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Auch auf der Rückfahrt nach London verließ Dick die Erinnerung an die hübsche Krankenpflegerin nicht. Ihr Bild verfolgte ihn und hatte in seinem Herzen anscheinend schon einen festen Platz erobert. Tommy war in Brighton zurückgeblieben, da er noch einige alte Tanten besuchen mußte. Er hatte den Freund gebeten, seine Wohnung in London zu beziehen.

»Ich habe auf dem Lowndes Square das ganze Haus leerstehen, Dick«, hatte er gesagt. »Du würdest mir einen Gefallen tun, wenn du es, solange du deine eigene Wohnung untervermietet hast, beziehen wolltest. Ich werde meinem Diener Bescheid sagen, daß du kommst. Auch meine Garage mit allen Wagen steht dir zur Verfügung.«

Dick hätte zwar ein gutes Hotel vorgezogen, wollte Tommy aber nicht kränken und hatte den Vorschlag angenommen. Der Diener des Lords erwartete ihn bei seiner Ankunft auf dem Bahnhof.

»Leider hat Seine Lordschaft zu spät angerufen«, teilte er dem Gast seines Herrn mit, »so daß sich beinahe die ganze Dienerschaft schon auf Urlaub begeben hatte. Entschuldigen Sie, bitte, dieses Durcheinander, Sir, aber Lord Weald hatte uns vor seiner Abreise alle beurlaubt.«

Dick beeilte sich, den Verstörten zu beruhigen.

»Ich brauche niemand, Minns«, sagte er. »Ich kann mich ganz gut selbst versorgen. Meine Mahlzeiten werde ich in einem Restaurant einnehmen.«

Ein kalter Imbiss stand jedoch bereit. Das Dick angewiesene Zimmer lag im dritten Stock, in dessen Höhe sich an der ganzen Hausfront ein breiter Balkon entlangzog, zu dem man vom Zimmer aus durch drei Fenstertüren Zutritt hatte. Zwei dieser Türen waren durch Rolladen verschlossen, während die dritte offenstand.

»Dieser Laden ist ein wenig schadhaft, Sir«, wies der Diener auf das offenstehende Fenster hin. »Der Gurt ist gerissen, und ich mußte den Laden durch einen kleinen Keil vor dem Herunterfallen schützen. Diesen Schlüssel hier, Mr. Staines«, Minns wies auf einen kleinen Schlüssel, der auf dem Tisch lag, »lasse ich Ihnen hier. Er gehört zur Haustür; für den Fall, daß Sie spazierengehen wollen.«

Der Mann verabschiedete sich, und Dick befand sich allein in dem großen Haus. Er kleidete sich aus und legte einen bequemen Schlafanzug an. Halb unbewußt schob er den ihm zurückgelassenen Hausschlüssel in die Jackentasche und trat auf den Balkon hinaus. Lange blickte er auf die Straße hinunter, bis er endlich durch leise fallende Tropfen aus seinem Nachsinnen herausgerissen wurde. Erstaunt blickte er zum Himmel empor, der sich mit tiefhängenden Wolken dicht überzogen hatte. Im selben Augenblick erscholl auch schon ein heftiger Donnerschlag, und das freundlich scheinende Licht aus seinem Schlafzimmer war wie ausgewischt. Durch die Erschütterung hatte sich der Keil, der nur behelfsmäßig den Rolladen offenhielt, aus der Laufrinne gelöst, und der Laden war zugefallen. Damit war dem Ausgeschlossenen der einzige Rückweg in das Zimmer versperrt. Alle Bemühungen Dicks, den Laden wieder zu öffnen, blieben vergeblich. Der Regen war inzwischen immer heftiger geworden, und Dick war nach wenigen Minuten bis auf die Haut durchnäßt. Tief unter ihm lag öde und leer der Platz; nirgends eine Menschenseele, die er hätte zur Hilfe herbeirufen können! Nur das einsame Schlusslicht eines Autos leuchtete von unten herauf. Da Staines keine Lust hatte, die ganze Nacht im Regen zu verbringen, blickte er sich nach einem Ausweg um. Am Nebenhaus, das, wie er wußte, Mr. Derrick gehörte, zog sich ein gleicher Balkon hin wie der, auf dem er sich befand. Etwa zwei Meter unüberbrückter Zwischenraum trennte die beiden Balustraden voneinander; keine zu große Entfernung, doch unüberwindlich genug, da darunter das harte Asphaltpflaster des Lowndes Square lag. Aber was half es? Er mußte versuchen, aus diesem Dilemma herauszukommen. Obwohl Staines, sportgestählt, wie er war, Schwindelanfälle nur dem Namen nach kannte, wollte ihm doch das Herz stocken, als er am Haussims entlang die kurze, aber gefährliche Kletterpartie zum Balkon des Derrickschen Hauses begann. Als er endlich schweratmend auf dem Nebenbalkon stand, schien es ihm, als hätte er eine meilenweite Kletterpartie hinter sich.

Auch von diesem Balkon aus führten verschiedene Fenstertüren in das Hausinnere, und zu Dicks Freude stand eine offen. Er trat in den dahinterliegenden Raum, der wohl Bürozwecken diente, denn auf einem Schreibpult stand eine Schreibmaschine. Ein an der Wand hängender Abreißkalender wies verschiedene Notizen auf, die von der Sekretärin Derricks stammen mochten. Auch die Tür nach dem Treppenhaus war unverschlossen. Es lag jedoch in tiefstem Dunkel, und erst nach langem Suchen entdeckte der Eindringling den Lichtschalter. Kurz darauf verbreitete die Deckenbeleuchtung genügend Helligkeit, um Dick seinen Weg nach unten finden zu lassen. Er hatte die Absicht, durch die vielleicht nur verriegelte Haustür des Derrickschen Hauses auf die Straße und von da durch die Tür zu Wealds Haus, dessen Schlüssel er rein zufällig zu sich gesteckt hatte, wieder in sein eigenes Zimmer zu gelangen. Zu seinem Schrecken war jedoch die Haustür nicht nur verriegelt, sondern auch verschlossen, so daß er sich jetzt in der unangenehmen Lage befand, Gefangener in einem fremden Haus zu sein. Nach einem andern Ausweg suchend, begab er sich ins Kellergeschoss, in der leisen Hoffnung, wenigstens den Lieferanten- und Dienereingang offen zu finden. Zu seinem Erstaunen brannte im Kellergeschoss über einer Tür eine Lampe, und als er nun die Tür öffnete, befand er sich in Derricks Garage, in der ein einziger Wagen stand. Mit raschem Blick vergewisserte sich Dick, daß dessen Tanks wohlgefüllt und der Wagen fahrbereit war. Dick trat wieder auf die kleine Diele hinaus und öffnete eine zweite Tür, auf deren Schwelle er wie vom Blitz getroffen stehenblieb.

Der Anblick, der sich ihm bot, genügte, um auch einen noch unerschrockeneren Menschen zu verblüffen: Auf dem Fußboden lag ein gefesselter und geknebelter Mann, über den sich eine elegant gekleidete Dame beugte und seine Taschen durchsuchte. Etwas abseits auf einem Stuhl lag, achtlos hingeworfen, ein kostbarer Pelzmantel, augenscheinlich das Eigentum der Dame. Auf der Tischplatte aber lag eine kleine blinkende Schusswaffe. Erst als Dick, von dem Anblick überrascht, einen Schritt näher trat, hörte ihn die Frau und blickte erschrocken auf.

»Mein Gott!« entfuhr es Staines.

Die schöne Frau, die eben damit beschäftigt gewesen war, einen gefesselten und geknebelten Mann zu durchsuchen, war – Mary Dane.

Das Steckenpferd des alten Derrick

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