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Kapitel 2
ОглавлениеIch parkte meinen Wagen und lief auf mein Haus zu. Blätter und Dreck vom Waldboden kratzen und juckten in meinem Schritt, wie tausend Ameisen. Genervt stocherte ich mit dem Finger zwischen den Zähnen. Bambi war letzte Nacht nicht schnell genug, dachte ich. Oh, wie ich diese Wolf-Nächte doch verabscheue! Ich kam an der Haustür an und kramte meinen Hausschlüssel heraus, dann schloss ich rasch die Tür auf. Auf leisen Sohlen trat ich ein. Ich wusste nicht, ob Violetta noch schlief oder schon auf war. Jedenfalls wollte ich so oder so keinen Radau machen. Geräuschlos schlich ich durch mein Haus. Mein erstes Ziel war die Küche, um etwas zu trinken, danach wollte ich unbedingt duschen und vielleicht ein kleines Nickerchen machen. Ich lief in die Küche, dort saß Violetta am Küchentisch und frühstücke. Sie knabberte an einem Toast und trank einen Tee, außerdem las sie die Zeitung. Ihre schulterlangen schwarzen Haare waren noch feucht vom duschen und sie trug einen Bademantel, der ihr viel zu groß war. Der war eigentlich mein Ersatzbademantel, doch weil ich ein kräftiger Mann und Violetta nur eine gertenschlanke Frau war, sah es aus, als würde sie in einem Zirkuszelt stecken. Ihr schien dies nichts auszumachen. Violetta Miller wohnte jetzt seit zwei Wochen bei mir. Ich hatte sie in einer verschneiten Vollmondnacht blutverschmiert im Wald getroffen und wegen ihrer misslichen Lage mit zu mir nach Hause genommen. Ab da war es dann Knall auf Fall gegangen. Seit Jahren besaß Violetta merkwürdige Fähigkeiten und wurde immer wieder von zerstörerischen Wutanfällen heimgesucht. Wir haben herausgefunden, dass dies daran lag, dass sie ein Halbdämon ist. Und nicht nur irgendeiner, sondern die Tochter von Baal, dem König der Hölle. Wegen ihrer Abstammung war ein Haufen okkulter Spinner hinter Violetta her gewesen, der wiederholt versucht hatte sie zu entführen. Schließlich war es ihnen geglückt uns zu erwischen. Die Sekte plante mich Violetta, ihrer >Prinzessin<, zu opfern. Mit Violettas Hilfe gelang es mir mich zu befreien... Um es kurz zu machen, ich habe alle getötet und Violetta angeboten bei mir zu wohnen. Sie hatte dankend angenommen. Seitdem lebten wir in einer kuriosen Lebensgemeinschaft, etwas was noch sehr neu und ungewohnt für mich war. Bisher hatte ich eigentlich immer alleine gelebt. Na gut, ehrlich gesagt, ist es schon ungewohnt für mich überhaupt sesshaft zu sein. Die meiste Zeit meines Lebens hatte ich als Nomade verbracht, der ruhelos umherzog. Aber nun zurück zum Wesentlichen. Ich lächelte. “Guten Morgen“, sagte ich. “Du bist ja früh auf! Wie kommt´s?“ Violetta musterte mich misstrauisch. “Ich konnte nicht schlafen. Und wie war deine Nacht im Wald? Ist irgendwas ungewöhnliches passiert?!“ Ich runzelte die Stirn. “Du meinst ungewöhnlicher, als die Tatsache, dass ich mich in einen Wolf verwandelt und ein paar Karnickel gefressen habe? Nö, nicht wirklich. Alles wie gehabt. Warum fragst du?“ Sie durchbohrte mich mit ihren grünen Augen. Was ist hier nur los?, grübelte ich. Hab ich irgendwas falsch gemacht? Violetta hielt mir die Zeitung hin. “Letzte Nacht gab es einen Wolfsangriff!“ “Wie bitte?!“, fragte ich überrascht und nahm die Zeitung. Rasch las ich die Schlagzeile und überflog den Artikel. Eine junge Frau war nach einem Disko Besuch von einem anscheinend wolfsähnlichen Tier angegriffen worden. Bisher wusste man noch nicht genaues, nur das die sichergestellten Pfotenabdrücke zu groß für einen normalen Wolf waren. Die Polizei wollte einen Tierexperten herbestellen, der die Pfoten- und Bissspuren analysieren sollte. Ich bemerkte Violettas bohrenden Blick von der Seite. “Warum guckst du mich so an?“, fragte ich. “Ich war das nicht!“ “Woher soll ich das wissen?“, fragte sie. “Du warst letzte Nacht als Wolf unterwegs und heute wird eine zerfetzte Frau aufgefunden. DU bist der einzige Werwolf, den ich kenne. Findest du nicht, dass das verdächtig ist?“ Ich grummelte. Hatte ich erwähnt, dass Violetta leichte Probleme mit dem Vertrauen hatte? “Okay, dann lass es mich so sagen: WENN, und das ist ein hypothetisches >Wenn<, ich diese Frau umgebracht hätte, wäre ich nicht so schlampig und dämlich gewesen, die Leiche liegen zu lassen, sondern hätte sie irgendwo entsorgt, wo sie niemand findet. Stimmst du mir da zu?“ Sie zögerte. “Da ist was dran. Aber wer war es dann?“ Ich stierte auf den Zeitungsartikel und knurrte unwillkürlich. “Irgendein fremder Werwolf, der in meine Stadt eingedrungen ist und Ärger will.“ “Deine Stadt?“ Ich verzog das Gesicht. “Werwölfe sind sehr territorial. Diese Stadt gehört sozusagen mir. Ich weiß, wie schräg das klingt, aber so ist es halt. Instinkt ist Instinkt.“ Sie schüttelte den Kopf. “Die übernatürliche Welt ist eigenartig.“ “Wem sagst du das!“, erwiderte ich. “Wenn ein neuer Werwolf in der Stadt ist und munter vor sich hin mordet, müssten sich eigentlich schon einige Leute bei mir gemeldet haben...“ Da fiel mir ein, das ich mein Handy ausgeschaltet hatte. Rasch kramte ich es hervor und schaltete es wieder ein. Fünf SMS und eine Nachricht auf der Mailbox hatten sich angesammelt, allesamt von Jovana, meiner einzigen und ältesten platonischen Freundin, die nebenbei auch noch eine gut 250 Jahre alte Vampirin war. Ich hörte die Nachricht ab: “Hallo, Oskar. Schau in die Zeitung. Es ist wichtig. Melde dich bitte bei mir... Am besten heute noch. Komm in die Kneipe. Bis später.“ Ich legte mein Handy beiseite und holte mir endlich ein Glas Wasser, dann setzte ich mich an den Küchentisch und trank es in großen Schlucken aus. Violetta knabberte an ihrem Toast. “Hast du Hunger? Soll ich dir auch was machen?“ Ich schüttelte den Kopf. “Nein, danke. Ich geh jetzt gleich erst mal duschen, anschließend schaue ich, was als nächstes ansteht. Wir müssen Jovana besuchen. Sie möchte höchstwahrscheinlich auch mit mir über den Wolfsangriff sprechen.“ “Was passiert deswegen jetzt?“ Ich zuckte mit den Schultern. “Wir werden sehen. Ich kümmere mich darum.“ Kurze Stille. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. “Mal was anderes: Hast du eigentlich schon was von dem Computer Experten gehört, dem du die Festplatten geschickt hast?“ Bevor das Versteck der Sekte samt ihrer toten Mitglieder abgebrannt wurde, wurden die Festplatten von Computern sichergestellt, um weitere Informationen zu erhalten. Diese Festplatten hatte ich einem Bekannten geschickt. Ich schüttelte den Kopf. “Nein. Bisher konnte er nichts rauskriegen.“ “Woher kennst du den Kerl überhaupt?“ “Ach vor Jahren hatte er ein paar ernsthafte Probleme mit einigen zwielichtigen, gefährlichen Typen, die hatten jemanden beauftragt, um ihm das Leben zur Hölle zu machen. Ich habe geholfen.“ “Und wie?“ Ich lachte. “Ganz einfach. Ich habe seine Katze nicht vergiftet und auch nicht seine Wohnung abgefackelt, stattdessen sind wir zu unserer jetzigen Vereinbarung gekommen.“ Violetta schaute mich, wie ein Auto an. Kichernd stand ich auf. “Du müsstest dich jetzt mal sehen können. Wirklich zum totlachen!“ “Irgendwann musst du mir dringend mehr über deine Vergangenheit erzählen!“, sagte sie. “Bisher kamen immer nur kleine Häppchen und Andeutungen.“ “Irgendwann werde ich das bestimmt machen“, antwortete ich und stand auf. “Aber nicht jetzt. Jetzt gehe ich nämlich erst mal duschen.“ Und damit verschwand ich in Richtung Badezimmer. Dort angekommen zog ich mich aus und ging unter die Dusche. Erleichtert schrubbte ich den Dreck aus dem Wald ab und seifte mich gründlich ein. Als ich endlich wieder sauber war, stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und streifte einen Bademantel über. Nun schlenderte ich in mein Schlafzimmer und zog mir frische Sachen an. Ohne lange zu überlegen nahm ich einen grauen Pullover, eine schwarze Anzughose und Halbschuhe aus Leder, außerdem zog ich einen schwarzen Wollmantel über. Ruck zuck war ich fertig. Startklar lief ich in die Küche, wo Violetta gerade mit dem Frühstücken fertig geworden war. Ich nahm mir ein paar Bananen aus der Obstschale. “Machst du dich bitte auch ausgehfertig?“, fragte ich. “Wir müssen los. Jovana hat sich so angehört, als wäre es dringend.“ Sie schaute mich überrascht an. “Warum muss ich mit? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du meine Hilfe gebrauchen könntest...“ “Darum geht es auch gar nicht“, antwortete ich. “Du bist ein Teil der übernatürlichen Welt, weißt aber so gut wie nichts über sie. Du musst Erfahrung sammeln, um alleine klarkommen zu können. Außerdem ist es ja nicht so, als wärst du ein Klotz am Bein. Du kannst mir bestimmt irgendwie, irgendwo helfen.“ Sie verzog ihr Gesicht. “Das hört sich so an, als wäre ich die Letzte, die beim Völkerball gewählt wird, weil die keiner im Team haben will.“ “Mach dich nicht lächerlich“, erwiderte ich. “Aber wenn du nicht mit willst, brauchst du auch nicht. Ich bin der Letzte, der dich zu irgendwas drängt.“ “Nein, nein, schon gut“, sagte sie. “Gibt mir 10 Minuten und ich bin fertig.“ “Alles klar. Ich warte.“ Sie verließ die Küche und ging zu ihrem Zimmer in der oberen Etage. Ich wusste das, weil ich mit meinen übermenschlich guten Ohren ihre Schritte verfolgen konnte. Gemächlich aß ich die Bananen und ging zur Haustür. Kurze Zeit später kam Violetta. Sie steckte nun wieder in einem ihrer üblichen Grufti Outfits, bestehend aus klobigen kniehohen Lederstiefeln, einer schwarzen Jeans, einer schwarzen Bluse und einer schwarzen gefütterten Lederjacke gegen die Kälte draußen. Um das Ganze zu vollenden, hatte sie sogar noch die Zeit gefunden sich zu schminken. Ihre Augen waren schwarz umrandet und sie hatte schwarzen Lippenstift aufgetragen. Ich lächelte. “Können wir los, Prinzessin der Dunkelheit?“ Sie verdrehte die Augen. “Sicher, Wolfi. Es sei den, du musst nochmal Gassi gehen.“ Sie lief an mir vorbei, öffnete die Tür und trat nach draußen. Amüsiert folgte ich ihr. Wir liefen zu meinem >Mercedes-Benz GLK<. Meinem SUV mit Vierradantrieb, Automatikschaltung und extra großem Kofferraum, falls ich mal wieder sperrige Sachen transportieren musste. Ich schloss auf und setzte mich auf den Fahrersitz. Violetta nahm auf dem Beifahrersitz platzt. Und schon ging die Fahrt los. Keiner von uns sagte allzu viel. Ich war eher schweigsam, weil ich mich über das Eindringen des fremden Werwolfes ärgerte und weil ich von der letzten Nacht noch müde war. Warum Violetta nur still aus dem Fenster starrte, wusste ich nicht. Vielleicht, so absurd es auch klingen mag, hatte sie einfach nichts zu erzählen. Soll es ja auch geben... habe ich mal irgendwo gehört. Wie auch immer. Wir sprachen jedenfalls nicht viel miteinander und kamen rasch und ohne Zwischenfälle an unserem Ziel an. Ich parkte meinen Wagen vor einer Spelunke, die aussah, wie eine ganz normale Kneipe, doch in Wahrheit handelte es hierbei um einen >Treffpunkt der Freaks<, wie Violetta es genannt hatte, als ich sie zum ersten mal hierhin mitgenommen hatte. Dieser Treffpunkt der Übernatürlichen gehörte meiner langjährigen platonischen Freundin Jovana, die mich ja so unbedingt hatte sehen wollen. Ich wandte mich an Violetta, die schon dabei war sich abzuschnallen, um auszusteigen. Behutsam, aber bestimmt hielt ich sie am Handgelenk fest. “Da drinnen bleibst du dicht bei mir, verhältst dich ruhig und passt auf, okay? Ich habe es dir schon mal gesagt, nicht Jeder in der übernatürlichen Welt ist so freundlich, wie ich. Gib keine persönlichen Informationen weiter und traue niemandem. Verstanden?“ Sie verdrehte die Augen. “Diesen Vortrag hast du mir schon beim letzten mal gehalten! Ich habe es verstanden! Meine Güte für einen Werwolf bist du ehrlich eine verdammte Glucke! Erzählst du mir als nächstes, dass man bei rot nicht über die Straße gehen soll?“ “Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn da drin gleich die Hölle losbricht und ich anfange Köpfe abzureißen“, sagte ich amüsiert, ließ Violettas Handgelenk los und stieg aus. Wachsam lief ich zum Eingang der Kneipe und betrat das schummrige Lokal. Es stank nach Alkohol und Zigarettenqualm. Der Mief stach ganz fürchterlich in meiner hypersensiblen Nase. Angewidert verzog ich das Gesicht und schaute mich um. Die Kneipe war gut besucht. Im Raum verteilt standen Vierertische herum und an den Wänden gab es kleine Sitznischen. All dies interessierte mich herzlich wenig. Ich bin kein Kneipenbesucher. Mir ging es nur um die Frau, die an den Bartresen gelehnt, da stand und uns schon zu erwarten schien. Sie hatte rostbraune gelockte Haare, die heute zu einem komplizierten Bauernzopf geflochten waren, nur einige Haarsträhnen hingen ihr lose ins Gesicht. Sie steckte, wie fast immer, in einem kunstvollen mittelalterlichen Kleid mit weißen flauschigen Ärmeln und einem langen wallenden Rock. In beiden Ohren trug sie kleine goldene Ohrringe. Ihre Hände und ihr Hals waren ebenfalls mit allerlei Schmuck verziert. An den Füßen trug sie hohe Stiefeletten aus Leder. Das war meine Zigeuner-Vampir Freundin Jovana. 250 Jahre jung und, wie bereits erwähnt, stolze Besitzerin dieser Kneipe. Hinter ihr, in einem kleinen Abstand, befand sich eine unruhige Menschenmenge, die bei meinem Eintreffen noch unruhiger wurde. Genauer gesagt, war es keine Menschenmenge, weil die versammelten Leute allesamt keine Menschen waren, sondern diverse übernatürliche Wesen. Irritiert musterte ich die Szenerie. Was soll der Aufstand? Ich blieb vor Jovana stehen. “Hallo. Hier bin ich. Was kann ich für dich tun?“ “Hallo“, sagte sie. “Hast du die Frau umgebracht?“ Ich runzelte die Stirn. “Du bist heute schon die zweite, die mich das fragt. Wirke ich neuerdings so blutrünstig?!“ Sie lächelte. “Nein. Nicht mehr als sonst. Ich frage dich nicht, weil ich denke, du hättest die Frau zerfetzt, sondern wegen denen da.“ Sie zeigte beiläufig auf das Grüppchen hinter ihr. “Die sind besorgt, dass du dich vielleicht nicht mehr im Griff hast.“ Ich fixierte die Gruppe. “Aha. Hatten die schon vor mit Mistgabeln, als wütender Mob bei mir zu Hause aufzutauchen?!“ “Nein, nein. So schlimm war es dann doch nicht“, versicherte Jovana. “Aber mein Telefon hat nonstop geklingelt. Viele Leute aus der übernatürlichen Gemeinde machen sich Sorgen, wegen dem Wolfsangriff und wollten, dass ich mit dir spreche.“ “Und warum haben die sich dann nicht bei mir gemeldet?“ Sie zögerte. “Du kennst deinen Ruf. Sie haben nicht nur vor einem möglicherweise fremden Werwolf Angst. Sie fürchten sich auch vor dir.“ Ich verdrehte die Augen. “Okay. Das macht Sinn.“ “Hast du eine Ahnung, wer der fremde Wolf sein könnte?“ Ich zuckte mit den Schultern. “Woher soll ich das wissen? Er hat sich nicht vorgestellt. Du weißt doch, wie Werwölfe sind. Die meisten ziehen von Stadt zu Stadt. Er könnte von überall herkommen. Vielleicht erkenne ich ihn, wenn ich seine Spur aufgenommen habe.“ “Du kümmerst dich also darum?“, fragte Jovana. “Das ist nämlich der nächste Punkt über den ich mit dir sprechen sollte.“ Ich lächelte. “Jeder, der meinen Ruf kennt, sollte wissen, dass ich mir so ein eindringen in meine Stadt nicht gefallen lasse. Ich kümmere mich darum. War´s das?“ “Nein“, sagte sie. “Können wir kurz unter vier Augen sprechen. Ich wollte sowieso mit dir sprechen, nicht nur wegen der Wolfsattacke.“ Ich schaute Violetta an, die bisher stumm unserer Unterhaltung gelauscht hatte. Ich zögerte. Ich wollte sie nicht alleine lassen, andererseits hatte sie natürlich auch recht. Sie war kein kleines Kind und konnte ganz gut auf sich selber aufpassen. “Kommst du alleine klar?“, fragte ich Violetta. “Es dauert auch nicht lange.“ “Glucke“, antwortete sie amüsiert. “Ich werde es schon überleben, wenn du mal fünf Minuten weg bist. Jetzt mach schon! Besprecht, was auch immer ihr besprechen müsst.“ Ich zuckte mit den Schultern. Na, wenn sie das sagt. Jovana führte mich in eine abgelegene Sitzecke und nahm platz. Ich tat es ihr gleich. Gelassen faltete ich meine Hände. Aus dem Augenwinkel behielt ich Violetta im Auge. “Also?“ Jovana schaute zu meiner Mitbewohnerin hinüber. “Musstest du sie hierhin mitnehmen? Sie ist bestimmt ein nettes Mädchen, aber du weißt, was ich von ihr halte.“ Ich grummelte. Jovana hielt Violetta für eine tickende Zeitbombe, wegen ihres Dämonenerbens. Normalerweise sind Halbdämonen nur Menschen mit ein paar Zusatzfähigkeiten, doch Violettas Dämonenelternteil war nicht irgendein Dämon, sondern der König der Hölle... oder Satans rechte Hand... oder Satan selbst. Je nach dem, wen man fragt. Wie auch immer. Leute, wie Violetta sind sehr selten, weil es nicht einfach ist für so mächtige Dämonen in unsere Welt zu gelangen und wenn sie es doch schaffen, bedeutet dies nie etwas gutes. Ein Halbdämon, wie Violetta einer ist, hat nicht nur ein paar Superkräfte, sondern ist wirklich zur Hälfte ein Dämon. Das bedeutet, sie hat den selben Chaoshunger, das selbe Vergnügen am zerstören und die selbe Mordlust. So zumindest die Theorie. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Violetta sich, obwohl sie voll im >Dämonen-Modus< war wieder in den Griff gekriegt hatte, also war ich den Legenden eher skeptisch gegenüber. Ich runzelte die Stirn. “Wolltest du deshalb mit mir unter vier Augen sprechen? Ich dachte, dass wäre längst geklärt. Sie wohnt bei mir und ist Teil der übernatürlichen Welt. Sie muss lernen sich zurecht zu finden, also begleitet sie mich. Wo ist dein Problem?“ “Darum geht es eigentlich gar nicht“, sagte sie, winkte ab und atmete tief durch. “Ich habe einem alten Geschäftspartner vor einiger Zeit 200.000 Euro geliehen. Bisher hat er keinen einzigen Cent zurückbezahlt. Er weigert sich, kommt immer wieder mit Ausreden und Entschuldigungen an und bittet um Aufschübe... Normalerweise wäre das nicht so wild, aber ich habe Geld bei meinen Investitionen verloren und die Steuer sitzt mir im Nacken. Könntest du mir bitte mein Geld beschaffen?“ “Warum holst du dir dein Geld nicht selber?“, fragte ich überrascht. “Du bist doch kein Kind von Traurigkeit.“ Sie lächelte verschmitzt. “Ich mache mir nicht gerne die Hände schmutzig. Das weißt du doch. Außerdem kennst du dich mit solchen Angelegenheiten viel besser aus, als ich.“ Da hatte sie allerdings nicht unrecht. Ich hatte lange als Schuldeneintreiber gearbeitet. Erfahrungen hatte ich in dem Bereich zuhauf. “Ich regele das für dich“, sagte ich. “Gib mir einen Namen und eine Adresse. Alles weitere erledige ich. Wie soll er es abbezahlen?“ “50.000 Euro sofort und den Rest in Raten“, sagte sie und holte einen Zettel und einen Stift hervor. Rasch kritzelte sie mir die gewünschten Daten hin, danach reichte sie mir den Zettel. “Ach das sollten wir auch noch klären“, sagte sie. “Wie hoch ist dein Anteil? 10%? 20%?“ Ich winkte ab. “Du kennst unsere Vereinbarung für solche Gelegenheiten. Ich nehme kein Geld von dir. Das höchste der Gefühle wäre es, wenn du mich zum Essen einlädst, aber du, als Vampirin, isst nichts, also fällt auch das ins Wasser.“ Sie lächelte. “Ich könnte dir aber beim Essen zu schauen.“ Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe. “Das klingt ziemlich schräg... wie auch immer. War´s das? Ich habe noch viel zu tun. Ich muss einen Werwolf ausfindig machen und in seine Einzelteile zerlegen.“ “Pass auf dich auf“, sagte Jovana und tätschelte meine Hände, die auf dem Tisch lagen. Ich grinste. “Mach ich doch immer. Ich halte dich auf dem Laufenden.“ Ich schaute zu Violetta hinüber. Was wohl gerade in ihrem Kopf vor sich geht?
Violetta beäugte baff die anwesenden Übernatürlichen. Ist das da hinten eine Fee?, fragte sie sich fassungslos und musterte eine feingliedrige etwa 1,60 Meter große Frau mit Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken, die einige Zentimeter über dem Boden flatterte. Unglaublich!, dachte sie. Am Rande ihres Sichtfeldes bemerkte sie, dass Oskar wieder aufgestanden war und auf sie zu kam. Alle im Raum beobachteten ihn. Manche tuschelten leise mit dem Nebenmann, andere rutschten nur unbehaglich auf ihren Stühlen herum. Oskar blieb vor Violetta stehen. “Können wir los?“, fragte er lächelnd. Das alle ihn misstrauisch musterten, schien ihm nicht allzu viel auszumachen. Licht fiel durch eines der großen Fenster auf sein Gesicht. Dadurch konnte Violetta die Narben in seinen Augenbrauen sehen. Je nach dem, wie er den Kopf hielt konnte man auch noch erkennen, dass seine Nase mit Sicherheit einige male gebrochen gewesen war. Unter seinem Wollmantel verbarg sich seine muskulöse Statur, wobei auch hier einem die Narben sofort ins Auge fielen. Als Violetta darüber nachdachte, wurden ihre Wangen warm. “Sicher“, murmelte sie. “Wir können gehen.“ “Ist irgendwas?“, fragte Oskar und seine grauen Augen blitzten. Sie winkte ab und grinste. “Alles bestens. Du trödelst schon wieder. Ich dachte, du wolltest gehen.“ Er lächelte. “Na dann komm.“ Er drehte sich nochmal um und winkte Jovana, dann gingen er und Violetta nach draußen zu seinem Mercedes und stiegen ein. Sie seufzte. “Und was machen wir nun?“ Oskar schaute auf die Uhr. “Die Polizei ist bestimmt fertig mit dem Tatort. Wenn nicht, ist das auch egal. Ich habe ja meine Kontakte. Wir schauen uns jedenfalls den Tatort an und ich versuche mehr Informationen über den Angreifer zu gewinnen.“ “Klingt gut“, sagte sie und lehnte sich zurück. Oskar startete den Wagen und fuhr los.