Читать книгу Schöne Festtage - Elisa Scheer - Страница 2
Das echte Millennium
ОглавлениеEine Schnapsidee erster Güte war das - Silvester auf einer Hütte. Ich könnte jetzt gemütlich zu Hause sitzen und noch eineinhalb Tage machen, was ich will, und mich dann in aller Ruhe für eine wirklich schicke Silvesterparty aufstylen, dachte ich ärgerlich, als ich rechts ranfuhr und nach dem zerknitterten Zettel auf dem Beifahrersitz griff.
Millennium auf der Finsterbachhütte
Teilnehmer :
Marianne Zierer Lebensmittel (vgl. Liste)
Harald König Lebensmittel (vgl. Liste)
Karen Korff 2 Kästen Wasser; Kaminholz
Jens Brandes Kaminholz; 2 Kästen Bier
Silke Korff Lebensmittel (vgl. Liste)
Robert Zöllner Notfallrationen, Sekt für alle
Nora v. Haydt Kaffee, Tee, Kerzen, Spiele
Tarek Bruckner Benzinreserve, Raketen
Michael Hollen Batterien, Gaskocher
Anne Scherer Kuchen und Süßkram
Jeder bringt seinen persönlichen Bedarf selbst mit!
+ Bettzeug, warme Sachen, evtl. Ski, Schneeketten, Taschenlampe, Handy (aufgeladen!!)!
Ankunft 29.12.2000 ab ca. 15.00
Anfahrt : Autobahn bis Eschenlohe, dann B2 bis Hellenbach, am Gasthof Post rechts nach Neufinsterbach, unmittelbar nach Neufinsterbach (Tankstelle!) scharf rechts den Berg hinauf, hinter den drei abgestorbenen Tannen links, nach 200 m kommt die Hütte. Parken vor dem Haus.
Bis dann! Silke + Robert
Alles schön klar, man konnte Silke nichts vorwerfen.
Wo war ich hier eigentlich? Eben war ich doch noch auf der Autobahn gewesen - war das hier schon Hellenbach? Konnte fast nicht sein. Ich drehte den Zündschlüssel und fuhr weiter. Tolles Winterwetter – sanfter Regen und grüne Wiesen; gut, dass ich meine Ski zu Hause gelassen hatte. Da oben gab´s sicher ohnehin keinen Lift, und zum Klettern war ich wirklich zu faul.
Halb zwei - ich war mal wieder viel zu früh dran. Da vorne kam wieder eine Ortschaft – ah ja, Hellenbach. Wo war nun hier die Post? Ich schaute mich eifrig um und bemerkte sie erst, als ich schon daran vorbeigebraust war. Kühnes Wendemanöver, gut, dass hier niemand auf der Straße war. An der Post bog ich nun links ab und gab wieder Gas. Hoffentlich waren die Ketten im Kofferraum, falls es weiter oben doch schneite – ich konnte mich nicht erinnern, das überprüft zu haben, aber dieses blöde Projekt mit den Marinelook-Strickjacken in der Bretagne hatte mich bis heute Vormittag auf Trab gehalten. Nun dürfte aber alles geregelt sein, überlegte ich mir, Fotograf, Models, Klamotten, Location, Hotel, Catering, Flug, Minibus... Hatte ich die Visagistin verständigt?
Ich hielt wieder am Straßenrand und sah in meinen aufgequollenen Filofax. Doch, ich hatte es abgehakt. Also hatte ich wirklich alles geregelt. Ich war bloß froh, wenn ich nicht mehr für diese Termine verantwortlich war!
Gut, dann auf zu diesem albernen Wochenende. Ach, lieber eine schicke Party... Ehrlicherweise musste ich aber zugeben, dass ich auf gar keine schicke Party eingeladen war. Und Silvester mit einem Pikkolo vor dem Fernseher – nein, das konnte ich in zwanzig Jahren immer noch machen. Und Familie? Marius und Liz waren sicher bei Freunden eingeladen, Michael war wahrscheinlich irgendwo bei ganz feinen Leuten zu Gast, meine Eltern gingen gerne früh ins Bett, wahrscheinlich direkt nach Dinner For One. Auch keine Alternative. Also hatte ich mich von Silke breitschlagen lassen.
Neufinsterbach war wirklich eine Weltstadt: Ein Getränkemarkt (geschlossen), ein Edeka (geschlossen), ein BayWa-Schuppen, eine Postbus-Haltestelle, etwa zehn Höfe, starker Mistgeruch, nasse Straßen – ach, und die Tankstelle! Gut, tanken konnte nicht schaden. Ich fuhr hinein und sah mich um. Als ich den Tankdeckel abgeschraubt hatte und die Füllpistole hineinhielt, kam nichts. Seltsam... Auch die Spritpreise auf der großen Tafel waren verdächtig niedrig. Achselzuckend hängte ich die Pistole wieder auf und sah mich ratlos um. Ein Trecker ratterte vorbei. „Sie, Fräulein!“
„Ja?“ Der Junge auf dem Traktor grinste breit.
„Da kenna´s lang warten, da is scho seit Jahren zu!“
„Danke, auf die Idee bin ich auch gerade gekommen.“
Er fuhr grüßend weiter. Ärgerlich stieg ich wieder ins Auto. Musste ich mich hier vor den Eingeborenen zum Idioten machen? Bloß gut, dass der Sprit auch so noch reichte. Und wo ging es jetzt weiter? Scharf rechts, den Berg hinauf, nach drei abgestorbenen Tannen gucken... Der Nieselregen ging tatsächlich in dünnen matschigen Schnee über. Klasse Wetter, wirklich. Zu Hause hatte ich ein breites Sofa, könnte das gemütlich sein, jetzt darauf zu lümmeln und vielleicht den Krimi zu lesen, den ich gestern Abend angefangen hatte – Mist, warum hatte ich ihn nicht eingepackt? Auf dem Nachttisch vergessen...
Meine Laune sank weiter. Ich tuckerte den zunehmend verschneiten Berg hinauf, ärgerte mich über das trübe Wetter und sah jede Menge abgestorbener Tannen, nur nie drei beieinander. Dieser Wald gab optisch auch nichts her, da konnte man ja zum Öko werden! Da, drei auf einem Haufen. Und dahinter ging es links weiter. Abbiegen oder wenden und –zack- zurück nach Hause? Nein, so feige war ich nun auch nicht, rief ich mich zur Ordnung und bog ab. An den Scheibenwischern vorbei spähte ich neugierig nach vorne. Da, eine Holzhütte, tatsächlich eine Hütte. Ich hatte ja mehr auf so etwas wie ein Jagdhaus gehofft. Gott sei Dank, es ging an der Seite noch weiter. Und es war immer noch erst zwei Uhr. Zu früh... Ob ich die erste war?
Ich fuhr am Haus vorbei an die Vorderseite und parkte. Ein Auto stand schon da, ein affiger Jeep. Typisch!! Nummer aus der Stadt, aber Kuhfänger. Was schubste man damit beiseite? Kinderwagen? Rollstuhlfahrer? Einkaufswagen auf dem Supermarktparkplatz? Fühlte man sich dann wie John Wayne oder ein Großwildjäger? Konnte nur ein Idiot sein, beschloss ich und lud mein Gepäck aus – Koffer, Vorrätekorb, Tasche.
Ich schulterte meine Habseligkeiten, ließ die Fernbedienung piepsen und stapfte durch den leichten Schneefall zur Tür. Wahrscheinlich war ohnehin alles versperrt und der Großwildjäger trieb sich irgendwo draußen herum. Nein, die Tür war offen. Ich schob sie vorsichtig auf und linste in den dämmerigen Raum.
„Hallo? Ist da jemand?“
„Sieht man doch“, knurrte es und ich trat ein und stellte mein Gepäck ab. Die Stimme war von rechts gekommen, vom Kamin. Davor hockte jemand. Ich sah zunächst nur ein Flanellhemd im Stil von Al Borland und einen rotbraunen Pferdeschwanz.
Ein Vokuhila, das hatte mir gerade noch gefehlt. Wahrscheinlich hatte er vorne einen gewaltigen Bierbauch und redete ununterbrochen davon, was er mit seiner Tausender Kawasaki alles versägt hatte. Hoffentlich kamen bald zivilisiertere Leute! Wenn er sich mal umdrehte, könnte ich feststellen, ob er auch mit dem passenden Oliba ausgerüstet war, vielleicht im Dschingis-Khan-Stil? Die Safari-Schüssel draußen passte jedenfalls perfekt zu ihm.
„Servus“, sagte er geistesabwesend und stocherte im kärglich flackernden Feuer herum, ohne sich zu mir umzudrehen.
„Servus“, antwortete ich originell und schloss die Haustür. Es wurde sofort ziemlich finster. Also kramte ich zwei Kerzen aus meinem Korb, knallte sie auf den Tisch und zündete sie an. Viel nützte das auch nicht, aber immerhin bemerkte der Großwildjäger, dass ich mich um die Atmosphäre bemüht hatte. Er stand freihändig auf und drehte sich um. Kein Bierbauch. Mit ausgestreckter Hand kam er auf mich zu. „Tarek Bruckner.“
Ich erwiderte den Händedruck. „Nora Haydt. Wo kann ich denn meinen Kram hinschaffen? Sonst fallen wir im Dunklen noch drüber.“
Er sah mich missmutig an. „Das Feuer wird schon noch, keine Sorge.“
„Das hatte ich doch gar nicht gemeint!“ Ein Seelchen auch noch?
„Trotzdem wüsste ich gerne, wohin ich mein Gepäck schaffen kann.“
„Den Gang hinter, das linke Zimmer ist für die Mädels, das rechte für die Buben.“
„Herzlichen Dank“, flötete ich und schleppte meinen Kram dorthin. Fünf Betten, ein kleines Bad, ein wackliger Schrank. Ein Fach und exakt zwei Kleiderbügel müssten mir zustehen, berechnete ich und packte aus. Eiskalt war es in dieser Schlafkammer! Dann wusch ich mir das Gesicht. Müde sah ich aus, stellte ich fest, als ich meine Haare mit dem samtüberzogenen Gummiband wieder zum Pferdeschwanz bändigte. Meine Augen wirkten ganz dunkel, obwohl sie eigentlich normal grau waren. Und am Kinn bekam ich einen Pickel. Ich unterdrückte den Drang, daran herumzufummeln, puderte mich ein bisschen und schleppte die Tasche und den Korb wieder in den Gemeinschaftsraum, wo das Feuer nun ganz hübsch prasselte. Viel wärmer oder heller wurde es dadurch allerdings nicht, mein Strickzeug oder meine Notizen musste ich also gar nicht erst auspacken.
Ich sah mir diesen Tarek kritisch an, der am Kamin stand und mit der Stiefelspitze ein Holzscheit tiefer ins Feuer schob. Doch kein Vokuhila, er hatte die Haare einfach zurückgebunden. Und kein Bart. Sein Blick war irgendwo zwischen gleichgültig und abfällig. Auch egal.
„Ist an den Fensterläden etwas kaputt? Sonst könnten wir sie aufmachen und es wäre nicht ganz so finster...“
„Probieren Sie´s!“
Aha, er wollte also gesiezt werden?
Mit den Dingern war sicher etwas nicht in Ordnung, überlegte ich mir, als ich nach einem misstrauischen Blick auf ihn begann, an den Riegeln herumzudrücken. Sie waren recht schwergängig, aber schließlich bekam ich einen auf, was mich einen Fingernagel kostete, stieß die Läden auseinander, hakte sie draußen fest und schloss das Fenster wieder. „Ist doch besser, oder?“
„Wie Sie meinen.“
„Wenn Sie so auf die Dunkelheit stehen, dann machen Sie das Fenster halt wieder zu“, murrte ich und sah verärgert hinaus. Immer noch Schneefall! „Nein, schon gut.“
Ich setzte mich an den großen Tisch und packte meinen Skizzenblock und die Stifte aus, um ein paar Entwürfe zu konzipieren. Was sollte ich schließlich sonst tun? Artikel schreiben?
Tarek stocherte noch ein bisschen im Feuer herum, dann verließ er den Raum, offenbar wollte er auf seinem Bett ein bisschen schmollen, weil ihm gleich der erste Gast so wenig gefiel. Gut, dann hatte ich wenigstens Ruhe! In meiner Tasche fand ich das kleine Kofferradio. Ich stellte ein bisschen daran herum und fand schließlich einen Verkehrsfunksender.
Hochinteressant – Staus zwischen Nürnberg und Würzburg, salbungsvolle Worte des zuständigen Erzbischofs zum bevorstehenden neuen Jahrtausend, der Wetterbericht. Ergiebiger Schneefall sei zu erwarten. Gelogen wie immer, dachte ich mürrisch, der Wetterbericht stimmte doch nie. Für so viele Fehler möchte ich auch einmal so gut verdienen, überlegte ich mir nicht zum ersten Mal und strichelte einen Halsausschnitt.
Vielleicht Zöpfe nur an den Schultern? Alles andere glatt, eine cognacfarbene Seidenmischung? Ich nahm ein neues Blatt und berechnete die Strickschrift. Im April wollte Pour Elle wirklich elegante Pullover zeigen, und ich hatte sie zu entwerfen. Wo war denn der Taschenrechner? Etwa Nadelstärke drei, überlegte ich, sonst würde die ganze Sache zu klobig. Für Größe 38 – wie viele Maschen müsste ich anschlagen? Ich kramte weiter in meiner Tasche herum, bis ich die Größentabellen und meine Sammlung von Banderolen gefunden hatte. Da, eine Dreier! 32 Maschen ergaben zehn Zentimeter... Ich kritzelte mit Bleistift Zahlen an den Rand des Entwurfs. „Was treiben Sie denn da?“
„Ich entwerfe einen Pullover. Sieht man das nicht?“
„Wozu?“
„Das ist unter anderem mein Job. Ich arbeite bei Pour Elle.“
„Ist das ein Klamottenladen?“
„Nein, eine Frauenzeitschrift. Silke arbeitet auch da, aber sie ist bei LifeStyle und ich unter anderem bei Mode und Handarbeiten. Im April wollen wir vier elegante Pullover zum Selbermachen vorstellen. Das ist der erste. Und so lange noch niemand da ist, kann ich die Zeit doch nutzen.“ Sein glasiger Blick, der mir seine Langeweile signalisiert hatte, verwandelte sich bei meinen letzten Worten in pures Gift. „Niemand da? Herzlichen Dank!“
„Na, Sie waren doch bis eben irgendwo anders. Und ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass Sie sich mit mir unterhalten wollen.“
„Wie Sie meinen.“
Er verzog sich in die allerentfernteste Ecke und nahm sein Handy heraus. Einige Piepstöne, dann schaltete er ab und fluchte. „Kein Netz?“, fragte ich teilnehmend und fast überhaupt nicht süffisant.
„Akku leer.“
„Oh.“ Jetzt konnte ich mir den Spott nicht ganz verkneifen.
„Sie können meins nehmen. Ich hab den Akku aufgeladen.“
„Danke.“ Er freute sich nicht wirklich.
Wieder Piepstöne, wieder brach er in der Mitte ab. Dann starrte er auf das Display.
„Jetzt find schon was, du Mistding!“
„So können Sie mit ihrem eigenen Handy reden! Was ist denn jetzt wieder?“
Er schaltete aus und warf es mir zu. „Kein Netz. Funkloch oder so.“
„Unsinn, Sie müssen etwas falsch gemacht haben. Ich versuch´s nochmal.“ Mein Handy fand immer ein Netz!
Ich wartete, aber tatsächlich, keine Netzkennung, weder D 1 noch A 1 – dafür waren wir schließlich nahe genug an der Grenze. Was war das für eine unzivilisierte Gegend – gab´s hier keine Sendemasten?
„Scheiße.“ Ich packte das Telefon wieder weg.
„Hatte ich also Recht?“ Der Kerl grinste!
„Ja, tatsächlich. Gottverlassene Gegend hier. Scheißnatur!“
„Stadtpflanze!“
„In der Stadt hätte ich Licht, mein Zeichenbrett, meinen Computer, Musik, Wärme, Telefonverbindungen und meine Ruhe!“
Türenknallend verschwand er wieder. Heute war ich gut in letzten Sätzen, schon zwei Treffer, aber das ließ sich sicher noch steigern. Zufrieden rechnete ich weiter. Strickbündchen am Kragen oder eine Satineinfassung? Kein Satin, wenn ich schon das Muster hatte, beschloss ich. Ich riss den ersten Entwurf ab und verstaute ihn in der großen Mappe. Was nun? Viertel vor vier, es war draußen schon ziemlich dämmerig. Wieso kamen denn die anderen nicht? Ich trat vor die Tür, um nach der zu erwartenden Kolonne von Autos Ausschau zu halten.
Nichts, stattdessen tatsächlich kräftiger Schneefall und in der Ferne leises Donnergrollen. Wintergewitter oder kleinere Lawinen? Schwer zu entscheiden... Wenn die anderen nicht bald kamen, war es nicht mehr ganz ungefährlich, hier heraufzufahren.
Klasse Tag, wirklich! Ein Windstoß trieb mir die dicken Flocken ins Gesicht, und ich machte, dass ich wieder ins Haus kam. Ich hatte die Tür kaum verrammelt, als Tarek wieder hereinkam. Im Bubenschlafsaal war´s wohl zu langweilig? Zu kalt auf jeden Fall - wie ich heute Nacht schlafen sollte, war mir auch noch nicht ganz klar. Am besten in voller Montur!
Ich drehte am Radio herum und bekam tatsächlich wieder den Sender von vorhin. Hoher Nachrichtenwert – sie erzählten, es schneie allenthalben im südlichen Bayern. Ach was! Die ersten Lawinen wurden gemeldet, der Sturm hatte einige Bäume entwurzelt, am Rhein wurde ein Millennium-Hochwasser befürchtet. War das nicht jedes Jahr so? Die sollten lieber sagen, wo die Bäume umgestürzt waren – doch nicht die toten Tannen hinter Neufinsterbach?
„Was haben wir eigentlich zu essen da?“, fragte ich Tarek.
Er zuckte die Achseln. „Ich habe nur Benzin, Silvesterraketen und vier Tüten Kartoffelchips dabei. Für das richtige Essen waren andere eingeteilt.“
„Ich habe dreißig Müsliriegel und zwei Pakete Sesamknäcke, ansonsten Kerzen, einen Sack Teelichte, Kaffee, Tee und Spielkarten. Ach ja, und Trivial Pursuit.“
„Na, für heute Abend dürfte das reichen.“
„Hoffentlich muss es auch nur für heute Abend reichen“, gab ich zu bedenken. „Wie meinen Sie das?“
„Haben Sie in letzter Zeit mal rausgeschaut?“
„Wieso?“ Er schritt zur Tür und öffnete sie. Der Wind riss sie ihm sofort aus der Hand, und eine Menge Schnee wehte herein, bis er sie wieder eingefangen und zugedrückt hatte. „Schöne Scheiße! Der totale Sturm.“
„Und ich hoffe, diese gelegentlichen Donnerschläge sind nicht die kleinen Lawinen, von denen das Radio berichtet hat.“
„Lassen Sie es eingeschaltet, vielleicht sagen sie uns noch etwas Genaueres.“
„Scheißspiel“, murrte ich. „Da erlebt man einmal eine Jahrtausendwende und hängt dann auf dieser gottverlassenen Hütte fest.“ Ich stand auf und füllte einen Topf mit Wasser. Glücklicherweise arbeitete der Herd noch!
„Was wird das?“
„Kaffee. Sie auch?“
„Danke, ja.“
Tolles Geschirr hatten sie hier. Gruß aus Mittenwald oder ein Namensbecher – Reginald. Was für ein Name! Milch gab´s keine, Zucker fand ich, aber er schien etwas alt zu sein - besser der Zucker als der Kaffee.
Ich stellte Tarek den Reginald-Becher hin und nahm mir selbst das Souvenir. Er trank misstrauisch. Sah ich aus, als könnte ich keinen Kaffee kochen? „Nicht schlecht“, fand er dann und stellte die Tasse ab.
„Und was essen wir dazu?“ Er schaute mich an, als sei ich für das Essen zuständig. War ich hier die Hausfrau? Ich war ja nicht einmal wirklich freiwillig hier! Also zuckte ich die Achseln.
„Kartoffelchips, Müsliriegel und Knäckebrot, nehme ich an. Sonst haben wir ja nichts...“
„Also trockenes Knäcke brauche ich nicht so dringend. Ich schlage vor, erst einen Müsliriegel mit genügend Kaffee, um den Magen etwas zu füllen, dann verputzen wir eine Tüte Chips. Knäcke ist wohl mehr fürs Frühstück...“
„Ja, mit Butter und Honig“, murrte ich. „Wenn die anderen nicht zum Frühstück mit allem anderen brav auf der Matte stehen, gibt es Prügel.“
„Dabei helfe ich Ihnen!“ Wenn er grinste, sah er so übel auch nicht aus.
„Spielen Sie Rommé?“
„Gotteswillen! Können Sie Schafkopfen?“
„Zu zweit?“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Er ärgerte sich offenbar über seine eigene Dummheit. Sehr gut, wieder ein Treffer! „Ich kenne eine gemeine Variante von Rommé, wir nennen es aus unerfindlichen Gründen Malaiisches Poker. Soll ich´s Ihnen zeigen?“
„Na gut.“ Er aß seinen Müsliriegel auf und holte einen großen Suppenteller für die Chips. Ich schenkte noch einmal Kaffee nach.
„Also, das Grundprinzip entspricht Rommé, aber es ist vorgeschrieben, mit welchen Kombinationen man herauskommt. Erst zwei Sets, das sind drei gleiche, dann ein Set und einen Run, also vier zusammenhängende Karten der gleichen Farbe, dann zwei Sets, ein Run, als nächstes zwei Run, ein Set und so weiter, ich schreibe es auf. Wer es nicht schafft, muss es in der nächsten Runde nochmal probieren. Einmal war der erste schon durch, und ich bin immer noch bei zwei Sets/ein Run festgesessen...“
„Wir können es ja versuchen...“ Überschäumende Begeisterung war das nicht gerade.
„Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben – ich bin ganz Ohr!“, sagte ich nicht ohne Schärfe in der Stimme.
„Leider nicht. Also, packen wir´s an.“
Ich schrieb eine Punkteliste und mischte. „Sie mischen wie ein Mädchen!“
„Ich bin ein Mädchen!“
„Nicht mehr ganz...“
„Sie haben wohl lange keinen Kaffeetopf mehr an den Kopf gekriegt?“
Er grinste. „Geben Sie her, ich mische richtig!“
Er teilte die Karten in zwei Häufchen, bog sie zurück und ließ sie ineinander schnalzen. Das sah wirklich cooler aus, aber das konnte ich schlecht zugeben. „Das ruiniert auf die Dauer die Karten.“
„Ja, und bei den hohen Kartenpreisen heutzutage... Wie viele jeder?“
„Sie zwölf, ich dreizehn.“
„Wieso kriegen Sie eine mehr?“, fragte er neidisch.
„Ich komme raus, weil Sie gegeben haben. Und ich darf keine vom Haufen nehmen, Sie dann aber schon.“
Er teilte aus und machte ein Gesicht, als fühle er sich betrogen. Er wollte doch schließlich unbedingt machomäßig mischen! Ich nahm meine Karten auf und grinste in den Fächer hinein. Sollte er ruhig glauben, ich könnte sofort Schluss machen! Dabei hatte ich einen furchtbaren Mist bekommen: Alles Sortieren machte aus diesen Karten keine Sets. Er nahm eine Karte, sortierte sie ein, lächelte erfreut und legte dann genau diese Karte wieder ab. Haha! Ich konnte die nächsten beiden Karten wenigstens brauchen und knallte dann zwei magere Sets auf den Tisch. Wenigstens war ich draußen! Nur noch sechs Karten in der Hand...
Als ich nur noch zwei Karten hatte, fiel mir etwas ein. „Ach ja, wenn Sie nur noch eine Karte in der Hand halten, müssen Sie sagen Letzte Karte, sonst kriegen Sie fünf neue.“
„Ratte! Warum sagen Sie das nicht gleich?“
„Sie haben doch eh noch alle Karten in der Hand!“
Ich legte den Herzkönig zu den übrigen Königen, rief „Letzte Karte!“ und warf sie ab. „Ätsch!“
„Saublödes Spiel“, murrte er.
„Schlechter Verlierer?“
„Oh nein, warten Sie nur ab.“
Ich mischte nach seiner Methode und teilte aus. „Sie zwei Sets, ich ein Set, ein Run. Das ist schon mieser, also holen Sie mich vielleicht wieder ein.“ So lief es leider nicht für ihn – ich konnte fast sofort herauskommen und machte Schluss, als er gerade erst zwei Sets hingelegt hatte. Er schnaubte.
„Immerhin, Sie haben die erste Hürde genommen!“
„Sie reden wie eine Lehrerin zu einem besonders begriffsstutzigen Schüler. Dass du wenigstens deinen Namen richtig geschrieben hast, ist ja auch schon was! Seien Sie doch nicht so herablassend!“
„Lehrerin! Mein letzter Wunsch. Obwohl, die vielen Ferien...“
Er schnaubte wieder. „Das ist auch so ein populärer Irrtum. Lehrer haben im Sommer sechs Wochen Ferien, zur Hauptsaison. Der Rest sind keine Ferien, nur unterrichtsfreie Zeit!“
„Ja, ja. Das sagt Karen auch immer. Wer´s glaubt. Pfingsten ist doch immer die schönste Zeit im Jahr, und da gibt es zwei Wochen Ferien!“
„Sicher. Und Abiturkorrekturen, Schulaufgaben, Projektplanung für den letzten Abschnitt, Jahresbericht, Schüleraustausch und mit etwas Pech noch Schullandheim für die Unterstufe. Tolle Ferien!“
„Der Lehrer wird geboren, jammert und stirbt“, kommentierte ich und schob die Karten zusammen.
„Wo haben Sie denn diesen dummen Satz her?“
„Karen.“
„Die darf das, sie ist selbst Lehrerin. Sie dürfen das nicht.“ Er mischte gemächlich. „Wer sagt das?“, schnappte ich.
„Ich.“ Er grinste mich frech an und teilte aus. Ich überlegte kurz, ob ich noch mit den Beamtenpensionen anfangen sollte. Lieber nicht, dann brach er womöglich das Spiel ab – und zum Schreiben und Skizzieren war es mittlerweile wirklich zu dunkel. Drei Kerzen und das flackernde Kaminfeuer, das gab eine gemütliche, aber wenig detailfreundliche Atmosphäre. Also schwieg ich und nahm meine Karten auf. Nicht übel – zwei Sets hatte ich schon auf der Hand, und mit einer Kreuz Zehn wäre auch der Run komplett. Er steckte seine Karten um und ich legte eine Herz Zwei ab.
Die konnte er schon einmal nicht brauchen. Die Karte aus dem Stapel offenbar auch nicht, er warf sie verächtlich ab. Ich zog als nächstes tatsächlich die Kreuz Zehn und legte auf. Zwei Karten blieben mir.
Tarek warf mir einen nervösen Blick zu und nahm eine Karte. Wieder nichts.
Ich zog eine Herz Dame, legte sie zu den übrigen Karten, warf eine ab und verkündete Letzte Karte.
„Das dient auch nur dazu, die anderen Spieler nervös zu machen“, murmelte er.
Ich kicherte. „Und es wirkt, wie man sieht!“
Seine nächste Karte war offenbar nützlicher, er legte ein Set und einen Run auf und einiges bei meinen Sammlungen an. „Letzte Karte!“
„Ein echtes Duell“, sagte ich und nahm mir langsam die nächste Karte. Sie passte zu seinem Set. Ich ordnete sie dort ein, schwenkte die verbliebene Karo Vier, verkündete „Letzte Karte!“ und legte sie ab.
Wieder gewonnen! Er warf mir einen missmutigen Blick zu. Ich sammelte die Karten ein und begann zu mischen.
„Was machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte ich dann während des Austeilens.
„Ist das nicht klar geworden?“
„Warum?“ Ich knallte den Stoß in die Mitte und platzierte die oberste Karte aufgedeckt daneben.
„Nach dieser Feriendebatte? Ich bin Lehrer.“
„Tatsächlich? So sehen Sie gar nicht aus“, antwortete ich geistesabwesend, weil ich glaubte, schon zwei Runs auf der Hand zu haben. Nein, doch nicht, die Acht war Pik und nicht Kreuz, schade.
Er seufzte entnervt. „Können Sie nicht einmal erst denken und dann reden? Wie sieht denn ein Lehrer aus?“
Unverschämter Kerl! „Unsere hatten eher kurze, graue Haare und ein Aussehen, als ruhe die ganze Last der Welt auf ihren Schultern.“
„Haben Sie Karen auch schon gesagt, dass sie nicht wie eine Lehrerin aussieht?“
„Nein. So fesselnd fanden wir das Thema nicht. Woher kennen Sie Karen?“
„Schalten Sie doch mal Ihr Hirn ein“, antwortete er gereizt.
„Reden Sie nicht mit mir, als sei ich ein minderbemittelter Schüler!“
„Dann benehmen Sie sich nicht so. Außerdem rede ich mit Schülern nicht so. Aber Sie – Sie haben doch Abitur, oder? Dann könnten Sie doch etwas intelligenter auftreten.“
Ich warf meine Karten auf den Tisch. „Diese Frechheiten habe ich nicht nötig. Gute Nacht!“
Türenknallend verschwand ich in der Mädelkammer, wo ich beim Ausziehen möglichst viel Lärm verursachte und kräftig gegen die Betten trat. Dabei schlug ich mir den großen Zeh an und humpelte noch angefressener in das winzige Bad. Kaltes Wasser, toll. Aber das waren eben die Freuden des Hüttenlebens. Hatte ich das notwendig gehabt?
Fröstelnd lag ich im Bett, weder meine Bettdecke noch mein bodenlanges Flanellhemd schützten mich vor der Kälte. Und dieser blöde Hund da draußen. Unverschämter Lümmel, respektloser Affe, Steißtrommler, rachitischer... Über meiner Wut schlief ich schließlich ein.
Als ich aufwachte, war es wieder hell, einigermaßen. Und noch kälter, sofern das überhaupt noch möglich war. Ich brauchte eine halbe Stunde, bis ich mich aufraffen konnte, unter der Decke, die noch etwas Restwärme verbreitete, hervorzukriechen. Zitternd rannte ich ins Bad und wusch mich zähneklappernd mit dem eiskalten Wasser, putzte mir die Zähne, wobei ich alle Plomben spürte, zog mich dann so warm an, wie ich konnte – Thermojeans, dicke Socken, Stiefel, T-Shirt, Fleecehemd, Strickpulli – und bürstete meine Haare, bevor ich mir einen Zopf flocht. Gegen die Kälte noch eine Nährcreme ins Gesicht. Ob ich glänzte, war mir egal, aber geplatzte Äderchen brauchte ich nicht.
Im Gemeinschaftsraum war niemand. Ich setzte erst einmal Kaffeewasser auf und sah mich dann um. Die Spielkarten lagen ordentlich aufgeschichtet auf dem Tisch, quer über dem Abrechnungsblock stand Beleidigte Leberwurst! und das Kaminfeuer war aus. Nun gut! Ich schnappte mir den Holzkorb und öffnete die Haustür. Der Schnee reichte mir bis zum halben Oberschenkel, aber die Sonne schien etwas kraftlos von einem blauweißen Himmel herab. Hinreißende Winterlandschaft!
Direkt neben der Haustür stand eine Schneeschaufel. Ich setzte sie an und schob die Schneeverwehung beiseite, dann ging ich daran, einen Weg rund um das Haus freizulegen, damit ich zum Holzschuppen gelangen konnte, ohne meine wärmsten Hosen zu durchweichen. Der Schnee glitzerte in der Sonne und blendete mich, und ich geriet ganz schön ins Schwitzen. Zwischendurch sah ich auf die Uhr. Halb elf. Und immer noch niemand da. Noch einen Tag mit diesem Rüpel, und ich würde einen Mord begehen!
Schließlich schaffte ich es, um die Ecke zu biegen und gelangte damit auf die Wetterseite. Es wurde ja schon wieder grau, der nächste Schneesturm schien im Anmarsch. Schnell legte ich einen Weg zum Schuppen frei, holte den Holzkorb und lud ihn voll. Dann kehrte ich eilig in die Hütte zurück, wo das Wasser schon empört blubberte. Ich goss den Kaffee auf und begann dann damit, ein Feuer im Kamin anzufachen. Als es leise zu knacken begann, stieß ich die Fensterläden auf, so dass es einigermaßen hell wurde, und schippte dann draußen noch ein bisschen weiter – wenigstens bis zu den Autos, die nur noch wie weiße Buckel in der Landschaft standen, kaum dass man die beiden noch voneinander unterscheiden konnte.
Das war für heute genug Sport, fand ich. Und wenn wirklich schon der nächste Schnee im Anzug war, war die ganze Schipperei ohnehin für die Katz, aber zumindest hatte ich meine Aggressionen abreagiert und mich etwas warm gearbeitet.
In der Hütte wurde es langsam wärmer, die Flammen im Kamin gewannen an Größe und Kraft und erfassten allmählich auch das Holz, nicht nur die Späne und die Zeitungsknäuel. Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee, spülte dann den anderen Becher ab, nahm mir einen Müsliriegel und zwei Scheiben Knäckebrot und skizzierte den nächsten Pullover. Naturweißes Bändchengarn, grobe Netzstruktur, mit Süßwasserperlen bestickt, keine Ärmel, ein tiefer, schmaler V-Ausschnitt... Nein, das war Schwachsinn. Kein Ausschnitt. Die Form so neutral wie möglich... Ich kaute am Buntstift. Statt der Süßwasserperlen lieber Lederbändchen, in der gleichen Farbe? Musste man mit der Hand stricken, die Strickmaschine eignete sich besser für glatte, mehrfarbige Muster und weniger struppiges Garn...
Das gefiel mir alles nicht!
Lieber versuchte ich mich an einer Kolumne, Hüttenzauber aus Städtersicht... Ich kritzelte eine halbe Seite mit boshaften Anmerkungen voll, aber dann fiel mir schlagartig nichts mehr ein. Frustriert versuchte ich es noch einmal, aber ich merkte schnell, dass ich mich nur noch wiederholte.
Ärgerlich schob ich meinen Filofax zur Seite und holte mir die Spielkarten, aus denen ich mir eine schöne große Harfe auf den Tisch legte. Dann war ich eine genussreiche halbe Stunde damit beschäftigt, darum zu kämpfen, dass die Patience aufging. Kurz vor zwölf... Ich schenkte mir noch einen Kaffee ein und schaute danach wieder einmal zur Tür hinaus. Der Schneefall hatte wieder eingesetzt, langsam und stetig, in feinen Flocken. Also war es noch etwas kälter geworden! Vielleicht funktionierte das Handy draußen besser?
Ich trat wieder vor die Tür und wählte die Nummer von Silke. Nichts. Ich versuchte es noch einmal und wartete dieses Mal, bis das Handy ein Netz fand. Nichts, gar nichts. Hier schien wirklich ein Funkloch zu sein.
Fröstelnd kehrte ich in die Hütte zurück, legte noch ein Scheit aufs Feuer und wärmte mir die klammen Finger. Was war mit diesem Tarek eigentlich los? Abgehauen war er nicht, höchstens zu Fuß. Seine Safarikiste stand immer noch eingeschneit vor der Tür. Er schlief ja ganz schön lange. Na gut – wer schlief, brauchte nichts zu essen, und die Vorräte waren knapp genug.
Mir war langweilig. Hatte ich denn gar nichts zu lesen dabei? Oder gab es hier etwas? Ich suchte in den Regalen des großen Raumes herum und fand schließlich eine Klatschzeitschrift. Schlagzeile: Diana sagt die Wahrheit über ihre Ehe. Besser als nichts! Ich studierte sie so gründlich, wie ich noch nie ein derartiges Käseblatt studiert hatte, ich las sogar die Kochrezepte und das Horoskop für den Mai 1995. Gegen eins musste ich aber zugeben, dass auch dieses Heft seinen Zweck erfüllt hatte, nicht einmal die bärtigen Witze auf der Rückseite und die Werbung für praktische Polyesterröcke in Größe 56 hatte ich ausgelassen.
Gepolter kündigte Tareks Auftritt an. Und draußen schneite es immer noch, mittlerweile noch heftiger, wie mir schien. Ich drehte am Radio herum, fand aber außer Knacken, Knattern und plötzlichem Aufjaulen nichts.
„Guten Morgen.“ Er trat an den Herd und schenkte sich Kaffee ein.
„Guten Morgen.“ Nachdenklich betrachtete ich ihn, als er ohne Zeichen des Abscheus den bestenfalls lauwarmen Kaffee trank. Er war das einzige, was mich vor dem Tod durch Langeweile retten konnte. Vielleicht sollte ich mich mit letzten Sätzen etwas zurückhalten? Andererseits – was sollte man mit diesem Menschen tun, außer ihn zu ärgern? Das war doch gerade die Unterhaltung!
„Sie schauen so gereizt?“
„Mir ist langweilig“, bekannte ich.
„Ein Armutszeugnis“, fand er lehrerhaft. Schon eher oberlehrerhaft!
„Schlagen Sie mir was vor. Mein Buch habe ich leider zu Hause vergessen.“
„Entwerfen Sie etwas.“
„Hab ich schon, aber heute bin ich nicht kreativ.“
„Schaufeln Sie Schnee!“
„Hab ich auch schon, aber um halb elf. Längst wieder zugeschneit. Jetzt sind Sie dran.“
„Können Sie Patiencen legen?“
„Selbstverständlich!“
„Ach, ich vergaß ja, die Dame ist von Adel. Und warum legen Euer Gnaden dann keine Patience?“
„Weil ich das auch schon gemacht habe. Ist Ihnen eigentlich klar, dass es schon bald halb zwei ist? Ich glaube nicht, dass heute noch jemand kommt. Sollten wir nicht eher versuchen, wieder ins Tal zu gelangen?“
Er zuckte die Achseln.
„Probieren können wir´s, aber ich glaube, die Straße ist zu. Ein Vorschlag: Ich trinke dieses Spülwasser noch aus und esse einen Müsliriegel, und Sie suchen noch ein bisschen nach einem Sender, ja?“
„Okay“, seufzte ich und drehte weiter am Sendersuchlauf herum. da – war da nicht was?
„Krzkrzkrck... heftige Schneefä...krz... pfft... insterbach... krz... tüüüüt... Warn..... krckkrck... winengefahr...krckkrck... pffft.“
„Tolle Meldungen. Anscheinend ging´s aber um die Finsterbacher Gegend. Mist!“
Tarek schluckte den Rest seines Müsliriegels herunter und schlüpfte in seinen Anorak. Ich tat es ihm gleich und grabschte nach meinem Autoschlüssel. Er sah mich zweifelnd an. „Haben Sie Ketten?“
„Logisch.“
„Allradantrieb?“
„Nein. Ich fahre einen Golf. Sie natürlich, was?“
„Sicher. Nehmen wir meinen. Wenn die Strecke frei ist, kommen wir sofort zurück, packen und hauen dann mit beiden Wagen ab, einverstanden?“
Ich nickte. „Klingt vernünftig. Dann wollen wir Ihre Safarischüssel mal ausbuddeln.“
„Safarischüssel?“
„Wozu braucht man in der Stadt Kuhfänger?“
Er grinste spöttisch. „Damit schubse ich die Omas vom Zebrastreifen. Aber hier könnte man einen kleinen Baum vielleicht damit aus dem Weg schieben...“
„Auch wieder wahr“, brummte ich.
Wir fegten den Schnee von seinem Wagen und legten die Scheiben frei. Dann klopften wir uns den Schnee von der Kleidung und stiegen ein. Als Tarek den Zündschlüssel drehte, rührte sich nichts. Unwillkürlich lächelte ich höhnisch, bis mir einfiel, dass es auch in meinem Interesse lag, wenn wir hier bald wegkamen. Er warf mir einen bösen Blick zu und versuchte es noch einmal. Diesmal erwachte der Motor stotternd zum Leben und Tarek wendete den Wagen in Richtung Straße. Dann hielt er wieder an. „Was ist jetzt?“
„Ketten aufziehen. Was dachten Sie denn?“
Als wir mit klammen Fingern die letzten Ketten befestigt hatten, konnten wir es versuchen. Die ersten dreißig Meter ging es recht gut. Vielleicht könnten wir schon in einer Stunde auf einer gemütlichen und Vertrauen erweckenden Bundesstraße dahinrollen? Oder, das höchste der Gefühle – auf einer schönen, geräumten Autobahn, ganz zivilisiert? Tarek bremste. Vor uns lag ein ziemlich mickriger Baum halb über der Straße. Mit den Kuhfängern war nichts, sie waren zu hoch angebracht. Also raus aus dem mittlerweile angewärmten und beschlagenen Wagen! Gemeinsam zerrten wir an den Ästen herum, bis sich der Baum soweit bewegt hatte, dass wir um ihn herumkurven konnten – halb auf dem Bankett. Weiter! Nach Neufinsterbach konnten es nur noch etwas mehr als hundertfünfzig Meter sein, oder?
Erst als Tarek mich verächtlich ansah, merkte ich, dass ich das laut gesagt hatte. „Hundertfünfzig Meter bis zu der Stelle mit den drei toten Bäumen, meinen Sie wohl. Schon vergessen?"
„Scheiße, ja!", murrte ich.
Kurz vor dieser Abzweigung standen wir vor einer Schneemauer. Hier war also tatsächlich eine - wenn auch bescheidene - Lawine heruntergegangen. „Kreuzdonnerwetter noch mal!“ Ich war so enttäuscht.
„Haben Sie zufällig einen Spaten im Wagen?“
„Das ist nicht Ihr Ernst!“
„Mein voller Ernst!“
„Ich hab sogar zwei ... Dann wollen wir mal!“
Er reichte mir einen Spaten und ich begann wie wild zu schaufeln und den Schnee in den Straßengraben zu schleudern. Nach einigen Minuten hielt ich keuchend inne, wischte mir den Schweiß ab und grub dann wie besessen weiter. Tarek rammte seinen Spaten in den Schneehaufen und stieg hinauf.
„Dahinter geht es ein Stück weiter, aber dann sieht man eine richtig fette Baumwurzel auf der Straße. Den Baum schaffen wir nicht zu zweit.“
„Oh doch...“
Ich grub immer noch und trampelte den Schnee in der Mitte fest. Eine leichte Delle hatte ich in den Schneehaufen schon gegraben, aber nie käme man da durch, Allradantrieb hin oder her. Egal! Ich schaufelte weiter, so dass mein Zopf herumflog und ich vor Anstrengung und Zorn keuchte. Tarek half mir, aber dann ließ er seinen Spaten fallen. „Das ist sinnlos!“
„Ist es nicht! Ich will nach Hause!“
„Nicht heute!“
„Doch!“
Ich grub weiter, obwohl mir die Arme so wehtaten, dass ich nur noch wenig Schnee mit jedem Spatenstich beiseite warf. „Hören Sie auf!“
„Nein!“
„Hör auf, Nora! Bitte!“
„Wir können es schaffen...“ Ich sah ihn verzweifelt an.
„Nein, nicht heute. Niemand kann mit zwei Spaten eine Lawine wegschaufeln, auch nicht eine so kleine. Es hat keinen Sinn, glaub mir.“
„Und zu Fuß? Wenn die Straße frei ist, können wir die Autos immer noch holen.“
„Möglich. Aber nicht heute. Das können wir morgen versuchen, wenn es dann noch nötig ist.“
„Ich will nicht tagelang hier festsitzen. Niemand weiß, dass wir hier sind!“
„Das stimmt doch gar nicht.“
„Doch! Die anderen denken doch, wir sind auch nicht hier, wetten?“
„Da ist leider was dran“, murmelte er.
„Dann wird niemand sich besonders beeilen, uns hier rauszuholen.“ Ich brach in Tränen aus.
„Wein doch nicht, bitte. Davon wird es doch auch nicht besser...“
Ja, leider. Ich weinte noch mehr. Dass man nichts machen konnte, hatte mich immer schon in den Wahnsinn getrieben. Tarek sah mich etwas verstört an, dann zuckte er die Achseln und legte einen Arm um meine Schultern. Ich heulte ein bisschen auf seinen Anorak, dann machte ich mich energisch los. „Tschuldigung. Ich wollte kein Jammerlappen sein.“ Ich putzte mir wütend die Nase.
„Und wenn wir die Schneeschaufel holen?“
„Morgen“, entgegnete Tarek fest.
„Und wenn es noch mehr schneit?“
„Dann haben wir Pech gehabt. Ich mach dir einen Vorschlag.“
„Ja?“
„Wenn es morgen noch schlimmer ist, zünden wir vor der Hütte ein großes Feuer an, das sieht man vielleicht unten im Dorf – wenigstens den Rauch.“
„Gut. Warum können wir es heute nicht mehr zu Fuß versuchen?“
„Nora, du bist albern!“
„Ach ja?“, fuhr ich auf. Nicht nur, dass er mich ungefragt duzte, er behandelte mich auch noch wie ein kleines Kind!
„Ja! Es ist fast drei Uhr! In einer halben Stunde wird es langsam dunkel. Willst du im Dunkeln über Lawinenabgänge und umgestürzte Bäume klettern?“
„Nein“, gab ich ungern zu.
„Also, fahren wir in die Hütte zurück, ja?“
„Wenn es sein muss“, murrte ich.
„Schau, wir haben noch genug Holz und auch Kerzen und etwas zu essen. Bis morgen halten wir es noch aus.“
Er warf die Spaten auf den Rücksitz und bugsierte mich in seinen Jeep. Frustriert starrte ich auf die beschlagene Scheibe, während er vorsichtig wendete und zur Hütte zurückfuhr.
Drinnen war es wenigstens warm und trocken. Das Feuer brannte noch, aber es war leider die einzige Lichtquelle. Eigenartig – einen Elektroherd gab es, aber kein anständiges Licht. Und Petroleum für die Lampen hatte nicht auf unseren Listen gestanden. Egal – es hätte sicher auf der Liste von jemand anderem gestanden und wäre jetzt ohnehin nicht verfügbar, genauso wie etwas Anständiges zu essen. Tarek ging mit der Taschenlampe nach draußen und nahm den Korb mit. Nach zehn Minuten kehrte er mit grimmiger Miene zurück.
„Das mit dem Notruffeuer können wir vergessen, fürchte ich.“
„Warum?“
„Es ist gar nicht mehr so viel Holz da. Wenn wir sparen, reicht es gerade bis Neujahr, aber wir können es nicht für einen Scheiterhaufen verschwenden. Jetzt weiß ich auch, warum Kaminholz auf dem Merkzettel stand.“
„Ja, für Karen und Jens. Toll. Die sitzen jetzt gemütlich zu Hause.“
„Oder unten in Neufinsterbach im Wirtshaus, je nachdem, wie weit sie schon waren, als der Sturm anfing. Morgen versuchen wir´s zu Fuß.“
„Vor Mittwoch wird mich keiner vermissen“, sagte ich kläglich, „am Dienstag hab ich doch noch frei. Und wer denkt dann an diese Hütte?“
„Arbeitest du nicht mit Silke zusammen? Sie kann es sich doch denken!“
„Hoffentlich...“
„Komm, versuchen wir das Naturleben zu genießen, denk nicht immer an die Zivilisation zurück!“
„Ganz schön schwer. Außerdem hab ich Hunger.“
„Ich auch. Chips gefällig?“
„Gerne“, seufzte ich, „was sollen wir auch sonst essen? Dass sich in diesem Küchenschrank nicht wenigstens ein paar abgelaufene Packerlsuppen finden lassen!“
„Ich warte ja bloß noch darauf, dass auch noch der Strom ausfällt, dann können wir nicht einmal mehr Kaffee kochen.“
„Mal den Teufel nicht an die Wand“, sagte ich erschrocken. Er lächelte. „Jetzt hast du mich zum ersten Mal geduzt!“
„Ja, sorry. Übrigens hätte ich dir das Du anbieten müssen, glaube ich.“
„Warum?“
„Immer die Dame. Und ich bin bestimmt älter als du.“
„Blödsinn“, antwortete er unwirsch und kippte den Inhalt der Chipstüte in den Suppenteller von gestern.
„Doch, die Dame dem Herrn, oder der Vorgesetzte dem Untergebenen. Hab ich mal gelernt, ich glaube, in der Tanzstunde.“
„Du bist nicht älter als ich. Du bist sogar recht kindlich, finde ich.“
„Werd nicht frech! Du bist doch keine Dreißig!“
„Stimmt. Aber du auch nicht, also gib nicht so an.“
„Bin ich doch!“, triumphierte ich albern und holte meinen Ausweis aus der Tasche.
Er starrte darauf. „Tatsächlich! Einunddreißig... So eine alte Schachtel! Aber gut erhalten. Schon das erste Lifting gemacht?“ Ich kochte, sagte aber nichts. Er studierte den Ausweis von vorne und hinten und betrachtete dann genüsslich das Foto. „Scharf – ich würde sagen, Trickbetrügerin...“
Ich riss ihm den Ausweis wieder aus der Hand und verstaute ihn. Er tätschelte meinen Arm und holte seinen Ausweis heraus. „Da, bitte – auch nicht besser, oder?“
Ich besah mir das Foto eingehend. „Schwerer Raub in Tateinheit mit Körperverletzung... oder wenigstens wiederholte nächtliche Ruhestörung, schlage ich vor.“
„Etwas rockermäßig, nicht?“
„Mhm...“ Ich prägte mir die Fakten ein. 16.4.71. Erst neunundzwanzig...
„Noch nicht trocken hinter den Ohren, eindeutig.“
„Dann biete du mir doch das Du an!“
„Haben wir das nicht schon hinter uns?“
„Nora, was willst du eigentlich?“ Allmählich nervte ich ihn, ich nervte mich ja selbst.
„Weiß ich nicht. Du bist der einzige, den ich für unsere missliche Lage bestrafen kann. Oder soll ich rausgehen und gegen die Holzstapel treten?“
„Besser wär´s. Ich kann schließlich auch nichts dafür. Und Karen werde ich was erzählen, wenn ich sie wieder sehe! Wir hätten uns alle unten treffen und zusammen hinauffahren müssen.“
„Stimmt. Ich nehme Silke und verhaue Karen damit. Und wenn mir der Arm weh tut, bist du dran...“
„Nein, ich darf zuerst!“
„Nein, ich, es war meine Idee!“
„Ich hab´s zuerst gesagt!“
Er grinste. „Pass auf, wir treffen uns im Sommer mal auf dem großen Spielplatz im Prinzenpark, ja?“
„Wozu?“
„Dann setzen wir uns in die Sandkiste und bewerfen uns mit Sand. Wer zuerst heulend zu seiner Mama rennt, hat verloren, okay?“
„Okay. Und hoffentlich sehen dich deine Schüler dabei!“
„Und dein Chef!“
„Chefin, bitte. Die ist Kummer gewöhnt, die Redaktion besteht nur aus Verrückten.“
Ich hatte währenddessen den halben Napf Chips verdrückt und verspürte nun großen Durst. Immerhin lief das Wasser noch. Ich kippte einen halben Liter herunter.
„Spielen wir was? Hast du nicht Trivial Pursuit dabei?“
„Doch. Aber gegen einen echten Akademiker habe ich keine Chancen.“
„Das finde ich feig von dir. Dir bleiben doch immer noch die Medienfragen! Und in Geschichte bin ich nicht so toll.“
„Was gibst du für Fächer?“, fragte ich ihn mit schiefgelegtem Kopf.
„Rate mal!“
Mist. Jeden Fehler würde er wahrscheinlich als Beleidigung auffassen, er war mindestens so zickig wie ich.
„Also... auf jeden Fall Sport...“ Er nickte.
„Und dazu noch... Mathematik?“
„Dein letztes Wort?“
„Ja.“
„Alles falsch! Biologie, Chemie und Erdkunde.“
„Ach komm, dann kann ich ja gar nicht gewinnen!“
„Na und? Wer hat gestern beim Kartenspielen gekniffen?“
„Ja, weil du so unverschämt warst!“
„Nur weil du so dummes Zeug geredet hast!“
Ich knallte den Trivial Pursuit - Kasten auf den Tisch. „Dir wird ich´s zeigen, Bürscherl. Los!“
In Windeseile hatten wir alles aufgebaut, stritten noch kurz um den gelben Spielstein, bis er nachgab und sich mit dem grünen zufrieden gab, und würfelten darum, wer anfangen durfte. Das Spiel eignete sich gar nicht für uns: Bei jeder zweiten Frage gerieten wir uns in die Haare. Entweder war sie falsch gestellt, oder eine völlig andere Antwort war genauso richtig – und überhaupt hatte er gar keine Ahnung. Leider behauptete er von mir das gleiche.
Er gewann knapp. Ich handelte ihm noch einen Zug ab und sicherte mir dann auch das letzte Eckchen, also hatte ich fast gewonnen, wenn Tarek das auch nicht zugeben wollte. Wir hassten uns noch mehr, aber ich hatte mich eigentlich ganz gut amüsiert. Er räumte das Spiel weg und ich sah auf die Uhr. Halb zehn...
Es wurde langsam finster, die Kerzen gingen auch zur Neige. Ich stellte zwei Teelichte auf ein Blechtablett und entzündete sie. Dann sah ich Tarek an. „Danke.“
„Wofür?“ Er wirkte richtig verblüfft.
„Das Spiel war lustig. Ich habe tatsächlich eine Zeitlang vergessen, in welcher blöden Situation wir uns hier befinden.“
„Ich auch. Und da es dein Spiel ist, muss ich mich eigentlich bei dir bedanken.“
Ich winkte ab und stand auf. „Ich gehe schlafen. War ein hektischer Tag.“
„Ein hysterischer Tag?“
Ich drehte mich um und sah ihn mit unbewegtem Gesicht an, bis er leicht errötete. „Das auch“, nickte ich dann. „Gute Nacht!“
Diese Nacht war womöglich noch kälter. Das Schlafkammerfenster war eindeutig nicht gut isoliert. Vielleicht sollte ich es morgen mit Schneebällen abdichten? Ich wickelte mich nach der Katzenwäsche zitternd in meine Decke und legte meine Klamotten noch obendrauf. Das Ergebnis war, dass ich in der Nacht abwechselnd fror und schwitzte und gegen acht ziemlich froh war, als ich wieder aufstehen durfte.
Das eiskalte Waschwasser war eine Zumutung, aber ich konnte hier schließlich nicht herummüffeln. Also biss ich die Zähne zusammen und schrubbte mich frierend von Kopf bis Fuß, dann schlüpfte ich wieder in extra warme Klamotten. Heute war Silvester... Schöne Scheiße! Na, vielleicht gelangten wir ja zu Fuß nach Neufinsterbach. Wenigstens mal was Gescheites essen! Vor meinem geistigen Auge erschien eine Fata Morgana – ein Wiener Schnitzel, so groß, dass es über den Teller lappte, dazu ein Berg Pommes und ein giftorangefarbenes Limo wie in meiner Kindheit im Salzkammergut-Urlaub. Wahrscheinlich war das Zeug wegen der Farbstoffe längst verboten worden... Und einen Apfelstrudel mit Vanilleeis. Ich sabberte fast bei dem Gedanken.
Noch die dicken Stiefel, dann konnte ich wieder mal Holz holen gehen. Ach, etwas war noch da! Ich benutzte Dianas veraltete Geständnisse zum Feuermachen und schaute dann nach draußen. Es hatte nicht mehr so viel geschneit, aber es war deutlich kälter geworden. Ein bleigrauer Himmel hing über der gleichförmig weißen Szenerie, und der Schnee glitzerte im Morgenlicht und knackte bei jedem Schritt. Mindestens zehn Grad unter null, schätzte ich. Ich lud den Korb voller Scheite. Etwa zwanzig blieben noch übrig, für Neujahr und den zweiten Januar. Danach würde es eng werden... Ich kam mir vor wie in einem Katastrophenfilm der amerikanischen Sorte, wo dann alle hysterisch in ihre Autos sprangen und die Highways verstopften bzw. sich auf dem Flughafen mit Waffengewalt ein Ticket erzwingen wollten. Eis – wenn die Welt erfriert: Hatte dieser grottenschlechte Film nicht so geheißen? Und war ich gestern nicht genauso hysterisch gewesen wie die Weiber in diesen Filmen, die ich wegen ihres sinnlosen Gekreisches und Geflennes immer so verachtete, wenn ich auf meinem weichen Sofa saß?
Heute musste ich mich unbedingt zusammenreißen!
Ich trug das Holz hinein und kochte Kaffee.
Mit dem Becher vor mir setzte ich mich an den Tisch und schlug meinen Filofax auf. Als ich eine freie To-Do-Liste gefunden hatte, trug ich alle meine Visionen von einem schönen Leben ein – Schnitzel mit Beilagen, Apfelstrudel, ein duftendes Schaumbad, ein Schaufensterbummel, ein gepflegter Videoabend, telefonieren, so viel man will, Karen und Silke brutal zusammenfalten, eine heiße Nudelsuppe mit Backerbsen... die Seite wurde mühelos voll.
„Was schreibst du da?“
„Du bist schon auf?“
„Ich stehe normalerweise früh auf, gestern war ich nur von vorgestern so fertig, heißer Abend... Und was schreibst du jetzt da?“
„Worauf ich mich freue, wenn ich wieder zu Hause bin. Du kannst es gerne lesen...“
Er überflog es und lachte, während er sich Kaffee einschenkte und mir einen Müsliriegel zuwarf. „Wiener Backhendl...“ Er schloss ekstatisch die Augen. „Und Karen und Silke sagen, dass wir wegen ihnen hätten verhungern können. Weder Chips noch Müsliriegel standen auf der Liste, ist dir das klar?“
„Stimmt.“
„Stundenlang ganz heiß duschen. Die Wascherei hier ist fast zuviel für meinen inneren Schweinehund." Ich kicherte zustimmend.
„Mit dem Auto herumfahren – auf freien Straßen.“
„Paar Omas schubsen?“
„Genau. Ich bin schließlich ein Rockertyp.“
„Daran musst du noch ein bisschen arbeiten. Wo ist der Bierbauch? Und vorne müssen die Haare ab!“
„Ich bin doch kein Vokuhila – womöglich mit Oliba?“
„Das war das erste, was ich dachte, als ich hier hereinkam. Ich hatte ja nur das Flanellhemd und den Pferdeschwanz gesehen... und das Auto“, lachte ich.
Er stellte seine Tasse hart ab. „Herzlichen Dank. Du bist wirklich doof!“
Er verschwand im Schlafzimmer, kam aber bald wieder. Dort war es wohl sogar ihm zu kalt.
„Willst du wissen, was ich zuerst dachte?“
„Ich bin mir nicht so sicher, aber sprich dich ruhig aus!“
„Ich dachte, eine typische High-Society-Zicke, Prinzessin auf der Erbse, hat immer was zu meckern.“
„Hm, immer was zu meckern stimmt wohl – aber wieso High-Society-Zicke? Sehe ich so aus?“
„Du gucktest so arrogant.“
„Woher willst du das wissen? Du hast dich doch gar nicht umgedreht!“
„Das hab ich schon an der Stimme gehört. Sofort unzufrieden!“
„Ja! Ich hab ja noch in Neufinsterbach überlegt, ob ich nicht wieder heimfahren soll. Ich hatte gar keine Lust auf die Hütte.“
„Warum hast du´s nicht gemacht?“
„Wenn alle anderen hier sind? Ich wollte doch Silvester feiern, schließlich ist heute Nacht das richtige Millennium!“
„Vielleicht schaffen wir´s noch. Hier gibt´s ja nicht mal Sekt. Wie wär´s mit einem Spaziergang? Versuchen wir, nach Neufinsterbach durchzukommen, vielleicht geht dort dein Handy.“
„Sehr gut. Und wenn wir´s schaffen – können wir dort vielleicht was essen gehen?“
„Schnitzel und Backhendl – und eine heiße Suppe?“
„Dafür könnte ich einen Mord begehen.“
„Na, dann komm – und vergiss Geld und Handy nicht!“
Ich warf mich in meinen Anorak, füllte die Taschen und wickelte mir noch einen Schal um. Handschuhe... ach, da.
„Fertig!“
Wir kamen recht gut voran, kletterten über unsere Grabungsarbeiten von gestern und über die Wurzeln des umgestürzten Riesenbaums, an dem man mit dem Auto so bald nicht vorbeikäme.
„Obwohl... vielleicht könnte man hier über diese Wiese...“, überlegte ich.
Tarek trat auf die Wiese. Gut dreißig Zentimeter Neuschnee.
„Wir müssten alles fest trampeln, sonst fahren wir uns fest, trotz Ketten. Und über den Schneehaufen kommen wir nicht mit den Autos. Komm weiter!“
Bis zur Kreuzung ging alles glatt. Zwar war es mühsam, durch den hohen, unberührten Schnee zu stapfen, und man wusste auch nie sicher, wo man hintrat, vielleicht in ein Loch, aber wenigstens lag nichts mehr im Weg. Von den Bäumen rieselte uns der Schnee auf die Köpfe, aber der Spaziergang tat mir eigentlich recht gut und meine Laune hob sich. Kurz nach der Abzweigung machte die Straße eine Biegung, und als wir ihr folgten, standen wir vor einer hohen Schneewand, höher als wir selbst, gut zweifünfzig, schätzte ich. Abgebrochene Äste und kleinere Bäume steckten auch darin.
„Teufel noch eins, das muss ja ein Prachtstück gewesen sein!“, murmelte Tarek und versuchte, hinaufzuklettern. Er versank bis zur Taille im Schnee, und ich musste ihm helfen, wieder herauszukommen.
„Scheiße!“ Er klopfte sich den Schnee ab. Ich schaltete das Handy ein und wartete. Dann kreischte ich schrill auf.
„Um Gottes Willen, was ist los?“
„Ich hab ein Netz! Wieso hier und oben nicht? Seltsam...“
„Ruf die Feuerwehr an, die sollen uns hier rausgraben.“
Gehorsam tippte ich den Notruf und bekam einen recht unwirschen Herrn an die Strippe. Er notierte sich, wo wir waren, machte uns aber wenig Hoffnungen. Eine Feriensiedlung sei halb verschüttet, das sei dringender... aber morgen würde die Straße hier notdürftig frei geräumt – oder übermorgen...
„Wir haben kaum noch Holz und fast nichts zu essen, das sollten die mitbringen, die es nicht mehr hierher geschafft haben!“
„Ich kann Ihnen nichts versprechen. Aber gut, dass wir informiert sind. Finsterbachhütte, zwei Personen. Haben Sie Fahrzeuge?“
„Ja, mit Ketten und allem. Aber der Schneehaufen ist zu hoch.“
„Ich sehe, was wir tun können.“
„Vielen Dank...“
Ich sah Tarek an. „Morgen oder übermorgen – wir haben nur mindere Priorität. Immerhin sind wir jetzt wieder amtlich existent. Und jetzt wird getobt!“
Ich holte Silkes Handynummer aus dem Speicher. „Nora! Wo bist du?“
„Was glaubst du denn, du Idiotin? Auf der Hütte! Na, im Moment vor einer Lawine an der Bergstraße. Hier gibt´s wenigstens ein Netz, oben nicht. Vor übermorgen kommen wir hier nicht weg. Und dann kauf ich sofort einen Baseballschläger und besuche dich!“
Tarek gestikulierte sehr aussagekräftig – flache Hand vor der Kehle.
„Was? Ah... Schönen Gruß von Tarek, er hat noch eine Klaviersaite. Und dann kriegt ihr Betonschuhe und landet im Eibsee, der ist schön kalt. So kalt wie das Waschwasser hier. Zu essen haben wir auch nichts Gescheites!“
„Könnt ihr nicht runterkommen? Wir sitzen in der Post in Hellenbach. Soweit waren wir, als wir vor einer Schneewand standen. Was hätten wir denn tun sollen?“
„Dafür sorgen, dass wir uns alle in Hellenbach treffen! Dann hätten wir jetzt was Warmes zu essen!“
„Was hat euch eigentlich gebissen, schon so früh loszufahren? Um halb drei ist die Lawine runtergekommen, und um drei wollten wir uns treffen!“
„Ach, jetzt ist es unsere Schuld, ja? Na warte!“
Tarek nahm mir das Handy weg. „Silke, gib mir mal Karen, ja?“
Er wartete kurz.
„Karen, wir hängen hier fest und Silke sagt, es ist unsere eigene Schuld. Hau ihr eins rein, ja, wozu bist du die große Schwester! Und schickt einen Heli mit Champagner und Backhendl - “ ich zischte – „und Wiener Schnitzel mit Pommes. Oder wenigstens ein paar BigMäcs oder so. Wir leben von Müsliriegeln und Kartoffelchips und frieren uns hier den Arsch ab. Schämst du dich wenigstens?“
Er hörte sich aufgeregtes Geplapper an. „Dann ist es ja gut. Aber du solltest noch daran arbeiten, dabei nicht so blöde zu kichern! Ciao.“ Er gab mir das Handy zurück. „Dämliche Weiber. Die teuflischen Schwestern... Die lachen sich tot über uns. Sag bloß, du lachst auch!“
Ich bemühte mich um eine ernste Miene. „Naja, wenn ich unten in Hellenbach säße... Aber das ist doch mal wieder typisch für mich – kann ich nicht einmal zur ausgemachten Zeit irgendwo erscheinen anstatt eine Stunde zu früh?“
Tarek seufzte. „Ja, das passiert mir auch immer. Die Schüler sind schon ganz fertig. Wieso kommen Sie jetzt schon? Wir haben ja gar keine Pause zwischendurch! Am ersten Schultag war ich um zwölf in der Schule, und die Konferenz war erst um zwei. Ich dachte, der Weg hierher ist sicher voller Tücken und wollte Spielraum haben...“
„Und das haben wir jetzt davon. Einen anderen Weg gibt es hier nicht, oder?“
„Im Auto hab ich eine Wanderkarte von der Gegend.“
Wir kehrten um. Schnitzel ade!
Mittags gab es Knäckebrot, und meine Thermojeans begannen zu rutschen. Ich wollte den Gürtel ein Loch enger schnallen, aber es ging nicht, da war kein Loch mehr.
„Was treibst du da?“, fragte Tarek, der mich interessiert beobachtete.
„Du hast nicht zufällig eine Ahle dabei?“
„Der Herr von Welt reist nie ohne. Was bitte ist eine Ahle?“
„Um Löcher in Leder zu stanzen, damit ich den Gürtel so zumachen kann, dass die Jeans da bleiben, wo sie hingehören.“
Er reichte mir ein Schweizer Taschenmesser und ich zog den Gürtel aus den Schlaufen und pfriemelte eine Zeitlang daran herum, bis ich ein hässliches, unregelmäßiges Loch hineingebohrt hatte. Ich klappte das Messer wieder zusammen und gab es zurück. Tarek spielte mit dem Gürtel und schätzte die Entfernung zwischen dem Dorn und dem neuen Loch ab.
„Das sind weniger als sechzig Zentimeter! Bist du so dürr?“
„Sieht man doch!“, schnauzte ich und fädelte den Gürtel wieder ein. Herrlich, die Hose hielt wieder!
„Außerdem gibt´s hier ja nichts zu essen. Deine Sachen werden bestimmt auch bald zu weit, wart´s nur ab!“
„In den paar Tagen nicht. Und so wie du eingepuppt bist, sieht man gar nichts von dir.“
„Was erwartest du bei der Kälte?“
Er zuckte mit den Schultern. „Gar nichts. Ist ja auch egal.“
Ich malte ein bisschen auf meinem Skizzenblock herum, aber mir fielen nur schöne Muster für ganz dicke, warme Pullover ein. Stichpunkte für neue Kolumnen wollten auch nicht so recht kommen. Schließlich hatte ich doch einige vage Ideen, aber plötzlich durchzuckte es mich. „Mensch, bin ich blöde!“
„Ach ja?“ Tarek ließ sein Buch sinken.
„Du glaubst, mein Auto bloß ist ein Auto, ja?“
„Diese Weiberkarre? Was sonst?“
„Die Weiberkarre will ich überhört haben. Aber das ist kein Auto, sondern eine rollende Müllkippe, Gott sei Dank bin ich so schlampig! Ich hab ja noch gar nicht geschaut, was da noch alles herumliegt. Komm, vielleicht ist das wie Weihnachten – und wenn ich bloß eine alte Zeitung finde, zum Lesen...“
Seine Augen funkelten. Also war ihm auch langweilig!
Wir schaufelten meinen Wagen so gierig frei, als müssten wir liebe Freunde aus einer Lawine retten und stürzten dann fast gleichzeitig hinein, ich nach vorne, er nach hinten. Ich riss sofort das Handschuhfach auf. Eine halbe Rolle Pfefferminz, eine angebrochene Tüte Gummibärchen, drei verformte Multivitaminbonbons, ein sehr alter Schokoriegel. Gigantische Ausbeute! Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag die ungelesene Süddeutsche vom Donnerstag. Wieso hatte ich die ins Auto gelegt? Ich warf alles in den Korb, den ich voller Vorfreude mitgenommen hatte.
„Tarek? Was hast du?“
„Eine Wolldecke und eine Tüte mit drei etwas faltigen Äpfeln.“
„Lass sehen! Ach, das sind Golden Delicious, die kann man noch essen. Wenigstens ein paar Vitamine. He, da steht doch eine Tüte hinter dem Beifahrersitz, zieh die mal hoch!“
Ich las die Aufschrift – ein Kosmetikkonzern.
„Wenn wir Pech haben, ist eine Flasche Schaumbad drin. Neujahrsgeschenk für alle Mitarbeiter, hatte ich ganz vergessen. Wenn wir Glück haben, kann man den Inhalt trinken!“
Ich riss ihm die Tüte aus der Hand. Die Flasche war verpackt, viel versprechend verpackt. Ich schwenkte sie.
„Guck bloß? Wir können uns um Mitternacht besaufen – Sekt, und sogar ein ordentlicher!“
Er strahlte. Und außerdem? Eine Schachtel, in Firmenpapier eingeschlagen. Ich zerrte es herunter. „Pralinen, nicht ganz so ordentliche, aber sicher essbar. Mal was anderes! Du hast nicht zufällig italienische Salami oder so was in deinem Wagen vergessen?“
„Das hätten wir gestern schon gerochen. Leider räume ich mein Auto pausenlos auf, ich bereue es jetzt bitter. Die Einkäufe vom Mittwoch hätte ich jetzt wirklich gerne, vor allem die Fischkonserven.“
„Hmm, ja – Matjes in Mayonnaise oder so, das würde das ewige Knäckebrot wirklich aufwerten. Da kann man nichts machen. Siehst du im Kofferraum noch was?“
„Nein, nur den Reservereifen und die Ketten.“
„Schade.“
Wir breiteten unsere Beute auf dem großen Tisch aus und beschlossen, um neun zu Abend zu essen – Äpfel, Pralinen, Gummibärchen und eine Tüte Chips - und kurz vor zwölf den Sekt aufzumachen. Aber zuerst mussten wir wieder einmal einheizen. Ich stellte zur Feier des Tages mehr Teelichte auf, die konnten die Wärme auch noch steigern.
„He – und ich hab ja ein paar Raketen dabei!“
„Also eigentlich haben wir jetzt alles, was wir brauchen, abgesehen vom Schaumbad und vom Schnitzel.“
„Dusche und Hendl“, widersprach er schon wieder.
„Pass auf“, schlug er dann vor, „wenn die uns am Dienstag hier herausholen – an morgen glaube ich nicht so recht -, dann kehren wir unterwegs ein und schlagen uns den Bauch mit frittiertem Mist so richtig voll.“
„Au ja!“
Der Gedanke munterte mich gewaltig auf. Ich machte es mir mit einem neuen Kaffee und der Zeitung gemütlich, nachdem ich Tarek großzügig den Sportteil überlassen hatte – so was las ich ohnehin nicht. Als ich alles durchhatte, inklusive der mazedonischen Innenpolitik und der Briefe an den Bayernteil, aber ohne die Anzeigen, war es schon fast Zeit fürs Abendessen. Gemeinsam deckten wir den Tisch so schön wie möglich – mit dieser Souvenirsammlung war nicht viel möglich und den Sekt würden wir stilecht aus alten Senfkrügen trinken müssen - machten uns ein bisschen frisch und aßen dann feierlich zuerst Äpfel, Chips und Gummibärchen. Um die weißen stritten wir uns, die gelben hoben wir für eine ganz arge Hungersnot auf. Danach lösten wir unter viel Gezänk das Kreuzworträtsel in der Zeitung und spielten schließlich Karten und futterten dabei die Pralinen. Heute stellte er sich schon intelligenter an, ich konnte ihn nur mit Mühe abhängen – und dann scheiterte ich mehrmals an zwei Runs und einem Set, so dass er an mir vorbei zog und ich schon wieder überlegen musste, wie ich ihn beleidigen konnte. Ach nein, ich sollte es mir verkneifen, sonst nahm er den Sekt in sein Schlafzimmer mit und ich schaute in die Röhre. Und für die Raketen brauchte ich ihn auch. Also stichelte ich nur ganz vorsichtig und nahm die Retourkutschen gelassen hin.
Tatsächlich gewann er und triumphierte schamlos.
„Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn...“, murmelte ich und zählte die Punkte zusammen.
„Nur kein Neid, man muss auch mal einen überlegenen Geist anerkennen.“
„Ha! Hast du überlegen gesagt?“
„Sicher!“
„Auto-Aufräumer!“
„Gehört das zur Weichei-Liste?“
„Hab ich gerade hinzugefügt. Ich muss immer noch an den Matjes denken.“
„Vergiss ihn, den hab ich am Freitag zum Frühstück verspeist, da war er ziemlich notwendig.“
„Glühwein satt?“
„So ähnlich. Es ist übrigens halb zwölf. Wir sollten uns mal einen Platz für die Raketen suchen.“
Draußen schaufelten wir ein bisschen herum – nicht, dass wir noch die Hütte abfackelten – und rammten die ersten Raketen in den fest getrampelten Schnee. Aus der Richtung von Neufinsterbach stiegen schon die ersten Leuchtkugeln auf, zwischen den kahlen Ästen waren sie schwach zu erkennen. Und ein wunderbarer Vollmond hing zwischen den Bäumen. Eine klare Nacht – und eiskalt!
Wir schlüpften in unsere Anoraks und holten die Flasche und die Gläser, außerdem noch einige Teelichte. Alles landete auf dem verschneiten Tisch neben der Haustür. Ich brachte noch schnell das Radio und suchte nach einem Sender, der die Zeit herunterzählte. Noch war überall Partymusik. Da, der ging einigermaßen klar herein! Tarek öffnete die Flasche, ich zündete die Teelichte an. Tolle Stimmung, aber grauenhaft kalt. Die Musik brach ab und man hörte stark angeheiterte Stimmen den Countdown herunterzählen. Tarek schenkte ein. Bei null stießen wir an.
„Ein gesundes neues Jahrtausend“, kicherte ich und nahm einen großen Schluck.
„So ein blöder Wunsch!“
„Eben, der ist doch gut doof.“
„Ein gutes neues Jahr“, antwortete der Spießer und trank. Dann stellte er sein Glas ab und startete die erste Rakete. Zischend erhob sie sich und ergoss einen Regen von lila Funken in den Himmel. Alle waren lila! Was hatte er sich denn da für ein Sonderangebot aufschwatzen lassen? Ich hielt aber den Mund, um die Stimmung nicht zu versauen - man sollte ein neues Jahrtausend nicht mit einem Krach anfangen.
„Ziemlich viel lila“, meinte er dann selbst zweifelnd.
„Sieht doch hübsch aus. So feministisch!“
„Großer Gott!“ Er warf mir einen angewiderten Blick zu. Hatte ich es doch wieder geschafft!
Er trat zum Tisch und schenkte uns nach. „Auf unsere baldige Rettung!“
Darauf stieß ich gerne an und trank durstig. Er nahm mir das Glas schließlich aus der Hand, stellte es neben seins auf den Tisch und packte mich an den Schultern.
„Wirklich – ein schönes neues Jahr, Nora!“
Dann küsste er mich. Zuerst war ich verblüfft, aber er fühlte sich so warm und fest an, dass sich meine Lippen wie von selbst öffneten und sich meine Hände ohne mein Zutun um seinen Hals schlangen. Er ließ meine Schultern los und drückte mich in Taillenhöhe an sich. Unsere Anoraks knirschten gegeneinander, während seine Zunge in meinen Mund fuhr und ich seinen erforschte. Er schmeckte nach Sekt, ich wahrscheinlich auch. Er stöhnte leise, aber als seine Hände noch tiefer glitten, löste ich mich vorsichtig von ihm.
„Ich wünsche dir auch ein perfektes neues Jahr – alles, was du dir wünschst...“ Ein bisschen verlegen brach ich ab.
Er seufzte. „Du hast Recht – wir sollten uns von dieser Ausnahmesituation nicht hinreißen lassen. Komm, gehen wir rein, es ist saukalt hier draußen.“
Drinnen sahen wir uns beide etwas irritiert an. Ich verstand mich selbst nicht. Er war nicht mein Typ, und er nervte mich fast ununterbrochen. Und er mochte mich doch auch nicht. War das das Einsame-Insel-Syndrom? Aber schon nach zwei Tagen? So notgeil war ich wirklich nicht! Und er – war ihm einfach das übliche Silvesterbussi etwas ausgeufert?
Ich seufzte leise und schenkte mir nach. Dieser Kuss war das Dümmste gewesen, was wir tun konnten. Jetzt sah ich ihn mit ganz anderen Augen und konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, wie es mit ihm wohl im Bett wäre. Und seinem glitzernden Blick entnahm ich, dass er Ähnliches dachte. Wir mussten es noch mindestens einen Tag miteinander aushalten, solche Komplikationen konnten wir nicht gebrauchen. Ich sah ihm in die Augen. „Vergiss es“, sagte ich dann leise. „Keine Sorge“, antwortete er genauso leise und räusperte sich. Dann, mit normaler Stimme: „Spielen wir noch was?“
„Gut.“
Nach den ersten Runden hatten wir aber beide keine rechte Lust mehr. Die Flasche war leer, die Pralinenschachtel auch. „Ich glaube, ich gehe ins Bett. Träum was Schönes. Was man in der ersten Nacht des Jahres träumt, geht in diesem Jahr in Erfüllung“, behauptete ich kühn. Ich erfand gerne Bauernregeln und alte Bräuche.
Er nickte, als sei ihm das bekannt. „Du auch! Gute Nacht...“
Ich verzog mich in die Kammer, in der es höchstens noch fünf Grad hatte. Bibbernd schlüpfte ich in mein wallendes Nachthemd und breitete alles andere über der Bettdecke aus, dann putzte ich mir flüchtig die Zähne und fuhr mit einem Wattebausch voll Tonic über mein Gesicht. Ich schlief sofort ein, das war wohl der Sekt auf halb leeren Magen.
Mitten in der Nacht schreckte ich hoch. Was hatte ich denn da für einen Schwachsinn geträumt? Tarek kam drin vor, ein großer Garten, eine Hochzeit – aber den Zusammenhang konnte ich nicht mehr herstellen, ich hatte nur lose Bilder. Grummelnd drehte ich mich um, stopfte alles Wärmende wieder fest und schlief weiter. Tarek kam nicht mehr vor, aber ich hatte plötzlich eine winzige Katze, die ich mit der Flasche großziehen musste – und dabei war ich doch allergisch gegen Katzenhaare! Und Windeln trug das kleine Biest auch noch. Sogar im Traum überlegte ich noch, warum ich kein Katzenklo aufstellte, und entwickelte eine abstruse Begründung dafür.
Als ich wieder aufwachte, schüttelte ich den Kopf. Was für ein Blödsinn! Eine Katze mit Windeln! War sie inkontinent? Gab´s das bei jungen Tieren schon? Tarek fragen, der war doch Biologe. Neun Uhr... Das Zimmer war unerträglich kalt und ich war stark in Versuchung, mich überhaupt nicht zu waschen, sondern mich unter der Bettdecke anzuziehen. Nix! Ich rief mich energisch zur Ordnung: Ungewaschen würde ich mich nur unbehaglich fühlen. Und vielleicht stand mir noch eine Nacht hier bevor...
Das Wasser biss wie Eis auf der Haut, aber ich blieb tapfer und schrubbte mich ziemlich gründlich, dann suchte ich nach meinem vorletzten frischen T-Shirt und frischer Wäsche. Die Thermohose musste schon wieder dran glauben, die anderen Jeans waren mir zu dünn. Ein dünner Pullover und darüber ein dickerer, dazu einen Schal, zwei Paar Socken und die Stiefel. Langsam ließ das Zähneklappern nach, und ich konnte meine Haare bürsten und flechten. Der Pickel war weg, wahrscheinlich ausgehungert. Ich cremte mich dünn ein und ging dann hinaus, um Kaffee zu kochen.
Das Feuer war aus. Ich entfachte es neu mit dem Sportteil und opferte auch noch die Inserate, um es schneller zum Brennen zu bringen. Wie viel Holz hatten wir noch im Schuppen? Draußen war es strahlend schön, aber beißend kalt. Der Schnee funkelte in der Sonne, der Himmel war knallblau, und die Raketenreste in ihrem Himbeerton wirkten auf dem zertrampelten Schnee richtig geschmackvoll. Noch zwölf Scheite, sechs für jetzt, sechs für später, für heute Abend...
Drei Scheite schichtete ich noch in den Kamin, das reichte zunächst, fand ich. Dann packte ich doch mein Strickzeug aus, im Moment war es wirklich hell genug, und arbeitete weiter an einem Prachtstück aus silbernem Seidengarn mit einem aufwendigen Lochmuster. Ich schaffte zwanzig Reihen, dann frühstückte ich einen weiteren Müsliriegel - nachgerade konnte ich das Zeug nicht mehr sehen – und strickte wieder munter weiter. Schließlich legte ich das Strickzeug beiseite und überlegte, ob ich schon einmal alleine bis zur Biegung gehen sollte, um zu gucken, ob sich schon etwas rührte. Ich könnte auch die anderen aus ihrem Neujahrsschlaf reißen, malte ich mir bösartig aus. Bevor ich zu einer Entscheidung kam, tappte Tarek herein und trank gierig einen Becher Kaffee.
„Kater?“
„Nur ein bisschen Durst. Guten Morgen übrigens.“
„Morgen. Und, was hast du geträumt?“
Er warf mir einen schwer deutbaren Blick zu. „Von dir.“
„Details!“
„Lieber nicht, es sind Damen anwesend. Und du?“
„Wieso – oh!“ So ein altes Ferkel!
„Männer träumen eben nicht originell. Bei mir kam eine kleine Katze vor, die ich mit der Flasche großziehen musste. Und seltsamerweise trug sie Windeln. Leider weiß ich nicht mehr, warum eine Kiste Katzenstreu nicht in Frage kam. Gibt es das? Inkontinenz bei jungen Tieren? Du bist doch Biologe?“
„Ich hab jedenfalls noch nie davon gehört. Hm, dann wollen wir den Traum mal deuten, ja?“
„Im Freudschen Sinne? Bloß nicht!“
„Nein, nur logisch. Flasche und Windeln – das deutet eher auf ein Baby hin. Du hörst wohl deine biologische Uhr schon ticken? Soll doch bei Frauen in deinem Alter öfter vorkommen.“ Ich stand auf, um mir neuen Kaffee zu nehmen und trat ihm dabei fest gegen das Schienbein.
„Au!“
„Das war für die biologische Uhr. Ich bin weder so alt noch so besessen von Nachwuchs. Lieber die Chefredaktion!“
„Ja – du gestehst dir diesen Wunsch nicht ein, deshalb wurde im Traum eine Katze daraus, ein Katzenbaby. Dein Unterbewusstsein sperrt sich.“
„Du Hobbypsychologe – gehört das zum Grundkurs Verhaltensforschung?“
Er lachte und trank seinen Kaffee aus, dann packte er den alten Schokoriegel aus und brach ihn in der Mitte durch.
„Hier! Viel verstehe ich nicht von Traumdeutung – aber das war ja wirklich nicht schwer.“
So ein Schwachsinn – Kinder! Vielleicht in fünf Jahren... Und von wem überhaupt? Ich kannte nur furchtbare Kerle. Wenn der ganze Haufen beieinander war, den ich durch Silke und Karen kannte, wuselten außerdem genug Kinder herum. Und meine Kolleginnen – die würden den Teufel tun, dann wäre es ja mit den Partys vorbei. Wieso beschäftigte mich diese Idee überhaupt? Weil Neujahr war?
„Komm, gehen wir gucken, ob sich was rührt!“, schlug ich vor, und Tarek griff nach seinem Anorak.
Vor der Tür blinzelte er und setzte eine Sonnenbrille auf.
„Toller Tag, so kann das neue Jahr ruhig anfangen. Hast du keine Brille? Das Glitzern kann gefährlich sein, die Netzhaut -“
Schnell setzte ich die Sonnenbrille auf, bevor er mir noch einen Biolehrervortrag hielt, und stapfte energisch zum Beginn der Straße. Wir schritten vergnügt aus, wirklich ein herrliches Wetter, und gelangten zur Schneemauer. Mit vereinten Kräften traten wir einige Stufen in die Mauer, so dass wir wenigstens darüber hinwegspähen konnten.
„Da unten ist was Gelbes – sieht nach einem Bauhoffahrzeug aus“, berichtete ich Tarek, der mich stützte, und sprang wieder auf den Boden. Ein Aufjaulen bestätigte das.
„Genau – eine Kettensäge, die schaffen die Bäume weg. Na, wenn sie noch eine Stunde für den Baum da unten brauchen, jetzt ist es zehn... Lagen noch mehr Bäume auf dem Weg?“
„Zwei. Ziemliche Trümmer.“
„Elf – zwölf – eins, zwei Stunden für die Mauer, drei – morgen früh, würde ich sagen. Bevor die alles weggeschafft haben, ist es wieder dunkel. Und die Leute sind sicher auch schon müde.“
„Aber morgen früh sitze ich ab acht mit gepacktem Koffer und freigelegtem Auto da und warte!“, kündigte ich an.
Er tippte mir auf die Nase. „Was glaubst du, was ich morgen tue? Vergiss die Schnitzelorgie nicht!“
„Wie könnte ich! Ich hab so Hunger!“
Wir stiegen den Berg wieder hinauf und kehrten in die warme Hütte zurück. „Noch acht Müsliriegel, gelbe Gummibärchen, ein Packet Knäcke, eine Tüte Chips und ein Schrumpelapfel. Wünschen gnädige Frau einen Menüvorschlag?“
„Teilen wir uns den Apfel, ja?“
Er schnitt ihn mit dem Taschenmesser durch und reichte mir die Hälfte. Ich aß gierig und nagte den Butzen so sorgfältig ab wie noch nie im Leben.
„Warum sagst du immer gnädige Frau und euer Gnaden?“
„Bist du nicht was Besseres?“
Ich schaute dumm. „Inwiefern? Du bist doch der Akademiker!“
„Aber du bist adelig!“
„Ja und? Bin ich deshalb irgendwie anders? Nur weil mein Nachname aus zwei Worten besteht?“
„Wohl nicht. Was bist du eigentlich?“
„Bitte?“
„Na, eine Komtesse oder eine Baronesse oder was?“
„Jetzt pack mal deine Märchenbücher weg. Gar nichts. Ich glaube, die Familie wurde von Kaiser Wilhelm geadelt. Mein Ururopa war vorher Kommerzienrat. Das von kam den Kaiser wahrscheinlich billiger als eine Steuerermäßigung. Warum fasziniert dich das so?“
„Lebt man dann irgendwie anders?“
„Ich weiß nicht. Mein einer Bruder züchtet Pferde, auf dem Gut meiner Eltern, der andere ist Anwalt, da kommt das von ganz gut auf dem Kanzleischild. Und Pullis entwerfen, Artikel schreiben und Shootings organisieren könnte ich auch so. Ich lasse das von ohnehin meistens weg.“
„Musst du dann eines Tages einen Adeligen heiraten?“ Ich verschluckte mich fast an meinem Rest Kaffee.
„Sag mal, was liest du eigentlich? Courths-Mahler? Natürlich nicht, meine Eltern mischen sich nie in meine Angelegenheiten ein. Ich könnte auch mit einem Alternativen im Wendland leben und zehn kleine Castorkämpfer großziehen – ohne Trauschein – und sie wären nicht sauer. Ehre der Familie oder so? Wirklich nicht!“
„Hätte ja sein können. Ich kannte in meiner Schulzeit mal eine, die blieb praktisch immer in ihren Kreisen.“
„Schön blöde, da war es sicher erzlangweilig.“
„Das war sie selbst auch“, bekannte er und grinste etwas schief. Wir spielten den Nachmittag über wieder verbissen Trivial Pursuit. Dieses Mal gewann ich, aber auch nur knapp. Ich versuchte danach noch ein bisschen zu stricken, aber für das komplizierte Muster war es nicht mehr hell genug. Ich fröstelte und legte noch etwas Holz nach.
„Sieben Scheite haben wir noch – und hinter dem Küchenschrank habe ich noch ein paar Spanholzkisten gefunden, die verheizen wir auch, ja?“
Ich war einverstanden. „Wenn du die Zeitung durchhast, nehmen wir sie zum Anzünden. Mir graust so vor heute Nacht, in der Kammer wird es täglich kälter.“
„Bei mir schließt das Fenster nicht richtig“, jammerte er.
„Und meins ist nicht dicht“, trumpfte ich auf.
„Und wer ist jetzt ärmer dran?“, feixte er. Ich knuffte ihn gegen den Arm.
„Wir sind bescheuert“, stellte er dann fest.
„Ist das was Neues?“
„Warum schlafen wir in diesen eisigen Kammern? Wir könnten den ganzen Kram doch auch hier vors Feuer zerren, Matratzen, Bettzeug und so weiter. Dann hätten wir wenigstens die Restwärme. Und der Raum ist nicht so ausgekühlt.“
Das klang eigentlich ziemlich schlau. Ein bisschen zanken könnte man sich dann auch noch, und wenn dem anderen die ultimative gemeine Antwort eingefallen ist, stellt man sich einfach schlafend, so dass er nie weiß, ob der Geistesblitz überhaupt gewürdigt wurde, überlegte ich mir erfreut.
„Aber erst gehen wir noch mal gucken, wie weit die Leute gekommen sind, ja?“
In der Dämmerung kletterten wir wieder über den Schneewall und die Baumwurzel und guckten nochmal über die Mauer. Die war unübersehbar noch da, aber die Bäume waren aus dem Weg geschafft, und ein großer Schneeräumer war direkt hinter der Mauer abgestellt. Morgen früh...
Zufrieden stapften wir zurück, spielten noch ein bisschen und räumten dann den Platz vor dem Kamin frei.
„Ich hab Hunger“, jammerte Tarek.
„Sag bloß? Du kannst die gelben Gummibärchen haben – und Knäckebrot. Und die letzten Chips teilen wir uns.“
Einträchtig futterten wir die Chips und stellten so viele Teelichte auf, dass der Raum schon von daher fast lauwarm wurde. „Wieso heißt du eigentlich Tarek?“, wollte ich dann wissen.
„Ich komme aus dem Bayerwald, da ist das häufiger. Meine Mutter ist Tschechin.“
Ich nickte. „Habt ihr einen Hof?“
„Wie kommst du denn darauf?“
War das schon wieder falsch?
„Ich dachte nur, das ist doch eine eher bäuerliche Gegend, und du wirkst so naturverbunden...“
„Voll daneben, Nora, wie immer. Mein Vater ist der stellvertretende Leiter der örtlichen Kreissparkasse, und meine Mutter ist Hausfrau. Meine beiden älteren Schwestern sind verheiratet, kinderreich und berufstätig, und keiner von uns kann eine Kuh melken. Du etwa?“
Ha! „Ich schon.“
„Du Stadtpflanze?“
„Ich mag ja eine Stadtpflanze sein“, entgegnete ich mit dem letzten Rest Würde, „aber ich bin auf dem Land aufgewachsen. Und meine Eltern halten zwar keine Kühe, aber die Nachbarn schon. Und da hab ich´s gelernt.“
„Respekt! Wo auf dem Land?“
„Auf halbem Weg zwischen Leisenberg und München, bei Geresing.“
„Kenn ich nicht“, musste er zugeben.
„Kennt keiner, denk dir nichts. Und ich möchte da auch nicht mehr leben. Für Kinder ist es toll, vom Schulweg mal abgesehen, aber jetzt ist mir die City doch lieber.“
„Wo wohnst du eigentlich in der Stadt?“
„Avenariusgasse, hinter dem Theater.“
„Sicher ein cooles Loft“, murmelte er.
„Blödsinn, eine stinknormale Dreizimmerwohnung – naja, eher dreieinhalb. Mit Balkon.“
„Für so spießig hätte ich dich gar nicht gehalten.“
Diese Ratte! Ich legte den Kopf schief. „Darf ich raten? Du siehst nach Reihenhaus aus, also wohnst du wahrscheinlich in einer umgebauten Tankstelle oder in einem Luxusappartement.“
„Alles falsch. Nora, du lernst es nicht mehr. Holzhäuschen mit Obstgarten, an der äußeren Kirchfeldener Landstraße. Wieso Reihenhaus?“
„Ordentlich, frische Luft, ein Biologe muss einen Garten haben...“
„Wieso ordentlich?“
„Weil du dein Auto aufgeräumt hast.“
„Das ist nur, weil ich Beamter bin. Und zu den Kreativen wie dir gehört die rollende Müllkippe.“
„Also du hast genauso viele Klischees im Kopf wie ich. Dann brauchst du gar nicht so überlegen zu tun!“
„Ich bin überlegen. Ich bin ein Mann!“
„Du meinst, du hast ein größeres Hirn?“, fragte ich gefährlich ruhig.
„Klar!“ Er trank seinen Kaffee und beobachtete mich gelassen.
„Und ein Ochse hat ein noch größeres Hirn. Was sagt dir das?“
„Dass man verschiedene Gattungen nicht vergleichen kann.“
„Oh, du – du blöder Macho!“
Er lachte schallend. „Nora, krieg dich wieder ein, ich wollte dich doch nur ärgern. Die Sache mit dem physiologischen Schwachsinn des Weibes stammt seit heute aus dem vorletzten Jahrhundert, niemand glaubt das mehr. Nur du!“
Er duckte sich, als ich ihm einen Müsliriegel ins Gesicht warf. Dann fischte er ihn aus dem leeren Spülbecken, packte ihn aus und aß ihn. „Danke übrigens, ich hatte sowieso noch Hunger.“ Diesem Kerl war nicht beizukommen!
Er löste sich von der Küchenspüle. „Komm, räumen wir unsere Betten vor den Kamin, ja?“
Gemeinsam zerrten wir die klumpigen Matratzen aus den Betten und warfen sie vor den Kamin, das Bettzeug hinterher. Ich bugsierte meine direkt vor das Feuer. „He – und ich?“ Tarek schaute empört.
„Du kannst dahinter schlafen.“
„Aber da ist es viel kälter! Rück zur Seite, dann kann ich daneben.“
Ich zerrte ein bisschen herum, aber nebeneinander waren beide Matratzen nur noch am Rand des warmen Bereichs.
„Mist!“ Ratlos betrachtete ich mir das unbefriedigende Arrangement.
„Und wenn wir sie aufeinander stapeln?“
Ich sah ihn verächtlich an. „Wozu soll das gut sein?“
„Dann ist es von unten wärmer und wir wären beide nahe am Feuer. Zick nicht rum, Nora, ich tu dir schon nichts.“
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Wenn du nicht willst, meine ich“, fügte er dann hinzu und grinste ein bisschen schief.
Die Idee hatte etwas für sich. „Dann hätten wir beide auch zwei Decken“, überlegte ich. „Wenn du deine Pfoten bei dir behältst – gut, machen wir es so.“
Also stapelten wir die Matratzen aufeinander und arrangierten das Bettzeug. Ich höhnte ein bisschen über seine Janosch-Bettwäsche: „Wie alt bist du eigentlich?“
„Jünger als du – aber ich steh auf ältere Frauen“, fügte er freundlich hinzu.
Ich warf ihm das Kissen an den Kopf. „Sicher hast du auch Plüschpantoffeln mit Bugs Bunny drauf?“
„Bugs Bunny? Der muss vor meiner Zeit gewesen sein...“ Ich gab es auf und verzog mich ins Schlafzimmer. Tareks Versprechungen traute ich genauso wenig wie meiner eigenen Standhaftigkeit, also wusch ich mich gründlich und schlüpfte in meine Flanellrobe und den Frotteebademantel. Aber vögeln würde ich nicht mit ihm, nahm ich mir vor, nur ein bisschen schmusen, damit uns warm wurde. Und anfangen musste schon er!
Frierend kam ich in den Wohnraum zurück. Tarek war verschwunden; sicher warf er sich in einen Frotteeschlafanzug mit Diddl-Muster, überlegte ich hämisch, als ich die Teelichte auf dem Metalltablett arrangierte, damit uns damit kein Malheur passieren konnte, und das Feuer noch ein bisschen schürte. Dann sicherte ich mir schnell die Bettseite, die näher am Feuer lag, und breitete den Bademantel über den Deckenberg.
Schnell wurde mir einigermaßen warm. Das hätten wir wirklich schon früher haben können, dachte ich schläfrig.
„Das hätte ich mir denken können“, murrte Tarek hinter mir, „dass du dir den besseren Platz schnappst. Dann muss ich eben näher rücken!“ Er schlüpfte hinter mich und stopfte die Decken wieder fest. Ich grunzte wohlig. Von vorne das Feuer, von hinten er - seine Körperwärme war recht angenehm. Auch der Arm, der fest um meine Taille lag. Ich döste weg und war schon fast eingeschlafen, als ich seinen Mund auf meinem Nacken spürte, warm und weich. Seine Zungenspitze liebkoste meinen Hals, und ich konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.
Der Griff seiner Hand wurde etwas fester, dann wanderte sie ein bisschen höher und umschloss über dem Nachthemd meine Brust. Gemein, wie sollte man solchen Berührungen widerstehen können? Ich kuschelte mich ein wenig enger an ihn und konzentrierte mich darauf, dass ich doch eigentlich schlafen wollte. Was ich aber an meinem flanellbedeckten Hinterteil spürte, machte mich sofort wieder hellwach. Tarek war ja außerordentlich animiert, wie es schien!
Langsam glitt seine Hand tiefer und zupfte an meinem Nachthemd herum, schob sich schließlich unter den Saum und arbeitete sich wieder nach oben. Fest und warm, kräftige Finger... Ich zitterte, als ich mir überlegte, wo ich diese Finger überall spüren wollte. Ich hob mich ein bisschen an und zerrte das Nachthemd etwas nach oben.
„Danke“, murmelte er leise in mein Ohr, nahm meine Hand und legte sie auf seine Schlafanzughose. O ja, sehr beeindruckend. Vorsichtig begann ich ihn durch den Stoff hindurch zu streicheln, während seine Hand meine nun nackte Brust umfasste und sein Daumen sich daran machte, meine Brustwarze zu reizen. Köstlich!
Ohne etwas zu sehen – außerdem hatte ich die Augen geschlossen, als sei ich gar nicht da – versuchte ich, die Knöpfe seiner Hose zu öffnen. Er half mir schnell, so dass ich ihn ohne den störenden Stoff liebkosen konnte. Dann schob sich seine Hand vorsichtig zwischen meine Beine und streichelte mich.
„Sag mir, wenn du das nicht willst“, flüsterte er heiser.
„Du merkst doch, dass das gelogen wäre“, antwortete ich patzig.
Er lachte leise. „Allerdings...“ Plötzlich ließ er mich los und setzte sich auf. Ich spürte die Kälte an meiner Rückseite.
„Was hast du?“
Statt zu antworten, zog er mich ebenfalls hoch und küsste mich dann heftig. Unsere Zungen umkreisten einander gierig. Dann löste er sich wieder von mir und sah mich an, ohne etwas zu sagen. Ich starrte zurück. Er sollte es sagen – und er tat es auch. „Ich will dich“, flüsterte er und starrte mich weiter an.
Ich schluckte. Irgendwie konnte ich nicht atmen, wenn er mich so ansah. Dann streckte ich die Hand aus, zog den Gummi aus seinen Haaren und fuhr durch seine Locken. Als ich seinen Kopf richtig umfasst hatte, zog ich ihn heftig an mich und küsste ihn erneut. Er ging begeistert darauf ein, aber dann riss er sich wieder los. „Heißt das ja?“
Ich nickte.
Er zog mir das Nachthemd über den Kopf und betrachtete meine Brüste. „Wunderschön...“
Seine Lippen schlossen sich um meine Brustwarze und ich spürte, wie meine Erregung anstieg. Die Kälte nahm ich nur noch am Rande wahr. Vielleicht war es hier auch wirklich wärmer...
Kurz sah er auf und lächelte, dann riss er sich den Schlafanzug vom Leib und schob sich über mich. Ich zog die Decken wieder über uns, während sein Kopf tiefer glitt und seine Zunge vorsichtig in mich eindrang.
„Komm wieder zu mir“, murmelte ich und er gehorchte. Während unsere Münder sich ineinander vergruben, konnte ich ihn vorsichtig streicheln, bis er tief aufstöhnte, ohne sich von mir zu lösen, und mit einem Knie meine Beine auseinander schob. Ich hob die Hüften etwas an, so dass er leicht in mich eindringen konnte. Fast sofort fanden wir einen gemeinsamen Rhythmus und ich seufzte glücklich. Hier gehörte er jetzt hin, da war ich mir ganz sicher. Seine langen Locken kitzelten mein Gesicht und meine Brüste, als er sich über mir bewegte und langsam schneller wurde. Mein Keuchen klang mir selbst laut in den Ohren, als ich spürte, wie der Orgasmus näher kam und mich schließlich erreichte. Ich schrie leise auf und sackte glücklich zurück, als ich die Erlösung spürte, und mit einem kehligen Stöhnen fiel er auf mich. Ich spürte, wie er sich in mich ergoss und umarmte ihn fest.
Nach einem Moment zog er sich vorsichtig zurück, küsste mich und fragte:
„Ist dir noch kalt?“
Ich kicherte. „Absolut nicht!“
„Sehr gut. Dann schlaf jetzt.“
Er drehte mich um, so dass er sich wieder von hinten an mich schmiegte, und hielt mich eisern fest. Die beiden Decken über uns, das Kaminfeuer vor uns, die langsam erlöschenden Teelichte auf dem Tisch – ich fror wirklich nicht mehr und döste langsam ein. Ich spürte noch im Halbschlaf, wie seine Hand erneut versuchte, meine Beine auseinander zu schieben. Verschlafen tat ich ihm den Gefallen und nickte halb ein. Erst als er ganz behutsam in mich hinein glitt, wachte ich wieder auf und passte mich träge seinem Rhythmus an. Seine Finger sorgten dabei dafür, dass mein Vergnügen genau so groß war wie seins. Nahezu stumm – offiziell schliefen wir ja wohl beide – kamen wir zum Höhepunkt und dann pennte ich endgültig ein.
Ich wachte auf, weil draußen eine Kettensäge arbeitete. Sofort schoss ich hoch, griff hastig nach meinem Nachthemd und rannte ins Bad, um mich flüchtig zu waschen. Dann zog ich mich mit fliegenden Fingern an und packte meinen gesamten Kram unordentlich in den Koffer. Zum letzten Mal schürte ich das Feuer, mit dem letzten Scheit, das noch dalag, und setzte Kaffeewasser auf. Mein Gepäck stellte ich neben die Tür, dann schlüpfte ich aus dem Haus, um zu gucken, wie weit unsere Retter schon waren. Die halb durchgegrabene Mauer stand noch, aber dahinter erhob sich gerade in freundlichem Gelb die Schaufel einer Planierraupe. Herrlicher Anblick!
Ich warf mein Gepäck ins Auto, sah auf die Uhr – halb zehn – und rannte wieder in die Hütte.
„Tarek! Tarek, wach auf, sie machen die Straße frei!“
Ich rüttelte ihn verzweifelt. Schließlich öffnete er die Augen und zog meinen Kopf zu sich herunter. Ich löste mich hastig wieder von seinem Kuss und spürte, wie mein Gesicht glühte.
„Los, zieh dich an und pack deine Sachen, sie sind bald da!“ Was hatte ich heute Nacht nur getan? Warum hatte ich mit diesem - diesem – ach, was wusste denn ich? – geschlafen? Das hatte doch überhaupt keine Zukunft! Bestimmt sah er das ganz genauso.
Ich wuselte aufgeregt durch die Hütte und sammelte den Abfall ein. Tarek stand stumm auf, nahm seinen Schlafanzug unter den Arm und wanderte in seine Kammer. Binnen kurzem stand er mit seiner Reisetasche wieder da, nach Rasierwasser und Zahncreme duftend. Ich reichte ihm wie üblich einen Kaffee.
„Danke“, sagte er tonlos und trank. Dann sah er auf und fixierte mich. Ich wandte mich ab und räumte weiter auf. Er hielt mich am Arm fest. „Nora? Bleib doch mal stehen!“
Abwartend sah ich ihn an. „Das mit dem Schnitzel – gilt das wenigstens noch? Jetzt, wo wir wieder in unsere Welten zurückkehren?“ Sein Ton klang etwas bitter. Ich nickte. „Sicher. Nur nicht in Neufinsterbach, dort hat die Küche bestimmt noch nicht auf. Fahren wir erst ein Stück, ja?“
Er ließ meinen Arm los und trank seinen Kaffee aus. „Gut.“
Dann packte er die beiden Matratzen und zerrte sie in die Schlafzimmer zurück. Ich konnte gerade noch die Laken herunterreißen und sie einpacken. Er schloss die Kammertüren und kam zurück. „Gib mir mein Laken, bitte.“
„Ich wollte es nur waschen“, murmelte ich.
„Das kann ich auch selbst“, antwortete er kühl und streckte die Hand aus. Ich wollte ein bisschen streiten, aber da klopfte es an die Tür, und zwei Straßenarbeiter schauten herein.
„Die Straße wäre jetzt wieder frei. Sie sollten sich aber beeilen, der nächste Schnee zieht schon herauf.“
„Danke, ja, wir sind schon fast reisefertig. Super, dass Sie uns freigeschaufelt haben!“
Die beiden verschwanden wieder und man hörte draußen den Motor der Planierraube jaulen, vielleicht machte sie die Lawinenreste gerade platt. Ich warf mein Bettzeug ins Auto und sah mich noch einmal prüfend um. Nichts vergessen? Tarek lud seinen Kram in die Safarischüssel und sah mich dann unschlüssig an.
„Und nun?“
„In Neufinsterbach beschimpfen wir die anderen kurz und frühstücken, denke ich. Dann fahren wir weiter. Etwa fünfzig Kilometer von hier kenne ich den perfekten Gasthof, der macht super Backhendl. Fahr mir dann einfach nach, ja?“
Er nickte und stieg in seinen Wagen.
Ich stieg ebenfalls ein und startete. Während ich vorsichtig wendete, überlegte ich, warum er heute so leblos wirkte. Hatte er nach dieser Nacht einen Heiratsantrag erwartet? Was sollten wir miteinander? Wir zankten uns doch ununterbrochen! Der Mann meines Lebens war er wirklich nicht – und er hielt mich die meiste Zeit für eine dumme Kuh, wie er mir nur zu oft deutlich gemacht hatte.
Noch ein Frühstück und ein Mittagessen und dann Kiss And say Goodbye... das war wirklich das Gescheiteste. Der Gedanke munterte mich aber auch nicht auf. Dankbar hupend fuhren wir an den Arbeitern vorbei und stellten in Neufinsterbach fest, dass es dort keine Post gab. Die war ja in Hellenbach! Dort bogen wir rasant auf den Parkplatz ab, wo zumindest Silkes und Karens Autos noch standen, außerdem ein fetter dunkelgrauer A 6. Harald, wahrscheinlich. Sie saßen etwas kleinlaut beim Frühstück und zogen merklich den Kopf ein, als wir die Tür aufstießen und wie Django breitbeinig stehen blieben.
„Jetzt eine Pferdepeitsche“, murmelte ich und Tarek lachte höhnisch. Dann ging ich weiter.
„Rutscht mal, ihr Pfeifen, ihr Versager. Sitzt hier gemütlich im Warmen!“ Ich quetschte mich zwischen Karen und Marianne, nahm Karen ihre frisch belegte Schinkensemmel weg und aß sie selbst. Tarek drängte sich ähnlich grob zwischen Harald und Robert und trank als erstes den Orangensaft leer. „He!“ Karen protestierte, aber ich grinste nur.
„Strafe muss sein, nicht? Man schmiere mir eine – eine – Mohnsemmel mit dick Butter und Käse drauf. Silke, an die Arbeit!“
Silke gehorchte eilfertig und ich verfolgte aus den Augenwinkeln, wie Robert und Jens alles diensteifrig um Tarek herum aufbauten und ihm Kaffee einschenkten. Wir grinsten uns zu. „Schön warm hier“, äußerte ich dann beiläufig, um das schlechte Gewissen der anderen nicht zu schnell einschlafen zu lassen.
„Ach, übrigens, Karen“, fing Tarek an, mit vollem Mund, „habt ihr nicht das Kaminholz im Wagen?“
„Ja...“ Karen schämte sich immer noch, sehr gut.
„Dann bringt es umgehend auf die Hütte, wir haben alles verbraucht, was da war. Ihr könnt es in den Holzschuppen stapeln. Los, los, die Straße ist seit einer Stunde frei! Hier habt ihr den Schlüssel!“
Jens verdrehte die Augen, aber er nahm Karen an der Hand und verließ mit ihr die warme Wirtsstube.
Wir stichelten noch ein bisschen, dann erlösten wir unsere Versagerfreunde von unserer Gegenwart. Draußen studierten wir kurz die Karte, dann brausten wir ab. Vor dem Altwiener Hof an der Bundesstraße bog ich ab und kurvte auf den Parkplatz, Tarek dicht hinter mir.
„Sind wir den anderen noch böse?“, fragte ich ihn, als wir mit einer verheißungsvollen Speisekarte dasaßen und schon ein frischer Spezi vor jedem von uns stand und leise prickelte.
„Ach wo. Die hätten ja wirklich nicht viel tun können, und wir starten nächstes Mal nicht mehr viel zu früh.“
Ich orderte ein Riesenschnitzel, Tarek ein Backhendl. Wir verputzten alles gierig, schoben noch Apfelstrudel hinterher und lehnten uns dann erschöpft zurück.
„Herrlich! Dass Essen so schön sein kann?“ Ich musste auf das ursprüngliche Gürtelloch zurückgreifen.
„Essen? Wir haben schon mehr gefressen, nicht?“
„Ja, aber es war ein derartiger Genuss...“
Als wir wieder auf dem Parkplatz standen, sahen wir uns etwas ratlos an. „Und jetzt?“, fragte Tarek leise und legte seine Hände um meine Taille.
„Keine Ahnung.“ Ich wusste es ja auch nicht. „Aber wir verabschieden uns besser hier, denn wenn sich unsere Wege trennen, dann wahrscheinlich auf der Autobahn.“
„Stimmt“, seufzte er und neigte seinen Kopf über mich. Ich kostete seinen letzten Kuss genießerisch aus, dann löste ich mich von ihm, strich ihm leicht über die Wange und flüsterte „Leb wohl“. Dann lief ich zu meinem Wagen, stieg ein und brauste in einem Kavalierstart vom Parkplatz.
Kurz danach hatte ich den Jeep schon wieder im Rückspiegel. Hintereinander her fuhren wir zur Autobahn; erst am Kreuz Süd sah ich noch einmal seine Lichthupe als Gruß, bevor er sich rechts einordnete.