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Drittes Kapitel

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Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf. Schöne Haartrompeten, blank und weiß, rahmten das fette, weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen. Seneïde saß am Fenster und nähte. Ihre Züge waren scharf und gezogen, die Lippen fast weiß, und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervoll-erregten Ausdruck. Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten »Klap« auf den Tisch, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. »Beating«, begann sie, »war heute wieder wie sonst. Gestern, da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte – etwas – ich weiß nicht?«

Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an: »Hör, Seneïdchen, du machst die Dinge gern geheimnisvoll. Für ein junges Ehepaar ist das nichts. In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum; du wartest doch ruhig, bis die Sahne sich absteht. Na – also!«

Seneïde beugte sich still auf ihre Arbeit nieder.

Nun kamen Günther und Beate. Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern. Nichts im Leben war ihm ungemütlicher, als wenn er nicht gefiel. Bei der Toilette bemühte er sich, Peter zu gefallen, und auf der Reise dem Schaffner. »O Mama, wie blühend du aussiehst, hübsch und sommerlich. Und Tante – Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört. Geradezu heilig hab ich dabei geschlafen – auf Ehre. Gott, hier muß man ja gut sein.«

Dann sprachen sie von Mareile Ziepe, der Inspektorstochter. »Oh, unsere Mareile«, rief Günther, »die ist groß! Also – nicht nur die berühmte Sängerin; sie ist die gefeiertste Schönheit der Gesellschaft – der Gesellschaft – bitte.«

Die Baronin lachte: »Meine Mareile! Die hatte immer eine feste Hand . . . Wenn man Ziepe heißt und dann . . .” – »Na ja, Ziepe«, meinte Günther, »das hat sie abgelegt. Sie heißt Cibò! Ist auch besser. Die Fürstin Elise kann ohne Mareile nicht leben, der Fürst Kornowitz schmachtet sie an.«

Durch die Seitentür kam jetzt Frau Ziepe herein. Sie wollte die jungen Herrschaften begrüßen. Erhitzt und verlegen saß sie neben Beate und sprach von ihren Zwillingen. Plötzlich verklärte sich ihr Gesicht. Mareile war genannt worden.

»Auf Ihre Tochter«, wandte sich Günther an die Inspektorsfrau, »sind wir alle stolz.«

»Danke, Herr Graf, danke.« Frau Ziepe errötete. »Und ich hab mich so vor der Kunst gefürchtet. Man spricht so viel. Aber Mareiling hat Charakter, Gott sei Dank.«

»Was tun wir?« fragte Günther seine Frau, als sie wieder allein in Beatens blauem Kabinett auf den weißlackierten Stühlchen saßen. »Natürlich, beieinander sein!« Er nahm Beatens Hand und küßte vorsichtig jede Fingerspitze. »Ja, was tun wir?« wiederholte Beate.

Günther dachte nach. »In den Garten müssen wir, damit wir so das Summsumm des Sommers hören. Nicht? Im Park unter den Linden muß es jetzt gut sein. Suche ein Buch heraus. So was Altmodisches, ganz Süßes, weißt du. Ich bestelle die Hängematten?«

»Ah! So ist’s gut!« rief Günther, als sie beide unter den Linden in den Hängematten lagen. »Nun lies, Schatz.«

Zwischen den starken Stämmen hindurch sah Günther ein Stück des Teiches mit seinen Inseln von Froschlöffel und Wasserlinsen. Libellen, kleine blanke Lichtgestalten, wiegten sich in der heißen Luft. Unter den Weiden am Ufer aber saßen die Schwäne, weiße, regungslose Gebilde. Günther blickte auf die schmale, helle Gestalt neben sich in der Hängematte. Lichter und Blätterschatten huschten über sie hin: Gott ja! dachte er, unsere Frauen, die sind eigen! So ’ne kühle, klare Luft ist um sie her. Die anderen sind auch schön – o ja! Mareile zum Beispiel, aber so das – das Festliche fehlt.

Beate hielt inne und blickte zu Günther hinüber. »Du hörst mir nicht zu. Woran denkst du?«

»Ich denke – ich denke an dich – und daß es gut ist, daß du hier in der Hängematte liegst und nicht – eine andere – Mareile oder sonst eine von den anderen.«

»Mareile? Warum?«

»Erinnerst du dich noch des Besuches der Rumpenower Kinder? Du und Mareile hattet damals lange, dünne Backfischbeine. Wir spielten Räuber im Garten. Ich weiß nicht, wie das kam, aber Mareile und ich mußten in den Rübenkeller flüchten. Kühl war’s da und roch feucht nach Gemüsen. Wir waren stark gelaufen, unsere Herzen schlugen laut – tap – tap. Mareile hatte ein weißes Kleid an – und nackte Schultern. Nun da – bog ich mich vor und küßte eine dieser spitzen, heißen Backfischschultern. Früher war mir das nie eingefallen.«

»Oh! Wirklich?« warf Beate hin.

»Ja. Sie stieß mich vor die Brust und sagte: ›Dummer Junge. ‹«

»Nun – und?«

»Ach nichts! Ich dachte daran. Übrigens glaub ich doch, daß Mareile damals in mich verliebt war.«

»Möglich!« meinte Beate ein wenig hochmütig. »Sie sprach damals zuweilen vom Verlieben. Ich fand das lächerlich. Verlieben gehörte zur Kammerjungfer Lisette, zu Betty Ahlmeyer.«

»Ja – ja – natürlich!« rief Günther. »Das war Kaltinsch – ganz echt. Na, lies nur.« Günther schaute wieder in das Blätterdach hinauf. Ein Schwarm Mücken drehte sich wie blonder Staub in einem Sonnenstrahl. Das macht schwindelig und schläfrig.

Günther reckte sich: »Wie schön – wie schön!« Er pflegte jede Lebenslage genau auf die Summe von Befriedigung hin zu prüfen, die sie ihm bot; er stellte gern jeden Augenblick eine Zensur aus. Jetzt war er zufrieden. An dem Junggesellenleben war doch nichts Rechtes dran! Stille, helle Zimmer, gute Menschen, diese Frau – dieses beruhigende, weiße Rätsel, an dem herumzuraten eine so friedliche Beschäftigung war – das wollte er jetzt.

Das Ehejahr in Berlin zählte nicht. Was die Liebe der Junggesellenjahre lehrt, läßt sich bei den Beaten schlecht verwenden. Da muß umgelernt werden; das macht ungeschickt. Beate nahm dort etwas Erstauntes, bleich Ergebenes an; als hätte sie eine Enttäuschung erlebt. Daß er diese Enttäuschung sein könnte, war für Günther kränkend und quälend gewesen. Berlin war ohnehin für Beate nicht der rechte Hintergrund. Hier war’s gut! Er streckte seine Hand zu der anderen Hängematte hinüber.

»Du hast geschlafen?« fragte Beate.

»Ja«, sagte Günther, »und geträumt. Ein Traum, ganz weiß von dir.«

Beckmanns schwarz und goldene Gestalt stand plötzlich in all dem Grün und meldete das Frühstück.

Zur Feier der Ankunft der jungen Herrschaft fand unten im Park ein Fest für die Gutsleute statt. Nach dem Diner begaben die Herrschaften sich auf den Festplatz. Die Buchen und Kastanien am Teiche steckten voll bunter Lampen; farbige Lichtpünktchen, verloren in all dem Schwarz ringsum. Auf dem Rasenplatze wurde getanzt. Auf einem Tische brannte eine Petroleumlampe ruhig und schläfrig, wie in einer Familienstube. Dort saßen Inspektor Ziepe und der Schulze beim Bier. Die Musikanten fiedelten einen Schleifer; dünne, schnurrende Töne, die, wie verirrt, in die große Nachtstille hinaushüpften; und über dem Ganzen lag der melancholische Ernst, wie er über den Lustbarkeiten des Volkes zu liegen pflegt.

Günther hielt eine Rede. Er stand auf einer Bank, machte weite Armbewegungen, wurde ganz warm von den großen Worten, die er zu den schweren Arbeitergestalten hinuntersprach, die andächtig, ein wenig schläfrig, zuhörten; . . . das tat ihm wohl. Dann wurde getanzt. Peter besorgte für Günther als Tänzerin die Eve Mankow, ein großes, rothaariges Mädchen mit grellen, rotbraunen Augen in einem runden, rosa Gesichte. Beate tanzte mit Edse Maschnap, der Galoschen und einen Stadthut trug. Edse unterhielt seine Dame. »Ich bin zurück aus der Stadt. Na ja – der Vater hat die zweite Frau. Die sorgte für ihre Kinder – da muß ich sehn, daß nich alles so stille – stille – verschwindet – Frau Gräfin verstehn?«

Beate schaute zu Günther hinüber. Wie eifrig er sich mit dem großen, unangenehmen Mädchen unterhielt. Er erzählte etwas. Eve wandte sich ab, legte den Arm vor den Mund und lachte. Ja – er verstand es, jede zu nehmen!

Der Tanz war zu Ende. Die Herrschaften wollten vom Kahn im Teiche aus das Feuerwerk ansehen. Günther wäre gern geblieben und hätte sich an der Verehrung der Leute erwärmt. Zu imponieren ist eine so angenehme Beschäftigung; er wagte jedoch den Vorschlag nicht; er fürchtete, Beate würde dazu ihre ironisch erstaunten Augen machen. Auf dem Teiche war es köstlich. All die schweren, warmen Menschen mit ihrer schweren, erhitzten Lustigkeit hatten Beate mit großem Unbehagen erfüllt. Hier war es kühl und still und dunkel. Beate lag auf dem Rücken und sah in die Sterne hinauf. Günther ruderte anfangs und sprach angeregt. Dann fragte er plötzlich: »Warum liegst du so weiß da und sagst nichts?«

»Ich höre lieber zu«, erwiderte Beate. Das klingt sehr freundlich, dachte Günther, aber doch so ’n bißchen überlegen, als müßte man Nachsicht mit mir haben. Er wurde schweigsam. Beate hatte recht. Auch er wollte daliegen und seinem Empfinden lauschen. Das gehörte zu dieser Lebenslage. Helle, wunderbar weiche Töne gingen und kamen über das Wasser, als atmete und lebte die dunkle Fläche. Günther streckte sich neben Beate aus, nahm eine ihrer kühlen Hände. Über die schwarzen Wipfel stieg eine Rakete auf; eilig und golden stieg sie auf, immer höher, dann neigte sie sich, wie müde, und die Leuchtkugeln, ein farbiges Aufblühen, regneten nieder. Die Leute am Ufer riefen: Hurra!

»Ja, die!« meinte Günther, »die verstehen noch zu schreien, wenn sie lustig sind.«

»Möchtest du denn auch schreien?« fragte Beate.

»Gott! Schreien! Nein. Ich sag nur, die können’s noch, wir nicht, wir sind zu – zu – stilisiert – um lustig zu sein.«

Der Mond stieg über den Ahornbäumen auf. Der Teich sprühte. Die Stengel der Froschlöffel, des Wasserknöterich, die weißen Köpfe der Wasserrose schienen größer, wie sie so unbeweglich in dem blauen Lichte standen.

Eine selige Trägheit, eine angenehme Wunschlosigkeit war über Beate gekommen. Als Günther sich auf sie niederbeugte und ihr die Lippen, die Augen küßte, ihren schmalen, ruhenden Körper in seine heißen, fiebernden Hände nahm, sagte sie: »Ach – laß – Liebster.«

Günther wurde sofort ruhig. Er seufzte. Ach ja! Man muß ruhig und poetisch sein. »Dieses kühle Mondscheingesicht«, sagte er ein wenig gereizt. Dann griff er in das Wasser, mitten in eine Gesellschaft Wasserrosen hinein und holte sich die ganze Hand voll schwerer, weißer Blütenköpfe heraus: »So, jetzt will ich dich putzen, warte.« Er steckte die feuchten Blumen in Beates Haar. Beate lachte unter dem Tropfenregen. »So ist’s gut«, meinte Günther, »Schönheit – Schönheit – Schönheit, Amen.«

Beate saß in ihrem erdbeerfarbenen Nachtkleide noch auf. Amelie, das naseweise Gesichtchen rot vom Tanz, versuchte ein Gespräch.

»Ach nee, der Maschnap, über den hab ich gelacht. Und die Eve, die war gut, wie ’n Pfannkuchen hat die sich gebläht.«

»Geben Sie mir die Bücher«, sagte Beate, und wenn die Gräfin sich die heiligen Bücher geben ließ, die Bibel und den Thomas a Kempis, dann mußte Amelie gehen.

Die Stille des alten Kaltin hatte Beate überempfindlich für jeden Eindruck gemacht. Jedes Erlebnis nahm tiefe Bedeutung an, wie Gestalten im Mondschein größer erscheinen.

Sie beugte sich über den Thomas a Kempis und las: »Mache mich stärker in der Liebe, daß ich im Innersten meines Herzens schmecken lerne, wie süß es ist, zu lieben und in Liebe aufzugehen, und ganz mich zu bewegen. Singen möchte ich das Lied der Liebe . . .”

Draußen schüttelte ein plötzliches Wehen den Baum vor dem Fenster. Beate schaute auf, dann, wie erschöpft von dem übermächtigen Gefühl, lehnte sie den Kopf zurück. Ihr Gesicht war blaß, von der feinen Blässe der alten Rassen, die von jahrhundertelangem Stehen auf geschützten Höhen müde geworden sind. Der Ausdruck des Gesichtes war wie Lächeln und doch wie Leiden. Die braunen Zöpfe, noch feucht von den Wasserrosen, hingen über ihre Schulter nieder. Gewiegt von einer köstlichen Schlaffheit, zuckte Beate mit den Wimpern, als blendete sie eine lichte Vision.

Eine Tür ging. Das Parkett knarrte unter Günthers leichtem Tritt. Beate schloß die Augen. Ein blasses Rot stieg ihr in die Wangen, und die Hände auf den Seitenlehnen des Sessels zitterten leicht.

Beate und Mareile

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