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Ambrosius Tellerat liebte also Rosa, denn dieses dünkte ihn die einzige seiner würdige Beschäftigung in diesem kleinlichen Neste. Sobald Rosa sich auf der Straße zeigte, begegnete ihr Ambrosius und grüßte sie, bald mit dem höflich kalten Gruß des Weltmannes, bald mit einem innigen, vielsagenden Neigen des Kopfes. Er ging vor ihrem Fenster auf und ab und sandte ihr durch den Burschen seines Schusters einen Strauß. Was zu tun war, geschah.

Rosa freute sich natürlich ihres Triumphes; natürlich tat sie ihr Möglichstes, um Ambrosius aufzumuntern. Wenn er, sehr korrekt in einem dunklen Überzieher eingeknöpft, einen hohen, spiegelblanken Hut ein wenig schief auf dem Kopf, unter Rosas Fenster vorüberging, dann schaute sie jedesmal hinaus. Er grüßte hinauf, sie grüßte hinab, errötete – zog den Kopf vom Fenster zurück und steckte ihn gleich wieder hinaus. Ambrosius pflegte eine Weile dort stehenzubleiben. Er wiegte sich sachte in den Hüften, zog seine Manschetten weit über die Hände, die in neuen Handschuhen steckten, drehte seinen Spazierstock und blickte süß empor. Diese saubre, gepflegte Festtagserscheinung – denn einen so blanken Hut, so neue Handschuhe, so gute Kleider trug man im Städtchen nur an hohen Festtagen – diese Festtagserscheinung, die jeden Werktagsnachmittag vor Rosas Fenster stand und sie bewunderte, brachte einen großen und neuen Reiz in das Leben des Mädchens. Die selbstbewußte Kühnheit, mit der Ambrosius zu ihr emporstarrte, die gesuchten Stellungen, der Aufwand mit großen, sehr funkelnden Hemdknöpfen und breiten Manschetten, den er trieb, alles war ihr neu und anziehend; und die Sonnenstrahlen, die auf dem blanken Hut blitzten, umgaben den gefühlvollen Handlungsdiener der Firma Lanin mit einer leuchtenden Aureole.

Und mußte es nicht so sein? Mußte nicht dieses Mädchen, mit der fiebernden Phantasie und den fiebernden Sinnen seiner siebzehn Jahre, die ungeduldig über das stille bürgerliche Leben hinausdrängten, mußte es nicht allem Neuen, Ungewohnten begierig zuflattern, und war jenes Neue auch nur ein Kommis, der seinen Sonntagsrock am Werktage trug? Das Sinnen und Träumen, dem sich Rosa in einsamen Stunden gern ergab, verlor viel von seiner Unbestimmtheit. Ihre Gedanken verdichteten sich vielmehr um die eine Gestalt. Mit der naiven Umständlichkeit solcher jungen, nach Genuß verlangenden Visionäre malte sie sich Begegnungen und Zusammenkünfte mit Ambrosius aus – reiche, glänzende Kleider, die ihn in Erstaunen setzten; seltsame, unmögliche Lebenslagen, in denen sie ihm groß und bewunderungswürdig erschien. Bald war sie reich und fuhr in einer Kalesche durch die Straßen; Ambrosius stand am Wege und grüßte; sie ließ halten und sagte, mit dem nachlässigen Lächeln einer Weltdame: »Aber Herr von Tellerat; steigen Sie doch ein!« – Sie winkte dabei mit dem Fächer. Gott ja! Rosa warf ihren Kopf auf die Lehne des Stuhles zurück und schloß die Augen, diese Träume regten sie auf und erhitzten ihr Blut:

»Aber so steigen Sie doch ein, Herr von Tellerat«, flüsterte sie.

Um diese Zeit ward auch die Freundschaft mit Fräulein Sally besonders warm. Jeden Nachmittag fühlte Rosa das Bedürfnis, nach ihrer Freundin zu sehen. Saß Fräulein Sally nicht in sinnender Stellung am Fenster, so ging Rosa in den Laden, um nach ihr zu fragen. Lurch stand hinter dem Ladentisch, bleich, still, bestaubt, ganz wie er dort gestanden hatte, seit Rosa gelernt, ihn von den Fässern und Kisten zu unterscheiden. Ambrosius saß auf einer Kiste und hielt die Beine auf einer andern.

Wenn Rosa eintrat und einige unschlüssige Rebhuhnschritte im engen Raume machte, dann flog ein mattes Lächeln über Lurchs Gesicht, und Ambrosius richtete sich hastig aus seiner nachlässigen Stellung auf, zog seine Manschetten unter den Rockärmeln hervor und war ganz Salonmann. »Ah, Fräulein Herz! Gnädiges Fräulein – hm, Sie suchen wohl meine Cousine?«

»Ja, ich habe mit Sally zu sprechen.«

»Sally kommt sofort, gewiß, mein gnädiges Fräulein. Nicht wahr, Lurch? Gedulden Sie sich einen Augenblick, nehmen Sie mit unserer Klause vorlieb.«

»Oh, Herr von Tellerat, es hat keine Eile.«

»Aber Sally wird sogleich hier sein. Nehmen Sie Platz, gnädiges Fräulein. Sehr primitiv, nicht? Ja, ja, sehr arkadisch!«

Rosa setzte sich. Ambrosius stand neben ihr und führte die Unterhaltung. Rosa schlug ihre Augen voll zu ihm auf, und er blickte angestrengt in diese blauen runden Augen. Das machte für beide dieses Zusammensein zu einem bedeutungsvollen.

»Gute Augen!« pflegte Ambrosius später zu Lurch zu sagen.

»Wer? Ah, Fräulein Rosa!«

»Ja – hm – Fräulein Herz. Man muß eben verstehen, den rechten Funken aus Weiberaugen herauszuschlagen.« Ambrosius kniff die Augenlider zusammen, um die Methode anzugeben. »Verstehen muß man das, damit die Mädel einen so recht anschauen; die Augen aufschlagen und einen so plötzlich ansehen, so – wissen Sie?«

»Ja.« Lurch verstand ihn.

Den guten Herweg hatte Lanins schöner Neffe aus Rosas Herzen verdrängt. Ambrosius hatte auch viel vor Herweg voraus, nicht nur den blanken Hut und die besser gemachten Kleider, sondern auch – was mehr war – er hatte vor Herweg den festen Glauben an seine Unwiderstehlichkeit, die große, wahre Bewunderung seiner selbst voraus. Er liebte Rosa, weil er es sich so vorgenommen hatte. Aber es lag nicht in seiner Art, sich mit dem bloßen Bewußtsein gegenseitiger Liebe zu begnügen, dazu erregte das lebhafte Mädchen mit dem schönen, klugen Lächeln, der naiven Kühnheit seiner Gefallsucht, den blanken, sinnlichen Augen viel zu lebhafte Wünsche in Ambrosius' weichem Gemüte. Halb war es die brutale Lüsternheit nervöser Menschen, halb die Beharrlichkeit des Gecken, der einen jeden zur Bewunderung zwingen will.

Eines Sonntags, als Rosa am Laninschen Hause vorüberging, stürmte Fräulein Sally an das Fenster und bat Rosa, sofort hereinzukommen, sie müsse ihren Rat einholen.

Rosa fand den Laninschen Salon in sonntäglicher Ruhe und Ordnung. Auf den Tischen lagen schwarze Andachtsbücher, die Möbel hatten sich der weißen Überzüge entledigt und prangten im Vollglanz des roten Manchesters. Der starke Duft der Sonntagskohlsuppe erfüllte das Gemach, und Fräulein Sally stand in dieser Atmosphäre fröhlich und unbefangen, als wäre das ihr Element. Sie hatte heute die Trauer um den Onkel abgelegt und trug ein nettes weißes Kleid, das bei jedem Schritt angenehm knisterte, als wäre Fräulein Sally ein Papierkorb.

»Ah, da bist du ja!« rief sie Rosa entgegen. »Der Cousin und ich – wir beraten uns hier eben über das Fest.«

Ein stolzes Lächeln umspielte Fräulein Sallys Lippen. Ambrosius begrüßte Rosa mit einer hübschen Verbeugung und streckte sich dann wieder nachlässig in seinem Sessel aus. Rosa vermochte nur »Ah, wirklich!« zu erwidern.

»Ja, morgen – du weißt«, sagte Fräulein Sally. »Setz dich, mein Herz. Es kommt nämlich darauf an –« sie rieb sich geschäftig das Knie und schaute ihren Vetter an.

»Ja«, versetzte dieser und lächelte gutmütig, »es kommt darauf an, wie man dieses – hm – dieses kleine Fest, diesen kleinen gemütlichen Tanzabend, eigentlich thé dansant, gehörig arrangiert. Nun, ich – wenn die Damen meine Meinung hören wollen, ich –« Er schwieg und blies den Rauch seiner Zigarette durch die Nase.

Die beiden Mädchen sahen ihn gespannt an, als aber nichts erfolgte, ergriff Fräulein Sally wieder das Wort: »Die Treppe muß geschmückt werden.«

»Das kann nichts schaden«, meinte Ambrosius.

»Ja, Pflanzen – tropische Pflanzen«, fuhr Fräulein Sally fort. »Ich habe vier Myrthenstöcke, du, Rosa, hast einen Geranium. Gott, es findet sich schon.«

»Vielleicht könnte man auch in den Salon Blumen stellen?« schaltete Rosa ein.

Fräulein Sally war unschlüssig, Ambrosius begeisterte sich aber für diesen Gedanken. »Gewiß, Gruppen, warum nicht? Sehr gut – hm – Gruppen.«

»Gut also.« Fräulein Sally fuhr mit der Hand über ihr Knie, zum Zeichen, daß dieser Punkt abgetan sei. »Wir kommen jetzt zu den Erfrischungen. Zum Beginn Kaffee, natürlich. Ich habe mir gedacht, ein Viertel Zichorie, und so – du weißt? Während des Tanzes werden Butterbrote gereicht. Vielleicht – vielleicht erlaubt es der Papa, die Pariser anzuschneiden, das wäre himmlisch!« Fräulein Sally zählte alle Genüsse des Festes eifrig auf. Sie verstand es, den gewöhnlichsten Dingen einen Nimbus des Großartigen und Vornehmen zu geben, nur durch die Art, in der sie von ihnen sprach.

Ambrosius gab auch Ratschläge in seiner nachlässigen, mitleidigen Weise. Seine Pläne zeichneten sich jedoch durch zu große Überschwänglichkeit aus. So wollte er im Damenzimmer ein Zelt aus Seidengaze aufschlagen und es mit bunten Lampen erleuchten.

Fräulein Sally war dem nicht ganz abgeneigt; sie meinte, man könne dazu die baumwollenen Bettvorhänge ihrer Mutter und die Speisezimmerlampe verwenden.

Rosa machte hin und wieder auch einen Vorschlag, den Fräulein Sally gewöhnlich bekämpfte und den Ambrosius warm vertrat.

Es dämmerte; die Ecken des Gemaches wurden ganz finster, nur in der Nähe des Fensters lag noch ein unsicheres Licht.

Fräulein Sally sprach eifrig, die beiden andren waren einsilbig. Nur selten schaltete Ambrosius ein »Hm« oder einen zusammenhanglosen Satz ein. Er war mit anderen Dingen beschäftigt. Vorsichtig hatte er Rosas Hand ergriffen und hielt nun dieses willenlose, warme kleine Ding, legte es dann wieder fort, um eine sehr heiße Wange zu streifen.

Fräulein Sally war bei ihrer Toilette angelangt. »Nicht wahr, denkst du nicht auch?« wandte sie sich an ihre Freundin, die nur ein heiseres »Ja« verlauten ließ. Fräulein Sally wunderte sich nicht darüber. Sie wußte, ein hübsches Kleid war für Rosa ein unliebsames Thema. Natürlich, sie hatte ja nur das weiße Musselinkleid, das sie schon zu ihrer Einsegnung getragen, das arme Mädchen.

Der Mond kam plötzlich über dem Giebel des gegenüberliegenden Hauses zum Vorschein und zeichnete das Fensterkreuz auf den Estrich, groß und schwarz auf goldenem Grunde. Alle schwiegen. Fräulein Sally neigte das Köpfchen und blickte zum Fenster hinüber. Rosa rückte ihren Stuhl in den Mondschein hinein und saß still und feierlich da; sie fühlte, sie sei schön. Ambrosius starrte sie, rot vor Erregung, an; auch Fräulein Sally konnte ihre Bewunderung dieser blonden, mondbeglänzten Gestalt nicht versagen; um auch ihren Teil an dieser Schönheit zu haben, beugte sie sich an Rosa heran, legte die braunen Löckchen an die blonden Zöpfe und sagte zärtlich: »Mein liebes, liebes Herz!«

»Es ist spät«, versetzte Rosa ernst und gerührt, wie es Mädchen zu sein pflegen, die sich gerade schön wissen. Sie erhob sich, um heimzugehen. Das Mondlicht war so hell, daß es fast wie Tageslicht über dem Städtchen lag. Ein bläulicher Glanz erfüllte die Luft und blitzte auf den Fensterscheiben. Rosa ging langsam ihre Wege, sah in die Mondscheibe und atmete hastig und tief, als ließe sich das Licht trinken. Mitten auf dem Marktplatz stand der Apotheker und hielt seine Uhr gegen den Mond, um zu sehen, wie spät es sei. Aus dem Fenster eines Erdgeschosses beugte sich eine Dienstmagd heraus und legte ihre mächtigen nackten Arme vor sich auf das Fensterbrett, um sie in der Abendluft zu kühlen, neben ihr saß ein Bursche und hielt mit beiden Händen des Mädchens dicke, rote Backen. In einem Winkel zwischen zwei Häusern stand die Trödlerstochter Ida Wulf mit ihrem Schusterbuben. Sie drängten sich aneinander und kicherten.

Rosa hörte eilige Schritte hinter sich und blieb stehen. Ambrosius war es, außer Atem und sehr erregt: »Oh! Fräulein Herz, gnädiges Fräulein, gehen Sie schon heim?«

»Ja, es ist spät«, erwiderte Rosa und begann mit kleinen Schritten weiterzugehen.

»Ja! – hm – Oh, gnädiges Fräulein, ich wollte nur... ich muß. Sie sind mein Ideal; gewiß, mein Ideal!« Nun ward er feurig: »Vorhin – im Mondschein, Sie waren zu schön. Ich muß es Ihnen sagen. – Seien Sie nicht grausam, Sie sind ein Engel – hm – mein Engel.« – Rosa war bestürzt, dennoch kam ihr der Gedanke: »Jetzt ist der Augenblick gekommen, so muß es sein! Jetzt muß etwas geschehen, und wenn du nichts sagst und nichts tust, dann ist es vorüber.« Aber sie sagte und tat nichts.

»Müssen Sie wirklich nach Hause?« fragte Ambrosius schmelzend.

»Ja, mein Vater erwartet mich.«

»Wir müssen also scheiden. Geben Sie mir Ihre Hand, o Liebe!« Ambrosius nahm Rosas Hand, dann Rosa selbst und küßte ihre Lippen, dann ließ er sie los. Schweigend und zitternd standen sich beide gegenüber. Schritte wurden hörbar. »Auf Wiedersehn«, flüsterte Ambrosius, »mein Ideal« – und hastig fuhren sie auseinander.

An der Treppe der Herzschen Wohnung fand Rosa Ida Wulf. Das Judenmädchen richtete seine schwarzen Augen forschend auf Rosa und lächelte ein altes, überlegenes Lächeln.

»Nun, Ida, was treibst du?« fragte Rosa.

»Nichts, Fräulein Rosa. Schön ist es heute.« Rosa nickte. »Fräulein Rosa«, fuhr Ida leise fort und legte zwei magere braune Hände auf Rosas Arm. »Dieser junge Herr bei Lanins, der ist schön, nicht? Ich bin auch verliebt in ihn.« Rosa schlug die Augen nieder und sagte unsicher: »Du solltest um diese Zeit schon zu Bette sein, Ida.«

Das Judenmädchen lachte. »Nein! Ich bleibe lange draußen. Aber Fräulein Rosa, ich kenne viele, viele Stellen, wo man zusammen sein kann. Sie wissen, Fräulein Rosa, so allein. Der Peter, Sie wissen, Fräulein Rosa, der garstige Schusterbub und ich, wir wissen alle solche Stellen. Soll ich sie Ihnen zeigen, Fräulein Rosa?« Dabei nahm Ida einen von Rosas Zöpfen und wog ihn in der flachen Hand. »Wozu?« erwiderte Rosa. »Was machst du denn dort mit dem Schusterbuben?« fügte sie hinzu und blickte über das Judenmädchen hinweg.

»Wo?« fragte Ida ernst.

»Nun – an – an jenen Stellen«

»Oh, der Peter!« kicherte Ida, »wie der garstig ist – das kann ich Ihnen gar nicht sagen, Fräulein Rosa.« Mit diesen Worten lief Ida davon. Rosa stand noch einen Augenblick sinnend an der Treppe und hörte die schweren Schuhe des Judenmädchens die Straße hinabklappern.

Fräulein Rosa Herz

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