Читать книгу Franzi und die Ponys - Band I - Eike Ruckenbrod - Страница 4

Der Ponyhof Triptrab Der Ponyhof Triptrab

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Franzis Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Warum immer ich?“, zischte sie durch die Zähne und pfefferte den Zackenstriegel in die Putzkiste, die vor ihr auf dem Boden stand. Staub und Pferdehaare wirbelten daraus hervor. Wütend knallte sie den Deckel zu. Vinur zuckte kurz zusammen. Wieder hatte Margarete Knoll sie zum Fegen verdonnert. Gerade jetzt, wo langsam die ursprüngliche Fellfarbe von Vinur unter den Dreckkrusten zum Vorschein kam, und sie mit ihm eine schwierige Bahnfigur auf dem Reitplatz üben wollte. Für ihre Begriffe hatte sie heute schon mehr als genug geschuftet.

Beruhigend streichelte sie dem Wallach über sein isabellfarbenes Fell. Auch seine Mähne und sein Schweif waren gelbbraun. „Sorry, du kannst ja nichts dafür.“

Vinur war eines von fünfundzwanzig temperamentvollen Schulpferden, die hier auf dem Island–Ponyhof Triptrab lebten. Franzi verbrachte schon zwei Wochen hier als Praktikantin. Sie hatte sich so auf das Praktikum gefreut, stellte aber gleich am Anfang fest, dass es kein Vergnügen war und körperlich sehr anstrengend.

In ihrer Vorstellung mistete sie ab und zu einen oder zwei Ställe aus, putzte die Ponys, galoppierte auf unendlich langen Wiesenwegen, lernte noch mehr vom Umgang, dem Reiten und der Zucht von Islandponys, und bekam dafür auch noch Geld. Und das sechs wundervolle Wochen lang. Aber die bittere Wirklichkeit sah leider anders aus, denn spätestens um 6:30 Uhr musste sie im Stall sein und füttern.

Ab 7:30 Uhr gab es im Speisesaal Frühstück, danach musste sie die Isländer auf verschiedene Weiden verteilen.

Während die Ponys sich das Gras schmecken ließen, hatte Franzi die „schöne“ Aufgabe, mit Olli die geräumigen Laufställe auszumisten. Das verabscheute sie besonders, da es kein Ende nehmen wollte. Olli war der Auszubildende von Frau Knoll. Franzi fand ihn doof, wenn er sich über sie lustig machte oder äußerst peinliche Witze zum Besten gab, und das war oft, aber sonst war er ganz in Ordnung. Auf jeden Fall sah er super aus: Lustige Locken umschmeichelten sein braungebranntes Gesicht mit den ausdrucksvollsten Augen, die Franzi je gesehen hatte. Von seinen muskulösen Oberarmen ganz zu schweigen.

Wahrscheinlich vom vielen Ausmisten, vermutete Franzi, als sie mitbekam, wie viel Arbeit die Ponys bereiteten.

Franzis lange, schlanke Beine steckten entweder in Reithosen oder in Jeans. Meistens trug sie ihr schulterlanges Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Ihre grünen Augen blitzten voll Abenteuerlust, außer wenn sie gerade sauer war, dann färbten sie sich dunkel. Ein paar unauffällige Sommersprossen zierten ihr hübsches Gesicht.

Außer Olli und Franzi gab es noch eine, für die Jugendlichen, alte Dame: Margarete Knoll, 58 Jahre, grauhaarig, klein und drahtig. Sie war die strenge, pingelige Besitzerin des Ponyhofes und hatte immer etwas zu meckern. Außerdem legte sie größten Wert auf Sauberkeit und nirgends durfte ein Halm Stroh oder Heu herumliegen. Ihr ständiger Begleiter war Kunibert, ein kleiner, zotteliger Yorkshire-Terrier, der immer aufgeregt kläffte, besonders wenn sie wie ein Feldwebel herumkommandierte.

Zurzeit nahmen zwanzig Mädchen an der Reitfreizeit teil. Sie schliefen oben auf dem Dachboden mit Schlafsäcken auf Matratzen. Zehn der 7-13-Jährigen waren in Franzis Gruppe und zehn in Ollis. Franzi gefiel es nicht, wie unsensibel Olli mit den Isländern umging. Er ritt mit harter Hand und Sporen, die er auch kräftig einsetzte.

Von 10 bis 12 Uhr fand der Reitunterricht statt. Franzi überlegte sich lustige Übungen, um den Mädchen spielerisch das Reiten und den Umgang mit den Ponys beizubringen. Danach durften diese wieder auf die Weiden und die Mädchen aßen zu Mittag. Vladka, die dicke, kroatische Köchin, kochte meistens Nudeln mit Soße, weil das fast alle Kinder gerne aßen und es schnell sättigte.

Nach dem Essen hatten die Mädchen bis um 14:30 Uhr Freizeit, danach folgte eine Stunde Theorie und eine Stunde Reiten. Margarete Knoll bestand darauf, die Unterrichtsstunden mit Franzi und Olli zu besprechen, denn sie hatte ihre eigenen Ansichten über Pferdehaltung und das Reiten. „Gute alte Schule“, nannte sie ihre Weisheiten. Franzi war oft anderer Meinung als ihre Chefin, wagte aber nicht zu widersprechen.

Auf dem Hof herrschte ein Ton, wie auf dem Kasernengelände. Frau Knoll, immer in Reithose mit Bundfalten und polierten Stiefeln bekleidet, marschierte mit harten Schritten durch den Stall. In ihrer Hand trug sie eine kurze Springpeitsche, mit der sie ständig herumfuchtelte, um ihre Befehle zu unterstreichen. Franzi wunderte sich, warum viele der Mädchen immer wieder kamen. Sie selbst fühlte sich nicht besonders wohl hier. Aber gelernt hatte sie hier schon so manches über Islandponys.

Die Einwohner Islands legten zwar großen Wert darauf, dass man ihre Kleinpferderasse als Pferde und nicht als Ponys betitelte, aber hier auf Triptrab waren es Islandponys. Und diese wurden vor dem Abendessen in zwei luft- und lichtdurchfluteten Laufställe getrieben, um von Olli gefüttert zu werden. Die Laufställe waren so groß, dass in einem um die fünfzehn Ponys darin ausreichend Platz fanden und hin und her laufen konnten. Außerdem warf Frau Knoll jeden Abend einen Kontrollblick über die Herde, um Verletzungen oder Krankheiten rechtzeitig zu erkennen. Obwohl die Isländer sehr robuste und gesunde Ponys waren, konnte sich im Herdengerangel immer eines verletzen. Über Nacht blieben sie dann im geräumigen Laufstall und die Hengste wurden einzeln in Boxen untergebracht.

Franzi war zu dieser Zeit mit ihren Kräften am Ende. Sobald Olli außer Sichtweite war, schmiss sie sich stöhnend ins Heu und beobachtete die knuffigen Isländer. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung und sie lernte viel vom Herdenverhalten der Ponys. Schon bald erkannte sie, dass Rafi, ein kräftiger Rappwallach, der Chef des einen Laufstalles war. Sobald er kam, wichen ihm die anderen Ponys aus. Falls sie nicht wichen, legte er die Ohren an und griff, falls nötig, auch an. Er war der Erste, der ans Heu ging und er bestimmte, wer mit ihm fressen durfte. Meistens handelte es sich um seine Lieblingsstute Blika. Die hellbraune Stute mit der länglichen Blesse hatte einen freundlichen Charakter. Sie war mutig und sprang zuverlässig.

Erst wenn Rafi satt war, ließ er die anderen zum Futter. Er verweilte solange am Ausgang des Stalls und genoss die letzten Sonnenstrahlen.

Franzi liebte es, bewegungslos im duftenden Heu zu liegen und dem malmenden Geräusch der kauenden Ponys zu lauschen. Wenn sie sich nur ein bisschen bewegte, schmerzten ihre Arme und Beine vor Muskelkater. Diese Stunden am Abend im Heu entschädigten sie für die ganzen Mühen am Tag.

Die ersten Tage war sie oft so verzweifelt, einsam und kaputt gewesen, dass sie am liebsten nach Hause gefahren wäre. Aber ihr Stolz, Ehrgeiz und vor allem die Liebe zu den süßen Isis hielten sie auf dem Hof.

Abends wurden die Mädchen von Margarete Knoll beaufsichtigt. Diese saß in einer Ecke des Schlafsaales, die sie mit einer Wolldecke abgetrennt hatte, und las Zeitung. Eine 15-Watt-Birne schenkte ihr schummriges Licht. Sobald ein Kind ein Wort sagte, nachdem um 20 Uhr das Licht aus war, bekam es Reitverbot. Das war eine harte Strafe und so kehrte schnell Ruhe in den großen Raum ein.

Wenn Franzi gegen 20:30 Uhr an der Tür vorbei schlich, war außer einem gleichmäßigen Atmen und das Rascheln der Schlafsäcke nichts mehr zu hören. Ihre Kammer, in der ein Bett, eine Kommode, ein kleiner Tisch und zwei Hocker standen, befand sich neben dem Schlafsaal der Mädchen.

Jedes Mal, wenn sie Kammertür öffnete, umspielte ein zartes Lächeln ihre Lippen, da sie der Geruch an den Speicher ihrer Oma erinnerte. Voll Zärtlichkeit dachte sie dann an diese. Das wohlige Gefühl ließ sie für einen Moment alles um sie herum vergessen.

Ein Dachfenster erhellte den kleinen Raum mit den schrägen Wänden. Aber diese hatten es in sich: Wenn sie in Gedanken versunken vom Hocker aufstand, schlug sie sich fast jedes Mal den Kopf an der Schräge an. Sie fluchte und schimpfte über ihre Dussligkeit, während sie fest über die schmerzende Stelle rieb. Trotzdem liebte sie diese kleine Kammer. Hier hatte sie Ruhe vor den lärmenden Mädchen, Olli und Frau Knoll. Mindestens dreißig Pferdeposter und

-postkarten zierten die Wände, für die sie zu Hause keinen Platz mehr gefunden hatte, damit es etwas gemütlicher wurde. Unter der schweren Daunendecke streckte Luvana, ihr flauschiges Plüschfohlen, seine Samtnüstern in die Luft.

Franzi hatte das Gefühl, dass Frau Knoll sie nicht besonders mochte, Olli beachtete sie nur, wenn er jemanden zum Ärgern suchte und die Mädchen nervten mit ihren Albernheiten.

Die ersten Tage wäre Franzi fast ausgerastet, denn es waren jeden Abend Knoten in ihren Schlafanzugärmeln, in den Socken steckte Seife, die Zahnpasta schmeckte nach Salz, auf ihrem Hocker klebte irgendein glibberiges Zeug und die Türklinke verschwand unter einer Rasierschaum-Haube.

Die Übeltäter versteckten sich hinter der Tür und lachten sich kaputt. Wiebke, Frau Knolls rothaarige, 12-jährige Nichte, war besonders nervend und dachte sich immer neue Gemeinheiten aus. Franzi konnte überhaupt nicht darüber lachen und ärgerte sich, was den Mädchen natürlich besonders gut gefiel.

Nachdem Franzi endlich mit der Stallarbeit und dem Fegen fertig war, war es erstens, viel zu spät zum Reiten und zweitens, war sie zu erschöpft. Sie aß statt dessen im Speisesaal drei dick belegte Brote und eine Tomate.

So gestärkt schleppte sie sich die Stufen hinauf in ihre Kammer. Sie wollte mal wieder in aller Ruhe lesen.

Franzi verschlang alle Bücher, die mit Pferden und Ponys zu tun hatten. Sie hatte schon Mühe noch eines zu ergattern, das sie noch nicht kannte.

Aufmerksam blickte sie sich um. Heute Abend entdeckte sie nichts Verdächtiges. Erschlagen ließ sie sich auf ihr quietschendes Bett fallen. Ein paar Minuten lag sie mit geschlossenen Augen regungslos da, dann angelte sie ein Buch vom Tisch, das die Arbeit eines Pferdeflüsterers beschrieb. Dieses Buch faszinierte sie besonders, da sich der Pferdetrainer ohne Worte mit seinem Pferd verständigte, daher kam der Ausdruck Pferdeflüstern. Bei dieser Art von Unterhaltung sprach man nicht mit der Stimme, sondern mit dem Körper. So arbeitete er am Boden mit dem Pferd, um den Respekt, die Aufmerksamkeit und das Vertrauen zu erlangen. Erst als er dies durch verschiedene Rangordnungsspiele zu gleichen Teilen erworben hatte, setzte er sich auf den Rücken des Pferdes. Und zwar ohne Sattel und Zaumzeug, nur die Körpersprache gab dem Pferd eindeutige Signale, die es meistens willig befolgte. Als Unterstützung benutzte er einen Stock, um, falls nötig, Druck aufzubauen. Je nachdem wie ranghoch das Tier war, konnte die Unterordnung länger dauern. Der Mensch wurde zum Leittier.

Wie faszinierend – unglaublich, das möchte ich auch lernen, nahm sich Franzi begeistert vor, schloss die Augen und träumte: Es war Nacht, keine Wolke trübte das fahle Mondlicht. Ein Käuzchen schrie. Franzi ritt Rafi ohne Sattel und Zaumzeug. Es schien, als ob das Pony ihre Gedanken lesen könnte. Zu einem Körper verschmolzen, galoppierten sie durch den Wald und über die Wiesen.

Frau Knoll war zu dieser Zeit gerade mit Kuni unterwegs, als sie die beiden den Waldrand entlang reiten sah. Die alte Dame traute ihren Augen nicht. Hastig suchte sie nach ihrer Brille und setzte sie auf ihre große Nase. Tatsächlich, sie hatte sich nicht getäuscht, das Mädchen ritt Rafi ohne Sattel und Zaumzeug. Franzi entdeckte sie, winkte und galoppierte rasant auf die Hofbesitzerin zu. Frau Knoll wich einen Schritt zur Seite. Franzi entspannte sich, Rafi fiel in Tölt und sie ritten Volten und Schlangenlinien um die erstaunte Dame, deren aufgerissene Augen hinter der Brille riesig wirkten. Als Abschluss knickte Rafi mit einem Vorderbein ein und verbeugte sich ins Kompliment. Begeistert klatschte und lobte sie die Hofbesitzerin. Sie versprach ein großes Fest zu geben, auf dem Franzi allen Leuten demonstrieren sollte, was sie und Rafi konnten. Margarete Knolls harte Gesichtszüge glätteten sich. Sie trug ein wunderschönes, weißes, wallendes Kleid. Silberne Locken fielen auf ihre mageren Schultern. Kuni wedelte freundlich mit dem Schwänzchen. In dem weißen Band, das er um den Hals trug, spiegelte sich das Mondlicht. Stolz glitt Franzi von Rafis Rücken und schwebte in Richtung Stall. Der Wallach folgte ihr, ohne zu zögern. Als sie die Stalltür öffnete, standen die Mädchen und Olli in Schlafanzügen da und klatschten. Sie hatten alles beobachtet. Eine wohlige Wärme umhüllte Franzis Herz. Ihr größtes Ziel war es nun, selbst einmal ein Pferdeflüsterer zu sein.

Sie liebte es, zu träumen und nicht mehr an den Muskelkater, die offenen Wasserblasen an ihren Händen und das gemeine Gesicht ihrer Chefin denken zu müssen.

Franzi und die Ponys - Band I

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