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Das Abkommen
ОглавлениеDas Königreich Eroenya lag in einem breiten Tal und mit seinen saftig grünen Hügeln, perlenden Wasserfällen, schneebedeckten Bergen, riesigen Wäldern und mäandernden Flüssen war es einfach majestätisch. Es gab fruchtbares Land, das die Bewohner mit ausreichend Nahrung versorgte, sodass niemand Hunger leiden musste. Bauern bewirtschafteten ihre Felder, Frauen kümmerten sich um Haus und Hof, Kinder spielten und lachten am Rande der Hügel.
Die Hauptstadt Eroenya, den schönsten Ort im Königreich, begrenzten riesige Wachtürme, die aus massivem Holz und Steinen erbaut waren. Von hier aus konnten die Soldaten die Umgebung nach allen Richtungen hin übersehen und die Bevölkerung vor herannahenden Gefahren warnen.
In der Stadtmitte herrschte geschäftiges Treiben, denn alles sollte in prachtvollem Glanz erscheinen, wenn die Marndronen zu den Friedensgesprächen und zur Unterzeichnung des Abkommens in den Palast kämen. Baumeister standen mit ihren Plänen auf den Straßen und gaben den Arbeitern Anweisungen. Neue Mauern wurden errichtet, die Straßen ausgebessert und begradigt. Man sah Mammuts, für die eigene Geschirre angefertigt worden waren, damit sie mit riesigen Steinen die Wege ebnen und fest machen konnten. Frauen kehrten die Straßen und schmückten sie mit bunten Fahnen, die ganze Stadt wirkte freundlich und einladend.
Am Ende der großen Straße stand der majestätische Palast des Königreichs. Die Sonnenstrahlen ließen das Mauerwerk in elfenbeinfarbenem Glanz erstrahlen, breite Stufen führten zum Hauptportal. Dieses wurde von kräftigen Soldaten, ausgestattet mit glänzenden Brustharnischen, Helmen und Hellebarden, bewacht.
Auch im Palast herrschte Aufregung und fleißiges Treiben. Diener, die überall sauber machten, Dekorationen anbrachten, Gemälde abstaubten, Öl in jede Feuerkachel gossen – der Palast sollte sich bei Ankunft der Gäste von seiner schönsten Seite zeigen. Selbst der König ließ es sich nicht nehmen, die Fortschritte seiner Bediensteten selbst zu begutachten, immerhin hing von diesem wichtigen Treffen die Zukunft des Reiches ab und es sollte das Ende einer jahrzehntelangen Feindschaft mit viel Leid und Blutvergießen sein.
Als sich der König mit dem Großwesir über das Fehlen eines Gemäldes, das den Wiederaufbau Eroenyas zeigen sollte, unterhielt, tauchte Amelias auf.
Er war der vertrauenswürdigste und auch jüngste Heerführer des Königs und so wie er nun vor seinem Herrn stand, machte er einen überaus guten Eindruck. Der glänzende Brustharnisch, der das Zeichen des Königreiches Eroenya trug, und die beiden am Rücken gekreuzten Schwerter unterstrichen die Stärke seines jugendlichen Körpers, der so viel Kraft und Willen ausstrahlte.
Amelias beugte seinen Kopf zur Begrüßung des Königs.
„Amelias! Wie weit seid Ihr bereits?“, wollte der Herrscher gleich wissen.
„Mein König, wie Ihr befohlen habt, habe ich die Bewachung an den Grenzen und Türmen verdreifacht. Ebenso sind für alle Fälle die schlafenden Kalkans zur Pflicht gerufen. Ich werde morgen mit hundert von ihnen an der Grenze, vor dem Tor Marlakas, auf Murakan, den Marndronenkönig, warten. So kann ich ihn und sein Gefolge sicher nach Eroenya geleiten.“ Der König nickte seinem Heerführer beipflichtend zu und fühlte sich bei dessen Ausführungen gleich ein wenig sicherer.
„Sehr gut, Amelias! Vergesst nicht, wir dürfen uns keinen Fehler erlauben. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Die letzten Vorbereitungen müssen bis morgen getroffen sein.“
Es kam nicht oft vor, dass die Kalkans zur Pflicht gerufen wurden, nur bei den wichtigsten Einsätzen berief sich der König auf die bestens ausgebildete Truppe, deren Kämpfer bereits seit frühester Kindheit unter strengster Geheimhaltung in die Lehre genommen wurden.
Dabei wurden aus allen Waisenkindern des Königreichs, die allesamt in der Nähe des Palastes untergebracht und erzogen wurden, die körperlich und geistig Geeignetsten ausgewählt, um in die strenge Ausbildung der Kalkankrieger einzutreten. Für sie gab es nur das Beste und sie erhielten eine umfassende Ausbildung in allen Bereichen der Wissenschaft, aber das Erlernen der unterschiedlichsten Kampfkünste stand im Vordergrund.
Schließlich war es ihre Aufgabe, das Königreich auch in schlimmsten Auseinandersetzungen verteidigen zu können. Angst gab es im Leben der Kalkans nicht, ihr höchstes Ziel war es, sich und ihr Leben dem König zu widmen. Wenn sich das Reich in keinem Krieg befand und ihre Kampfeskünste nicht vonnöten waren, lebten sie inmitten der Bevölkerung, gingen ihren Berufen nach, immer jedoch unter strengster Geheimhaltung ihrer eigentlichen Berufung.
Als Amelias dem König Bericht erstattet hatte, zog er sich zurück und verließ den Palast, nicht ohne vorher noch auf der Außenbalustrade innezuhalten und den Anblick des Sonnenuntergangs über Eroenya zu genießen. Die Stadt selbst lag bereits in der Dämmerung und die Lichter in den Häusern verbreiteten eine märchenhafte Stimmung. Amelias genoss diesen Augenblick der Ruhe, der ihm in der Zeit der Vorbereitungen verwehrt geblieben war. Auch jetzt fühlte er eine innere Anspannung und insgeheim fragte er sich, ob er für das Treffen wirklich alles ihm Mögliche in die Wege geleitet hatte.
Als die Sonne am Horizont endgültig verschwunden war, fingen die Wasserfälle hoch auf dem Berg zu leuchten an, türkisfarben schillernd stürzte das Wasser in die Tiefe. Amelias hatte dieses Schauspiel bereits oft miterlebt, dennoch fesselte ihn dieser atemberaubende Anblick immer wieder. Der Ursprung dieses Wassers war eine Quelle mit Phosphorsteinen, daher nannten die Menschen dieses Naturschauspiel Perlenlicht.
Amelias trennte sich nur schwer von diesem Ort der Ruhe, doch seine Verpflichtungen waren noch nicht beendet. Er machte sich auf den Weg zu den Stallungen, wo die Knechte noch mit der Versorgung der Tiere beschäftigt waren.
„Hat Kaplan sein Futter gefressen?“, erkundigte sich Amelias. Die Knechte mochten den Heerführer, der sich trotz seiner hohen Position ihnen gegenüber immer freundlich benahm.
„Nein, mein Herr, er ist ein bisschen unruhig und ich habe es nicht gewagt, mich ihm zu nähern“, antwortete der Stallknecht ehrlich.
Amelias wusste, dass Kaplan den Knechten gehörigen Respekt einflößte und wenn er dazu auch noch unruhig war, konnte man dem Burschen keinen Vorwurf machen, deshalb antwortete er knapp:
„Ich mache das schon, danke.“
Amelias ging mit langsamen Schritten zu dem Tier, um es zu beruhigen. Kaplan war eine Mischung aus weiß-grauem Säbelzahntiger und Dacharos, von dem er den gefährlichen Stachelschwanz hatte. Dieses außergewöhnliche Lebewesen war ein unglaubliches Kraftpaket und es war nicht unbegründet, dass sich nur Wenige in seine Nähe getrauten. Amelias hatte den Moment, als er Kaplan gefunden hatte, noch gut vor Augen.
Als er ein kleiner Junge war, wimmerte das Tier ängstlich vor dem Bauernhof seiner Eltern hoch in den Bergen und hatte damit den Jungen geweckt. Als er zum Fenster sah, um dem Geräusch nachzugehen, entdeckte er im Schnee zwei blaue Punkte, die sich bewegten. Sofort lief er neugierig hinaus und näherte sich mit vorsichtigen Schritten dem kleinen Lebewesen. Da im Schnee sah er Kaplan zum ersten Mal. Verschreckt und schwach saß das weiß-grau gestreifte Tier vor ihm, seine unschuldigen, blitzblauen Augen erzählten vom Leid, das er durchmachen musste. Es war der erste Augenblick einer außergewöhnlichen Freundschaft. Kaplan zitterte vor Kälte, sein Fell bot ihm noch nicht ausreichend Schutz und Amelias nahm das Tier auf, um es ins warme Haus zu bringen. Dort wickelte er Kaplan in eine Decke und versteckte ihn, aus Angst, seine Eltern könnte ihm das seltene Lebewesen wegnehmen, unter dem Bett. Das ging eine Weile gut, der Junge fütterte seinen neuen Freund mit Essensresten, baute ihm einen Schlafplatz unter seinem Bett und ließ ihn in der Nacht, wenn alle anderen aus der Familie bereits schliefen, in sein Bett kommen, wo sie sich aneinander kuschelten, bis auch sie in ihre Träume versanken.
Amelias hatte sich so sehr an das Tier gewöhnt, dass er unvorsichtig wurde und beim Spielen die Schritte des Vaters zu spät hörte. Zwar versuchte er noch den Kleinen in sein Versteck zu schieben, aber der Vater stand schon mitten im Zimmer und starrte das Tier an. Kaplan spürte Amelias‘ Anspannung und wollte ihm instinktiv zu Hilfe kommen. Er sträubte sein Fell und in der Aufregung fuhr er zum ersten Mal die Stacheln seines Schwanzes aus. Sein Pfauchen glich noch mehr einem Quietschen, aber es ließ unmissverständlich erkennen, zu welch gefährlichem Raubtier sich Kaplan schon bald entwickeln würde.
Erstaunlich schnell erlangte Amelias‘ Vater seine Fassung zurück und als naturverbundener Mensch siegte die Neugierde in ihm. Noch nie zuvor hatte er solch ein Tier gesehen und staunend fragte er seinen Sohn:
„Amelias, woher hast du dieses Tier?“
Der Junge bemerkte, dass sein Vater ernsthaft an Kaplan interessiert war und erzählte, wie er ihn gefunden hatte. Aufmerksam hörte der Vater seinem Sohn zu und meinte ruhig:
„Seine Mutter wird ihn suchen! Stell‘ dir vor, was mit uns und unseren Tieren passiert, wenn sie hierher kommt! Du musst ihn wegbringen und freilassen!“
Amelias merkte, wie Hitze in ihm emporstieg und sein Herz zu rasen begann. Laut kamen die Worte über seine Lippen und schon konnte er heiße Tränen in seinen Augen spüren.
„Nein! Nein! Ich habe Kaplan schon ein paar Tage und nichts ist passiert. Seine Mutter wird nicht kommen, sie ist sicher tot und dann hat er niemanden, der ihn beschützt und er wird selbst sterben!“
Jetzt flossen die Tränen über seine Wangen und sein Herz zog sich bei dem Gedanken, seinen neuen Freund wieder verlassen zu müssen, zusammen. Nein, er konnte und wollte seinen Schützling nicht einfach so hergeben. Der Vater konnte selbst beim Anblick seines verzweifelten Sohnes nur schwer die Tränen zurückhalten und er musste zugeben, das Tier war faszinierend. Er vermutete selbst, dass die Mutter nicht mehr am Leben war, aber das alleine nur anzunehmen, war zu unsicher, damit würde er seine Familie und seinen Hof einer gewaltigen Gefahr aussetzen.
Der Vater versprach, erst dann eine Entscheidung über das Tier zu fällen, wenn sichergestellt war, dass seine Mutter nicht mehr am Leben war. Amelias beruhigte sich vorerst, denn er wusste, dass sein Vater eine gerechte Entscheidung treffen würde und er sah auch in dessen Augen, dass er selbst von Kaplan gefesselt war.
Und so blieb Kaplan bei Amelias, denn der Vater konnte auf seinen Erkundungsgängen keine Spur der Mutter entdecken und die Beziehung zwischen dem Jungen und dem Säbelzahnmischling wurde von Tag zu Tag inniger. Schon bald war Kaplan zu einem richtigen Familienmitglied geworden.
Diese Bilder der Vergangenheit hatte Amelias im Kopf, als er bei diesem kraftvollen Tier im Stall stand und bemerkte, wie Kaplan unter seinem sanften Streicheln ruhiger wurde. Er band ihn los und stieg vorsichtig auf, um mit ihm aus dem Stall zu reiten.
„Jetzt besuchen wir einen alten Freund“, flüsterte Amelias dem Tier zu.
Beide froh, sich endlich frei bewegen zu können, rasten mit Kaplans raumgreifenden Sprüngen durch die dunkle Nacht. Schnell lag die Stadt hinter ihnen, vorbei an Olivenfeldern erreichten sie bald den Fuß des Berges. Dort lebte Baalan, ein weiser Meister und Freund von Amelias, der die Einsamkeit liebte und sie der Gesellschaft vorzog. Er war ein vertrauenswürdiger und bescheidener Mann von imposanter Gestalt und mit langem, schwarzem Bart, der sich in der Mitte bereits weiß färbte. Amelias schätzte ihn sehr und besuchte ihn gerne. Der Meister spürte, dass sich jemand seinem Heim näherte und trat in den Garten. Als er seinen Besucher erkannte, zeichnete sich ein erfreutes Lächeln auf seinem Gesicht ab.
„Herzlich willkommen, Amelias. Schön, dass ihr beiden mich wieder einmal besucht“, empfing er sie mit seiner tiefen, angenehmen Stimme.
Amelias stieg von Kaplan ab und erwiderte strahlend die Begrüßung des Meisters. Herzlich umarmten sich die beiden Freunde. Amelias kannte Balaan bereits seit längerer Zeit, dieser hatte ihm das Leben gerettet, als er nach einem Unfall schwer verletzt im Wald lag. Und seither besuchte er den Meister immer, wenn es seine Aufgaben zuließen. Anfangs aus Dankbarkeit für die Hilfe, doch sehr bald aus tiefempfundener Freundschaft. Auch Kaplan mochte den Meister und er begrüßte ihn stets auf seine ganz eigene, ungewöhnliche Art. Der Tiger verneigte sich vor Baalan und legte sich auf den Boden, um sich streicheln zu lassen. Balaan kam diesem Wunsch immer sehr gerne nach, denn es war auch für ihn ein Vergnügen, dieses weiche, glänzende Fell zu berühren.
„Komm, Amelias, betritt mein Heim und lass uns über Neuigkeiten reden“, lud Balaan seinen Freund ein.
Wie gewöhnlich bereitete der Meister ein wohlschmeckendes Getränk aus Wasser vom Perlenlicht und nur ihm bekannten Kräutern und füllte es in schwere Krüge. Hier fand Amelias immer sofort zu einer vollständigen Ruhe und er genoss es, auf den alten Holzstühlen zu sitzen, in das flackernde Kaminfeuer zu schauen und sich in das Gespräch mit Balaan zu vertiefen.
„Morgen ist ein wichtiger Tag, Meister. Wir werden mit dem Königreich Marndron Frieden schließen, denn dieser nicht endenwollende Krieg hat beiden Völkern außer Leid und Schmerz nichts gebracht.“
„Du hast Recht, Amelias, die Menschen haben viel gelitten und doch vergessen sie rasch. Es braucht viel Geduld und weise Führung, um den Frieden beizubehalten, doch nur ein kleiner Funke genügt, um wieder alles zu zerstören und den Unfrieden neu anzufachen. Menschenleben dürfen nicht wertlos sein, Amelias, hoffentlich bist du dir dessen bewusst. Und der König ist es hoffentlich auch.“
Der Meister hielt kurz inne und betrachtete Amelias, bevor er weitersprach.
„Auch in deiner Position wird es viele Menschen geben, die versuchen werden, dich für ihre Zwecke zu benutzen. Solche, die deine Macht ausnützen wollen, um ihre Ziele zu erreichen. Ihre Herzen sind so schwach, Amelias! Du musst immer ganz genau fühlen, was dein Herz sagt, denn du hast ein sehr gutes und mutiges Herz, Amelias − entscheide dich immer für das Richtige.“
Amelias hörte dem Meister aufmerksam zu und versuchte die Worte auch im Herzen zu verankern. Still ließ er sie nachklingen und beide Männer versanken in Schweigen vor dem flackernden Kaminfeuer, das den Worten in ihrem Innersten Raum gab. Amelias fühlte sich plötzlich wieder stark und seinen Aufgaben gewachsen. Er mochte diese Stärke, die ihn nach jenen Momenten überkam. Das In-sich-gehen ließ ihn sich selbst als vollkommene Einheit erfahren und er fühlte sich bereit für die Herausforderungen des nächsten Tages.
Amelias verabschiedete sich von seinem Freund und gleich nachdem er gegangen war, fing der Meister an, sich vorzubereiten. Balaan faltete ein Tuch auf, legte darauf Brot, Wurst, Obst und ein wenig Gemüse und verschnürte es zu einem festen Bündel.
Mitten in der Nacht brach er auf, versicherte sich gewissenhaft, dass Amelias wirklich gegangen war und ihn auch sonst niemand beobachtete. Die Laterne in der Hand marschierte er schnell in Richtung des Wasserfalls Perlenlicht.
Am nächsten Morgen öffneten sich die Tore des Palastes und Amelias ritt mit einer Hundertschaft an Soldaten hinaus, um König Murakan sicher zu empfangen. Die Straßen waren gesäumt mit Schaulustigen, die gekommen waren, um den Tross mit den geschliffenen Schwertern und polierten Rüstungen, die so herrlich in der Sonne glänzten, zu bestaunen. Amelias führte die Soldaten, die vor Kraft und Stärke strotzten, an. Auch er selbst strahlte förmlich vor Selbstbewusstsein auf seinem wunderschönen Tiger Kaplan. Vor dem König und den Senatoren hielt die Truppe zum Gruß an und am Blick des Königs war zu sehen, wie stolz er auf diese Soldaten war. Nach einem kurzen Halt gab er energisch das Zeichen zum Aufbruch.
Die Gruppe ritt gemächlich durch die fahnengeschmückte Stadt, erst nach Durchschreiten der Stadtmauern erhöhten die Soldaten das Tempo. Die Hufe der Pferde trommelten auf dem trockenen Boden und so erreichten sie rasch die Mammutwälder mit den gigantischen Baumriesen, deren Baumkronen Hunderte von Metern hoch und deren Stämme von zwanzig Männern nicht umfasst werden konnten.
Zügig und gedanklich auf ihr Ziel gerichtet, durchquerten sie die Wälder und erreichten den Außenposten auf den Hügeln vor dem Tor von Marlakas. Hier waren Soldaten dauerhaft für die sichere Passage von Händlern und Reisenden im Einsatz und sie hatten Amelias und seine Truppe bereits von Weitem gesichtet. Gleichzeitig näherte sich auch König Murakan mit seiner hundert Anhänger starken Karawane dem Tor von Marlakas. Angeführt wurde die Gruppe von Karrnatan, dem Heerführer Marndrons, der für seine Kriegslust und Herzlosigkeit bekannt war. Stets ging er mit äußerster Härte und Grausamkeit vor und hinterließ nach jeder Auseinandersetzung eine Spur der Verwüstung. Aber auch Elenas, die wunderschöne Tochter des Königs, war dabei und sie begleitete ihren Vater in einer aufwändig gestalteten Kutsche, die von sechs prächtigen Rappen gezogen wurde.
„Vater, ich bin sehr glücklich über die Entscheidung, endlich dauerhaften Frieden zwischen beiden Völkern zu schaffen.“
Elenas war überaus erfreut und stolz ihren Vater auf dieser Reise begleiten zu dürfen, der Frieden zwischen den beiden Völkern lag ihr sehr am Herzen. Der König kannte die Wünsche seiner Tochter, aber auch er selbst war sehr an einem friedlichen Zusammenleben mit dem benachbarten Königreich Eroenya interessiert.
„Es macht auch mich glücklich, meine zauberhafte Elenas. Unser Volk hat genug gelitten. Als König trage ich die Verantwortung für das Wohlergehen meiner Untertanen und ich bin froh, dass König Tabian von Eroenya das auch so sieht.“
Heerführer Karrnatan ritt mit finsterem Gesichtsausdruck neben der Kutsche und konnte die Worte des Königs und seiner Tochter mit anhören.
„Was macht Ihr eine so düstere Miene, Karrnatan? Seid Ihr nicht auch der gleichen Meinung wie meine Tochter und ich?“, wollte der König von seinem Heerführer wissen.
„Ich denke immer noch, dass die Eroenyaner diesen Frieden nicht lange wahren werden, sie sind seit jeher unsere Feinde, sie werden uns in den Rücken fallen, sobald sie die Gelegenheit dazu haben“, mutmaßte der Heerführer.
Doch König Murakan wollte den Argwohn seines Heerführers nicht gelten lassen und antwortete laut:
„Genug, Karrnatan! Ich habe diesen Friedenspakt lange überdacht und mich dafür entschieden. Ich erwarte, dass auch Ihr, mein Heerführer, meine Entscheidung mittragt.“
Um den König zu beruhigen und ihm seine Zustimmung zu zeigen, senkte Karrnatan den Kopf. Doch in seinem Herzen war er weit davon entfernt, seine Zweifel aufzugeben.
Es war ein wunderschöner Tag und Amelias stand mit seinen Soldaten auf der Kuppe des Hügels, von der aus sowohl das fruchtbare Tal, als auch das Wüstenreich zu sehen war. Das Zusammentreffen dieser so gegensätzlichen Reiche, das prachtvolle Grün der Pflanzen einerseits und die leblose Dürre des Sandes andererseits, war jedes Mal ein seltsamer Anblick. Getrennt wurden sie durch das Tor von Marlakas, das mit den fünf riesigen Säulen eine schnurgerade Grenzlinie bildete und mit den eingemeißelten Linien und Symbolen eine tiefgründige Magie vermuten ließ.
Amelias stand für einen Augenblick ganz in seine Gedanken verloren hoch auf dem Hügel und betrachtete das mystische Tor. Dieser Anblick verursachte ihm jedes Mal ein unruhiges Gefühl, das er nicht genau zu deuten vermochte.
Auch heute erging es ihm nicht anders, besorgt wandte er sich seinen Soldaten zu:
„Seid immer wachsam, Eroenyaner! Ihr wisst, wir dürfen uns keinen Fehler erlauben, das könnte verheerende Folgen haben. Beobachtet stets die andere Seite des Tores, die Wüste ist sehr gefährlich. Kein Mensch, der dieses Reich betreten hat, ist je wieder zurückgekehrt. Manche bezeichnen es als das Totenreich, in dem böse Kräfte am Werk sind. Unsere Aufgabe ist es, diese Grenze abzusichern, damit König Murakan und sein Gefolge unbeschadet passieren können.“
Amelias hatte die Soldaten an ihre Stellungen entsandt. Ein Hornbläser war am Eingang des Tals beauftragt, die Ankunft des Königs mit lauten Fanfaren zu verkünden. Die übrigen Soldaten waren angewiesen, an den Höhlen des Plateaus ihre Vorkehrungen zu treffen. Die Höhlen waren von Hand in den Fels gemeißelt und die Eingänge mit wuchtigen Eichentüren mit schweren Ketten versperrt worden. Laut knarrend wurden sie geöffnet und ein Soldat brachte ein gut versiegeltes Fass heraus und rollte es zum Rand des Plateaus, von dem man direkt zum Tor von Marlakas gegenüber blicken konnte. Entlang einer schnurgeraden Linie, ausgerichtet an den fünf Säulen des Tores, waren Steinblöcke mit massiven Messingschalen angeordnet. Vor jeden Block stellte sich ein erfahrener Bogenschütze, er musste mit seinem Pfeil exakt eine der Säulen des Tores treffen.
Der Soldat öffnete das Fass sehr vorsichtig, schöpfte mit einem großen Holzlöffel eine blau schimmernde, zähe Flüssigkeit heraus und goss sie in die Messingschalen. Es war das Zaubermittel Giljan und als alle Schalen gefüllt waren, zogen sich die Soldaten in ihre Stellungen zurück, um auf die Ankunft des Königs Murakan zu warten.
Ein lautes Hornsignal zerfetzte die Stille und an der linken Talseite war der reisende Tross bereits zu erkennen.
Zuvorderst ritten die Fahnenträger auf prächtig herausgeputzten Pferden und im Anschluss kam die sechsspännige königliche Kutsche, flankiert von fünfzig berittenen Soldaten, deren Rüstungen im Sonnenlicht glänzten. Amelias erhob seine Hand und gab das Zeichen an den Bogenschützen, der einen brennenden Pfeil nahe vor die Fahnenträger abschoss.
Mit einem Ruck blieb die Gruppe stehen und selbst aus der großen Entfernung war spürbar, wie verunsichert die Reisenden mit einem Mal waren. War das der Empfang, den man den Gästen, die zu rein friedlichen Zwecken gekommen waren, bieten wollte?
Karrnatan, der Heerführer, entdeckte Amelias‘ Soldaten sofort und sein Blick richtete sich starr auf sie. Auch der König sah aus der Kutsche, um in Erfahrung zu bringen, was es mit dem plötzlichen Stillstand auf sich hatte. Erneut hob Amelias seine Hand zum Zeichen für die Bogenschützen, die ihre Pfeile mit Giljan, der Zauberflüssigkeit, in den Messingschalen tränkten.
Ein weiteres Zeichen, die Schützen spannten ihre Bögen und schossen die Pfeile auf die Säulen. Im Nu entfaltete sich ein Zauber vor den Augen der Gäste, die Flüssigkeit verteilte sich in der verzweigten Struktur der Säulen und ließ sie in einem blendend herrlichem Blau-türkis erstrahlen, um im nächsten Augenblick zu einem Schutzschild zwischen den Säulen zu werden. Mit Staunen beobachtete der Tross des Königs dieses phantastische Schauspiel, von dem sie zwar bereits gehört, es aber noch nie mit eigenen Augen gesehen hatten. Fasziniert konnten sie ihren Blick nicht von dieser Farbenpracht nehmen, nur Elenas war der Aufbruch von Amelias und seinen Soldaten nicht entgangen. Sie galoppierten den Hügel herunter, am gesicherten Tor von Marlakas vorbei und bildeten nun eine kraftstrotzende Heerschaft, die Amelias auf seinem Tiger anführte und die vor dem Tross der Gäste zum Stillstand kam. Doch der König und Elenas ließen sich davon nicht beunruhigen, sie waren von dem zauberhaften Schauspiel noch viel zu berührt, um die Anwesenheit der Soldaten als Bedrohung anzusehen.
Trotz der Warnung des misstrauischen Heerführers Karrnatan stiegen der König und seine Tochter aus der Kutsche, um Amelias zu begrüßen. Karrnatan hieß jedoch seine Soldaten, achtsam zu sein und jederzeit mit einem Angriff zu rechnen. Amelias‘ Soldaten standen in einiger Entfernung im Halbmond um die Gäste, er selbst löste sich aus deren Mitte, um allein auf Kaplan dem König entgegen zu reiten. Amelias bemerkte die Nervosität der fremden Pferde, daher stieg er in sicherer Entfernung von Kaplans Rücken und legte den Rest des Weges zu Fuß zurück.
Mit stolzer Haltung näherte er sich den Fremden, erstaunt bemerkte er die Anwesenheit einer Frau und sah, dass auch sie ihn mit Interesse betrachtete und jeden seiner Schritte beobachtete, ohne den Blick von ihm zu lassen. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und ließ die markant männlichen Züge etwas weicher erscheinen.
„Seid willkommen, ich bin Amelias, der Heerführer des Königreichs Eroenya. Mein König hat mich und meine Männer zu Eurem Schutz gesandt. Wir haben das Tor zum Reich der Wüste gesichert und können Euch ohne Gefahr zum Palast bringen.“
Amelias‘ kräftige Stimme gefiel Elenas und ihr Herz schlug rasend. Der Heerführer verursachte ein warmes, jedoch fremdes Gefühl in ihrem Inneren und wie von weit entfernt vernahm sie die Worte ihres Vater:
„Ich danke Euch Heerführer, Amelias. Ich habe viel vom Tor von Marlakas gehört, aber noch nie erlebt, wie es gesichert wird.“
„Durch einen glücklichen Zufall können wir diese Rillen sichtbar machen und wir haben bemerkt, dass sich daraus ein schützender Vorhang bildet. Dieses Wissen nutzen wir seit langer Zeit, um Reisende sicher zu geleiten.“ Amelias ließ bei seinen Worten den Blick auf Elenas ruhen und bemerkte ihr warmes Lächeln, als sie sagte:
„Habt Dank für dieses besonders beeindruckende Erlebnis.“
Karrnatans Worte bohrten sich wie giftige Pfeile zwischen die anderen:
„Wollt Ihr uns vor den Geistern der Wüste beschützen, Heerführer? Wie lächerlich.“
König Murakan drehte sich verärgert zu Karrnatan und wies ihn zurecht:
„Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig etwas zu unterstellen. Ich schätze Eure Geste, Amelias.“
„Mein Herr, wir müssen uns beeilen, der Vorhang wird nicht mehr lange halten“, trieb Amelias zur Eile.
Der König folgte den Worten des Heerführers und stieg unverzüglich in die Kutsche. Kurz bevor sich die Türe schloss, konnte Amelias noch Elenas‘ Blick auffangen. Ihr feines Lächeln schien nur für ihn bestimmt, ein freudiges Gefühl, das er jedoch nicht einzuordnen vermochte, breitete sich in seiner Brust aus. Dies war jedoch nicht die Gelegenheit, seinen Gefühlen nachzugehen, mit Elan stieg er auf Kaplan und setzte sich an die Spitze der Karawane, um die Führung vor den Fahnenträgern Eroenyas und Marndrons sowie der königlichen Kutsche zu übernehmen.
Als sie das blau schimmernde Tor von Marlakas passierten, formierten sich die Soldaten aus Marndron zu beiden Seiten der Kutsche zum Geleit, den Abschluss bildeten Amelias‘ Soldaten.
Die Stadt zeigte sich von ihrer schönsten Seite, an den prunkvoll geschmückten Straßen salutierten Soldaten, um dem vorbeifahrenden König Murakan die Ehre zu erweisen. Karrnatan war zu Amelias an die Spitze des Trosses vorgerückt, die Willkommensgesten der Eroenyaner ließen ihn kalt und seine Miene blieb unverändert finster. An der Palasttreppe wurden die Gäste bereits von König Tabian, den Senatoren und dem Gefolge erwartet. Auch sie hatten sich alle dem festlichen Anlass entsprechend gekleidet und boten mit ihren prachtvollen Gewändern einen wahrlich edlen Anblick. Sofort als die königliche Kutsche anhielt, wurde die Türe von einem Diener geöffnet und die hohen Gäste angekündigt:
„König Murakan von Marndron und seine Tochter Elenas.“
König Tabian machte einen Schritt zur Kutsche und als der König von Marndron und seine Tochter ausgestiegen waren, empfing er sie mit würdevoller Stimme, die jedoch die Herzlichkeit nicht vermissen ließ:
„Im Namen meines Volkes begrüße ich Euch in Eroenya. Ich freue mich, dass Ihr hier seid und hoffe, dass die Reise gut verlaufen ist.“
König Murakan erwiderte lächelnd:
„Wir danken Euch für den schönen Empfang. Unsere Reise ist ohne Zwischenfälle verlaufen und beim Tor von Marlakas wurden wir ja von Eurem Heerführer in beeindruckender Weise in Empfang genommen. Jetzt sind wir hier und ich sehe unseren Gesprächen erwartungsvoll entgegen.“
Die Stimmung zwischen den beiden Majestäten war sehr gelöst und als König Tabian seine Gäste die Palasttreppe hinauf führte, war bereits eine angenehme Unterhaltung im Gange. König Murakan war nicht entgangen, dass das prächtige Tor weit geöffnet war und ihm zeigte, wie sehr die Eroenyaner ihre Gäste willkommen hießen und er ließ sich nur zu gerne auf diesen angenehmen Besuch ein. Lediglich Karrnatan konnte dieser freundlichen Stimmung nichts abgewinnen und grimmig folgte er seinem König in den Palast. Stets auf der Hut vor drohenden Gefahren ließ er seinen Blick über die Anwesenden gleiten.
König Murakan und ganz besonders Elenas waren von den riesigen Gemälden, die die Geschichte von Eroenya erzählten, angetan. Fasziniert stand die Königstochter im großen Saal und ließ die Darstellungen auf sich wirken. Amelias hingegen konnte seinen Blick nicht von der wunderschönen Prinzessin nehmen, es war ihm äußerst angenehm, Elenas die Hintergründe und Geschichten, die auf den Gemälden festgehalten waren, zu erklären und er bedauerte es, dass die Gäste sehr bald gebeten wurden, sich auszuruhen, damit sie am Abend die Feier, die zu Ehren des Königs Murakan stattfinden würde, genießen konnten.
Während sich die königlichen Gäste zurückgezogen hatten, war der Festsaal prunkvoll mit Bändern und Blumen geschmückt worden. Alles war vorbereitet für diesen besonderen Abend und inzwischen waren auch die ersten Gäste eingetroffen. Edel und prachtvoll gekleidet fügten sie sich in den herrlich geschmückten Rahmen dieses Saales. Die Stimmung war angeregt, doch die Gäste wussten nur zu gut, wie bedeutend dieser Abend für die Geschichte von Eroenya und Marndron war.
Alle unterhielten sich mit gesenkten Stimmen, auch die Musik war nur begleitend im Hintergrund zu hören und das Geschehen vermengte sich zu einem angenehmen Gemurmel, das nur auf einen Augenblick zu warten schien.
Plötzlich wurde es still und alle Augenpaare waren auf die hohe Tür des Festsaales gerichtet, die von einem Diener geöffnet wurde.
König Murakan und Prinzessin Elenas betraten den Saal und keiner der Anwesenden wagte diesen einzigartigen Moment auch nur mit dem kleinsten Geräusch zu zerstören. Die Prinzessin trug ein wunderschönes elfenbeinfarbenes Kleid, das über und über mit glänzenden Perlen besetzt war und an einen frischen Wasserfall erinnerte. Die edle Seide umschmeichelte die natürliche Schönheit der Prinzessin und obwohl sie bescheiden und still neben ihrem Vater an der Tafel Platz genommen hatte, vermochte niemand seinen Blick von ihr zu nehmen.
Das Fest war an Herrlichkeit nicht zu überbieten, König Tabian wusste, wie er seine Gäste zu empfangen hatte. Und ganz besonders die Gäste aus dem nachbarschaftlichen Reich sollten ein Fest feiern, das ihnen unvergesslich war. Die köstlichen Speisen und Getränke wurden in einer noch nie dagewesenen Fülle aufgetragen. Es mangelte an nichts, alles, was man sich vorstellen konnte, kam auf die Tafel. Auch Musiker, Gaukler und Artisten gaben ihre Talente zum Besten und unterhielten die Gäste mit außergewöhnlichen Darbietungen.
König Murakan und Prinzessin Elenas amüsierten sich auch prächtig, ohne jedoch ihre wichtige Aufgabe zu vergessen. Die Könige zogen sich im Lauf des Abends in die Bibliothek zurück, um in die Beratungen für den Friedensvertrag zu treten. Als Gastgeber eröffnete König Tabian das Gespräch:
„Ich möchte noch einmal meiner Freude Ausdruck verleihen, dass Ihr meiner Einladung zu diesen Gesprächen gefolgt seid. Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere beiden Völker durch die Öffnung des Handelsweges zu Wohlstand kommen und sich ihr Horizont erweitern wird. Wir können viel voneinander lernen.“
König Murakan stimmte mit einem Kopfnicken zu:
„Es ist an der Zeit, die Ketten, die die gegenseitigen Vorurteile um uns spannen, zu sprengen. Machen wir uns auf den Weg in eine bessere Zukunft. Unsere Aufgabe als Führer der beiden Völker ist es, vor allem die Sicherheit zu garantieren und Vertrauen aufzubauen. Lasst uns über die Bedingungen verhandeln.“
Die gute Stimmung verhieß ein rasches Einigwerden, beide Könige waren sich im Klaren, wohin sie ihre Völker führen wollten und sie waren bereit, zu geben und auch Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Von Anbeginn stand der Schutz und Ausbau der Handelswege im Mittelpunkt der Gespräche und die Herrscher einigten sich auf strengste Strafen für Angriff und Provokation des jeweils anderen. Damit war der Weg offen, um Waren auszutauschen und Reisenden freies Geleit zu ermöglichen. Zweimal im Jahr sollten sich höchste Vertreter beider Länder treffen, um diesen Vertrag an die jeweiligen Ansprüche, die die Zeit mit sich brachte, anzupassen. Die Könige waren äußerst zufrieden mit diesem neuen Verhältnis zwischen Eroenya und Marndron und ließen diesen bahnbrechenden Vertrag von einem Diener niederschreiben, während sie sich wieder in den Festsaal begaben.
Ein Gong, der ihren Eintritt verkündete, ließ die Festgäste mitten in ihren Gesprächen verstummen, die sich in angeregt freundschaftlicher Weise zwischen den Senatoren, Gelehrten und hohen Persönlichkeiten entsponnen hatten und eine überaus angenehme Stimmung im Saal verbreiteten. Jetzt waren alle Blicke mit Spannung auf die Majestäten gerichtet, die gemeinsam auf einer Empore standen und die wesentlichen Eckpunkte des Vertrages wiedergaben.
Als sie ihre Zufriedenheit und Hoffnung für die Zukunft ausdrückten, fielen die Gäste in einen tosenden Applaus, der wohl nicht der Etikette des Festes entsprach, aber der Erleichterung und Freude der Gäste über das neue und friedvolle Miteinander zwischen den Nachbarstaaten ehrlich Ausdruck verlieh.
Nur einer ließ sich von der Begeisterung der Festgäste nicht anstecken und blickte grimmig auf die Herrscher. Heerführer Karrnatan applaudierte zwar, um den Schein zu wahren, doch sein Innerstes brannte vor Wut und Enttäuschung. Dieser Frieden durfte nicht zustande kommen, mit aller Gewalt wollte er das verhindern.
Ganz anders fühlte Amelias, er war sehr zufrieden mit diesem Bündnis und versprach sich das Beste von der Zukunft. Doch die Könige vermochten nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sein Blick glitt immer wieder zu Prinzessin Elenas. Und zuweilen trafen sich ihre Blicke sogar, dann lächelten sie sich zart zu und erhoben die Gläser.
Amelias hatte sich ein Herz gefasst und wollte sich gerade einen Weg zu Elenas bahnen, als ihn einer seiner Offiziere ansprach und in ein Gespräch verwickelte. Prinzessin Elenas hatte bemerkt, dass Amelias auf dem Weg zu ihr aufgehalten wurde und nutzte die Gelegenheit, um sich auf den Balkon des Palastes zurückzuziehen.
Das Fest und die Aufregung um den Vertrag war ein wenig viel für die junge Prinzessin und sie wollte an der frischen Luft Erholung von dem Trubel finden. Verzaubert genoss sie den atemberaubenden Anblick, ihre Augen hafteten in der Ferne am schimmernd fließenden Licht des Wasserfalls, das wie Perlen in der Dunkelheit der Nacht glänzte. Fasziniert lehnte sie sich an die Balkonbrüstung und hatte Amelias gar nicht bemerkt, wie er hinter sie getreten war und die Prinzessin voller Verzauberung betrachtete.
„Ein wunderschön friedlicher Anblick, nicht wahr, Prinzessin? Das ist unser Perlenlicht, ein Wasserfall, der hoch oben in den Bergen seinen Ursprung hat.“
„Einfach überwältigend. Noch nie habe ich etwas Vergleichbares gesehen. Wie schön wäre es, das aus der Nähe zu betrachten“, antwortete die Prinzessin, ohne ihren Blick von diesem Geschenk der Natur zu nehmen.
Amelias ließ sich vom sehnsuchtsvollen Ton der Prinzessin verleiten und bot ihr, ohne nachzudenken, an:
„Wenn Ihr keine Angst vor Kaplan habt, Prinzessin, kann ich Euch hinbringen.“
Noch bevor er sein ungehöriges Angebot bedauern konnte, lachte sie ihn an:
„Nur ganz kurz, Heerführer. Ich hole schnell eine Stola und gebe meiner Dienerin Bescheid. Dann brechen wir auf!“
Sie drehte sich um und wollte gerade in den Ballsaal zurückgehen, als ihre Dienerin auf den Balkon trat.
„Bitte bringe mir ein Schultertuch. Ich mache einen kurzen Ausflug zu Perlenlicht.“
Das entsetzte Gesicht der Dienerin veranlasste die Prinzessin hinzuzufügen:
„Mach dir keine Sorgen, Heerführer Amelias begleitet mich, ich werde nicht lange weg sein.“
Eilig entschwanden die Prinzessin und der Heerführer zu den Stallungen, wo im hinteren Teil, abgetrennt von den Pferden, Kaplans Reich war. Amelias bat die Prinzessin, ein paar Schritte zurück zu bleiben, damit er den Tiger in Ruhe begrüßen konnte. Er trat zu Kaplan, streichelte ihn zwischen den Ohren und flüsterte ihm ein paar Worte zu. Dann bedeutete er Elenas auch vorzutreten und führte ihre Hand, damit auch sie den Tiger zwischen den Ohren kraulen konnte. Kaplan genoss die Liebkosung mit einem Schnurren. Damit war das Eis gebrochen und es war auch der Prinzessin erlaubt, mit Amelias auf dem Rücken des Tieres Platz zu nehmen, um zu Perlenlicht aufzubrechen.
Doch dieser nächtliche Ausflug blieb nicht unbemerkt, von einem Fenster aus wurden die beiden beobachtet. Karrnatan presste seine Kiefer aufeinander, seine Augen brannten und seine Finger umschlossen den Krug in seiner Hand so eisern, dass das Metall nachgab. Doch davon bemerkten Elenas und Amelias gar nichts auf ihrem Ritt durch die samtige Nacht, die durch das Mondlicht so erleuchtet wurde, dass sich den beiden der Weg durch die Wälder zu Perlenlicht klar zeigte. Kaplan war auf einer Hügelkuppe stehen geblieben, die die Sicht auf das leuchtende Perlenlicht uneingeschränkt freigab und wo das Tosen des in die Tiefe stürzenden Wasser richtig spürbar war. Elenas verfolgte mit ihrem Blick den Lauf des Wassers, wie es sich in einem Becken fing und sich danach der im Mondlicht glänzende Fluss sanft weiter durch das Tal schlängelte. Die Prinzessin war überwältigt von diesem Naturschauspiel, das sich ihren Augen bot. Sie fühlte die besonders friedvolle Atmosphäre und öffnete ihr Herz, um diesen Augenblick zu genießen. Langsam lenkte Amelias Kaplan ein Stück den Hügel hinunter, sie durchritten ein dichtes Waldstück, bis sie einen Moment später eine Lichtung mit einem glasklaren Teich erreichten, dessen Oberfläche fast unmerklich leuchtete und wie ein Spiegel so glatt vor ihnen lag.
Langsam näherten sie sich dem Wasser und Elenas konnte bis auf den Grund sehen und sie entdeckte Fische und andere Lebewesen darin. Immer noch gefangen in der Stimmung stieg Amelias wortlos von Kaplans Rücken, reichte der Prinzessin seine Hand und führte sie ans Ufer. Beide wandten ihr Gesicht den Felsen zu und genossen den einzigartigen Anblick, wie Perlenfäden stürzte das Wasser herunter. Die Haut wurde von der sprühenden Gischt liebkost und hinterließ ihren frischen Hauch. Das Gesicht der Prinzessin leuchtete vor Begeisterung, sie konnte keine Worte für dieses Wunder finden, noch nie zuvor hatte sie etwas Vergleichbares gesehen. Amelias war sehr davon angetan, wie beeindruckt die Prinzessin von diesem herrlichen Ort war, den auch er selbst so sehr verehrte.
„Es ist einfach unbeschreiblich schön“, flüsterte Elenas so leise, als könnte sie den Moment dieser Schönheit stören.
„Der Legende nach ist dies die erste Quelle der Erde, hier entsteht alles Leben. Jede Kreatur nimmt die ihr eigene Kraft für die Aufgaben des Lebens mit, wie und wo auch immer sich das Schicksal erfüllt, hierher kehren die Seelen zurück.“
„Und Ihr Schicksal, Heerführer Amelias, habt Ihr es bereits erkannt?“
Die Prinzessin sah den Heerführer nun verstohlen von der Seite an.
„Mein Leben ist dem König und den Menschen in Eroenya gewidmet, ich diene ihnen mit der ganzen Kraft, die mir gegeben wurde.“
„Das ehrt Euch, Amelias, aber gibt es außerhalb dieser Tätigkeit nicht auch noch Platz für mehr? Für Familie, Gefühle, Liebe?“, forderte ihn Elenas heraus und sah ihm dabei nun ruhig und tief in die Augen.
„Ich kenne nur die Liebe meiner Eltern, sie sind bereits vor langer Zeit gestorben. Eine andere Liebe habe ich bis jetzt nicht gefunden und weiß auch nicht, ob sie Platz in meinem Leben hat“, antwortete Amelias.
Während Elenas noch regungslos dastand und die Worte in ihr nachwirkten, schöpfte Amelias mit der Hand Wasser auf die Blumen. Sofort begannen sie an jenen Stellen, an denen das Wasser sie berührte, zu leuchten. Elenas lächelte und tat es Amelias gleich und bald standen sie inmitten eines leuchtenden Blumenkreises. So sehr es Amelias auch schwer fiel, diesen phantastischen Ort und die Zweisamkeit mit der Prinzessin zu verlassen, so sehr wusste er auch um seine Verpflichtung. Und die gebot es ihm, Elenas jetzt wieder zum Palast zurück zu bringen.