Читать книгу Tim und die Gespenster - Ela Feller - Страница 4
In einer neuen Schule
ОглавлениеEigentlich war Tim ein ganz normaler Junge. Er war nicht größer oder kleiner als seine Altersgenossen, hatte dunkelbraune Haare, die manchmal ein wenig strubbelig wirkten und grüne Augen. Acht Jahre war er jetzt alt und ging bereits in die dritte Klasse. Wenn morgens sein Wecker klingelte, fiel es Tim manchmal ganz schön schwer, aufzustehen, besonders im Winter. Aber meistens schaffte er es dann doch noch irgendwann. Je nach dem, wie viel Zeit ihm noch blieb, putzte er sich dann die Zähne und rubbelte sich mit einem nassen, bunten Tuch über das Gesicht. Manchmal wurde es auch nur eine Katzenwäsche, denn auf sein Frühstück wollte Tim lieber nicht verzichten. Dann gab es nämlich sein Lieblingsgericht: Honigpops mit Milch und Kakao. Tim hat auch schon einmal Kaffee getrunken, aber den fand er fürchterlich. So bitter war dieses dunkle Gebräu, dass es ihn regelrecht schüttelte.
Eigentlich wäre Tim also ein ganz normaler Junge. Wenn da nicht eine kleine Kleinigkeit wäre. Tim wechselte nämlich ziemlich häufig die Schule, oft alle zwei Monate oder noch häufiger. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass er ein ganz besonderer Rabauke wäre, der so frech war, dass keine Schule ihn haben wollte. Ganz im Gegenteil, denn eigentlich war Tim sehr umgänglich und hatte viel Spaß in der Schule. Der Grund, dass er so oft in eine neue Klasse kam, war ein ganz anderer: Tims Eltern hatten nämlich eine eigene Geisterbahn und reisten von Kirmes zu Kirmes, um hier die Menschen das Fürchten zu lehren.
Tim fand das großartig, denn trotz der häufigen Schulwechsel fiel es ihm mit so einem tollen Spielzeug leicht, neue Freunde zu finden. Und doch war Tim oft traurig, denn über kurz oder lang kam wieder der Augenblick, an dem er seine Sachen packen und seine Freunde verlassen musste. Dann war er wieder in einer neuen Stadt mit fremden Kindern, mit denen er sich neu anfreunden musste. Auch heute war wieder so ein Tag: Gestern Nachmittag waren Tim, seine kleine Schwester Antonia, Mama und Papa mit ihren zwei Wohnwagen in der neuen Stadt angekommen, in der sie für die nächsten Wochen wohnen würden. In der Schule war er schon angemeldet und heute würde er seine neue Klassenlehrerin und seine neuen Klassenkameraden kennen lernen. Ob nette Kinder dabei waren oder ob Tim sich wieder mit so einem Blödmann wie Jan von der letzten Schule herumschlagen müsste? Der war nämlich nur auf Raufereien aus gewesen und Tim musste ordentlich einstecken. Aber immerhin hatte er Jan auch den einen oder anderen blauen Fleck verpassen können.
Tim fühlte sich in seinem Wohnwagen sehr wohl. Zwar war sein Zimmer nicht so groß wie das vieler Schulfreunde, aber es war sein eigenes, kleines Reich. Er durfte es mit Postern und Fensterbildern gestalten, wie er wollte. Sogar das Bett war bunt mit Sternen und Raumschiffen bemalt worden, denn Mama und Papa war es wichtig, dass ihre Kinder glücklich mit dem wenigen Platz waren. Nur eine Regel gab es: Jeden Abend musste aufgeräumt werden, denn für Unordnung war im Wohnwagen einfach nicht genug Platz.
Das Badezimmer, in dem Tim sich gerade die Zähne geputzt hatte, war natürlich auch eher klein. Es bestand aus einer Dusche, einer Toilette und einem Waschbecken. Wenn Tim mal baden wollte, nutzte er dazu die Ferien bei seiner Oma. Das war in Ordnung, denn zur Entschädigung erlaubten seine Eltern es ihm oft, ins Schwimmbad zu gehen. Und das war natürlich noch viel besser als eine Badewanne! Außerdem konnte Tim dadurch schwimmen wie ein Fisch.
Das Elternschlafzimmer und Antonias Kinderzimmer lagen auch im selben Wohnwagen. Im anderen Anhänger gab es dann noch eine gemütliche Wohnküche. Auch sie war nicht unbedingt riesig, bot aber genug Platz zum Essen und zum Hausaufgaben Machen. Außerdem bekam man hier immer alles mit, was sich in der Familie oder auf dem Jahrmarkt tat. Zugegeben – der Wohnwagen von Tims Eltern war wirklich kein Palast. Aber Tim würde ihn um keinen Preis der Welt hergeben wollen. Nur schön wäre es gewesen, wenn er nicht jede Woche auf einen anderen Parkplatz rollen würde.
Als das Frühstück gegessen war und Mama Tims Brote und etwas zu Trinken in den Schulranzen gepackt hatte, wurde es Zeit für den Aufbruch. Antonia war auch dabei. Sie ging zwar noch nicht zur Schule, aber Mama würde sie auf dem Rückweg im Kindergarten absetzen.
„Und ich soll wirklich nicht mitkommen?“, fragte sie besorgt, als sie mit ihren Kindern den Schulhof von Tims neuer Schule erreicht hatte. Weil es Sommer war und schon morgens die Sonne wärmte, trug sie ein sommerliches Kleid mit Blümchen darauf und eine kurze, blaue Strickjacke. Das passte toll zu ihren blonden Haaren, fand Tim. Am liebsten mochte er es, wenn Mama die Haare offen trug. Aber sie war ziemlich praktisch veranlagt und band die Haare meistens zu einem Zopf zusammen. So auch heute.
„Nein Mama, ist schon gut. Bring Toni nur zum Kindergarten.“. Toni, also Antonia, war gerade drei Jahre alt geworden und war das erste Jahr im Kindergarten. Wie Tim hatte sie dunkle Haare, aber sie waren länger als seine und oft zu Rattenschwänzen gebunden. Rosane und lilane Spangen mit Sternen, Pferden und Blümchen hingen oft in ihren Haaren. Und auch sonst schien Rosa die Lieblingsfarbe seiner Schwester zu sein. Heute trug sie eine rosa Latzhose und darunter einen dünnen, weißen Pullover. Und an den Füßen trug sie knallgrüne Gummistiefel. Tim mochte seine Schwester, denn sie war eine Frohnatur, lachte und alberte gern. Wenn sie nicht ihren Willen bekam oder im Fernsehen eine Kindersendung lief, die sie lauthals mitsang, ging sie Tim manches Mal aber auch ordentlich auf die Nerven. Tja, so sind kleine Geschwister eben.
Eigentlich war Tim gar nicht wohl dabei, allein in die neue Schule zu gehen. Aber Mama konnte ja nicht immer auf ihn aufpassen und irgendwie wurde es ihm auch langsam lästig, immer begleitet zu werden. Schließlich war er kein Kindergartenkind mehr. Also ließ er sich nur bis zum Klassenzimmer führen und verabschiedete sich dann von Mama und Toni. Der Unterricht hatte noch nicht begonnen, so dass die Kinder noch mit ihren Tornistern im Schulflur standen und lachten und lärmten. Um sich nicht gleich in die Menge stürzen zu müssen, nutzte Tim erst einmal die Gelegenheit, sich seine neue Schule näher anzusehen.
Vor jedem Klassenzimmer gab es eine lange Reihe von Kleiderhaken, an denen auch schon die ersten Jacken hingen. Es war Sommer, darum waren es nicht viele. Eine von ihnen sah eindeutig nach Winter aus, denn sie hatte einen kuscheligen Kragen aus Fell. Tim fragte sich, wer die Jacke hier wohl vergessen hatte und wie lange sie schon dort hing. Über den Jackenhaken waren allerlei Bilder und Bastelarbeiten der Klasse befestigt worden. Tim sah bunte Sommerbilder, gehäkelte Masken und aus Blüten gebastelte, kleine Sträuße. Auch die anderen Klassen hatten solche Kunstwerke an der Wand hängen. Je nach Alter der Kinder waren sie mehr oder weniger gut gelungen.
Der Boden des Schulflurs war weniger aufregend: Hier lag grüner Gummi, wie Tim ihn schon aus hunderten anderen Schulen und Kindergärten kannte. Hier und da standen noch Mülleimer und Regenschirmständer herum, und sogar ein paar Pflanzen konnte Tim entdecken. Dann wurde er jäh aus den Gedanken gerissen. Ein Junge hatte ihn angesprochen, doch dummerweise hatte Tim die Frage nicht gehört.
„Hahaha, er ist wohl taub“, brüllte der Junge lachend, während er mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den völlig überrumpelten Tim zeigte. „Gehörst wohl eigentlich auf die Sonderschule?“.
Ein paar Kinder lachten zögerlich mit. Offenbar war Tim hier gleich an den Klassenrüpel geraten, der zwar nichts konnte, mit seinen Witzen aber den einen Teil der Klasse gleich auf seine Seite zog und den anderen Teil so einschüchterte, dass er lieber nichts sagte. Das fängt ja prima an, dachte sich Tim. Doch ehe er zu einer möglichst lässig klingenden Antwort ansetzen konnte, fuhr ihm ein Mädchen dazwischen.
„Maik, du bist ja so ein Blödmann. Als ob diesen Scherz noch jemand lustig findet. Ich wette, der Junge hat eine tolle Geschichte, wieso er erst zum Ende des Schuljahres hier auftaucht.“ Wütend funkelte das Mädchen Maik an, ehe sie freundlich zu Tim sah. Sie gefiel ihm auf Anhieb. Ihre blonden Haare waren zu Zöpfen geflochten und sie trug eine dunkel-lila Latzhose mit bunten Flicken. Sie wirkte nett und gleichzeitig so, als würde sie sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. „Ich bin Maja“, stellte sie sich vor. „Und wer bist du?“.
„Ich bin Tim. Und ja, ich habe einen guten Grund, wieso ich jetzt erst komme.“ Tim war froh, dass Maja ihm so einen Einstieg in die Klasse gegeben hatte und machte nun eine kunstvolle Pause, ehe er fortfuhr. „Ich reise nämlich mit meiner Geisterbahn umher.“
Tim brauchte sich gar nicht großartig umzusehen, um zu wissen, dass ihn jetzt alle Augenpaare anstarrten. Ein Junge, der eine eigene Geisterbahn besaß. Was für eine Sensation! Doch bevor seine neuen Klassenkameraden ihn weiter löchern konnten, kam die Lehrerin um die Ecke. Sie öffnete die Klassentür und damit war jede Diskussion beendet.
Als Tim einige Stunden später wieder nach Hause kam, wartete Mama schon mit dem Mittagessen, und auch Antonia saß bereits mit frisch gewaschenen Händen am Tisch. Heute gab es Hähnchen-Eintopf mit Muschelnudeln, was Tim für sein Leben gerne aß. Und weil Mama an diesem Tag offenbar besonders gute Laune hatte, hatte sie für den Nachtisch auch noch Schokoladenpudding gekocht, der noch warm war. Wenn doch jeder Tag so laufen würde! Tim liebte es, die Haut vom Pudding zu ziehen und zuerst zu essen. Sie schmeckte allerdings nur warm. Bei einem kalten Pudding mochte Tim die Haut überhaupt nicht mehr. Manchmal verdarb sie ihm sogar den Appetit am ganzen Pudding.
Auch Papa machte mit dem Aufbau der Geisterbahn eine Pause und gesellte sich zum Essen dazu. Er war ein großer und kräftiger Mann. So groß war er, dass er sich manchmal den dunkelhaarigen Kopf am Türrahmen stieß, wenn er nicht aufpasste. Und wenn sonst keiner im Raum war, konnte Papa herrlich fluchen. Tim hatte schon einige tolle Ausdrücke von ihm gelernt, denn er saß oft genug still bei den Hausaufgaben, so dass Papa ihn beim Eintreten erst gar nicht bemerkte. Bevor jetzt endlich gegessen wurde, fassten sich alle noch an den Händen und wünschten sich einen guten Appetit. Mama bestand auf so etwas. „Wir sind schließlich keine Schweine, die aus dem Trog essen, sondern eine Familie“, erklärte sie. Tim fand das in Ordnung, trotzdem wünschte er sich heute, das Ganze würde mal etwas schneller gehen. Nach dem Turnunterricht heute Vormittag hatte er nämlich einen riesigen Hunger.
„Und? Wie war die Schule?“, fragte Papa zwischen zwei Löffeln. Schmieröl klebte in seinem Gesicht, aber die Hände waren blitzsauber. „Hast du schon jemand Nettes kennen gelernt?“.
Tim nickte stumm, denn er hatte gerade selbst einen Löffel Suppe im Mund. Erst, als er sie hinuntergeschluckt hatte, antwortete er. „Ja. Zwei von ihnen wollten nach den Hausaufgaben noch vorbeikommen. Dürfen wir dir beim Aufbau der Geisterbahn zusehen?“
Papa dachte einen Augenblick nach und nickte dann. „Wenn ich es mir recht überlege, können du und deine zwei Freunde mir sogar dabei helfen.“
Jetzt bekam Tim aber große Augen, denn helfen hatte er noch nie gedurft. Doch bevor er fragen konnte, wie er denn helfen könnte, fing schon Antonia an, von ihrem Tag im Kindergarten zu erzählen. Naja, das war ja halb so schlimm. In ein paar Stunden würde er ja wissen, wie er Papa und den anderen Helfern mit der Geisterbahn unter die Arme greifen konnte.
Endlich war das Mittagessen beendet und Tim machte sich gleich an seine Hausaufgaben. Er hatte zwar keine große Lust, aber er wusste auch: Je schneller er damit fertig war, umso eher konnte er zum Spielen gehen. Außerdem saß Mama neben ihm, um ihm bei den Aufgaben zu helfen, wenn er nicht weiterkam. So waren die Hausarbeiten ratzfatz erledigt. Er sah auf die Uhr. Himmel, 14 Uhr! Noch so viel Zeit, bis die anderen kommen würden.