Читать книгу Parkinson - Elisa Rudolf - Страница 6
Umbruch
ОглавлениеAn die Fahrt zur Klinik kann ich mich kaum noch erinnern, ich sehe mich als nächstes in der Notaufnahme der Klinik Royale, einem renommierten Krankenhaus, wärmstens empfohlen von meiner Hausärztin. Ich glaube nicht, dass sie schon mal da war, da wäre ihr Urteil wohl anders ausgefallen.
In der Notaufnahme wurden wir in das Wartezimmer verwiesen, es war picke-packe voll. „Mein Gott, da sitzen wir ja morgen früh noch hier“ sagte ich mit Panik in der Stimme. Dieter war auch nicht gerade begeistert. Im Endeffekt lungerten wir zehn Stunden dort rum, mittlerweile ging ich am Stock, hatte seit Stunden nichts gegessen. Es war halb elf Uhr abends, als die Ärztin endlich erschien.
Sie entschuldigte sich vielmals wegen der langen Wartezeit. Sie hatten etliche Notfälle zu behandeln und mussten sich natürlich erst um die „schweren“ Fälle kümmern. Hmm, ich war also kein „schwerer“ Notfall in ihren Augen. Vielleicht musste ich erst ohnmächtig vor ihrer Tür zusammenbrechen, um behandelt zu werden. Es schien ihr aber wirklich leid zu tun, schließlich war es nicht ihre Schuld, ich wollte nicht vorschnell urteilen.
Die Ärztin führte mich zu ihrem Sprechzimmer, Dieter musste draußen warten.
Nach einem circa halbstündigen „Interview“, während dessen sie einen Anamnesebogen ausfüllte, bestätigte sich die Diagnose meiner Hausärztin. „Sie haben eine Depression, aber keine Sorge, das können wir behandeln“, meinte die Ärztin. Erst heute war ein Bett freigeworden. „Ich könnte sie dort noch unterbringen, ansonsten müsste ich sie auf die Warteliste setzen, und das kann unter Umständen dauern.“, meinte sie. Ich war erst mal erleichtert. Die Ärztin erschien mir wie ein rettender Engel, eine Lichtgestalt am Ende des Tunnels.
„Wir arbeiten hier mit zwei Konzepten“, erklärte sie. „Zum einen bieten wir ihnen verschiedene Therapien an im Bereich Sport und Bewegung, Ergotherapie, Kulturelles und psychotherapeutische Sitzungen in der Gruppe. Das Ganze wird unterstützt durch die Einnahme von Antidepressiva, unser zweites Konzept“, fügte sie hinzu.
Holla, da wurde ich hellhörig. Ich hasse Tabletten, besonders wenn es sich um Chemiekeulen handelt. Ich lese auch grundsätzlich keine Beipackzettel mehr, da ich von den Nebenwirkungen die dort aufgeführt sind, garantiert heimgesucht werde. Ich fühlte mich hin und hergerissen, sollte ich mich in die „Höhle des Löwen“ wagen?
„Wie lange würde der Klinikaufenthalt denn dauern, und wie lange müsste ich die Tabletten einnehmen?", fragte ich.
„Der Aufenthalt hier bei uns dauert in der Regel vier bis sechs Wochen. Die Tabletten müssten sie circa ein halbes Jahr einnehmen“, lautete die Antwort. Die Ärztin hatte vergessen zu erwähnen, dass es sich hierbei um einen Richtwert für den „besten Fall“ handelte. Es hörte sich alles so easy an, wie ein Spaziergang.
Die Ärztin ließ mir keine Zeit, das Ganze noch mal zu überdenken. Schon am nächsten Tag konnte der begehrte Platz besetzt sein, und das bedeutete für mich: „Friss oder Stirb!“.
Letztendlich entschied ich mich fürs Fressen. Somit landete ich mitten in der Nacht in einem Vierbettzimmer der psychiatrischen Abteilung im royalen Krankenhaus. Ein Vierbettzimmer? Davon hatte die Ärztin nichts gesagt, sie rückte erst mit der Sprache raus, als wir schon vor der Zimmertür standen. Das stelle man sich mal vor, vier Leutchen auf engstem Raum, alle psychisch angeschlagen, wenn das mal gut geht. Mir wurde das frei gewordene Bett am Fenster zugewiesen. Zum Glück war die Schwester sehr nett, sie verkörperte so einen Muttertyp. Am liebsten hätte ich mich in ihre mütterlichen Arme sinken lassen. Doch statt liebevoller Umarmungen gab es eine Pille zum Einschlafen, die ich brav schluckte.
Dieter musste sich jetzt allein auf die Strümpfe machen. „Ich komme morgen wieder und bringe Dir noch ein paar Sachen mit, die Du brauchst“, versprach er mir. Ich nickte stumm und spürte einen Kloß im Hals.
„Danke für Deine Hilfe“, nuschelte ich. „Und fahr vorsichtig.“ Noch ein Gutenachtkuss, dann verließ er mich.
In dieser Nacht kriegte ich kein Auge zu. Ich wälzte mich hin und her und wartete darauf, dass die Tablette mich in den Schlaf wiegen würde, aber es war eher das Gegenteil der Fall. Ich war völlig aufgekratzt und aufgewühlt, zudem stand ich unter Beobachtung von einer meiner Bettnachbarinnen. Sie lag reglos da und starrte die ganze Zeit zu mir herüber. In dem dunklen Zimmer konnte ich nicht viel erkennen, es schien sich um eine ältere Patientin zu handeln.
Ich wünschte ihr eine Gute Nacht, aber sie reagierte nicht. „Dann eben nicht“, dachte ich. Gegen vier Uhr morgens hielt ich es nicht mehr aus, ich stand auf, schnappte mir meinen Bademantel und schlich mich raus. Mein Zimmer lag genau gegenüber vom Schwesternzimmer. Die Tür stand offen, ich klopfte bei der netten Schwester an und teilte ihr mit, dass ich nicht schlafen konnte. Wirklich helfen konnte sie mir nicht. Sie gab mir einen Beruhigungstee, und ich wanderte mit meiner Tasse den Flur entlang zum Foyer. Ich muss schon sagen, bei der Gestaltung der Eingangshalle haben sie sich nicht lumpen lassen, logisch, schließlich war es das Aushängeschild nach draußen. Die Halle war hell und freundlich gestaltet, mit vielen Grünpflanzen und farbigen Bildern an den Wänden.
Welch ein Unterschied zu meiner Abteilung mit ihren kahlen Fluren, dem kalten Neonlicht und dem hässlichen Linoleum als Bodenbelag.
Ich machte es mir im Foyer auf einem der Ledersofas bequem und beobachtete das Treiben. Es wunderte mich, dass um die Uhrzeit einige Patienten unterwegs waren, die hatten wohl das gleiche Problem mit der Schlaflosigkeit wie ich.
Ich versuchte, ein bisschen zu dösen, ohne Erfolg. „Okay, dann gehe ich jetzt eine rauchen“, beschloss ich. Bei minus sechs Grad im Bademantel war das keine große Freude. Ich machte ein paar Züge, während ich vor mich hinbibberte. Nee, das war mir zu kalt, ich ging wieder rein, zurück auf mein Zimmer. Mittlerweile war es fünf Uhr früh, ich legte mich ins Bett und schaffte es tatsächlich einzuschlafen.
Drei Stunden später wurde ich unsanft geweckt vom Pflegepersonal. Die Tür wurde aufgerissen und das grelle Neonlicht flammte auf. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, widerwillig öffnete ich die Augen. Ich sah mich in dem Zimmer um, mich traf fast der Schlag. Anscheinend gab es viel zu wenig Platz in den kleinen Spinden, sodass meine Mitpatientinnen ihre Klamotten rund um ihre Betten auf dem Boden drapiert hatten. Dazwischen tummelten sich die Wollmäuse. Wie sollte denn da noch geputzt werden? Es gab kaum ein Durchkommen. Ein Blick ins Bad zeigte mir einen vergammelten Duschvorhang, die Armaturen waren vom Kalk zerfressen, alles wirkte irgendwie dreckig und verkommen. „Da kann man ja die Krätze kriegen!“ würde Isa jetzt sagen. Sie hasst jegliche Art von Unrat, und mit vierzehn Hunden, ist es auch ein Auftrag, die Bude sauber zu halten. Meine Mitpatientinnen schien der Dreck nicht weiter zu stören, oder sie waren schon so abgestumpft, dass es ihnen gar nicht mehr auffiel..
Ansonsten schienen sie ganz nett zu sein, die eine so etwa in meinem Alter, und zwei ältere Herrschaften. Eine von ihnen war ein besonders „schwerer“ Fall. Es ging um die Patientin, die mich in der Nacht beobachtet hatte. Ich erfuhr von den anderen, dass sie täglich stundenlang an unserer Zimmertür stand und nach draußen horchte. Zwischendurch gab sie weinerliche Geräusche von sich.“Warum steht sie denn an der Tür?“, fragte ich.
„Sie bildet sich ein, dass sie beobachtet wird und die Schwestern den lieben langen Tag über sie reden. Sie glaubt, sie soll bald hier abgeholt werden“, wurde ich aufgeklärt. „Abholen? Wohin?“
Meine Bettnachbarin zuckte die Schultern. „Das weiß ich auch nicht so genau, vermutlich meint sie ein anderes Krankhaus, wo man sie einsperrt oder sonst was mit ihr macht.“
Ich war schockiert. Da kann man ja froh sein, dass man selber noch „billig“ dabei wegkommt, was die „Schwere“ der Krankheit angeht. „Aber, war mein Zustand wirklich „billig“? fragte ich mich. Ich fühlte mich beschissen, psychisch als auch physisch. Die Tablette, die ich am vorherigen Abend genommen hatte, zeigte bisher keine Wirkung. Ich ging im Schnelldurchgang unter die Dusche, anschließend begab ich mich mit den Anderen zum Frühstücksraum. Dort war ein Buffet aufgebaut, wir standen alle brav an, bewacht von einer Pflegerin, die mit Argusaugen darauf achtete, dass wir nicht mit schmutzigen Fingern im Essen rummanschten. Ich fühlte mich wie ein Schmuddelkind, das gemaßregelt werden musste. Großen Hunger hatte ich eh keinen. Ich bin nicht der Frühstückstyp. Mir war es schleierhaft, wie Leute sich am Wochenende zum Brunchen verabreden konnten und dann auch noch Unmengen davon aßen. Essgestört war ich nicht, was andere am Morgen vertilgten, holte ich über den Tag hinweg nach, in vernünftigen Portionen. Ich finde es gut, dass ich keine Dicke bin. Zudem bin ich der Typ, der keine Zeit hat, dick zu werden.
Ich fischte mir ein Brötchen aus dem Brotkorb, mit der Zange, versteht sich, dazu ein bisschen Marmelade. Ich fand meinen Platz neben einem älteren Patienten, der mit dem Kopf wackelte und anscheinend nicht in der Lage war, das zu stoppen. Er hieß Hans-Jürgen. Anfangs war ich irritiert von der Wackelei, doch ich gewöhnte mich schnell dran. Er war manisch depressiv, das war gewiss kein Zuckerschlecken!
Er war schon seit drei Monaten hier, und es war kein Ende für ihn in Sicht. Soviel zum vier bis sechswöchigen Aufenthalt. Da hatte mich die nette Ärztin in der Notaufnahme doch glatt falsch informiert. Irgendwie kam ich mir verarscht vor. Hans-Jürgen gab mir eine kleine Einführung in den Klinikalltag. Am Wochenende gab es keine Therapien, logisch, da blieben die Patienten sich selbst überlassen. Wer mochte, konnte nach Hause fahren, so als Maßnahme zur Wiedereingliederung. Das wollte ich nun gar nicht hören, eine leichte Panik machte sich bemerkbar. Ich wollte nicht nach Hause, was war los mit mir? Ich hatte regelrechte Angst davor, in die Wohnung zurück zu müssen. „Warte doch erst mal ab“, sagte ich mir. Vielleicht ging es mir ja nach einer Woche schon erheblich besser. Ha, ha, das glaubte ich ja selbst nicht.
Nach dem kleinen Frühstück wollte ich erst mal eine rauchen und mich bei Dieter melden. Ich stand von meinem Stuhl auf, und plötzlich wurde es mir ganz komisch zumute. In meinen Kopf drehte sich alles. Ich wusste nicht mehr, wo ich war und hatte die Orientierung verloren. Auf was für einem Trip war ich da? Hatte mir jemand was in den Kaffee getan? Er schmeckte übrigens scheußlich. Im Endeffekt glaubte ich nicht, dass es an dem Kaffee lag. Ich tippte auf die Pille, das Scheißzeug würde ich nie wieder einnehmen.
Ich machte ein paar unsichere Schritte zur Tür hin und überlegte, wie ich in mein Zimmer kam, rechts oder links? Ich entschied mich für links, und wankte den Flur runter bis zum Schwesternzimmer. Ich hatte mich also nicht verlaufen. Ein paar neue Gesichter tauchten auf, unter ihnen zwei Pfleger und eine Schwester, vom Typ Dragoner. Ich schätzte, sie konnte es mit dem stärksten Patienten aufnehmen. Sie hatte ein ziemlich lautes Organ, man hörte sie sicher noch zwei Flure weiter.
Meine Versuche, mich bemerkbar zu machen, wurden erst mal ignoriert. Ich kam mir vor wie ein Störenfried. Schließlich „erbarmte“ sich der Dragoner und sagte, ich solle mich hinlegen, wenn es mir nicht gut ging. Toll, der Gedanke war mir auch schon gekommen. Doch zuerst brauchte ich eine Zigarette. Unbemerkt vom Pflegepersonal schwankte ich nach draußen, das war keine gute Idee. Nach ein paar Zügen wurde ich noch wackeliger auf den Beinen. Also, nichts wie zurück auf mein Zimmer. Dort traf ich auf den Dragoner.
„Sie sollten sich doch hinlegen“, herrschte sie mich an.
Mein Gott, ich musste mich hier nicht entschuldigen oder rechtfertigen, ich war doch schon groß. Und trotzdem wurde ich ganz kleinlaut und legte mich aufs Bett, das hatte ich sowieso vorgehabt. Meine Mitpatientinnen waren ebenfalls anwesend. Sie blätterten gelangweilt in irgendwelchen Illustrierten oder lösten Kreuzworträtsel. Alle, bis auf eine. Die stand an der Tür und lauschte, sie tat mir sehr leid. Ich versuchte, ein Gespräch mit ihr anzufangen, doch ich stieß auf taube Ohren.
„Das bringt nix, haben wir alles schon versucht“, meinte meine zweite Bettnachbarin.
Hm, okay, dann ließ ich sie besser in Ruhe. Mir war immer noch schummrig zumute und ich hoffte, dass es mir wieder besser ging, wenn Dieter zu Besuch kam. Wenn ich an ihn dachte, verspürte ich wieder diesen Kloß im Hals.
Mir war plötzlich nach Heulen zumute. Die Tränen kullerten meine Wangen runter, und sie ließen sich nicht stoppen. Irgendwann versiegte die Tränenflut, und es ging mir glücklicherweise besser, als Dieter endlich kam. Er brachte Elena und Ramin mit, ein befreundetes Paar. Ich war froh, dass sie da waren.
Elena und ich waren der gleiche Jahrgang, wir hatten auch annähernd die gleiche Frisur, aber sie war ein bisschen kräftiger und größer als ich. Sie meinte, sie müsste abnehmen, aber das fand ich überhaupt nicht. Ihre Figur war vollkommen in Ordnung. Und sie hatte eine schmale, elegante, gerade Nase wie Kleopatra, die hätte ich auch gerne! Sie arbeitete als Pflegefachkraft in einer psychiatrischen Abteilung, sie kannte sich aus. Ich erzählte ihr von meinem morgendlichen Horrortrip mit den Tabletten. Auf keinen Fall wollte ich die weiternehmen.
„Die musst du auch nicht nehmen“, klärte Elena mich auf. „Wenn Du willst, können wir zusammen zu deiner Station gehen, und die Sache dort klären.“
Ich war erleichtert, dass ich nicht alleine da hinmusste. Wir marschierten also los, Dieter und Ramin warteten solange in der Cafeteria. Wenigstens gab es dort gescheiten Kaffee in verschiedenen Varianten.
Ramin war ein stolzer Perser, lebte aber schon seit Ewigkeiten in Berlin. Meine Tante, die viel Wert auf Äußeres legte, bekam ihn mal zu Gesicht und war begeisert. „Mann, sieht der gut aus“, meinte sie im Nachhinein. Da gab ich ihr recht. Sein durchtrainieter Körper machte schon was her, und die scheeweißen Zähne passten hervorragend zu seinem gebräunten Teint. Man konnte sich auch gut mit ihm unterhalten. Er ließ andere ausreden, wenn sie was zu sagen hatten und war im Allgemeinem ein guter Gesellschafter.
Während die Männer Kaffee tranken, stießen Elena und ich auf einen jüngeren Pfleger jn meiner Abteilung.
Elena trug ihm mein Anliegen vor. Der zuckte mit den Schultern, als ginge ihn das Ganze nichts an. „Dann eben nicht“, war sein flapsiger Kommentar, „Ich werd's notieren.“ Anscheinend fühlte er sich persönlich angegriffen. Elena fand das unmöglich, wie wir da abgefertigt wurden. Da musste ich ihr recht geben. Der Typ konnte mich eindeutig nicht leiden. Na dann, prost Mahlzeit auf die nächsten sechs Wochen!
Vor einiger Zeit hatte ich eine Studie gelesen, in der es darum ging, wie fremde Menschen aufeinander reagierten. Dazu mussten die Probanden nacheinander einen Raum betreten, mit hundert Leuten drin, die sie nicht kannten. Das Ergebnis fand ich interessant. Es stellte sich heraus, dass zehn von hundert die Neuen gut leiden konnten, weitere zehn von hundert konnten sie nicht leiden, und dem Rest waren sie egal. Hm, ich fand es ja sehr schön, dass es statistisch gesehen auch noch Leute gab, die mich mochten. Aber was war mit dem Rest? Zehn von hundert fand ich ein bisschen dürftig.
Mein innerer Kritiker, Henry, meldete sich zu Wort. „Da siehst Du es. Du bist nicht liebenswert“, suggerierte er mir. Ich suhlte mich im Selbstmitleid und grübelte darüber nach, wie ich es anstellen konnte, dass der Rest der Menschheit mich auch noch mochte.
„Du kriegst den Hals nicht voll“, meckerte Henry.
„Ja, ja, sei nicht so streng mit mir“, konterte ich.
Henry ging mir langsam auf den Zeiger. Ständig fand er ein Haar in der Suppe, machte mir alles madig, und verbreitete schlechte Laune.
Elena und Ramin verabschiedeten sich bald, was ich gut verstehen konnte. Wer verbrachte seine Zeit schon gerne im Krankenhaus? Dieter leistete mir noch ein bisschen Gesellschaft. Ich machte eine Liste von Sachen, die ich noch brauchte, unter anderem Schwimmzeug. Mittlerweile hatte ich in Erfahrung gebracht, dass es im Untergeschoss ein Schwimmbad gab, das fand ich ganz cool.
„Martha kommt morgen mit deinen Sachen vorbei“, sagte Dieter.
„Oh schön, das freut mich.“ sagte ich.
„Dann mache ich mich mal auf den Heimweg“, meinte Dieter. „Wir können ja später noch mal telefonieren.“
Ich nickte, hier gab es bald Abendessen. Ich begleitete Dieter noch nach draußen, dort umarmten wir uns und hielten uns fest. Jo, eine Freundin von uns aus England, würde jetzt sagen, lasst uns „knuddeln“. Sie war eine herzensgute, liebe, humorvolle Person. Leider sahen wir uns nicht so oft, weil sie beruflich viel unterwegs war. Sie hatte ein enormes Wissen in Sachen Kunst und Kultur, und sie unterrichtete auch in diesem Sektor, und Sie war ganz vernarrt in das Hunderudel nebenan. Leider konnte sie sich keinen Hund halten bei ihren beruflichen Verpflichtungen.
So langsam wurde es kalt draußen, noch eine letzte „Knuddelei“, dann stieg Dieter ins Auto und fuhr los. Ich stand am Eingang und schaute ihm nach.
Zurück auf der Station schaute ich im Aufenthaltsraum vorbei. Auf den Zimmern gab es keinen Fernseher, so trafen sich die Patienten abends, wer mochte, zum Fernsehen oder Gesellschaftsspielen. Leider gab es ab und an Unstimmigkeiten, was das Fernsehprogramm anging. Hans-Jürgen und ich, wir hatten einen ähnlichen Geschmack. Und meistens hatten wir auch Glück, das gucken zu können, was wir wollten. Vielleicht war es den anderen auch einfach nur wurscht, was gerade lief.
Es gab aber noch ein „Problem“, das uns aus dem Raum vertrieb. Muffelnde Senioren. In meiner ersten Zeit gab es einige ältere Herrschaften, weiblichen Geschlechts um die 80, die von nahegelegen Altenheimen eingeliefert wurden. „Die sind ja noch ganz agil und munter“, dachte ich. Sie trugen bunte Kleidung, waren behängt mit billigem Modeschmuck und trugen dicke Schminke zur Schau. Da wurde gescherzt und gelacht, ich wurde richtig neidisch. Na ja, wer weiß wie viele „Happymaker“ sie bereits intus haben.“ raunte Hans-Jürgen mir zu.
Er hatte eine sehr feine Nase, sobald die Ladys in ihren Rollstühlen im Anmarsch waren, riss er die Fenster unseres Fernsehraums weit auf und setzte sich an das hintere Ende des Tisches. Unter ihrer Schminke, ungewaschen und verschwitzt, kam es natürlich zu unangenehmen Gerüchen, ein Potpourri aus allem möglichen. Sogar mein abgestumpfter Geruchssinn konnte das noch wahrnehmen. Das Riechen, hm, das schien bei mir schon seit längerer Zeit seinen Dienst zu boykottieren, out of control! Damals schob ich es auf die Depression. Hans-Jürgen bat die Patientinnen, das Pflegepersonal bei der Körperhygiene um Hilfe zu bitten. Das hatten die Damen bereits getan. „Wir sind hier ein Akutkrankenhaus und kein Pflegeheim“, wurde ihnen beschieden, „Fürs Waschen haben wir keine Kapazitäten.“
Da fehlen einem die Worte, keine Kapazitäten frei? Wie oft kam ich am Schwesternzimmer vorbei, wo die Schwestern und Pfleger einen gemütlichen Plausch hielten, bei Käffchen und Kuchen. Ihr Hauptziel schien das Abwimmeln von lästigen Patienten zu sein. Hierbei konnte es durchaus zu Handgreiflichkeiten kommen.
An einem Tag, Dieter war zu Besuch da, saß ich mit ihm in der Besucherecke, am Ende des Gangs. Von dort hatten wir einen guten Ausblick auf das Treiben. Ein verwirrt aussehender Patient trat auf den Plan, er war wohl aus einer anderen Abteilung und hatte sich verirrt, wie er meinte. Bei uns wurde gerade Kuchen verteilt, und er wollte sich ein Stück davon nehmen. Die Kuchentante kreischte gleich los, er solle die Finger davonlassen. Der junge Pfleger, der mich nicht leiden konnte, kam aus dem Schwesternzimmer geschossen und stürzte sich regelrecht auf den Patienten. Der wusste gar nicht, wie ihm geschah und brüllte los.
„Das ist ja heftig,“ meinte Dieter. Ich war total erschrocken. Die Lage hatte sich zugespitzt, der Patient hatte angefangen, um sich zu schlagen. Es bedurfte noch eines weiteren Pflegers, um ihn festzuhalten. Gleich darauf erschien der Dragoner auf der Bildfläche, mit einer Spritze bewaffnet. Sie jagte dem Patienten die Nadel in den Arm, das Mittel schien ziemlich schnell zu wirken. Dieter und ich bewegten uns nach draußen, wir hatten genug gesehen.