Читать книгу Missgriffe - Elisa Scheer - Страница 2
Alltag
Оглавление„Geiler Bildschirmschoner“, fand Christian und schielte über meine Schulter.
„Gut, was?“ Ich war selbst ziemlich begeistert. „Hab ich im Internet gefunden.“ Auf meinem Monitor rannten laute kleine grau gekleidete Manager im Kreis herum und warfen Aktenkoffer in die Luft. Sobald alle Koffer in der Mitte gelandet waren, begannen die Kerlchen zu strippen, und sobald alle mit ihren kleinen Pimmelchen wedelten, wurde der Schirm schwarz und alles begann von vorne. „Sollten wir den den Seminarteilnehmern anbieten, was meinst du? Oder sind die dann beleidigt?“ Christian verzog sich kichernd. „Meinst du, den gibt´s auch mit strippenden Tippsen?“
„Weiß ich nicht, du blöder Macho.“
„He!“, entrüstete er sich. „Du geilst dich hier an nackten Kerlen auf, und ich darf nicht? Ist doch wieder typisch Weiber.“
„Pass auf, du Trottel“, begann ich in milde aufklärendem Ton, „keiner hat was gegen strippende Damen, aber wieso Tippsen? Wieso nicht Managerinnen?“
„Weil ich realistisch bin“, schoss er zurück und wich dem Textmarker aus, den ich ihm an den Kopf werfen wollte.
Sabine linste hinter ihrem Monitor hervor. „Müsst ihr immer so ekelhaft sein? Helft mir lieber mal, dieser Zeitfressertest ist unmöglich!“
„Was soll denn daran schwer sein, du sollst doch bloß das Layout verbessern!“, maulte ich und wollte Christian dazu bewegen, ihr zu helfen. „Nein“, jammerte sie, „Lea soll mir das erklären. Männer sind immer so ungeduldig.“
„Haben sie dir das in deinem Frauencomputerkurs beigebracht?“, fragte ich ärgerlich und rollte neben sie. Unser Dreierarbeitsplatz war wirklich genial, geschnitten wie ein Bagel. In der Mitte liefen alle Kabel, und rundherum hatten wir wirklich reichlich Platz und konnten zusammenarbeiten, ohne irgendwelche Anschlüsse zu überfahren. Hier bastelten wir das Material für die Seminare und die Handbücher, mit denen LifeManagement den Leuten für horrende Gebühren das Leben erleichtern wollte. Zeitmanagement, Anlagestrategien, gute Vorsätze, Sport und Gesundheit für Vielbeschäftigte, Dresscodes, Karriereguides, So bewerbe ich mich erfolgreich – es gab schon fast dreißig Bände, und sie verkauften sich wie verrückt, genauso wie die Seminare.
Wenn die Klienten gesehen hätten, wie chaotisch es in unserem Büro zuging, hätten sie wohl nicht geglaubt, von uns irgendetwas lernen zu können, aber das Dauergeblödel und Sabines eigenartige Mischung aus Frauenbewegtheit und Opferrolle blieb glücklicherweise unter uns. Auch der exzessive Junk Food-Konsum entsprach nicht dem, was der erfolgreiche Manager – sorry, Sabine: die erfolgreiche ManagerIn – essen sollte, um Gesundheit und Arbeitskraft dem Arbeitgeber bis zum Rentenbeginn (bis dahin sicher mit fünfundsiebzig Jahren) zu erhalten. Christian holte sich sein Mittagessen bei McDonald´s, Sabine hatte immer Bäckertüten dabei, in denen allerlei zuckerglasierter Kram festklebte, und ich futterte Müsliriegel, denen man mit Zucker und Schokoglasur den letzten Rest Gesundheit ausgetrieben hatte. Aber lecker waren die Dinger, das ließ sich nicht bestreiten.
Mir war das auch nur mäßig peinlich, schließlich lag mein Fachgebiet im Zeitmanagement und nicht in den Ernährungswissenschaften.
Ich führte Sabine das zittrige Händchen, während sie die Symbole aus der Tabelle heraussuchte, mit deren Hilfe die Leser/Klienten die Punkte für nie - selten – häufig zusammenzählen konnten. „Sabine, du kannst doch Textverarbeitung, oder? Und das Layout war schon fast fertig, also warum machst du so ein Theater?“
„Weil ihr mich immer ablenkt“, jammerte sie. „Müsst ihr eigentlich immer über Sex reden?“
„Tun wir doch gar nicht“, widersprach ich erstaunt. „Wir ferkeln doch nur zum Spaß ein bisschen herum.“
„Das ist aber frauenfeindlich!“
„Sabine! Ich mach doch immer männerfeindliche Witze, wie kann das frauenfeindlich sein?“
„Du verstehst das nicht.“
„Nee, wirklich nicht. Und dich ärgert doch keiner mit so was, wir ärgern uns ja bloß gegenseitig. Jetzt mach das Ding mal fertig, das muss nachher in den neuen Reader eingepasst werden. Und vergiss das Speichern nicht wieder!“, fügte ich, durch Erfahrung gewitzt, hinzu.
„Gott, bist du gemein!“
Christian zog, von Sabine ungesehen, ein Mäuschengesicht und verdrehte dann die Augen zum Himmel. Ich lachte kurz auf und hustete dann unüberzeugend. Arme Sabine, sie hatte kein Talent zum Blödeln und benahm sich immer, als könnte die Maus sie beißen.
„Wer macht denn das Zeitmanagement-Seminar am Wochenende?“, fragte Christian und biss von seinem BigMäc ab. „Keine Ahnung, ich jedenfalls nicht“, antwortete ich sofort. „Ich hab ab morgen Urlaub, schon vergessen?“
„Und, was machst du?“
„Wie immer. Italien, Sand, Strand, Pasta...“
„Bademeister...“
„Nee, höchstens die Gehilfen. Richtige Bademeister sind meist zu alt. Ausgedörrt wie zu lange gegrillte Hendln, was soll ich damit?“
„Mensch, das möchte ich jetzt auch, am Strand liegen und schnuckeligen Italienerinnen auf den Hintern glotzen.“
„Die haben keine Ferien mehr“, höhnte ich, „du würdest dich mit Tourihintern begnügen müssen. Und stell dir vor, du legst da eine flach, und dann wohnt sie in Leisenberg. Oberpeinlich, was?“
Christian schauderte. „Und du? Was, wenn dein Bademeistergehilfe da bloß Ferienjob macht und ansonsten hier studiert?“
„Arschkarte“, gab ich zu, „aber unwahrscheinlich. Ich weiß, was Bademeistergehilfen in der Nachsaison verdienen, da lohnt sich die Anreise gar nicht.“
Christian knurrte und widmete sich wieder den Tabellen auf seinem Bildschirm. Ich bastelte meinen Seminartext weiter und begann vom Urlaub zu träumen. Eine Woche Jesolo, das hörte sich vielleicht wenig originell an, aber ich liebte den Ort. Nicht den ursprünglichen Ort natürlich, sondern Lido di Jesolo, lang gezogen und nur aus Hotels, Restaurants und Geschäften bestehend. Da war ich als Kind schon gerne gewesen und hatte jedes Jahr Wiedersehen gefeiert, mit dem Laden, der die seltsamen Schwimmflügel verkaufte, mit dem Bacio-Eis an der Ecke, dem Zeitungsladen mit den grellbunten Kitschromanen, dem Mordsbetrieb ab acht Uhr abends und den immer gleich ausgerichteten Liegestühlen am Strand. Als man die Piazza Aurora umgebaut hatte, war ich eine Saison lang richtig beleidigt, aber dann hatte ich mich damit abgefunden und genoss sogar die Konzerte in dem Mini-Amphitheater.
Und sobald ich zu ordentlich Geld gekommen war, hatte ich mir ein kleines Appartement in der Nähe der Piazza Garibaldi gekauft und mit einem Hotel am Strand vereinbart, dass ich zu einem Sonderpreis jederzeit ein Letto und einen Schirm mieten konnte.
Morgen um zehn ging der Flieger nach Venedig, am Flughafen warteten jede Menge Leihwagen – um zwei konnte ich schon am Strand liegen, bewaffnet mit einem Stapel Romane aus der Stadtbücherei. Herrliche Aussichten – nur noch einen Nachmittag lang Seminarmaterial überarbeiten.
„Pst! Würdest du wirklich einfach so – mit einem Bademeister – du weißt schon?“ Sabine war richtig aufgeregt.
Ich schüttelte den Kopf. „Weißt du, wenn einer mal wirklich niedlich wäre, dann vielleicht, aber so toll sind die nicht. Ich will mich einfach nur erholen. Das sind doch alles bloß Sprüche, genau wie bei Christian. Oder glaubst du, der hat wirklich solchen Schlag bei den Mädels? Der doch nicht!“
In vorübergehender Solidarität betrachteten wir Christian: blond, ein Paar Pfund zuviel, wie immer in einem geschmacklos geblümten Hemd, die Zungenspitze vor lauter Stress zwischen die Lippen gepresst, Schweißperlen auf der Stirn. Guter Kumpel, aber so sexy wie – wie – wie eine Aktentasche. Obwohl, eine richtig schöne Aktentasche, seidig schwarzes Leder, schimmernde Verschlüsse aus gebürstetem Stahl – nein, da kam der arme Christian nicht mit. Gut, so sexy wie der Tacker auf dem Schreibtisch. Aus blassgrünem Plastik.
Mein Telefon klingelte. „LifeManagement, Redaktion. Mein Name ist Lea Sarow, was kann ich für Sie tun?“ In einem kleinen Betrieb wie diesem schirmte uns keine Telefonistin ab, aber so viele Leute riefen hier nicht an, die Anmeldungen und Bestellungen liefen über ein Callcenter, an dem wir beteiligt waren.
„Hi, Lea.“ Huch, das klang aber trübsinnig! Ich seufzte. „Wolfi. Was ist denn jetzt wieder passiert?“
„Sie will mit mir wegfahren.“
„Ja und? Wenn du dich recht erinnerst, das wollte ich auch gelegentlich. Du, Wolfi, ich verrate dir jetzt was – das ist ganz normal. Wenn zwei sich lieben und es nicht gegen den Willen eines Partners geschieht -“
Sabine lauschte mit weit aufgerissenen Augen.
„- dann kann man auch mal miteinander wegfahren. Wenn du Hemmungen hast, vielleicht erstmal nicht so weit? Bloß an den Chiemsee? Oder eine Donaufahrt? Und dann, wenn du kühner geworden bist, vielleicht nach Salzburg – oder nach Tschechien.“ Er schnaubte mir ins Ohr. „Du verarschst mich doch schon wieder! Ich will nicht wegfahren! Ich hasse das! Und du weißt das genau!“
„Ich schon. Aber hast du das auch deiner Süßen klar gemacht?“
„Sag nicht immer Süße, wenn du von ihr sprichst!“
„Tut mir Leid, aber dieser Name ist so was von bescheuert. Sie heißt doch nicht wirklich Clarissa, oder?“
„Doch, ehrlich. Steht in ihrem Pass. Aber warum will sie unbedingt wegfahren? Hier haben wir es doch gut, unsere eigenen, genau richtigen Betten, wir kennen uns gut aus, es gibt kein komisches Wetter und kein komisches Essen, wir brauchen nicht in Sprachen herumzustammeln, die wir gar nicht können -“
„Ah! Das also ist des Pudels Kern, ja?“, zitierte ich so ungefähr. „Nagt dein Stotterfranzösisch immer noch an dir? Sag ihr doch, Untersuchungen hätten ergeben, dass Frauen sprachbegabter seien, und lass sie verhandeln.“
„Haha. Sie kann bloß ein bisschen Englisch.“
„Mein Gott, dann fahrt eben ins Salzkammergut oder an den Ballermann, da können wirklich alle Deutsch. Oder gleich an die Nordsee.“
„Ich will aber nicht! Kannst du nicht mal mit ihr reden?“
Ich war sprachlos, aber nur einen Moment lang. „Hast du sie noch alle? Ich soll an deiner Neuen herumerziehen? Glaubst du ernsthaft, die lässt sich von mir was sagen? Wolfi, ein bisschen naiv ist ja ganz lustig, aber du bist wirklich zu blöde.“
„Ich dachte, wir sind noch Freunde“, sagte er beleidigt. „Sind wir ja, aber das darfst du auch nicht überstrapazieren. Rede ruhig selbst mit ihr. Aber eine kleine Reise würde dir gar nicht schaden, du wirst immer passiver.“ Er legte auf. Ich lehnte mich zurück und schüttelte versonnen den Kopf. Es gab schon blöde Männer! Und mit dem war ich mehr als zwei Jahre zusammen gewesen? Und ganz zufrieden obendrein? Unverständlich.
Früher war er aber doch nicht ganz so faul gewesen, oder? Wir waren durchaus mal weggegangen, auch mal verreist, auch wenn er dabei ständig leises Gejammer von sich gegeben hatte – falsches Klopapier, Knoblauch im Essen, die Sonne zu heiß, der Sand zu sandig, das Meer zu salzig, die Sprache zu unverständlich, die Musik zu laut, die Leute zu blöd, die Wege zu weit...
Ich hatte mich gar nicht deshalb schließlich von ihm getrennt, sondern nur, weil ich rausgekriegt hatte, dass er seit geraumer Zeit zweigleisig fuhr und immer dann, wenn er angeblich so hart arbeiten musste, mit einer gewissen Franziska arbeitete. Besser gesagt, sich auf ihr abarbeitete. Das war mir dann doch zu geschmacklos und das Gejammer von wegen „Aber ich liebe doch nur dich!“ interessierte mich nicht mehr. Franziska hielt sich nicht lange, ihr folgte Irmela (wer hieß bloß so?) und ihr schließlich Clarissa. Und nichts konnte Wolfi daran hindern, mir die Ohren vollzujammern, wen sie ihn nicht verstanden, Stress verursachten, eigene Wünsche anmeldeten und ganz grundsätzlich seine Bequemlichkeit bedrohten. Dass ich fast immer der betreffenden Dame Recht gab und an Wolfi hemmungslos herumkritisierte, änderte daran gar nichts. „Was für ein Idiot“, murmelte ich vor mich hin und wollte mich wieder meiner Arbeit zuwenden. „Dein Ex?“, fragte Sabine.
„Wer sonst? Obwohl, was ich sonst so kenne, ist auch nicht besser...“ Ich warf Christian einen Seitenblick zu, aber er ließ sich nicht aus der Reserve locken.
Notgedrungen wandte ich mich wieder der 20:80-Relation und anderen hinreichend bekannten Phänomenen des Zeitmanagements zu und schrieb meinen Text fertig; genau genommen ging es bloß darum, einen alten Text zu überarbeiten, das Layout zu verschönern und klarere Skizzen einzufügen. Routine eben, aber ich arbeitete gerne hier. LifeManagement brummte, also zahlten sie mehr als ordentlich; ich leitete gerne Seminare an noblen Tagungsstätten und blödelte gerne mit Christian und Sabine herum.
Eigentlich konnte ich mehr als zufrieden sein – guter Job, gute Finanzlage, gute Gesundheit – und der Urlaub stand vor der Tür. Hässlich war ich auch nicht, und dass ich mit sechsunddreißig noch nicht verheiratet war, grämte zwar meine Freundin Simone, aber mich nicht. Wozu heiraten?
Gut, ein Kind vielleicht... Allmählich wurde es ja wohl Zeit; wenn ich noch lange herumtrödelte, ging es wahrscheinlich nicht mehr. Vielleicht sollte ich doch im Urlaub mit einem niedlichen Bademeister oder Surflehrer... Intelligent war ich selbst, es reichte, wenn der ins Auge gefasste Vater etwas Schönheit beisteuerte. Und dann würde ich nach zehn Tagen mit einem Embryo im Bauch abhauen und die Sache wäre erledigt.
Nein, das war Blödsinn, ich wollte noch öfter dorthin fahren, und wenn ich in den nächsten Jahren immer mit einem Zwerglein auftauchte, würde der Surflehrer sich wundern. Oder ich brauchte einen, der garantiert in der nächsten Saison in Marbella arbeitete. Außerdem klappte es ja ohnehin nicht. Ich fischte meinen Zeitplaner aus der Tasche (natürlich mit den speziellen, professionell erstellten und auf den jeweiligen Bedarf exakt abgestimmten Formularen von LifeManagement) und schlug die entsprechende Tabelle auf. Doch, es passte – am nächsten Donnerstag müsste ich einen Eisprung haben. Wenn ich überhaupt noch einen hatte; irgendwo hatte ich mal gelesen, dass bei vielen Frauen über fünfunddreißig gar nichts mehr lief, ohne dass sie es merkten, und immerhin wurde ich im Oktober schon siebenunddreißig. Wahrscheinlich war der Zug längst abgefahren. Auch egal.
Nein, nicht egal. Ein Kind wollte ich schon. Ich sollte es im Urlaub wirklich mal riskieren. Aber mit einem, über den ich nichts wusste...? Und wenn ich mir dabei noch was anderes holte? Risiko!
„Pennst du?“ Christian wedelte mir mit der Hand vor dem Gesicht herum. Ich klappte den Zeitplaner zu. „Nein, ich hab bloß gerade was überlegt.“
„Muss ja wahnsinnig wichtig sein.“
„Was ich überlege, ist immer wichtig“, beschied ich ihn von oben herab, musste dann aber selbst lachen, als Christian maulte: „Mrs. Oberwichtig – wie immer. Da such ich mir doch lieber auch so einen Bildschirmschoner. Sag mir mal schnell die Adresse!“
Ich diktierte ihm die Adresse, gab Sabine noch etwas zu tun und versank wieder in Gedanken. Bei einem Unbekannten konnte ich mich anstecken, bei einem Bekannten hatte ich dann jede Menge Sorgerechtsärger am Hals. Auch schlecht. Christian johlte los. „Strippende Cheerleader! Geil, ey! Die nehm ich! Lea, deine Tipps sind immer noch die besten.“
„Altes Ferkel“, kommentierte ich gutmütig. „Lass mich raten – ab jetzt arbeitest du noch weniger als sonst, weil du ja die Maus nicht anfassen darfst, wenn gerade eine ihr Höschen fallen lässt.“
„Das ist eine miese Unterstellung!“
„Wieso – ich kenn dich doch.“
Es musste jemand sein, der einen ordentlichen und gesunden Eindruck machte, aber das konnte auch täuschen. Und wenn ich ein Gesundheitszeugnis sehen wollte, würde er sagen, dass ein Gummi dann ja wohl die einfachere Lösung wäre. Und dann? Ich konnte sagen, dass ich eine Latexallergie hatte. O Gott, was hieß denn das auf Italienisch? Il profilattico war der Gummi, gut – aber mehr wusste ich auch nicht. Und allergiegetestete Kondome waren immer noch leichter und schneller zu beschaffen als ein HIV-negativ-Zeugnis. Verdammt, ich war kaum länger als eine Woche da unten! Und am Samstag oder Sonntag war die Chance wahrscheinlich schon wieder vertan.
Mist, verdammter.
Ich sollte diesen schwachsinnigen Plan fallen lassen. Über so einen Kerl wusste ich doch auch gar nichts, vielleicht hatten sie in seiner Familie alle irgendeine Krankheit, Thalassämie oder so, die gab´s doch am Mittelmeer oft, oder? Und ich musste dann beim Kinderarzt zugeben, dass ich keine Ahnung von den Erbanlagen meines eigenen Kindes hatte, weil ich nur wusste, dass der Vater Luigi oder Tonio geheißen hatte. Viel zu peinlich.
Ich könnte mir natürlich auch hier jemanden schnappen... aber den traf ich dann bloß im falschen Moment wieder. Samenspende?
Ich hatte keine Ahnung, ob das so einfach war. In den USA vielleicht, dort konnte man wahrscheinlich einfach in eine Samenbank marschieren, eine Portion groß-blond-blauäugig-Akademiker-Footballcaptain kaufen und sich injizieren lassen und bingo. Aber hier? Tausende von Formularen. Was, Sie sind nicht verheiratet? Und berufstätig auch noch? Ja, können Sie sich denn dann angemessen um das Kind kümmern? Klappt es auf natürlichem Wege denn nicht? Haben Sie eine Bescheinigung ihres Hausarztes? Ihres Gynäkologen? Ihres Psychologen? Ihrer Hausbank? Wie gesichert sind Ihre Verhältnisse? Können wir Ihr Abiturzeugnis sehen? Ihr Diplom? Hm - Wirtschaftswissenschaften... Können Sie überhaupt kochen? Windeln wechseln? Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Ach, nein? Hm...
„Mann, hat die Titten!“ Christian quiekte entzückt auf.
„Männer sind ja so billig zu amüsieren“, sagte ich zu Sabine, die mir nur einen gequälten Blick schenkte. „Ich wette, mit einem alten Playboy könnte man ihn ein ganzes Wochenende ruhig stellen.“
„Ich finde das grässlich.“
„Was, meine Männerkommentare? Oder Christians Jubel?“
„Beides. Habt ihr keine Achtung voreinander?“
„Doch. Wir wissen doch beide, dass das nur Geblödel ist. Und er jubelt doch sicher auch ein bisschen, weil er weiß, was er seinem Image schuldig ist. Soll ich dir auch einen schönen Bildschirmschoner suchen? Vielleicht mit einem netten Familienfoto? Oder kleinen Kätzchen?“
„Fiese Ratte.“ Nun musste sie doch lachen.
Sabine war ein braves Mädchen, das konnte man nicht bestreiten. Ende zwanzig, richtig verlobt, der Stolz ihrer Eltern und auf eine zurückhaltende Weise sehr hübsch, goldblond, grünäugig, schlank und korrekt gekleidet. Gerüchten zufolge hatte man sie sogar schon mal in einer Kirche gesehen. Ich hatte schon öfter Seminare mir ihr zusammen geleitet und wusste, dass sie nicht so ein Hase war, wie sie manchmal vorgab, sie wurde mit einem Raum voller Aktenkofferträger (und ein oder zwei waren immer dabei, die glaubten, die Kursleiterin blöde anquatschen zu müssen) im Handumdrehen fertig. Nicht auf die harte Tour wie ich, sondern mit einem eisig-damenhaften Ton, den ich für mein Leben gern auch draufgehabt hätte, aber mir gelang er nicht, egal, wie oft ich übte.
Ich grinste vor mich hin, suchte und fand den perfekten Bildschirmschoner – kleine Brautpaare fuhren in Hochzeitskutschen durchs Bild und warfen Brautsträuße – und schickte ihn ihr als E-Mail-Anhang. Als es bei ihr piepte, stutzte sie, klickte sich durch und lachte dann. „Na gut. Und jetzt?“
„Rechte Maustaste, Bildschirmschoner.“
Sabine installierte sich die Hochzeitspaare und betrachtete sie sich in der Vorschau. Christian hatte seine Aufmerksamkeit schon wieder seiner Arbeit zugewandt; so sexbesessen war er eben doch nicht, wie er immer tat.
Ich versank wieder in meinen Familiengründungsplänen, die mir aber zunehmend bescheuerter vorkamen. Ohne Gesundheitsgefährdung kam ich nicht an die notwendige Portion Sperma, und ob ich in der Nachsaison so die riesige Auswahl unter dem Zuchtmaterial haben würde... mit irgendeinem leicht beschränkten, pickligen Kellner wollte ich mich ja auch nicht begnügen.
Nein, was mir vorschwebte, war in etwa Folgendes: Student (höheres Semester, sonst konnte ich ja seine Mutter sein!), hoher IQ, gutes Aussehen, nette Umgangsformen, jemand, der sich noch nie auf eine flüchtige Affäre eingelassen hat, aber mir nicht widerstehen kann – und jemand, der unmittelbar danach abreisen muss und vergisst, sich meinen Namen zu notieren oder den Portier des Appartementhauses auszuquetschen.
So was fand ich nie, schon gar nicht in einer knappen Woche! Heute war doch schon der siebte Tag, und der vierzehnte wäre perfekt. Es hatte keinen Sinn, so etwas zu planen. Wenn ich mit einem Mach mir ein Kind-Blick in Jesolo auftauchte, würde ich nur Idioten treffen.
Vielleicht lernte ich ja doch mal wieder einen brauchbaren Mann kennen. Nicht nur so einen wie Wolfi mit seiner panischen Angst davor, jemand könnte seine Bequemlichkeit beeinträchtigen, nicht so einen Hohlkopf wie Christian (nicht, dass ich mit dem je etwas gehabt hätte, der sollte ruhig weiter seine Annette nerven) und auch nicht so einen wie meine diversen anderen Verflossenen. Entweder hatten sie sich davongemacht (Bindungsunfähigkeit!) oder ich hatte ihre schlechten Eigenschaften entdeckt und hatte meinerseits Schluss gemacht. Nick hatte eindeutig zu viel getrunken, Andi fand, dass sich ein Studium für eine Frau doch gar nicht lohnte und ich besser Geld verdienen gehen sollte, damit er studieren und später für uns beide und die fünf Kinder, die ihm vorschwebten, sorgen konnte. Er hatte es sehr egoistisch gefunden, dass mir dieser Plan nicht zugesagt hatte. Bernhard war immer frommer geworden und wollte unser Leben strikt nach den Lehren der Bibel ausrichten. Das reichte dann bis zu Wer sein Weib liebt, der züchtigt es, was wahrscheinlich so gar nicht drinstand. Ich hatte mich daraufhin an Auge um Auge, Zahn um Zahn erinnert und seinem Zahnarzt damit einen hübschen Verdienst beschert.
Peter mit den genialen Methoden, ohne Arbeit an das ganz große Geld zu kommen, hatte ich verlassen, als er gerade eine Schneeballaktion aufzuziehen begann, die ihn ein Jahr später in den Knast brachte. Glück gehabt! Und ein paar andere waren einfach unordentlich, ohne besondere Interessen, schlecht im Bett oder ganz allgemein entnervend im täglichen Umgang gewesen.
Männer waren eben doch blöd, jedenfalls die meisten. Ganz hatte ich die Idee noch nicht aufgegeben, dass irgendwo da draußen zwar nicht die Wahrheit, aber doch der eine Mann sein musste, der der Richtige war. Der, bei dem mir die Macken egal wären (genauso wie ihm meine Spleens), mit dem es im Bett zuginge wie in einem Kitschroman, der meine Karriere unterstützte und seine eigene nicht überbewertete, mit dem man sich endlos unterhalten konnte – schön musste er gar nicht sein, solange er nicht irgendwie eklig war.
Andere fanden doch auch etwas Passendes, wieso denn ich nicht? War ich zu wählerisch? Oder hatten die anderen gar nicht das Passende? Die hohen Scheidungsraten sprachen eher für diese Theorie. Ich sollte mich mal umhören, warum bestimmte Leute noch mit ihren Partnern zusammen waren – aus Liebe? Wegen der Kinder? Wegen der hohen Hypotheken auf das Haus? Aus Resignation? Weil nichts Besseres vorbeikam? Weil eine Scheidung mit dem Eingeständnis des Versagens gleichgesetzt wurde? Weil man nicht aufgibt, was man einmal angefangen hat?
„Ich geh was essen“, verkündete Christian und stand ruckartig auf.
„Guten Appetit“, wünschte ich geistesabwesend. „Sabine, willst du auch gehen?“ Sabine schüttelte den Kopf und zog zwei Tupperdosen aus der Tasche. „Ich muss meinen Diätplan einhalten. Nächste Woche ist doch die Party bei Markus´ Eltern, und dieses Kleid ist immer noch knalleng. Drei Pfund in der Taille weg und es sitzt perfekt.“ Sie seufzte und entfernte die Deckel, dann beäugte sie den Inhalt ohne große Begeisterung. Ich riskierte einen Blick.
„Fettfreier Quark mit Kleie?“, riet ich voller Mitgefühl.
Sie nickte. „Schmeckt wie es aussieht, nach überhaupt nichts. Aber es macht verblüffend satt, man muss nur genug dazu trinken, sonst kriegt man einen Darmverschluss.“
„Und was ist in dem anderen drin?“
Sie verzog das Gesicht. „Ungesüßtes Apfelkompott.“
„Klasse. Aber es könnte noch schlimmer sein.“
„Wie denn? Ich hasse Äpfel, aber so steht´s nun mal im Diätbuch.“
„Es könnte Rhabarber sein. Den bekämst du ungesüßt schon gar nicht runter. Kipp das Zeug doch in den Quark, dann kriegt er wenigstens Geschmack!“
Sie sah mich zweifelnd an, dann begann sie, die Apfelstückchen in den Quark zu rühren. „Na?“, fragte ich sie nach dem ersten Bissen.
„Geht so. Geringfügige Verbesserung. Gutes Essen ist was anderes. Und was machst du?“ Ich stand auf und inspizierte meine Tasche. „Paar Einkäufe für den Urlaub. Sonnenmilch ist hier immer noch billiger, vor allem um diese Jahreszeit.“
„Und einen heißen Bikini?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab zwei Bikinis und einen Einteiler, und die sind noch völlig in Ordnung. Lass es dir schmecken!“
Sabine verdrehte die Augen. „Alter Geiznickel!“
Ich war absolut nicht geizig, widersprach ich im Stillen, als ich die Straße entlanglief, ich wollte bloß nicht überflüssig Geld ausgeben und vor allem nicht überflüssigen Kram anhäufen. Wozu brauchte man mehr als drei Badeanzüge, wenn sie alle okay waren? Einen hatte man an, einer trocknete, einen hielt man in Reserve. Und wenn sich einer auflöste, konnte man immer noch Ersatz kaufen und den alten entsorgen. Drei war die Obergrenze.
Ich hatte für alles eine Obergrenze, so verfiel ich wenigstens nicht in Sammelwut. Ich meine – es gibt ja Leute, die sammeln Bettwäsche und haben irgendwann einen ganzen Schrank voll! Auch da reichten drei – einer auf dem Bett, einer in der Wäsche, einer im Schrank. Und man musste nie überlegen, welchen man als nächsten nahm. Wenn man so jede Woche nur fünf Minuten Zeit sparte, waren das in einem Jahr immerhin vier Stunden und zwanzig Minuten, in fünf Jahren fast ein ganzer Tag, in zehn...
Bremsen quietschten und ich blieb erschrocken stehen. Nein, ich war nicht wegen dieser wichtigen Berechnungen fast in ein Auto gelaufen, ein Typ auf einem Fahrrad war bei Rot über die Kreuzung geradelt.
Wenn ich so ein hässliches Hemd anhätte, würde ich wenigstens korrekt radeln, dachte ich mir und sah dem auffälligen Kleidungsstück nach, das sich schwankend entfernte. Grellblau und mit griechischen Statuen in ebenso grellem Weiß bedruckt. Schauerlich, sicher von einem Souvenirstand an der Plaka oder auf Mykonos. Souvenirs kaufte ich nie, da lag die Obergrenze bei Null, ohne Toleranzbereich. Gut, wenn ich vor einem Urlaub feststellte, dass sich ein Pullover seinem natürlichen Ende näherte und ich in Jesolo ein wirklich schönes, brauchbares, pflegeleichtes und preisgünstiges Ersatzteil fand – aber das war kein Souvenir, das war die Ergänzung absolut notwendiger Vorräte.
Ich betrat den Drogeriemarkt, kettete einen Wagen los und kurvte durch die Regale. Das meiste hatte ich noch, aber Sonnenmilch, eine neue Zahnbürste, einen Miniflakon meines Lieblingsparfums und eine Flasche Shampoo brauchte ich doch noch. Halt, ja – und Heftpflaster. Ich inspizierte eine Viertelstunde lang mit Hingabe den Sonderständer Die Farben der Saison – Zauber der Wüste, malte mir mit allen Testern Striche auf den Handrücken, stellte fest, dass mein mittelbrauner, metallisch glänzender Lippenstift schöner war als alle die hier zusammen (und noch halb voll!) und fuhr weiter zur Kasse, ohne schwach geworden zu sein. Obergrenze in dem Napf vor dem Badezimmerspiegel: 1 Lippenstift, 1 Tube Make up, 1 Puderdose, 1 Lidschattenduo hellbraun/beige, 1 Wimperntusche braun. Alles Übrige wäre rausgeschmissenes Geld, und das einzige, wofür ich Geld rausschmiss, waren Fondsanteile oder Immobilien. So einfach war das!
Nein, ich brauchte natürlich keine Tüte. Aber die saftigen Nektarinen an dem Obstkarren vor der Tür reizten mich doch. Bestimmt waren die noch gesünder als Sabines ekliger Pampfraß! Ich gönnte mir zwei und schlenderte wieder zurück. Was war heute noch zu tun? Reinigung, Wäsche waschen, die Wohnung durchputzen, Koffer packen, Tasche packen...
Kaum hatte ich die Nektarinen (ungewaschen) unter Sabines strafendem Blick verspeist und mir den Saft vom Kinn gewischt, klingelte mein Handy. Simone war dran.
„Morgen fährst du? Du, was machst du denn heute Abend?“
„Noch nichts“, sagte ich unbedacht. „Aber ich wollte früh ins Bett, der Flieger geht schon um acht.“
Das war erstens gelogen, ich hatte noch gar kein Ticket, und zweitens nützte es mir jetzt auch nichts mehr. Bei Simone musste man schneller denken. „Super, dann hast du doch sicher Lust auf Cocktails und eine anständige Pizza? Um sieben im Fabrizio. Fabian kommt auch mit.“
„Toll“, antwortete ich schwächlich. Fabian mochte ich nicht übermäßig, aber genau deshalb konnte ich jetzt nicht mehr sagen Nö, lieber doch nicht, sonst hieß es bloß wieder Du hast da echt ein Vorurteil.
„Okay, aber nur auf ein, zwei Stunden“, leitete ich den Rückzug ein.
„Klar“, versprach sie unbefangen, sie würde sich ja ohnehin nicht daran halten. Würde ich wirklich um neun gehen, gäbe es einen Riesenstress: Jetzt schon? Willst du den Abend sprengen? Wirst du schon alt? Was willst du um neun im Bett – alleine?
Mist. Und ich hatte noch nichts gepackt! Noch nicht einmal gewaschen! Nicht geputzt! Das Auto nicht aufgeräumt! Okay, das war egal, in der Flughafengarage konnte es auch so stehen. Dann sollte ich wenigstens meinen Schreibtisch leer arbeiten und extrem pünktlich gehen. Zur Reinigung musste ich schließlich auch noch. Ich spürte tatsächlich ein Magenflattern, als hätte ich ab jetzt alles im Laufschritt zu erledigen. Albern.
Christian kam zurück und produzierte einen kunstvollen Rülpser.
„Aha, es hat geschmeckt“, stellte ich fest. „Was gab´s denn?“
Blöde Frage. „BigMäc, Pommes, Chefsalat, große Coke. Das reicht wieder für ein, zwei Stunden.“
„Chefsalat? Wirst du auf deine alten Tage weich? Du lässt Vitamine an deinen kostbaren Körper?“
„Vitamine? Du glaubst, bei McDonald´s dealen sie mit Vitaminen? Nie, sag ich dir!“
„Hast du auch wieder Recht. Und iss nur ordentlich, schließlich muss ja der Bestand erhalten werden.“ Ich warf einen anzüglichen Blick auf den Bauch, der sich unter dem feingestreiften Hemd wölbte. Siebter Monat, mindestens.
„Eben. Fastfood formte diesen Körper, das soll ja nicht umsonst gewesen sein. Jedenfalls war´s lecker.“
„Wie jeden Tag.“
Sabine sah richtig ausgemergelt aus, kein Wunder nach diesem Ekelbrei. Und Christian wurde langsam, aber sicher immer dicker, aber wenn er sich so schön fand? Und wenn seine Annette damit zurechtkam? Wenn nicht, sollte sie ihm eben Diätkost kochen oder ein Machtwort sprechen – ich würde mich auf Witze beschränken.
Verdauungsstille breitete sich von Christian her aus, Sabine arbeitete mit Leidensmiene, und ich ackerte die letzten Papiere auf meinem Tisch mit Feuereifer und zunehmend knurrendem Magen durch. Nektarinen waren schon lecker, aber sie hielten nicht wirklich lange vor.
„Machst du auch eine Diät?“, fragte Sabine gegen vier in einem Ton, der deutlich machte, dass sie in der letzten Stunde nur über das Abnehmen nachgedacht hatte. „Nö, heute Abend gibt´s noch Pizza und Cocktails. Wieso? Wegen der Nektarinen? Ich mag die Dinger, das ist alles.“
„Ich dachte nur...“
Ich sah misstrauisch auf. „Findest du, ich hab es nötig?“
„Ach nein, nein...“ Der Ton gefiel mir gar nicht. Was hatte sie jetzt? Wollte sie bloß nicht alleine leiden? „Eine Frau kann nie reich genug und nie dünn genug sein“, warf Christian hilfreich ein.
„Wer hat das gesagt?“, fragte Sabine interessiert.
„Britney Spears“, behauptete er prompt.
„Blödsinn“, murmelte ich, „das war die Herzogin von Windsor, und das Pferdegesicht hätte ich nicht geschenkt haben wollen.“
„Wer war die denn?“, fragte Sabine rundäugig.
„Für die hat immerhin ein englischer König auf seinen Thron verzichtet, aber nachdem er mit den Nazis sympathisierte, war das wohl kein großer Verlust“, antwortete ich und ließ meinen Drucker rattern.
„Echt? Wann war das?“ Ich verdrehte die Augen zum Himmel. Nazis – wann konnte das schon gewesen sein?
„Sechsunddreißig“, streute ich mein Wissen unter das gewöhnliche Volk.
„Das hast du gerade erfunden“, behauptete Christian.
„Du bist doch garantiert gerade online, oder? Guck gefälligst nach, unter Windsor, Edward VIII oder Wallis Simpson. Oder glaub, was du willst.“
„Woher weißt du so was?“, wollte Sabine wissen.
„Wahrscheinlich aus einer Zeitschrift beim Friseur“, antwortete ich zerstreut. „Wieso passt dieser Test nicht auf eine Seite? Auf dem Monitor ging´s doch auch!“ Mit dem Einrichten der Seite, dem Speichern und dem Absprechen mit Michaela, die nebenan saß und aus unseren verstreuten Beiträgen eine DTP-Fassung erstellte, verging die restliche Zeit wie im Flug. Ich ignorierte die Debatte zwischen Sabine und Christian, ob man bescheuert sein musste, um sich für gekrönte Häupter zu interessieren, fegte alles in meine Schubladen, sicherte meinen Rechner, fuhr ihn herunter und griff nach meiner Tasche.
„Es gibt viel zu tun – fangt schon mal an, nächste Woche. Viel Spaß wünsch ich euch.“
„Regen komme über die Adria“, wünschte Christian genauso freundlich, aber Sabine fiel natürlich um und erhoffte für mich einen schönen Urlaub. Ich lachte nachsichtig und machte, dass ich wegkam.
Vor der Reinigung gab es keinen Parkplatz, dafür in der Reinigung eine längere Schlange hinter einer Kundin, die einen verlorenen Regenmantelgürtel reklamierte und für das Murren hinter ihr taub zu sein schien, bis endlich ein höheres Tier von hinten kam und sie in ein Büro führte. Es war schon fast Viertel vor sechs, als ich endlich mit drei Sakkos und einem Kostüm in Plastikhüllen aus den Chemikalienschwaden taumelte und mich wieder in die vergleichsweise frische Luft im Auto retten konnte. Nix wie weg hier!
Ich war wirklich urlaubsreif; den ganzen Sommer über, als der Rest der Welt pauschal in Mallorca, DomRep oder auf den Malediven abhing, hatten wir unsere drei besten Ratgeber überarbeitet und neu herausgebracht und außerdem ein ganz neues Seminarkonzept entwickelt. Ich kämpfte mich durch die üblichen Feierabendstaus in die Peutingergasse, fädelte mich durch die enge Hofeinfahrt und rangierte vorsichtig auf meinen reservierten Parkplatz. Hier in der Altstadt einen Hof zum Parken zu haben, das war wirklich ein Glücksgriff. Als ich die Wohnung gekauft hatte, hatte das mit den Ausschlag gegeben – gewöhnliches Volk fuhr abends bis zu zwanzig Mal um den Block, nahm gleich das Fahrrad oder riskierte, im U-Bahn-Tunnel stecken zu bleiben.
Meine Wohnung empfing mich kühl und hallend, wie ich es liebte. Ich warf den Schlüssel auf die Kommode, riss die Folie von den Kleidern und hängte sie an die Garderobe. Feierabend! Wenigstens für eine Stunde. Ich schaltete den Fernseher ein, kickte mir die Pumps von den Füßen und schälte mich aus meinen Businessklamotten.
Nach einer raschen Dusche ging es mir schon besser. Mit einem halben Auge auf dem Bildschirm wischte ich im Wohnzimmer Staub und putzte ein bisschen herum. Seifenopern, was sonst um diese Zeit! Irgendeine Tussi mit Tränen in den Augen und nachtschwarzen Locken bekniete einen etwas tuntenhaften Kerl, ihr zu helfen: „Du bist meine letzte Hoffnung, Benny! Du und Oliver!“
Wobei helfen? Ich sammelte die Zeitungsreste ein und stopfte sie in eine Stofftasche. „Ich sehne mich doch so nach einem Baby!“
„Süße, der ist vom anderen Ufer, merkst du das nicht?“, murmelte ich und entstaubte den Fernseher. „Oliver ist doch Arzt! Ich meine, ich will ja gar nicht, dass wir die – äh – herkömmliche Methode anwenden!“ Benny schaute töricht drein, ich ebenso, das Staubtuch in der Hand. Ja, wie jetzt?
„Ich bräuchte doch bloß eine Samenspende! Von dir. Und Oliver sorgt dafür, dass sie an die richtige Stelle gelangt. Mit einer Spitze oder so...“
„Wie sich Lieschen Müller die künstliche Befruchtung vorstellt“, kommentierte ich und holte den Staubsauger. Als ich zurückkam, nickte Benny gerade langsam. „Wenn du meinst...“
Anscheinend hatte Lieschen Müller auch das Drehbuch verfasst. So ein Quatsch! Empört saugte ich Staub, gleich in allen Zimmern, wenn ich schon mal im Schwung war. So verblödeten diese Serien das Volk! Oder ging das wirklich? Ich meine, wie Boris Becker dieses Baby in der Wäschekammer gezeugt hatte, hatte mich damals ja schon auch verblüfft. Nein, das konnte so einfach nicht sein, das Sperma kühlte doch aus! Oder man musste eine vorgewärmte Riesenspritze bereithalten, Benny musste gut zielen können, dann schraubte Oliver alles zu und führte der verheulten Schwarzhaarigen die Spritze ein.
Schwachsinn. Das war keine Lösung für mein Problem, lieber wischte ich noch schnell durch Küche, Bad und Toilette. Als ich auch noch die Plastikfolien aus der Reinigung weggeworfen, die Pumps auf Spanner gezogen und meinen Koffer entstaubt hatte, sah die Wohnung wieder fast so aus, wie sie aussehen sollte – sauber, kühl und schön leer: Meine Obergrenzenregel sorgte ja dafür, dass ich nichts anhäufte.
Mittlerweile hatte das Personal auf dem Bildschirm gewechselt, die nächste Serie lief. Eine Frau jammerte herum, weil sie nicht schwanger werden konnte, dann jammerte ein Mann (ihr Mann?) sich bei Freunden aus, dass er immer, wenn es „günstig“ war, erbarmungslos ins Bett gezerrt wurde und langsam keine Lust mehr hatte. Gab es keine anderen Themen? Was war mit Liebe, Seitensprüngen, finsteren Intrigen, Adelsstolz, gedopten Pferden und Autounfällen? Früher waren Soaps spannender gewesen, fand ich.
Außerdem war es schon ganz schön spät. Wenn ich einigermaßen pünktlich im Fabrizio sein wollte, musste ich gehen. Ach, viel lieber hätte ich in Ruhe gepackt und die Wohnung so richtig schön auf Hochglanz gebracht, um mich morgen nicht hetzen zu müssen. Stattdessen konnte ich mir Fabians Geschwätz antun, bloß um ein bisschen mit Simone reden zu können. Und das alles wiederum bloß, weil ich am Telefon zu langsam geschaltet hatte.
Aber heute würde ich hart bleiben, um neun wäre ich weg, und wenn ich dann hundertmal daran schuld wäre, dass der schönste Abend seit Jahren (haha) ein abruptes Ende nahm.
Lustlos stopfte ich Geld, Handy und Kalender in eine kleinere Tasche, warf die Einkäufe aus dem Drogeriemarkt aufs Bett und brach auf. Wenigstens war das Fabrizio nur ein paar Ecken weiter und ich konnte zu Fuß gehen – auf dem fast unbeleuchteten Hof war das Ausparken nachts kein Zuckerschlecken, vor allem, wenn der Wagen ein bisschen zu groß für die auf Golfs und Corsas ausgelegten Markierungen war.
Im Fabrizio war es knallvoll, für einen Donnerstag regelrecht verblüffend. Gab´s heute nichts im Fernsehen? War morgen Feiertag? Mir fiel nichts ein. Ich kämpfte mich in die Ecke durch, aus der mir Simone zugewinkt hatte, und ließ mich aufatmend auf einen Stuhl sinken.
„Gibt´s hier was umsonst oder warum geht´s hier so zu?“, fragte ich sofort.
„Ersteres. Donnerstag gibt es doch jetzt die Super-Happy-Hour, alle Drinks kosten bis acht nur noch drei Euro.“
„Ja, dann...“ Tatsächlich trank praktisch niemand etwas anderes; wahrscheinlich konnte man sich momentan in ganz Leisenberg nicht preisgünstiger die Kante geben. Ein abgehetzter Kellner erschien. „Ja?“
„Ein Planter´s Punch, eine Quattro Stagioni“, bestellte ich, ohne erst eine Karte zu verlangen, weil mir das zu lange gedauert hätte. „Hat dein Fabian doch was Besseres vor?“, fragte ich Simone dann nicht ohne Erleichterung. Fabian war immer so wichtig, er hatte zu allen Aspekten des Weltgeschehens die einzig richtige Ansicht und zögerte nicht, alle, ob sie wollten oder nicht, darüber zu belehren. Simone war sonst wirklich nett und vernünftig, aber wenn Fabian dabei war, versank sie in Anbetung, was mich jedes Mal rasend machte.
„Nein, nein, er kommt noch. Er trifft nur noch schnell jemanden.“
Zu früh gefreut! Tatsächlich, da sah ich ihn schon, hinter einem anderen Mann mit üppigem Schnurrbart. Er drängte sich durch die Massen, die sich in Dreierreihen vor der Theke stauten, und tauchte schließlich vor uns auf, wie immer im korrekten Anzug, den Simone dann wieder lüften musste. „Hallo, Fabian“, grüßte ich höflich. „Grüß dich, Lea. Lange nicht mehr gesehen. Hallo, Schatz.“ Er beugte sich vor und küsste Simone auf die Wange. „Das ist Robert. Simone, Lea.“ Er wies auf den Mann mit dem Schnurrbart und bekam vom Kellner einen Stoß in den Rücken. „Darf ich mal?“
Ein Planter´s Punch und ein Sex on the Beach wurden abgeladen und Fabian und dieser Robert ungeduldig gemustert. „Erst mal die Karte“, verlangte Fabian. Der Kellner zog mürrisch ab, die beiden setzten sich.
„Wieso habt ihr denn schon bestellt?“, nörgelte Fabian.
„Ich hatte Durst“, beschied ich ihn und nahm einen Schluck, „und wenn der schon mal vorbeischaut?“
Grummeln. Simone lächelte diesem Robert vorsichtig zu. Er warf ihr einen strafenden Blick zu und fixierte dann mich.
„Ist was?“, fragte ich schließlich gereizt, weil er regelrecht glotzte.
„Ja... Du bist wunderschön!“ Ach Gottchen. Sollte ich jetzt etwa sagen Du auch? Den Schnurrbart loben? Verlegen kichern? Ich zuckte die Achseln.
„Was machst du so? Bist du berufstätig?“
Ich hätte mich fast verschluckt. „Was glaubst du denn? Dass mich der liebe Gott ernährt? Ich bin Redakteurin bei LifeManagement. Und du?“
Nicht, dass mich das besonders interessiert hätte! „Das kenne ich gar nicht“, sagte er in einem Tonfall, als hätte ich LifeManagement gerade erfunden. „Ich bin stellvertretender Abteilungsleiter in einer Bank.“
„Interessant. Bei welcher?“
Er nuschelte etwas, aber ich hatte doch Kreissparkasse verstanden. Kleines Imageproblem? Ich unterdrückte ein Lächeln. „Und bei euch laufen alle Projekte zeitgenau? Niemandem wächst die Arbeit über den Kopf?“
„Wie kommst du darauf?“
„Naja, wir bieten auch Kurse zu Zeit- und Projektmanagement an. Das könnte auch für die Kreissparkasse interessant sein, denke ich.“
„Kaum“, warf Fabian ein und lachte nachsichtig, „Lea, Süße, das sind Profis, die brauchen doch keine Volkshochschulkurse, um zu lernen, wie man Termine in einen Kalender einträgt.“
Grr. „Fabian, du weißt nicht mal, wie man Projektmanagement schreibt, also halt dich da raus, ja?“
Simone streichelte tröstend seinen Arm, aber Fabian konnte man nicht beleidigen, er stürzte sich sofort in einen längeren Vortrag des Inhalts, dass a) „Projekt“ ein dämlicher neuer Begriff war, b) Teamwork ebenfalls eine Schnapsidee darstellte, weil mehrere Leute nie zusammenarbeiten könnten, ohne sich zu zanken, vor allem, wenn mehr als eine Frau im Team war, und c) der Versuch, dazu Theorien zu entwickeln, völlig überflüssig war, weil jeder Trottel ein so genanntes Projekt durchziehen konnte. Ob ich nicht endlich mal auf die Suche nach einem richtigen Job gehen wollte?
Ich ignorierte ihn, durch Erfahrung gewitzt. „Was hast du für eine Ausbildung?“, fragte Robert. „Vielleicht findet sich bei uns ja was für dich.“
Zu gnädig! „Ich hab ein Diplom in Wirtschaftswissenschaften und ich mag meine Arbeit, danke. Und unsere Kurse haben mit der Volkshochschule absolut nichts zu tun, dazu sind sie viel zu teuer.“
„Was kostet so was?“
„Etwa zweihundertfünfzig Euro pro Person und Wochenende. Kann man von der Steuer absetzen, Weiterbildungsmaßnahmen.“ Fabian schnaubte. „Genau so ein Scheiß wie diese so genannten Motivationskurse. Da springt einer rum, zwingt die Leute „ich bin der Größte“ zu brüllen, und kassiert ein Schweinegeld dafür. Irgendwann landet ihr alle noch im Knast.“
„Kaum. Erstens sind unsere Kurse fundiert, und zweitens läuft unser Laden. Diese Windeier sitzen samt und sonders wegen betrügerischen Bankrotts. Lies deine Zeitung doch mal richtig. Oder mach einen Kurs an der Volkshochschule.“
Simone sah mich beschwörend an und ich gab klein bei, als sie das Thema wechselte. „Und morgen fährst du?“
„Ja, deshalb kann ich heute auch nicht so lange“, versuchte ich sofort vorzubauen. „In den Urlaub? Wohin?“, wollte Robert wissen.
„Jesolo.“
„Du hast schöne Hände“, stellte er fest und nahm meine Hand in seine. Ich entriss sie ihm sofort. „Jesolo... Ich glaub, da hab ich noch eine Karte“, meinte Fabian, stets bereit, sein überlegenes Wissen mit uns armen Minderbemittelten zu teilen. „Der Ort ist ziemlich lang gestreckt, aber viel ist da ja nicht los. Warum fährst du nicht lieber woanders hin? Ibiza zum Beispiel?“
„Weil ich in Jesolo eine Wohnung habe.“
„Sag die halt ab. Komm, der Ort ist doch öde, da gibt´s nichts als Strand und Meer und zwei, drei Kneipen.“
„Fabian, kannst du mal mit dem Scheiß aufhören? Ich war in den letzten zehn Jahren insgesamt gut dreißig Mal in Jesolo, die Wohnung gehört mir, und es gibt dort ungefähr dreitausend Kneipen, gute und weniger gute. Spiel dich nicht immer als Fachmann auf, wenn du keine Ahnung hast.“
„Keine Ahnung? Ich war doch schon dort!“
„Ja, einmal!“
„Und? Jeder weiß doch, dass Männer mehr wahrnehmen als Frauen! Analytischer Verstand, klar?“
„Ach, und deshalb kennst du dich dort besser aus als ich, obwohl das mein Zweitwohnsitz ist? Gott erhalte dir deinen Kinderglauben!“
„Darf ich dich in Jesolo besuchen?“, fragte Robert.
„Das ist doch eine tolle Idee!“, freute sich Simone. „Du könntest ihm doch alles zeigen, wo du dich da so gut auskennst. Und Platz hast du doch auch genug.“ Ich dankte meinem Schöpfer im Stillen, dass Simone die genaue Adresse nicht wusste. „Kommt gar nicht in Frage.“ Das war unhöflich, aber dieser Robert nervte mich etwas, vor allem, weil er dauernd versuchte, nach meiner Hand zu fassen. Jetzt sah er mich gekränkt an, und ich war schon wieder kurz davor, weich zu werden, aber glücklicherweise mischte Fabian sich wieder ein. „Ja, Lea – so ganz alleine, das ist doch nichts. Urlaub ohne Mann... Nicht, Simone, du kämst nie auf so eine Schnapsidee?“
„Nein, Schatz“, sagte Simone brav. Ich warf ihr einen hoffentlich tödlichen Blick zu und erhob mich. „Wo gehst du hin?“, fragte Robert sofort.
„Geschirr spülen“, antwortete ich patzig.
„Ich muss auch mal“, sagte Simone hastig und schlängelte sich um den Tisch herum. „Wenn das so weiter geht, bin ich schon um acht todmüde und noch urlaubsreifer als sowieso schon“, blaffte ich sie im Vorraum der Toilette an. „Fabian ist heute grauenvoll, kannst du ihn nicht mal bremsen?“
„Er meint es doch nur gut“, war die schwächliche Antwort.
„Der meint es nicht gut, er glaubt nur, dass er alles besser weiß als alle anderen. Nervt dich das eigentlich nie?“
„Selten. Zu Hause ist er nicht so.“ Sie zog sich die Lippen nach.
„Und wieso hat er diesen idiotischen Robert mitgebracht?“
„Keine Ahnung, ich kenn den auch nicht. Aber er ist doch ganz nett, oder? Bis auf diesen bescheuerten Schnurrbart.“
„Nett? Der macht mich dermaßen plump an! Und du willst ihn mir noch im Urlaub auf den Hals hetzen! Eins sag ich dir, wenn ich den jenseits der confine del stato antreffe, mach ich dich alle, wenn ich zurückkomme.“
„Boah, bist du böse! Hier, guck mal, wie findest du die Farbe?“
Ich begutachtete das intensive Pink, als glitzerte, als seien Glassplitter darin eingeschlossen. „Diamantlook“, erläuterte Simone stolz.
„Eigenartig. Macht der nicht gelbe Zähne, bei dem kalten Farbton?“
„Nö. Meine Zähne sind schließlich weiß! Ich finde, du brauchst wieder mal einen Mann.“
„Nur weil du in der Falle sitzt, sollen alle übrigen auch dran glauben?“
„Ich sitze nicht in der Falle! Fabian ist der liebste, beste – ja, schon gut, er ist ein elender Besserwisser, aber echt nur in der Kneipe, ich schwör´s. Trotzdem, immer so ganz alleine...“
„Simone, pass auf: Wenn ich einen Kerl will, dann suche ich mir selber einen, der mir auch gefällt, so schwer ist das nicht. Dieser Robert ist nicht mein Typ. So, und jetzt esse ich meine Pizza, die hoffentlich endlich da ist, und dann gehe ich heim und packe.“
„So bald schon? Soll ich dir einen Koffer leihen?“
„Ich hab einen Koffer, danke.“
„Ja, aber bloß einen!“ Das rief sie aus ihrer Kabine, von Plätschern untermalt.
„Ich nehme ja auch bloß einen mit. Für zehn Tage brauche ich doch fast nichts!“
Ich starrte in den Spiegel, dann löste ich die Spange, kämmte meine hellbraunen Haare mit den Fingern durch und klemmte sie wieder in die Spange.
Simone trat neben mich und rüttelte am Seifenspender. „Die Spange ist gut, neu?“
„Nein. Jesolo 1997.“
„Wie viele Spangen hast du eigentlich?“
„Zwei. Die und so eine mit einer Samtschleife drauf, fürs Theater. Warum?“
„Weil ich mehr als zwanzig habe, dabei sind meine Haare viel zu kurz. Sammlertrieb!“ Sie lachte spöttisch auf.
„Dafür hab ich meine Obergrenzen, die schützen mich.“
„Und was, wenn die kaputt geht?“, fragte sie über die Schulter und stieß die Schwingtür auf. Die warme, rauchige und laute Luft schlug uns entgehen.
„Dann nehme ich die mit der Schleife und gehe mir eine neue kaufen, wieso? Notfalls kann ich mir die Haare auch zusammendrehen und sie in den Hemdkragen stopfen, oder?“
„Total bedürfnislos“, spottete Simone.
Kaum saßen wir, kamen meine Pizza und Simones Lasagne. Fabian schaute säuerlich; er hatte sich viel später etwas viel Komplizierteres bestellt und erwartete anscheinend, dass wir jetzt auf ihn warteten, aber so verliebt war nicht einmal Simone, dass sie kalte Lasagne gegessen hätte. Ich säbelte ein Stück Pizza ab. Lecker, wirklich! Pizza konnten die hier, das ließ sich nicht bestreiten. Robert sah mir fasziniert zu.
Nach dem dritten Bissen fragte er: „Kann ich mal probieren?“
Ich zuckte die Achseln und aß weiter. „Klar.“
Er starrte mich an. Ich starrte zurück. „Was?“
„Das heißt Wie bitte“, mahnte Fabian.
„Bist du die Mutter von Bridget Jones? Wenn ich Was sage, meine ich auch Was. Was heißt Was guckst du?“
„Ich dachte, ich dürfte probieren?“, klagte Robert.
„Ja doch! Da in dem Bierkrug steht noch Besteck, also worauf wartest du?“ Ich verstand wirklich nicht, was er wollte.
Er rührte sich nicht, sondern sperrte nur den Mund auf. Ich ließ das Besteck sinken. „Was ist jetzt wieder? Willst du Fliegen fangen?“
„Nein...“ Schmelzender Tonfall. „Füttere mich!“
„Bei uns gab´s da früher eine eiserne Regel“, konterte ich nach einem Moment fieberhaften Nachdenkens. „Wer nicht mit Messer und Gabel umgehen kann, kriegt nur Alete-Breichen. Das hat mich schnell ans Besteck gebracht. Soll dir Simone vielleicht noch die Schuhe zubinden oder was?“
Robert klappte den Mund hörbar wieder zu. „Du bist so spröde“, klagte er dann. „Ich bin nicht spröde, ich bin nicht interessiert. Und Leute, die sich in der Öffentlichkeit gegenseitig füttern, finde ich geschmacklos, sogar wenn zwischen ihnen was läuft.“
„Warum bist du so?“ Ich aß meine Pizza weiter – sollte sie kalt werden, nur weil dieser Kerl ein Nein nicht kapierte? „Sicher hast du mal eine schwere Enttäuschung erlebt“, legte er sich jetzt selbst eine Erklärung zurecht.
„Hab ich nicht.“
„Aber was ist es dann?“
„Ich steh nicht auf dich, kapiert?“ Das kam deutlich lauter heraus als geplant, und am Nachbartisch drehten sich die Leute um. „Lea, benimm dich“, zischte Fabian.
„Dann sag deinem Kumpel, er soll mich in Ruhe lassen!“, zischte ich zurück.
„Warum? Du könntest schlechter fahren. Er verdient ganz ordentlich, trinkt nicht, raucht nicht, hat ein Auto...“
„Wenn schon. Das trifft auf mich doch auch zu.“
„Dann hab ihr doch schon was gemeinsam“, entgegnete Fabian und lächelte schlau.
„Was hast du für einen Wagen?“, fragte Robert, offenbar war ihm die Frage, ob er der ideale Ehemann war, nun doch selbst peinlich. „Audi“, kaute ich und spießte den letzten Bissen von der Spinatabteilung auf,
„Die sind nicht billig. Der A 3 ist auch ein nettes Autochen für eine Frau, fast so gut wie der Golf. Automatik?“
„Noch bin ich keine Oma. Und der A 3 ist besser als der Golf, aber ich hab einen A 6.“ Er verschluckte sich an seiner Weinschorle. „Einen A 6? Der ist doch viel zu groß!“
„Zu groß wofür? Für eine Frau?“ Ich funkelte ihn an. „Ja, was soll das denn heißen?“, fragte auch Simone mit drohendem Unterton.
„Ich meinte nur – das Einparken und so... im Parkhaus...“
„Wenn man´s kann?“, antwortete ich gleichmütig. Also doch ein Idiot! Fabian prustete. „Können? Keine Frau kann einen solchen Riesenschlitten fahren, erzähl mir doch nichts!“
„Ich hab ohnehin keine Lust, dir noch irgendwas zu erzählen“, schnappte ich, „aber jedenfalls hat mein Auto keine Schrammen. Hast du nicht letzte Woche eure halbe Garagenwand mitgenommen?“
„Bloß weil Simone mal wieder den Spiegel verstellt hat.“
„Du hast vorwärts eingeparkt“, erinnerte Simone und wurde mit einem mörderischen Blick gelohnt. „Und, was fährst du?“, erkundigte ich mich höflich bei Robert, legte das Besteck beiseite und winkte dem Kellner.
„Einen Corsa.“
„Nett“, sagte ich schwach. „Sehr wendig, nicht?“ Ein Mann mit Corsa musste ja angesichts einer Frau mit A 6 die Krise kriegen! „Hm – ja. Und sparsam im Verbrauch. Fährst du mit dem Wagen nach Jesolo?“
Ich schüttelte den Kopf. „Dauert mir zu lange. Ich fliege nach Venedig und nehme mir dort einen Leihwagen.“ Der Kellner kam und ich bat um meine Rechnung. „Lass nur, das mache ich schon“, erbot sich Robert großmütig.
„Nein.“
„Doch!“
„Was jetzt?“, fragte der Kellner genervt.
„Ich zahle“, erklärte ich, „und wenn Sie noch einmal hin und her schauen, setze ich nie wieder einen Fuß in diesen Laden.“ Der Kellner seufzte. „Eine Quattro, ein Planter´s – neun fünfzig.“
Ich gab ihm zehn. „Stimmt schon.“
Robert schmollte. „Bist du etwa emanzipiert?“
„Du hörst dich an wie aus einem schlechten Weiberroman. Weshalb sollte ich dich zahlen lassen? Um dir das Recht zu geben, irgendwann eine Gegenleistung zu fordern? Wirklich nicht. So, und jetzt gehe ich heim und packe. Viel Spaß noch!“
„Ach, Lea, der Abend ist doch noch jung“, maulte Simone, wie ich erwartet hatte. „Bleib doch noch. Immer bist du so ungemütlich!“
„Dann könnt ihr es euch jetzt ja gemütlich machen“, fand ich und ergriff die Flucht. Puh! Das war so ungefähr der blödeste Abend seit Ostern gewesen, als ich mich mit meinen grausigen Cousins und Cousinen herumgeschlagen hatte. Fabian war heute in Topform gewesen, und dieser Robert – unerträglich! Füttern sollte ich ihn? Der war doch nicht ganz dicht! Warum brockte mir Simone immer wieder so etwas ein?
Zu Hause öffnete ich die Türen des kleinen Einbauschranks im Schlafzimmer, wuchtete den Koffer aufs Bett und setzte mich daneben.
Der Schrank war perfekt eingeräumt. Saubere, kleine Stapel, von allem nicht mehr als unbedingt nötig, nur wirklich gute Stücke. Okay, was brauchte ich? Unterwäsche. Zehn T-Shirts... Unsinn, in der Wohnung war eine Waschmaschine: Sechs T-Shirts. Zwei Sommerkleider. Zwei Paar Jeans. Eine Strickjacke. Zwei Nachthemden – Mist. Eins lag im Bett, eins war in der Wäsche. Überhaupt! Hastig sortierte ich die Schmutzwäsche und füllte die erste Maschine. Ein Paar warme Socken, bei Bedarf wusch ich sie eben. Sandalen. Turnschuhe. Die beiden Bikinis. Strandlaken – nein, das lag sowieso in der Wohnung.
Kosmetika. Bibliotheksbücher. Terminkalender. Sonnenbrille. Strandlatschen – in der Wohnung. Ein Sweatshirt. Das war´s doch eigentlich! Ich stapelte alles, was schon bereit war, neben dem Koffer auf und füllte meine Umhängetasche mit dem Kleinkram, räumte mein Necessaire ein, suchte ein Buch für den Flug aus, entrümpelte meinen Zeitplaner und ging gemütlich die Küche putzen, während die Maschine dem Schleudergang entgegenrumpelte.
Viel spannender als die Konversation dieses Robert! Wie konnte man nur so aufdringlich sein? So schön war ich auch wieder nicht. ich sah völlig normal aus, wenigstens so, wie ich mich in den Vitrinentüren des Geschirrschranks spiegelte. Etwas über mittelgroß, normale Figur (für mein Alter noch ziemlich straff, fand ich), hellbraune lange Haare, dunkelgraue Augen, blasse Haut, eine etwas zu kleine Nase, dafür einen ziemlich großen Mund. Ich konnte damit leben.
Ich stopfte den Löwenanteil der Maschinenfüllung in den Trockner, hängte den Rest auf das Gestell im Schlafzimmer und warf den Rest aus dem Wäschekorb in die Maschine. So, dann konnte ich das Arbeitszimmer fertig aufräumen und den Flur feucht wischen.
Im Arbeitszimmer grinste mir mein jungfräulicher Schreibtisch entgegen. Ich verräumte den zugeklappten Laptop und die zehn CDs, die nahezu meine sämtlichen Dokumente enthielten, in den Schrank hinter dem Regal und zog das Regal wieder davor, in dem sich außer einer Reihe Fachbüchern und einem einzigen Ordner mit den Dokumenten, die man nicht online zugesandt bekam, nur noch ein Designerlocher befand, den ich mal geschenkt bekommen hatte. Leer, kahl, spiegelblank – ausgezeichnet. Ich nahm mir noch ein Päckchen Notizblätter für den Zeitplaner aus der Schublade und warf es in meine Handtasche.
Flur: Kommode (zwei Paar Handschuhe, ein Hut, sechs Paar Schuhe, Schuhputzkram, Hausapotheke, bestehend aus Aspirin, Desinfektionsspray und Heftpflaster, kleine Souvenirkiste), Spiegel, zwei Haken an der Wand, Fliesenboden. Minimalismus pur.
Das Spray konnte ich mitnehmen. Männern gefiel meine Wohnung merkwürdigerweise nicht, obwohl man ihnen ja gerne nachsagte, sie hätten keinen Sinn für Schnickschnack. Vielleicht machte das karge Ambiente ihnen zu deutlich, dass ich eine manische Wegschmeißerin war? Man sagte ja auch, dass die meisten Männer dazu neigten, alles Mögliche aufzuheben, sogar Tarnunterwäsche aus Bundeswehrzeiten, in die sie schon lange nicht mehr hineinpassten.
Ich dagegen hatte nicht einmal mehr Fotoalben – alle Fotos waren sorgfältig gescannt und auf zwei CDs archiviert, was zum einen eindeutig weniger Platz brauchte und zum anderen verhinderte, dass ich durchdrehte und zufällig anwesende Besucher mit Kindheitserinnerungen belästigte.
Ich bügelte alles, was der Trockner ausspuckte, und verräumte es entweder in den Schrank (exakt auf Kante) oder auf den Kofferstapel, dann landete die zweite Ladung im Trockner und auf dem Gestell. Ich durchwanderte die Wohnung mit inspizierendem Blick – man konnte schließlich nie wissen, vielleicht stürzte der Flieger in die Lagune und mein Anwalt ließ den Haushalt auflösen... ich hatte schon zu viele Krimis gelesen, in denen naserümpfende Ermittler die Wohnung des Mordopfers durchsuchten und sich über die Schlamperei aufregten. Lieber sollten die Entrümpler sich über die unnatürliche Ordnung und meinen zwanghaften Charakter wundern. Alles sah aus, wie es aussehen sollte, abgesehen vom Bett, auf dem noch der Reisekram lag. Morgen früh musste ich das Bett noch frisch beziehen.
Und alle Fingerabdrücke entfernen, fügte ich im Geiste hinzu. War ich vielleicht doch ein bisschen zu zwanghaft? Es war schließlich nicht illegal, dass ich mich hier aufhielt, die Wohnung gehörte mir, sie war bis auf den letzten Cent abbezahlt, genau wie die in Jesolo und das kleine Appartement in Mönchberg, das ich vermietet hatte. Die Unterlagen darüber sollte ich vielleicht genauso wie die über mein angenehm stattliches und recht konservativ zusammengestelltes Depot auch noch im Geheimschrank verwahren. Das Sparbuch (da waren nur rund zehntausend Euro drauf) und etwas Bargeld dagegen würde ich leicht zugänglich aufbewahren, damit etwaige Einbrecher nicht aus purem Frust alles verwüsteten. So leicht konnte man hier ohnehin nicht einbrechen, nicht im dritten Stock, nicht mit meinen Superschlössern und den von innen abschließbaren Fenstern. Ich war doch zwanghaft!
Nein, bloß vorsichtig. Man las ja so viel – und das Fernsehen trug auch nicht dazu bei, die Nerven zu beruhigen. Andererseits war ich erstklassig versichert und ich hing an gar nichts.
Ich putzte die Sandalen und verstaute sie im Koffer, daneben die Bücher und mein Necessaire, dann füllte ich die Lücken mit Unterwäsche und Bikinis, rollte ein Paar Jeans zusammen und packte sie ein, daneben das Sweatshirt und darauf die T-Shirts, gleichmäßig verteilt. Dann zog ich die Gurte stramm und legte die beiden Kleider locker obendrauf. Schließen würde ich den Koffer erst morgen, sonst müsste ich am Ziel sofort bügeln. Die Reste legte ich vors Bett, das würde ich morgen anziehen, und eine Reservegarnitur Wäsche kam in meine Handtasche. Man wusste ja nie – vielleicht ging der Koffer verloren? Ersatzwäsche würde die Obergrenzen sprengen, falls der Koffer wieder auftauchte, Ersatzduschgel dagegen verbrauchte sich und war folglich gestattet. Der Trockner pfiff; ich räumte die letzten Reste auf, stellte Koffer und Umhängetasche in den Flur und zog mich aus: Morgen musste ich rechtzeitig am Flughafen sein, denn ich war vielleicht zwanghaft, aber ein Ticket hatte ich eben trotzdem noch nicht. Auf einem Linienflug nach Venedig gab es aber immer noch einen Platz, wenn es einem egal war, wo man saß.
Alles perfekt! Zufrieden lümmelte ich noch ein wenig im Nachthemd auf dem Sofa herum und zappte ohne großes Interesse durch die Kanäle. Morgen um die Zeit säße ich mit einem netten Campari Orange in einem Straßencafé und schaute mir die Flaneure an. Oder ich „shoppte“ – natürlich ohne etwas zu kaufen, es sei denn, ich fand etwas absolut Unentbehrliches. Was könnte das sein? Eine wirklich schöne weiße Bluse vielleicht – die alte Leinenbluse war schon ziemlich überreif. Ich freute mich wirklich auf Jesolo, auch auf mein kleines, funktionales Appartement mit den weißen Möbeln und der spärlichen Ausstattung. Auf das Letto am Strand des Hotels Levante, auf das Rauschen der Brandung, auf alberne, aber spannende Romane, auf wirklich gute Pasta, vor allem schwarze Bandnudeln mit Lachssauce, auf diese komischen Mais-Käse-Snacks, die es bei uns nicht gab, auf ein spätabendliches Sanbitter vor einer italienischen Talkshow, auf lange Spaziergänge, vielleicht auf eine kleine Fahrt nach Treviso oder Venedig. Halt, die Kamera! Vielleicht gelang mir ja das optimale Urlaubsbild, dann konnte ich es bearbeiten und im Fotoladen auf Postergröße ausdrucken lassen. Im Bad würde es sich an der leeren Wand gut machen, dann konnte ich in der Badewanne vom Urlaub träumen...
Ja, das wäre wirklich eine gute Idee, fand ich am nächsten Morgen, als ich in der Wanne lag und die leere Wand anträumte. Vielleicht weißer Sand, ein einladender Liegestuhl, im Hintergrund schäumende Wellen... Blau und weiß, passend zu den Farben im Bad... Ich trocknete mich ab, schlüpfte in meine Reisekluft, bezog das Bett frisch, lüftete noch einmal gründlich, schloss dann die Fenster ab und sah mich prüfend um. Auf zum Flughafen, es war schon kurz vor halb acht.
Es klingelte. Garantiert die Zeugen Jehovas. Oder jemand, der Pizzaflyer einwerfen wollte. Ich knurrte in die Sprechanlage und ging den Koffer schließen.
Als es an der Wohnungstür klopfte, war ich gelinde verärgert. Nein, ich wollte jetzt ganz bestimmt nicht über meinen Weg zu Gott reden! Und irgendein Käseblatt abonnieren wollte ich auch nicht, ich brauchte keinen Honig und keine von Blinden gefertigten Bürsten. Ein Lexikon hatte ich auch schon, und durch den Spion erkannte ich nur etwas Rotes. Ich legte die Kette vor und öffnete die Tür. „Ja, was ist denn?“
„Lieferung für Sie.“
„Kaum. Ich hab nichts bestellt!“
„Blumen. Unterschreiben Sie hier, bitte.“
Ich unterschrieb und erhielt einen mittelgroßen Strauß dunkelroter Rosen – die Sorte, die nicht duftete und nur drei Tage hielt. Was sollte ich jetzt damit? Und wer schickte mir die überhaupt? Der Fleuropbote empfing zwei Euro und verzog sich. Ich durchsuchte den Strauß und fand ein Kärtchen: Danke für einen viel versprechenden Abend, R.
R.? Dieser unsägliche Robert? Was für ein Idiot, glaubte er etwa, ich hätte Lust, einen sperrigen Blumenstrauß mit in den Urlaub zu schleifen? Mich deshalb von der Flugbegleiterin dumm anreden zu lassen? No, Sir!
Ich kramte mürrisch eine meiner beiden Vasen heraus – die hässlichere –, füllte Wasser hinein, stopfte die Rosen dazu und stellte das Ganze auf den Balkon. Mehr konnte ich nicht tun – in der Wohnung würden sie bei meiner Rückkehr alles verpesten, vermodert, wie sie dann wären. Verschwendung!
Das Kärtchen warf ich weg, nachdem ich die unausgeformte Handschrift einen Moment lang verächtlich gemustert hatte. Dann warf ich einen letzten Blick in alle Zimmer, schloss die Balkontür ab, packte Koffer und Tasche und verließ die Wohnung. Vor der Haustür flitzte gerade ein Radler vorbei. Hemden gab es dieses Jahr! Schon wieder so ein scheußliches grell blau-weißes Ding, fast so wie gestern, so weit ich es bei dem Tempo sehen konnte. Hoffentlich gab es die nicht in Jesolo an jeder Ecke! Ich zog meinen Koffer um die Ecke in die Hofeinfahrt, überquerte den Hof und schloss den Kofferraum auf. Vielleicht hätte ich doch das Werkzeug und den Putzkram aufräumen sollen – der Koffer hatte kaum Platz, obwohl ich ja nun wirklich keinen Kleinwagen fuhr. Ärgerlich räumte ich herum, bis der Koffer richtig lag, dann knallte ich den Kofferraum zu und musterte einen Moment lang liebevoll den glänzenden zinnfarbenen Lack, bevor ich die Fahrertür öffnete. „Entschuldigung?“
Ich drehte mich um, einen Fuß schon im Wagen. „Ja?“
„Ist das hier die Fuggergasse?“
Eine ältere Frau in grauem Regenmantel, sichtlich nervös, jedenfalls knipste sie dauernd ihre Handtasche auf und zu. Ich zog meinen Fuß wieder zurück. „Nein, die Peutingergasse. Zur Fuggergasse müssen Sie nach der Hofeinfahrt links bis zum Fuggerplatz. Dann sehen Sie schon.“
„D-danke.“
„Keine Ursache“, konnte ich gerade noch sagen, dann knallte etwas auf meinen Kopf, ein merkwürdiger Geruch stieg mir in die Nase und dann wusste ich gar nichts mehr.