber schließlich gelang es ihm. Draußen war die ganze Luft von würzigen Düften erfüllt. Es war frisch und kalt, und das Gras unter seinen Füßen war feucht vom Tau.

Er stand bewegungslos und lauschte. Dann sah er eine stämmige Gestalt, die sich im Schatten des Gehölzes bewegte, und ging auf sie zu. Als er näher kam, hörte ihn der andere und wandte sich um.

»Ruhig...ruhig...stören Sie meinen Singvogel nicht!« hörte Jim eine leise Stimme. »Ich brauche ihn, um anthropologische Studien zu machen.«

Es war Super.

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