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2 Am See

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Sie fuhren in Krischas Mercedes zu einem Campingplatz an einem See in Holstein. Sie waren von der Idee, an die Ostsee zu fahren, bald abgekommen, weil vorauszusehen war, dass an einem sonnigen Wochenende die Autobahn verstopft und der Strand überfüllt wäre. Auch der Vorschlag von Thomas, zum nahe gelegenen Pulvermühlenteich zu fahren, traf auf wenig Gegenliebe, weil man sich nicht dem Gestank der Grillwürstchen am Ufer aussetzen wollte. Krischas Vorschlag gefiel dagegen allen. Er kannte da mal wieder jemand, der in Holstein einen Campingplatz betrieb und ihm erlauben würde, auch ohne Camping dort zu baden. Der Platz hatte den Vorteil, dass man sich dort auch umkleiden und duschen konnte. Dazu gab es ein Cafe´, wo man unter Sonnenschirmen etwas trinken konnte

Krischa steuerte sein Auto auf kleinen Nebenstraßen mit vielen Kurven und vielem Auf und Ab durch eine abwechslungsreiche Landschaft, vorbei an Getreidefeldern, blühenden Kartoffeläckern, Wiesen mit schwarz-weißen Kühen und kleinen Wäldern. Charly sprühte vor guter Laune und fing bald an zu singen: Pop-Songs und Volkslieder. Sie sang so unbefangen mit einer Stimme, die nicht im Hals, sondern vor ihrem Mund zu sein schien, dass bald alle mitsangen, zuerst Krischa, dann Anne, zuletzt stimmte auch Thomas ein. Sie erreichten in weniger als einer Stunde ihr Ziel. Krischa ließ sich für seine Ortskenntnis bestaunen.

Der Campingplatz lag auf einer Halbinsel, die weit in den großen See hineinragte. Der Betreiber der Anlage begrüßte Krischa wie einen alten Bekannten, obwohl er ihn erst einmal gesehen hatte. Thomas konnte wieder einmal feststellen, welches Geschick Krischa im Umgang mit Menschen hatte. Leute, mit denen er einmal zu tun hatte, betrachteten es offenbar als Ehre, ihn zu kennen. Der Typ hieß Benni und war Thomas vom ersten Moment an unsympathisch. Er war ein schleimiger Vertreter der Bussi-Gesellschaft. Er umarmte nicht nur Krischa, als wären sie beide Mitglieder des Politbüros der Sowjetunion, auch seine neuen Freunde mussten sich abknutschen lassen und ihn danach duzen.

Der Campingplatz gefiel aber allen. Er war sauber und am See gab es eine große Liegewiese, die von Bäumen beschattet war. Krischa führte die Frauen und Thomas zunächst durch das Gelände. Links vom Empfangsgebäude gab es einen riesigen Platz für die Dauercamper, die aus ihren Campingwagen eine Eigenheimsiedlung mit von Hecken umzäunten Grundstücken gemacht hatten, rechts war ein kleinerer Teil der Anlage für Gelegenheitscamper reserviert, geradeaus ging es zum See.

Die Dauercamper, überwiegend ältere Pärchen, lagen in ihren Liegestühlen in ihren Vorgärten und schauten etwas misstrauisch auf die Vier, die auf den frisch geharkten Kieswegen an ihnen vorbeischlenderten. Denen bot sich der Anblick von leicht geröteter bis tiefbraun gefärbter Lederhaut über dicken Bäuchen. Krischa meinte, wenn man diese Sonnenanbeter häuten würde, könnte man die Pelle direkt zu Ledertaschen verarbeiten, ohne sie vorher zu gerben. Thomas bemerkte, man könne einige von ihnen auch als Ersatzneger im Film verwenden, wenn mal ein echter am Set fehle. Die Gelegenheitscamper, eher junge Leute mit Kindern, waren dagegen sehr beschäftigt mit dem Aufbau ihrer Zelte und dem Eincremen der Kinder, die auch ohne Sonnnenschutz sofort zum See laufen wollten.

Mit dem Umkleiden waren die beiden Männer früher fertig als die Frauen und so standen sie denn in Erwartung ihrer Begleiterinnen vor dem Gebäude. Sie hatten genügend Zeit, noch eine Zigarette zu rauchen. Die beiden Frauen kamen zusammen aus dem Umkleideraum, Charly springlebendig in ihrem gelben Bikini, Anne etwas zögerlich in ihrem blauen Badeanzug. Thomas gefiel, dass Anne keinen Bikini trug. Er hielt Bikinis für eine modische Verirrung, die nur bei schlanken Mädchen und zierlichen Personen wie Charly verzeihlich war. Nacktheit machte eine Frau nicht automatisch attraktiver, ein wenig Geheimnis sollte bleiben. Außerdem teilte ein Bikini eine Frau in zwei erogene Zonen, während ein Badeanzug den ganzen Körper dazu machte. Besonders Frauen mit größerem Busen wie Anne wirkten im Badeanzug entschieden erotischer. Angesichts ihres beachtlichen Busens machte Krischa auf Brüderle:

„Du könntest auch ein Dirndl ausfüllen.“

Anne wurde verlegen.

„Ist das nun ein Kompliment oder Anmache?“, fragte Thomas.

„Das kommt darauf an, wer es sagt“, bemerkte Charly.

„Ich nehme das mal als Kompliment“, sagte Anne brav.

Damit war die Verlegenheit der ersten Begegnung überwunden. Die Frauen hatten es eilig, zum Wasser zu kommen. Die Männer kamen hinter ihnen her, was Krischa Gelegenheit gab, Thomas zu fragen, ob er ein Dankeschön hören könne.

„Wofür?“, fragte Thomas scheinbar begriffsstutzig.

„Na, dafür, dass ich dich mit Anne bekannt gemacht habe.“

Thomas verbeugte sich: „Meinen verbindlichsten Dank. Ich werde dir ewig verbunden sein und immer an dich denken, wenn ich ihr näher kommen sollte.“

„Dann ran an den Speck!“, forderte Krischa.

„Wie redest du von meiner künftigen Freundin?“, empörte sich Thomas grinsend.

„Ich wusste gar nicht, dass du so schnell bist. Weiß sie schon von ihrem Glück?“

„Blödmann!“

„Ach, ja, du wartest ja gerne, bis die Frau dich anmacht.“

Der See war noch recht kühl, aber das Wasser war weich und nach einigen Prustern und Strampeleien war es zu ertragen. Thomas machte den Vorschlag, den See zu überqueren, obwohl er an dieser Stelle etwa einen Kilometer breit war. Das war eine alte Leidenschaft von Thomas: Er konnte keinen See in Ruhe lassen, er fühlte sich immer herausgefordert, ihn zu besiegen. Ähnlich erging es ihm in den Bergen. So sehr er ihre Schönheit bewunderte, er musste die Berge auch besteigen, statt sie in ihrer majestätischen Ruhe einfach hinzunehmen.

„Wenn du mich rettest, falls ich einen Krampf kriege“, stimmte Krischa zu.

Also machten sie sich auf den Weg.

Als sie zurückkamen, lagen die beiden Frauen schon auf der Wiese und schauten aufs Wasser, bis Charly sagte: „Nicht hinschauen!“

„Warum nicht?“

„Die wollen bewundert werden.“

Die Männer kamen Arme schüttelnd aus dem Wasser und näherten sich lässig.

Da keine bewundernden Kommentare kamen, sagte Krischa schließlich:

„Es lässt sich aushalten.“

„Da habt ihr es uns aber gezeigt“, lästerte Charly.

„Wir wollten es nur dem See zeigen“, sagte Thomas entschuldigend.

„Und ich musste mitschwimmen, um ihn zu retten, falls er einen Krampf bekommt, oder war es umgekehrt?.“

„Du bist ein Schatz“, schloss Charly das Thema ab.

„Jetzt hätte ich Lust auf einen Kaffee“, schlug Thomas vor.

Also begaben sich die Vier zum Empfangsgebäude und nahmen auf der Terrasse Platz.

Sie wurden von einem hübschen, etwa 15 Jahre alten Mädchen bedient. Sie war die Tochter von Benni und hieß Caro, wie Krischa erklärte. Sie brachte Kaffee und Apfelstrudel. Thomas gefiel, dass das Mädchen trotz intensiver Nachfragen von Krischa vorgab, sich partout nicht an ihn erinnern zu können, und zurückhaltend höflich antwortete, als Krischa sie weiter mit Fragen nach der Schule und ihren Berufswünschen belästigte. Thomas sah das vergebliche Bemühen seines Freundes mit stillem Vergnügen. Krischa fiel alles im Leben so leicht zu, dass er ihm die kleine Niederlage gönnte. Ihm gefiel das so gut, dass er ausrief:

„Wie schön kann das Leben sein! Wozu in die Ferne reisen? Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als diesen See!“

„Willst du uns unsere Namibia-Reise vermiesen?“, fragte Charly. „Ich freue mich drauf.“

„Das sei mir fern!“, entschuldigte sich Thomas, „aber auch in Namibia gibt es nichts Schöneres, höchstens Anderes.“

„Und das will ich sehen“, beharrte Charly.

„Wir machen eine Safari mit einem Kleinbus von Lodge zu Lodge, Wüste und wilde Tiere“, erklärte Krischa. „Ihr solltet mitfahren.“

„Nein, danke!“, lehnte Thomas das Angebot ab.

„Wir übernachten auch einmal in der Wüste“, warb Charly, „übernachten unter dem südlichen Sternenhimmel. Das wird eine Entdeckung.“

„Es gibt keine Entdeckungen mehr“, widersprach Thomas. „Es gibt nur noch Konsum.“

Charly wurde ärgerlich:

„Was für ein gewaltiger Satz! Den kann man sich ins Buch der Sprüche eintragen. Wenn es auch keine neue Entdeckung ist, dann ist es eine neue Erfahrung für mich, und die will ich machen.“

Thomas war von Charlys Heftigkeit betroffen. Es war ihm peinlich, dass ihm dieser Satz herausgerutscht war. Es war das Wort Entdeckung, das ihn reflexartig hatte reagieren lassen. Die Reklamesprüche der Tourismusindustrie, die sogar bei Reisen auf die Balearen oder in die Karibik Entdeckungen anpriesen, hatten ihn in letzter Zeit immer mehr aufgeregt. Er wollte aber keineswegs als Weltverbesserer auftreten und suchte den Schaden wiedergutzumachen.

„Entschuldige!“, sagte er, „ich habe das nicht so gemeint.“

Krischa schaltete sich sein: „Du musst dem alten Mann verzeihen. Er hat schon alles gesehen, und was er nicht gesehen hat, das kann er sich vorstellen. Er hat die Welt im Kopf.“

Thomas war Krischa dankbar, dass er durch diese flapsige Übertreibung die Situation zu entspannen versuchte und fuhr in diesem Sinne fort:

„Ich habe einen Fernseher.“

Alle lachten. Anne aber fragte doch einmal nach:

„Machst du überhaupt keine Urlaubsreisen.“

Krischa nahm Thomas die Antwort ab, um die Sache endgültig ins Lächerliche zu ziehen:

„Nein, Thomas sitzt in seiner Bude und macht nur noch Reisen in seinem Kopf. Siehst du nicht, wie dick sein Kopf schon geworden ist?“

Anne blieb trotzdem beim Thema:

„Machst du wirklich keine Reisen? Ich dachte, Lehrer reisen immer. Die haben doch dauernd Ferien.“

Krischa, der Thomas von weiteren Statements abhalten wollte, übernahm wieder die Antwort:

„Früher, als der alte Mann noch kein alter Mann war, sind wir einmal durch die Sahara gefahren und auf den Kilimandscharo gestiegen.“

„Wow!“, rief Charly aus. Sie hatte das blöde Statement von Thomas anscheinend vergessen. Das löste denn auch bei ihm wieder die Zunge:

„Das war schon sehr eindrucksvoll: eine Woche lang durch die verschiedenen Klimazonen zu wandern, zuerst Urwald, dann Savanne und schließlich die Tundra.“

„Ich war ganz schön platt, als wir oben waren“, fiel Krischa ein. „Die Luft wird ja immer dünner.“

„Aber erinnerst du dich auch an die Enttäuschung, als wir oben ankamen?“, fragte Thomas.

„Und ob!“, stimmte Krischa zu. „Wir haben doch, als wir mit unserem Führer da hochstiegen sind, das Gefühl gehabt, wir sind Pioniere und Entdecker. Aber als wir oben ankamen, waren noch viele andere Gruppen mit ihren Führern da, und es war so voll wie auf der Mönckebergstraße am Samstagnachmittag. Da muss ich Thomas Recht geben: Es ist alles Tourismus, egal ob du auf den Kiliman steigst oder nach Machu Pichu fährst.“

„Mir ist das egal“, sagte Charly entschieden, „ich muss kein Pionier sein. Mir ist egal, ob andere Leute das auch machen. Ich freu´ mich trotzdem auf Namibia.“

Thomas meinte, er sollte die absoluten Aussagen über seine Reiseunlust etwas relativieren:

„Ich fahre im Sommer zum Bergsteigen in die Alpen.“

Krischa blieb spottlustig: „Thomas glaubt, wenn er sich da quält, ist er dafür entschuldigt, dass er die Tourismusindustrie unterstützt.“

Anne freute sich offenbar, eine Gemeinsamkeit gefunden zu haben:

„Bergsteigen find´ ich auch schön.“

„Dann könnt ihr euch ja im Sommer die Berge hochquälen“, spottete Krischa.

„Warum nicht?“, fuhr Anne fort. „Ich muss sowieso abnehmen.“

„Das wäre schade um jedes Pfund“, gab sich Krischa routiniert galant.

„Du alter Schwerenöter“, schimpfte Charly lachend, „lass meine Freundin in Ruhe!“, und drohte Krischa mit einer Ohrfeige. Der ergriff ihren Arm und gab ihr einen Handkuss.

Etwas später lagen sie wieder im Schatten der Bäume auf der Wiese am See und schauten durch ihre Sonnenbrillen in das Blätterdach und in den blauen Himmel, der sich durch das Laub sehen ließ, die beiden Männer außen, die Frauen in der Mitte.

„Wenn wir schon einen Fachmann unter uns haben“, begann Charly ins Blaue hinein, dann sollten wir die Chance nutzen und uns informieren lassen.“

„Was meinst du?“, fragte Krischa.

„Na ja“, erklärte Charly, „Thomas ist doch Fachmann für Literatur. Er könnte uns doch mal sagen, was wir lesen sollten.“

Thomas wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er wusste nicht, ob Charly immer noch böse auf ihn war oder ob sie einen Schritt zur Versöhnung machen wollte. Es war ja nicht auszuschließen, dass Charly ernsthaft an dem Thema interessiert war. Er hätte natürlich zu dieser Frage viel sagen können. Schließlich beschäftigte er sich damit jedes Jahr, wenn er die Lektüre für seinen Leistungskurs festlegte. Er wollte aber nicht allzu lehrerhaft daherkommen und die drei Zuhörer mit Besserwisserei langweilen.

„Da gibt es vieles“, begann er vorsichtig.

Mit dieser billigen Antwortverweigerung kam er bei Charly aber nicht durch.

„Das hab´ ich mir schon gedacht“, spöttelte sie. „Nenn´ mal ein paar!“

„Was liest du denn gerne?“, fragte er nach Pädagogenart, erregte aber damit nur Charlys Unmut:

„Ich wusste gar nicht, dass du Psychiater bist. Du beantwortest jede Frage mit einer Gegenfrage. Also ich will nicht wissen, was ich lese, sondern was ich lesen sollte. Ich lese nämlich meistens nur Blödsinn, wie die Geschichte, von der ich euch neulich erzählt habe, wo ein Mann als Kätzchen wiedergeboren wird.“

Thomas zögerte immer noch: „Ich könnte dir eine Liste zusammenstellen.“

Damit kam er auch nicht davon. Charly blieb beharrlich: „Mit der Liste kann ich nichts anfangen. Ich will doch wissen, was in den Büchern drinsteht und warum du sie gut findest.“

„Ich weiß ja nicht, ob die Frage auch die anderen interessiert“, entschuldigte sich Thomas.

„Wenn die das nicht interessiert, können die ja einen Spaziergang durchs Gelände machen oder noch mal einen Apfelstrudel essen.“

„Aber, nein“, meldete sich Anne, „uns interessiert das auch. Wir wollen doch nicht so ungebildet bleiben, wie wir sind.“

„Also gut“, sagte Thomas, „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ von Milan Kundera.“

„Und was ist daran so gut?“, fragte Charly. Sie stützte sich auf den rechten Arm und schaute Thomas über Anne hinweg an. Der sah ihr kluges Köpfchen über dem beträchtlichen Busen von Anne erscheinen und schaute schnell wieder in den Himmel, um bei der Sache bleiben zu können. An Sex mit Anne wollte er nicht denken. Er wollte lieber bei seiner Wunschvorstellung bleiben, Anne liebevoll zu streicheln. Deshalb brauchte er ein wenig, bis er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte:

„Es ist ein Abgesang auf etwas, was nicht vergessen werden sollte.“

„Meister, du sprichst in Rätseln“, schaltete sich Krischa ein.

„Das ist ein Abgesang auf den Prager Frühling.“

„Wie heißt das Buch nochmal?“, fragte Krischa.

„Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins?“

„Komischer Titel“, meinte Anne.

„Hab´ ich im Kino gesehen“, warf Krischa ein. „Mit zwei geilen Frauen. Die eine war Juliet Binoche; aber die andere sah noch geiler aus. Die lief die halbe Zeit nackt herum und hatte nur eine Melone auf dem Kopf.“

„Die eine Frau steht für das Schwere, weil sie grenzenlos anhänglich ist, die andere für das Leichte, weil sie aus Prinzip untreu ist.“

„Kein Wunder, dass mir die zweite besser gefallen hat“, erklärte Krischa.

Thomas sah sich genötigt, seine Buchempfehlung zu rechtfertigen: „Eigentlich geht es Kundera darum, den Leuten, die nach dem Prager Frühling Widerstand gegen die Okkupation geleistet haben, ein Denkmal zu setzen, damit sie nicht vergessen werden.“

Charly zeigte sich interessiert: „Ich weiß eigentlich gar nichts über den Prager Frühling und über den Widerstand. Und wenn beispielsweise meine Großeltern oder Urgroßeltern in der Hitlerzeit Widerstand geleistet haben, weiß ich darüber auch nichts. Vielleicht haben die ja ihr Leben riskiert, um einen Juden zu verstecken, wie diese Holländerin, die Anne Frank versteckt hat. Und das ist alles vergessen.“

„Ich möchte das Buch auch gerne lesen“, bat Anne.

„Okay“, sagte Charly, „du zuerst. Thomas hat sicher noch ein Buch für mich.“

„Weil du Psychiaterin bist,...“ begann er.

„Ich werde es erst“, korrigierte Charly.

„Weil du Psychiaterin wirst“, Thomas betonte das letzte Wort, „könnte ich dir ein Buch über eine Sitzung beim Psychiater empfehlen.“

„Und das heißt?“

„Portnoys Beschwerden.“

„Nie gehört“, sagte Charly, „und was hat der für Beschwerden?“

„Er ist von seinen jüdischen Eltern streng moralisch erzogen worden; aber andererseits ist er maßlos geil und deshalb tut er dauernd Dinge, die sein Gewissen belasten und die seine Mutter nie erfahren darf.“

„Den einen Teil davon kenn´ ich, und es ist nicht die strenge moralische Erziehung“, bekannte Krischa lachend.

Charly blieb bei der Sache: „Und was ist daran so lustig?“

„Die Art, wie es erzählt wird: Das ist ein Redeschwall von 200 Seiten und dann kommt noch ein einziger Satz, den man nicht erwartet hat.“

„Und wie heißt der?“, fragte Charly, weil Thomas schwieg.

„Der heißt: Dann können wir ja jetzt anfangen, sagte der Psychiater.“

„Der hat also 200 Seiten lang den Psychiater zugequatscht“, stellte Charly fest. „Was für ein Freak!

Ich glaube, den nehme ich mir mal vor.“

„Die Amerikaner laufen immer zum Psychiater“, stellte Krischa fest. „Ich glaube, ich muss auch mal zum Psychiater.“

„Was hast du denn für Probleme?“, fragte Charly.

„Keine. Das muss irgendwie krank sein.“

„Das sind die schwierigsten Fälle“, bemerkte Thomas dazu.

Krischa fand, dass Thomas nun lange genug die Aufmerksamkeit der beiden Frauen genossen hatte, und fuhr ihm grinsend in die Parade:

„Und was ist eigentlich mit deinem großen Roman? Wir warten alle darauf.“

„Ich auch“, sagte Thomas trocken. Er mochte nicht darüber reden. Krischa legte aber nach:

„Du erinnerst dich. Der alte Gering hat immer gesagt – der alte Gering war unser Deutschlehrer – der alte Gering hat immer gesagt: Thomas wird eines Tages einen großen Roman schreiben. Oder hat er nicht sogar gesagt, den großen Roman, Betonung auf den?“

Und ob sich Thomas daran erinnerte. Der Satz lag wie eine schwere Last seit fünfzehn Jahren auf ihm; aber alle Versuche waren bisher nach wenigen Seiten gescheitert. Es war bei Fingerübungen geblieben. Ihm fehlte das Thema, das ihn hätte begeistern können. Manchmal fürchtete er, dass er nicht weiter kommen würde als der unglückliche Grand aus der „Pest“, der sein ganzes Leben lang am ersten Satz seines Romans hängen geblieben war.

„An einem schönen Morgen des Monats Mai ritt eine elegante Amazone auf einer glänzenden Fuchsstute durch die blühenden Alleen des Bois de Boulogne“, zitierte er.

„Was ist?“, fragte Krischa, der so verständnislos auf Thomas schaute wie die beiden Frauen.

Thomas genoss die Verwirrung: „Das ist der erste Satz.“

„Deines Romans?“, fragte Charly.

„Nein, eines Typs aus der „Pest“ von Camus.“

„Entschuldige!“, sagte Charly verwirrt. „Was hat das mit deinem Roman zu tun?“

„Das ist der erste und einzige Satz, den der Typ zustande bringt. An diesem Satz feilt er sein Leben lang herum, weil er meint, er könne erst weiterschreiben, wenn dieser erste Satz vollkommen wäre. Er hat sich nämlich vorgenommen, einen Roman zu schreiben, bei dem der Verleger einfach hin und weg ist und nur noch seinen Hut ziehen kann.“

„Der Satz ist aber schön“, meinte Anne.

„Was ist sein Problem?“, fragte Charly.

„Er hat kein Thema“, sagte Thomas.

„Und du auch nicht“, stellte Krischa zufrieden fest.

„Die Welt ist doch voller Probleme“, meinte Charly.

„Uns geht es zu gut“, sagte Thomas. „Uns geht es einfach zu gut. Wir haben keine Not und keine richtigen Probleme, Krischa an erster Stelle. Und du hast auch einen Beruf, der dich interessiert, und Anne liebt ihren Beruf, auch wenn er ein bisschen zu schlecht bezahlt wird.“

„Und was ist mit dir?“, fragte Charly.

„Ich führe das perfekte Spießerleben: Ich habe ein ordentliches Einkommen, viele Ferien und ich liebe meine Schüler, zumindest die meisten, und sogar die, die ich nicht mag, mag ich auch ein bisschen. Und ich liebe es, vor der Klasse zu stehen und so zu tun, als hätte ich den Schülern ein paar Weisheiten zu verkaufen. Wir haben keine richtigen Probleme. Das reicht nur für eine alberne Liebesgeschichte oder einen Krimi.“

„Das war Krischa nun doch zu viel Thomas. Es reizte ihn, ihm ein bisschen die Schau zu stehlen:

„Und alberne Liebesgeschichten und Krimis will Thomas nicht schreiben. Wenn unser Thomas einen Roman schreibt, dann muss es ein großer Roman sein. Können wir jetzt?“, fragte er.

Also gingen sie noch einmal schwimmen, plantschten aber eigentlich mehr oder weniger auf der Stelle herum und sahen einigen Campern zu, die sich recht ungeschickt im Wasser einen Gummiball zuspielten. Als die genug von ihrem Sport hatten, fragte Charly, ob sie ihr den Ball ausleihen könnten. Beim Spiel zeigte sich Anne besonders geschickt, schließlich hatte sie einige Jahre in einer Volleyballmannschaft gespielt; aber die drei anderen hatten es auch mal in der Schule gelernt, sodass es kein Wunder war, dass sie den Ball lange im Spiel halten konnten, bis Charly anfing, den Ball so zuzuspielen, dass der Angespielte ihn kaum noch erreichen konnte. Das regte nun auch die Männer an, den Ball zu weit, zu kurz oder so scharf zu spielen, dass er kaum zu returnieren war und sich alle rückwärts und vorwärts werfen mussten, um an den Ball zu kommen.

„Typisch Männer“, kommentierte Charly, „sie müssen aus einem Spiel gleich einen Wettkampf machen.“

„Ich erkläre euch den Krieg!“, rief Krischa, „aber du hast damit angefangen.“

Der Krieg machte aber allen schreienden Spaß, sodass sie sich bis zur Erschöpfung austobten.

Auf der Heimfahrt überfiel alle die Müdigkeit, auch Krischa, der aber im Gegensatz zu den anderen die Augen offen halten musste.

„Sag was!“, rief er nach hinten zu Charly, „sonst schlaf´ ich noch ein.“

Er bekam aber nur ein müdes Lalala zu hören. Er stellte das Radio an. Es gab gerade Sportmeldungen. Der HSV hatte gewonnen, das hob seine Stimmung. Er fuhr gleich schneller und wollte einen Schleicher auf der kurvenreichen Straße überholen, musste aber abrupt abbremsen, weil plötzlich ein Auto entgegenkam. Damit weckte er alle auf.

“Jetzt bin ich wach“, sagte er.

„Hoffentlich“, sagte Charly, „sonst sind wir bald alle tot. Ich wollte aber vorher noch den Roman lesen, den mir Thomas empfohlen hat.“

Sie fuhren zuerst zur Wohnung von Thomas, weil Charly den Portnoy gleich mitnehmen wollte. Thomas bot an, das Buch hinunterzubringen; aber Charly wollte mit nach oben, und als Anne sich anschloss, sah sich Krischa gezwungen einen Parkplatz zu suchen und hinterherzustapfen.

„Wow!“, sagte Charly, als sie in die Wohnung kamen, eine kleine Nationalbibliothek“. Das Wohnzimmer wurde dominiert von Bücherregalen, die zwei Wände bedeckten. Thomas war froh, dass er am Freitag vorsichtshalber schon einmal aufgeräumt hatte. Nur der Schreibtisch war etwas ungeordnet mit Stapeln von Schülerheften, was ihm aber nun auch gelegen kam, weil es zeigte, dass er ab und zu auch arbeitete.

Angesichts der vielen Bücher meinte Charly, das könne aber dauern, bis er den Portnoy gefunden habe.

„Kein Problem“, lachte Thomas, „wenn alles so geordnet wäre in meinem Leben wie mein Bücherregal, wäre ich glücklich“, und gab ihr den gewünschten Roman.

„Und könnte ich den mit dem langen Titel haben?“, fragte Anne. Sie bekam ihn.

Charly schaute gleich auf die letzte Seite ihres Romans und stellte zufrieden fest, dass der von Thomas genannte Satz wirklich dort stand.

„Können wir dann?“, fragte Krischa ungeduldig.

Anne, die ihr Buch noch ehrfürchtig in der Hand hielt, fragte zögernd: „Kann ich noch etwas bleiben? Ich will noch ein bisschen mehr über das Buch wissen. Ich geh´ dann zu Fuß nach Hause. Es ist ja nicht weit.“

„Gerne“, sagte Thomas.

Charly schaute etwas erstaunt auf Anne, Krischa grinste: „ Ja, dann viel Spaß!“

„Die Liste will ich trotzdem haben“, rief Charly noch im Hinausgehen.

Als Charly und Krischa gegangen waren, fragte Thomas Anne, ob sie noch etwas trinken möchte. Er habe Durst auf einen Kaffee. Anne fragte, ob sie auch einen Tee haben könne.

„Dann setz´ dich mal!“, sagte Thomas, zeigte auf das Sofa und verschwand in der Küche. Als er mit den Getränken zurückkam, wollte Anne wissen, was das denn für Frauen seien, von denen Krischa gesprochen habe. Soweit er sich erinnere, sagte Thomas, heiße die eine Frau Teresa, die andere Sabina. Sabina, die mit der Melone, sei eine Künstlerin und seit Jahren mit Tomas befreundet – die Hauptperson des Romans heiße zufälligerweise auch Thomas wie er – und die andere, Teresa, sei eine Kellnerin, die Tomas mal irgendwann bedient habe und dann eines Tages mit dem Koffer in der Hand bei ihm auftauche.

„Und welche liebt er?“, fragte Anne.

„Er liebt beide und noch ein paar andere Frauen; aber dann bleibt er doch mit Teresa zusammen. Aber am besten liest du das Buch zuerst.“

„Ja, klar.“

„Und jetzt habe ich Hunger“, sagte Thomas. Möchtest du nicht auch etwas essen?“

„Ja, gerne. Was hast du denn?“

„Wollen wir mal sehen!“

Also gingen beide in die Küche. Im Kühlschrank fanden sie eine Salami-Pizza.

„Ich mag aber keine Wurst“, sagte Anne.

„Kein Problem“, meinte Thomas, „Dann schaffen wir die Wurstscheiben auf meine Hälfte.“

Im Kühlschrank fanden sie auch noch Gurken, Tomaten und Feta für einen Salat, den sie zusammen zubereiteten, während die Pizza im Backofen war.

Während der ganzen Zeit überlegte Thomas, wie er Annes Verhalten interpretieren sollte. War ihr Wunsch, noch bei ihm zu bleiben, ein eindeutiges Angebot oder war sie so naiv, an so etwas gar nicht zu denken? Würde sie überrascht sein, wenn er sie ins Schlafzimmer führen würde, oder wäre sie eher enttäuscht, wenn er es nicht täte? Vielleicht würde sie ihn für impotent oder verschroben halten; aber dieses Urteil würde sich später leicht revidieren lassen, und es wäre auf jeden Fall besser, als wenn sie ihn für einen Draufgänger hielte, der gleich die erste Gelegenheit nutzen würde, um über sie herzufallen. In dem Fall wäre eine Beziehung ganz bestimmt von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Außerdem wollte er eigentlich gar nicht mit ihr schlafen, sondern sie nur streicheln. Das aber konnte er unmöglich sagen. Das würde als eine besonders kuriose Anmache rüberkommen. Er wartete also ab, ob sie ihm deutliche Signale geben würde. Die kamen aber nicht. Anne plauderte nämlich recht unbefangen über die Erlebnisse des Tages und einige Vorfälle in ihrem Krankenhaus, während sie doch sonst eher still war und wenig redete. Obwohl er genau hinhörte, konnte er aus ihren Worten nichts entnehmen, was irgendeine Anspielung auf einen sexuellen Kontakt enthielt. Das Einzige, was sich aus ihren Reden ergab, war, dass sie sich offenbar in seiner Gegenwart wohl fühlte; denn ihre Plaudereien hatten nichts von Hektik an sich.

Als es zehn war, sagte sie auch ohne Hektik, sie müsse jetzt aber nach Hause. Schließlich habe sie gesehen, dass er noch eine Menge Arbeit auf dem Schreibtisch liegen habe, und sie selbst sei auch recht müde und sie müsse am nächsten Morgen schon um fünf aufstehen, weil sie Frühschicht habe.

Hatte er nun seine Chance vertan, ihre sicherlich noch sonnenwarme Haut zu streicheln? Hatte er sie beleidigt, als er nicht auf ihr Angebot eingegangen war? Es hätte nicht wenig gefehlt und er hätte sie recht eindeutig aufgefordert, die Nacht bei ihm zu verbringen, wenn ihm nicht durch den Kopf gegangen wäre, dass die beiden Frauen noch am späten Abend miteinander telefonieren und dabei feststellen würden, so seien eben die Männer. Auch die Vorstellung, dass Krischa ihn bei nächster Gelegenheit fragen würde, wie es denn mit Anne gewesen sei, gefiel ihm nicht. Schließlich hatte Krischa ja schon beim Hinausgehen wissend gegrinst. Es wäre Thomas peinlich gewesen, wenn sein Verhalten so berechenbar gewesen wäre, also sagte er sich „Locker bleiben!“ und unterließ die Aufforderung, die ihm durch den Kopf gegangen war. Ganz aber wollte er den Abend auch nicht abschreiben und verschob, wie es seine Art war, die Entscheidung, indem er Anne anbot, sie nach Hause zu fahren. Anne wollte aber lieber noch ein wenig durch die Stadt laufen. Das tue nach dem Essen gut, und es seien ja nur zehn Minuten bis zu ihrer Wohnung. Dann wolle er sie unbedingt begleiten, bot Thomas an. Auch er könne einen Spaziergang vertragen und er wolle sie auch nicht in der Nacht alleine durch die Straßen laufen lassen. So hatte er weitere zehn Minuten, in denen er bei ihr sein und auf eindeutige Signale warten konnte. Vor ihrem Haus aber kam es zu einem kurzen Abschied. Anne bedankte sich bei Thomas für den schönen Tag und besonders den schönen Abend, gab ihm einen Kuss auf den Mund und verschwand. Thomas war damit zufrieden. Offenbar hatte er nicht viel falsch gemacht.

Wie von Thomas vermutet beschäftigte der Verbleib von Anne die Phantasie Krischas, während Charly sich darüber zunächst keine Gedanken machte. Sie wurde aber, kaum dass sie im Auto saßen, von Krischa darauf angesprochen:

„Das hat mich ja doch gewundert“, sagte er, „dass Anne einfach dageblieben ist.“

„Wenn sie weiß, dass es der Richtige ist, kann sie auch entschlossen sein.“

„Glaubst du denn, dass er der Richtige ist?“

„Ich glaube ja.“

„Ob die schon auf der Matratze liegen?“

„Was geht das dich an?“

Charly hatte natürlich recht. Das war klar. Eine andere Frau als Charly hätte seine Frage vielleicht als Beleidigung empfunden und wäre eifersüchtig geworden, zu Unrecht natürlich. Krischa ging es ja nicht um Anne, ihm ging es um Thomas. Anne hatte ihn nie besonders interessiert. Die Frage, welche von beiden Frauen er vorziehen würde, wäre lächerlich gewesen. Aber was Thomas mit Anne anstellen würde, beschäftigte seine Phantasie. Würde er zurückhaltend, vielleicht sogar passiv sein und die Frau so verrückt machen, dass sie ihm total verfallen würde, oder packte er alle Liebeskünste aus, die er in irgendwelchen sonderbaren Büchern kennengelernt hatte, oder bevorzugte er perverse Praktiken? Das war bei Thomas alles möglich. Auf jeden Fall würde Thomas dafür sorgen, dass Anne ihren Verstand verlieren und sich an ihn klammern würde wie eine Ertrinkende. Hatte er nicht schon durch sein passives Verhalten bewirkt, dass Anne über ihren Schatten gesprungen war und etwas getan hatte, was man ihr nie zugetraut hätte?

Er hätte sich gerne mit Charly darüber unterhalten. Sie hatte als Frau sicher einen besseren Sinn für das, was von Thomas zu erwarten war. Sie hatte ihn aber so schroff zurückgewiesen, dass er es vorzog, den Mund zu halten. Erst beim Abendessen – es gab Steak mit Kartoffelsalat, der noch im Kühlschrank war, und Bier, eine Flasche für sie, zwei für ihn – wagte Krischa wieder, das Thema anzusprechen:

„Ruf doch mal Anne an! Ob sie immer noch bei Thomas ist?“

„Ruf du doch Thomas an!“

„Männer reden nicht über so was – jedenfalls kein Thomas. Ihr redet doch sonst immer über alles.“

„Wenn Anne nicht anruft, wird sie ihre Gründe haben, und ich habe genügend Gründe, es genau jetzt nicht zu tun. Ich zieh mich mal ins Schlafzimmer zurück, ich will lesen.“

Krischa schaltete den Fernseher ein. Es gab eine Liebeskomödie; aber Krischa war nicht in der Lage, irgendetwas komisch zu finden. Er schaltete zum Sport: Es gab ein Basketballspiel zwischen zwei süddeutschen Vereinen, die ihn nicht interessierten. Er suchte weiter und blieb bei einer Frau in mittleren Jahren hängen, die auf der Bühne stand und von ihren Krampfadern erzählte. Das Publikum lachte Tränen. Danach kam eine jüngere Komödiantin, die über ihre vergeblichen Diäten berichtete, was durchaus glaubhaft war, weil sie deutlich zu viele Pfunde auf den Rippen hatte. Die dritte Frau schließlich, eine ältere Frau mit schriller Stimme, sorgte sich um ihre Falten und machte sich lustig über ihren impotenten Gatten, der jungen Frauen nachstarrte. Das Publikum brüllte vor Lachen. Was daran so witzig sein sollte, leuchtete Thomas nicht ein. Alle Drei beschäftigten sich mit ihren körperlichen Defiziten. In der Stimmung, in der er war, gönnte Krischa allen Dreien ihre Probleme. Er hatte inzwischen die Flasche Wein, die er sich schon beim Basketballspiel genommen hatte, zur Hälfte ausgetrunken, und während er diesen Komikerinnen zuhörte, entwickelte er einen Hass auf Anne und Charly. Anne hatte sich einfach Thomas an den Hals geworfen und ließ sich jetzt von ihm ganz sicher nach allen Regeln der Kunst durchvögeln, und Charly weigerte sich, das als Skandal anzuerkennen, und zog sich auch noch mit einem Buch von diesem Typen ins Schlafzimmer zurück. In seinem Suff – inzwischen hatte er schon wieder nachgegossen – hörte er schon gar nicht mehr, was die nächste Kabarettistin zu beklagen hatte, weil seine Vorstellungen davon, was Thomas mit der blöden Anne anstellte, immer groteskere Formen annahm: Thomas fickte Anne nun nicht mehr nur in alle möglichen Körperöffnungen, sondern bohrte mit seinem Penis überall Löcher in sie, sodass sie schon wie ein Schweizer Käse aussah. Er schaltete den Fernseher aus und wankte ins Schlafzimmer. Charly lag auf dem Bett und las im Schein der Nachttischlampe.

„Der Typ ist wirklich krank“, sagte sie, „aber witzig.“

Sie sagte es, ohne vom Buch aufzusehen und Krischa anzuschauen, der breitbeinig und schwankend zur Tür hereingekommen war.

„He“, sagte der in einem Ton, dass Charly sich nun doch zu ihm umdrehte.

„Du bist ja besoffen.“

„Tschuldigung!“, brachte Krischa hervor.

Er legte sich neben Charly und schaute ihr zu, wie sie weiterlas. Langsam kam er wieder zur Besinnung und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Zu seiner Überraschung war Charly sogar bereit, mit ihm zu schlafen. Sie war ja doch eine bezaubernde Frau, fand er. Dann kam ihm aber doch wieder Thomas in den Sinn und er wurde so heftig, dass Charly ihn fragte, was das denn solle. Er grunzte mal wieder „Tschuldigung“ und wurde wieder ruhiger. Als er erneut heftig zu atmen anfing, stieß Charly ihn von sich und rollte sich in ihre Decke ein.

Gegen drei Uhr wachte Krischa aus einem grässlichen Traum auf. Er war mit Thomas beim Schwimmen, und Thomas tauchte in das Geflecht der Wasserpflanzen hinab, kam aber nicht mehr hoch. Das Einzige, was hoch kam, waren Luftblasen ungefähr da, wo Thomas sein musste. Plötzlich waren Anne und Charly da und schrien „Thomas! Thomas!“ „Das ist doch Show“, rief Krischa ihnen zu. „Das ist doch nur Show.“ Anne und Charly schrien aber weiter und zeigten auf die Luftblasen: „Da! Da!“ Krischa tauchte in die Tiefe und sah Thomas, wie er vergebens versuchte sich aus den Wasserpflanzen, die ihn umschlungen hatten, zu befreien. Und unablässig stiegen Luftblasen aus Thomas´ Mund nach oben. Eigentlich hatte Krischa Angst, in das Gewirr der Pflanzen hineinzuschwimmen, aber er hörte auch unter Wasser die Schreie von Anne und Charly. Also schwamm er in dieses Dickicht hinein und fasste Thomas an der Hand. So fest er auch zog, die Wasserpflanzen hielten Thomas fest. Sie kringelten sich nun sogar um ihn wie Efeu um einen Baumstamm. Krischa selbst bekam Atemnot und wollte wieder auftauchen, um Luft zu holen, als er feststellen musste, dass die efeuartigen Gewächse Thomas losließen und nun ihn allein umklammerten. Er konnte gerade noch sehen, wie Thomas nach oben schoss, während er selbst nun Wasser einatmete. In dem Moment schreckte er hoch und schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Charly schlief.

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