Читать книгу Fürstenkrone 174 – Adelsroman - Elena von Wöhren - Страница 3
Оглавление»Bei allem Verständnis, aber das laß ich mir nicht bieten!« Empört stürmte Peter Helfrich in das Verwaltungsbüro des Gestüts Falkenhorst. »Kommen Sie schnell, Herr Baron!«
Verwundert blickte Philipp von Hanbaum auf. So aufgebracht hatte er den Pferdetrainer, der sonst im Umgang mit Mensch und Tier eine bewundernswerte Geduld an den Tag legte, noch nie gesehen.
»Was ist passiert, Peter?«
»Der feine Herr Graf hat mir aufgetragen, Hurrican für ihn zu satteln«, schnaufte Peter Helfrich mit vor Wut geröteten Wangen.
»Hurrican? Er ist doch verletzt. Die Entzündung, die er sich beim Sturz am Vorderbein neulich zugezogen hat, ist längst nicht verheilt. Haben Sie das Graf Rötten nicht mitgeteilt?«
»Natürlich habe ich den Gnädigen Herrn darauf aufmerksam gemacht!« brauste Peter Helfrich erneut auf. »Aber diese Verletzung interessiert ihn nicht. Er will dem Hengst endlich Manieren beibringen, hat er gesagt.«
»Dann schnell!« Mit langen Schritten eilten die beiden Männer zu den Stallungen hinüber, doch Hurrican stand nicht mehr in seiner Box.
»Hans!« Verärgert rief Peter Helfrich nach dem verantwortlichen Pferdeknecht. »Habe ich dir nicht ausdrücklich untersagt, Hurrican aus der Box zu führen und zu satteln?«
»Das…, das habe ich auch nicht, Herr Helfrich«, stammelte Hans eingeschüchtert. »Aber als ich mich weigerte, hat Herr von Rötten Hurrican allein gesattelt. Und…«
»Hoffentlich hat der feine Herr den Sattel richtig herum aufgelegt. Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, daß er jemals eigenhändig ein Pferd gesattelt hätte«, schimpfte Peter leise vor sich hin.
»Was wolltest du noch sagen, Hans?« Alarmiert musterte Philipp von Hanbaum den jungen Mann mit dem Bürstenhaarschnitt.
»Also…, ich…«
»Nun mach’s nicht so spannend, Junge«, knurrte Peter Helfrich ungeduldig, »wir müssen zum Springplatz hinüber und Hurrican vor neuem Unheil mit dem Gnädigen Herrn bewahren.«
Zaghaft blickte der Pferdeknecht zu Boden. »Graf Rötten meinte, ich sei zum Monatsende entlassen.«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, knurrte Philipp von Hanbaum. »In Personalfragen vertraut die Fürstin alleine unserem Urteil.«
»Damit können wir uns später beschäftigen«, drängelte Peter Helfrich und zog den Baron weiter. »Wenn wir uns nicht beeilen, ist der Hengst nur noch seinen Schlachtpreis wert.«
Die beiden Männer rannten zum Springplatz. Schon von weitem sahen sie dort den ungleichen Kampf zwischen dem Schimmelhengst Hurrican und seinem Reiter.
Abwehrend schüttelte das Pferd unablässig den Kopf, schlug verzweifelt mit dem Schweif, doch sein Reiter überging diese Signale. Immer drängender und rauher versuchte er, es zum Galopp anzutreiben. Bei der groben Zügelführung hatte Hurrican keine andere Chance, um sich zu wehren. Vor Schmerz gepeinigt fing er an zu buckeln.
»Wirst du endlich gehorchen, du elende Mähre«, brüllte der Reiter und schlug mit der Gerte auf das Pferd ein. »Sonst…«
»Halt! Hören Sie sofort auf, das Tier zu quälen! Sie elender Schinder!«
Mit einem empörten Aufschrei spurtete Peter Helfrich über den Platz, doch er kam zu spät. Bevor er Michael von Rötten vom Pferderücken ziehen konnte, buckelte der Hengst von neuem, und der elegant gekleidete Graf fiel im hohen Bogen von dessen Rücken in den Parcourssand.
Befreit jagte Hurrican über den Springplatz, dann stoppte er, um nach einem lauten Schnauben mit vollem Anlauf auf den am Boden liegenden Reiter zuzurasen. Wäre es Peter Helfrich nicht im letzten Moment gelungen, das Tier am Zügel zu packen, hätte es in seiner hilfslosen Wut auf den am Boden liegenden Mann eingetreten.
Nun eilte auch Philipp von Hanbaum herbei. Mit besorgter Miene half er Michael von Rötten auf die Beine.
»Bist du verletzt?«
Es war nur eine rhetorische Frage, denn der körperliche Zustand des Grafen interessierte Philipp wenig. Viel wichtiger war für ihn der Zustand des kostbaren Pferdes.
Wütend riß sich Michael von Rötten von ihm los.
»Diesem elenden Gaul zeige ich noch, wer hier das Sagen hat«, zischte er mit verzerrter Miene und wutroten Wangen.
»Nichts dergleichen werden Sie tun!« Peter Helfrich, der immer noch damit beschäftigt war, den erregten Hengst zu beruhigen, baute sich schützend vor dem Tier auf.
»Gehen Sie zur Seite, Helfrich!« befahl Graf Rötten in barschem Ton.
»Sie haben mir nichts zu befehlen. Für Hurrican bin ich zuständig. Sollten Sie sich noch einmal an ihm vergreifen, werde ich Sie eigenhändig von seinem Rücken herunterstoßen«, drohte er mit finsterer Miene.
»Sie vergessen wohl, wer vor Ihnen steht, Helfrich? Wenn Sie nicht sofort…«
»Mit Verlaub, Michael«, mischte sich nun Philipp von Hanbaum ein. »Hurrican ist verletzt und nicht belastbar.«
»Ach! Gib doch endlich zu, daß dieser lahme Gaul eine Fehlinvestition war. Es ist mir ein Rätsel, wie du meine Tante zu diesem Kauf überreden konntest, Philipp«, wütete Michael von Rötten. Er zeigte unfein mit dem Finger auf Peter Helfrich. »Würde diese Niete von Bereiter etwas mehr von seinem Job verstehen, hätte ich es gewiß nicht nötig, mich dieser Mähre wegen ärgern zu müssen.«
Peter Helfrichs Augen funkelten gefährlich auf. »Es steht außer Frage, wer hier etwas von Pferden versteht und wer nicht«, entrüstette er sich. »Hurrican ist ein Spitzenpferd, vorausgesetzt, man behandelt ihn richtig. Doch das scheint Ihnen offensichtlich nicht zu gelingen, Herr von Rötten.«
»So etwas muß ich mir von Ihnen nicht sagen lassen.«
Michael von Rötten war blaß geworden. »Sie sind ein Versager, Helfrich. Betrachten Sie sich als entlassen!«
»Keine Sorge, ich kündige freiwillig, Sie…, Sie…« Dem Bereiter fehlten vor Empörung die Worte.
»Aber bitte, meine Herren! Das läßt sich doch in aller Vernunft regeln«, versuchte Philipp von Hanbaum mit erzwungener Ruhe die Situation zu entschärfen. »Peter, bringen Sie Hurrican in die Box und kümmern Sie sich um sein Bein!«
»Ich werde diesem Gaul zeigen, wer sein Herr und Meister ist!« Mit zornigen Gesten klopfte sich der Graf den Schmutz von seinen wildledernen Reithosen ab.
»Nichts dergleichen wirst du tun, Michael«, fuhr ihn Philipp an. »Du kannst von Glück sprechen, daß dir durch dein verantwortungsloses Handeln nichts passiert ist. Sollten allerdings bei Hurrican dauerhafte Schäden zurückbleiben, hast du die Fürstin einiges Unangenehme zu erklären.«
Baron Hanbaums Worte stießen jedoch auf taube Ohren.
»Du willst wohl damit vertuschen, daß du beim Kauf dieses Gauls fast eine Viertelmillion Euro sinnlos in den Sand gesetzt hast?« rief ihm Michael von Rötten höhnisch lachend hinterher.
Mit gerunzelter Stirn kehrte Philipp von Hanbaum zu den Stallungen zurück. Er zeigte es ungern, doch die Häme hatte ihn tief getroffen. Fürstin Magdalena von Mannengen, Herrin auf Schloß und Gestüt Falkenhorst, hatte sich beim Kauf des Hengstes Hurrican auf seinen Rat verlassen. Ihr Vertrauen würde er niemals mißbrauchen.
Lange hatten sie sich vor dem Kauf Bilder und ein Verkaufsvideo mit Bear Touches Hurrican und seiner jungen attraktiven Trainerin angesehen.
Eine tolle Frau, hatte sich Philipp beim Betrachten des Videos nicht ohne Herzklopfen heimlich eingestanden.
»Ein prächtiges Tier«, hatte hingegen die Fürstin mit leuchtenden Augen bekannt. »Sind Sie davon überzeugt, daß dieser Hengst ein Gewinn für unser Gestüt sein wird? Eine Frage, die ich bei diesem hohen Kaufpreis stellen muß.«
»Ja«, hatte er – nicht ganz objektiv – geantwortet. »Ich glaube an den Hengst. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase wird er bald erfolgreich an den bedeutendsten Turnieren teilnehmen können. Zudem dürfte er allein als Deckhengst einen nicht unerheblich Teil der Kosten wieder einbringen.«
Philipps Instinkt vertrauend hatte die Fürstin seinen Rat befolgt und dem Kauf zugestimmt. Bereits zwei Wochen später war Philipp von Hanbaum nach Montana geflogen, um Hurrican persönlich in Augenschein zu nehmen. Und insgeheim, um seine attraktive Reiterin mit dem unwiderstehlichen Lächeln in natura zu sehen. Während des ganzen Fluges hatte er sich auf diese Begegnung gefreut, doch sein Wunsch, die fremde Schönheit zu treffen, blieb unerfüllt.
Sollte sich seine Vorhersage, die Leistungsfähigkeit Hurricans betreffend, nun auch als unerfüllbar erweisen? Seit Michael von Rötten, der Neffe und einzige Erbe der Fürstin, eisern darauf bestand, Hurrican selbst bei Turnieren zu reiten, hegte Philipp die schlimmsten Befürchtungen. Bereits beim ersten Trainingsritt war er mit Hurrican so schwer gestürzt, daß das Pferd seither das Bein nicht belasten konnte.
»Wie sieht es aus, Peter?« fragte Philipp, als er die Box des Hengstes erreicht hatte.
Der Bereiter schüttelte den Kopf. »Nicht gut, die Schwellung hat sich vergrößert.«
»Verdammter…«
»Mist!« ergänzte der Peter Helfrich grimmig. »Und nur, weil der verehrte Herr Graf wieder einmal seine Unfähigkeit beweisen mußte.«
Zärtlich strich Philipp über den edlen Pferdekopf, was der Hengst hingebungsvoll mit halbgeschlossenen Augen genoß. Neugierig suchten die weichen Nüstern nach einem Leckerbissen in Philipps Jackentaschen.
»Wie ein Lämmchen!« stellte Philipp fest. »Es ist kaum zu glauben, daß sich Hurrican noch vor wenigen Minuten so wild gebärdete. Hatten Sie auch den Eindruck, er würde gleich auf Graf Rötten losgehen?«
»Wundert Sie das, Chef?« entgegnete Peter Helfrich trocken. »Der Gaul hat Charakter. Aber mich soll das ab jetzt nicht mehr kümmern.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Philipp diese Anspielung verstand. »Sie haben Ihre Kündigung doch nicht ernst gemeint?«
Peter Helfrich erhob sich aus der Hocke und sah Philipp von Hanbaum ernst an. »Ich bin es gewohnt, zu meinem Wort zu stehen und eine Entscheidung niemals rückgängig zu machen.« Er zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Chef. Mit Ihnen habe ich gerne zusamengearbeitet und Sie waren auch der Grund, weshalb ich hier geblieben bin. Aber nach dem Vorfall…?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, es geht nicht mehr.«
Philipp von Hanbaum nickte verstehend. »Wenn ich Ihnen bei der Suche nach einer neuen Stelle behilflich sein kann, so…«
»Danke, Chef. Aber ich habe seit mehreren Monaten ein Angebot von Köhler-Lenau, das werde ich jetzt annehmen.«
»Ausgerechnet zu unserem schärfsten Konkurrenten werden Sie gehen?« seufzte Philipp von Hanbaum. »Da sehe ich noch weniger Chancen für unsere Turniererfolge.«
»Oh, es gäbe ein ganz probates Mittel«, grinste Peter Helfrich. »Stellen Sie einen besseren Trainer ein. Mit dem da«, er deutete auf den Schimmel, »haben Sie Chancen, alle großen Turniere zu gewinnen.«
»Das wäre großartig, grenzt aber nach meinem Ermessen an ein Wunder«, gab Philipp von Hanbaum zu und tätschelte den Hals des Hengstes. »Wir sind uns wohl darin einig, daß Hurrican nach seinen unguten Erfahrungen mit Herrn von Rötten nicht mehr jeden Reiter akzeptieren wird. Bis er sich an einen neuen Herrn gewöhnt hat, ist die Turniersaison vorbei.«
*
»Du solltest diesen unberechenbaren Mustang so schnell wie möglich wieder verkaufen«, forderte Michael von Rötten beim Diner seine Tante, Magdalena Fürstin von Mannengen, auf. »Je länger du wartest, desto größer werden deine Verluste sein. Mit seinem ausgeprägten Eigensinn ist Hurrican für den Turniersport ungeeignet.«
Schweigend löffelte Fürstin Magdalena ihre Suppe. Sie war eine mittelgroße Frau, Anfang sechzig, schlank und durchtrainiert. Ihre dunklen graumelierten Haare trug sie in einem praktischen Kurzhaarschnitt. Besonders auffallend war ihre fast militärisch gerade Haltung, die sie größer erscheinen ließ, als sie tatsächlich war.
»Ich wüßte auch bereits einen Käufer für ihn. Er würde den Hengst sofort übernehmen. Auf eigenes Risiko natürlich«, fuhr Graf Rötten fort. »Du darfst nicht zögern. Sollten Hurricans Verletzungen nicht zufriedenstellend verheilen, wird er für dich wertlos sein.«
Noch immer schwieg die Fürstin mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck.
»Michaels Vorschlag klingt vernünftig, n’est ce pas?« Gewinnend lächelte Graf Michaels Mutter, Elisabeth Gräfin von Rötten, die Fürstin und ihren Gatten an. »Vergiß nicht, daß dieses Untier unseren Sohn bereits zweimal abgeworfen hat. Wie entsetzlich! Ich wage mir nicht auszumalen, was alles hätte passieren können.«
»Wir sollten Magdalena in ihrer Entscheidung nicht vorgreifen, Elisabeth«, fühlte sich ihr Mann, Rainer Graf von Rötten, genötigt zu sagen. »Was meint eigentlich Philipp zu all dem?«
»Was wird Philipp schon sagen?« fragte Michael verächtlich. »Er wird kaum einen Fehler zugeben. Nach wie vor vertritt er die Meinung, der Kauf dieses Killerhengstes sei eine hervorragende Investition.« Er lachte spöttisch. »Nun, es war nicht sein Geld, das er zum Fenster hinausgeworfen hat.«
Er beugte sich zu seiner Tante hinüber und tätschelte über den Tisch hinweg deren Hand. »Wie immer wirst du gewiß die richtige Entscheidung zum Wohle des Gestüts fällen, ma chère tante.«
Mit einer ärgerlichen Bewegung entzog die Fürstin ihrem Neffen die Hand. Sie griff nach ihrer Damastserviette und tupfte sich den Mund ab. Ihrem Wink folgend räumte Crispin, der ihr treu verbundene Butler, das Geschirr ab.
»Es freut mich, daß du mir noch so viel klaren Verstand zutraust, um die Wirtschaftlichkeit meiner Entscheidungen zu beurteilen«, sagte sie schließlich mit ungnädig klingender Stimme.
»Aber geliebtes Tantchen, ich…«
»Bitte, unterlasse dieses Gesülze«, wies Magdalena ihren Neffen zurecht. Sie haßte solche in ihre Entscheidungsmacht eingreifenden Gespräche über alles, insbesondere bei den Mahlzeiten. In diesem Falle aber versagte sie es sich, Michaels abfällige Worte zu ignorieren.
»Wenn ein Reiter es nicht erträgt, vom Pferd zu fallen, sollte er das Reiten fähigeren Leuten überlassen und darüber hinaus tunlichst den Mund halten.« Abfällig musterte sie ihren Neffen. »Meines Erachtens machst du im Ledersitz deines Sportwagens eine weitaus bessere Figur als im Sattel.«
»Aber Magdalena, was redest du?« entrüstete sich Elisabeth über die Worte ihrer älteren Stiefschwester. »Nach allem, was dir zugestoßen ist, solltest du mehr Verständnis und Sorgfalt walten lassen.«
»Bitte, wärme die alten Geschichten nicht immer aufs Neue auf, Elisabeth. Reiten ist riskant, und Unfälle passieren immer wieder. Ich kannte die Gefahren, denen man sich bei Vielseitigkeits-Turnieren stellt, zur Genüge und basta«, konterte die Fürstin, ehe sie sich wieder Michael zuwandte. »Und was Hurrican betrifft, so vertraue ich dem Urteil meines zuverlässigen Verwalters Philipp von Hanbaum.«
Inzwischen servierte Crispin das Hauptgericht.
»Aber du wirst doch zugeben, daß es an ein Wunder grenzte, würden wir es schaffen, den Hengst in acht Wochen im ersten großen Turnier der Saison starten zu lassen.«
»Zu dieser Komplikation hast du dank deines unüberlegten Leichtsinns dein Scherflein beigetragen«, reagierte die Fürstin kühl. Mit einem leichten Kopfnicken bedankte sie sich bei Crispin für die servierte Hauptspeise, eine Geste des Respekts, die sie bei ihren Dienstboten selten unterließ.
Unsicher lachte Michael auf. »Nun, wenn ich mit Hurrican bei den diesjährigen Turnieren starte, ist es nur zu verständlich, daß ich ihn vorher trainiere und mich mit ihm vertraut mache.«
»Es stand nie zur Debatte, daß du den Hengst auf einem Turnier reitest«, widersprach ihm die Fürstin. »Diese Aufgabe hatte ich Herrn Helfrich oder Philipp zugedacht.«
»Aber liebste Magdalena, du wirst doch nicht in Erwägung ziehen, unser Gestüt durch Domestiken vertreten zu lassen?« Eine Mischung aus Entrüstung und ungläubigem Amüsement schwang in Elisabeths Stimme mit.
Akkurat legte Magdalena von Mannengen das edle Besteck aus Pariser Christofle-Silber ab. Ihr war der Appetit vergangen.
»Ich werde jederzeit in Erwägung ziehen, unser Gestüt durch den Reiter vertreten zu lassen, der mit dem jeweils startenden Pferd am besten harmoniert. Auch wenn du es nicht gerne hörst, Elisabeth: Dein Sohn besitzt weder Gefühl noch Instinkt, um sachgemäß mit Pferde umzugehen.«
Empört lachte Elisabeth von Rötten auf. »Du vergißt die Siege und Plazierungen, die Michael in den letzten Jahren errungen hat«, hielt sie ihrer Schwägerin mit vor.
»Was bei mittleren Turnieren mit gutmütigen Pferden geschah«, gab Magdalena von Mannengen unerschütterlich zurück.
Michael erblaßte. »Das ist nicht fair, Tante Magdalena«, rief er wütend aus. »Im Gegensatz zu Philipp, der dir mehr am Herzen zu liegen schient als ich, hatte ich nie die Chance, auf Spitzenpferden an den Start zu gehen. Wie also hätte ich bedeutendere Turniere gewinnen sollen?«
Aus schmalen Augen musterte die Fürstin ihren Neffen. »Du kannst deine Stimme in den von dir bevorzugten Bars und Etablissements in dieser ungebührenden Lautstärke gerne erheben. Allerdings dulde ich diesen rüden Tonfall nicht in meinem Hause«, wies sie ihn in einem scharfen Tonfall zurecht.
Michael zog die Schultern ein und schwieg, wie er es immer bei Zurechtweisungen durch seine gestrenge Tante tat.
Nun war es seine Mutter, die ihre Stimme lauter als üblich erhob. »Warum bevorzugst du andere gegenüber meinem Sohn und deinem einzigen Erben?« verteidigte sie Michael vehement.
»Weil es wenig Sinn macht, deinen Sohn auf einem edlen Pferd, auf dem er sich wie ein plumper Kartoffelsack bewegt, starten zu lassen. Oder soll unser Gestüt den Preis für den unfähigsten Reiter der Saison erhalten?«
Fürstin Magdalena lächelte maliziös und trank einen Schluck von dem edlen Chateau Neuf du Pape, der heute zum Diner serviert wurde.
Rainer von Rötten konnte nur schwer ein Lachen unterdrücken, während die Gesichtsfarbe seiner Gattin vor Entrüstung von schockierter Blässe auf erzürntes Rot wechselte.
Fürstin Magdalena warf ihrem Schwager einen tadelnden Blick zu. Sie haßte es, wenn jemand in ihrer Gegenwart die Contenance verlor.
»Ihr entschuldigt mich bitte«, sie gab Crispin ein Zeichen. »Mir ist der Appetit vergangen.«
Crispin zog den Rollstuhl von der Tafel zurück und schob die Fürstin aus dem Speiseraum in ihre Gemächer.
»Bitte teilen Sie Herrn von Hanbaum mit, daß ich ihn gerne sprechen möchte, sobald es seine Zeit erlaubt.«
»Sehr wohl, Durchlaucht.« Mit einer Verbeugung verließ Crispin den Raum.
Fürstin Magdalena rollte zur Terrasse hinaus und ließ ihre Blicke versonnen in die Ferne schweifen.
Schloß Falkenhorst lag auf einem bewaldeten Hügel aus Feldgestein. Die große Eckterrasse führte auf die Seite des Schlosses, an welcher der Fels steil abfiel. Von hier aus hatte man eine herrliche Fernsicht sowohl über den südlichen Taunus bis hin zu den großen Mainstädten, als auch über die Reitanlagen des Gestüts innerhalb der mächtigen Schloßmauern. Auf einem Platz drehten Reitanfänger ihre Runden unter der Aufsicht von Peter Helfrich, der seine Elven mit ruhiger Stimme dirigierte.
Dies alles soll einmal Michael, dieser verwöhnte Kretin, erben? dachte Fürstin Magdalena mit Wehmut. Wie so oft fühlte sie sich bei diesem Gedanken unwohl. Wenn nur Claudia, ihre Tochter, noch bei ihr wohnen würde. Bei ihr hätte sie die Zukunft des Gestüts in kompetenten Händen gewußt.
Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Mein Gott, was habe ich Claudia damals nur angetan! Wie konnte ich mein einziges Kind schwanger aus dem Hause weisen?« murmelte sie, wie immer tief erschrocken über ihr damaliges Handeln.
Es gab keinen Tag in den letzten Jahren, an dem sie ihre uneinsichtige Haltung nicht aus tiefstem Herzen bereut hätte. Doch damals war sie nicht fähig gewesen, anders zu handeln. Aufgewachsen in einem starren, konservativen Elternhaus war es ihr nicht möglich, sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen. Daß dieser Windhund von Stallknecht, der ihre Tochter Claudia geschwängert hatte, das angebotene Geld nahm und verschwand, war kein großes Unglück. Aber…
»Ich hätte nie darauf bestehen dürfen, daß sie das Kind abtreiben soll«, sinnierte sie leise vor sich hin. »Meine Güte, irgendwo auf dieser Welt lebt mein Enkel oder meine Enkelin, und ich sitze allein hier mit dem großen Besitz. Wie schön könnte das Leben sein, wüßte ich meine Tochter und ihr Kind in meiner Nähe.«
Schon vor Jahren hatte Fürstin Magdalena eine Detektei beauftragt, ihre Tochter Claudia ausfindig zu machen. Vergeblich. Sie hatte es auch nicht anders erwartet. Mit der von ihr geerbten Sturheit hatte ihre Tochter bei ihrem Weggang alle Spuren verwischt. Einzig den Flug nach New York vermochte die Detektei nachzuweisen. Jede weitere Spur hatte in die Irre geführt.
Ein klopfen an der Tür riß Fürstin Magdalena aus ihren unfrohen Gedanken.
»Ja, bitte!«
»Sie haben nach mir verlangt, Durchlaucht?« Philipp von Hanbaum trat ein.
»Ja, Philipp, setzen Sie sich zu mir!« bat die Fürstin mit einer einladenden Geste auf die schwere Teakholz-Garnitur. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht bei einer wichtigen Arbeit gestört?«
In dem sympathischen Gesicht des Verwalters zeichnete sich ein Lächeln ab. »Keineswegs, Durchlaucht. Ich saß an dem leidigen Wochenbericht, und da freut mich jeder Grund, der mir zu einer Unterbrechung verhilft.«
Die Fürstin lächelte, doch dann wurde sie ernst. »Es hat heute wieder eine Auseinandersetzung mit meinem Neffen gegeben?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Auseinandersetzung mag vielleicht zu hart ausgedrückt sein«, versuchte Philipp von Hanbaum die Konfrontation mit Michael von Rötten auf dem Springplatz zu mildern, doch die Fürstin winkte ungeduldig ab.
»Erzählen Sie mir keine Märchen, Philipp. Ich kenne meinen Neffen und sein unterentwickeltes Ego, das er bei jeder Gelegenheit aufzupolieren versucht. – Wie geht es Hurrican?«
»Nicht gut, Durchlaucht. Seine Beinverletzung hat sich verschlimmert.«
Die Fürstin nickte. »Das habe ich vermutet. Wird etwas zurückbleiben? Kann er bis zum Turnier in Hamburg starten?«
»Leider kann ich Ihnen beide Fragen nicht beantworten. Zumindest nicht mit einer positiven Nachricht«, bedauerte Philipp von Hanbaum. »Selbst bei einer schnellen Heilung wird die Zeit zu knapp, um Hurrican auf einen neuen Reiter einzustellen.«
»Er lief doch unter Helfrich ganz passabel«, warf die Fürstin verwundert ein.
»Peter Helfrich wird uns zum nächsten Ersten leider verlassen.«
»Helfrich? Wieso? Das kann er uns nicht antun! Hat man ihm eine besser bezahlte Stelle angeboten? Darüber ließe sich doch reden!?«
»Peter hat zwar bereits eine andere Stelle, aber ob sie besser bezahlt ist…«, Philipp von Hanbaum zuckte mit den Achseln.
»Nicht? Was ist dann der Grund? Ich hatte den Eindruck, er arbeitet gerne hier.«
Der Fürstin entging nicht Philipps Zögern, und sie interpretierte es auf ihre Weise. »Er geht wegen Michael, richtig?«
»Michael hat ihm mit Kündigung gedroht und…«
»Und Helfrich ist nicht der Typ Mann, dem man droht«, vervollständigte die Fürstin den Satz. »Es tut mir leid, es sagen zu müssen, aber mein Neffe Michael ist nicht gerade mit Intelligenz gesegnet. Wie sollen wir jetzt, so kurz vor Saisonbeginn, noch einen guten Trainer und Reiter für Hurrican finden?«
»Ich weiß es nicht, Durchlaucht«, bekannte Philipp von Hanbaum und fuhr sich verzweifelt mit den Fingern durch die dunkelblonden Locken.
»Bitte, Philipp, holen Sie aus dem Sekretär einen Cognac und zwei Gläser. Ich glaube, den können wir beide jetzt brauchen.«
Während Philipp von Hanbaum sich erhob, grübelte die Fürstin nach einer Lösung des Problems.
»Vielleicht gäbe es eine Möglichkeit«, überlegte sie laut, während Philipp zurückkam und die goldene Flüssigkeit in die Schwenker eingoß. »Sie müßten ein Gespräch mit Montana führen, Philipp. Erzählen Sie Mr. Forrester von unseren Problemen! Vielleicht kann er es möglich machen, uns für diese Saison einen Bereiter, der mit Hurrican zudem bereits bestens vertraut ist, zur Verfügung zu stellen.«
Die Fürstin nahm einen Schluck Cognac und ließ sich seinen Geschmack genußvoll auf der Zunge zergehen. »Zugegeben, es ist nur eine kleine Chance, aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.«
»Es ist einen Versuch wert, Durchlaucht«, stimmte Philipp von Hanbaum zu. Er blickte auf seine Armbanduhr. »Die Zeit wäre günstig. Wenn Sie erlauben, Durchlaucht, werde ich sofort in Montana anrufen.«
»Natürlich, Philipp. Bitte setzen Sie mich sogleich in Kenntnis über das Ergebnis Ihres Anrufes, damit wir planen können.«
Fürstin von Mannengen reichte ihm zum Abschied die Hand. »Schon lange wollte ich es Ihnen einmal sagen, Philipp: Ich bin froh, daß Sie auf Falkenhorst arbeiten. Ich wage es mir nicht auszumalen, wie es nach meinem Unfall hier weitergegangen wäre, wenn Sie mir und meinem Bruder nicht so treu und ergeben zur Seite gestanden hätten.«
*
Mit gesenktem Haupt betrat Gary Forrester das Schlafzimmer seiner Frau Claudia. Es war das erste Mal seit ihrem Unfalltod, daß er einen Schritt in diesen Raum setzte. Der große schlanke Mann mit dem silbergrauen Haar sah sich um. Alles wirkte, als würde Claudia jeden Moment hier eintreten. Er schnupperte. Sogar der Duft ihres extravaganten Parfüms, eine Mischung aus exotischen Gewürzen und Zedernholz, hing noch im Raum. Auf dem Schaukelstuhl vor dem großen Panoramafenster lag das neue Kleid aus mitternachtsblauer Wildseide, das sich Claudia anläßlich des bevorstehenden zweiundzwanzigjährigen Hochzeitstages gekauft hatte. Die Hotelsuite in Idaho war schon gebucht…, bis der Unfall alle Träume zunichte gemacht hatte.
Gary konnte die Tränen nicht zurückhalten, als er mit einer zärtlichen Geste über die Lehne des Schaukelstuhls strich. Wie oft hatte Claudia in diesem Stuhl gesessen und den Ausblick auf die Absaroka Berge genossen…
»Dad?!«
Leise weckte ihn eine sanfte Stimme aus seinen Träumen.
Robin, Garys fast 22jährige Tochter, stand in der Tür. »Das Abendessen ist fertig.«
Gary Forrester wischte sich verstohlen über die Augen und nickte. »Ich komme sofort. Ich…, ich muß nur noch etwas suchen.«
»Ist gut.« Aufmunternd lächelte Robin ihrem Vater zu, und Gary fiel zum ersten Mal auf, wie schmal und zerbrechlich seine Tochter in den letzte, harten Wochen der Trauer geworden war.
Er wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann ging er zu der Kommode, in der Claudia ihre persönlichen Sachen aufbewahrt hatte. Er griff zu einer Photographie, die Claudia und ihn bei einem Wanderritt zeigten.
»Ich weiß, daß du Robin niemals die Wahrheit sagen wolltest, Darling«, murmelte er. »Aber ich meine, sie hat ein Recht darauf, die Wahrheit über ihre Herkunft zu erfahren.« Er strich mit dem Zeigefinger über das lachende Gesicht der Frau mir den fuchsroten Haaren. Dann stellte er das Bild wieder an seinen Platz zurück und zog dann mehrere Schubladen auf, bis er gefunden hatte, wonach er suchte.
Robin hatte inzwischen die Teller gefüllt. Ihr waren die Tränen in den Augen ihres Vaters nicht entgangen, und es bedrückte sie, ihn so sehr leiden zu sehen. Die Beziehung zwischen ihren Eltern war etwas ganz Besonderes gewesen, ein verstehen, das keiner Worte bedurfte.
Mit einem Buch in einem abgegriffenen Ledereinband betrat ihr Vater das Eßzimmer.
»Was hast du da?« fragte Robin neugierig.
»Später, Liebes. Laß uns erst essen«, wehrte Gary ab und legte das Buch zur Seite.
Robin blieb nichts anderes übrig, als ihre Neugierde zu zähmen.
»Tut mir leid, das Gulasch ist etwas angebrannt«, gestand sie zerknirscht.
»Anstatt ständig draußen bei den Pferden zu sein, hätte ich wohl besser ein paar Kochstunden bei Mom nehmen sollen.«
Vorsichtig probierte ihr Vater das Gericht. »Hervorragend. Schmeckt wie bei Mom«, stellte er lächelnd fest.
»Bitte keine falschen Komplimente, Dad. So gut wie Mom koche ich noch lange nicht«, seufzte Robin.
»Ach was, deine Mom lernte das Kochen erst lange nach unserer Hochzeit«, tröstete Gary das junge Mädchen. Er grinste. »Anfangs mißglückte ihr so manches ganz gewaltig.«
Robin lächelte ihren Vater an. »Ja, und sie hat es dir hoch angerechnet, daß du trotzdem deinen Teller immer tapfer leer gegessen hast, ohne je zu murren«, erinnerte sie sich an die Erzählungen ihrer Mutter.
»Einen Mountain Man wirft so schnell nichts um«, erwiderte ihr Vater, und beide lächelten sich in stummem Verstehen an.
Nach dem Essen nahm Gary Robin an der Hand und zog sie mit sich ins Wohnzimmer. »Bitte! Nimm Platz!« Er drückte sie in einen der tiefen, bequemen Ledersessel und ließ sich ihr gegenüber nieder. »Ich wünsche mir, daß du dieses Buch liest, Robin. Vorher aber sollst du wissen, daß all das, was du nun erfahren wirst, nichts mit meinen Gefühlen für dich zu tun hat. Ich liebe dich, mein Schatz.«
»Was soll das bedeuten, Dad?« Verwundert sah Robin auf.
Gary winkte ab. »Lies!« forderte er nur und begann, seine Pfeife zu stopfen.
Robin schüttelte verwirrt den Kopf. Dann griff er nach dem Buch und strich zärtlich über den Einband, bevor sie es aufschlug. Die Seiten waren mit der zierlichen Handschrift ihrer Mutter eng beschrieben.
»Moms Tagebuch?!« Erschrocken sah Robin ihren Vater an. »Das kann ich nicht lesen. Das…, das wäre nicht fair!«
Beruhigend nickte Gary ihr zu und zündete seine Pfeife an. »Lies es, Darling«, fordert er sie erneut auf. »Fang ungefähr ein Jahr vor deiner Geburt an.«
Skeptisch, aber nun neugierig geworden, blätterte Robin in dem Buch und begann zu lesen. Wie in einem Strudel wurde sie mit jeder Zeile immer weiter in die Vergangenheit gezogen. Eine Vergangenheit, an die sie im Traum nie gedacht hätte.
Robin erfuhr, daß ihre Mutter unter dem Namen Claudia von Mannengen als einzige Tochter des Fürsten von Mannengen in Deutschland auf Schloß Falkenhorst aufgewachsen war. Mit neunzehn hatte sie sich in einen Gutsarbeiter verliebt, sehr zum Ärger ihrer Mutter, Magdalena Fürstin von Mannengen. Die hatte damals die sofortige Beendigung dieser Affäre gefordert und mit einer hohen Geldgabe etwas nachgeholfen. Eines Tages war Claudias große Liebe spurlos verschwunden und Claudia am Boden zerstört. Neben der Enttäuschung über die verratene Liebe mußte sie zu ihrem Entsetzen auch noch feststellen, daß sie schwanger war…
Beim Lesen dieser tragischen Zeilen glaubte Robin, die Verzweiflung und Angst ihrer Mutter selbst zu durchleben. Sie sah zu ihrem Vater hinüber, der inzwischen ganz von Rauch eingenebelt mit unbewegtem Gesicht in seinem Sessel saß. Ein Zeichen, wie sehr er innerlich angespannt war.
»Soll das heißen, daß ich nicht deine Tochter bin, Dad?« stöhnte Robin erschrocken auf.
Bedächtig legte Gary die Pfeife zur Seite. »Nicht im biologischen Sinne, mein Schatz«, gab er zu. Er legte seine Hand auf sein Herz. »Aber hier drinnen bist und bleibst du mein Kind. Für alle Ewigkeit.«
»O Daddy!« Robin legte das Tagebuch zur Seite, ging zu ihm hinüber und umarmte ihn. »Ich habe nie einen anderen Dad gehabt und ich könnte mir keinen besseren wünschen.« Zur Bekräftigung ihrer Worte küßte sie ihn auf die stoppelige Wange. »Zwischen uns wird sich nichts ändern.«
Erleichtert seufzte Gary auf. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich mich deine Worte machen.« Er schwieg einen kurzen Augenblick, dann fuhr er fort, die traurige Geschichte der jungen Claudia von Mannengen zu erzählen:
»Deine Großmutter verlangte von deiner Mom eine Abtreibung, um dieses Malheur, wie sie dich damals nannte, zu beseitigen. Deine Mom aber weigerte sich, und so wies ihr die Fürstin, eine sehr strenge und stolze Frau, unerbittlich die Tür. Sie hatte ihr verboten, jemals wieder nach Schloß Falkenhorst zurückzukehren.«
»So hartherzig kann doch eine Mutter nicht sein?« entrüstete sich Robin.
»Deine Großmutter ist, wie mir deine Mom erzählte, eine sehr stolze und standesbewußte Dame«, versuchte Gary, die unglücklichen Fakten etwas zu mildern. »Und damals war in jenen Kreisen, aus denen deine Mutter stammt, eben…«
Er kam nicht weiter, denn Robin zeigte für seine Verteidigung kein Verständnis.
»Hartherzig ist sie und eiskalt«, schimpfte Robin erzürnt. »Wie kann eine Mutter ihr Kind verstoßen, gerade dann, wenn es sie und ihre Hilfe am nötigsten braucht? Nein, Dad, das hat mit Stolz und Standesbewußtsein wenig zu tun. Das ist dumm und unmenschlich…«
»Vor zweiundzwanzig Jahren herrschten noch etwas andere Ansichten…«, versuchte es Gary.
»Trotzdem«, beharrte Robin eigensinnig, »Mom hätte nie so gehandelt, wenn ich…«
Liebevoll strich Gary seiner Tochter über den Kopf. »Sieh es mal so, hätte sich deine Großmutter nicht so stur und hartherzig verhalten, wärst du mit deiner Mom nie in die Staaten gekommen, und ich hätte euch nie kennengelernt. So aber habe ich zweiundzwanzig wundervolle Jahre mit deiner Mom verlebt – und dazu mit dir eine bezaubernde Tochter bekommen. Manchmal hat ein Unglück auch seine guten Seiten.«
»So betrachtet hast du natürlich recht«, stimmte ihm Robin lächelnd zu. Sie legte den Kopf schief und dachte nach. »Hat Mom nie versucht, Kontakt mit ihrer Familie aufzunehmen?« fragte sie schließlich.
Gary schüttelte den Kopf. »Nein, nicht direkt.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, Claudia hielt stets die Verbindung mit dem Anwalt der Familie aufrecht. Über ihn verkaufte die ›Spotted Bear Ranch‹ immer wieder Pferde an das Gestüt Falkenhorst, das deine Großmutter noch heute leitet. Allerdings achtete deine Mom sorgsam darauf, daß sie nie in Erscheinung trat.«
»Ach so! Falkenhorst und von Mannengen, diese Namen habe ich doch schon gehört!« Begreifend schlug sich Robin mit der flachen Hand an die Stirn. »Natürlich, dorthin haben wir neulich auch Hurrican verkauft.«
Den Hengst Bear Touches Hurrican liebte Robin noch immer über alle Maßen. Er war das erste Pferd, das sie eigenständig zureiten, ausbilden und auf einigen Turnieren vorstellen durfte. Sein Verkauf in das ferne Deutschland war ihr sehr nahe gegangen.
»Gut kombiniert«, bestätigte Gary.
Robin lachte bitter auf. »Ein seltsamer Gedanke, daß mein geliebter Hurrican ausgerechnet im Stall meiner hartherzigen Großmutter steht.« Ernst sah sie ihren Vater an. »Warum habt ihr mir dies alles nicht früher erzählt?«
In einer hilflosen Geste zuckte ihr Vater mit den Schultern. »Deine Mom wollte nicht darüber sprechen, und ich respektierte ihren Wunsch.«
»Und warum hast du nun deine Meinung geändert?«
»Deine Mom möge es mir verzeihen, doch heute morgen kam ein Anruf aus Deutschland«, gestand Gary. »Das Gestüt ›Falkenhorst‹ sucht dringend einen Bereiter, der Hurrican auch bei diversen Turnieren reitet. Mir scheint, als machte ihnen der Racker einige Schwierigkeiten, und sie kommen nicht so gut mit ihm zurecht, wie sie es sich vorgestellt hatten. Das hieße, du müßtest nach Deutschland fliegen und dich eine Weile um ihn kümmern. Welch eine Ironie des Schicksals.«
Gary Forrester mußte grinsen, wurde jedoch schnell wieder ernst. »Ich habe noch nicht zugesagt. Die Entscheidung, ob du nach Deutschland auf das Schloß deiner Ahnen reisen möchtest, überlasse ich dir alleine. Nun aber weißt du, weshalb ich Moms Wunsch, dir nie etwas von deiner Herkunft zu erzählen, nicht erfüllen konnte. Ich kann dich doch ohne dieses Wissen schlecht nach Falkenhorst schicken, oder?«
Nachdenklich stand Robin auf. »Darf ich das Tagebuch zu Ende lesen?« fragte sie ruhig.
»Es gehört dir, Darling.«
»Danke, Dad.«
Das ledergebundene Buch wie einen kostbaren Schatz an sich gepreßt, wünschte Robin ihrem Vater eine gute Nacht und ging in ihr Zimmer.
*
In dieser Nacht schlief Robin wenig. Sie war froh, daß sie zweisprachig aufgewachsen war und die Worte ihrer Mutter lesen konnte. Noch nie hatte sich Robin ihr so nahe gefühlt. Zu gut konnte sie die Ängste, Sorgen und Nöte, ja, die intimsten Gedanken der jungen Claudia, die in die USA geflüchtet war, nachempfinden.