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Kapitel 3
ОглавлениеMein Retter war da anders. Er, also mein Retter, tauchte an dem bewussten Tag genau dort auf, wohin mich meine Füße gerade noch hingetragen haben und das war ausgerechnet der Spielplatz zwischen den Häusern 1 und 2 in der Zugspitzstraße in Wolfratshausen. Sie merken schon, jetzt geht es darum, dass Sie erfahren, wie das alles angefangen hat. Falls Sie nicht wissen sollten, wo dieses Wolfratshausen liegt, machen Sie sich am besten erst einmal schlau. Ich erzähle währenddessen schon mal weiter: Einige Stunden bevor ich auf meinen Retter traf, hatte ich versucht, es meinen Geschwistern nachzumachen und war aus dem Nest geflogen. Klar, ja? Ich bin eine Krähe, schlüpfe als solche in einem Nest aus einem Ei. Das Ei befindet sich in einem Nest. Das Nest befindet sich in einem Baum und aus diesem Nest bin ich an diesem bewussten Tag heruntergeflogen. Also, aus heutiger Sicht würde ich sagen, von ‚fliegen’ im eigentlichen Sinne des Wortes konnte da noch nicht die Rede sein und von denen im anderen Sinne erst recht nicht, obwohl die das erste ja auch können. Deshalb kann ich wohl froh sein, einigermaßen unversehrt auf dem Boden gelandet zu sein. Immerhin bin ich schon einmal gelandet und zwar heile. Nur weg kam ich von diesem Boden eben noch nicht wieder, also musste ich laufen und gelaufen bin ich nun einmal zu diesem kleinen Spielplatz in dieser seltsamen Zugspitzstraße in diesem seltsamen Städtchen an der Loisach, dass sich Wolfratshausen nennt, wo mein Retter versuchte, mit seiner kleinen Enkelin Julia Sandtürmchen zu bauen. Obwohl ich es vorgezogen hatte, mich so unauffällig wie möglich hinter einem dieser kleinen Holzhäuschen zu verkriechen, die den Spielplatz schmückten, dauerte es nicht lange, bis mein Retter mich entdeckt hatte. Mir war das offen gesagt eher ein wenig unangenehm. Schließlich bin ich ein Vogel und Vögel können nun einmal fliegen. Soviel immerhin hatte ich vom Vogelleben bereits begriffen. Meine Eltern hatten es mir schließlich vorgemacht, wieder und wieder und meine Geschwister...., na ja, das wissen sie ja schon. Ich denke mal, Sie werden verstehen, dass es mir ein weinig peinlich war, jetzt hier zu hocken auf diesem kleinen Spielplatz in dieser seltsamen Zugspitzstraße, zwar mit beiden Beinen auf dem Boden, aber eben mit wenig Erfahrung im Fliegen. Mein Retter hat da zum Glück gar nicht drauf rumgehackt, obwohl, oder gerade weil es für euch Menschen, wie ich heute weiß, geradezu ein Kompliment darstellt, wenn jemand behauptet, ihr stündet mit beiden Beinen auf der Erde. Im Gegenteil. Er hat mit mir geredet, als ob es ganz normal sei, dass ein Vogel so rumhockt und sich auf zwei Beinen bewegt. Seine Enkelin, das Julchen, war auch ganz nett. Sie hat so getan, als ob es auch für Krähen völlig ok sei, zu Fuß zu gehen. Irgendwie hatte sie das anscheinend selber gerade gelernt und fand entsprechend nichts dabei, dass ich mich so ähnlich fortbewegte. Das mag Ihnen jetzt alles ziemlich banal vorkommen. Aber um zu verstehen, wie es zu diesem entsetzlichen Drama kommen konnte, ist es wichtig, dass Sie die Vorgeschichte kennen und die nahm von jetzt ab ihren Lauf.
Sie können sich das sicher schon denken, mein Retter und seine Enkelin waren mir auf Anhieb sympathisch. Das lag vor allem daran, dass mein Retter auch ein rotes Bein hat, genau wie wir Vögel, nur eben etwas größer und auch nur einseitig. Aber damals – und ja, ich war noch sehr jung und unerfahren – hat mich der Mensch mit dem roten Bein irgendwie neugierig gemacht. Ich beschloss daher, mich bei ihm und seiner Enkelin einfach mal anzuhängen. Was genau ich mir davon erhofft habe, kann ich heute gar nicht mehr so genau sagen. Aber ich denke mal, ganz so abwegig ist das schließlich auch nicht. Immerhin waren nicht alle Artgenossen meines Retters allzu gut auf „Raben“ zu sprechen. Irgendwie sind wir denen, also euch Menschen, wohl zu schwarz. Das ist jetzt nicht politisch gemeint, schließlich sind wir nicht nur schwarz, sondern haben auch noch rote Schnäbel und Beine, also insgesamt gesehen sind wir politisch eher ausgewogen – mit ein bisschen mehr schwarz vielleicht, dafür aber kein braun. Ja, ok, grün und gelb auch nicht so, und das mit dem rot, nun ja, aber ich denke, dass mit der Antipathie der Menschen ist sowieso nicht so sehr politisch zu erklären, das ist mehr ein kulturelles Problem. Ihr haltet uns Krähen für Raben. Raben sind Vögel, die für die meisten Menschen etwas mit dem Tod zu tun haben, nicht wahr? Das sind die Nachwehen uralter Geschichten, die mit der Walhalla und ähnlichen Schauergeschichten und damit zu tun haben, dass die christlichen Mönche den Menschen im Norden, ihre alten Überzeugungen austreiben wollten. Das ist natürlich alles Hokuspokus, aber wer will das schon wissen. Mein Retter war da definitiv anders gepolt. Dem war ich genauso sympathisch, wie er mir. So was merkt man einfach. Also bin ich einfach mal hinter ihm her gewackelt, als er sich mit seiner Enkelin auf den Weg nach hause gemacht hat. Das war zum Glück nicht allzu weit weg. Ich brauchte nur an der Lärmschutzwand entlang zu laufen und schon war ich in dem Garten, in dem mein Retter verschwunden war. Eigentlich wollte ich ihm auch noch in die Wohnung folgen, in der er verschwunden war, aber da habe ich erstmals erlebt, dass Menschen sich gern hinter Glastüren verbergen. Das hat ein klein bisschen weh getan, war aber nicht sooo schlimm, weil ich ja nun mal zu Fuß unterwegs war. Also habe ich es mir im Garten bequem gemacht. Irgendwann würde er sich schon wieder blicken lassen – mein Retter, meine ich. Aber das dauerte. Meine eigenen Eltern beäugten das Geschehen übrigens die ganze Zeit über mit ziemlich gemischten Gefühlen aus der Luft. Ständig flogen sie über mir herum und versuchten mir zu erklären, dass ich mich einfach verhalten sollte wie eine normale Krähe. Wenn das so einfach gewesen wäre, hätte ich es gemacht, aber damals war es eben nicht so einfach. Ich fand die ständigen guten Ratschläge zwar ziemlich nervig, versuchte aber mein Bestes. Bei der Gelegenheit musste ich dann auch gleich die Erfahrung sammeln, dass elterliche Ratschläge nicht immer so gut sind, wie sie gemeint sind. In meinem Fall hätten sie mich um ein Haar sogar das Leben gekostet. Das lag daran, dass ich bei den kläglichen und vergeblichen Flugversuchen irgendwie in den Garten des Nachbarn meines Retters gelangt bin. Ich weiß selber nicht, wie das passieren konnte, aber dass es so war, das habe ich daran gemerkt, dass eine mir völlig fremde Stimme mit großem Geschrei ein anderes schwarzes Wesen davon abzuhalten versuchte, sich gnadenlos auf mich zu stürzen. Dieses andere schwarze Wesen konnte auch nicht fliegen, bewegte sich seltsamerweise auf vier Beinen und war - wie ich heute weiß - ein Hund, genauer gesagt ein Labrador, aber das ist eigentlich nicht so wichtig. Jedenfalls ein ziemlich großer Hund aber außerdem und glücklicherweise ein Hund, der gelernt hatte zu gehorchen. „Gehorchen“ das ist etwas, wie ich inzwischen weiß, was für euch Menschen, bei denen die Hunde wohnen etwas ganz Wichtiges ist. Merkwürdigerweise versucht ihr das bei Katzen nicht. Aber davon später. Das Dumme war nur, dass dieser Köter das nicht gleich einsehen wollte und das machte ihn so aggressiv, dass sein Frauchen richtig Mühe hatte, ihn zurück zu ziehen. Aber zum Glück ist ja nichts passiert. Die Frau mit dem Hund hatte erfreulicherweise kein Interesse daran, die Situation eskalieren zu lassen und zog es deshalb vor, den Gang zwischen der Wand und der Hütte mit einer Schubkarre zu versperren. Also, ich will mich nicht größer machen als ich bin. Ehrlich gesagt hatte ich da schon ziemlich Schiss und es hat einige Zeit gedauert, bis mein Panikanfall wieder vorbei war. Die Frau hat den Hund dann in der Wohnung eingesperrt und gewartet, bis mein Retter wieder auftauchte. Der Ausdruck Retter stammt übrigens nicht von mir. So haben ihn seine Verwandten genannt, weil er sich um mich gekümmert hat. Das sollte so eine Art Wortwitz sein. Mein Retter hatte damals eine Entzündung am Bein und wurde deshalb mit Retterspitz behandelt. Ja, war halt so. Was soll ich sagen. Menschen können tatsächlich ziemlich peinlich sein. Aber wem sage ich das? Was die Rückkehr meines Retters anbetraf, so dauerte das und ich muss ehrlich sagen, dass die Aufregung mit diesem schwarzen Biest nicht eben dazu geführt hatte, dass es mir wirklich besser ging. Vor allem hatte ich nun langsam so richtig Hunger. Bisher, also als ich noch im Nest saß, hatten sich ja meine Eltern darum gekümmert, dass ich nicht hungern musste. Schön, ich habe mich auch da schon immer ein bisschen nach der Decke strecken müssen, weil mein älterer Bruder meistens ein ganz klein bisschen schneller war, wenn es um die Verteilung ging. Aber Hungerleiden musste ich deswegen natürlich nie. Das war jetzt anders. Seit meinem unrühmlichen Abflug aus dem Nest hatte ich definitiv nichts mehr in den Magen bekommen und das war genauso definitiv nicht so schön. Die ständige Herumlauferei hatte es auch nicht besser gemacht und die Aufregung mit dem blöden Köter natürlich ebenfalls nicht. Dazu kam, dass weit und breit nichts in Sicht war, was nach etwas Essbarem aussah. Ich habe zwar mal hier und da herumgepickt, aber das Ergebnis war immer gleich. Nichts, niente, ne rien, nothing, nitschewo, wie auch immer. Aus meinem Versteck herausgetraut habe ich mich natürlich auch nicht, wegen des Köters eben. Also hieß es Kohldampf schieben. Irgendwann ist mir das dann auch zu langweilig geworden und ich habe versucht, wieder in den Garten meines Retters zu kommen. Das war auch leichter gesagt als getan. Schließlich hatte ich mich zwischen Hütte, Lärmschutzwand und Zaun so verheddert, dass ich nicht mehr weiter wusste. Ein Unglück kommt selten allein und das meinige näherte sich ausgerechnet in dem Moment in Gestalt eines anderen Vierbeiners. Das Viech war deutlich kleiner als der schwarze Hund, machte auch nicht soviel Radau wie der Hund und schaffte es trotzdem, mir einen gehörigen Schrecken einzujagen. Es näherte sich ganz langsam auf leisen Pfoten und war ganz offensichtlich ebenfalls hungrig. Wir hätten natürlich versuchen können, uns gegenseitig zu verspeisen, aber das schien mir offen gesagt nicht sehr verlockend, in keiner Weise. Also habe ich eigentlich nur versucht, mich klein zu machen. Aber das hat selbstverständlich nichts gebracht. Als nächstes habe ich darauf gehofft, dass die Frau mit dem Hund wieder auftaucht, und die Katze zurückpfeift. Aber die Frau kam nicht. Zum Glück wusste ich damals noch nicht, dass ausgerechnet Katzen nicht zu der Sorte von „Haustieren“ gehören, denen ihr Menschen versucht Gehorsam einzuimpfen. Dass das den Katzen im Vergleich zu den Hunden ziemlich viele Freiräume eröffnet, konnte ich damals ebenfalls noch nicht wissen, begann es aber mit jedem Schritt zu ahnen, den das braune Untier näher kam. Innerlich hatte ich schon mit meinem Leben abgeschlossen. Einen Moment lang habe ich immerhin überlegt, ob es Sinn machen könnte, mich mit dem fresslustigen Biest anzulegen. Noch bevor ich zu einer abschließenden Entscheidung in dieser Schlüsselfrage meiner Existenz gelangt war, wurde ich ihrer schon wieder entbunden. Mein Retter war wieder aufgetaucht. Wie aus dem Nichts, tauchte er plötzlich im Garten auf und inspizierte dort etwas, was ich nicht erkennen konnte, da ich ja immer noch eingeklemmt war zwischen dem Biokomposter, dem Gartenzaun, der Lärmschutzwand und der Hütte. Im gleichen Moment konnte ich aufatmen, denn ich hatte ein Problem weniger. Die blöde Katze hatte sich beim Auftauchen meines Retters unverzüglich verzogen. Die Sympathiewerte meines Retters stiegen schon in dem Moment nochmals deutlich, auch wenn ich noch nicht begriffen hatte, dass ich es war, wonach er suchte. Aber noch bevor ich dazu kam, mich mit einem deutlichen Krächzen bemerkbar zu machen, tauchte bereits das nächste Problem auf. Die Frau von Nebenan, die Frau mit dem Hund, die Frau, in deren Garten ich immer noch fest saß, diese Frau tauchte ebenfalls auf und dazu gleich auch noch deren Mann. Ich zog es vor, mich so klein zu machen, wie möglich. Schließlich war da ja auch noch der Hund. Der war zwar nicht wirklich da, dafür aber sehr präsent. Ganz anders die Nachbarsfrau. Die tat etwas, was mich in dieser Situation ein wenig verblüffte. Sie erzählte meinem Retter, dass ich mich in ihrem Garten verborgen hatte, dass ihr böser Köter versucht hatte, mich aufzufressen und ließ alles in allem keinen Zweifel daran, dass sie es sehr schön fände, wenn sich mein Retter etwas einfallen lassen könnte, um das Problem zu lösen – schließlich sei ich ja aus seinem Garten in ihren gekommen und schließlich konnte sie den armen Hund ja nicht den ganzen Tag einsperren. Was mit mir geschehen würde, wenn der Hund mich erst einmal wieder entdeckt hätte, das könne sich mein Retter ja wohl selber vorstellen. Er konnte sich das vorstellen. Was er sich aber nicht vorstellen konnte, war die Panik, die mich ergriff, als er mich endlich entdeckt hatte und nun versuchte, mich ausgerechnet wieder in die Richtung zu scheuchen, aus der ich vor Stunden bereits fast dem Hund unter die Zähne gekommen war. Ich fand die Idee nicht so gut. Also war die allgemeine Verwirrung vorprogrammiert, aber das wusste mein Retter natürlich nicht. Bevor er zur Tat schritt, machte er sich zudem daran, etwas aus seiner Wohnung zu holen, was er Käfig nannte und was dazu dienen sollte, mich davor zu bewahren von Hund und/oder Katze verspeist zu werden. Ich werde das nicht vergessen. Das war so ein seltsames blaues Gefäß mit vielen dünnen Streben. Sobald er dieses Teil in den Garten geschafft hatte, ging das Gezerre los. Mein Retter versuchte mich zu scheuchen, ich hatte nicht vor mich scheuchen zu lassen, flatterte wie wild mit den Flügeln – natürlich vergeblich – er versuchte mich zu greifen, geriet aber mit den Armen in die Stacheln des Stachelbeerstrauches, fluchte ein wenig zu laut und brachte mich dazu, vor Schreck tatsächlich dorthin zu flattern, wohin ich eigentlich gar nicht hin wollte. Im nächsten Moment steckte ich dann im hinteren Gartenzaun des Nachbarn fest. Hier erwischte mich endlich der Mann der Frau mit dem Hund und reichte mich an meinen Retter weiter, der mich ohne weiteres Federlesen in den Käfig entließ und mich mitsamt demselben an einen Ast seiner Gartenkiefer hängte. Ich war völlig geschafft, zugleich aber auch so erleichtert, der Gefahr entronnen zu sein und von meinem neuen Nest zugleich so verblüfft, dass ich zunächst einmal nicht wusste, was ich sagen sollte. Also verhielt ich mich vorläufig ruhig. Das blieb auch so, als mein Retter sich anschickte, mein neues Nest ein wenig häuslicher zu gestalten. Erst einmal dachte er wohl, dass ich durstig sei. Daher bekam ich eine Schale mit Wasser. Dann hatte er wohl das Gefühl, dass ich ein wenig mehr Überblick bräuchte und so bekam ich einen Ast, auf dem ich hocken konnte. Aber eigentlich hatte ich ja Hunger, aber keine Ahnung, ob meinem Retter mit dem einen roten Bein das auch klar war. Das war schon ein wenig eigenartig. Deshalb habe ich das gemacht, was ich bisher in solchen Fällen immer gemacht habe, nämlich den Schnabel auf. Mein Retter machte die ganze Zeit das, was man bei den Menschen in solchen Fällen zu tun pflegt. Er redete mir gut zu. Da man vom guten Zureden nun mal nicht satt wird, habe ich es schließlich vorgezogen, den Schnabel zu halten und meinen Retter mit traurigem Blick anzusehen. Da hat er ebenfalls die Klappe gehalten und mich, wie ich fand, sehr aufmerksam angesehen. Dann hat er den Käfig wieder aufgemacht, seine Hand hereingehalten, gewartet bis ich darauf geklettert bin und mich dann auf der Stange wieder abgesetzt. Ich habe das als Zeichen des guten Willens einfach mal mitgemacht, aber weiterhin traurig aus der Wäsche geschaut, den Schnabel aufgerissen und gehofft, dass er dann irgendwann mal darauf kommt, mir was zu fressen zu geben. Die Hoffnung ging zum Glück in Erfüllung. Das es so lange dauerte, hing mit unseren Kommunikationsproblemen zusammen. Mein Retter konnte meine Sprache noch nicht und ich verstand nicht seine Gesten. Heute weiß ich natürlich, dass er sich mit seinen merkwürdigen Handbewegungen zum Mund die ganze Zeit danach hat erkundigen wollen, ob ich schon fressen kann und ob ich Katzenfutter mag, etwas anderes hätte er nämlich nicht. Als ihn mein trauriger Blick endlich überzeugt hatte, dass probieren über studieren geht, fiel ihm ein, dass Vögel von ihren Eltern das Futter ja in den Schnabel gestopft bekommen. Mit seinen dicken Fingern ging das natürlich nicht und sein eigener Schnabel war dafür definitiv nicht gemacht. Also schnitzte er sich einen Schnabel in Form einer Gabel aus Holz. Auf diese Gabel spießte er kleine Fleischstückchen auf und hielt sie mir vor meinen Schnabel. Ja, stimmt schon, jetzt habe ich einen Augenblick gebraucht, um zu kapieren, wozu das gut sein sollte. Aber die Krähe ist ja lernfähig und folglich war mein Futterbedarf wenig später erst einmal gestillt. Die kommende Nacht habe ich dann im Käfig verbracht, hoch oben am Ast der Kiefer hängend, auf meinem Stock hockend. Hund und Katze konnten mich da mal und der Marder auch. Entsprechend ausgeruht habe ich am nächsten Morgen den Tag begonnen und mir mit meinem Krähen dann meinen Namen eingefangen: Krächts. An dieser Stelle sollte ich Sie vielleicht einmal darauf hinweisen, dass das kein Schreibfehler ist. In Wirklichkeit ist es nämlich nicht so, dass wir krächzen, sondern wir krächtsen tatsächlich. Natürlich war ich nicht die einzige Krähe im Lande. Kaum hatte sich die frohe Kunde von meiner Rettung in der Welt verbreitet, als meine Eltern mitsamt der gesamten Verwandtschaft kamen, um nach dem Rechten zu sehen, mich im Käfig entdeckten und es erst einmal nicht so recht glauben wollten, dass das so erst einmal in Ordnung war. Also wurde die Botschaft nach Krähenart unverzüglich verbreitet. Die Nachricht von der Neuigkeit und vor allem deren Umstände lockte natürlich Zaungäste an. Weniger freundlich ausgedrückt hätte man auch von Gaffern sprechen können, aber so etwas gibt es nur bei euch. Bei uns Krähen war die Versammlung tatsächlich allein Ausdruck echten Interesses. Das Ergebnis diskutierten wir dann ausgiebig untereinander, Zugegebenerweise auf Krähenart etwas lautstärker und von nun an wussten zunächst auch die Nachbarn meines Retters, dass in dessen Garten etwas im Busch war, also sich etwas ungewöhnliches abspielen musste. Dank des Mitteilungsbedürfnisses meiner Eltern und unseres artspezifischen Kommunikationssystems wussten kurze Zeit später die örtlichren Krähen von meiner Rettung, dann die im Landkreis, dann die im Lande und schließlich wusste dann endlich jede beliebige Krähe überall auf der Welt, wie es mir ergangen war, kurz ich wurde zu einer echten Berühmtheit. Dieser Ruhm wurde durch die Ereignisse der kommenden Tage sogar noch um eine besondere Begebenheit so exorbitant vergrößert, dass es mir in den folgenden Monaten leicht gefallen ist, meine Artgenossen davon zu überzeugen, dass es nur recht und billig war, meinem Retter eine kleine Gefälligkeit zu erweisen. Meine Heldentat hat ganz unmittelbar mit dem Futter zu tun, mit dem mein Retter sich entschieden hatte, mich aufzupäppeln. Genau, das war das besagte Katzenfutter. Ich habe mich offen gesagt, ganz schnell damit anfreunden können und als mein Retter nach guten Ratschlägen aus der Nachbarschaft es am übernächsten Tag vorgezogen hatte, meinen Nistplatz vom Käfig in den Fliederstrauch zu verlegen, hatte ich ein Déjà-vu Erlebnis. Lernfähig, wie wir Krähen nun einmal sind, war ich inzwischen dazu übergegangen, mir mein Futter selbständig aus dem Futternapf zu picken. Eben den hatte mein Retter, wohl um mich nicht zu verwirren, wie gewohnt in der Nähe des Käfigs deponiert und der stand nunmehr auf dem Boden. Ja, was soll ich sagen, der kleine Napf mit dem Katzenfutter steht im Garten auf dem Rasen und wartet darauf von wem vertilgt zu werden? Katze oder Krähe, das war hier die Frage. Aus Katzensicht vielleicht sogar Katzenfutter und kleine Krähe? Ich werde den Schrecken im Gesicht meines Retters nicht vergessen, als dieser Konflikt ganz plötzlich da war und er zu weit entfernt stand, um noch eingreifen zu können. Meinen Verwandten ging es übrigens nicht besser, wie mir deren Warnungen bewiesen. Für mich galt es jetzt kühlen Kopf zu bewahren. Aber für die Katze auch. Die Situation hatte es in sich. Da stehen sich die alte, erfahrene und in Ehren ergraute, gierige böse Katze, deren Beuteverhalten auf Vogel getrimmt ist auf der einen Seite und die junge, noch flugunfähige Krähe, die vom Beuteverhalten der Katze keine Ahnung hat auf der anderen Seite gegenüber und machen sich bereit, um den Futternapf mit Katzenfutter, zu kämpfen. Ich nehme an, Ihnen dürfte klar sein, wer diese Auseinandersetzung gewinnt, oder? Mein Retter und meine Familie dachten genauso. Aber bitte immer schön logisch bleiben. Wenn das so ausgegangen wäre, könnte ich ja jetzt kaum davon berichten, oder? Also, bevor Sie sich die vermutete schreckliche Geschichte von meinem Ende ersparen, sollten Sie also besser weiterlesen und sich von meiner Heldentat berichten lassen. Mitten hinein in die tödliche Stille habe ich nämlich ganz spontan meine Flügel ausgebreitet, den Kopf ausgestreckt und bin auf das blöde Katzenviech los. Der ungleiche Kampf hat nicht lange gedauert. Die völlig verunsicherte, feige Katze hat sich nur erschrocken geduckt, noch ganz kurz gezögert, dann aber auf dem Absatz Kehrt gemacht und die Beine in die Hand genommen. Den Napf mit dem Futter hatte ich damit für mich und dazu die Erfahrung und den Ruhm, von dem andere junge Krähen nur träumen können. Für meinen Retter bedeutete dieses Erlebnis, dass ich nun unerwartet schnell zwar, aber dafür sehr überzeugend aus den Kinderschuhen herausgewachsen war. Eine wehrlose junge Krähe, die eine äußerst aggressive Katze ohne mit der Wimper zu zucken in die Flucht schlägt schien ihm Argument genug zu sein, um mich nun auch des Nachts im Fliederbusch übernachten zu lassen. Da ich andererseits ja aber noch immer nicht fliegen konnte, durfte ich wieder auf die Hand meines Retters klettern und wurde von ihm an meinen Schlafplatz getragen. Der nächste Tag brachte dann das Wunder. Mein Retter hatte bereits frühmorgens das Haus verlassen. Den Vormittag verbrachte ich daher argwöhnisch beobachtet von meinen Eltern, die den Schreck vom Vorabend inzwischen auch verwunden hatten, in Begleitung der Familie meines Retters. Einmal auf den Geschmack gekommen stürzte ich mich sogleich auf den Käfig, neben oder in dem ich mein Futter vermutete. Unglücklicherweise hatte mein Retter sich eine kleine Hilfestellung einfallen lassen. Er traute dem Frieden nicht und war wohl auch noch nicht restlos davon überzeugt, dass ich es fortan mit jeder Katze aufnehmen konnte. Jedenfalls hatte er mein Futter auf eine Tischplatte gestellt, die ihm hoch genug zu sein schien, um für eine Katze unerreichbar zu sein. Für einen ordentlichen Vogel natürlich ein Klacks. Aber dazu musste man eben fliegen können. Also fiel das Frühstück für mich aus. Für die Katzen zwar auch, aber das fand ich in dem Moment weniger toll, zumal sich überhaupt keine blicken ließ, trotz meines Hungers. Sie sehen schon, innerlich begann ich ein ganz klein wenig übermütig zu werden. Aber wenn man Hunger hat, kommen einem manchmal schon ziemlich schräge Gedanken. Da sich aber wie gesagt an diesem Tage keine Katze blicken ließ, habe ich zur eigenen Ablenkung dann die Familie meines Retters und dessen gesamte Nachbarschaft damit vertraut gemacht, wie langanhaltend ich meine Stimme ertönen lassen kann. Im Konzert mit dem Klang der Stimmen meiner Familie haben wir echt Ausdauer bewiesen. Schließlich gab es ja auch so einiges zu besprechen. Ich gebe gern zu, nicht alle Nachbarn meines Retters waren begeistert. Aber das hat mich nicht gestört und meine Verwandten auch nicht. Schließlich hätte es ja nur einer kleinen Hilfestellung bedurft und ich wäre auf dem Tischchen gelandet, auf dem der Fressnapf stand und die Wasserschale. Seltsamerweise hat sich niemand getraut, mich da hochzuheben. Also, seltsam fand ich das natürlich nur damals. Schließlich hatte ich ja die Erfahrung gemacht, dass mein Retter auch kein Problem damit gehabt, mich überall hin zu heben, wohin ich allein noch nicht fliegen konnte. Zwar hat sich meine Verwandtschaft den ganzen Vormittag über die größte Mühe gegeben, mir lautstark zu erklären, dass es für Menschen eher normal ist, einer kleinen Krähe nicht einfach auf den Tisch zu helfen, mein Retter insoweit wohl eher ein untypischer Vertreter seiner Gattung war, aber so richtig glauben mochte ich das damals nicht. Warum auch, schließlich beißen wir ja nicht. Was mir dagegen durchaus eingeleuchtet hat, war das Argument, ich solle doch endlich mal fliegen lernen, wenn ich unbedingt an diesen blöden Fressnapf wollte. Ich beließ es nicht bei dem Vorsatz, sondern begann einfach schon mal mit dem erweiterten Flügelschlagen. Weit hat mich das nicht gebracht, aber immerhin weit genug, um meinen Retter nach dessen Rückkehr zu veranlassen, mir auch hierbei ein wenig unter die Arme zu greifen, wie er das nannte. In echt meinte er natürlich Flügel, aber auch das nicht im wörtlichen Sinne, Sie verstehen schon. Genau gesagt, hat er mich einfach auf seinen Arm klettern lassen, damit ich ein wenig Luft unter die Flügel bekomme beim Fliegen. Von dort ließ er mich dann starten. Beim ersten Versuch landete ich wieder im Fliederbusch. Beim zweiten auf der Fensterbank. Aber dann hatte ich begriffen, wie es ging. Aller guten Dinge sind drei, so heißt das doch bei euch Menschen, oder? Um meinem Retter eine Freude zu machen, wartete ich noch so lange, bis er dieses seltsame Ding eingeschaltet hatte, durch das er mich seit meiner Ankunft immer einmal wieder betrachtet hatte. Als er soweit war, habe ich dann eine richtige Schau abgezogen. Sie müssen sich das bitte so vorstellen. Mein Retter hatte mich auf diese Tischplatte gesetzt, auf der auch der Fressnapf und das Wasser stand. Ich dreh mich also erst mal ein bisschen nach links, ducke mich, schlage dezent mit den Flügeln. Dann drehe ich mich elegant um die eigene Achse, wende mich nach rechts, schlage mit den Flügeln, wende mich wieder nach links und ducke mich wieder. Aber dann habe ich Ernst gemacht und bin davon geflogen. Mein Retter war begeistert. Er hat das ganze gefilmt und in alle Welt verschickt, obwohl er selbst bis heute gar nicht fliegen kann. Schön, auch bei mir war es an dem Tag noch nicht der ganz große Wurf und auch nicht die ganz große Weite. Aber immerhin, ich saß danach auf dem Dach der Nachbarhütte. Nachdem mir mein Retter dorthin nicht mehr folgen wollte – er konnte wirklich überhaupt nicht fliegen, kein kleines bisschen - habe ich mich nach einer angemessenen Putzpause auf die nächste Etappe begeben. Danach saß ich dann in einem der Bäume im Garten des nächsten Nachbarn. Hier hat mich mein Retter noch einmal kurz besucht und mir viel Glück gewünscht - also vom Boden aus. Das habe ich auch gebraucht. Schließlich galt es jetzt die breite Straße zu überwinden, um auf das Dach des Supermarktes zu gelangen, auf dem meine Verwandten bereits auf mich warteten. Genauer gesagt war weniger die Straße das Problem, als die Autos, Busse und LKW, die da ständig auf und abfuhren. Was soll ich lange reden. Ich habe mich einfach mal getraut. Wer Katzen vertreibt und fliegen kann, der kann auch belebte Straßen überqueren, jedenfalls im Fluge. Das tat ich dann auch und freute mich darüber, wieder unter den Meinen sein zu können. So weit, so schön. Aber vermutlich werden Sie sich fragen, was das alles mit der Geheimdienstangelegenheit zu tun hat.
Ich will da ganz offen sein, bisher eigentlich nicht sehr viel – das haben Sie sehr richtig erkannt. Vermutlich wäre das auch so geblieben und wir müssten uns deswegen auch überhaupt nicht den Kopf zerbrechen. Tatsächlich aber ist es ganz anders gekommen. Um das verstehen zu können, müssen Sie aber wissen, dass ich meinen Retter danach erst mal mehrere Tage nicht mehr zu Gesicht bekommen habe.